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„Ich schaffe den Himmel neu, die Erde neu!“

Für viele ist das nicht genug, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist. Er sollte doch die Schwäche gleich ganz abschaffen. Aber der Gott, der sagt: „Ich schaffe neu“, der kann auch unserem Leben neue Struktur, neue Orientierung, neuen Sinn geben und unsere Füße auf festen Boden stellen, so dass wir unseren Weg wie auf einer neuen Erde gehen.

Die Weltkarte vor einem blauen, weiß bewölkten Himmel
Wie können Himmel und Erde neu geschaffen werden? (Bild: Gerd AltmannPixabay)

direkt-predigtGottesdienst am Ewigkeitssonntag, 25. November 2012, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Im Gottesdienst am letzten Sonntag im Kirchenjahr begrüße ich Sie und Euch alle in der Pauluskirche mit dem Wort aus Psalm 90, 12:

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“

Totensonntag nennen wir diesen Tag, wir gedenken vor allem derer, die im vergangenen Kirchenjahr aus unserer Gemeinde gestorben sind und kirchlich bestattet wurden. Zugleich heißt dieser Sonntag aber auch Ewigkeitssonntag, denn wir haben eine Zuversicht, die über diese irdische Zeit hinausreicht – hinein in Gottes Ewigkeit.

Besonders heiße ich in der Pauluskirche diejenigen willkommen, die in den vergangenen zwölf Monaten einen geliebten Menschen verloren haben. Für alle Mitglieder der Paulusgemeinde, die seit Beginn des Kirchenjahres gestorben sind, zünden wir in diesem Gottesdienst eine Kerze an.

Wir beginnen mit dem Lied 450, Strophe 1 bis 3:

1. Morgenglanz der Ewigkeit, Licht vom unerschaffnen Lichte, schick uns diese Morgenzeit deine Strahlen zu Gesichte und vertreib durch deine Macht unsre Nacht.

2. Deiner Güte Morgentau fall auf unser matt Gewissen; lass die dürre Lebens-Au lauter süßen Trost genießen und erquick uns, deine Schar, immerdar.

3. Gib, dass deiner Liebe Glut unsre kalten Werke töte, und erweck uns Herz und Mut bei entstandner Morgenröte, dass wir, eh wir gar vergehn, recht aufstehn.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“
Psalm 126, 1-2.5-6:

1 Wenn der HERR die … erlösen wird, [die nicht mehr ein noch aus wissen, die in ihm ihre letzte Zuflucht sehen,] so werden wir sein wie die Träumenden.

2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsere Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter [denen, die nicht glauben]: Ihr Gott hat Großes an ihnen getan!

5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

6 Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Jeder Abschied ist anders. Alt und lebenssatt sterben die einen. Andere sterben allzu früh. Manche sterben einsam. Andere werden herausgerissen aus einem Geflecht liebevoller Beziehungen.

Auch die Gefühle beim Abschiednehmen von einem Verstorbenen sind entsprechend vielfältiger Art, je nachdem, wie die Beziehung zu ihm war und wie viele Hoffnungen in seinem Leben erfüllt wurden oder unerfüllt geblieben sind.

Viele von uns tun sich schwer mit der Trauer anderer, wissen nicht recht, was sie tun sollen, wenn dem Gegenüber die Tränen kommen, können nicht umgehen mit dem unvemittelten Wechsel von Trauer und Fröhlichkeit. Umgekehrt hält sich mancher zurück beim Reden über den geliebten Verstorbenen, weil er die anderen nicht belasten möchte.

Gott, du hast versprochen, uns zu trösten, wie einen seine Mutter tröstet. Du nimmst uns in deine schützenden Arme und hüllst uns ein in deine Liebe wie in eine warme Decke. Du hilfst uns, unsere Gefühle auszuhalten, manchmal auch auszusprechen im Gebet oder bei einem vertrauten Menschen. Gib uns den Mut, Ja zu sagen zum eigenen und fremden Fühlen. Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Der Apostel Paulus spricht (Römer 12, 15):

