Bild: Helmut Schütz

Bonmots des Philosophen Odo Marquard

Hier habe ich Bonmots des Philosophen Odo Marquard gesammelt – sie sollten nicht in Vergessenheit geraten, sondern zum Stöbern und Nachlesen in seinen Schriften anregen. Die in Klammern angegebenen Stichworte verweisen auf die ausführlichen Literaturangaben in der chronologisch nach Jahreszahlen geordneten Bibliographie mit 103 Schriften von Odo Marquard.

 

Verschonen
Die Philosophen haben die Welt zwar verschieden verändert; es kommt aber darauf an, sie zu verschonen. (Kant, 1958, S. 52)

 

Flüche
In der Geschichte mag es also ähnlich zugehen wie in Märchen und Mythen, wo die mancherlei Wünsche und Flüche guter und böser Mächte niemals rückgängig gemacht, sondern allenfalls durch Zusatzverordnungen und Novellen zum Weltlauf neutralisiert bzw. korrigiert werden können. (Kant, 1958, S. 78, Anm. 15)

 

Teufel
[D]as ästhetische Genie … malt den Teufel an die Wand, damit er nicht komme … (Therapeutik, 1962, S. 96)

 

Trojanisches Pferd
[I]ch bin das geborene Trojanische Pferd: vor allem leer, solange nicht alte Griechen in ihm sitzen … (Schwierigkeiten, 1973, S. 22)

 

Papierkorb
[E]s gibt das Grundrecht des Papierkorbs auf Inhalt … (Schwierigkeiten, 1973, S. 26f.)

 

Fliehen
[W]er in bestimmten Situationen nicht flieht, ist einfach unvernünftig … (Schwierigkeiten, 1973, S. 30)

 

Aufsätze
Aufsätze – will man sich überhaupt in irgendein Verhältnis zu ihnen setzen – muß man lesen; bei einem Buch hingegen genügt es völlig, wenn man es kauft. (Schwierigkeiten, 1973, S. 33)

 

Altersweisheit
Philosophie, das ist die Altersweisheit der noch nicht Alten: Simulation von Lebenserfahrung für die und durch die, die noch keine haben. (Inkompetenzkompensationskompetenz, 1973, S. 26)

 

Nebentätig
Der Mensch ist das tätige, der Philosoph ist das nebentätige Lebewesen… sie schaffen dabei – bei diesem Sein zum Herzinfarkt auf der Suche nach der Kreislaufstörung als Beweis der eigenen Realität – allemal das, was Gehlen die Flucht in die Überarbeitung genannt hat: Ich ächze, also bin ich, und zwar nützlich. (Inkompetenzkompensationskompetenz, 1973, S. 30f.)

 

Trotzdem denken
Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt: trotz … jener ihrer Trends, die den Menschen die Heiterkeit verbieten wollen. (Heiterkeit, 1976, S. 47)

 

Heiterkeit
[D]ie Heiterkeit der Kunst ist gar nicht das Gegenteil des Ernstes, sondern eine bestimmte Weise, mit dem Ernste zu leben… (Heiterkeit, 1976, S. 49)

 

Pointe
Mir ist das Element der Unerreichbarkeitsgarantie wichtig, das in der Pointe liegt: sie ist eine sprachliche Hochstapelei mit der Geschwindigkeit Unendlich und der Erwischbarkeitswahrscheinlichkeit Null: jedenfalls idealiter. (Heiterkeit, 1976, Anm. 30, S. 147)

 

Nachsehn
Theorie – wirkliche Theorie – ist gegenwärtig Zusehn, das das Nachsehn hat… (Heiterkeit, 1976, S. 61)

 

Falsch machen
Und so steht die Philosophie jeden guten Tag erneut vor der bangen Frage, auf welche Weise sie es diesmal falsch machen will. (Heiterkeit, 1976, S. 62)

 

Machsal
Der Weg führt vom Fatum zum Faktum, vom Schicksal zum Machsal. (Schicksal, 1976, S. 67)

 

Machbar
[D]ie herrschende Meinung ist diese: Alles ist machbar, … alles kann und muß verändert werden, und Veränderung ist immer Verbesserung. (Schicksal, 1976, S. 69)

 

Menschlichkeit nach dem Ende Gottes
Für die Menschen ist es eine schwierige Sache, nach dem Ende Gottes menschlich zu bleiben. (Schicksal, 1976, S. 76)

