Bild: Helmut Schütz

Nachbarschaft verpflichtet

Zur ersten interreligiösen Feier im Hof des Familienzentrums der Evangelischen Paulusgemeinde gab es das von Handpuppen moderierte Menschenspiel „Mensch, Nachbar!“, Kinder trugen Bausteine für gute Nachbarschaft zusammen, Erwachsene beschrieben eine Wünsche-Pinnwand und hörten Texte über Nachbarschaft in Bibel und Koran.

Interreligiöse Feier am Sonntag, 25. März 2012, um 16.00 Uhr im Hof des Paulus-Familienzentrums Gießen

Bei starkem Wind war es fast unmöglich, die von den Kindern mit Nachbarschaftsbildern beklebten Kartons aufeinanderzustapeln:

Begrüßung (Helmut Schütz und Abderrahim en-Nosse)
Lied: „Wo die Liebe wohnt“ (Gitarre: Helmut Schütz)
Nachbarschaft in der Bibel und im Koran: Abderrahim En-Nosse und Pfarrer Helmut Schütz bringen Beispiele
Nachbarschaft in der Bibel und im Koran: Abderrahim En-Nosse und Pfarrer Helmut Schütz bringen Beispiele
Nachbarschaft in Bibel und Koran

Koran, Sure 4, 36:

„Verehrt Allah und setzet Ihm nichts zur Seite, und (erweiset) Güte den Eltern, den Verwandten, den Waisen und den Bedürftigen, dem Nachbarn, der ein Anverwandter, und dem Nachbarn, der ein Fremder ist, dem Gefährten an eurer Seite und dem Wanderer und denen die eure Rechte besitzt. Wahrlich, Allah liebt nicht die Stolzen, die Prahler.“ (nach Bubenheim/Elyas)

Bibel, Sirach 25, 1-2:

1 Drei Dinge gefallen mir, die Gott und den Menschen wohlgefallen:

2 wenn Brüder eins sind und die Nachbarn sich lieb haben und wenn Mann und Frau gut miteinander umgehen.

Rechte der Nachbarn nach islamischen Hadithen (Abderrahim en-Nosse)
Kinder tragen Bausteine für gute Nachbarschaft zusammen und bauen ein Haus aus Kisten mit entsprechenden Symbolen (Alica Steinhardt mit Bildern von Kita-Kindern und von Susanne Bourik)
Lied: „Komm, bau ein Haus“ (Gitarre: Helmut Schütz)
Menschenspiel: „Mensch, Nachbar!“ (verfasst von Susanne Bourik, bearbeitet von Helmut Schütz)

Lutz:
Jetzt führen wir Puppen ein Menschenspiel auf. Es heißt: „Mensch, Nachbar!“

Gabi:
Ja, ihr habt richtig gehört. Normalerweise führen Menschen Puppenspiele auf. Heute erzählen wir Puppen mal die Geschichte.

Lutz:
Genau, und vier Menschen spielen Spielszenen dazu.

Gabi:
Frau Bourik hat die Szenen geschrieben und spielt selber Frau Nadia Malik, eine Frau, die aus Tunesien stammt.

Lutz:
Pfarrer Schütz spielt Herrn Meier, einen griesgrämigen alten Mann, der sich über alle seine Nachbarn aufregt.

Gabi:
Frau Steinhardt und Herr en-Nosse spielen eine Pfarrerin und einen Imam, die miteinander befreundet sind.

Lutz:
Wir beide werden von Frau Blum und Herrn Masche gesprochen. Und am Anfang spielen wir zwei Kinder, die Herrn Meier im Bus treffen. – Und jetzt beginnt das Spiel!

Die Handpuppen Lutz und Gabi führen ein Menschenspiel auf
Die Handpuppen Lutz und Gabi führen ein Menschenspiel auf

Gabi:
Sechs Stunden Schule. Ich bin total fertig!

Lutz:
Da ist der Bus! Schnell rein, sonst kriegen wir keinen Platz!

Franz Meier:
(schimpft) Jetzt drängelt nicht so. Passt doch mal auf!

Lutz:
Alte Leute können immer nur motzen.

Franz Meier:
Auch noch frech werden! Früher haben Kinder einem noch einen Platz im Bus angeboten!

Gabi:
Wir Kinder sind auch mal müde.

Franz Meier:
Aber ihr habt noch keine künstliche Hüfte, oder?

Lutz:
Oh, das wussten wir nicht. Bitte, nehmen Sie Platz!

