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Alte Dame Kirche

„Gnädige Frau, liebe Frau Kirche, wie haben Sie das gemacht, so alt zu werden?“ „Ich?“ fragt sie verwundert, „ich habe gar nichts gemacht.“ „Aber Sie können doch sicher viel erzählen, wie Sie es trotz allem immer noch geschafft haben, bis heute zu überleben.“ „Nein“, sagt sie da und schaut uns etwas streng an, „ich lebe doch, weil der Geist lebt.“

Die Skulptur ist scheinbar grob aus einem Holz herausgehackt, nur rechts ist sie glatt.
Maria, hier eigenwillig dargestellt, kann symbolisch für die Kirche stehen (Bild: Manfred Antranias ZimmerPixabay)

direkt-predigtAbendmahlsgottesdienst am Pfingstsonntag, 26. Mai 1985, um 9.30 Uhr in Heuchelheim, um 10.30 Uhr in Reichelsheim und am Pfingstmontag, 27. Mai 1985, um 10.00 Uhr in Nieder-Florstadt und um 13.00 Uhr in Dorn-Assenheim

Am Pfingstfest grüße ich Sie und Euch in unserer Kirche! Was Pfingsten überhaupt ist, wissen viele immer noch nicht genau. Zunächst einmal ist Pfingsten schlicht und einfach der Geburtstag der Kirche. Und zwar nicht des Kirchengebäudes, sondern der weltweiten Kirchengemeinde. Das Kirchengebäude in Reichelsheim feiert ja auch bald Geburtstag, in vier Wochen nämlich, da wird es 500 Jahre alt. Aber die Gemeinde der Christen in aller Welt, die ist noch viel älter, wahrscheinlich genau 1.052 Jahre alt! Es war wohl im Jahre 33 nach Christi Geburt, und zwar 50 Tage nach Ostern, dazu gekommen, dass die erste Gemeinde von Christen entstand. Daher kommt übrigens auch der Name „Pfingsten“, der nichts anderes als die Zahl „Fünfzig“ bedeutet.

50 Tage nach Ostern, nach der Auferstehung Jesu, haben aber Jesu Jünger nicht einfach die Kirche gegründet, so wie Menschen immer wieder einen Verein gegründet haben. Die Bibel sagt, dass Gott selbst die Kirche gegründet hat, durch seinen heiligen Geist. Darum heißt Pfingsten auch das Fest der „Ausgießung des heiligen Geistes“. Und überall wo es heute Kirchengemeinden gibt, auch hier bei uns, brauchen wir auch diesen Geist, damit wir wirklich Gottes Kirche bleiben oder wieder werden. Darum singen wir heute Lieder, in denen wir um den heiligen Geist bitten.

Lied EKG 108, 1-3 (EG 136):

1. O komm, du Geist der Wahrheit, und kehre bei uns ein, verbreite Licht und Klarheit, verbanne Trug und Schein. Gieß aus dein heilig Feuer, rühr Herz und Lippen an, dass jeglicher getreuer den Herrn bekennen kann.

2. O du, den unser größter Regent uns zugesagt: Komm zu uns, werter Tröster, und mach uns unverzagt. Gib uns in dieser schlaffen und glaubensarmen Zeit die scharf geschliffnen Waffen der ersten Christenheit.

3. Unglaub und Torheit brüsten sich frecher jetzt als je; darum musst du uns rüsten mit Waffen aus der Höh. Du musst uns Kraft verleihen, Geduld und Glaubenstreu und musst uns ganz befreien von aller Menschenscheu.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

So spricht Gott zu jedem, der aus eigener Kraft etwas erreichen will. Einen Krieg gewinnen. Dem eigenen Leben Sinn zu geben. Die Kirche aufbauen.

