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David und Salomo – wie die Geschichte ihr Bild formte

Durch ihr Buch „Keine Posaunen vor Jericho“ wurden Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman im Jahr 2001 einem breiten Publikum bekannt. Fünf Jahre später entschlüsseln die Archäologen in einem weiteren gemeinsamen Buch über „David und Salomo“ den Mythos dieser biblischen Könige und seine Entwicklung von den historischen Wurzeln durch die Jahrhunderte des Königreichs Juda hindurch bis in unsere Zeit.

Eine Scheibe aus Metall mit der Darstellung des Davidssterns
Der Davidsstern bestätigt die bleibende Bedeutung Davids und der biblischen Überlieferungen von David und Salomo bis in die heutige Zeit (Bild: Ri ButovPixabay)

Inhaltsverzeichnis

1 Spurensuche nach David und Salomo im 10. Jahrhundert v. Chr.

2 Davids Aufstieg vom Banditen zum Stammesführer

3 Saul als Stammesfürst im nördlichen Bergland und der Feldzug des ägyptischen Pharao Scheschonk I.

4 Davids „Hofgeschichte“ spiegelt die Zeit Omris und ihres Niedergangs wider

5 Nationales Geschichtswerk des Königreichs Juda zur Integration der Flüchtlinge aus dem untergegangenen Reich Israel

6 König Salomo als Spiegelbild der Machtentfaltung von König Manasse

7 Sozialkritik und panisraelitische Hoffnungen unter Josia im deuteronomistischen Geschichtwerk

8 David und Salomo als Gründerväter eines um den Tempel in Jerusalem konzentrierten Judentums

9 David und Salomo als Identifikationsfiguren im Messianismus und Christentum, im Judentum und im Islam

1 Spurensuche nach David und Salomo im 10. Jahrhundert v. Chr.

Das Buch von Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman, David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München 2006, empfehle ich nachdrücklich zur Lektüre, da es einen faszinierenden Einblick in die Arbeit der biblischen Archäologie gibt, in fairer Weise zwischen historischen Ursprüngen der Überlieferungen von David und Salomo und ihren vielfältigen Bearbeitungen innerhalb der Bibel unterscheidet und auch auf die Art und Weise eingeht, wie die Geschichte dieser Könige in verschiedenen kulturellen Zusammenhängen aufgenommen wurde (alle Seitenzahlen dieses Beitrags beziehen sich auf die jeweils folgenden Zitate aus dem von mir besprochenen Buch; längere Zitate sind blau hinterlegt).

Bis in unsere Tage hinein (S. 10) wurde „die biblische Erzählung von David und Salomo … als ein Lehrstück für den Mut, das Gottvertrauen und die Weisheit betrachtet, die ein Volk aus der Unterdrückung befreien und ihm Unabhängigkeit und Wohlstand schenken“:

Die Geschichte von der Gründung eines mächtigen und prosperierenden vereinigten Königreichs Israel gestaltet ein Herrschaftsmodell, das sich der jüdisch-christlichen Tradition und all jenen Gesellschaften eingeprägt hat, die ihre Legitimität aus diesem Modell bezogen.

Finkelstein und Silberman (S. 11) werfen einen neuen

Blick auf die Geschichte Davids und Salomos – unter Berücksichtigung der zahlreichen neuen archäologischen Erkenntnisse über den Werdegang der altisraelitischen Gesellschaft, in der die biblische Erzählung entstand. Wir werden versuchen, die historischen Ereignisse vom Mythos, authentische Erinnerungen von späteren Hinzufügungen, die Fakten von königlicher Propaganda zu trennen und die Geschichte Davids und Salomos von ihren Ursprüngen bis zu ihrer endgültigen biblischen Form nachzuzeichnen.

Als Quellen für ihre Forschungen berufen sich die Autoren (S. 20) vor allem auf die biblischen Bücher Josua, Richter, Samuel und Könige, die nach „Ansicht vieler Bibelwissenschaftler“ das so genannte „Deuteronomistische Geschichtswerk“ (also eine vom 5. Buch Mose, dem Deuteronomium, her gedeutete Geschichte Israels) darstellen und das „in der uns heute vorliegenden Form im ausgehenden 7. Jahrhundert v. Chr. während der Regierungszeit König Josias von Juda (639-609 v. Chr.), also rund dreihundert Jahre nach David und Salomo“ entstand. Dieser Text ist „ein literarischer Flickenteppich“ und

enthält eklatante Widersprüche und Brüche, einzelne poetische Stücke, Zitate aus anderen Werken, geographische Listen, all das immer wieder von langen erzählerischen Passagen unterbrochen.

Innerhalb dieses biblischen Werkes (S. 22f.) basieren die

bekannten Geschichten über David und Salomo … zwar auf einigen wenigen älteren volkstümlichen Überlieferungen, sind jedoch das Ergebnis redaktioneller Überarbeitung und Erweiterung im Verlauf der vierhundert Jahre nach der Regierungszeit Davids und Salomos. Ihre historische Glaubwürdigkeit ist gering; doch wir werden zeigen, daß sie ein erstaunliches neues Bild von den Ursprüngen der biblischen Tradition liefern, und sehen, warum sie bis heute nichts von ihrer Kraft verloren haben.

Die so genannten historischen „Minimalisten“ behaupten (S. 230), dass praktisch die gesamte biblische Vorgeschichte erst in „in persischer und frühhellenistischer Zeit in Jerusalem“ erfunden worden ist. Dagegen führen Finkelstein und Silberman ins Feld, dass „die Fähigkeit zu lesen und zu schreiben“ in dieser Zeit „nicht mehr, sondern eher weniger verbreitet“ war

als im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr., und dementsprechend wurde an den Höfen sehr viel weniger aufgezeichnet. Wie die Minimalisten davon auszugehen, daß die Schreiber einer kleinen, entlegenen Tempelstadt im Bergland von Juda im 5., 4. oder sogar 2. Jahrhundert v. Chr. ohne Hinzuziehung älterer Quellen ein derart umfangreiches und detailliert ausgestaltetes Werk über die historischen Akteure und Ereignisse eines imaginären eisenzeitlichen „Israel“ verfassen konnten, ist unter diesen Umständen selbst eine Glaubensfrage.

Hinzu kommt, dass die (S. 230f.) „vielen Namenslisten und Detailangaben zur Verwaltungsorganisation des Königreichs Juda, wie sie im Deuteronomistischen Geschichtswerk zu finden sind, … für eine rein mythische Komposition übertrieben, ja überflüssig“ anmuten. „Ihre Übereinstimmung mit der historischen Wirklichkeit wiederum ist verblüffend.“ Hinzu kommt (S. 231): „Ein Großteil des Deuteronomistischen Geschichtswerks wurde im Hebräisch der späten Königszeit verfaßt, das sich vom Hebräisch der nach­exilischen Zeit unterscheidet.“

Als die „israelischen Archäologen Abraham Biran“ und „Gila Cook“ die so genannte Tell-Dan-Stele entdeckten, gab es endlich (S. 232) eine außerbiblische Bestätigung für die Existenz eines königlichen „Hauses Davids“ bereits im 9. Jahrhundert v. Chr. Die Entdeckung dieser Inschrift (S. 233) war für

die Minimalisten und ihre Behauptung, die biblischen Erzählungen seien spät entstanden und völlig frei erfunden und David sei eine fiktionale Figur, … ein schwerer Rückschlag.

Aber wann genau haben David und Salomo tatsächlich regiert?

Finkelstein und Silberman orientieren sich (S. 23) „mit aller gebotenen Vorsicht… an der Chronologie des Deuteronomistischen Geschichtswerks“, das in den Königebüchern für die „Könige Judas und des Nordreichs Israel … in den meisten Fällen das Alter der beiden Könige zum Zeitpunkt ihrer Thronbesteigung und die Dauer ihrer Herrschaft“ verzeichnet. Sie rechnen vom „letzten Hinweis auf einen König der davidischen Dynastie“ aus zurück, nämlich „der Freilassung des letzten noch lebenden davidischen Königs Jojachin aus babylonischer Gefangenschaft (2 Kön 25,27) im ersten Jahr des babylonischen Herrschers Amel-Marduk (in der Bibel Ewil-Merodach genannt)“, also 561 v. Chr., und stellen „unter Berücksichtigung widersprüchlicher Angaben aus anderen altorientalischen Quellen, offensichtlicher Schreibfehler, verdächtig runder Zahlen und möglicher Überschneidungen in der Regierungszeit von Königen und ihren Nachfolgern … eine chronologische Abfolge her…, die bis zu David und Salomo zurückreicht.“

Dabei gelangen sie zu einem Regierungsantritt Rehabeams im Jahr 931 v. Chr. Sie kündigen aber bereits hier an (S. 25), dass sich für die Datierung „des Eroberungszugs des ägyptischen Pharao Scheschonk (in der Bibel Schischak) im fünften Jahr der Regierung von Salomos Sohn Rehabeam“ (nach ihrer Liste um 926) „bedeutende und folgenschwere Probleme“ ergeben.

Die Regierungszeiten Davids und Salomos von jeweils 40 Jahren wiederum sind verdächtig rund und die Zahlen für König Saul so „ungenau wiedergegeben“, dass er 2 und 20 Jahre lang regiert haben könnte, wobei nicht einmal klar ist (S. 26), ob „Saul und David nacheinander regierten“. Daher gehen die Autoren mit „einiger Sicherheit“ lediglich davon aus, dass „sie irgendwann im 10. Jahrhundert v. Chr. regierten.“

Um in diesem Jahrhundert „Spuren Davids und Salomos“ finden zu können, stützen sich Finkelstein und Silberman auf archäologische Funde, die nachweisen, dass „das 10. Jahrhundert v. Chr. eine Periode der politischen und sozialen Unruhen“ war:

Nach dem Ende der spätbronzezeitlichen Kultur (um 1550 – um 1150) entstanden überall im östlichen Mittelmeerraum und in weiten Teilen des Vorderen Orients neue territoriale Einheiten und ethnische Gruppen. Die unabhängigen phönikischen Stadtstaaten entlang der Nordküste erstarkten wirtschaftlich. Die Philister in den südlichen Küstenstädten erweiterten ihr Herrschaftsgebiet und pflegten enge Beziehungen mit einem geschwächten Ägypten. Einige der alten kanaanäischen Städte in den Ebenen wie zum Beispiel Megiddo erlebten einen kurzen Nachsommer des wirtschaftlichen Wohlstands. Und im Bergland, dem Kernland Israels und Ursprung seiner königlichen Tradition, ist die große Zahl von Bauerndörfern in einem ehemals dünn besiedelten Landstrich Beleg für den Aufstieg einer Kultur und Gesellschaft, deren Mitglieder sich später selbst als „Israeliten“ bezeichneten.

Gegenüber den Aussagen der Archäologie (S. 27) dürfen „Gründungsmythen der Antike“ zwar als „Ausdruck einer kollektiven Identität…, aber nicht als wahre, wörtlich zu nehmende Schilderungen historischer Begebenheiten angesehen werden.“ Das bedeutet:

David und Salomo sind zwar aller Wahrscheinlichkeit nach historische Gestalten, aber sie haben keine Ähnlichkeit mit ihren biblischen Porträts. … Wir möchten zeigen, wie sich die Legenden von David und Salomo bildeten und in welcher Weise sie das Denken und die religiösen und politischen Traditionen des Westens prägten.

2 Davids Aufstieg vom Banditen zum Stammesführer

Erste Spuren eines historischen David entdecken Finkelstein und Silberman (S. 31) dort, wo die „biblische Erzählung von Davids Aufstieg zur Macht (1 Sam 16,14 – 2 Sam 5) … Züge einer klassischen Banditengeschichte“ gewinnt und „damit ihre ältesten Wurzeln zu erkennen“ gibt:

Mit anderen Worten: Der historische David, der uns aus den archäologischen und historischen Quellen entgegentritt, wurde zunächst als Anführer einer Räuberbande berühmt.

Aber (S. 33) wie lässt sich „diese Geschichte vom Aufstieg eines Banditen auf ihre historische Stichhaltigkeit überprüfen?“ Sie kann auf „der Grundlage von archäologischen Funden und Indizien im Text selbst … frühestens zweihundert Jahre nach Davids Tod schriftlich niedergelegt worden sein“, aber es

finden sich in ihr erstaunlich präzise Erinnerungen an die Umstände, die im 10. Jahrhundert im Bergland von Juda herrschten – und damit zumindest Spuren authentischer Begebenheiten aus dem Leben des jungen David.

Ein solche „intime Vertrautheit mit der Landschaft Judas und Israels zu jener alten Zeit“ stand späteren Bearbeitern der Geschichte nicht mehr zur Verfügung. Hinzu kommt (34):

Die Ortsnamen und geographischen Angaben in der David-Geschichte im ersten Buch Samuel … bekunden … Vertrautheit mit den damaligen Machtverhältnissen – ein Wissen, das, ehemals lebendig, im Laufe der Generationen seine Bedeutung verlor, als neue Städte, neue Wüsten und neue landwirtschaftliche Anbauflächen entstanden. Wie Fossilien, eingeschlossen im Felsgestein der biblischen Überlieferung, sind sie als markante Objekte erkennbar und können einer ganz bestimmten historischen Epoche zugeordnet werden.

Wie sah in dieser Zeit, als „David vom Schafhirten zum nationalen Führer aufstieg“, das „Bergland von Juda“ aus?

Naturräumlich und topographisch ist es (S. 34f.)

eine isolierte, vom Rest des Landes abgeschnittene Region, die nur durch eine schmale, von Norden nach Süden verlaufende Hochebene mit den traditionell wichtigen Städten Jerusalem, Bethlehem und Hebron verbunden ist. Seine Topographie ist – damals wie heute – schroff, der Boden felsig und karg, die Niederschläge unregelmäßig.

Umgeben ist dieses Bergland (S. 35)

  • im Westen von „einem Hügelland…, genannt die Schefela“, zu dem es „stufenweise über schmale Felskämme mit steilen, durch tiefe Schluchten getrennten Flanken“ abfällt; weiter im Westen ist die Schefela „lieblicher, das Land fruchtbar und dicht besiedelt“, dann schließt sich das Gebiet der „philistäischen Küstenstädte…“ an;
  • im Osten von der „Wüste Juda“; nur „wenige Kilometer weiter östlich wird die Landschaft immer trockener und schroffer“, hier gibt es „von Höhlen durchzogene Canyons“ und „Sturzbäche mit winterlichem Schmelzwasser“, die „ins Tote Meer und in den Jordangraben“ rauschen;
  • im Süden (S. 36) das „Beerscheba-Tal“, wohin sich „der Übergang vom kultivierbaren Land zu den Trockengebieten … harmonischer“ vollzieht; hier liegt u. a. „Chirbet Karmil“, das dem „in der Abigajil-Episode (1 Sam 25)“ erwähnten „biblischen Karmel“ entspricht.

Für eine „chronologische Rekonstruktion“ reichen diese Angaben jedoch nicht aus, da sich die „naturräumlichen Bedingungen … seit Jahrtausenden kaum verändert“ haben:

Aber wenn wir Sicherheit darüber gewinnen wollen, daß die David-Geschichten mehr sind als reine Erfindung, angesiedelt in einer vertrauten Landschaft, müssen wir uns der Archäologie zuwenden und fragen, ob die sich hinter den Ortsnamen und geographischen Bedingungen verbergenden Strukturen menschlicher Besiedlung tatsächlich den Verhältnissen entsprechen, die im 10. Jahrhundert v. Chr. herrschten, späteren Generationen jedoch unbekannt waren und nicht einfach erfunden werden konnten.

Die „Methode der weiträumigen Oberflächenuntersuchung (‚survey‘)“ ermöglichte es der Archäologie, „eine völlig neue Sicht auf die Gesellschaftsentwicklung im Bergland von Juda im Laufe der Jahrtausende“ zu gewinnen, und zwar durch die „sorgfältige Untersuchung von Besiedlungsspuren über weite Areale hinweg, die Datierung anhand der typischen Keramik und die exakte kartographische Erfassung“.

Zunächst einmal (S. 37) deutet „in Juda nichts auf eine weitverbreitete Lese- und Schreibkundigkeit vor dem 8. Jahrhundert v. Chr.“ hin.