Gabi:
Kommen Sie eigentlich auch zum Fest?

Franz Meier:
Was für ein Fest? Nee, nee, das ist nichts für mich.

Gabi:
OK, OK, ist ja gut…

Lutz:
Der kann immer nur meckern und motzen!

Gabi:
So. Im Bus haben wir Herrn Meier kennengelernt, der wirklich sehr viel meckert und motzt.

Lutz:
Und jetzt belauschen wir Pfarrerin Paulus und Imam Ibrahim.

Imam Ibrahim:
Hallo, Frau Paulus, wie geht‛s voran mit dem Nachbarschaftsfest?

Pfarrerin Paulus:
Ganz gut. Wir haben Plakate gedruckt und ausgehängt.

Imam Ibrahim:
Und wir haben Handzettel in der Nachbarschaft verteilt.

Pfarrerin Paulus:
Aber ob das ausreicht?

Imam Ibrahim:
Viele Leute kommen nur, wenn sie persönlich eingeladen werden.

Pfarrerin Paulus:
Ja. Der Herr Meier, der ist so allein, seit seine Frau gestorben ist. Es wäre schön, wenn der kommen würde.

Imam Ibrahim:
Ich denke an die gute Frau Malik, die ist erst kürzlich zugezogen und kommt bei uns in die Moschee.

Pfarrerin Paulus:
Soll ich zu Herrn Meier gehen und Sie zu Frau Malik?

Imam Ibrahim:
Ich hab eine bessere Idee…

Das Menschenspiel der Handpuppen handelt von guter Nachbarschaft
Das Menschenspiel der Handpuppen handelt von guter Nachbarschaft

Gabi:
Welche Idee der Imam hat, das erfahren wir gleich.

Lutz:
Schauen wir mal heimlich bei Herrn Meier durchs Fenster.

Gabi:
Er ist allein, mit seinen Nachbarn will er ja nichts zu tun haben.

Lutz:
Über die regt er sich nämlich immer nur auf!

Franz Meier:
Immer diese Nachbarn. Treppe ist schmutzig. Müll liegt vor der Tür. Kinderwagen vor der Haustür. Hund bellt immerzu, macht überall hin. Nein, mit den Nachbarn will ich nichts zu tun haben.

Gabi:
Da klingelt es an der Tür.

Lutz:
Ding dong!

Gabi:
Herr Meier öffnet die Tür, und Imam Ibrahim steht davor.

Imam Ibrahim:
Guten Tag, Herr Meier!

Franz Meier:
Guten Tag, was machen Sie denn hier?

Imam Ibrahim:
Ich bin Imam Ibrahim von der Moschee. Am Samstag feiern wir mit der Kirche zusammen ein Nachbarschaftsfest, und ich möchte Sie herzlich dazu einladen!

Franz Meier:
Ich komme lieber nicht. Die Leute mögen mich nicht.

Imam Ibrahim:
Aber wir würden uns sehr freuen. Die Pfarrerin lädt auch Frau Malik ein, Ihre neue Nachbarin von nebenan. Frau Nadia Malik, die kennen Sie doch… oder?

Franz Meier:
Eigentlich nicht.

Imam Ibrahim:
Auf dem Fest könnten Sie sich kennenlernen. Und wenn Sie wollen, kommen Sie doch mal in der Moschee zum Kaffeetrinken vorbei. Manchmal ist auch die Pfarrerin dabei.

Gabi:
Auch in der Nachbarwohnung klingelt es an der Haustür.

Lutz:
Ding dong!

Gabi:
Hier klingelt Pfarrerin Paulus, und Nadia Malik öffnet die Tür.

Pfarrerin Paulus:
Guten Tag, Salaam. Ich lade Sie zum Nachbarschaftsfest mit der Gemeinde und der Moschee am Samstag ein.

Nadia Malik:
Danke für die Einladung, ich komme gerne und bringe vielleicht auch etwas zu Essen mit.

Pfarrerin Paulus:
Herr Meier ist auch eingeladen.

Nadia Malik:
Wie schön, der ist immer so nett und freundlich.

Gabi:
Am nächsten Tag treffen sich Herr Meier und Frau Malik im Treppenhaus.

Lutz:
Und ausnahmsweise sagt Herr Meier mehr als nur ein kurzes „Guten Tag!“

Franz Meier:
Guten Tag, Frau Malik, da ist doch tatsächlich der Imam von der Moschee zu mir gekommen.