„Freut euch mit den Fröhlichen und weint mit den Weinenden.“

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“
Barmherziger Gott, mit unterschiedlichen Gefühlen sind wir hier. Da sind Trauer und tiefer Schmerz über den Verlust geliebter Menschen. Da ist die pure Lebensfreude, die verschont geblieben ist vor großem Leid. Da sind die Dankbarkeit für erfüllte Lebenszeit und die Erleichterung über ein Leiden, das zu Ende gehen durfte. Da sind gemischte Gefühle, wenn Beziehungen zerbrochen sind, ohne alle Konflikte klären zu können. An dich, Gott, wenden wir uns mit dem Wunsch, bei dir eine Zuflucht zu finden, aber auch mit der Furcht, enttäuscht zu werden. Gott, es ist nicht leicht, mit schweren Gedanken und Gefühlen fertigzuwerden. Für viele ist Einsamkeit zu ertragen oder auch die Last der Erinnerung. Doch zu dir können wir jederzeit kommen. Dir können wir uns anvertrauen, mit unseren geseufzten Gebeten, ohne Worte, einfach aus dem Herzen heraus. Auf dich dürfen wir unsere Hoffnung setzen – im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung aus dem Buch Jesaja 65, 17-25. Über diesen Text wird Herr Pfarrer Schütz nachher auch seine Predigt halten:

17 Denn siehe, ich will einen neuen Himmel und eine neue Erde schaffen, dass man der vorigen nicht mehr gedenken und sie nicht mehr zu Herzen nehmen wird.

18 Freuet euch und seid fröhlich immerdar über das, was ich schaffe. Denn siehe, ich will Jerusalem zur Wonne machen und sein Volk zur Freude,

19 und ich will fröhlich sein über Jerusalem und mich freuen über mein Volk. Man soll in ihm nicht mehr hören die Stimme des Weinens noch die Stimme des Klagens.

20 Es sollen keine Kinder mehr da sein, die nur einige Tage leben, oder Alte, die ihre Jahre nicht erfüllen, sondern als Knabe gilt, wer hundert Jahre alt stirbt, und wer die hundert Jahre nicht erreicht, gilt als verflucht.

21 Sie werden Häuser bauen und bewohnen, sie werden Weinberge pflanzen und ihre Früchte essen.

22 Sie sollen nicht bauen, was ein anderer bewohne, und nicht pflanzen, was ein anderer esse. Denn die Tage meines Volks werden sein wie die Tage eines Baumes, und ihrer Hände Werk werden meine Auserwählten genießen.

23 Sie sollen nicht umsonst arbeiten und keine Kinder für einen frühen Tod zeugen; denn sie sind das Geschlecht der Gesegneten des HERRN, und ihre Nachkommen sind bei ihnen.

24 Und es soll geschehen: ehe sie rufen, will ich antworten; wenn sie noch reden, will ich hören.

25 Wolf und Schaf sollen beieinander weiden; der Löwe wird Stroh fressen wie das Rind, aber die Schlange muss Erde fressen. Sie werden weder Bosheit noch Schaden tun auf meinem ganzen heiligen Berge, spricht der HERR.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Wir singen aus dem Lied 371 die Strophen 1 bis 3 und 5:

1. Gib dich zufrieden und sei stille in dem Gotte deines Lebens! In ihm ruht aller Freuden Fülle, ohn ihn mühst du dich vergebens; er ist dein Quell und deine Sonne, scheint täglich hell zu deiner Wonne. Gib dich zufrieden!

2. Er ist voll Lichtes, Trosts und Gnaden, ungefärbten, treuen Herzens; wo er steht, tut dir keinen Schaden auch die Pein des größten Schmerzens. Kreuz, Angst und Not kann er bald wenden, ja auch den Tod hat er in Händen. Gib dich zufrieden!

3. Wie dir’s und andern oft ergehe, ist ihm wahrlich nicht verborgen; er sieht und kennet aus der Höhe der betrübten Herzen Sorgen. Er zählt den Lauf der heißen Tränen und fasst zuhauf all unser Sehnen. Gib dich zufrieden!

5. Er hört die Seufzer deiner Seelen und des Herzens stilles Klagen, und was du keinem darfst erzählen, magst du Gott gar kühnlich sagen. Er ist nicht fern, steht in der Mitten, hört bald und gern der Armen Bitten. Gib dich zufrieden!