Die „frühestens zweihundert Jahre nach David schriftlich“ fixierte „Geschichte von Davids Aufstieg“ kann aber nicht komplett aus dem 8. Jahrhundert stammen, „als Juda eine voll entwickelte Monarchie war“.

Unter anderem „waren im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. die Randgebiete Judas, in denen David nach seiner Flucht vor Saul raubend und plündernd umherstreifte, dicht besiedelt und daher kaum geeignet für weiträumige Bewegungen und waghalsige Fluchten“; und „bereits im 9. Jahrhundert v. Chr.“ wurden die „zwei judäische Festungen (Beerscheba und Arad) … im Beerscheba-Tal gebaut, um die Straßen von Hebron in die Wüstengebiete im Süden besser zu kontrollieren. In dieser Zeit kam auch die Schefela unter die Kontrolle der königlichen Zentralmacht.“ Vor allem für „Lachisch und Beth-Schemesch“ lässt sich eine „rege Bautätigkeit im 9. Jahrhundert mit Verwaltungseinrichtungen zur Sicherung der Herrschaft Judas im Westen“ belegen; beide werden „im Zyklus der David-Geschichten … nicht einmal nebenbei“ erwähnt.

Hinzu kommt (S. 38), dass „die Philisterstadt Gat, die in den David-Geschichten eine herausragende Rolle spielt“, nach 2. Könige 12,18 „während der Regierungszeit König Joas‘ von Juda (um 830 v. Chr.)“ durch Hasaël, den „König von Damaskus“ erobert wurde; ihre Zerstörung gegen „Ende des 9. Jahrhunderts v. Chr.“ und der Verlust ihrer Bedeutung als führender Stadt der Philister wurde „durch archäologische Ausgrabungen in Tell es-Safi, dem Ort des alten Gat, bestätigt“.

Weiterhin ergaben „archäologische Oberflächenuntersuchungen“ im judäischen Berland „in der späten Bronze- und frühen Eisenzeit (ca. 1550-900 v. Chr.)“ nicht mehr als „eine Handvoll dauerhafte Siedlungen, zumeist winzige Dörfer (unter ihnen auch Jerusalem)“, mit nur (S. 40) „wenigen tausend“ sesshaften Einwohnern; dafür war „der Anteil der nichtseßhaften Gruppen – Hirten und Viehzüchter – an der Gesamtbevölkerung relativ groß“, was durch „weit abseits der festen Siedlungen“ liegende Friedhöfe archäologisch belegt wird. Eine solche „Mischbevölkerung aus seßhaften Bauern und Hirten“ ist

oft als ‚dimorphe‘ Stammesgemeinschaft organisiert: Eine einzige Gemeinschaft lebt über ein weites Gebiet verstreut, auf dem zwei Formen der Subsistenzwirtschaft – Ackerbau und Viehzucht – nebeneinander existieren. Ihre politische Organisation basiert auf der Sippe; die seßhaften Dorfbewohner und die umherziehenden Hirten werden von einem Stammesoberhaupt regiert, das mit seinem bescheidenen Gefolge in einer kleinen Festung wohnt.

Ein solches „dimorphes Stammesgefüge“ in dieser Gegend belegen die so genannten Amarna-Briefe für das 14. Jahrhundert; damals (S. 41) „regierte in Jerusalem ein gewisser Abdi-Hepa“, der ein Gebiet „von Bethel etwa fünfzehn Kilometer nördlich von Jerusalem bis zum Beerscheba-Tal im Süden und von der Wüste Juda im Osten bis zur Grenze zwischen dem Bergland und der Schefela im Westen“ kontrollierte, also „ein Territorium, das in etwa identisch ist mit dem Kernland des späteren Königreichs Juda.“ Jerusalem war zu dieser Zeit (S. 42)

vermutlich nur ein Bergdorf mit einem schlichten Palast, sehr viel bescheidener als die prachtvollen Fürstenresidenzen der Hauptstädte im Tiefland. Neben dem Palast befand sich wohl ein kleiner Tempel, darum herum vielleicht die Wohnhäuser der herrschenden Oberschicht, hauptsächlich der Familie des Regionalfürsten. Bedeutender war der Ort mit Sicherheit nicht.

Dieses „Gesamtbild des südlichen Berglands änderte sich im wesentlichen kaum“; es blieb „bis zum Aufstieg des Königreichs Juda im 9. Jahrhundert v. Chr. – ein ganzes Jahrhundert nach David – unverändert.“

Um Davids Aufstieg zur Macht zu erklären, fragen sich nun Finkelstein und Silberman, ob David vielleicht zu den Apiru gehörte, die bereits in den Amarna-Briefen erwähnt werden (S. 43):

Dieser Begriff, manchmal auch als „Habiru“ wiedergegeben, wurde früher mit der Bezeichnung „Hebräer“ in Verbindung gebracht. Doch aus den ägyptischen Texten geht klar hervor, daß der Name keine bestimmte ethnische Gruppe, sondern eine in Krisen geratene sozioökonomische Klasse bezeichnete. Die Apiru waren entwurzelte Bauern und Hirten, die zu Banditen wurden oder sich als Söldner in den Dienst dessen stellten, der ihnen am meisten bot. Jedenfalls waren sie eine Bedrohung für die Stabilität der Herrschaft lokaler Potentaten und der ägyptischen Macht im Lande.

In „seiner Untersuchung zum Phänomen des Sozialbanditentums (Die Banditen; 1972)“ hat der „englische Sozialhistoriker Eric Hobsbawm“ dargelegt (S. 44), dass „das Banditen- und Rebellentum in schwer zugänglichen Gebirgsgegenden und Grenzlandgebieten besonders gedieh“ und „die typische Bande in einem solchen Bergland aus jungen Hirten, landlosen Tagelöhnern und manchmal ehemaligen Soldaten bestand“. Solche „Sozialbanditen werden mit einer Mischung aus Verachtung und Bewunderung betrachtet“, und genau das geht aus den Schilderungen von Davids Aufstieg im 1. Buch Samuel eindeutig hervor (S. 44f.):

Die Amarna-Briefe zeichnen ein Bild der Apiru als treulose, gefährliche Halsabschneider, die Bibel dagegen beschreibt David als wagemutig, bisweilen unberechenbar, von den Berglandbewohnern jedoch als ihr Beschützer und Führer anerkannt.

Schon in den Amarna-Briefen wird das „Dorf Keïla, das mit Chirbet Qila gleichgesetzt wird, … am östlichen Rand der oberen Schefela“, als Ansiedlung erwähnt, die immer wieder „den Angriffen von Herrschern aus der unteren Schefela und der Küstenebene ausgeliefert“ war. Zur Zeit Davids (S. 46) wird „rund vierhundert Jahre später in derselben Region und unter denselben Bedingungen“ die „Verteidigung Keïlas“ durch „eine Bande bewaffneter Männer“ übernommen, „die die Angreifer zurückschlagen und anstelle einer ohnmächtigen Zentralregierung auf eigene Faust handeln.“ Dass Apiru „sich keiner politischen Macht verpflichtet fühlten“, zeigt sich auch im „Falle Davids“, indem er etwa „zweimal auf dem Territorium der Philister Zuflucht suchte“, aber (S. 47) andererseits nicht davor zurückschreckte, sein „eigenes Volk auszuplündern“. Indem David wiederum nach „seinem großen Sieg über die Amalekiter .. den Ältesten im Bergland von Juda … großzügig einen Teil seiner Beute“ anbot, erreichte er längerfristig, dass diese Ältesten ihn „bei ihrer Versammlung in Hebron kurze Zeit später … zum ‚König‘ von Juda bestimmten“. Damit wurde David (S. 47f.) von „einem Nobody und Banditen … zum anerkannten Führer des dünn besiedelten südlichen Berglands“.

Aus all dem folgt (S. 50):

Die demographischen, sozialen und politischen Verhältnisse, die in den Geschichten über David als Apiru zum Vorschein kommen, spiegeln Erinnerungen an eine Frühzeit – es können Erinnerungen an Zustände, wenn nicht gar an Ereignisse aus dem 10. Jahrhundert v. Chr. sein.

Aber der „Erzählzyklus über David als Apiru mit recht zuverlässigen Erinnerungen an die zeitgeschichtliche Situation im Bergland zu Beginn seiner steilen Karriere wurde vermutlich rund zweihundert Jahre lang mündlich weitergegeben – bis zum 8. Jahrhundert v. Chr., als in Juda eine Oberschicht lesen und schreiben gelernt hatte.“ Die (S. 51) in 2. Samuel 21,15-22 und 23,8-39 aufbewahrten „farbenfrohen, jedoch fast telegrammstilartigen Schilderungen heroischer Taten … von Davids Gefolgsleuten“ belegen jedoch (S. 53) in „ihrer abrißhaften Form…, daß die Redaktoren der biblischen Texte ein umfangreiches Traditionsgut zur Verfügung hatten, aus dem sie schöpfen konnten“, um später eine schriftliche Davidsgeschichte verfassen zu können.

Das Besondere an David war (S. 55), dass er zwar „keinen kometenhaften Aufstieg“ vollzog, aber auch „kein Stern“ war,

der rasch wieder erlosch, nur noch in den Volkserzählungen über einen berühmten lokalen Banditenkönig weiterlebte und bald vergessen war. Sei es durch List, Klugheit oder außergewöhnliche historische Umstände, von all den Rebellen und Freibeutern, die die schroffen Landstriche zwischen dem Toten Meer und den Ausläufern des Berglands von Juda durchstreiften, gründete einzig und allein David eine Dynastie, die vierhundert Jahre lang regierte.

Bis jetzt ist allerdings noch nicht bewiesen, dass Davids tatsächlich bereits ein Mann des 10. Jahrhunderts war. Er könnte nach den bisherigen archäologischen Belegen auch im erst 9. Jahrhundert seinen Aufstieg von Banditenführer zum Stammesführer oder „König“ in Hebron und Jerusalem vollzogen haben.

3 Saul als Stammesfürst im nördlichen Bergland und der Feldzug des ägyptischen Pharao Scheschonk I.

Nach der Bibel wird David aber erst König, nachdem Saul, der erste König Israels, gestorben ist. Beide Gestalten sind (S. 58)

eng verknüpft mit einem Grundkonflikt der späteren israelitischen Geschichte – dem Problem der Rechtmäßigkeit der Macht des Südens, die vom Norden angefochten wird. David ist der herausragende Mann Judas und des südlichen Berglands, Saul die Personifikation der gerechten Wut des nordisraelitischen Berglands.

Finkelstein und Silberman (S. 59) wollen „Sauls historische Glaubwürdigkeit“ nicht schon deswegen bestreiten, weil er „in keiner einzigen außerbiblischen Quelle erwähnt“ wird. Eine (S. 60) Datierung seiner Regierungszeit „im ausgehenden 11. Jahrhundert, um 1030-1010 v. Chr.“, aber zweifeln sie schon wegen der runden 40 Jahre an, die David und Salomo jeweils regiert haben sollen, und weil (S. 60f.) „sich die Regierungszeiten Sauls und Davids überschnitten“ haben können. Daraus (S. 61) „ergibt sich, daß Saul, David und Salomo, also alle drei, im 10. Jahrhundert v. Chr. lebten. Genaueres läßt sich nicht sagen.“

Die Größe von „Sauls Königreich“ erschließen die Autoren aus den biblischen Angaben über die „wichtigsten Schauplätze der Saul-Geschichte“, nämlich „Rama, Mizpa, Geba, Michmas und Gibeon“, die „allesamt im benjaminitischen Bergland nördlich von Jerusalem“ liegen. Weiter wird „das Gebiet von Schalischa, Schaalim und Zuf im Gebirge Ephraim…, das sich nördlich von Juda in das reichere und fruchtbarere Bergland westlich des Jordans erstreckt“, und „das Bergland östlich des Jordans“ in der Gegend „von Jabesch in Gilead“. Hier sollen „die Leichname Sauls und seiner Söhne“ begraben worden sein, und „Sauls Sohn und Erbe Isch-Boschet“ wird in der „Stadt Mahanajim in derselben Region … zum ‚König über Gilead, Asser, Jesreel, Ephraim, Benjamin und über ganz Israel‘“ gemacht. Das lässt darauf schließen (S. 62), dass „Saul als Stammesführer im 10. Jahrhundert v. Chr. im nördlichen Bergland lebte und ein großes Gebiet beiderseits des Jordans beanspruchte“, denn ein solches

Konglomerat von Völkern und Territorien beiderseits des Flusses Jordan entspricht keiner späteren territorialen Einheit in der Geschichte Israels. Und die Bibel verwendet bei ihren Angaben zu Sauls Stammesgebiet auch nicht die geographischen Bezeichnungen, die in der späten Königszeit für diese Region üblich waren.

Dieser Landstrich war „im ausgehenden 11. und 10. Jahrhundert … im Verlauf mehrerer Besiedlungswellen relativ dicht bevölkert“ (S. 62f.):

Die Bevölkerungszahl lag schätzungsweise bei 40 000 gegenüber knapp 5000 im gesamten Bergland von Juda.

In großen Teilen (S. 63) „des Berglands nördlich von Jerusalem“ gab es „fruchtbares Ackerland“ mit besten „Bedingungen für den Getreideanbau“, außerdem

wurden Terrassen für den Wein- und Olivenanbau angelegt. … In Silo, wo sich der Bibel zufolge gegen Ende der Richterzeit ein Zentralheiligtum befand, wurde ein Getreidespeicher freigelegt, in Sichem der alte monumentale Tempel.“

Ähnlich dramatisch stieg die Zahl der Siedlungen jenseits des Jordans, im Norden des ostjordanischen Hochlands. Auch hier wuchs die Zahl der Ortschaften von dreißig in der späten Bronzezeit auf zweihundertzwanzig in der frühen Eisenzeit. Im Gebiet von Gilead mit seiner fruchtbaren Hochebene und vielfältigen Anbaumöglichkeiten ergaben Oberflächenuntersuchungen die größte Siedlungsdichte dieser Epoche, was auf eine bedeutende seßhafte Bevölkerung schließen läßt.

In der Zeit der Amarna-Briefe war das nördliche Bergland „von Sichem aus von einem Lokalfürsten namens Labaja regiert“ worden, der (S. 64) wiederholt „ins Tiefland vorstoßen und ein größeres Gemeinwesen gründen“ wollte. Dieses „Zentrum der Macht“ verschob sich „vom nördlichen Bergland in den Jahrhunderten nach der Amarna-Zeit immer weiter nach Süden“, nämlich in das „nördlich von Jerusalem“ gelegene „Territorium mit einer Fläche von nicht mehr als 160 Quadratkilometern, das, wie wir gesehen haben, in der biblischen Überlieferung als Sauls Stammland beschrieben wird“.

Genau hier vollzog sich nun „eine krisenhafte Entwicklung, in deren Verlauf viele Siedlungen …“ (S. 65) „Ende des 10. Jahrhunderts v. Chr. aufgegeben und nie wieder besiedelt“ wurden. Das passt jedenfalls nicht zu einer „Periode relativen Friedens und Wohlstands unter König Salomo“, wie sie in der Bibel dargestellt wird.

Finkelstein und Silberman kommen in diesem Zusammenhang auf die Idee (S. 67), diese Krise mit einem ägyptischen „Pharao der 22. Dynastie aus dem 10. Jahrhundert v. Chr.“ in Verbindung zu bringen, nämlich Scheschonk I. Der soll – in der Bibel Schischak genannt – nach 1. Könige 14,25f. unter Salomos Sohn Rehabeam gegen Jerusalem heraufgezogen sein und den Tempel beraubt haben. Tatsächlich hat er „zwei Jahrhunderte nach dem Untergang des ägyptischen Weltreichs … alte Vormachtpositionen zurückzugewinnen“ versucht; ein von ihm unternommener „Feldzug nach Norden in das Land Kanaan“ ist „auf der Außenwand des Großen Säulensaals im Amun-Tempel von Karnak bildlich festgehalten“, und eine dort aufgeführte „Liste mit Ortsnamen“ liefert „Hinweise auf die Route von Schischaks Eroberungszug“. Diese enthält nun allerdings zwar „Dörfer und Städte … in einer Region des zentralen Berglands nördlich von Jerusalem“ sowie „in einem Gebiet im Ostjordanland am Fluß Jabbok und in der Jesreel-Ebene“, dagegen tauchen „Jerusalem und das Bergland von Juda, ja praktisch das ganze Gebiet Juda (in der Bibel Hauptangriffsziel des Pharaos) in dieser Liste“ überhaupt nicht auf.