Nadia Malik:
Und bei mir war die Pfarrerin von der Kirche.

Franz Meier:
Die feiern da ein Fest, so für Nachbarn und so. Ist doch Quatsch.

Nadia Malik:
Wieso Quatsch, ich wollte eigentlich kommen. Sie nicht?

Franz Meier:
Ach, die Nachbarn mögen mich einfach nicht. Die denken, ich meckere nur und spiele hier den Griesgram.

Nadia Malik:
Ich finde Sie sehr nett. Sie grüßen immer freundlich. Ich habe schon Leute erlebt, die haben was gegen muslimische Frauen mit Kopftuch. Oder überhaupt gegen Araber.

Franz Meier:
Wer mich freundlich grüßt, den grüße ich auch.

Nadia Malik:
Aber, ganz ehrlich gesagt, Herr Meier, manchmal schimpfen Sie wirklich sehr viel.

Franz Meier:
Soll ich den Müll wegkehren, den andere hinschmeißen? Und wenn man den Kindern was sagt, werden sie frech.

Nadia Malik:
Wissen Sie, was ich sage, wenn jemand Müll hinwirft?

Franz Meier:
Nein, was denn?

Nadia Malik:
Ich sage: „He, du hast da was verloren!“ Meistens hebt er es dann ganz schnell wieder auf.

Franz Meier:
Na, Sie haben Humor!

Nadia Malik:
Haben Sie eigentlich keine Freunde in der Nachbarschaft?

Franz Meier:
Die alten Freunde sind alle tot oder ausgezogen. 30 Jahre wohne ich hier. Alles hat sich geändert. Ich fühle mich fremd hier, es gefällt mir einfach nicht mehr. Da bleibt man lieber für sich, Tür zu, fertig.

Nadia Malik:
Fühlen Sie sich fremd, weil kaum noch Deutsche hier wohnen?

Franz Meier:
Ich wollte es ja nicht so sagen, aber Sie haben Recht. Russen, Türken, Araber, Afrikaner – es wohnen wirklich kaum noch Einheimische hier.

Nadia Malik:
Aber viele sind schon lange in Deutschland. Ihre Kinder und Enkel sind inzwischen auch Einheimische.

Franz Meier:
Ja, wenn die alle so nett wären wie Sie.

Nadia Malik:
Wo ich herkomme, in Tunesien, da war auch alles anders.

Franz Meier:
Ach, Sie kommen aus Tunesien?

Nadia Malik:
Ja. Da halten die Nachbarn zusammen und bleiben nicht für sich alleine. Die sind stolz auf den Stadtteil, wo sie herkommen und auf ihre guten Nachbarn.

Franz Meier:
Stolz auf meine Nachbarn wäre ich auch gern. Aber die über uns machen ja noch nicht mal die Hausordnung. Wenn Kehrwoche ist, bleibt der ganze Dreck liegen!

Nadia Malik:
Das finde ich auch blöd. Aber einen netten Nachbarn habe ich gefunden, nämlich Sie. Wo ich vorher gewohnt habe, hat man mich noch nicht einmal gegrüßt. Ich fände es schön, wenn Sie zum Fest kommen.

Franz Meier:
Mal sehen. Ich weiß immer noch nicht so recht.

Eine Foto-Collage: Nachbarschaft auf dem Gießener Rodtberg
Eine Foto-Collage: Nachbarschaft auf dem Gießener Rodtberg

Lutz:
Dann kommt der Samstag mit dem Nachbarschaftsfest.

Gabi:
Es beginnt mit einer interreligiösen Feier.

Lutz:
Danach spricht Pfarrerin Paulus Herrn Meier an.

Pfarrerin Paulus:
Wie schön, dass Sie gekommen sind!

Franz Meier:
Ohne Frau Malik wäre ich nicht gekommen. Sie hat mir klar gemacht, wie wichtig gute Nachbarschaft ist.

Pfarrerin Paulus:
Hier sind zwei Kinder, die wollen Ihnen was sagen.

Gabi:
Herr Meier, wollen Sie vielleicht unser lieber Nachbaropa sein?

Lutz:
Und entschuldigen Sie bitte noch mal, dass wir frech zu Ihnen waren.

Franz Meier:
Ist schon gut. Bin ja auch mal jung gewesen… Ach, Frau Paulus. Sie gehen doch manchmal zum Kaffee in die Moschee. Ich hätte auch Lust, mal die Moschee kennenzulernen.

