Bild: Helmut Schütz

Ein Flüchtlingskind

Zu guter Letzt …

… wie alle Jahre wieder wird es Weihnachten.

Weihnachtsbaum in der evangelischen Pauluskirche Gießen
Weihnachtsbaum in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Eine sehr durchwachsene Zeit: In leuchtenden Kinderaugen spiegeln sich Weihnachtskerzen. Jugendliche rechnen sich den Wert ihrer Geschenke in Euro und Cent aus. Erwachsene beklagen vorweihnachtliche Hektik und das Hickhack um Lichterketten im Seltersweg. Viele ertragen Weihnachten nur schwer, weil dieses Fest auch unerfüllte Sehnsucht ins Bewusstsein ruft. Doch manchen gelingt es, Augenblicke der Besinnung von Stress und Depression freizuhalten.

Wer den Mut hat, sich auf das ursprüngliche Weihnachten einzulassen, entdeckt ein Kind, das von Anfang an bedroht ist in dieser Welt. Kein Raum in der Herberge, kein weiches Bettchen ist da für das Neugeborene, nur pieksiges Stroh in einer Futterkrippe im Stall von Bethlehem. Und schon bald wird es zum Flüchtlingskind, als seine Eltern wegen der Mordanschläge des grausamen Königs Herodes in Ägypten um Asyl bitten. So gesehen ist an Weihnachten nichts geschehen, was wir nicht auch kennen: Gewalt, Flüchtlingsdramen, Obdachlosigkeit, bittere Armut und soziale Kälte.

Trotzdem wird für Maria und Josef die Nacht der Geburt ihres Kindes zur „Heiligen Nacht“. Und es sind arme Hirten auf dem Feld von Bethlehem, die in der Weihnachtsnacht die Engel singen hören. „Friede auf Erden“ geht von dem Kind aus, das in der Krippe liegt. Gott wird ein Flüchtlingskind, in Armut geboren, und wenn Reiche mit ihm zu tun bekommen wollen, müssen sie sich wie die weisen Männer aus dem Morgenland auf eine viel weitere Reise machen.

Warum wird Gott ein so verletzbares Kind? Warum wird Jesus ein Gottessohn sein, der ohne äußere Macht auftritt? Er ruft zum Gottvertrauen auf, damit wir aus Teufelskreisen herauskommen. Denn nicht Gott hat diese Welt böse geschaffen, sondern wir machen sie zu einem bösen Ort, wenn wir auf Verletzungen mit Härte, auf Enttäuschungen mit Rückzug, auf Gewalt mit Gegengewalt antworten. Das Kind in der Krippe will aus unserer Erde wieder einen guten Ort machen.

Einsam bleiben – das muss nicht sein. Es geht auch anders. Sich einen Ruck geben und anrufen, um sein Herz auszuschütten. Im Seniorentreff der Kirche oder beim Mittagstisch im Nordstadtzentrum nette Gesprächspartner finden. In die Kirche gehen und sich anrühren lassen von einem Gottesdienst. Im Bibelkreis spüren, dass dieses alte Buch aktueller sein kann als die Tageszeitung. Weihnachten kann ein Anlass sein, um aus dem eigenen Schneckenhaus herauszukriechen.

In diesem Sinne: Gesegnete Weihnachten!

Ihr Pfarrer Helmut Schütz

„Zu guter Letzt“ Dezember 2004 – Februar 2005 im Gemeindebrief der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen

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