Es wird dir nicht durch menschliche Macht und Gewalt gelingen, sondern durch meinen Geist! Ich, der Herr der Welt, sage es. (Sacharja 4, 6 – GNB)

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehre sei dem Vater und des Sohne und dem heiligen Geiste, wie es war von Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott, wir beklagen oft, dass immer weniger Menschen sich zur Kirche halten, dass immer mehr Menschen ohne dich glauben auskommen zu können. Oder wir ärgern uns über kirchliche Amtsträger, über Kirchgänger, von denen wir meinen, dass sie nicht im Sinne der Kirche reden und leben. Doch Herr, wir meinen immer wieder, es läge in unserer Macht, dagegen etwas zu tun. Wir wollen deine Kirche retten und erhalten, und wenn uns das nicht gelingt, dann geben wir deine Kirche allzu schnell verloren. Aber das ist es eben: die Kirche ist deine Kirche! Du baust sie auf! Du lässt sie nicht zugrundegehen! Du brauchst uns als Bausteine für deine Kirche! Du, Gott, kommst uns als heiliger Geist ganz nahe! Du kommst in unser Herz und schenkst uns Glauben. Du kommst in die Mitte unserer Kirchengemeinde und schenkst uns Gemeinschaft. Mach uns bereit dazu, dich so aufzunehmen bei uns durch Jesus Christus, unseren Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung zum Pfingstfest in der Apostelgeschichte 2, 1-4:

Und als der Pfingsttag gekommen war, waren sie alle an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen zerteilt, wie von Feuer; und er setzte sich auf einen jeden von ihnen, und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab auszusprechen.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Lied EKG 104, 1-6 (EG 131):

1. O Heiliger Geist, o heiliger Gott, du Tröster wert in aller Not, du bist gesandt vons Himmels Thron von Gott dem Vater und dem Sohn. O Heiliger Geist, o heiliger Gott!

2. O Heiliger Geist, o heiliger Gott, gib uns die Lieb zu deinem Wort; zünd an in uns der Liebe Flamm, danach zu lieben allesamt. O Heiliger Geist, o heiliger Gott!

3. O Heiliger Geist, o heiliger Gott, mehr’ unsern Glauben immerfort; an Christus niemand glauben kann, es sei denn durch dein Hilf getan. O Heiliger Geist, o heiliger Gott!

4. O Heiliger Geist, o heiliger Gott, erleucht uns durch dein göttlich Wort; lehr uns den Vater kennen schon, dazu auch seinen lieben Sohn. O Heiliger Geist, o heiliger Gott!

5. O Heiliger Geist, o heiliger Gott, du zeigst den Weg zur Himmelspfort; lass uns hier kämpfen ritterlich und zu dir dringen seliglich. O Heiliger Geist, o heiliger Gott!

6. O Heiliger Geist, o heiliger Gott, verlass uns nicht in Not und Tod. Wir sagen dir Lob, Ehr und Dank allzeit und unser Leben lang. O Heiliger Geist, o heiliger Gott!

Wir bitten, Herr, um deinen Geist, dass du uns deine Kraft verleihst! Dass wir das Alte neu verstehen und uns in deiner Nähe sehen! Wir bitten, Herr, um deinen Geist. Amen.

Liebe Gemeinde, die Kirche, diese große, alte Dame, hat Geburtstag. Über 1950 Jahre ist sie schon alt. „Wie sind Sie so alt geworden?“ werden berühmte alte Menschen oft gefragt. Was würde die Kirche wohl antworten, wenn wir ihr diese Frage stellen würden? Natürlich können wir nicht in Wirklichkeit mit „der“ Kirche sprechen, denn die Kirche besteht ja aus vielen Menschen in vielen Ländern und vielen Jahrhunderten. Aber wir können ja einmal so tun, als ob die Kirche eine Person wäre, die wir heute zum Geburtstag besuchen. Da würden wir sicherlich zuerst einmal herzlich gratulieren. Aber dann, in einem anschließenden Gespräch, würden wir neugierig fragen: „Gnädige Frau, liebe Frau Kirche, sagen Sie uns doch bitte einmal: Wie haben Sie das gemacht, so alt zu werden?“