Pfarrerin Paulus:
Das ist schön, ich nehme sie gerne mit! Hier ist ja auch der Imam – das können Sie ihm auch gleich selbst sagen.

Franz Meier:
Guten Tag, Herr Ibrahim! Jeden Tag gehe ich an der Moschee vorbei und frage mich, was Sie dort wohl machen.

Imam Ibrahim:
Guten Tag, Herr Meier. Das zeigen wir Ihnen gerne. Sie sind herzlich willkommen.

Nadia Malik:
Kann ich vielleicht auch mal eure Kirche anschauen?

Pfarrerin Paulus:
Aber natürlich! Wir laden noch mehr Leute ein und besuchen alle Gotteshäuser im Stadtteil. Das finden bestimmt viele interessant.

Franz Meier:
Ich war auch schon lange nicht in meiner Kirche. Frau Malik, wenn Sie hingehen, komme ich auch mit.

Nadia Malik:
Klar. So hat Gott es gefügt, dass wir richtig gute Nachbarn werden.

Imam Ibrahim:
Und – In schā’a llāh – so Gott will – werden viele andere Ihrem Beispiel folgen!

Gabi:
Damit ist unser Menschenspiel zu Ende.

Lutz:
Wir hoffen, es hat euch gefallen, und ihr habt was daraus gelernt.

Gabi:
Nämlich, wie wichtig und schön gute Nachbarschaft ist.

Lutz:
Tschüss, ihr Leute. Und danke an euch Menschen, die das Menschenspiel mitgespielt haben!

Gebet:

Und nun beten wir gemeinsam mit einem Gebet aus dem interreligiösen Gebetbuch „Gemeinsam vor Gott“. Frau Bourik, Frau Steinhardt, Herr en-Nosse und ich werden es sprechen.

Herr en-Nosse:
Barmherziger Gott! Wir haben so viel zu beklagen, wir schimpfen oft so viel, wir sind oft so unzufrieden. Wir könnten auch einmal dankbar sein.

Frau Bourik:
Wir klagen über die Hetze des Alltags und danken nicht für jeden Atemzug und Herzschlag, die uns erhalten.

Frau Steinhardt:
Wir klagen über Regen am Wochenende und danken nicht für das Gedeihen der Erde und das Sprudeln der Quellen.

Pfarrer Schütz:
Wir klagen über zunichte gemachte Pläne und sehen nicht die Erfolge, die du uns bereits geschenkt hast.

Herr en-Nosse:
Wir klagen über unfreundliche Nachbarn und sehen nicht die zahllosen Aufmerksamkeiten, die Menschen uns schon erwiesen haben.

Frau Bourik:
Wir klagen über den Fanatismus einiger weniger und vergessen das Engagement der vielen für Frieden und gute Nachbarschaft der Religionen.

Frau Steinhardt:
Wir klagen über Gewalt und Krieg in der Welt und vergessen, wie nötig es ist, mit dem Streiten in der eigenen Familie aufzuhören.

Pfarrer Schütz:
Barmherziger Gott, lass uns sehend werden für alle Dinge, für das Nahe und das Ferne, das Große und das Kleine. Wenn wir enttäuscht und traurig sind, lass uns Trost finden. Wenn wir Schönes erleben, lass uns froh und dankbar sein. Amen.

Gebet für die Nachbarn (Abderrahim en-Nosse)
Segenszuspruch (Helmut Schütz):

Gott segne und behüte uns, Gott, unser gemeinsamer Herr, schenke uns seine Barmherzigkeit. Er, der eine Gott aller Menschen, schaue auf uns herab und gebe uns seinen Frieden. Amen.

Wünsche-Pinnwand

Im Hinausgehen: von Wünschen reden, sie vielleicht an eine Pinnwand schreiben und beim Kaffee besprechen: Was wünsche ich mir für meine Nachbarn, von meinen Nachbarn?

Auf dieser Pinnwand wurden Wünsche für gute Nachbarschaft aufgeschrieben: Gutes Miteinanderleben, nicht laut sein und freundlich sein, Frieden, offenes Ohr, Hinschauen, dass jeder von jedem Früchte annimmt inclusive Kritik und Lob, gegenseitiges Verständnis, immer höflich sein, Hilfsbereitschaft, Miteinander, nicht Gegeneinander, Toleranz.
Auf dieser Pinnwand wurden Wünsche für gute Nachbarschaft aufgeschrieben
Kaffee, Saft und Plätzchen im Raum Debora

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.