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„Seht an die Beispiele der Alten und merket sie!“

Ist der althergebrachte Glaube der alten Menschen heute überholt? Was können wir von den Alten lernen in einer schnellebigen Zeit, in der viele Traditionen abbrechen oder jedenfalls nicht mehr selbstverständlich gepflegt werden?

Die Beispiele der Alten: Die Hände einer alten Frau auf einer alten Bibel
„Seht an die Beispiele der Alten und merket sie!“ (Bild: PexelsPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir halten die Bestattungsfeier aus Anlass des Todes von Frau Y., die im Alter von [über 80] Jahren gestorben ist. Wir hören in dieser Stunde auf Gottes Wort, auf die Stimme des Herrn, der spricht (Jesaja 46, 4):

Bis in euer Alter bin ich derselbe, und ich will euch tragen, bis ihr grau werdet. Ich habe es getan; ich will heben und tragen und erretten.

Wir beten die Worte aus Psalm 23, die Frau Y. seit ihren Kindertagen immer wieder als Trost erlebt hat und auch in ihrer Krankheitszeit und in schlaflosen Nächten wieder und wieder gebetet hat:

1 Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.

3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.

5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.

6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Wir hören die biblische Lesung aus dem Buch Sirach 2 (Vers 10 in anderer Übersetzung als Luther):

1 Mein Kind, willst du Gottes Diener sein, so bereite dich auf Anfechtung vor.

2 Mache dein Herz bereit und steh fest und wanke nicht, wenn sie über dich kommt.

3 Halt dich an Gott und weiche nicht, damit du am Ende erhöht wirst.

4 Alles, was dir widerfährt, das nimm auf dich, und sei geduldig bei jeder neuen Demütigung.

5 Denn wie das Gold durchs Feuer, so werden auch, die Gott gefallen, durchs Feuer der Trübsal erprobt. –

6 Vertraue Gott, so wird er sich deiner annehmen; geh gerade Wege und hoffe auf ihn!

7 Die ihr den Herrn fürchtet, vertraut ihm, und euer Lohn wird nicht verloren gehen.

8 Die ihr den Herrn fürchtet, hofft das Beste von ihm, hofft auf ewige Freude und Gnade.

9 Die ihr den Herrn fürchtet, wartet auf seine Gnade und weicht nicht, damit ihr nicht zugrunde geht.

10 Seht an die Beispiele der Alten und merket sie.

11 Wer ist jemals zuschanden geworden, der auf den Herrn gehofft hat?

12 Wer ist jemals verlassen worden, der in der Furcht Gottes geblieben ist? Oder wer ist jemals von ihm übersehen worden, der ihn angerufen hat?

13 Denn der Herr ist gnädig und barmherzig und vergibt Sünden und hilft in der Not. –

18 Die den Herrn fürchten, glauben seinem Wort; und die ihn lieb haben, bleiben auf seinen Wegen.

19 Die den Herrn fürchten, tun, was ihm gefällt;

20 und die ihn lieb haben, freuen sich an seinem Gesetz.

21 Die den Herrn fürchten, machen ihr Herz bereit und demütigen sich vor ihm und sagen:

22 Wir wollen lieber in die Hände des Herrn fallen als in die Hände der Menschen;

23 denn seine Barmherzigkeit ist ja so groß, wie er selber ist.

Liebe Familie Y., liebe Trauergemeindel

Was wir in der Lesung gehört haben, hat auf die verstorbene Frau Y. zugetroffen. Sie hat an ihrem festen Glauben an Gott festbehalten, ihr Leben lang, und auch in ihrem Sterben. Anfechtung und Trübsal sind ihr nicht erspart geblieben, aber nichts konnte sie von der Hoffnung auf Hilfe durch Gott abbringen.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Die kleine Y. wuchs auch in ihre evangelische Kirche hinein, und es gab einfach nichts anderes für sie, als diesem Glauben ihr Leben lang treu zu bleiben.

In den letzten Jahren machten ihr gesundheitliche Schwierigkeiten immer mehr zu schaffen. Sie konnte immer weniger sehen, konnte nicht mehr aus dem Haus gehen, keinen Gottesdienst mehr besuchen. Sie hatte mehr und mehr Grund zum Klagen, bis sie sich in ihrer letzten schweren Krankheit unter furchtbaren Schmerzen nichts sehnlicher wünschte, als dass Gott sie doch erlösen möchte von ihren Qualen und sie zu sich rufen möchte.