Liebe Gemeinde, nun zünden wir wieder Kerzen an für Menschen, die zur Paulusgemeinde gehört oder sich ihr eng verbunden gefühlt haben und die in den zwölf Monaten des vergangenen Kirchenjahres kirchlich bestattet worden sind. Wir lassen Lichter aufscheinen zum Zeichen des Glaubens: Wir dürfen auf Gott vertrauen. Wir lassen Lichter brennen zum Zeichen der Liebe: Wir bleiben mit den Toten in Liebe verbunden. Wir lassen Lichter leuchten zum Zeichen der Hoffnung: Wir gehen im Tode nicht verloren.

So denken wir nun in stillem Gebet an die Verstorbenen, um die wir trauern, und zünden eine Kerze an – für:

Gedenken an 19 Verstorbene

Vielleicht gibt es noch andere Menschen, um die Sie trauern, die nicht hier oder nicht in diesem Jahr gestorben sind. Sie können, wenn Sie möchten, jetzt nach vorn kommen und auch für sie eine Kerze anzünden.

Orgelmusik

Wir singen das Lied 557:

Ein Licht geht uns auf in der Dunkelheit
Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, am Anfang der letzten Woche war ich auf einer Tagung der Evangelischen Akademie unserer Landeskirche in Arnoldshain. Da ging es um die Frage, wie das Alte und das Neue Testament zusammenhängen. Die Antwort war, knapp zusammengefasst: Das Neue Testament ist nicht etwa darin neu, dass es das Alte überbietet oder in seiner Geltung ablöst. Das wäre schon deshalb falsch, weil das ganze Neue Testament von der ersten bis zur letzten Seite ständig auf die Heilige Schrift der Juden zurückgreift, sie auslegt und in ihrer Wahrheit voraussetzt. Das, was wir das Alte Testament nennen, ist für Jesus und Paulus und alle Apostel die Bibel, die Schrift, die ihre Wahrheit behält.

Das Neue Testament bringt trotzdem für uns etwas Neues: es öffnet uns nichtjüdischen Menschen den Zugang zum Gott Israels. Denn der Messias, der Christus, der Gesalbte Gottes, auf den die Juden warten und den wir Christen in Jesus erkennen, er zieht alle Hoffnungen des Volkes Israel auf Gerechtigkeit und Frieden und erfülltes ewiges Leben auf sich und macht sie zu einer Hoffnung für alle Menschen.

Was hat das nun mit dieser heutigen Predigt zu tun? Nun, unser Predigttext heute ist ein Abschnitt aus dem Buch Jesaja, ursprünglich an das Volk Israel gerichtet. Es sind Worte, die für unsere Ohren einerseits fremd klingen, sie tönen ja aus einer Zeit vor zweieinhalbtausend Jahren zu uns herüber. Andererseits aber sind uns manche der Fragen, die in diesem jüdischen Text anklingen, vielleicht sogar näher als viele Antworten aus unserer eigenen christlichen Tradition.

Ich meine, dass vielen Zeitgenossen ein Glaube an das Weiterleben nach dem Tode abhanden gekommen oder zumindest zweifelhaft geworden ist. Wenn wir nun aber ins Alte Testament blicken, so sehen wir, dass genau diese Vorstellung dort gar nicht so sehr betont worden ist. Das Volk Israel schaut ähnlich intensiv auf das Leben im Hier und Jetzt, im Diesseits vor dem Jenseits, wie das in unserer modernen Neuzeit zur Gewohnheit geworden ist.

Bedeutet das nun aber, dass es angesichts des Todes damals wie heute im Grunde keine nachhaltig wirksame Hoffnung gibt? Ich möchte mir mit Ihnen und euch gemeinsam einmal die Hoffnungsbilder des Propheten Jesaja einmal genauer anschauen. Dazu hören wir den Text noch einmal in einer anderen Übersetzung, und zwar angelehnt an die Verdeutschung der Schrift von Martin Buber:

17 Denn, wohlan, ich schaffe den Himmel neu,
die Erde neu,
nicht gedacht wird mehr
des Frühern,
nicht steigt‛s im Herzen mehr auf.