Wann genau dieser Feldzug Scheschonks I. stattfand, ist nicht sicher. Er kann (S. 68) „fast zu jedem Zeitpunkt zwischen der Mitte und dem Ende des 10. Jahrhunderts v. Chr. stattgefunden haben“ und muss „keineswegs zwingend in die Regierungszeit Rehabeams datiert werden“ muß.

Aus zwei Gründen kann das Ziel dieses Feldzugs nicht wirlich Jerusalem gewesen sein (S. 72), erstens weil „Jerusalem … auf dem Karnak-Relief überhaupt nicht“ auftaucht und (S. 73) ein Pharao kaum „so bescheiden gewesen“ wäre, „die Demütigung des Herrschers einer so herausragenden Stadt und eines so mächtigen Staates unerwähnt zu lassen“ (falls Jerusalem unter Salomo eben wirklich schon so viel Pracht entfaltet hätte, wie es die Bibel berichtet), und zweitens weil „die Siedlung Jerusalem im 10. Jahrhundert v. Chr. nur ein kleines, armseliges Bergdorf war, ohne Monumentalbauten irgendwelcher Art“:

Jerusalem (oder irgendein anderer Ort in Juda) taucht auf der Siegesdarstellung von Karnak deshalb nicht auf, weil das südliche Bergland für Scheschonk völlig uninteressant war.

Stattdessen (S. 72) wurde „die Aufmerksamkeit des ägyptischen Pharao“ auf genau die „entlegenen Gebiete von relativ geringer geopolitischer Bedeutung gelenkt“, die biblisch mit König Saul in Verbindung stehen:

Eine Möglichkeit ist, daß das Gebiet um Gibeon und die Siedlungen entlang des Flusses Jabbok im Ostjordanland Mittelpunkte eines aufstrebenden politischen Gebildes waren, stark genug, die wiederaufkeimenden ägyptischen Vormachtsbestrebungen zu gefährden. …

Zwar (S. 69) „hatten die ägyptischen Pharaonen im allgemeinen darauf verzichtet, Truppen in das dünn besiedelte, bewaldete und zerklüftete Bergland zu schicken, wo Streitwagen eher eine Last als ein Vorteil waren und mit Feindseligkeiten der isolierten, umherschweifenden Einwohner gerechnet werden mußte“, aber (S. 73) dieses „nordisraelitische Gemeinwesen unterschied sich grundlegend von dem dimorphen Banditenfürstentum im Süden“, und (S. 74) die Stadt „Gibeon … war vermutlich der Sitz eines mächtigen Stammesverbands“, der „expansionistische Bestrebungen verfolgte“:

Wir gewinnen hier einen einzigartigen Einblick in die dramatische Konfrontation zwischen einem wiedererstarkten Ägypten und einem aggressiven Gemeinwesen im Bergland, das die biblische Überlieferung mit Saul in Zusammenhang bringt.

Dieses Gemeinwesen im nördlichen Bergland – das immer noch viel zu dezentral und unorganisiert war, um es als Königreich zu bezeichnen – bedrohte womöglich die Sicherheit der Handelsrouten in der Küstenebene und durch die Jesreel-Ebene. Ägypten scheint diese Bedrohung erkannt zu haben. Dieses Gebiet mit seinen Hunderten von Dörfern und seinem relativen Bevölkerungsreichtum mußte unter Kontrolle gebracht werden – auch wenn die ägyptischen Streitkräfte lange zögerten, in dieses schroffe bewaldete Bergland vorzustoßen.

Die „archäologischen Befunde zeigen“, dass tatsächlich die „Ort­schaften nördlich von Jerusalem, die auf der Scheschonk-Liste genannt werden (und die die Bibel als Sauls Kernland bezeichnet), … im 10. Jahrhundert v. Chr. plötzlich aufgegeben“ wurden und dass Scheschonk (S. 71) auch „die Oberherrschaft über die wichtigsten Städte in den Tälern wiederherzustellen“ vermochte.

Wie passen in diese Zusammenhänge aber nun die in der Bibel dargestellten Beziehungen (S. 75) „zwischen den Stammesfürstentümern im nördlichen und südlichen Bergland im 10. Jahrhundert v. Chr.“, das heißt zwischen Saul und David? Eine „gemeinsame israelitische Identität gab“ es mit ziemlicher Sicherheit noch nicht; aber es „erscheint plausibel“, dass der Norden mit seinem erheblich größeren „Machtpotential“ versucht hat, „das südliche Bergland unter Kontrolle zu bringen“.

In „der biblischen Geschichte des frühisraelitischen Königreichs“ findet sich allerdings (außer in 2. Samuel 23,21) „nirgendwo ein Hinweis auf eine ernsthafte Bedrohung durch die Ägypter“. Angeblich sind es (S. 76) „die Philister, die im Gilboa-Gebirge den letzten großen Sieg“ über Saul erringen und nach 2. Samuel 31,10 „die Leichname Sauls und seiner Söhne an der Mauer der großen Festung von Beth-Schean“ aufhängen. „Was hatten die Philister hier zu suchen, so weit entfernt von ihrer Küstenenklave? Was taten sie hier mitten im Bergland?“

Finkelstein und Silberman erklären diese Unstimmigkeiten damit, dass „Beth-Schean als eine der wichtigsten ägyptischen Festungen und als bedeutendes Verwaltungszentrum im Kanaan der späten Bronzezeit“ gilt, die offensichtlich auch im 10. Jahrhundert „weiterhin ein potentieller Stützpunkt der ägyptischen Oberherrschaft“ blieb:

Der Grund dafür, daß die Präsenz der Philister in Beth-Schean und im Bergland jener Zeit in der Bibel erwähnt wird, könnte in der Beziehung der Philister zu Ägypten liegen…

Da „auf der Scheschonk-Liste keine einzige Philisterstadt erwähnt wird“, liegt es nahe, dass sie, die „lange als Söldner im Dienst der Ägypter gestanden“ hatten, „in diesem Feldzug und danach Verbündete Ägyptens waren“. Dass wiederum in „der biblischen Überlieferung die Ägypter in Vergessenheit“ gerieten, ist dadurch erklärbar, dass im „Lauf der Jahrhunderte, während die Heldengeschichten aus jener Epoche im Volk Juda immer wieder erzählt wurden, … Ägypten erneut an Bedeutung“ verlor (S. 76f.), „während die Philister nach wie vor präsent blieben, ja noch bedrohlicher wurden“. Es ist also (S. 77)

gut möglich, daß in der biblischen Erwähnung des philistäischen Angriffs auf das Bergland, der Errichtung von Garnisonen in Gibea (1 Sam 13,3) und Bethlehem (2. Sam 23,14) und der großen Schlacht zwischen den Philistern und den Israeliten in Beth-Schean tatsächlich die Erinnerung an das Bündnis der Ägypter mit den Philistern bewahrt ist.

Und da David der Bibel zufolge zwar „die Angriffe der Philister auf die Westgrenze Judas“ zurückschlägt, „aber gleichzeitig Vasall des Achisch, des Königs der Philisterstadt Gat“ war, spielte „der Stammesverband im Süden … in der ägyptisch-philistäischen Allianz womöglich die Rolle eines passiven Dritten“. Auch das könnte eine Erklärung dafür sein,

warum er – wie die Philisterstädte – auf der Scheschonk-Liste in Karnak nicht auftaucht. Hier könnten auch die Wurzeln des Vorwurfs aus dem Norden liegen, David habe sich mit den Philistern zusammengetan und sei daher zumindest indirekt mitverantwortlich für Sauls Tod. David und Juda waren möglicherweise Nutznießer des Niedergangs des Gemeinwesens im nördlichen Bergland und expandierten, um einen Teil jener Territorien unter ihre Kontrolle zu bringen, die zuvor Saul beherrscht hatte. Eine Erinnerung daran, daß die davidische Dynastie in Jerusalem in ihren Anfängen Gebiete im nördlichen Bergland jenseits der traditionellen Grenzen Judas beherrscht hatte, könnte der historische Kern hinter der Vorstellung eines „vereinigten Königreichs“ gewesen sein, das David von Jerusalem aus regierte.

In seinem späteren Buch „Das vergessene Königreich“ reduziert Finkelstein die Vorteile, die David möglicherweise aus der Niederlage Sauls gegen die ägyptisch-philistäische Allianz gezogen haben könnte, indem er den Aufstieg eines nordisraelitischen Reiches, das von Tirza aus regiert wurde, auf Grund keramiktypologischer Argumente in die Jahrzehnte um die Jahrhundertwende 900 v. Chr. datiert.

Dass Saul in der Bibel sehr widersprüchlich dargestellt wird, führen Finkelstein und Silberman darauf zurück (S. 78), dass es möglicherweise zwei verschiedene Quellen gab, „aus denen der Text schöpft“. Geschichten aus „dem Nordreich Israel“ könnten „genuine, wenn auch vage Erinnerungen an die Zeit des ersten Königs im Norden“, vor allem „an Sauls Tapferkeit, seinen Heldenmut und seinen tragischen Tod“ bewahrt haben, während (79) die „Elemente der Geschichte, die Saul in einem kritischen und David in einem positiven Licht zeigen“, die Perspektive des Südreichs widerspiegeln. Es mag schon „in dieser Frühzeit lokale, miteinander konkurrierende mündliche Überlieferungen“ gegeben haben,

die erst sehr viel später zu einem in sich geschlossenen Ganzen zusammengefügt wurden. Dabei wurden die Behauptungen der einen Seite durch neue, immer detailliertere Erklärungen der anderen Seite dementiert. Sauls Anhänger, deren Stimme nur ganz im Hintergrund anklingt, behaupteten demnach, David sei nichts weiter als ein Bandit gewesen, ein Nobody, der in den engeren Kreis des Hofes Aufnahme fand und den König später verriet – mithin ein Usurpator, der Sauls rechtmäßigen Thronanspruch untergrub. Für sie war David ein Verräter, ein Agent der Philister, der – aktiv oder passiv – an dem militärischen Feldzug teilnahm, der mit dem Tod des ersten großen Königs des Nordens endete.

Die Fraktion Davids mußte diesen Anschuldigungen entgegentreten: David hätte nie das Leben eines Banditen geführt, wäre er nicht durch Sauls mörderische Rache dazu gezwungen worden. David habe auch die Gelegenheiten, seinen Verfolger zu töten, zum Wohl Israels ungenutzt gelassen.

Als sich (S. 81) nach „dem Tod Sauls und der Errichtung von Davids Dynastie in Jerusalem … im Bergland ein stärkeres Identitätsgefühl herauszubilden“ begann, wird „im Gebiet von Juda und im unmittelbar nördlich angrenzenden Bergland … ein neuer Erzählzyklus“ entstanden sein,

der die alten Heldenepen zum psychologischen Drama des Herrschaftsanspruchs einer bestimmten Dynastie verschmolz. In dieser Frühzeit und, wie wir sehen werden, in noch größerem Maße in späteren Jahrhunderten, als eine Flüchtlingswelle aus dem Norden den Süden erreichte, war es hier nicht mehr möglich, die eindrucksvollen Geschichten zu ignorieren, die über Sauls Erwählung zum König und seine heldenhaften Versuche zur Einigung des nördlichen Berglands in Umlauf waren. Umgekehrt war es undenkbar, daß den Bewohnern des Nordens die Legenden über David und seine tapferen Männer unbekannt blieben. Die Folge war der Beginn einer nationalen Überlieferung, die immer umfangreicher wurde, als die Herrscher Judas in den nachfolgenden Epochen die Notwendigkeit spürten, den Verratsvorwürfen und Anfechtungen der historischen Legitimität des judäischen Anspruchs auf die nördlichen Territorien entgegenzutreten.

Was also die Bibel „als Folge von Davids überragender Größe und Sauls tragischen Schwächen betrachtet“, beruht auf Grund archäologischer und historischer Einsichten also (S. 82) auf mit „Gewalttätigkeit, Herrschaftsanspruch und Verrat“ verbundenen

bleibenden Erinnerungen an die Versuche der Ägypter, Philister und der rivalisierenden Stammesoberhäupter des Berglands, im 10. Jahrhundert v. Chr. eine neue Ordnung zu schaffen.

4 Davids „Hofgeschichte“ spiegelt die Zeit Omris und ihres Niedergangs wider

Dass (S. 83) die „biblische Erzählung, die Wissenschaftler als ‚Geschichte von der Thronfolge Davids‘ oder ‚Hofgeschichte‘ (2 Sam 9-20 und 1 Kön 1-2) bezeichnen“, die auf die „Geschichte von Davids Aufstieg“ folgt, nicht (S. 86) „mit der ‚Stimme‘ des 10. Jahrhunderts“ spricht, wird nach Finkelstein und Silberman durch die „archäologischen Befunde zu Jerusalem“ belegt, da etwa „die Beschreibungen von Davids Kriegen und Baumaßnahmen in das archäologische Bild jener Epoche“ nicht hineinpassen oder „die dynastischen Intrigen, die in der ‚Hofgeschichte‘ eine so wichtige Rolle spielen, zu Lebzeiten Davids“ nicht vorstellbar sind.

Zudem gibt es „keine archäologischen Belege dafür, daß vor dem Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. die Lese- und Schreibkundigkeit in Juda nennenswert verbreitet war“.

Es „gibt schlichtweg keinen Hinweis auf einen Königspalast im Areal der Davidsstadt“, vielmehr (S. 87) belegen alle Funde „eindeutig, daß Jerusalem im 10. Jahrhundert ein kleines Bergdorf war, das ein dünn besiedeltes Hinterland kontrollierte“ und „Anzeichen von Veränderungen im Landschaftsbild Judas finden sich erst aus dem nachfolgenden Jahrhundert.“ Auch (S. 88)

von archäologischen Beweisen für Davids Eroberungen [kann] keine Rede sein… Dank neuerer Ausgrabungen und der erneuten Analyse der Keramikfunde sowie anhand des Studiums der Bauweisen und der Radiokarbondatierung wissen wir, daß die philistäische Kultur in der südlichen Küstenebene und die kanaanäische Kultur in den Tälern im Norden bis weit ins 10. Jahrhundert v. Chr. bestehen blieben. Die Welle der Zerstörung, die man bisher auf die Zeit um 1000 v. Chr. datiert und den Eroberungszügen des vereinigten Königreichs unter König David zugeschrieben hatte, erreichte die Region erst knapp hundert Jahre später.

Allerdings (S. 89) entstand tatsächlich ein

wohlorganisiertes staatliches Gemeinwesen mit unterschiedlichen Ämtern und Institutionen…, aber nicht in Juda, sondern im nördlichen Bergland – und erst mehrere Generationen nach der mutmaßlichen Regierungszeit Davids und Salomos.

Im „nördlichen Bergland“ wurden zwar „die Siedlungen im Hochland von Benjamin (bezeichnenderweise Orte, die mit Schauplätzen der biblischen Geschichten Sauls verknüpft sind) aufgegeben“, aber es gibt „archäologische Belege für ein stetiges Bevölkerungswachstum und eine größere landwirtschaftliche Produktion in jenen Hunderten von Dörfern, die überall im nördlichen Bergland verstreut waren… – in den kleinen fruchtbaren Tälern ebenso wie im Bergland und in dessen westlichen und östlichen Randzonen.“

Da (S. 90) „mit zunehmendem Bevölkerungswachstum und der fortschreitenden Spezialisierung von Ackerbau und Viehzucht … der Handel immer komplexer“ wurde, mussten (S. 90f.)

dauerhafte Verwaltungseinrichtungen geschaffen und Lagerhäuser gebaut werden. So entstanden regionale Zentren. Die letzte Stufe dieses Entwicklungsprozesses war die Schaffung eines Staates oder „Königreichs“, ein System zentralistischer Kontrolle. Erst auf dieser Stufe der staatlichen Organisation – mit einer entwickelten Beamtenschaft, behördlichen Ordnungsstrukturen und entsprechend vielen Arbeitskräften, einem Gemeinwesen also, das vom landwirtschaftlichen Überschuß und von dem durch Handel erwirtschafteten Reichtum leben kann – sind eine große Berufsarmee, die Eroberung fremder Territorien und aufwendige Bauprojekte möglich. Es entstehen staatliche Strukturen, die den Mitgliedern des Gemeinwesens große Macht verschaffen, aber auch zahlreiche Verpflichtungen auferlegen.