Sie hatte allen Grund zum Klagen und hat dies auch getan: doch sie hat nie angenommen, dass es etwa keinen Sinn mehr hätte, zu Gott zu beten. Die Familie weiß es, wie sehr Frau Y. mit dem Gebet gelebt hat, mit dem Vaterunser, dem Psalm 23, mit Kirchenliedern, die sie nachts gebetet oder gesungen hat. Solange sie sprechen konnte, betete Sie selbst die Gebete, die sie auswendig konnte; und selbst, als sie scheinbar kaum noch etwas wahrnahm, schien sie es mitzubekommen, wenn an ihrem Bett gebetet wurde. So erfuhr sie, was es bedeutet, im tiefen Tal zu wandern und zugleich Gottes Nähe zu erfahren, seinen tröstenden Stecken und Stab. Sie war nicht verlassen, sie wurde nicht von Gott verschmäht, sie wurde nicht zuschanden, als sie auf den Herrn hoffte.

In unserem Text heißt es (Sirach 2, 10 – freie Übertragung):

Seht an die Beispiele der Alten und merket sie.

Darüber wird heute viel gesprochen und nachgedacht und auch geklagt, dass das Vorbild der Alten nicht mehr viel gilt, dass in unserer schnellebigen Zeit die Erfahrungen der alten Menschen kaum noch von den Jüngeren übernommen werden.

Was kann uns dann so ein Satz heute sagen?

Seht an die Beispiele der Alten und merket sie?

Es ist nicht gemeint, dass man als jüngerer Mensch alles genau so machen könnte wie die Altgewordenen. Vielleicht ging das früher, als sich im Laufe eines Lebensalters nicht viel für die Menschen insgesamt veränderte. Heute sind wir in viel kürzeren Zeitabständen immer wieder herausgefordert, uns auf Veränderungen neu einzustellen. Das geht nicht ohne Konflikte ab, und manchmal können sich dann Alt und Jung in bestimmten Fragen nicht mehr gut verstehen.

Trotzdem können wir am Beispiel der Alten noch immer lernen. Nicht indem wir einfach alles ungefragt übernehmen, sondern indem wir das, was wir an ihrem Leben ablesen, in unserem Leben auf unsere eigene Art und Weise umsetzen.

Ich denke zum Beispiel an die Sparsamkeit, die die Älteren in Notzeiten lernen mussten und die in Zeiten des Wirtschaftswunders verdrängt wurde. Wie die Generationen vor uns auf die Knappheit in Krieg und Inflation reagiert haben, kann uns vielleicht helfen, wenn wir uns auf die immer deutlicher zutage tretende Knappheit an Energie und Rohstoffen einstellen müssen.

Und ich denke auch an den Bereich des Glaubens. Was zum Beispiel Frau Y. in ihrem Leben aus einer festgefügten Ordnung des kirchlichen und persönlichen Glaubenslebens für sich an Kraft und Sinnstiftung gewonnen hat, kann uns anspornen, nach unseren eigenen Formen der Suche nach Sinn, nach Glück, nach Ermutigung und Trost zu fragen. Wir sind dabei heute, gerade in der evangelischen Kirche, in einer schwierigeren Situation als früher, denn es gibt kaum noch äußere Stützen des Glaubens, keine Selbstverständlichkeit des Kirchgangs, des religiösen Lebens in den Familien oder einer kirchlichen Einordnung, die jeder einfach akzeptiert.

Die Schwierigkeiten mit dem Glauben, die wir heute haben, bedeuten aber zugleich auch neue Chancen, denn wir können sie mit einem Wort beschreiben, das zwei Seiten hat: Freiheit. Wir sind heute freier als früher, zur Kirche Ja oder Nein zu sagen. Es ist heute mehr als früher eine ganz persönliche Entscheidung, am Glauben festzuhalten oder ihn für sich selbst erst neu zu entdecken. Es kommt heute ganz deutlich etwas heraus, was im Glauben allerdings schon immer enthalten war: dass es sich dabei um unsere freiwillige Antwort auf ein Angebot Gottes handelt.