 

Wenig zu machen
Menschliche Praxis macht stets nur das Wenige, was noch zu machen ist: damit sie möglich sei, muß in einem sehr beträchtlichen Umfang schon „nichts mehr zu machen“ sein. (Schicksal, 1976, S. 79)

 

Fatalismusbedarf
Es braucht also jeder Mensch viel Fatalismus, der kein Fatalist sein will. (Schicksal, 1976, S. 79)

 

Ende der Menschlichkeit
[D]ie neoabsolute Philosophie des Selbermachens ist – scheint es – nicht nur Theologie nach dem Ende Gottes, sondern auch Anthropologie nach dem Ende der Menschlichkeit. (Schicksal, 1976, S. 82)

 

Teurer Rat
[A]us der Einsicht, daß guter Rat teuer ist, [wird] die Konsequenz gezogen…, daß teurer Rat gut ist. (Schicksal, 1976, S. 84)

 

Vorletzte Fee
Die vorletzte Fee [im Märchen] ist immer die böse Fee: sie steuert die Flüche bei. Heute ist sie überflüssig. Die Flüche – das ist einer der seltenen Fälle von Abbau der Arbeitsteilung – werden jetzt in den wohlgemeinten Planungen gleich mitentwickelt… (Schicksal, 1976, S. 84)

 

Planung
Planung ist – jedenfalls häufig – Fortsetzung des Chaos unter Verwendung anderer Mittel. (Schicksal, 1976, S. 85)

 

Futurologe
[E]in Futurologe ist ein vorwärts gekehrter Antiquar. (Kompensation, 1978, Anm. 9, S. 150)

 

Optimalglück
Leibniz … meinte: Schöpfung ist die Kunst des Bestmöglichen. … das Optimalglück als Zweck heiligt das Unglück als Mittel. (Glück, 1978, S. 16)

 

Nichtsein Gottes
Gott muß – zugunsten seiner Güte – aus der Rolle des Schöpfers befreit, ihm muß – zur Rettung seiner Güte – sein Nichtsein erlaubt oder gar nahegelegt werden. (Glück, 1978, S. 18)

 

Kompensationen
[E]s geht nicht ohne Kompensationen; aber ob es mit Kompensationen wirklich geht, das ist zweifelhaft… (Glück, 1978, S. 37)

 

Hermeneutik
Hermeneutik ist die Kunst, aus einem Text herauszukriegen, was nicht drinsteht: wozu – wenn man doch den Text hat – brauchte man sie sonst? (Felix culpa?, 1978, S. 53, und Hermeneutik, 1979, S. 117)

 

Mythen
Man mag sagen: Ein Mythos ist fiktiver als eine „history“ und realer als eine „story“; aber das ändert nichts am Grundbefund: Mythen sind Geschichten. (Polytheismus 1, 1978, S. 93)

 

Vielfall
Jede Philosophie ist eine traurige Wissenschaft, die es nicht vermag, über dieselbe Sache mal dies, mal das zu denken und jenen dieses und diesen jenes denken und weiterdenken zu lassen. In diesem Sinne ist selbst der Einfall suspekt: es lebe der Vielfall. (Polytheismus 1, 1978, S. 110)

 

Wiederkehr
Das Zeitalter der Veränderungsbeschleunigung ist zugleich das Zeitalter ihrer Kompensationen. Darum ist – vielleicht – die moderne Dauerveränderung nur die Fortsetzung der ewigen Wiederkehr des Gleichen unter Verwendung anderer Mittel. (Üblichkeiten, 1979, S. 71)

 

Hermeneutische Frage
[D]ie hermeneutische Frage nach der Hermeneutik ist die Frage nach der Frage, auf die die Hermeneutik die Antwort ist. (Hermeneutik, 1979, S. 119)

 

Irren
[W]ir irren uns empor… (Vernunft, 1981, S. 51)

 

Scheuklappen
Theorie ist, daß Scheuklappen fallen (also Sichtgrenzen kollabieren)… (Vernunft, 1981, S. 59)

 

Ärger
[N]ichts hilft besser über einen Ärger hinweg als der nächste. (Vernunft, 1981, S. 60)

 

Trotzdem denken
Vernunft ist, wenn man trotzdem denkt. (Vernunft, 1981, S. 61)

