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Gott will eine Bleibe bei uns haben

Wenn Jesus sagt: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen“, meint er damit den Himmel, wo die Christen nach ihrem Tod hinkommen? Ein anderer Vers im Johannesevangelium legt nahe: Nicht wir kommen in den Himmel, Gott und Jesus kommen mit ihrer Liebe, Agapē, zu uns, suchen bei uns eine Bleibe.

Gott will sich durch seinen Messias Jesus in unserer Mitte eine Bleibe schaffen (Bild: congerdesignPixabay)

Das Johannesevangelium enthält keine Weihnachtsgeschichte. Auch spricht Johannes nicht von einer Geburt Jesu in Bethlehem, er will Jesus nicht mit Hoffnungen in Verbindung bringen, Jesus könnte als Davidssohn mit militärischen Mitteln ein neues Königreich Israel aufbauen wollen. Für Johannes ist Jesus einfach der Sohn Josefs aus Nazareth.

Aber auch für Johannes ist Jesus der Messias, den der Gott Israels sendet, damit er ganz und gar sein WORT und seinen NAMEN verkörpert. Denn der Gott Israels trägt einen einzigartigen NAMEN mit einer einzigartigen Bedeutung: Er steht für Befreiung und Gerechtigkeit, für Frieden und Liebe, und steht so einer von Unrecht, Gewalt und Egoismus beherrschten Weltordnung entgegen. Dass Jesus aus dem völlig unbekannten galiläischen Dorf Nazareth kommt, unterstreicht für Johannes einfach nur, wie völlig unerwartet dieser Messias Jesus in die Welt kommt.

In der Adventszeit geht es nun allerdings nicht nur um die Ankunft des Christuskindes in der Krippe zu Bethlehem. Es wird überhaupt über Bibeltexte nachgedacht, die mit dem Kommen Jesu oder Gottes in die Welt zu tun haben. Das hat mich auf die Idee gebracht, einmal sehr genau über Johannes 14,23 nachzudenken, wo Jesus spricht:

Wer mich liebt,
der wird mein Wort bewahren;
und mein Vater wird ihn lieben,
und wir werden zu ihm kommen
und Wohnung bei ihm nehmen.“

„Wir werden zu ihm kommen“, sagt Jesus.

Wir, damit meint er den Gott Israels, den er immer den VATER nennt und dessen Willen er vollkommen verkörpert.

Zu ihm, damit meint er nach diesem Vers Menschen, die drei Bedingungen erfüllen:

  1. Sie lieben Jesus. Sie vertrauen darauf, dass Jesus die Verhältnisse in dieser Welt zum Guten verändern kann. Diese Liebe, auf Griechisch agapē, ist mit unserem Wort „Liebe“ eigentlich nicht richtig übersetzt. Agapē ist weniger ein Gefühl, bezeichnet kein Mögen, keine innige Zuneigung. Sonst könnte nicht gefordert sein, jeden Menschen zu „lieben“. Ton Veerkamp hat für Agapē die Übersetzung „Solidarität“ vorgeschlagen. Gemeint ist, dass man ganz und gar füreinander da ist und einsteht, sogar für den, den man nicht mag. Aber wie soll man für Jesus, den Messias des Gottes Israels, einstehen? Das wird im nächsten Satz erklärt.
  2. Sie bewahren sein Wort. Das klingt sehr allgemein. Aber dieses Wort fasst Jesus später konkret in einem einzigen Satz zusammen (Johannes 15,17): „Das gebiete ich euch, dass ihr euch untereinander liebt.“ Jesus lieben bedeutet also nichts anderes, als dass wir Menschen füreinander da sind, tatkräftig, solidarisch, barmherzig.
  3. Menschen, die sich auf die Haltung einer solchen Liebe einlassen, dürfen fest darauf vertrauen, dass der VATER Jesu mit SEINER ganzen Liebe zu ihnen steht.