Wenn wir in Martin Luthers Übersetzung hören, dass Gott spricht: „Ich schaffe einen neuen Himmel und eine neue Erde“, dann kommen uns unweigerlich Weltuntergangsphantasien, Gedanken an ökologische Katastrophen und Atomkriege oder Zusammenstöße der Erde mit Meteoren. Gott klappt das ganze Kapitel der Weltschöpfung zu, es ist offenbar misslungen, und fängt noch einmal von vorne an. In Martin Bubers Verdeutschung merken wir: so ist das Wort, das Gott durch den Prophetenmund spricht, gar nicht gemeint. „Ich schaffe den Himmel neu, die Erde neu“, das heißt doch: Himmel und Erde werden nicht vernichtet, nicht abgeschafft, aber sie werden von Grund auf neugestaltet. Die Lebensbedingungen auf der Erde, die zur Zeit des Propheten so unerträglich waren wie vielleicht zur Stalinzeit in Russland oder heute in Syrien, müssen nicht für alle Zeit als gottgegeben hingenommen werden. „Diese geschundene Erde schaffe ich neu“, sagt Gott. „Ich ordne sie um. Ich will Gerechtigkeit und Frieden auf dieser Erde.“

Aber wie schafft Gott den Himmel neu? Ich denke an den Himmel über Babylon; dorthin war ja das Volk der Juden verschleppt worden; und in der Religion der Babylonier spielte der Himmel eine große Rolle; sie beobachteten ihn sehr genau und hielten Sonne, Mond und Sterne für göttliche Mächte, die die Menschen und ihr Schicksal im Griff hatten. Natürlich meinten die Mächtigen der Baylonier auch, dass ihre Götter viel mächtiger waren als der in ihren Augen kleine, unbedeutende Gott dieses unbedeutenden Volkes der Juden. Dieses Volk war ja ihnen zum Opfer gefallen, und der Gott Israels hatte sich offenbar nicht zu wehren gewusst.

Übrigens glauben bis heute viele Menschen immer noch lieber an Astrologie als an den unsichtbaren Gott der Juden und Christen; da hat man was in der Hand, im Horoskop steht doch ganz konkret, welches Schicksal in der Zukunft auf uns wartet.

Was sagt dazu der Gott Israels? Er kündigt an: „Mit diesem Himmel der falschen Sternengötter räume ich auf.“ Es macht nicht frei, die Zukunft voraussehen zu können. Diese vielen Götter sind nur scheinbar stark, denn ihre Macht beruht auf Gewalt gegen Schwache, um einzelne Menschen über die anderen zu erheben. Was ist das aber für eine Stärke, die es nötig hat, die Mehrheit der Menschen unglücklich zu machen, im Elend leben zu lassen? Der Gott, der zu Israel durch den Propheten spricht, will etwas anderes:

18 Sondern entzückt euch,
jubelt fort und fort,
über das, was ich schaffe!
Denn wohlan, ich schaffe
aus Jerusalem einen Jubel,
aus seinem Volk
ein Entzücken.

Freude schafft Gott. Martin Buber benutzt das alte Wort des Entzückens. Es ist eine leidenschaftliche Freude, die hier beschrieben wird, fast so etwas, was unsere jungen Leute heute als „megaobergeil“ bezeichnen. Was schafft Gott denn, was die Menschen so zum fröhlichen Ausrasten bringen soll? Hier ist nicht von der Schöpfung der Welt und der Natur die Rede. Hier baut Gott etwas um innerhalb der Menschheit. Da werden offenbar Mächtige von ihrem Thron gestürzt, arme Leute bekommen ihren Besitz zurück, der ihnen geraubt worden war. Ein Krieg geht zu Ende, Gefangene kehren aus den Lagern heim.

19 Ich juble über Jerusalem,
ich entzücke mich
an meinem Volk.
Nicht hört man mehr darin
Stimme des Weinens,
Stimme des Geschreis.

Gott fordert nicht nur die Menschen zum Jubel auf, nein, er selbst jubelt und strahlt vor Freude über sein Volk. Was noch vor kurzer Zeit an der Tagesordnung war: die traurige Stimme des Weinens und der Schmerzensschreie zu hören, das ist jetzt vorbei. Damals, zur Zeit des zweiten Propheten Jesaja, war es bald auch wirklich so weit: Das Volk Israel durfte aus Babylon wieder nach Hause ins eigene Land; die Perser besiegten die Babylonier und ließen die Juden gehen.