 

Modernere Mittel
[D]ie Ästhetik … [ist] Fortsetzung der Metaphysik unter Verwendung modernerer Mittel… (Kunst, 1981, S. 115)

 

Prinzipiell
Das Prinzipielle ist lang, das Leben kurz; wir können mit dem Leben nicht warten auf die prinzipielle Erlaubnis, es nunmehr anfangen und leben zu dürfen… (Prinzipiell, 1981, S. 18)

 

Einsamkeitsfähigkeit
Mündigkeit ist vor allem Einsamkeitsfähigkeit … (Prinzipiell, 1981, S. 18)

 

Gewaltenteilung
Freiheiten entstehen durch Gewaltenteilung. (Prinzipiell, 1981, S. 19)

 

Zufriedenheiten
„Das Leben“, – sagt ein Sprichwort – „ist schwer, aber es übt“: vor allem trainiert es – more sceptico – Zufriedenheiten damit, daß es endlich ist. (Prinzipiell, 1981, S. 20)

 

Begriffsgeschichte
[D]ie Begriffsgeschichte befreit Begriffe aus dem Gefängnis ihrer Definition und aus dem Zuchthaus der Statuseindeutigkeiten: das Historische entdomestiziert das nur noch Systematische zum Lebendigen. (Compensator, 1981, S. 12)

 

Strafraum
[Der] Zweifel… am Jenseits als Strafraum… [steckt] in jeder Befriedigung über Vergeltungen schon im Diesseits … (Compensator, 1981, S. 20)

 

Begriffsbauch
[D]er Kompensationsbegriff … ist … als begriffliches Zugpferd der philosophischen Gegenwartsanthropologie ein trojanisches Zugpferd, in dessen Begriffsbauch unterschiedliche Motive lauern. (Compensator, 1981, S. 26)

 

Widerlegt werden
[N]ichts bekommt einer Philosophie besser, als von Zeit zu Zeit epistemologisch widerlegt zu werden, denn das erquickt sie und stärkt ihre Kondition. (Compensator, 1981, S. 27)

 

Jubelrede
[E]s ist üblich gerade in Schulen, daß bei Jubeldaten, die ihren obersten Schrittmacher befallen, ein Externer das Wort ergreift; und das ist gruppendynamisch weise: Es schont die internen Rivalitäten, die es in jeder guten Schule gibt, und es festigt ihre Reihen schon allein durch die Einvernehmlichkeit der Evidenz, daß jedes Mit|glied der Schule an diesem Tage die Jubelrede kundiger hätte halten können als der, der nun wirklich redet. (Krise, 1981, S. 70f.)

 

Beim Anlauf übertreten
Ich möchte – dabei die Lizenz des Philosophen zu sehr pauschalen Äußerungen reichlich in Anspruch nehmend – einige Erwägungen formulieren…, und ich tue das hier in drei Anläufen. Das bedeutet – obwohl die Metapher des Anlaufs aus dem Bildfeld des Weitsprungs stammt und gerade so hier auch gemeint ist – nicht, daß ich hier große und weite Sprünge machen werde; sondern ganz im Gegenteil: Ich werde hier nur dreimal übertreten – übertreten zu Hans Robert Jauß. (Krise, 1981, S. 71)

 

Dumm bleiben?
Durch die ästhetische Erfahrung beenden wir unser Wegsehen und unsere Weigerung, das zu sein, was wir schon sind. Und der Genuß besteht dabei in jener Erleichterung, die aus der Ersparung von Selbstbornierungsaufwand resultiert: Wir genießen dadurch, daß – indem unsere Verdrängungen kollabieren – wir uns die Anstrengung ersparen, dumm zu bleiben. (Krise, 1981, S. 84f.)