Genau das ist (S. 92) aus „archäologischer und historischer Sicht … im frühen 9. Jahrhundert v. Chr.“ geschehen: „das erste richtige Königreich Israel“ entstand (S. 91) unter

Herrschern aus der Omriden-Dynastie…, die der Chronologie der Bibel und des Alten Orients zufolge zwischen 884 und 842 v. Chr. an der Macht waren, mithin mehrere Generationen nach der biblischen Regierungszeit Davids und Salomos. …

Auf dem Höhepunkt ihrer Macht dehnten die Omriden ihre Herrschaft nach Osten über den Jordan und nach Norden auf syrisches Gebiet aus.

Warum aber (S. 92), so fragen sich Finkelstein und Silberman, stießen „die Omriden mit ihrer starken Militärmacht nach Nordosten und Osten und nicht auch nach Süden, Richtung Juda“, vor? Es gibt im judäischen Bergland „keine Belege für ein großes Reich unter David“, aber

die materielle Kultur [bestand] unverändert weiter… und die dynastische Linie in Jerusalem [fand] nach dem Tod Davids eine bruchlose Fortsetzung… Salomo, Rehabeam, Abijam und Asa werden im Buch der Könige als Davids Nachfolger geführt, und wir besitzen keine unabhängige Quelle, die diese Thronfolge bestätigen oder widerlegen könnte. Doch in der Bibel wird ein anderes Geschehen angedeutet, das von archäologischen Befunden klar bestätigt wird. Unter Davids Urururenkel Josaphat (welcher der biblischen Chronologie zufolge 870-846 v. Chr. regierte) scheint Juda praktisch ein Vasall des Königreichs Israel gewesen zu sein.

Zwei Indizien sprechen dafür: erstens, dass der Bibel zufolge „Josaphat, ein Zeitgenosse Ahabs, … Menschen und Pferde für die Kriege des nördlichen Königreichs gegen die Aramäer aufgeboten“ habe, und zweitens, dass er „seine Beziehungen mit dem Nordreich durch eine dynastische Heirat gefestigt“ habe (S. 92/94), „indem sein Sohn Joram die israelitische Prinzessin Atalja, die Schwester oder Tochter König Ahabs, heiratete (2 Kön 8,18)“ (S. 94):

Auf diese Weise war das Haus Davids in Jerusalem direkt mit dem israelitischen Königshaus von Samaria verbunden (und wurde offenbar von ihm beherrscht). Ja, wir können sagen, daß der Norden sich durch Heirat Juda einverleibt hat. Im 9. Jahrhundert v. Chr., also fast hundert Jahre nach der mutmaßlichen Regierungszeit Davids, läßt sich endlich die Existenz eines großen vereinigten Königreichs Israel historisch belegen, das sich von Dan im Norden nach Beerscheba im Süden erstreckte und größere Territorien in Syrien und im Ostjordanland eroberte. Doch dieses vereinigte Königreich – ein wirklich geeintes Reich – wurde von den Omriden und nicht von den Davididen regiert, und seine Hauptstadt war Samaria, nicht Jerusalem.

In genau diesem „9. Jahrhundert v. Chr. entstanden im Tiefland von Juda die ersten dauerhaften Verwaltungszentren“, so wurden in „den reichen Getreideanbaugebieten der Schefela im Westen – der traditionellen Kornkammer Judas – … zwei eindrucksvolle Zitadellen“ errichtet, nämlich in Lachisch und Beth-Schemesch; und zwei Festungen in Arad und Tell Beerscheba belegen „eine jetzt entstehende zentrale Verwaltung im Beerscheba-Tal, wo jahrhundertelang die Handelsroute zwischen Gebieten östlich des Jordans und der Mittelmeerküste verlief“ (S. 96):

Archäologische und historische Befunde stützen also die Wahrscheinlichkeit, daß die ersten Bauwerke und Institutionen eines organisierten Staatswesens in Juda im 9. Jahrhundert v. Chr. errichtet wurden, höchstwahrscheinlich unter dem Einfluß des entwickelteren Staates im Norden.

Indem nach der Bibel „aus der Ehe des davidischen Königs Joram mit der Omriden-Prinzessin Atalja ein Thronerbe namens Ahasja“ hervorging, „der von beiden Dynastien abstammte“, und

in noch größerem Maße nach seinem Tod, als Atalja alle Rivalen aus dem königlichen Geschlecht Davids umbringen ließ und in Jerusalem als Königinmutter die Alleinherrschaft antrat (2 Kön 11) -, war die führende Schicht Israels und Judas noch enger als je zuvor miteinander verbunden, in einem einzigen, von Samaria dominierten Gemeinwesen.

Erst in einer solchen höfischen Szenerie (S. 97) finden „Hofintrigen, Rivalitäten, innere Aufstände und Eroberungen fremder Territorien, deren Schauplatz königliche Schlafzimmer und Thronsäle sowie Schlachtfelder sind, auf denen sich die königlichen Armeen mit Fußsoldaten, Reiterei und Streitwagenbataillonen gegenüberstehen“, ihren tatsächlichen Sitz im Leben.

So ist die sarkastische Kritik, die Davids Frau Michal an einem Tanz ihres Mannes übt, der „einem König nicht angemessen“ sei, erst (S. 98) durch den „Aufstieg einer klassenbewußten Aristokratie in Jerusalem“ verständlich, und „auch die Liebesgeschichte Davids und Bathsebas“ ergibt „außerhalb einer streng höfischen Atmosphäre keinen Sinn.“

Ob (S. 99) der historische David „tatsächlich eine Affäre mit einer Frau namens Bathseba hatte“, ist nicht nachweisbar; aber die „Details dieser Erzählung sind so präzise und realistisch, daß ihr Verfasser mit dem Leben an einem Königshof und den Abläufen in einem Berufsheer einfach vertraut gewesen sein mußte.“

Schließlich ist auch „die tragische Geschichte von Absaloms Rebellion … eng mit den Moralvorstellungen und der Etikette eines königlichen Hofs verknüpft“, und (S. 100) die „tödliche Rivalität der Prinzen, der Zwist und die Abkehr enger Vertrauter des Königs sind in einem sehr viel komplexeren sozialen Umfeld angesiedelt, als es Jerusalem im 10. Jahrhundert v. Chr. aufzuweisen hatte.“

Dass „diese Beschreibungen eines ausgebildeten Staatswesens“ nicht später als „ins 9. Jahrhundert v. Chr.“ zu datieren sind, ergibt sich u. a. daraus, dass im Zuge der Hofgeschichten erwähnte „Königreich Geschur … im 9. Jahrhundert gegründet“ wird und „zunächst eine nachweislich aramäisch geprägte Kultur“ besitzt. „Im 8. Jahrhundert v. Chr., nach seiner mutmaßlichen Eroberung durch das Nordreich Israel, verliert es seinen aramäischen Charakter“, und es „wird in assyrischen Dokumenten des 8. Jahrhunderts v. Chr. nicht erwähnt.“ Auch die „Ortsnamen im Abschnitt über Joabs Zählung des Volkes Israel gegen Ende von Davids Regierungszeit verweisen … auf das 9. Jahrhundert v. Chr.“ (2. Samuel 24,4-7) (S. 101):

Dieser Darstellung zufolge umfaßte Davids Reich das gesamte zentrale Bergland und das ostjordanische Hochland von Aroër im Süden bis zu den Golanhöhen im Norden. Aroër liegt am nördlichen Rand des tief eingeschnittenen Arnon-Flußtals im Land Moab, und das einzig denkbare historische Ereignis im Zusammenhang mit diesem Ort sind die omridischen Eroberungen in Moab. Jaser und Gilead beziehen sich offensichtlich auf die nördlichen Gebiete des Ostjordanlandes. Westlich des Jordans verläuft die nördliche Grenze von Dan bis an den Rand der phönikischen Städte Tyrus und Sidon; die südliche verläuft bis ins Beerscheba-Tal, wo die ältesten Belege für eine Königsherrschaft aus dem 9. Jahrhundert stammen. Die Minimalisten unter den Forschern behaupten, diese Textpassage zu den Grenzen des davidischen Staates sei spät entstanden und völlig frei erfunden. Das Verblüffende jedoch ist, daß innerhalb der hier beschriebenen Grenzen die Territorien der entstehenden Reiche Israel und Juda liegen – beider Territorien -, und zwar zu einer Zeit, da ihre Dynastien zumindest vorübergehend miteinander verschmolzen waren.

Schließlich enthält auch „die biblische Beschreibung von Davids großen militärischen Siegen gegen die Nachbarstaaten in 2. Sam 8; 10 und 12“, nämlich Moab und Aram (S. 102),

eine ganze Reihe historischer Rückprojektionen. Dem Begründer der Dynastie Juda aus dem 10. Jahrhundert werden Siege und territoriale Eroberungen zugeschrieben, die in Wirklichkeit auf das Konto der Omriden im 9. Jahrhundert v. Chr. gehen. Doch warum sollte ausgerechnet ein Verfasser aus Juda die Errungenschaften des Gründers seines Königreichs nach dem Vorbild der Kriege des (späteren) omridischen Königreichs Israel gestalten?

Der „Fortbestand der davidischen Dynastie“ war kurzzeitig bedroht, als die „dynastische Verbindung des Hauses Omri mit dem Haus Davids … gewaltsam und glücklos“ endete. Denn als (S. 103) die „Königinmutter Atalja“, die „als Omriden-Prinzessin durch eine politische Heirat in den Süden gekommen“ war, dort „die Macht an sich“ riss,

ordnete sie die Ermordung aller noch lebenden davidischen Erben an. Wir verfügen über keine unabhängige außerbiblische Quelle, die die historische Wahrheit dieser Ereignisse bestätigen könnte. Doch wir wissen aus dem weiteren Geschichtsverlauf, daß die davidische Linie mitnichten ausstarb.

Insofern ist es nicht unglaubwürdig, wenn die Bibel „die Beherztheit und rasche Auffassungsgabe“ der „davidischen Prinzessin“ Joscheba hervorhebt, die nach 2. Könige 11,2f. einen der rechtmäßigen Thronfolger, nämlich „Joasch, den Sohn Ahasjas, … sechs Jahre lang“ versteckt, so dass (S. 104) die „Loyalisten des Hauses David … schließlich Ataljas Herrschaft ein Ende“ setzen können.

Zeitgleich ging (S. 102)

Mitte des 9. Jahrhunderts v. Chr. … die Blütezeit des omridischen Königreichs bereits zu Ende. Eine nach der anderen verlor es seine imperialen Besitzungen.

Nach (S. 103) der „Mescha-Inschrift (und 2 Kön 3,5)“ beendete ein „Aufstand in Moab… die dortige Vorherrschaft des Königreichs Israel nach Ahabs Tod“, und die „Tell-Dan-Inschrift mit der ältesten außerbiblischen Erwähnung des Namens David dokumentiert“ den

Sieg König Hasaëls von Damaskus über die Omriden… Zerstörungsschichten an vielen Ausgrabungsstätten im Norden liefern den düsteren Beleg für eine Offensive der Aramäer. Im Nordreich selbst erhob sich der Militärbefehlshaber Jehu (dessen Name auch in zeitgenössischen assyrischen Dokumenten auftaucht), um die überlebenden Mitglieder der omridischen Linie zu vertreiben und zu vernichten.

Die (S. 104) Schwäche des Königreichs Israel unter Jehu zeigt sich aber darin, dass „König Jehu auf dem berühmten Schwarzen Obelisken … als jämmerlicher Bittsteller zu Füßen Salmanassars dargestellt“ wird.

Dadurch, dass „Hasaël, der König von Damaskus“, die Philisterstadt Gat eroberte (S. 105), die „im 9. Jahrhundert … eine Fläche von vierhundert Hektar einnahm“, ergaben sich für

eine kurze Weile in der zweiten Hälfte des 9. Jahrhunderts … für Juda plötzlich weitreichende politische Möglichkeiten. Israel im Norden war durch die Aramäer geschwächt. Es verlor seine nördlichen Territorien, und Jehu und sein Sohn Joahas wurden von Damaskus zu Tributzahlungen verpflichtet. Die Herrschaft Israels beschränkte sich auf das Bergland von Samaria. Gat im Westen, die mächtigste Stadt der Philister, wurde von König Hasaël zerstört. Juda nutzte diese Situation aus und erweiterte die Verwaltungszentren Beth-Schemesch und Lachisch.

Es mag sogar sein, wie 2. Könige 12,19 mit der Erwähnung von „Tributzahlungen von Joas, dem König von Juda“, an Hasaël andeutet, dass „Juda mit Damaskus eine Vereinbarung“ traf und „dessen Vasall“ wurde, „um im Gegenzug dessen Hilfe bei der Befreiung von der Oberherrschaft der Omriden zu erhalten“.

In einer solchen Situation der „Befreiung von omridischer Herrschaft“, der „Rückkehr der Davididen an die Macht“ und einer Zeit des Wohlstandes verlagerten

die Hofsänger Judas in ihren Geschichten … den Ursprung des großen vereinigten Königreichs Israel und Juda, das zu ihrer Zeit von Samaria aus regiert wurde, in die ferne, sagenhafte Zeit ihres eigenen Königs David und behaupteten, ihr großer Gründervater habe die – späteren – Siege der Omriden bereits vorweggenommen, ohne deren vernichtende Niederlagen erlitten zu haben.

Mit (S. 106f.) „großer Meisterschaft“ stilisierten „die Hofsänger des 9. Jahrhunderts v. Chr. in Jerusalem den grobschlächtigen Gründer der Dynastie zu einem großen Monarchen und dessen Leben zu einer Abfolge militärischer Siege, höfischer Intrigen und galanter Abenteuer“ und

lieferten … späteren Königen und Fürsten des Abendlandes eine literarische Vorlage, auf die sie sich beziehen konnten, um ihre eigenen menschlichen Schwächen, aber auch ihren unanfechtbaren Herrschaftsanspruch zu rechtfertigen.

5 Nationales Geschichtswerk des Königreichs Juda zur Integration der Flüchtlinge aus dem untergegangenen Reich Israel

Wann ist nun (S. 111) die „biblische Geschichte von Davids Aufstieg, von seiner Herrschaft und von Salomos Nachfolge“ zu dem „in sich geschlossenen, meisterhaften Erzählwerk“ geworden, als das sie diese „mitreißende Saga“ heute darstellt? Anders als (S. 112) „offizielle Königschroniken aus dem alten Vorderen Orient, die eher eine idealisierende als eine akribisch genaue Wiedergabe der Ereignisse bevorzugen“, ist „die biblische Geschichte von David und Salomo ein raffiniertes Propagandawerk“, das in einer „späteren Epoche der Geschichte Judas benötigt und folglich auch erst später niedergeschrieben“ wurde, und zwar, als

im Königreich Juda im späten 8. Jahrhundert v. Chr., ganze zweihundert Jahre nach David und Salomo, tiefgreifende Veränderungen stattfanden. Jerusalem wurde zu einer Metropole. Auf dem Land entstanden zahlreiche neue Dörfer, und die bereits existierenden Dörfer und Städte erlebten einen unerhörten Aufschwung. Im ganzen Reich wurden Festungen, Getreidespeicher und Verwaltungseinrichtungen gebaut. Inschriften und behördliche Siegel bekunden die Bedeutung und Verbreitung des geschriebenen Wortes.

Als (S. 113) „Mitte des 8. Jahrhunderts v. Chr. … das riesige assyrische Reich, das sich vom Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris bis ans Mittelmeer erstreckte, ein, wie wir heute sagen würden, ‚globalisiertes‘ politisches System und eine ‚globalisierte‘ Wirtschaft aufzubauen“ begann,

schufen die Assyrer ein weit ausgreifendes Handelsgeflecht, in dem alle Länder, Vieh, Ressourcen und Völker der eroberten Gebiete im Interesse des assyrischen Staats hin- und hergeschoben und ausgebeutet werden konnten.