„Ich?“ fragt sie verwundert, „ich habe gar nichts gemacht.“ „Aber Sie können doch sicher“, beharren wir, „viel erzählen von Menschen, Ereignissen, Rückschritten und Fortschritten, und wie Sie es trotz allem immer noch geschafft haben, bis heute zu überleben.“ „Nein“, sagt sie da und schaut uns etwas streng an, „das ist doch alles nicht so wichtig; ich lebe doch, weil der Geist lebt.“

Wir müssen wohl etwas verständnislos in die Gegend schauen; sie muss wohl gemerkt haben, dass uns diese Antwort überfordert. Darum steht sie nach einer kleinen, schweigenden Weile auf, geht ruhig und würdig zu einem Nebentisch, blättert in einem großen Buch und liest uns einige Worte vor.

„Hören Sie“, sagt sie, „so war das damals, als ich geboren wurde: Alle waren an einem Ort beieinander. Und es geschah plötzlich ein Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind und erfüllte das ganze Haus, in dem sie saßen. Und es erschienen ihnen Zungen, zerteilt, wie von Feuer, und setzten sich auf einen jeden von ihnen. Und sie wurden alle erfüllt von dem heiligen Geist und fingen an, zu predigen in andern Sprachen, wie der Geist ihnen gab, auszusprechen.“

Als die alte Dame ihr Buch wieder zuklappt, sagen wir zögernd: „Ja, diese Geschichte hören wir am Pfingsttag in der Kirche. Aber ehrlich gesagt – das macht uns die Sache auch noch nicht klarer, mit dem Geist und so. Was soll das mit dem Sturm mitten im Innern eines Hauses, und mit dem Feuer, das sich auf Menschen setzen kann, ohne sie zu verbrennen, und mit den fremden Sprachen, die die Jünger sprechen können, ohne sie gelernt zu haben?“

Darauf stellt uns Frau Kirche eine Rückfrage: „Wie ist das denn bei euch, wenn ich euch fragen würde – wie ist es bei eurer Geburt zugegangen – was würdet ihr antworten?“ „Bei unserer Geburt?“ überlegen wir. „Hm, das ist nicht leicht zu sagen; daran können wir uns doch gar nicht mehr selbst erinnern. Unsere Eltern haben uns davon erzählt.“ „Ja“, sagt die alte Dame, als die wir uns immer noch die Kirche vorstellen, „so war es auch bei mir. Auch dieser Text, den ich euch vorgelesen habe, der ist schon lange, lange mündlich weitererzählt und immer weitererzählt worden, bevor er einmal aufgeschrieben worden ist. Aber trotzdem habe ich immer wieder gespürt, wie wichtig das für mich war, was ganz am Anfang meines Lebens geschehen ist – diese Sache mit Wind und Feuer und den fremden Sprachen.“

„Warten Sie noch einmal einen Augenblick“, fallen wir nun ein. „Das ist ja nun auch so bei unserer eigenen Geburt. Zwar können wir uns nicht mehr genau erinnern, wie wir gezeugt oder geboren wurden. Aber wir spüren im Laufe unseres Lebens doch immer wieder etwas davon, wie wir in dieses Leben hineinkamen, ob wir von unseren Eltern gewollt waren oder eher abgelehnt wurden, ob wir von Anfang an geliebt wurden oder immer nur zur Last gefallen sind, ob wir Vertrauen zum Leben finden konnten oder ob wir von Anfang an misstrauische oder ängstliche Menschen geworden sind. Und davon reden oder erzählen wir meist nicht in solchen Sätzen, die aus unserem Verstand kommen, sondern wir sprechen in Bildern. „Er war immer unser Sonnenschein“, wird von manch einem Kind später erzählt. Aber manche Eltern sagen auch „dieser kleine Nichtsnutz“ zu ihrem Kind oder klagen: „den reitet wieder mal der Teufel“. Und wenn Kinder von ihren Eltern hören: „Wir haben uns unheimlich gefreut, als du unterwegs warst!“, dann ist es etwas ganz anderes, als wenn sie zu hören kriegen: „Eigentlich warst du ja ein Betriebsunfall!“