 

Biologie und Belletristik
Die Anthropologie – oppositionell gegen die Geschichtsphilosophie – zerfiel in Biologie und Belletristik. (Multiversalgeschichte, 1982, S. 66)

 

Wandlungsträgheit
[I]n der Geschichte, der ewigen Wiederkehr des Ungleichen, [ist] gerade ihre heutige Beschleunigung die Fortsetzung der ewigen Wiederkehr des Gleichen unter Verwendung modernster Mittel: die moderne Veränderungsbeschleunigung ein Agent menschlicher Wandlungsträgheit. (Multiversalgeschichte, 1982, S. 68)

 

Veraltung
[D]ie List der Trägheit [besteht darin, daß] … in der modernen Welt … zur wachsenden Veraltungsgeschwindigkeit die wachsende Geschwindigkeit der Veraltung auch ihrer Veraltungen [gehört]. (Multiversalgeschichte, 1982, S. 68)

 

Buntheitskompetenz
Gleichheit meint ja: angstloses Andersseindürfen für alle. Darum ist für die Menschen wichtiger als ihre Verallgemeinerungsfähigkeit ihre Besonderungsfähigkeit: ihre Buntheitskompetenz; und jede Universalisierung muß Buntheit fördern, oder sie taugt nichts. (Multiversalgeschichte, 1982, S. 70)

 

Vergessen
[Die] universalhistorische Instrumentalisierung des Geschichtlichen ist ein als Erinnern getarntes Vergessen. (Multiversalgeschichte, 1982, S. 71)

 

Wissenschaftstourismus
[D]er heutige Wissenschaftstourismus [rettet] – diesseits der Wissenschaftsverwaltungsgeselligkeit – den wissenschaftlichen Einsamkeitsbedarf. (Einsamkeitsfähigkeit, 1983, S. 118)

 

Alleinlasser
[W]ir sterben als allein gelassene Alleinlasser. (Einsamkeitsfähigkeit, 1983, S. 120)

 

Anspruchsgesellschaft
[N]ichts Neues [ist:] … die moderne Anspruchsgesellschaft ist der Kummerspeck des Sinndefizits. (Sinnerwartung, 1983, S. 39)

 

Angebot oder Nachfrage
Wenn irgendwo Erwartung und Erfüllung divergieren, so daß Enttäuschungen, Erfüllungsdefiziterlebnisse, Mangelerfahrungen entstehen, dann gibt es niemals nur eine, sondern dann gibt es stets zwei Möglichkeiten der Erklärung: entweder ist da zu wenig Erfüllung, oder es ist da zu viel Erwartung; entweder das Angebot ist zu klein, oder die Nachfrage ist zu groß. (Sinnerwartung, 1983, S. 40)

 

Burgen auf Bergen
[D]ie Diskursethik siedelt auf dem Gipfel von Distinktionen aus ähnlichem Grund wie Burgen auf dem Gipfel von Bergen: um Angreifer schon vor dem Angriff zu ermüden. (Über-Wir, 1984, S. 47)

 

Gnosis
Gnosis ist die Positivierung der Weltfremdheit durch Negativierung der Welt. (Gegenneuzeit, 1984, S. 31)

 

Weltfremdheit
[U]nsere Zeit ist – vielleicht auch – das Zeitalter der Weltfremdheit. (Weltfremdheit, 1984, S. 76)

 

Glauben
[J]e wissenschaftlicher – in unserer Welt – die Erfahrungen gemacht werden, um so mehr müssen wir glauben… (Weltfremdheit, 1984, S. 83)

 

Mißlungene Notwendigkeit
Der Zufall ist vielleicht die mißlungene Notwendigkeit. (Zufällig, 1984, S. 118)

 

Gelungener Zufall
Die Notwendigkeit ist vielleicht der gelungene Zufall. (Zufällig, 1984, S. 119)

 

Zufall
[D]er Zufall ist keine mißlungene Absolutheit, sondern – sterblichkeitsbedingt – unsere geschichtliche Normalität. Wir Menschen sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Wahl. (Zufällig, 1984, S. 131)

 

Dank
Dank ist … eine Form der Einwilligung in das Zufällige. (Skeptiker, 1984, S. 6)

 

Geisteswissenschaften
[W]as die Geisteswissenschaften vor allem brauchen, ist keine wissenschaftstheoretische Schönheitsoperation, sondern mehr Mut zu sich selbst. (Unvermeidlichkeit, 1985, S. 108)

 