Bisher sieht es fast so aus, als ob zuerst unsere Liebe da sein müsste, und dann ist Gott mit seiner Liebe für uns da. Aber am Ende heißt es dann umgekehrt, dass der VATER und Jesus gemeinsam zu uns kommen und „Wohnung“ bei uns nehmen.

Wie machen die das? Was bedeutet dieses „Wohnung nehmen“? Im Griechischen steht da wörtlich: „sie machen sich eine monē“. Dieses Wort kommt von dem Wort menein, „bleiben“. In der Bibel ist damit die Bedeutung verbunden: „durchhalten, aushalten, fest und standhaft bleiben“. Eine monē ist dann nicht einfach eine „Bleibe“ im Sinne eines Dachs über dem Kopf. Eine monē ist ein Ort, wo man sich auf Dauer gut aufgehoben fühlt und im Vertrauen auf Jesus standhaft bleiben kann, standhaft eben im Füreinanderdasein. Eine solche „Bleibe“ schaffen sich der VATER und Jesus bei uns, sie nisten sich sozusagen mit ihrer Liebe bei uns ein.

Das ist noch nicht alles, was man über diese monē, diese „Bleibe“ Gottes und Jesu bei uns, sagen kann. Das Wort kommt noch ein zweites Mal im Johannesevangelium vor, und zwar in einem sehr vertrauten Vers, nämlich am Anfang des Kapitels Johannes 14. Da steht das Wort monē in der Mehrzahl, monai. Schauen wir die Verse 2 und 3 genau an:

In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen.
Wenn‘s nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt:
Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten?
Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten,
will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen,
auf dass auch ihr seid, wo ich bin.

In diesen Versen habe ich drei Wörter hervorgehoben: Haus, Wohnung und Stätte. Mit Wohnung übersetzt Luther das Wort monē, wie wir gehört haben. Was ist mit den anderen beiden Wörtern? Haus schreibt Luther für das griechische Wort oikia. In der Bibel ist mit dem „Haus Gottes“ immer ein besonderes Haus gemeint, nämlich das Heiligtum Gottes auf der Erde. Das war in der Wüste das Zelt der Begegnung (die Stiftshütte) gewesen. Das war später der Tempel in Jerusalem. Mit dem Wort Stätte schließlich übersetzt Luther das Wort topos, auf Hebräisch maqom, das wörtlich einfach „Platz, Ort“ meint. Aber im Judentum bezeichnet auch dieses Wort oft den Tempel Gottes.

Aber kann das denn sein, dass Jesus in diesem Vers vom Tempel spricht? Ja – wenn wir uns daran erinnern, dass Jesus schon in Johannes 2,19.21 auf besondere Weise vom Haus Gottes geredet hat, und zwar nach der Tempelreinigung:

„Brecht diesen Tempel ab und in drei Tagen will ich ihn aufrichten.“
Er aber redete von dem Tempel seines Leibes.

Das würde bedeuten: Das „Haus des Vaters“ in Johannes 14,2 ist der Leib Jesu. Er selbst, der Leib Christi, ist die Stätte, die er allen, die auf ihn vertrauen, bereitet. Er tut dies, indem er hingeht und den Tod am Kreuz der Römer auf sich nimmt.

Wie man in diesem Heiligtum wohnen kann, das der Leib Jesu ist, das erklärt der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief 12,27):

Ihr aber seid der Leib Christi und jeder Einzelne ein Glied.

Das heißt: Der Leib Jesu Christi ist seine Gemeinde. Wir selbst, indem wir auf Jesus vertrauen, bilden gemeinsam das Heiligtum, das Jesus für uns gründet. Und in dieser Gemeinde gibt es viele monai, viele verschiedene Arten, dazu zu gehören, dabei zu BLEIBEN.

Und jetzt wird noch deutlicher, was in Johannes 14,23 gemeint ist: Immer schon war in der Bibel das „Haus Gottes“ der Ort, in dem Gott seinen NAMEN der Befreiung und Gerechtigkeit wohnen lassen wollte (1. Könige 9,3). Nach Johannes 14,2-3.23 sind nun wir als die Gemeinde der auf Jesus Vertrauenden dieser Ort, diese „Bleibe“ Gottes und seines NAMENs, der sich in Jesus verkörpert hat.