Aber dann verkündigt Gott weitere Hoffnungen, die damals nicht erfüllt wurden, die bis heute nicht eingelöst sind:

20 Kein Kind wird mehr
nur wenige Tage leben,
kein alter Mensch
wird seine Tage
nicht vollenden,
denn als jugendlich
wird der 100-Jährige sterben,
und der Sünder
empfindet es als Strafe,
nur 100 Jahre alt zu werden.

Nach unserer Erfahrung ist das unrealistisch: Mit 100 gilt kaum jemand als jugendlich, und die wenigsten wollen so alt werden, weil die Beschwerden in so hohem Alter eher zunehmen. Aber hinter diesen so übertrieben gezeichneten Vorstellungen stehen doch unsere ganz realen gegenteiligen Erfahrungen, dass in der Tag so viele Menschen allzu früh sterben, sei es durch Unfall oder Krankheit, sei es durch Krieg und Terror. Wo dieser frühe Tod Menschen aus liebevollen Beziehungen in Familie und Freundschaft herausreißt, da entstehen Wunden, die wir nur betrauern und beweinen können. Warum verspricht Gott nun so scheinbar unrealistisch, dass eine Zeit kommen soll, in der kein Kind mehr seinen Eltern genommen wird und niemand mehr stirbt, der noch von seiner Familie gebraucht wird, dessen Leben noch nicht erfüllt war? Er macht damit jedenfalls deutlich, dass wir uns nicht einfach damit abfinden müssen, dass es so ist, wie es ist. Eigentlich sollte jeder Mensch glücklich und alt werden dürfen. Und wenn das nicht der Fall ist, haben wir jedes Recht, zu trauern und auch Gott gegenüber unsere Stimme zu erheben und im Gebet zu klagen. „Gott, du hast es doch versprochen, du willst doch, dass wir leben, dass wir glücklich werden! Warum bist du so unbarmherzig mit uns?“ So ähnlich hat ja Hiob mit Gott gesprochen, und er durfte so reden. Wir dürfen es auch.

21 Sie bauen Häuser
und bewohnen sie,
pflanzen Reben,
essen ihre Frucht:

22 sie bauen nicht,
was ein anderer bewohne,
pflanzen nicht,
dass ein anderer esse.

Weitere Hoffnungen werden in alltäglichen Worten ausgedrückt. Es geht um‛s Wohnen und um‛s Essen. Jeder baut sich sein Häuschen und darf auch darin wohnen. Das war und ist nicht immer selbstverständlich; nicht einmal eine bezahlbare Mietwohnung ist für jeden leicht zu finden; und wie oft haben Menschen, die unverschuldet in Not gerieten, die von ihnen gebauten Häuser verloren, oder wurden im Krieg aus ihnen vertrieben. Genau so ging es Landwirten mit dem, was sie angebaut hatten: wie oft wurde die Ernte geraubt und geplündert, oder der ganze Hof ging verloren in Zeiten der Vertreibung und Umsiedlung. Meine Eltern haben es erfahren, damals nach dem Zweiten Weltkrieg in Schlesien und Westpreußen, eine Reihe von Ihnen kennt ähnliche Erfahrungen aus den Zeiten in der ehemaligen Sowjetunion. Es sind ganz reale, bittere Erfahrungen, die im Hintergrund dieser Hoffnungen stehen: es ist ein Geschenk, sicher zu wohnen, sich von der Arbeit der eigenen Hände zu ernähren.

Denn wie die Tage
des Baums sind die Tage
meines Volks nun,
was das Tun
ihrer Hände erbringt,
sollen meine Erwählten
verbrauchen.