Loriot lauréat
Die Stadt Kassel verleiht ihnen heute ihren Literaturpreis für grotesken Humor 1985. Sie werden dadurch – ich verwende eine Formulierung meiner Frau – aus dem einfachen Loriot zum Loriot lauréat: also zum lorbeerbekränzten Spottvogel Bülow. Man hat mich gebeten, bei diesem Vorgang die Laudatio auf Sie zu halten: leichtsinnigerweise also einen weltfremden, trockenen, schwerfälligen (weil gebürtig hinterpommerschen) Philosophen, bei dem im übrigen vorauszusehen war, daß er diese Laudationsaufgabe – einmal gefragt – skrupellos übernehmen würde, obwohl er Sie und Ihr Werk mag; denn er lobt es – ob er das nun gut tut oder schlecht – jedenfalls gern. Dabei gilt: Wer – als männliche Person jüngeren Alters, sagen wir: unter 60, mithin als Bub – eine Laudatio, eine Lobrede hält und also Lob spendet, lateinisch laus,ist demnach offenkundig und zwingend verpflichtet, als Laus-Bub zu agieren. (Loriot 1985, S. 93)

 

Humor und Philosophie
Humor ist – nach einem bekannten Wort – wenn man trotzdem lacht. Philosophie ist – nach einem betrüblicherweise immer noch nicht zureichend bekannten Wort, das nun allerdings gerade von mir stammt – Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt. (Loriot 1985, S. 95)

 

Lachen und Denken
Lachen und Denken – beide – sind der Verzicht auf die Anstrengung, dumm zu bleiben. (Loriot 1985, S. 96).

 

Mops
[D]er Mops heißt ja Mops, weil die Menschen ihre Menschlichkeit zuweilen vom Mops mopsen müssen. (Loriot 1985, S. 97)

 

Nach der Postmoderne
[D]as, was nach der Postmoderne kommt – und längst wiedergekommen ist – ist die Moderne. (Aesthetika, 1986, S. 19)

 

Langsamkeit
[G]erade der langsame Mensch ist der schnellen Welt gewachsen. (Herkunft 1, 1988, S. 74)

 

König Kunde
Auch die neuen Informationsmedien, die am meisten als Zukunftstechnologien gelten, sind Lebenserleichterungen. … In der Dienstleistungsgesellschaft ist der Dienstleistungskunde König, aber … ein König, der immer mehr selber machen muß. (Herkunft 1, 1988, S. 75)

 

Elektronische Medien
Auch lösen die elektronischen Medien unsere Übererwartungen nicht ein. Das spricht natürlich nicht gegen die elektronischen Medien, sondern gegen unsere Übererwartungen. Trotzdem hat man solche. Auch ich träume von jenem Computer, der Bücher direkt lesen kann, sich dann auf die langweiligen Bücher spezialisiert und uns zum Dank für überreichlichen Input mit Output verschont bis auf jene seltenen Fälle, wo er überraschenderweise trotzdem Interessantes entdeckt: das Unerwartete. (Herkunft 1, 1988, S. 76)

 

Menschlichkeit und Modernität
Menschlichkeit ohne Modernität ist lahm; Modernität ohne Menschlichkeit ist kalt: Modernität braucht Menschlichkeit, denn Zukunft braucht Herkunft. (Herkunft 1, 1988, S. 78)

 

Aesthetika und Anaesthetica
Im übrigen muß ich es dem Leser überlassen, welchen Gebrauch er von den hier abgedruckten Texten macht: ob er sie als Aesthetika nutzt, als Merkhilfen, oder als Schlummermittel, als Anaesthetica. (Vorbemerkung Aesthetika, 1989, S. 9)

 

Übel und Fortschritt
Der Fortschritt beseitigt nicht nur Übel, er erzeugt auch Übel. (Medizinkritik, 1989, S. 103)

 

Fortsetzung der Musik
Philosophie ist – frei nach Clausewitz – die Fortsetzung der Musik unter Verwendung anderer Mittel. (Musik, 1990, S. 138)

 

Philosophie und Musik
Warum beschäftigen sich die Menschen mit Philosophie, wenn doch die Philosophie keine Musik ist? (Musik, 1990, S. 143)

 

Musikpflicht
Je endlicher für die Menschen ihre Zeit ist, desto musikpflichtiger wird ihre Philosophie. (Musik, 1990, S. 144)

 

Interdisziplinär
Wissenschaft vom Menschen ist nur als interdisziplinäre Forschung möglich. (Utopie, 1991, S. 153)

 

Alte Lebensformen
Gerade in einer Welt mit hoher Innovationsgeschwindigkeit sind alte Lebensformen am wenigsten veraltungsanfällig, weil sie schon alt sind. (Zeit und Endlichkeit, 1991, S. 54)

