Bild: Helmut Schütz

Zusammenhalt

Zu guter Letzt …

Hin und wieder ruft ein alter Bekannter an und diktiert mir kleine Gedichte. Mir gefallen sie so gut, dass ich sie gern im Gemeindebrief veröffentliche. Beim folgenden diskutieren wir über die passende Überschrift. Ist das Thema mehr „Die weite Nähe“ oder „Der Weite Nähe“? Mir fällt Psalm 31, 9 ein: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“

Am Ende bleibt es bei diesem Titel:

zusammenhalt

das glück der seele
ist die weite der welt,
die am end das glück allein
doch zusammenhält

markus bernard

Der Text schlägt eine Brücke zwischen scheinbar Gegensätzlichem. Ist Weite nicht etwas, was wegfließt, auseinanderstrebt? Geht Zusammenhalt nicht mit Druck und Enge einher? Aber wie das Gebet der Bibel verbindet mein Gesprächspartner die Weite des Raums für unser Leben mit dem Halt, der Orientierung, dem Glück, die der Seele Sinn und Lebensfreude verleihen. Sein Gedicht ist „ein kurzes inneres Gebet, vielleicht ohne zu beten, nach oben hin, wo es hingehört.“ Er nennt unsere moderne Welt das Zeitalter der Machbarkeit: Auch sie besteht nur weiter durch Gottes Segen. Glück gibt es nur, wo der einzelne Lebensfreude gewinnt, was im Großen nicht gelingt. Das Rudel beginnt schon bei zwei Leuten, die durch kleine Wohltaten Menschlichkeit entstehen lassen.

So weit meine Erinnerungen an ein Telefongespräch, dessen Gedanken in mir nachwirken.

Violette Blumenbeete in einem Garten der Gartenfreunde
Blumenbeete der Gartenfreunde am Waldbrunnenweg Gießen

Meine Kollegin hatte gefragt: „Kannst du in der Andacht was zum Thema Garten machen?“ Sie möchte sie in den Thomas-Gemeindebrief übernehmen. Ich selber habe keinen Garten. Doch ich kenne Menschen, für die ein Kleingarten ihr Ein und Alles ist. Dort an der frischen Luft erfahren sie die Weite der Natur und das Glück ihrer Seele.

Aber ziehen sich Kleingärtner nicht aus der Verantwortung für die Gesellschaft in ihre enge beschauliche Idylle zurück? Das muss nicht sein; es gibt sogar eine Wechselwirkung zwischen den Gärten der einzelnen und der Weite der Welt.

Viele Menschen in staatskommunistischen Ländern hätten ohne die trotz der Zwangskollektivierung angelegten privaten Gärten weder ihren Lebensunterhalt bestreiten noch ihre innere Unabhängigkeit vom Staatsterror bewahren können. Und schon die nach Babylon deportierten Juden im 6. Jahrhundert vor Christus hören durch den Propheten Jeremia den ausdrücklichen Auftrag Gottes (29, 5): „Pflanzt Gärten und esst ihre Früchte.“ Ist es ein Zufall, dass eine der biblischen Schöpfungserzählungen die Erschaffung der Menschen in einen Obstgarten verlegt?

Wer die Beharrlichkeit und Kraft aufbringt, einen Garten zu bebauen und zu bewahren, trägt dazu bei, diese Erde dem Paradiesgarten wieder (oder endlich) ähnlicher zu machen.

Pfarrer Helmut Schütz

„Zu guter Letzt“ März bis Mai 2009 im Gemeindebrief der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.