Die alte Dame Kirche pflichtet bei. „Sehen Sie, es ist also viel wichtiger, was man in solchen Bildern über sich selber erfährt oder weiß. Denn dann weiß man, wie man in diese Welt gekommen ist, und welcher Platz einem zugewiesen war, und ob man willkommen war und ob man bekommen hat, was man gebraucht hat. Demgegenüber ist es ganz unwichtig, wie der Tag der Geburt denn nun wirklich abgelaufen ist. Ja, und genauso unwichtig ist es auch für mich, wie denn nun mein erster Tag, der erste Tag der Kirche, wirklich genau abgelaufen ist. Es war jedenfalls keine Vereinsgründung. Es gab keinen Beschluss: ‚Jetzt gründen wir die Kirche!‛“

„Aber wie kam es denn dann dazu, dass Sie ins Leben gerufen wurden?“ fragen wir Frau Kirche. „Das hat eben mit Wind und Feuer und fremden Sprachen zu tun“, sagt sie, „und ich will euch gern erklären, was diese drei Dinge zu bedeuten haben.“

Wir müssen noch ein wenig warten, denn die alte Dame, die gar nicht gebrechlich aussieht, denkt erst einmal nach.

„Ich lebe, wo der Geist lebt. Der Geist Gottes. Der Geist der Liebe zwischen Jesus, dem Sohn Gottes, und seinem Vater im Himmel. Aber dieser Geist ist nicht sichtbar für die Menschen. Aber trotzdem hat Jesus diesen Geist seinen Jüngern versprochen. Sie wussten nicht, wie sie ihn bekommen würden. Sie wussten nur, dass sie zu warten hatten. Dass sie selber einfach nichts weiter tun konnten, um ihn zu bekommen.

Und als sie ihn dann bekamen, da war dieses Erlebnis so überwältigend neu und großartig für sie, dass sie gar nicht in nüchternen Worten beschreiben konnten, was da geschehen war. Man hielt sie sogar für betrunken. Und es konnte auch niemand begreifen, der nicht selber vom Geist Gottes angerührt war, was da wirklich geschehen war. Da war nämlich Gott selbst in die Herzen der Jünger gekommen, ein neuer Geist hatte von ihnen Besitz ergriffen. So wie kein Mensch einen Sturm rufen kann, so war diese Veränderung von Gott her plötzlich über sie gekommen. Und so wie ein Wind selbst zwar nicht sichtbar ist, aber doch seine Wirkungen unübersehbar sind, so sieht man zwar auch den Geist nicht, aber doch seine Wirkungen an den Jüngern: aus verzagten und traurigen Jüngern, die von Jesus hatten Abschied nehmen müssen, werden zuversichtliche und getröstete Apostel, die den Mund aufmachen und allen Leuten bezeugen: ‚Unser Herr Jesus Christus, der gekreuzigt wurde, lebt! Er ist auferstanden! Er hat den Tod überwunden!‛ Aus zurückgezogenen und ängstlichen Jüngern, die sich vor Verfolgung fürchteten, werden mutige Apostel, die für die Wahrheit einstehen und jedem ins Gesicht sagen: ‚Du lebst in Feindschaft gegen Gott, auch wenn du meinst, ein noch so guter Mensch zu sein. Lass dich versöhnen mit Gott! Nimm die Vergebung an, die Jesus Christus am Kreuz errungen hat!‛ So ungefähr sahen einige der Wirkungen aus, die der heilige Geist bei den ersten Christen damals hervorgerufen hatte.“

Als die alte Dame so weit erzählt hat, müssen wir einmal kurz unterbrechen. „Sie meinen also nicht, dass da wirklich ein Sturm getobt hat in dem Haus, wo die Jünger zusammen waren?“