Das war auch schon früher so, wenn es heute auch deutlicher hervortritt. Frau Y. ist zwar mehr als unsere Jugendlichen heute von einer festeren Ordnung des kirchlichen Lebens geprägt worden; trotzdem war es ihre ganz persönliche Entscheidung, ihren erlernten Glauben auch ihr ganzes Leben hindurch zu bewahren und aus ihm Kraft und Richtungsweisung für ihre Lebensführung zu schöpfen.

Das können wir also auf jeden Fall am Beispiel von Frau Y. sehen und uns merken: dass ein ganzes Leben getragen sein kann im Glauben an Gott, in glücklichen und unglücklichen Zeiten, und auch mit den starken und schwachen Seiten der eigenen Person.

Auch früher schon war Religion nicht unumstritten, wenn wir zum Beispiel nur an die Zeit des Dritten Reiches denken. Auch früher gab es manche Schwierigkeiten innerhalb des kirchlichen Bereiches, wenn wir nur deren denken, wie groß der Abstand zuweilen zwischen der katholischen und evangelischen Kirche gewesen ist. Es waren Zeiten, in denen Frau Y. es gern auf sich genommen hat, zum evangelischen Gottesdienst auch zu Fuß in den Nachbarort zu laufen. Wir sehen, dass es gerade in diesem Bereich, dem Verhältnis der Konfessionen, in der neueren Zeit zu einer sehr guten Entwicklung aufeinanderzu gekommen ist. In beiden Kirchen stehen wir heute gemeinsam vor den Herausforderungen unserer Zeit: der Sinnlosigkeit entgegenzutreten, der wachsenden sozialen Not, der Orientierungslosigkeit unserer Jugend, der inneren Leere nach vielen Wohlstandsjahren, der wachsenden Bedrohung durch Umweltzerstörung und der lähmenden Mutlosigkeit angesichts einer steigenden Gefahr für den Frieden.

Deshalb können wir nicht sagen: Frau Y. war alt, sie hat noch geglaubt, aber für uns ist das nichts mehr. Wir werden sicher nicht auf die gleiche Weise glauben wie sie, aber wir können auf unsere Art an den gleichen Gott glauben. An den Gott, von dem wir gehört haben (Sirach 2, 13):

Denn der Herr ist gnädig und barmherzig und vergibt Sünden und hilft in der Not.

Dieser Herr will auch uns tragen und aus Mutlosigkeit und Traurigkeit herausheben, bis wir einmal alt sind. Er hackt nicht auf uns herum und macht uns nicht mit Vorwürfen fertig, er ist allerdings auch nicht gleichgültig gegenüber dem, was wir uns selbst und unseren Mitmenschen leichtfertig oder böswillig antun. Er vergibt Sünden, das heißt, er nimmt unser Leben ernst, so wie es ist, auch die dunklen Seiten. Und er traut uns zu, uns zu ändern; er widerspricht uns, wenn wir verzweifeln oder meinen, es sei doch alles egal.

Auf ihre Weise hat Frau Y. ihren Glauben gelebt, hat sie für ihre Familie gesorgt, hat sie sich oft sehr stark berühren lassen durch das, was Menschen in und außerhalb ihrer Familie widerfuhr. Sie hat dankbar sein können für die Pflege, die sie bis zuletzt in ihrer Wohnung von ihrer Schwiegertochter, ihrem Sohn und der Gemeindeschwester erfahren hat. Sie hat noch an Ostern das Heilige Abendmahl empfangen und alles Bedrückende ihres Lebens in Gottes Hand legen können. So gibt es in dieser Stunde des Abschieds auch Grund zur Dankbarkeit für uns. Wir geben Frau Y. hin in Gottes Hand; und wir können unser Leben dankbar führen im Glauben an ihn, der es uns geschenkt hat. Amen.

Wir beten mit den Worten eines Kirchenliedes (EG 361):

1. Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.

2. Dem Herren musst du trauen, wenn dir’s soll wohlergehn; auf sein Werk musst du schauen, wenn dein Werk soll bestehn. Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteigner Pein lässt Gott sich gar nichts nehmen, es muss erbeten sein.

12. Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not; stärk unsre Füß und Hände und lass bis in den Tod uns allzeit deiner Pflege und Treu empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein.

Amen.

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