Alt wie ein Baum soll das erwählte Volk Gottes werden. Die Früchte ihrer Arbeit sollen sie selber genießen dürfen. Ich stolpere über das Wort „meine Erwählten“. Warum werden sie so besonders erwähnt? Was ist mit den anderen? Werden sie benachteiligt? Nein, es ist gerade umgekehrt. Das Volk, das hier angesprochen wird, ist klein, benachteiligt, ohne Chance in der Völkerwelt. Ihr letzter König wurde entmachtet, er sah noch, wie seine Söhne von den babylonischen Eroberern getötet wurden, dann stach man ihm die Augen aus und verschleppte ihn mit seinem Volk. Fremde wohnten in ihren Häusern, ernteten von ihren Weinstöcken. Jetzt bekommen sie von Gott gesagt: „Und doch seid ihr erwählt! Ihr, die Opfer, ihr, die Kleinen. Ihr sollt eure Hoffnung nicht aufgeben. Ich, Gott, habe gerade euch in mein Herz geschlossen.“ Übrigens, sie sind nicht deswegen erwählt, weil sie besonders gut oder gläubig sind. Nein, dass sie ein schweres Schicksal erleiden mussten, hatten sie sogar als Strafe Gottes empfunden. Eigentlich war es uns recht geschehen, wir hatten ja in unserem Volk auch Menschen ausgebeutet, auch zugelassen, dass arme Leute ihre Häuser verlieren und zu Schuldsklaven wurden. Aber jetzt hören sie wieder Worte der Hoffnung. Wir sind nicht die besten Menschen, aber Gott liebt uns trotzdem, er lässt uns nicht im Stich! Und so hören sie weitere Worte des Trostes von Gott:

23 Sie sollen nicht
ins Leere sich mühen,
nicht zu Bestürzung gebären.
Denn sie sind
die Nachkommen
der vom Herrn Gesegneten und ihre Sprösslinge
mit ihnen.

Eine Formulierung hier in der Übersetzung von Martin Buber klingt merkwürdig. Was heißt das: „sie sollen nicht zu Bestürzung gebären“? Luther übersetzt: „sie sollen keine Kinder zeugen für einen frühen Tod“. Mag sein, dass das der Sinn dieser Aussage ist; aber wörtlich steht da ein Wort, das „Bestürzung“ oder „Schrecken“ oder „Terror“ bedeutet. Kinder sollen nicht in eine Atmosphäre von Gewalt und Missbrauch hineingeboren werden, sollen nicht von Anfang an ein schweres Schicksal haben. Leider gibt es in unserer Welt immer noch beides: Zwar sterben nur wenige Kinder früh, aber wenn es geschieht, ist die Trauer um so größer. Und es gibt die Kinder, die nicht einmal ihren Eltern willkommen sind, die von ihnen keine uneigennützige Liebe erfahren. Gott, so heißt es hier, hält all das für einen Skandal. Er will Kinder schenken, die willkommen geheißen werden. Ihre Eltern haben selber Segen erfahren, zum Beispiel in Form von Liebe, und diesen Segen sollen sie ihren Sprösslingen weitergeben.

Dann ist von einem Gefühl von Leere die Rede. Diese Leere scheint heute nicht weniger, sondern eher mehr zu werden. Je kleiner die Rolle wird, die Gott für die Menschen spielt, je mehr das Leben vieler Menschen um materielle Werte kreist, desto mehr empfinden sie ihr Leben als leer, ihre Mühen als sinnlos. Aber Menschen, die sich als gesegnet erfahren, für sie gilt das nicht. Ihr Leben ist erfüllt, voller Liebe, voller Zukunft, voller Hoffnung.

24 Geschehen wird‛s:
eh sie rufen, antworte ich,
sie reden noch,
und ich erhöre.

Dicht an den alltäglichen Wünschen bewegt sich alles, was Gott hier verspricht. Und Gott verspricht, dass er Gebete erhört, die noch nicht zu Ende ausgesprochen sind, ja, sogar wer sich überhaupt nicht mehr an Gott wendet, bekommen von ihm Antwort.

Nun können wir fragen: Was soll das alles? Was von all dem ist schon erfüllt? Was hat Gott schon in die Tat umgesetzt? All diese Hoffnungsbilder, sind sie nicht übertrieben angesichts der Realität? Zwar sterben in unserer westlichen Welt nicht mehr so viele Kinder, aber weltweit immer noch viel zu viele. Die Leere in den Menschen wird größer. Das Gefühl, ein gesegnetes, erfülltes Leben zu führen, nimmt eher ab statt zu. Noch gibt es Schmerzen und Tränen, wird geklagt und geweint, noch hat Gott nicht den neuen Himmel und die neue Erde geschaffen.