Während „das vorwiegend von Hirten bevölkerte Juda mit seinen begrenzten Ressourcen und seiner Lage abseits der Haupthandelsrouten auch im 9. und frühen 8. Jahrhundert v. Chr. ein entlegenes und primitives Bergkönigreich blieb, das sich sogar der indirekten assyrischen Kontrolle entzog“, wurde das Nordreich Israel „ein treuer Vasall der furchteinflößenden assyrischen Supermacht“, wodurch es am Beginn „des 8. Jahrhunderts v. Chr.“ zunächst (S. 115) „eine Phase wirtschaftlicher Blüte, territorialer Expansion und diplomatischen Einflusses“ erreichte, was zum Beispiel „das sehr schöne Siegel des Schema aus der Zeit König Jerobeams II. (784-748 v. Chr.) mit der Darstellung eines brüllenden Löwen und der Inschrift: ‚Gehört Schema, dem Diener Jerobeams‘“ belegt.

Als in der Mitte des 8. Jahrhunderts sich die beiden „Königreiche Israel und Damaskus … in einem verzweifelten Versuch“ verbündeten, um der (S. 116) „neuen Imperialpolitik des assyrischen Königs Tiglatpileser III. „eine Front des Widerstands entgegenzusetzen“, versuchten sie auch „Juda unter Druck zu setzen, sich ihnen in einem Aufstand gegen die Assyrer anzuschließen (2 Kön 16,5).“ Daraufhin gab

Ahas, der bedrängte König von Juda…, Judas Isolation auf, suchte den Schutz der Assyrer und schwor Tiglatpileser freiwillig den Treueid (2 Kön 16,5-9; Jes 7). Damit bekräftigte er Judas Status als assyrischer Vasallenstaat. Der biblische Bericht wird durch archäologische Funde bestätigt. Ahas‘ Name taucht in einer assyrischen Inschrift auf, in der von bedeutenden Einnahmen Assyriens die Rede ist, von „aller Art kostbaren Gegenständen, Erzeugnissen von Meer und Land“, die die treuen Vasallen des Reichs sandten, von den „erlesensten Produkten ihrer Regionen, den Schätzen ihrer Könige“.

Schon bald, im Jahr „732 v. Chr., nach der Eroberung von Damaskus und der Absetzung seines Königs, marschierte Tiglatpileser Richtung Israel, eroberte einige seiner fruchtbarsten landwirtschaftlichen Regionen und machte sie zu einer assyrischen Provinz.“ Als Israel „erneut das Banner der Rebellion“ erhob, wurde das

Rumpfreich Israel, nunmehr beschränkt auf die unmittelbare Umgebung von Samaria…, – unter dem Namen Samerina – als assyrische Provinz annektiert, das wirtschaftliche und politische Leben von assyrischen Provinzbeamten reglementiert. Ein Teil der israelitischen Bevölkerung wurde deportiert, an ihrer Stelle wurden neue Bevölkerungsgruppen aus Mesopotamien angesiedelt.

Dadurch wurde (S. 117)

Juda zum einzigen autonomen Staat im Bergland. Seine Existenz im Schatten des größeren, reicheren Königreichs Israel war zu Ende. … Gegen Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. besaß es alle Merkmale eines echten Königreichs: eine umfassende Bautätigkeit, die Massenproduktion von Bedarfsgütern, eine zentral organisierte Verwaltung, Lese- und Schreibkundigkeit in größerem Umfang und – das Allerwichtigste – ein neues Bewußtsein von seiner historischen Bestimmung.

Dass (S. 118) nunmehr Jerusalem „in einem rasanten Tempo … von einer kleinen Bergstadt mit einer Fläche von vier bis sechs Hektar zu einer eindrucksvollen, sechzig Hektar großen Festungsstadt“ anwuchs, deren Bevölkerungszahl „von tausend auf zwölftausend Einwohner“ anstieg und auch in der Schefela (S. 120) eine „großräumige Bautätigkeit“ einsetzte, hat mit dem „offiziellen Eintritt Judas in ein größeres Wirtschaftsgefüge“ und seiner „Teilnahme am Fernhandel“ zu tun, die wahrscheinlich „unter Ahas ihren Anfang“ nahm, „sich während der längeren Regierungszeit seines Sohns und Nachfolgers Hiskia (um 727-698 v. Chr.)“ beschleunigte und „nach dem Untergang des Königreichs Israel an Intensität“ gewann.

Der wichtigste Beleg (S. 121) „für die wachsende Ausbreitung der Lese- und Schreibkundigkeit in der Hauptstadt des Königreichs“ zu dieser Zeit besteht in

einer in die Felswand gehauenen hebräischen Inschrift“, die Nach dem „Bau des Siloa-Tunnels für die Wasserversorgung Jerusalems … eindrucksvoll die Meisterleistung der Ingenieure und den Mut der beiden Mannschaften beschreibt, die an entgegengesetzten Enden des Tunnels durch den Fels vordrangen…

Wichtig ist nun, dass (S. 123) „der plötzliche Bevölkerungsanstieg Jerusalems am Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr. … die Folge einer Flüchtlingswelle gewesen“ ist, „als Menschen aus dem einstigen Königreich Israel vor den neuen assyrischen Machthabern in den Süden flohen.“ Auch „die Anzahl der Siedlungen im Bergland südlich von Jerusalem“ wuchs „von 30 im 9. und frühen 8. Jahrhundert v. Chr. auf über 120 im späten 8. Jahrhundert“ an, in „der Schefela … von 21 auf 276“. Das heißt, dass „sich die Bevölkerung Judas im späten 8. Jahrhundert v. Chr. mehr als verdoppelte.“

Da (S. 124) „es nach der Eroberung des Nordreichs Israel durch die Assyrer im südlichen Samaria zu einem beträchtlichen Bevölkerungsrückgang kam“, kann man annehmen, dass sich im Königreich Juda außerordentlich viele Flüchtlinge genau aus dem Gebiet ansiedelten (S. 125),

in dem es allem Anschein nach im 10. Jahrhundert v. Chr. ein Gemeinwesen gab, das sich mit Saul und den biblischen Geschichten in Verbindung bringen läßt. Dieses Traditionsgut wurde – wie die Geschichten über David – über Jahrhunderte hinweg mündlich weitergegeben. Und als lokale Erinnerungen und Ausdruck regionaler Identität blieben sie im Bewußtsein der Bevölkerung dieser Region fest verwurzelt, selbst dann noch, als die Menschen ihr angestammtes Land verlassen und als Flüchtlinge nach Juda ziehen mußten.

In dieser Zeit des tiefgreifenden sozialen und wirtschaftlichen Umbruchs, der im Königreich Juda nach dem Untergang Israels stattfand, prallten somit zwei Überlieferungsstränge aufeinander: die Überlieferungen von Saul und Israel und die von David und Juda.

Das heißt, im Königreich Juda, das „jetzt von einer isolierten Berglandgemeinschaft zu einem richtigen Staat“ aufstieg, „der eng in die assyrische Wirtschaft eingebunden war“ und im „späten 8. und dem frühen 7. Jahrhundert v. Chr.“ wohl etwa zur Hälfte von Menschen (S. 126) „nordisraelitischen Ursprungs“ bewohnt war, versuchten nun die herrschenden Kreise,

diese neue, binnen weniger Jahrzehnte entstandene Gesellschaft durch ein literarisches Werk der offiziellen dynastischen Geschichtsschreibung zusammenzuschweißen, das den Gedanken eines vereinigten Königreichs in den Mittelpunkt stellte.

Und da es viele „überzeugende archäologische Belege dafür“ gibt, dass „bereits Ende des 8. Jahrhunderts v. Chr.“ viele lokale Kultstätten in Juda aufgegeben wurden, entspricht die Zentralisierung des Kults in Jerusalem, die König Hiskia der Bibel zufolge eingeführt haben soll, wohl durchaus den Tatsachen (S. 128):

Ländliche Heiligtümer wurden aufgegeben, zerstört und vergraben, um den Staatskult in Jerusalem zu zentralisieren. Dieser Prozeß muß jedoch in einem sozioökonomischen und politischen und nicht in einem streng religiösen Licht betrachtet werden. Es ging offensichtlich um eine Stärkung der einigenden Elemente des Staates – der Zentralautorität des Königs und der Führungsschicht in der Hauptstadt – und um eine Schwächung der alten, regionalen, auf Clans basierenden ländlichen Führungsstrukturen.

Allerdings steckte hinter „Hiskias kultischer ‚Reform‘ … kein puritanisch-religiöser Eifer, sondern eine innenpolitische Notwendigkeit. Die Kultreform war ein wichtiger Schritt zu einer neuen Identität Judas in einer Zeit des demographischen Wandels und der wirtschaftlichen Umgestaltung.“ Und da (S. 129) Jerusalem nunmehr „dazu bestimmt“ war, „zum Mittelpunkt des gesamten Volkes Israel zu werden“, musste eine offizielle „Geschichte der davidischen Dynastie“ zusammengestellt werden, „nach deren Version … der göttliche Wille und nicht Zufall oder Realpolitik die entscheidende Rolle“ spielte.

Schon die Assyrer hatten die „Abfassung einer nationalen Geschichte“ als Herrschaftstechnik unternommen, aber die

biblische Geschichte Davids und Salomos ist kein Standardwerk königlicher Propaganda. Sie war – und ist – eine leidenschaftliche, dabei äußerst durchdachte Verteidigung der Machtansprüche der davidischen Dynastie – eindringlich genug, um auf öffentlichen Plätzen und in Versammlungen erörtert zu werden, und von einer stringenten Logik und großen erzählerischen Kraft, die jegliche Kritik verstummen ließ.

Das Geniale (S. 130) an einer solchen ersten Verschriftlichung der „mündlichen Traditionen über David“ bestand darin, dass die Vorwürfe „der Bewohner aus dem Norden gegen den Begründer“ der „Herrscherdynastie“ nicht ausgeklammert, sondern entkräftet wurden. David war „kein Verräter und Verbündeter der Philister“, er war „unschuldig am Tod des ersten Königs des Nordreichs in der Schlacht von Gilboa“, er war weder „an der Ermordung von Sauls Sohn Isch-Boschet beteiligt“ noch „für Abners Tod verantwortlich“:

Es wurde gezeigt, daß David ganz unschuldig, mithin einzig im besten Interesse seines Volkes handelte; daß David ein großer Patriot und Landesvater war, der die Israeliten vor den Philistern errettet hatte; daß er durch Sauls Verfehlungen zur Flucht gezwungen wurde, um sein Leben zu retten – Verfehlungen, die der König des Nordreichs selbst zugab (1 Sam 26,21); daß David Saul gegenüber stets loyal war.

Schließlich war (S. 130f.)

David als militärischer Eroberer größer … als irgendein König des Nordreichs, einschließlich der mächtigen Omriden. Am wichtigsten aber war der Gedanke der göttlichen Verheißung – die Zusicherung, daß die Davids-Dynastie unter dem Schutz des Gottes Israel stand. …

Dieses Versprechen und die dynastische Chronik, in deren Mittelpunkt diese Verheißung steht, sind keine historischen Fakten, sondern Antwort auf die neue wirtschaftliche, soziale und demographische Situation in Juda. jetzt wurde die Idee des vereinigten Königreichs formuliert – rückprojiziert in Israels ferne Vergangenheit.

Als (S. 132) König Hiskia nach dem Tod des Assyrerkönigs „Sar­gons II. auf dem Schlachtfeld im Jahr 705 v. Chr.“ wohl darauf hoffte, dass „der Plan eines geeinten Israel nun endlich realisiert werden könne“, und in aller Hast „massive Verteidigungsanlagen“ und den „Siloa-Tunnel…, der die befestigte Stadt mit Trinkwasser versorgte“, erbauen ließ (S. 133), gingen er und seine Verbündeten mit der Planung eines Aufstands gegen Assyrien ein „enormes Risiko“ ein. „Im Frühjahr 701 v.Chr. marschierte Sanherib mit einer gewaltigen militärischen Übermacht Richtung Westen“ und schlug „alle Verbündeten Hiskias vernichtend“. In Juda selbst zerstörten die Assyrer alle größeren Orte der Schefela. An die in 2. Könige 18,14 und 17 erwähnte Schlacht in Lachisch (S. 133f.), bei der „die Stadt tatsächlich dem Erdboden gleichgemacht wurde“, „erinnert ein Wandrelief aus Sanheribs Palast in Ninive“. Jerusalem wurde allerdings nur belagert, nicht zerstört, und „Hiskia blieb auf seinem Thron“, allerdings musste „er dem assyrischen König einen enormen Tribut zahlen.“

Damit war „das wirtschaftliche System, das Ahas und Hiskia in den Jahren zuvor aufgebaut hatten“ am Ende (S. 135):

Das nunmehr geschrumpfte Staatsgebiet Judas war entvölkert, Assyrien unterworfen und mit verheerenden Schulden belastet. Das davidische Königtum jedoch hatte überlebt, und Jerusalem war unzerstört. Die beiden Grundpfeiler Judas – Tempel und Dynastie – hatten standgehalten.

… Doch mit der Verwüstung der Schefela und den erdrückenden Tributzahlungen mußten die Herrscher Judas neue Überlebensstrategien entwickeln.

6 König Salomo als Spiegelbild der Machtentfaltung von König Manasse

Wann konnte es dazu kommen, einen König Salomo in der Weise der Bibel zu preisen? Er lebt (S. 137f.) in einer

Welt schönster internationaler Beziehungen und wirtschaftlichen Wohlstands, in der die Arbeitskraft von Fachleuten und Tagelöhnern für den Bau des Tempels ebensoviel gilt wie Zedernholz und Gewürze – Handelsgut, das man käuflich erwerben kann. … Die Geschichten von Salomos Handelsbeziehungen mit König Hiram von Tyrus.., von seinem Fernhandel mit Zuchtpferden, seiner Handelsflotte und den wertvollen Geschenken, die er von der Königin von Saba erhält, feiern die Ideale und Visionen einer, wie wir heute sagen würden, globalisierten Ökonomie.

Finkelstein und Silberman gehen davon aus (S. 139), dass die „idealisierte Sicht“ des Königs Salomo natürlich „mit der dörflichen Armut und der Kargheit Jerusalems im 10. Jahrhundert v. Chr. nicht das Geringste zu tun“ hat, aber dass es sich

auch nicht um eine Beschreibung des rasch wachsenden Königreichs von Ahas und Hiskia [handelt]. Das hier gezeichnete Bild einer wohlgeordneten Verwaltung ähnelt, wenn auch nur in Umrissen, weit mehr dem immer straffer organisierten und zentralisierten Königreich Juda im frühen 7. Jahrhundert v. Chr. Die Instrumente königlicher Macht – Handel, Baumaßnahmen, eine wohlorganisierte Verwaltung – werden unter Hiskia ausgebildet und unter seinem Sohn und Nachfolger Manasse (698-642 v. Chr.) weiter ausgebaut. Wenn eine historische Figur dem biblischen Salomo ähnelt, dann ist es Manasse.

Nachdem „Sanherib … die wichtigsten Städte und fruchtbarsten Landstriche zerstört“ hatte und

Manasse den Thron bestieg, lag die Wirtschaft Judas am Boden. Jerusalem war isoliert inmitten eines menschenleeren Landes, die Stadt zu einer öden „Nachthütte im Gurkenfeld“ geworden, wie es beim Propheten Jesaja heißt (1,8): eine große bevölkerungsreiche Stadt mit einem verwüsteten bäuerlichen Hinterland.

Aber „König Manasse“ entwickelte „neue wirtschaftliche Überlebensstrategien“. Er (S. 140) förderte „die Randzonen“, indem etwa in der „Wüste Juda … Bauernhöfe und kleine Siedlungen errichtet … und an den trockenen Hügeln östlich von Jerusalem Ackerbau begonnen“ wurde. Auch weiter „südlich im Beerscheba-Tal … nahm im 7. Jahrhundert v. Chr. die Zahl der Siedlungen dramatisch zu“, auch hier ging es

in erster Linie um die landwirtschaftliche Erschließung. In guten Jahren produzierte das Beerscheba-Tal allein durch traditionellen Trockenfeldbau mehr als fünftausend Tonnen Getreide, von dem die dortige Bevölkerung nur fünf Prozent zum Leben brauchte.

Erst (S. 142) durch „Manasses Neuorganisation seines Reichs … gewinnt die detaillierte Beschreibung einer königlichen Bürokratie, von Festungen und Distrikthauptstädten als Verherrlichung der Leistungen Salomos überhaupt einen Sinn.“ Aber warum wurde in der Bibel „eine salomonische Verwaltung“ geschildert, „die das gesamte Land Israel, das Nordreich und alle in ihm lebenden Stämme umfaßt“, obwohl doch Manasse nur das begrenzte Reich Juda beherrschte?