 

Zeit gewinnen
[D]ie Fortschrittsschnelligkeit [kann] selber in den Dienst der menschlichen Langsamkeit treten. Wer schnell ist, gewinnt Zeit; und die so gewonnene Zeit kann als Möglichkeit genutzt werden, sich Zeit zu lassen… (Zeit und Endlichkeit, 1991, S. 54)

 

Einzigkeit
Man lebt nur einmal und hat nur eine Lebenszeit zur Verfügung. Nicht nur durch ihre jeweilige Kürze also, sondern auch durch diese jeweilige Einzigkeit ist unsere Zeit endlich. (Zeit und Endlichkeit, 1991, S. 56)

 

Billigung
Ich danke allen Anwesenden für ihre Anwesenheit und dafür, daß sie es billigend in Kauf nehmen, dabei auch mir zuzuhören. (Ehrenpromotion, 1994, S. 146)

 

Anstrengung
[I]ch fürchte, daß es mir nur allzusehr gelungen ist, die Anstrengung des Begriffs in die Anstrengung meiner Zuhörer zu verwandeln… (Ehrenpromotion, 1994, S. 157)

 

Bürgerliche Gesellschaft
In unserer gegenwärtigen Welt steht es nicht deswegen schlimm, weil es zu viel, sondern deswegen, weil es zu wenig bürgerliche Gesellschaft in ihr gibt… (Bürgerlichkeit 1, 1994, S. 95)

 

Pyrrhus-Prinzip
Wolfgang Bergsdorf hat vom Pyrrhus-Prinzip gesprochen. Politische Gewinner erben durch ihren Sieg jene Schwierigkeiten, die von ihren Vorgängern erzeugt wurden, welche durch diese Schwierigkeiten schließlich gescheitert sind. (Bürgerlichkeit 1, 1994, S. 103)

 

Renaissance
Renaissance, das ist Innovationskultur als Kontinuitätskultur. (Innovationskultur, 1995, S. 87)

 

Verleger
[A]uch ich verlege Philosophie: Sogar sehr häufig verlege ich philosophische Bücher, philosophische Notizen, philosophische Briefe, nämlich dorthin, wo ich sie nicht wiederfinde… (Schriftsteller 1, 1995, S. 125)

 

Zickzack
[A]uch zur Rezeption gehört – frei nach Hans Magnus Enzensberger – das „Zickzack“. (Heine, 1997, S. 42)

 

Theorie
Theorie ist das, was man macht, wenn nichts mehr zu machen ist. (Alter, 1999, S. 136)

 

Urlaub vom Ärger
Manchmal ist Ärger Urlaub von anderem Ärger; und nichts hilft besser über einen Ärger hinweg als der nächste. (Vorbemerkung Philosophie des Stattdessen, 2000, S. 8)

 

Stil
Philosophie ist, wenn man trotzdem denkt. Stil ist, wenn man trotzdem schreibt. (Endlichkeit, 2001, S. 22)

 

Monogam
(Nota bene: Man kann viele Geschichten und einen Gott haben; man kann polymythisch sein und monogam.) (Geschichten, 2003, S. 63)

 

Studienzeitverkürzung
Manchmal frage ich mich, wie die jungen Leute [heute] vor lauter Betreuung noch dazu kommen, ihre Magisterarbeit oder Dissertation wirklich und ungestört niederzuschreiben. … das Studium ist immer mehr zum administrativen Kampf gegen den Studienabbruch geworden. Ich meine darum: Studienzeitverlängerungen entstehen vor allem durch administrative Maßnahmen zur Studienzeitverkürzung. (Doktorjubiläum, 2004, S. 10)

 

Fragebogenwissenschaft
Ich will nicht mäkeln, daß die – inzwischen teilweise neurobiologisch orientierte – Psychologie weithin zur Fragebogenwissenschaft geworden ist. Am Anfang ihrer experimentellen Form stand die Kritik der Introspektion; aber sie hat nur – mit Hilfe der Statistik – die Solitärintrospektion durch die Kollektivintrospektion abgelöst. Der Fragebogen ist die Rache der Introspektion für ihre Vertreibung: durch den Fragebogen ist die Introspektion tausendfach zurückgekehrt. (Freiheit, 2006, S. 110)

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