„Wirklich ein Sturm?“ reagiert Frau Kirche verwundert. „Natürlich nicht so ein Sturm, wie wir ihn aus dem Wetterbericht kennen. Kein Sturm, wo kalte und warme Luftmassen sich bewegen, Tief- und Hochdruckgebiete eine Rolle spielen. Aber im bildlichen Sinn doch wirklich ein Sturm, eine mächtige Bewegung, denn nichts ist schwerer, als das Herz eines Menschen zu verändern, in Bewegung zu setzen, Trost da hervorzurufen, wo Verzweiflung war, Mut da aufzurichten, wo Feigheit war, Ratlosigkeit durch Gewissheit, Hass durch Liebe, Gleichgültigkeit durch Anteilnahme zu überwinden. Ebenso ist selbstverständlich auch das Feuer hier keine Angelegenheit der Feuerwehr. Die hätte ja eingreifen müssen, wenn die Köpfe der Jünger hier buchstäblich Feuer gefangen hätten, wenn wie in einem Blitzschlag Feuer vom Himmel geregnet wäre. Nein, wir sollten uns lieber mal dieses Bild im Geiste vorstellen: die Jünger da mit ihren Flammenzungen auf den Köpfen, erinnern sie nicht an leuchtende, brennende Kerzen? So strahlen sie Hoffnung aus, sind sie ein lebendiges Sinnbild für Wärme und Helligkeit und Liebe. Sie sind Feuer und Flamme für ihren Herrn Jesus Christus und tragen die Botschaft von Jesus zu vielen anderen Menschen. Sie geben diese Botschaft weiter wie ein Feuer, das wärmt und erleuchtet, aber nicht zerstört und. verbrennt.“

„Aber“, so werfen wir ein. „Sowohl Sturm als auch Feuer sind doch Naturgewalten, die auch zerstörerisch sein können. Und im Laufe Ihres Lebens ist ja auch in Ihrem Namen, im Namen der Kirche, oft ein Feuer und ein Sturm gegen Menschen angefacht worden, die als Feinde der Kirche angesehen wurden. War das nicht ein zerstörerischer Geist, ein Feuer und ein Sturm, die Menschen vernichtet haben?“

Die alte Dame, die Kirche heißt, nickt traurig. „Das sind die traurigsten Kapitel in meinem Leben. Überall da, wo das geschehen ist, war ich tot oder todkrank. Denn der heilige Geist war da nicht mehr am Werk, sondern ein Geist, der von menschlicher Macht und Gewalt ausging. Der heilige Geist ist ein Feuer der Liebe und ein Sturm der Sanftmut. Er ist da, wo Menschen sich nicht mehr auf sich selbst, sondern nur noch auf Gott verlassen. Der heilige Geist zerstört und vernichtet keinen Menschen. Allerdings, etwas fegt der Sturm des Geistes doch hinweg: alle Sünde des Menschen, jeden Hochmut, als könnten wir vor Gott etwas vorweisen, jede Trägheit, als wären wir von Gott zu nichts zu gebrauchen, jede Lebenslüge, als könnte unser Leben noch einen anderen Sinn haben als den: von Gott alles zu erwarten. Alles, was uns von Gott trennt, wird im Feuer des Geistes verbrannt, unsere Feindschaft gegen Gott, in der alle Menschen außer Jesus gefangen sind, zählt nicht mehr.“

„Danke, liebe Frau Kirche“, wollen wir langsam zum Schluss unseres Gesprächs kommen. „Sagen Sie uns jetzt nur noch eins: was hat es mit den fremden Sprachen auf sich? Wieso konnten die Apostel plötzlich an Ihrem Geburtstag damals Sprachen sprechen, die sie nicht gelernt hatten?“