Dass (S. 143) in 1. Könige 9,15 großartige Mauerbauten in Hazor, Megiddo und Geser auf Salomo zurückgeführt werden, schien durch „Funde jeweils ähnlicher Sechskammertore in Hazor, Megiddo und Geser … für die traditionelle Archäologie Salomos und seines vereinigten Königreichs“ bestätigt zu werden. In Wirklichkeit aber datieren die „salomonischen“ Tore „aus unterschiedlichen Epochen des 9. und 8. Jahrhunderts v. Chr.“; und „die salomonische Überlieferung“ hat hier sicher „alte Erinnerungen aus der Geschichte des Nordens“ in die Zeit Salomos zurückprojiziert (S. 145):

Megiddo, Hazor und Geser waren also israelitische Städte, die in der ersten Hälfte des 8. Jahrhunderts, zur Zeit des großen Jerobeam II., als führende Verwaltungszentren des Nordreichs fungierten. Es kann kaum ein Zweifel bestehen, daß die Erwähnung dieser Städte in der biblischen Salomo-Geschichte das Ziel hatte, Salomos Größe in noch hellerem Licht erscheinen zu lassen, indem man ihm fremde Leistungen aus einer anderen Epoche zuschrieb. Der Glanz des Nord- und des Südreichs sollte in einer gemeinsamen Geschichte erstrahlen.

Indem ein „kreativer Autor“ mit 1. Könige 4,7-19 eine Liste von „- historisch späteren – Verwaltungsstrukturen des Nordreichs in die biblische Überlieferung Salomos aufgenommen“ und „ganz am Ende in einem Vers Juda hinzugefügt“ hat, „konnte die Liste dem Zweck dienen, König Salomo aus Jerusalem als den Urheber eines organisierten Staatswesens von ganz Israel herauszustellen.“

Das heißt (S. 146):

Die Idee eines vereinigten Königreichs unter Salomo ist … Ausdruck politischer, wirtschaftlicher und sozialer Bestrebungen des 7. Jahrhunderts v. Chr., und man verlieh ihr Nachdruck, indem man Erinnerungen an die großartige administrative und politische Organisation des Nordens mit aufnahm. Es war der ultimative Ausdruck eines staatlichen Dirigismus im 7. Jahrhundert v. Chr.

Außerdem sollte wohl auch „die verstärkte Beteiligung des Staates Juda am Fernhandel“ legitimiert werden, denn der biblischen „Überlieferung zufolge war König Salomo einer der größten Pferdehändler der Geschichte“. Tatsächlich könnte (S. 148) ein „Gebäudekomplex mit den Pfeilern und Stallungen für Hunderte von Pferden, den man in Megiddo freilegte, … auf eine ehrgeizige und erfolgreiche israelitische Beteiligung am internationalen Pferdehandel hindeuten“, aber nicht in der Zeit Salomos, sondern der Omriden und erst recht Jerobeams II.

Ebenso (S. 153) sind die

Geschichten aus tausendundeiner Nacht, die die Bibel über Salomo und die Königin von Saba zu berichten weiß, … ein Anachronismus aus dem 7. Jahrhundert v. Chr., eingefügt mit dem Ziel, die Beteiligung Judas am lukrativen arabischen Handel zu rechtfertigen.

Sie stützen sich darauf (S. 151), dass unter König Manasse das „Königreich Juda … stärker vom lukrativen Handel im Süden“ profitierte (S. 152):

Da die Assyrer die arabischen Handelsrouten kontrollierten, sicherten sie sich zweifellos auch den Löwenanteil an den Gewinnen. Doch vom Transport der wertvollen Güter in den Norden profitierten auch die assyrischen Vasallenstaaten, das Ostjordanland und Juda.

Übrigens (S. 153) geht „aus assyrischen Dokumenten des späten 8. und frühen 7. Jahrhunderts v. Chr. (bis etwa 690 v. Chr.) … hervor, daß es tatsächlich arabische Königinnen gab“, was der Erzählung „vom Besuch einer Königin (und nicht eines Königs)“ bei Salomo „zusätzlich Glaubwürdigkeit“ verleiht.

Ob (S. 154) „Salomo tatsächlich der Erbauer“ eines imposanten Tempels war, zweifeln Finkelstein und Silberman mit guten Gründen an, denn als „Sohn des Stammesoberhaupts eines isolierten Gemeinwesens im Bergland verfügte er wohl kaum über die Mittel, einen Tempel zu errichten, der mehr war als ein schlichtes lokales Heiligtum von der Art, wie es im Alten Orient viele gab.“

Sie vermuten, dass die „Beschreibung der aufwendigen Renovierung des Tempels unter König Joas (um 836-798 v. Chr.) in 2 Kön 12“ sich möglicherweise in Wirklichkeit (S. 155) erst auf den „Bau des repräsentativeren Jerusalemer Tempels“ bezieht, „der zur Zeit der Abfassung der Salomo-Geschichte noch stand“.

In diesem Zusammenhang weisen Finkelstein und Silberman auch darauf hin, dass sich hinter „König Hiram von Tyrus“, der „im Buch der Könige mehrmals als Lieferant von Libanonzedern für den Tempelbau und als Partner Salomos bei diversen überseeischen Handelsexpeditionen genannt“ wird, wahrscheinlich „ein König namens Hirummu“ verbirgt, „der in den Annalen des großen assyrischen Königs Tiglatpileser III. in den dreißiger Jahren des 8. Jahrhunderts v. Chr. zweimal als tributpflichtig auftaucht, und zwar zusammen mit Menahem, König von Israel, und Rezin, König von Damaskus“; dieser „Hiram des 8. Jahrhunderts“ trieb vermutlich „mit dem Nordreich Handel“, und „sein Name und seine Leistungen“ dienten „der Illustration von Salomos monarchischer Größe“.

Alles in allem (S. 157) sollte die

Legende von König Salomo, die im 7. Jahrhundert erstmals ihre schriftliche Form gewann, … Judas Größe und das politische Geschick seiner Monarchen in der schönen neuen Welt der internationalen Wirtschafts- und Kulturbeziehungen des assyrischen Großreichs untermauern.

Nach dem Vorbild des assyrischen Königs wird ein Bild Salomos als idealer Herrscher, Verwalter, Handelsherr und weiser Richter seines Volks gezeichnet…

Zugleich (S. 158) ist die

Salomo-Legende … aber auch wehmütige Erinnerung an die Errungenschaften des untergegangenen Nordreichs Israel. Eine … Angabe über die Größe von Salomos Reich – von Dan bis Beerscheba (1 Kön 5,5) – entspricht dem Territorium von Juda und Israel. Während die David-Geschichten darauf abzielten, Ressentiments der Zuwanderer aus dem Norden abzubauen, entlehnten und assimilierten die Salomo-Erzählungen Stoffe aus den Überlieferungen des Nordens, um ein Image Salomos als Herrscher aufzubauen, der den mächtigen Königen des Nordreichs ebenbürtig, wenn nicht sogar überlegen war.

7 Sozialkritik und panisraelitische Hoffnungen unter Josia im deuteronomistischen Geschichtwerk

Das (S. 159) biblische Bild Salomos ist aber nicht einheitlich positiv. Nach 1. Könige 11,1-13 „erscheint er als ein seniler Greis, der sich von seinen vielen fremdländischen Frauen vom rechten Weg abbringen läßt.“ Wer konnte denn ein Interesse daran haben, in dieser Weise „das Image des großen Königs zu beschädigen?“

Ganz einfach (S. 160):

Der Wohlstand, den das assyrische Handelssystem brachte und dessen Personifikation Salomo war, hatte für jene, die nicht Nutznießer, sondern Opfer dieses Systems waren, eine völlig andere Bedeutung. Manasses Strategie der Einbindung in den Fernhandel kam für sie einer Entwertung der traditionellen Landwirtschaft gleich, die die Bewohner Judas und viele, die vor der assyrischen Oberherrschaft im Norden geflohen waren, so lange betrieben hatten. Die weitreichenden kulturellen Beziehungen des Königreichs hatten zur Folge, daß altehrwürdige Traditionen, Sitten und Gebräuche aufgegeben wurden – nicht nur im religiösen, sondern auch im gesellschaftlichen und ökonomischen Bereich. Diejenigen, die Manasses Vater Hiskia bei der Zentralisierung des Kults und seiner nationalistischen Revolte gegen Assyrien unterstützt hatten, müssen von Manasses Politik entsetzt gewesen sein. Und es dauerte nicht lange, bis sie erneut an der Macht waren – mit gezückter Feder.

Das ist der Grund, weshalb „Manasses fünfundfünfzigjähriger Regierungszeit“ in der Bibel nur „eine relativ knappe und ressentimentgeladene Beschreibung“ gewidmet wird: „Aufgelistet werden insbesondere seine Verstöße gegen die Religion, und man gibt ihm die Schuld an den großen Katastrophen, die später über Juda hereinbechen sollten“. Im Hintergrund stehen aber mehr als nur kultisch-religiöse Verfehlungen (S. 161), nämlich dass

zumindest denjenigen Untertanen in den neugegründeten Städten, die durch Steuern, Abgaben und andere Verpflichtungen belastet waren, … Manasses lange Regierungszeit als Wurzel allen Übels, als Ursache ihrer materiellen Not und sozialen Entwurzelung erschienen sein [muss]. Es gibt eine Fülle von archäologischen Belegen für den Aufstieg einer reichen, gebildeten und mächtigen Führungsschicht in Jerusalem, jedoch keinen Hinweis darauf, daß auch andere soziale Schichten an diesem Wohlstand teilhatten.

Nach Manasses Tod wird (2. Könige 21,19-24) schon nach kurzer Zeit sein Sohn und Nachfolger Amon durch „seine Großen“ umgebracht; das so genannte „Volk des Landes“ erschlägt wiederum diese Verschwörer und macht Amons minderjährigen Sohn Josia zum König; anscheinend steht im Hintergrund (S. 161f.) eine „Koalition unzufriedener Gruppen in Juda…, deren politischer Einfluß wuchs, als die Macht Assyriens zu schwinden begann“ (S. 162):

Während der Regierungszeit Josias wurde das gesamte bis­herige Traditionsgut – Gedichte, Chroniken und Balladen – über die beiden ersten Könige von Juda zu jener eindring­lichen und kompromißlosen Erzählung von Sünde und Erlö­sung kompiliert, die uns heute als die zentrale Botschaft der biblischen Geschichte entgegentritt.

In diesem Zusammenhang erwähnen Finkelstein und Silberman, dass viele Wissenschaftler des Alten Testaments (S. 163) den

Erzählkomplex 1 Sam 16 bis 1 Kön 11 – angefangen mit Davids Salbung bis zu Salomos Tod – [als] Bestandteil einer umfangreicheren Saga, die vom Buch Josua bis zum zweiten Buch der Könige reicht und unter der Bezeichnung Deuteronomistisches Geschichtswerk bekannt ist [auffassen]. Diese eindrucksvolle Chronik des Volkes Israel von der Wüstenwanderung über die Landnahme und das Goldene Zeitalter bis zum Babylonischen Exil steht in einem klaren Zusammenhang mit der Ideologie des Buches Deuteronomium [des 5. Buchs Mose], ja ist deren erzählerische Vergegenwärtigung. Und die biblische Geschichte von David und Salomo trägt den unauslöschlichen Stempel der aggressiven und kompromißlosen Ideologie, die in älteren Überlieferungen nicht zutage tritt: Die deuteronomistische Doktrin von der Anbetung des einen Gottes an einer einzigen Kultstätte – dem Tempel von Jerusalem – und unter Führung eines davidischen Königs entwickelte sich im Zeichen des Fanatismus eines heiligen Kriegs.

Dazu sei angemerkt, dass es tatsächlich, was Finkelstein und Silberman ja auch bewusst ist, nicht um einen rein religiösen Fanatismus geht, sondern letzten Endes um eine sozialpolitische Revolution: Der Eine Gott des 5. Buchs Mose steht deswegen so radikal gegen alle anderen Götter, weil er der Recht schaffende Gott Israels ist, der als Befreier gegen die ausbeuterischen Unterdrückergötter der damaligen altorientalischen Normalität antritt.

Den (S. 163f.) „Kern des deuteronomischen Gesetzbuches (Dtn 4,44-28,68)“ hat man „in der Forschung überzeugend mit dem ‚Gesetzbuch‘ in Zusammenhang gebracht, das der Hohepriester Hilkija 622 v. Chr., im achtzehnten Jahr der Regierung des judäischen Königs Josia, des Enkels Manasses und Sohn des Amon, im Jerusalemer Tempel ‚entdeckte‘“ und das eine regelrechte Kulturrevolution unter Führung von König Josia auslöste.

Damit folgte nach „Ansicht der biblischen Autoren … Josia dem Beispiel Davids, der die im Deuteronomium geforderte Gerechtigkeit verkörperte“ (S. 165):

Während der schicksalhaften Regierungszeit König Josias erfuhr die davidische Dynastie eine dramatische Umwertung, die religionsgeschichtlich von enormer Folgewirkung war. Aus einer Sammlung dynastischer Legenden wurde die Programmatik einer messianischen Erwartung formuliert, die das unabhängige, kleine eisenzeitliche Königreich überdauern und zur Grundlage des jüdischen und christlichen Glaubens werden sollte.

Was stand im Hintergrund der Politik Josias?

Als der achtjährige Josia im Jahre 639 v. Chr. nach der Ermordung seines Vaters den Thron bestieg, befand sich Assyrien noch immer auf dem Höhepunkt seiner Macht. … Aber nur wenige Jahre später, um 630 v.Chr., begann der rapide Zerfall des assyrischen Großreichs. … Nach einem Jahrhundert unumstrittener Vorherrschaft in der Region zogen sich die assyrischen Streitkräfte in den Osten zurück, um ihren letzten und letztlich erfolglosen Kampf ums Überleben zu führen. Die einst unangefochtene Supermacht, die die Weltwirtschaft und Weltpolitik ihrer Zeit bestimmte, gab den Anspruch auf ihre westlichen Provinzen auf.

In dieses „Machtvakuum“ stieß „an der Mittelmeerküste“ (S. 166) der ägyptische Pharao Psammetich I., der „die blühenden Handelsstädte der philistäischen Küstenebene“ einnahm, aber „die Völker und Städte des Berglands“ zunächst in Ruhe ließ. „Archäologische Befunde geben Anlaß zu der Vermutung, daß das Königreich Juda die neue Lage nutzte, um in den Norden und Westen vorzustoßen“ (S. 167), im Norden nicht sehr viel weiter als bis Bethel, im Westen zur „Wiederherstellung der direkten politischen Vorherrschaft Judas“ über die Schefela.

Es gibt nun (S. 168) Elemente in den „biblischen David-Geschichten“ über die Philister, „die ganz klar auf die Zeit Josias verweisen.“ Einen (S. 169) „König Achisch“ zum Beispiel konnte man „bei Ausgrabungen in Tell Miqne in der westlichen Schefela, das als die alte Philisterstadt Ekron identifiziert wurde“ auf einer „Inschrift auf einem Kalksteinblock aus dem 7. Jahrhundert mit dem Namen des damaligen Stadtfürsten Ikausu“ identifizieren, da der „Name Ikausu … sprachgeschichtlich dem des Philisterkönigs Achisch“ ähnelt.