Aber dann auf einmal kommt mir die Frage: Hat er das vielleicht doch bereits getan? Verändert er nicht schon durch solche Hoffnungsbilder ganz real unsere Wahrnehmung der Welt und damit die Welt selbst? Da ist ein Gott, der nimmt unsere Leiden und Wünsche ernst. Er ist kein zynischer Gott, der sagt: „Beugt euch meiner Allmacht, eure Wünsche sind mir egal, Macht geht vor Recht, findet euch gefälligst ab mit der Sinnlosigkeit des Daseins!“ Wo Gott so mit Hiob redet, da darf Hiob diesem Gott die kalte Schulter zeigen, darf er Gott daran erinnern, dass er versprochen hat, gerecht zu sein. Hier jedenfalls, im Buch Jesaja, findet Gott selbst sich nicht damit ab, dass Menschen zu Opfern werden. Und redet ihnen zugleich ins Gewissen, dass sie nicht aus Zynismus zu Tätern werden. Dazu hören wir im letzten Vers unseres Predigttextes:

25 Wolf und Lamm
weiden wie eins,
der Löwe frisst Häcksel
wie das Rind,
und die Schlange,
Staub ist nun ihr Brot:
nicht übt man mehr Böses,
nicht wirkt man Verderb
auf all dem Berg
meines Heiligtums,
hat ER gesprochen.

Ich nehme an, dass Gott sich auskennt in der von ihm geschaffenen Natur. Wörtlich genommen kann dieses Bild nicht stimmen, können Wolf und Löwe ihre Raubtiernatur nicht ablegen, sonst würden sie nicht satt. Ebenso wenig könnten die als Tiere real existierenden Schlangen sich von Staub ernähren. Aber das Bild der Schlange kennen wir ja schon aus der Paradiesgeschichte. Dort flüstert sie den Menschen ein, dass Gott es in seiner Schöpfung nicht gut mit den Menschen meine. Alles würde er ihnen verbieten, nichts ihnen gönnen. Und ist der Virus des Misstrauens und der Missgunst den Menschen erst einmal eingepflanzt, dann ist es auch nicht weit bis zum ersten Brudermord aus Eifersucht. Der Mensch wird dem Menschen zum Wolf, einer fällt über den anderen her, wie der Löwe ein Lamm reißt. Und genau dagegen bekräftigt Gott die Hoffnung für uns Menschen durch alle Zeiten: dass wir Menschen fähig werden, als Starke und Schwache in Einigkeit miteinander zu leben und die Reichtümer der Welt gerecht aufzuteilen.

Wo wir anfangen, Gutes einzuüben statt Böses zu üben, dafür zu sorgen, dass alle Menschen genug haben, statt das Verderben vieler Menschen zu planen, da kann viel von dem wahr werden, was Jesaja erhofft. Nicht jeder frühe Tod wird verhindert, aber die Trauernden bleiben nicht allein, dürfen ohne Scheu erzählen, was ihnen weh und wohl tut zugleich, und wenn ihnen einmal Tränen kommen, so kündigt sich vielleicht auch schon wieder das nächste Lachen an.

Wem gelten all diese Hoffnungen? Gott redet ja sein Volk Israel an, sieht sie in Erfüllung gehen „auf all dem Berg meines Heiligtums“. Da ist zunächst sicher der heilige Berg Zion in Jerusalem gemeint. Aber das Wort „all“ deutet an, es geht um mehr als nur um die Jerusalemer Stadtbevölkerung, letztlich auch mehr als das Volk Israel. Wahr ist, dass Gott sich einen heiligen Bereich zuerst in diesem unbedeutenden Volk Israel schafft, heilig im Sinne dessen, was Jesus später das Reich Gottes nannte, das mitten unter uns beginnt. Da, wo Menschen nicht mehr wie Raubtiere miteinander umgehen, sondern wie wahre Menschen, barmherzig, gerecht, auf friedliche Lösung ihrer Streitigkeiten bedacht, überall da ist Gottes heiliger Berg. Und es war in der Tat Jesus, der die Hoffnungen des Volkes Israel auch uns Christen zugänglich machte. Im Vertrauen auf ihn dürfen auch wir dem Gott Israels unser Vertrauen schenken, sitzt Jesus doch im Himmel zu seiner Rechten. Von dort aus greift der unsichtbare Gott scheinbar machtlos in den Gang unserer Welt ein, indem er uns mit seinem heiligen Geist anrührt und leitet. Er greift ein wie ein Mensch, der uns liebhat. Er hört zu, er ist uns nah, er verlässt uns nicht. Er hält unsere Tränen, unseren Schmerz aus, er weiß um unsere unausgesprochenen Seufzer und Klagen, er macht uns Mut, uns auch anderen Menschen anzuvertrauen. Und dann, mit der Zeit, zeigt er uns auch neue Wege, auf denen unser Fuß gehen kann. Neue Aufgaben, neue Gemeinschaft, neue Freude.