Die alte Dame schüttelt langsam den Kopf. „Es geht hier wieder nicht um eine Art vereinfachten Sprachunterricht. Fremdsprachenkurs in wenigen Sekunden oder so. Es ist vielmehr immer so, dass jemand, der vom Geist Gottes erfüllt worden ist, mit fremden Menschen zu tun bekommt. Und diese Fremden bleiben ihm nicht fremd. Sie werden ihm zum Nächsten, den er lieben soll. Lieben wie sich selbst. Und wenn das geschieht, dass ich fremde Menschen als meine Nächsten ansehe und für sie das tue, was ich für mich selber auch wünsche – dann verstehe ich diesen Menschen und er versteht mich, auch wenn wir verschiedene Sprachen sprechen. Türken und Deutsche, Amerikaner und Russen, Weiße und Schwarze, Juden und Christen – es gibt keine Fremden mehr, die ich als Christ einfach übersehen, von mir wegschieben oder gar verachten könnte. Oder wenn ich mich mit meinem Nachbarn nicht gut verstehe – das ist doch schlimmer, als wenn ich eine andere Sprache sprechen würde. Wer um den heiligen Geist bittet, wer auf ihn wartet und ihm was zutraut, der lernt auch, über den eigenen Schatten zu springen und die Hand zur Versöhnung zu reichen, zu verzeihen oder um Verzeihung zu bitten, auch wenn es schwerfällt.“

Wir haben jetzt so lange dieser alten Dame Kirche zugehört, vielleicht verstehen wir jetzt ein bisschen, wie sie so alt werden konnte, welche Kraft dahintergesteckt hat. Aber sie hat ja heute Geburtstag, und darum fragen wir sie noch: „Was wünschen Sie sich eigentlich zum Geburtstag?“ „Ganz einfach“, gibt Frau Kirche zur Antwort. „Ich wünsche mir, dass ihr den heiligen Geist mehr in Anspruch nehmt. Belastet ihn ruhig mehr, traut ihm mehr zu. Gerade wenn ihr am Ende seid, keine Kraft mehr habt – Gott schenkt sich euch, er ist dann eure neue Kraft, heiliger Geist in euch. Ihr braucht nur um diesen Geist zu bitten.“

Damit verabschieden wir uns. Unser Gespräch mit Frau Kirche ist beendet. Wir erinnern uns, dass wir ja alle zur Kirche gehören, dass wir alle miteinander hier auch Kirche sind. Stehen wir dazu? Sind wir offen für den Geist, der die Kirche erst wirklich zur Kirche Gottes macht? Setzen wir uns dem Sturm und dem Feuer des Geistes aus? Sind wir bereit, unsere Feindschaft gegenüber Gott begraben sein zu lassen und damit auch jede Feindschaft zu anderen Menschen? Wenn ja, dann lasst uns nun gemeinsam beten: Gott, ich bitte um deinen Geist! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Lied EKG 99, 1-4 (EG 124):

1. Nun bitten wir den Heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist, dass er uns behüte an unserm Ende, wenn wir heimfahrn aus diesem Elende. Kyrieleis.

2. Du wertes Licht, gib uns deinen Schein, lehr uns Jesus Christ kennen allein, dass wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland, der uns bracht hat zum rechten Vaterland. Kyrieleis.

3. Du süße Lieb, schenk uns deine Gunst, lass uns empfinden der Lieb Inbrunst, dass wir uns von Herzen einander lieben und im Frieden auf einem Sinn bleiben. Kyrieleis.

4. Du höchster Tröster in aller Not, hilf, dass wir nicht fürchten Schand noch Tod, dass in uns die Sinne nicht verzagen, wenn der Feind wird das Leben verklagen. Kyrieleis.