Nun wurden aber diese Verse schon früh so ausgelegt, dass mit dem Haus des Vaters der Himmel gemeint sei und dass Jesus, indem er am Kreuz stirbt und aufersteht und in den Himmel kommt, für alle, die an ihn glauben, eine eigene Wohnung bereitstellt. Sagt nicht Jesus ausdrücklich, dass er wiederkommen und uns mit sich nehmen wird? Wohin sollte er uns denn mitnehmen wollen, wenn nicht (wenn wir gestorben sein werden oder am Ende aller Tage) in den Himmel?

Der Vers Johannes 14,23 lehrt uns aber, die Verse 14,2-3 andersherum zu begreifen: Nicht WIR kommen dorthin, wo Gott ist, sondern Gott und Jesus werden zu UNS kommen und sich bei UNS eine Bleibe machen! In Johannes 20,19ff. heißt es, dass Jesus als Auferstandener wieder zu seinen Jüngern kommt. Er schafft dem VATER und sich selbst bei ihnen eine Bleibe, indem er sie mit FRIEDEN und HEILIGEM GEIST beschenkt und sie in die Welt sendet.

Das klingt ähnlich wie in der Offenbarung des Johannes: Das himmlische Jerusalem (erfülltes, ewiges Leben) kommt zu uns auf die Erde, nicht wir in den Himmel. Diese Denkweise entspricht der ganzen Bibel; so heißt es in Psalm 115,16:

Der Himmel ist der Himmel des HERRN;
aber die Erde hat er den Menschenkindern gegeben.

Für manche unter uns könnte diese Auslegung enttäuschend sein. Ist es nicht viel tröstlicher, sich die Wohnungen bei Gott im Himmel vorzustellen? Ist es nicht zu „diesseitig“ gedacht, dass Gott und Jesus einfach bei uns wohnen wollen?

Dazu noch zwei abschließende Gedanken:

  1. Es ist gerade das Unglaubliche und doch Wahre an der Bibel, dass sie die Hoffnung auf Veränderung der Welt im Diesseits nirgends aufgibt. So ginge es auch für Johannes absolut nicht, dass man leidende Menschen und unterdrückte Völker auf ein Jenseits vertröstet. Auch wenn es aussichtslos scheint: Gerade durch seinen Tod am Kreuz der Römer sagt Jesu definitiv Nein zu einer globalen Ordnung, die auf Ausbeutung und Gewalt aufbaut. Und indem der Geist Jesu und der Friede des Gottes Israels sich bei uns einnisten, inspirieren sie uns dauerhaft mit einer Hoffnung, die nicht resigniert angesichts aller Schrecken dieser Welt, und mit einer Liebe, die niemals aufhört, gegen die Trostlosigkeit des Diesseits anzugehen.
  2. Trotzdem, davon bin ich fest überzeugt, ist auch ein solcher Glaube nicht „nur“ diesseitig. Wenn nämlich der Gott Israels und Jesus dauerhaft bei uns wohnen, dann ist gerade dies auch eine Hoffnung über den Tod hinaus. Denn Gott ist ja der EWIGE. Kommt er zu uns, BLEIBT ER bei uns, dann BLEIBEN in dieser Verbindung mit ihm auch WIR, selbst wenn wir sterben. Mehr müssen wir nicht wissen. Es genügt, wenn wir wissen: GOTT und JESUS bleiben bei uns mit ihrer Liebe. Der Sinn des Advent besteht darin, dass wir immer neu darum bitten und darauf warten dürfen, dass sie tatsächlich zu uns kommen und sich bei uns eine BLEIBE schaffen.

In diesem Sinne wünsche ich allen eine gesegnete Adventszeit!

Helmut Schütz

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