Finkelstein und Silberman vermuten nun (S. 170), dass die „Geschichte vom Bündnis zwischen David und einem Achisch aus ferner Zeit … möglicherweise darauf“ abzielte, „die Beziehung zwischen dem ‚neuen David‘ – Josia – und der Stadt des neuen Achisch – Ekron – zu legitimieren.“ Archäologisch kann belegt werden (S. 171), dass „Ekron zum größten Zentrum der Olivenölproduktion im gesamten Vorderen Orient“ wurde und dass ein „Großteil der in Ekron verarbeiteten Oliven … wohl von den Olivenbauern Judas“ stammte. „Es gab keine bessere Möglichkeit, diese wirtschaftlichen Beziehungen mit Außenstehenden (für die puritanischen deuteronomistischen Geschichtsschreiber ein Greuel) zu legitimieren, als das Volk von Juda an die Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen dem Gründer der Jerusalemer Dynastie – dem frommen David – und einem Philisterkönig namens Achisch zu ‚erinnern‘.“

Interessant ist auch eine „zentrale Wendung“, die im deuteronomistischen Geschichtswerk an zahlreichen Stellen auftritt (S. 172):

„bis auf diesen Tag“. Sie wird in den biblischen Büchern Deuteronomium, Josua, Richter, Samuel und Könige Dutzende Male verwendet, um uralte Ortschaften und Landstriche ins Bewußtsein zu holen oder ungewöhnliche Situationen zu beschwören, die zur Zeit der Redaktion des Textes durchaus noch nicht in Vergessenheit geraten waren. Ein typisches Beispiel ist die Übertragung von Territorium an David aus der Hand des Philisterkönigs Achisch: „… Daher gehört Ziklag den Königen von Juda bis auf diesen Tag. (1 Sam 17, 5f.)“

So werden „hier ältere Überlieferungen zu einem einzigen Zweck übernommen und ausgestaltet: zur Rechtfertigung der territorialen Expansion Judas in Richtung der Philisterstädte, die im 7. Jahrhundert v. Chr. stattfand“.

Auch die Heldengeschichte, wie David den Riesen Goliath überwindet, erhält erst in der Zeit Josias ihre uns vertraute Gestalt. Ursprünglich war in dieser Überlieferung (S. 174), von der in 2. Samuel 21,19 eine alte Version erhalten ist, davon die Rede, dass ein Mann namens Elhanan den Gatiter Goliath erschlagen hat.

Nun hat aber

Goliaths Bewaffnung, wie sie in der Bibel beschrieben wird, mit der authentischen Bewaffnung der frühen Philister kaum etwas gemeinsam. Statt Bronzehelme tragen die Peleset, wie sie auf den Wandreliefs des Totentempels Ramses‘ III. in Oberägypten dargestellt sind, eigenartige gefiederte Kopfbedeckungen. Statt mit schwerer Rüstung, Schwert, Lanze und Spieß sind sie nur mit einem einzigen Speer und auch nicht mit Panzer und Beinschienen ausgestattet.

Die Ausrüstung Goliaths in der David-und-Goliath-Geschichte (S. 175) mit „Helm, Panzer und Beinschienen aus Metall, mit zwei Speeren, einem Schwert und einem großen Schild“ entspricht aber nun genau derjenigen eines „griechischen Hopliten des späten 7. Jahrhunderts v. Chr.“, von der die Redaktoren der Geschichte deswegen Kenntnis gehabt haben können, weil genau „zu jener Zeit … griechische Söldner aus den kleinasiatischen Küstengebieten in der Kriegsführung des Vorderen Orients eine immer wichtigere Rolle zu spielen“ begannen, unter anderem als „eine zentrale Angriffs- und Besatzungstruppe“ unter „dem ägyptischen Pharao Psammetich I.“ Das heißt (S. 177):

Der Kampf zwischen David und Goliath – letzterer gerüstet wie ein griechischer Hoplit in ägyptischem Sold, der die Interessen und die Macht Ägyptens verteidigte – symbolisierte die wachsenden Spannungen zwischen Juda unter König Josia und dem Ägypten der 26. Dynastie.

Ob Josia tatsächlich, wie es die Bibel behauptet, das alte Heiligtum in Bethel niedergerissen und unbrauchbar gemacht hat (S. 179f.), ist auf Grund „der schlechten archäologischen Quellenlage“ nicht genau zu sagen; allerdings wurden „im Gebiet um Bethel charakteristische judäische Artefakte aus dem 7. Jahrhundert v. Chr. entdeckt…, die darauf hindeuten, daß hier zur Zeit König Josias Einflüsse aus dem Süden geltend wurden.“

Man kann also sagen (S. 180), dass das „Deuteronomistische Geschichtswerk … ein politisches Programm“ war:

Das Reich der Assyrer war zerbrochen, Ägypten offenbar nur an seinen küstennahen Territorien interessiert, und Juda konnte seine panisraelitischen Träume umsetzen. Dies war eine Zeit der Hoffnungen und der großen Erwartungen. Unter der gerechten Herrschaft des neuen David und unter dem gemeinsamen Dach des Tempels Salomos würden alle israelitischen Territorien geeint und das ganze Volk Israel bald in einem Staat leben, den einen und einzigen Gott im Tempel von Jerusalem anbeten und den Segen Gottes für alle Zeiten auf sich herabrufen.

Gesetzt den Fall, das „Buch Deuteronomium und das Deuteronomistische Geschichtswerk, in dem das Epos von David und Salomo enthalten ist“ stammte wirklich aus der Zeit Josias und „stand im Dienst von Josias Kultreform und Staatsideologie“, dann waren es nach Finkelstein und Silberman folgende „Kräfte, die sich hier verbündeten“ und „die biblische Überlieferung so entscheidend prägten“ (S. 181):

  • die „Priesterschaft“, der die „Heiligkeit des Jerusalemer Tempels“ am Herzen lag,
  • eine Widerstandsbewegung im Volk mit ihrer „Forderung nach gerechten sozialen Beziehungen zwischen Reich und Arm“
  • und Kreise, „denen das Schicksal des königlichen Hofs am Herzen lag“.

Indem (S. 182) die „deuteronomistischen Historiker … die älteren Geschichten über Reichtum, Weisheit und Größe Salomos aus der Blütezeit der assyrischen Imperialmacht“ übernahmen, stellten sie vor Augen,

was Juda zu erwarten hatte, wenn das Gesetz befolgt und ein vereinigtes Königreich ganz Israels ‚wieder-‘aufgebaut würde. Doch die Salomo-Geschichte war auch ein Lehrstück darüber, daß globaler Handel und internationale Beziehungen zum Glaubensabfall führen und die jahrhundertealte Tradition und Identität Judas gefährden konnten (vgl. 1 Kön 11,1-10).

Die Träume von der Aufrichtung eines großen Reiches Israel wurden jäh zerstört (S. 183), als Pharao Necho im Jahr 609 v. Chr. im Rahmen einer „Militärexpedition, um dem zerbrechenden assyrischen Reich bei der Rückeroberung der Stadt Harran weit oben im Norden Waffenhilfe zu leisten“, den judäischen König Josia bei der Stadt Megiddo tötete. Ob Josia den Vasalleneid verweigert hatte „oder ob sich Ägypten durch die Expansion Judas in die Schefela und ins Bergland bedroht fühlte“ – wir wissen es nicht.

Aber noch blieb das Königreich Juda weiter bestehen und „Josias Sohn Joahas“ wurde (S. 184) „zum König gesalbt“. Von dieser Zeit an gewann

der hebräische Begriff ‚der Gesalbte‘ (maschiach, der Messias) … eine neue Bedeutung. Josia, der neue David, war mit so vielen Hoffnungen bedacht worden, seine Anhänger waren sich des von Gott verheißenen Sieges so sicher gewesen, daß sein Tod durch die Hand des Pharaos zu einem nationalen Trauma wurde, das niemals heilen sollte. Selbst der Name des Ortes seiner Ermordung – Megiddo – blieb unvergessen. Har Megiddo («der Hügel von Megiddo»), Jahrhunderte später aus dem Hebräischen als «Armageddon» ins Griechische übersetzt, gilt seither als mythischer Ort, an dem die Mächte des Guten und des Bösen eines Tages gegeneinander kämpfen und das Schicksal der Welt entscheiden werden. Ein gerechter König aus davidischer Linie würde eines Tages an den Ort zurückkehren, an dem der letzte gerechte davidische König sein Leben ließ. Josias Tod im Jahr 609 v. Chr. bedeutet somit die Geburtsstunde der jüdisch-christlichen Eschatologie und des davidischen Messianismus.

Schon zwölf Jahre später, im Jahr „597 v. Chr. wurde Jerusalem von einer babylonischen Armee belagert und König Jojachin zusammen mit den Priester- und Adelskreisen ins Exil verbannt“. Noch einmal weitere

elf Jahre später wurden Jerusalem und sein Tempel durch Feuer vernichtet. Damit endete die Herrschaft der davidischen Dynastie. Doch trotz der Zerstörung Jerusalems, trotz der Verbannung seiner Führungsschicht blieb die Geschichte des Königreichs Juda in den biblischen Erzählungen lebendig…

8 David und Salomo als Gründerväter eines um den Tempel in Jerusalem konzentrierten Judentums

Durch den (S. 187) „Tod König Josias in Megiddo und die Zerstörung Jerusalems dreiundzwanzig Jahre später, 586 v. Chr.“, wurde der

Mythos der davidischen Dynastie … politisch wertlos. Nie wieder sollte ein davidischer König in Jerusalem regieren, geschweige denn dauerhaft politische Macht erlangen. Von nun an wurde der Vordere Orient von großen Imperien beherrscht. Es war undenkbar, daß jemals ein davidisches Königreich wiedererstehen würde, wie es Josia und den Deuteronomisten vorgeschwebt hatte. Mächtige Reiche beherrschten die Region und die hier lebenden Völker. Nach den Babyloniern kamen die Perser, nach den Persern die großen hellenistischen Reiche Ägyptens und Syriens.

Trotzdem blieb „die Geschichte von David und Salomo mit ihrem überzeitlichen Bild von Gründervätern, einem Goldenen Zeitalter und einer göttlichen Verheißung … unvergessen… Die Bedeutung der Geschichte verlagerte sich von aktuellen politischen und dynastischen Interessen hin zu einer umfassenden Erlösungsvision, die nicht an weltliche Macht, sondern an einen Kanon religiöser Überzeugungen gebunden war.“

Aber (S. 188) „in den Exilgemeinden Babylons und in weiten Kreisen der im zerstörten Juda Verbliebenen“ begann „eine Überarbeitung des Deuteronomistischen Geschichtswerks, die dringend erforderlich war“. Nunmehr gewannen (S. 189) anstelle

der Rückkehr Josias als langerwarteter Nachfolger Davids … die Zerstörung des Königreichs und das Babylonische Exil einen zentralen Platz in der Geschichte Israels. In das Deuteronomistische Geschichtswerk wurden Passagen über die Weissagung des Exils eingeflochten. Das Scheitern von Josias Reformen und die Zerstörung des Königreichs Juda wurden auf die beispiellose Sündhaftigkeit Manasses zurückgeführt…

Nach wie vor (S. 190) blieb die „davidische Dynastie … der Dreh- und Angelpunkt jener Texte, in denen das Selbstverständnis Judas Ausdruck fand“, doch die Texte der Propheten des 6. Jahrhunderts wurden „zunehmend poetisch und metaphorisch“. Der so genannte zweite Jesaja stellt die „Wiederkehr eines davidischen Erlösers“ in „wahrhaft kosmischer, globaler Dimension“ vor Augen und Jeremia und Ezechiel haben die Vision „einer moralischen Erneuerung der judäischen Gesellschaft“ und einen „Bund des Friedens“ im Sinn. Als (S. 192) König Kyros der Große (559-530 v. Chr.) „im Osten und Westen ein eigenes Großreich gründete“, gab es Propheten, die „den persischen König – und nicht einen Nachkommen Davids – zu dem von Gott gesalbten Welterlöser“ erklärten. Denn die

Perser tolerierten, ja förderten lokale Kulte in ihrem Herrschaftsgebiet und gewährten der loyalen Elite Autonomie. In einem Erlaß erlaubte Kyros den Exilierten aus Juda die Rückkehr nach Jerusalem und den Wiederaufbau des Tempels.

Die Hoffnungen, dass „es unter Führung der davidischen Dynastie zu einem Wiederaufleben der nationalen Eigenständigkeit Judas kommen würde“, wurden allerdings enttäuscht. Stattdessen wandelte sich Judas nationaler Kult „zu der Religion, die wir heute als Judentum kennen.“

Zunächst aber war (S. 193) die „Provinz Jehud, wohin die judäischen Exilanten aus Babylonien in mehreren Wellen zurückströmten, … nur noch ein Schatten des einstigen Königreichs Juda.“ Es wurde nur noch Landwirtschaft betrieben und Jerusalem lag noch immer in Trümmern. Nach „umfassenden siedlungsarchäologischen Untersuchungen“ treffen die Darstellungen im 2. Buch der Könige und im Buch Jeremia zu, dass

nach der Zerstörung Jerusalems im Jahr 586 v. Chr. die Stadt Mizpa zwölf Kilometer nördlich von Jerusalem zum Zentrum der Daheimgebliebenen wurde. Auch andere Ortschaften im selben Gebiet nördlich von Jerusalem, darunter Bethel und Gibeon, waren im frühen 6. Jahrhundert v. Chr. weiterhin bewohnt und weisen keine Spuren der Zerstörung durch die Babylonier auf.

Zunächst spielt der „davidische Erbe Serubbabel“ beim Wiederaufbau des Jerusalemer Tempels noch eine Rolle; er wird sogar „offiziell zum Statthalter Jehuds ernannt“, aber (S. 195) als der „Jerusalemer Tempel … um 516 v. Chr. vollendet und geweiht“ worden ist,

spielt Serubbabel in der Geschichte Jehuds keine Rolle mehr. … Sicher ist, daß am Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. das Haus David als weltlicher Faktor aus dem politischen Leben Jehuds verschwand. Nie wieder sollte ein König aus dem Geschlecht Davids in Jerusalem regieren.

Die Stadt (S. 196) Jerusalem, die „von einer relativ großen Stadt mit einer Fläche von rund sechzig Hektar vor der babylonischen Zerstörung auf ein Zehntel dieser Größe in persischer Zeit geschrumpft“ war, erlebte (S. 195) im „5. Jahrhundert v. Chr. … als Tempelstadt und als Hauptstadt der kleinen entlegenen Provinz eines Großreichs einen langsamen Wiederaufschwung.“ Hier war nun (S. 196) der

von den Persern ernannte Statthalter … für die weltlichen Angelegenheiten wie das Eintreiben der Steuern und die Verwaltung zuständig. Unter Führung eines Oberpriesters überwachte die Priesterschaft die Kulthandlungen und das Einsammeln der Opfergaben. Diese Zweigliedrigkeit zeigte sich bereits in der Machtverteilung zwischen dem Statthalter Serubbabel und dem Hohepriester Joschua im späten 6. Jahrhundert v. Chr. (Hag 1,1).

Die Priester waren es nun auch, die „die heiligen Schriften der Gemeinschaft“ überarbeiteten, aber auch neue Texte abfassten, zum Beispiel „die Bücher der Chronik, in denen David und Salomo trotz des Verschwindens des davidischen Herrscherhauses eine zentrale Rolle spielen“ und (S. 197) deren Entstehung Finkelstein und Silberman in der Zeit „zwischen der Mitte und dem Ende des 4. Jahrhunderts“ für wahrscheinlich halten. Dieses „chronistische Werk präsentiert einen David und einen Salomo, die frei sind von Widersprüchen und menschlichen Schwächen“ (S. 198):

Alle kritischen oder unschmeichelhaften Erzählungen über David und Salomo ließ man absichtlich und gezielt unter den Tisch fallen…, um ein makelloses Bild geradezu heiliger Könige zu zeichnen. Breiten Raum widmet der Chronist dagegen dem Tempel und seinem Personal. Diese Passagen fehlen im Deuteronomistischen Geschichtswerk ganz.

Die Bedeutung von „Davids Erwählung und Salomos Herrschaft“ erschöpft sich nun

in der Stiftung des Tempelkults. … Die Verfasser wollen der Bevölkerung der Provinz Jehud und den überall im Vorderen Orient verstreuten Gemeinschaften ihrer Landsleute – jetzt zunehmend „Jehudim“ oder Juden genannt – vermitteln, daß die ersehnte Erlösung nicht in der Wiederherstellung dynastischer Macht, sondern im Befolgen der Rituale und Gesetze des Tempels von Jerusalem liegt.