Nun lasst uns im Pfingstgottesdienst gemeinsam das heilige Abendmahl miteinander feiern. Denn der Geist ist zwar unsichtbar, aber seine Wirkungen sind sichtbar, wo zwischen uns Gemeinschaft entsteht, wo das Brot gebrochen und der Kelch getrunken wird als Zeichen dafür, dass wir uns auf das verlassen, was Jesus Christus für uns am Kreuz getan hat. Wir beten vor dem Abendmahl:

Herr, unser Gott, du mutest uns allerhand zu! Wir verlassen uns so gern auf uns selbst, auf unsere eigenen Kräfte. Und nun sollen wir auf deine Kraft, auf deinen Geist warten, die leeren Hände in den Schoß legen und warten, dass du sie füllst. Lehre uns erkennen, dass gerade darin wirklicher Segen für uns liegt und dass alles andere nur Selbstbetrug ist. Herr, unser Gott, manchmal sind wir ganz verzweifelt und wissen nicht weiter. Doch auch zu dir haben wir dann häufig kein rechtes Zutrauen. Wir erwarten von dir Hilfe in ganz bestimmter Weise, und sind enttäuscht, wenn du auf andere Art zu uns redest, anders mit uns umgehst. Hilf uns, dass wir mit dir ernst machen und nicht meinen, wir müssten alle Probleme allein bewältigen. Wir bekennen vor dir, Gott, unsere Schuld. Wir sind manchmal hochmütig und trauen uns zu viel zu. Wir sind manchmal wieder träge und mutlos und trauen uns zu wenig zu. Wir wollen häufig nicht sehen, dass es um unser ganzes Leben geht, wenn wir an dich glauben. Wir dürfen von dir alles erwarten, alles, was uns im Leben nottut, was wir im Leben und im Sterben brauchen. Und wir erbitten deine Vergebung für das, was wir dir immer wieder schuldig bleiben. Vergib uns unsere Schuld und schenk uns deinen heiligen Geist. Amen.

Einsetzungsworte
Lied 136: Christe, du Lamm Gottes
Austeilung

Lasst uns beten:

Wir bitten Gott, unseren Vater, um den Heiligen Geist, den Geist der Wahrheit und der Liebe, der Hoffnung und der Besonnenheit. Auf Gottes Wort hören, an seine Güte glauben, nach seinem Willen leben: Wie gut ist das, aber auch wie schwer! Wir brauchen den Heiligen Geist, der uns die Ohren auftut und das Herz bewegt, der uns den Verstand schärft und die Hände stärkt. Der Kirche angehören, in der Gemeinde mitarbeiten, für die Wahrheit des Glaubens eintreten: Oft scheint diese Mühe vergeblich. Wir brauchen den Heiligen Geist, damit uns Mut und Gehorsam, Geduld und. Hoffnung nicht ausgehen, damit unser Glaube wach bleibt.Die Welt wahrnehmen, wie sie ist; ihre Möglichkeiten ausschöpfen, ihre Grenzen sehen, ihre Probleme bewältigen oder auch nur ertragen: Wer von uns kann das? Wir brauchen den Heiligen Geist, um nicht den Mut zu verlieren und frei von Illusionen zu bleiben. Verheiratet sein, Kinder haben; als Familie leben: Viele von uns haben es so gewollt; warum dann die Klagen? Wir brauchen den Heiligen Geist, damit wir einander gerecht werden, uns gegenseitig vergeben und gemeinsam von neuem beginnen können. Abschied nehmen, allein sein, geliebte Menschen begraben: Keinem von uns bleibt das erspart. Wir brauchen den Heiligen Geist, um unsere Trauer zu überwinden und doch nicht zu vergessen, was war; um auch im Alter dankbar zu bleiben und bis ans Ende zu hoffen. Wir danken dir, Gott, dass du in allem, was uns widerfährt, nicht allein lässt, dass du dich über uns erbarmt hast. Durch Worte und Zeichen, auf vielfältige Weise kommst du uns nah; das glauben wir mit Jesus, deinem geliebten Sohn, in der Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Amen.

Vater unser
Lied EKG 108, 7 (EG 136):

7. Du Heilger Geist, bereite ein Pfingstfest nah und fern; mit deiner Kraft begleite das Zeugnis von dem Herrn. O öffne du die Herzen der Welt und uns den Mund, dass wir in Freud und Schmerzen das Heil ihr machen kund.

Abkündigungen und Segen

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