Für viele ist das nicht genug, dass Gott uns begleitet. Er sollte doch viel mehr Macht und Durchsetzungskraft beweisen. Für viele ist das nicht genug, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist. Er sollte doch die Schwäche gleich ganz abschaffen. Für viele ist das nicht genug, dass Gott in unseren Herzen Hoffnung einpflanzen will. Er sollte uns doch nicht so lange warten lassen. Aber wer hoffen kann, der verhält sich anders. Er kann ein Schicksal, das er nicht ändern kann, annehmen und doch neue Schritte gehen in seinem Leben. Ein Mensch, den man betrauert, kann durch nichts auf der Welt ersetzt werden. Aber die durchlebte Trauer kann uns aufmerksam machen auf andere Menschen, die uns anvertraut oder zur Hilfe geschickt sind, kann uns stark machen, uns Herausforderungen zu stellen, denen wir erst jetzt gewachsen sind. Der Gott, der sagt: „Ich schaffe den Himmel neu, die Erde neu“, der kann auch unserem Leben neue Struktur, neue Orientierung, neuen Sinn geben und unsere Füße auf festen Boden stellen, so dass wir unseren Weg wie auf einer neuen Erde gehen können, Schritt für Schritt. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen das Lied 616:

Auf der Spur des Hirten führt der Weg durch weites Land

Lasst uns beten.

Gott, du versprichst uns einen neuen Himmel und eine neue Erde. Du willst uns durch deinen Segen neues Leben spenden. Wir glauben, Herr, hilf unserem Unglauben.

Wir leiden unter der Last der Arbeit und unter der Angst, keine Arbeit zu finden. Segne das Werk unserer Hände und macht unsere Hände bereit zu segensreichem Tun.

Wir fürchten um unseren Wohlstand und Besitz. Mach uns frei, öffne unser Herz für die Hungernden in der Welt und die Armen neben uns.

Wir sehen Misstrauen, Angst, Zwietracht zwischen Generationen und Völkern, zwischen Menschen verschiedener Herkunft und Religion, zwischen Gruppen und Parteien in unserem Volk. Erfülle uns mit Glauben an den Frieden, der stärker ist als unsere Vernunft.

Wir werden älter und verbrauchen unsere Kräfte. Wir fühlen uns bedroht von Krankheit, Gebrechlichkeit und Tod. Gib uns Anteil an einem Leben, das über unser Leben den Glanz der Ewigkeit breitet.

Und immer wieder müssen wir Abschied nehmen von Menschen, die uns teuer sind. Versichere uns deiner Treue, dass wir unsere Toten dir anvertrauen und unseren Frieden mit ihnen finden.

Schenke uns Deinen Trost und Deine Zuversicht, auch den Angehörigen dieser Toten, damit wir das Leben aus Deiner Hand nehmen und es in der Verantwortung vor Dir führen, bis Du auch uns abrufen wirst aus dieser Zeit in die Ewigkeit. Amen.

In der Stille bringen wir vor dich, Gott, was wir persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen das Lied 391:

1. Jesu, geh voran auf der Lebensbahn! Und wir wollen nicht verweilen, dir getreulich nachzueilen; führ uns an der Hand bis ins Vaterland.

2. Soll’s uns hart ergehn, lass uns feste stehn und auch in den schwersten Tagen niemals über Lasten klagen; denn durch Trübsal hier geht der Weg zu dir.

3. Rühret eigner Schmerz irgend unser Herz, kümmert uns ein fremdes Leiden, o so gib Geduld zu beiden; richte unsern Sinn auf das Ende hin.

4. Ordne unsern Gang, Jesu, lebenslang. Führst du uns durch rauhe Wege, gib uns auch die nöt’ge Pflege; tu uns nach dem Lauf deine Türe auf.

Abkündigungen

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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