Bild: Helmut Schütz

Wallfahrt evangelisch?

Im Jahr 2010 verabredeten sich die Gießener Gemeinden St. Albertus und Paulus zu einer zweiten ökumenischen Fuß-Wallfahrt, um „nicht einfach nur zu wandern, sondern eine gemeinsame Erfahrung zu machen, die eine Begegnung mit den Mitgehenden und mit Gott und seiner Schöpfung in der Natur ist und uns einander ökumenisch näher bringt“, wie Pfarrer Helmut Schütz zum Auftakt in einer Andacht sagte.

Die Wallfahrt führte von der Gießener Nordstadt zur Katharinenkirche auf den Gleiberg. Hier sind Impressionen vom Weg dort hin zu sehen:

Zum Aufbruch hatte Pfarrer Helmut Schütz die folgende Andacht in der Pauluskirche gehalten:

Liebe Wallfahrerinnen und Wallfahrer!

Als einer meiner evangelischen Pfarrerkollegen die Einladung zur ökumenischen Wallfahrt im Gemeindebrief las, meinte er: „Eine ökumenische Wallfahrt gibt es nicht. Wallfahrt hat etwas mit dem katholischen Ablass zu tun.“ Ich widersprach ihm, und möchte heute früh, bevor wir gemeinsam aufbrechen, ein paar Gedanken des evangelischen Theologen Klaus Nagorni aus dem Deutschen Pfarrerblatt des letzten Monats dagegenstellen.

Es mag sein, dass es im Protestantismus nicht Wege gibt, die als solche besonders heilig sind, genau wie wir nicht die Heiligsprechung bestimmter Einzelpersonen wie in der katholischen Kirche kennen. Wir können Gott auf allen Wegen finden. Aber genau wie wir zu bestimmten Zeiten in unseren Kirchen Gottesdienste feiern, um uns in besonderer Weise auf Gott zu konzentrieren, können wir uns auch zu besonderen Pilgerwegen verabreden, um auf ihnen nicht einfach nur zu wandern, sondern eine gemeinsame Erfahrung zu machen, die eine Begegnung mit den Mitgehenden und mit Gott und seiner Schöpfung in der Natur ist und uns einander ökumenisch näher bringt.

Auch im evangelischen Gesangbuch gibt es Lieder von der Wallfahrt hin zur Ewigkeit. „Mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit“, dichtet zum Beispiel Gerhard Tersteegen. Im Wandern wird unser Glaube buchstäblich „geerdet“, indem wir den Weg unter unseren Füßen spüren, und gleichzeitig führt unser Weg über alles Irdische hinaus. Pilgern erprobt das Gastsein auf Erden und, wenn wir es gemeinsam tun, bekommen wir zugleich ein Gespür für andere Menschen, die auch auf dem Weg zu Gott sind.

In einem Gedicht, ich glaube von Goethe, heißt es: „Ich ging im Walde so für mich hin und nichts zu suchen, das war mein Sinn.“ Damit ist ganz gut ausgedrückt, welchen Zweck eine Wallfahrt haben kann, nämlich im Grunde gar keinen. Jedenfalls keinen vorher berechenbaren. Lassen wir uns einfach hineinnehmen in eine Erfahrung, die wir uns nicht selber nehmen oder geben können, sondern die uns geschenkt wird, indem wir miteinander auf dem Weg sind.

Lasst uns, bevor wir losgehen, die Strophen 4, 6 und 7 aus dem evangelischen Pilgerlied 393 singen:

4. Man muss wie Pilger wandeln, frei, bloß und wahrlich leer; viel sammeln, halten, handeln macht unsern Gang nur schwer. Wer will, der trag sich tot; wir reisen abgeschieden, mit wenigem zufrieden; wir brauchen’s nur zur Not, wir brauchen’s nur zur Not.

6. Kommt, Kinder, lasst uns gehen, der Vater gehet mit; er selbst will bei uns stehen bei jedem sauren Tritt; er will uns machen Mut, mit süßen Sonnenblicken uns locken und erquicken; ach ja, wir haben’s gut, ach ja, wir haben’s gut.

7. Kommt, Kinder, lasst uns wandern, wir gehen Hand in Hand; eins freuet sich am andern in diesem wilden Land. Kommt, lasst uns kindlich sein, uns auf dem Weg nicht streiten; die Engel selbst begleiten als Brüder unsre Reihn, als Brüder unsre Reihn.

Herr Jesus Christus, wir sind mit dir unterwegs, um zueinander zu finden. Wenn du mit uns gehst, geschieht etwas an uns und durch uns. Wir bitten dich: Herr, lass uns einander auf dem Weg offen begegnen. Herr, öffne unsere Augen für die Wunder der von dir geschaffenen Natur und für die Eindrücke, die am Ziel unserer Wallfahrt auf uns warten. Herr, lass unsere Füße sichere Schritte tun und schenke uns hilfreiche Hände, wenn wir einmal stolpern sollten. Herr, lass uns am Ende wohlbehalten heimkehren voller schöner Erlebnisse und gib, dass dieser Weg ein kleiner Schritt ist auf dem großen Weg zu dir! Herr, wir freuen uns, dass wir mit dir unterwegs sind. Danke. Amen.

Und hier sind weitere Bilder vom Gleiberg zu sehen, insbesondere aus der Katharinenkirche und von der Burg Gleiberg:

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