Allerdings hatte das Werk der Chronik noch ein anderes Ziel. Da die Perser (S. 200) „die Verwaltungsstrukturen“ der „Babylonier und Assyrer“ im „Territorium nördlich der Provinz Jehud“ beibehalten und aus dem „Kernland des einstigen Nordreichs Israel“ die „Provinz Samaria“ gemacht hatten, entstand den Judäern in deren Bevölkerung, „gemischt aus Israeliten, die nicht ins Exil gegangen waren, und fremden Gruppen, die die Assyrer hier angesiedelt hatten“, die „sich jetzt Samaritaner“ nannten, eine ärgerliche „politische und religiöse Konkurrenz“. Schon in

den Büchern Esra und Nehemia wird von ständigen Feindseligkeiten der Samaritaner erzählt, die den Wiederaufbau Jerusalems und den Bau des Tempels behindern. Diese Feindschaft war wechselseitig. Die Bewohner Samarias, insbesondere die Angehörigen der Stämme Manasse und Ephraim, die nicht von den Assyrern deportiert worden waren, betrachteten sich als die Erben des nördlichen Königreichs. …

Biblische Schauplätze wie Sichem und Bethel und so bedeutende biblische Persönlichkeiten wie Jakob, Josef und Josua sind explizit mit dem Norden verbunden.

Die Samaritaner blieben insofern „den Traditionen des Volkes Israel treu“, als sie eine eigene „Fassung der Fünf Bücher Mose“ als ihre Heilige Schrift bewahrten. Archäologische Untersuchungen legen weiterhin nahe, dass (S. 202) sie ebenfalls „in persischer Zeit…, vermutlich in der ersten Hälfte des 5 . Jahrhunderts v. Chr.“, einen eigenen Tempel „auf dem Berg Garizim“ bauten, der „dem Kult des Gottes Israels geweiht war“ und der „architektonisch den Beschreibungen des Tempels von Jerusalem verblüffend ähnelte.“ Dieser Tempel wurde in der Provinz Jehud als „eine eminente Bedrohung der Jerusalemer Ideologie“ empfunden.

Die Deuteronomisten hatten zwar den Kult des Nordreichs als sündig betrachtet, aber „die Bewohner des Nordens“ waren für sie „nach wie vor Teil des Volkes und Landes Israel“. Die Verfasser der „Chronik dagegen“ bestanden darauf, dass die Gesetze Gottes „nur in Jerusalem erfüllt werden könnten.“

Das heißt (S. 203):

Das Volk Israel wird in der Chronik durch seine Religion definiert und nicht durch Landesgrenzen oder seine politischen Institutionen. Die Einheit Israels kann dieser Logik zufolge auch nicht durch territoriale Eroberungen oder einen heiligen Krieg, sondern nur durch eine klare religiöse Entscheidung erreicht werden. … David und Salomo – und ihr vereinigtes Königreich – werden hier zum Modell und Symbol für die Einheit der Nation, zum Archetyp einer heiligen Gemeinschaft ganz Israels. Die Chronik fordert damit die Bewohner des Nordens auf, sich der Gemeinschaft Gottes anzuschließen.

In der Folgezeit wird daraufhin (S. 204)

David und Salomo … mit der Zeit auch die Verfasserschaft wichtiger Sammlungen von kultischen Versen, Texten und Dankesliedern zugeschrieben. … Davids Harfenspiel, das Sauls Schwermut besänftigt (1 Sam 16,14-23), wurde zur Grundlage dafür, daß man ihm die Einführung der Musik beim Tempelkult und Dutzende von Psalmen zuschrieb, die wahrscheinlich regelmäßig beim Gottesdienst gesungen wurden. Ähnlich schrieb man dem für seine Weisheit berühmten Salomo („er dichtete dreitausend Sprüche und tausendundfünf Lieder“, 1 Kön 5,12) die Sammlung traditioneller Weisheitssprüche zu („dies sind die Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel“, Spr 1,1). Und der Überlieferung zufolge wird Salomo, dem großen Liebhaber, auch die Sammlung von Liebesliedern, das „Hohelied Salomos“ (Hld 1,1), zugeschrieben.

9 David und Salomo als Identifikationsfiguren im Messianismus und Christentum, im Judentum und im Islam

Die beiden Könige (S. 206) „David und Salomo“ blieben jedoch nicht „lediglich Schutzpatrone des wiederaufgebauten Tempels und seiner kultischen Rituale“. Ihre Überlieferung wurde ständig weiterentwickelt. Die „Etablierung Davids und Salomos als Verkörperungen späterer religiöser Überzeugungen“ erschloss „ein breites Spektrum an Deutungsmöglichkeiten…, von denen die religiöse Entwicklung des Judentums und später des Christentums nachhaltig beeinflußt war.“

Als sich (S. 207) die „Überlieferung von David und Salomo … über den Alten Orient hinaus“ ausbreitete, „in dem ägyptische und insbesondere assyrische Modelle göttlich beglaubigter Herrschaft dominierten“, setzten sich unter

dem Einfluß griechischer Vorstellungen von einem idealen Philosophenkönig … in hellenistischer Zeit neue Auffassungen durch. … In der Beschreibung von Davids Gerechtigkeit und Salomos Weisheit klingt die halbgöttliche Natur der hellenistischen Könige an: Neben der Frömmigkeit besitzen die beiden Könige philosophische Weisheit und außergewöhnliche praktische Kenntnisse der in hellenistischen Kreisen hochgeschätzten Naturwissenschaften.

Als (S. 208) infolge der Makkabäeraufstände die „Hasmonäer-Dynastie (165-37 v. Chr.) … nach mehr als vier Jahrhunderten imperialer Unterwerfung in Juda den ersten unabhängigen Staat mit der Hauptstadt Jerusalem und dem Tempel als Mittelpunkt“ gründete, konnten sie nicht an die Traditionen Davids und Salomos anknüpfen, denn

sie stammten selbst nicht aus dem davidischen Geschlecht. Schlimmer noch: Sie verdrängten die Priesterschaft der Zadokiden, die ihren Ursprung auf die Zeit Davids zurückführten, aus dem Amt des Oberpriesters, was zu erbitterter religiöser Opposition in Judäa führte und … ein neues Interesse an David und Salomo entfachte.

Herodes der Große, der „den letzten Hasmonäer in einem blutigen Bürgerkrieg“ verdrängte und als „Klient der Römer … Judäa 37-4 v. Chr. mit eiserner Hand regierte“, war es dann, der „den nationalen Traditionen seinen Respekt“ erwies, „indem er in Jerusalem einen großen neuen Tempel und Palast nach dem Vorbild des biblischen Salomo … erbauen ließ.“ Er scheint sich auch in anderer Hinsicht (S. 209) „selbstbewußt zum symbolischen Nachfolger Davids, des Herrschers über das ganze biblische Land Israel, und zum Nachfolger Salomos, des Stifters und Bauherrn des Tempels“, stilisiert zu haben, genoss aber als „vom fernen Rom eingesetzter König … keine Wertschätzung.“ Indem er „Judäa mit brutaler Gewalt“ regierte und „die religiöse Ikonographie der davidischen Tradition“ förderte, „ohne jedoch politische Unruhen verhindern zu können“, trug er gerade „auf diese Weise zur Festigung Davids und Salomos als Personifikationen politischer und eschatologischer Hoffnungen“ bei.

Schon lange waren nämlich mit „der Herrschaft nichtdavidischer Könige in Judäa und der Entmachtung der zadokidischen Priesterschaft im 2. Jahrhundert v. Chr. … starke ideologische Gegenströmungen“ entstanden, „die die alte Tradition von David und Salomo wiederbelebten.“ Diese betrachteten

David und Salomo nicht mehr nur als Gründerväter eines Herrschergeschlechts, sondern als Vorbilder gerechten Verhaltens…, denen nachgeeifert werden mußte, um einer gottlosen, unrechtmäßigen Priesterschaft die Kontrolle über den Tempel zu entreißen und das Volk Israel nach Gottes Weisungen zu führen.

Weitere (S. 210) „Gruppen hatten ähnlich lebendige Erwartungen an die Wiederkehr eines davidischen Erlösers, der sich als moralischer und militärischer Führer an die Spitze stellen und Fremdherrschaft und Gottlosigkeit im Handstreich beseitigen werde.“ Zur Zeit (S. 211) „der römischen Oberherrschaft trat eine ganze Reihe solcher Revolutionäre an die Öffentlichkeit, die biblischen Vorbildern nacheiferten.“

Als im Jahr 66 n. Chr. „diese messianischen Hoffnungen außer Kontrolle“ gerieten, kam es „zum offenen Aufstand gegen die römische Besatzungsmacht“ und zum Jüdischen Krieg (S. 212), in Zuge dessen „sich die verschiedenen revolutionären Gruppen in Judäa“ gegenseitig bekämpften und der mit „der Zerstörung Jerusalems und der Brandschatzung des Tempels im Jahr 70 n. Chr.“ endete.

Wie sehr die Römer „die noch immer wache Hoffnung auf die Rückkehr eines davidischen Messias, der das Volk Israel erlösen werde“, fürchteten, zeigen „mindestens zwei Versuche…, all jene zu töten, die behaupteten, aus dem Davidsgeschlecht zu stammen.“

Vom (S. 213) „breiten Strom der volkstümlichen jüdischen Verehrung Davids und Salomos in hellenistischer und römischer Zeit“ ging im „1. Jahrhundert v. Chr.“ auch ein Vertrauen auf die „exorzistische Kraft“ des Sohnes Davids aus, das sich unter anderem im „symbolischen Schutzschild Salomos, auch Davidstern genannt“, ausdrückte und „schließlich in das Geheimwissen der mystischen Bruderschaften und in esoterische jüdisch-christliche Legenden“ einging.

Finkelstein und Silberman (S. 214) sind faszinert von dem „Niederschlag“, den dieses „Bild von Salomo als Teufelsaustreiber … in den Schriften des Neuen Testaments gefunden hat“, denn nach Markus 10,46-52 erwartet der blinde Bettler Bartimäus von Jesus als dem „Sohn Davids“ seine Heilung (S. 215):

Der enge Bezug zwischen dem Titel „Sohn Davids“ und der Heilung des Blinden läßt vermuten, daß Jesus von Nazareth ursprünglich als Personifikation Salomos in dessen Eigenschaft als Teufelsaustreiber angesehen wurde und nicht in dessen Eigenschaft als Stifter des Tempels oder als langersehnter Befreier Israels.

Doch letztlich verschmolzen in der Person Jesu alle älteren Stränge der davidischen Überlieferung. Für seine Anhänger war er der ultimative Erbe von Gottes Verheißung an die davidische Dynastie und der langerwartete Erlöser des ganzen Volkes Israel.

Ob „sich Jesus von Nazareth … im Laufe seines Wirkens in Galiläa und Judäa in den späten zwanziger und dreißiger Jahren n. Chr. ausdrücklich als Sohn Davids bezeichnet hat“, ist nicht sicher, aber die

Verfasser der Evangelien und anderer frühchristlicher Texte, die sich kurz nach der Zerstörung Jerusalems ans Werk machten, taten alles, um diese Gleichsetzung zu bekräftigen, allerdings mit einem großen Unterschied zur zeitgenössischen jüdischen Tradition: Sie betonten, daß Jesus zwar aus dem irdischen Geschlecht Davids stamme, sein messianischer Auftrag aber viel größer sei als jener der Gründerkönige Israels.

Für (S. 217) „die frühen Christen“ wurde „die davidische Heilserwartung … zum Fundament ihres eigenen Glaubens“, aber für sie

waren David, Salomo und alle anderen Erben der davidischen Dynastie Vorläufer und Propheten des Welterlösers, der in Davids Heimat Bethlehem geboren und in Davids Haupt- und Residenzstadt Jerusalem gekreuzigt wurde und auferstand.

Und auch (S. 218)

die jüdische Überlieferung von David und Salomo veränderte sich nach dem Untergang Jerusalems dramatisch. … Nach der Zerstörung des Tempels wurden keine Opfer mehr dargebracht, sondern die biblischen Religionsgesetze studiert und in homiletischen Kommentaren, den Midraschim, erläutert, neu ausgelegt und in Mischna und Talmud aufgezeichnet. David und Salomo gewannen jetzt eine neue religiöse Bedeutung. In Tradition und Schrifttum des rabbinischen Judentums wurden sie zu Leitfiguren der Gottesverehrung und des Gesetzesstudiums.

In der christlichen Theologie wiederum (S. 220) entwickelte etwa Augustinus mit „seiner allegorischen Interpretation der Psalmen … das maßgebliche Bildprogramm: Leben und Wirken Davids und Salomos werden zu Bekräftigungen der christlichen Lehre.“ Während allerdings im „4. Jahrhundert n. Chr. … die Kirchenväter überzeugt“ waren, „die Psalmen handelten tatsächlich von Jesus, und Davids und Salomos Leben seien göttlich inspirierte Allegorien“, wurden in späterer Zeit „die Deutungen wieder nüchterner“, indem „David und Salomo … zu positiven Identifikationsfiguren“ wurden, „denen ihre eigenen weltlichen Führer nacheifern sollten“. Vor allem in einer Zeit (S. 221), als sich in Europa „jener altbekannte historische Prozeß der Auflösung eines großen Reichs und der Konstituierung neuer Völker und Staaten“ vollzog und als die „christlichen Missionare … den Völkern Europas … die frohe Botschaft der Erlösung zu bringen“ suchten, „spielten die Überlieferungen von David und Salomo eine zentrale Rolle“ (S. 221f.):

Die Bilder des großen Königs, Kriegers und Psalmisten sowie des weisen, märchenhaft reichen Königs, der die große Stadt und den Tempel erbaute, standen im Hintergrund der Evangelien. Doch da die kühnen und manchmal blutrünstigen Erzählungen des biblischen Israel die heidnischen Proselyten weit mehr beeindruckten als die Gleichnisse der Evangelien und die allegorischen Deutungen des frühen Christentums, traten sie zunehmend in den Vordergrund. Hier und da sammelten Banditenführer ihr Gefolge und erkannten die Vorteile, die eine Bekehrung zum Christentum mit sich brachte. Jesus selbst thronte im Himmel anstelle der Schutzgötter, die sie bisher verehrt hatten. David und Salomo dagegen waren greifbarere Identifikationsfiguren für die Königreiche, die sie selbst aufzubauen sich anschickten.

Kein Wunder ist es daher (S. 223), dass „David und Salomo … zu den beliebtesten Motiven der europäischen Kunst des Mittelalters“ zählen, verkörpern sie doch „ein bestimmtes Bild des gottesfürchtigen christlichen Herrschertums“ (S. 224):

Könige wie Karl der Große konnten in Bildern von Davids triumphalen Eroberungen und Salomos unsäglichem Reichtum und weisem Herrschertum schwelgen. … Unter Verweis auf Davids ehebrecherische Affäre mit Bathseba und Salomos religiöse Abtrünnigkeit konnten Bischöfe und andere kirchliche Autoritäten die Fürsten und Könige ganz Europas zu Reue und Sühne für ihr gottloses Verhalten aufrufen.

Und damit nicht genug. Auch der

Koran übernahm zahlreiche biblische Traditionen, und Dâwûd und Süleyman sind im islamischen Denken als edle Könige und Richter präsent, die den Willen Allahs vorwegnahmen. … Wie in Judentum und Christentum verkörperten Dâwûd und Süleyman unerreichte Maßstäbe, an denen sich die politischen Führer messen lassen mußten.

Weitere Veränderungen in der „Wahrnehmung Davids“ ergeben sich „mit dem neuen Menschenbild der Renaissance“; er ist nun (S. 225) „ein junger Mann von athletischem Körperbau, entschlossen und selbstbewußt“. Noch einmal „hundert Jahre später“ werden in „den düsteren Gemälden Rembrandts und anderer Alter Meister … David und Salomo zur Verkörperung innerer Zerrissenheit und peinigender Selbsterforschung“.

Und noch heute (S. 226) brauchen wir

historische Identität und Kontinuität und suchen nach Bestätigung dafür, daß gerechte Herrschaft möglich ist. Und hier liegt der Grund dafür, daß die Geschichte von David und Salomo bis heute nichts von ihrer Faszinationskraft eingebüßt hat. …

David und Salomo gehören zur Grundlage unserer Zivilisation und unserer Bemühungen, den Traum von einem Goldenen Zeitalter und einer idealen Herrschaft mit einer sich ständig verändernden politischen, sozialen und religiösen Wirklichkeit in Einklang zu bringen.

Ich habe die faszinierenden Einsichten Finkelsteins und Silbermans in dieser Ausführlichkeit referiert, um deutlich zu machen, wie vielschichtig die Überlieferung der erzählerischen Stoffe von David und Salomo im Laufe der Geschichte vor sich gegangen ist und immer wieder Veränderungen erfahren hat.

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