Bild: Schüler

Osterverstecke im Markusevangelium

Jesu Geist kehrt vom Himmel auf die Erde zurück – dorthin, wo wir Schicksalsschläge erfahren und mit Alltagsbelastungen zu kämpfen haben. Markus braucht eine Auferstehungshoffnung, die stark genug ist, um den grauenvollen Erfahrungen des Untergangs von Jerusalem und den Massenmorden von Römern an Juden und Christen standzuhalten, die um das Jahr 70 am See Genezareth und in Jerusalem stattgefunden haben.

Von Wolke zu Wolke soll Jesus wieder auf die Erde springen, meint hier ein Junge
Ein Schüler stellt sich die Auferstehung Jesu so vor, dass er von Wolke und Wolke zurück auf die Erde springt

direkt-predigtOstergottesdienst mit Abendmahl am Ostersonntag, 16. April 2006, 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen und am Ostermontag, 17. April 2006, um 10.00 Uhr in der Thomasgemeinde Gießen (für die Sicht auf das Markusevangelium verdanke ich sehr viel den Gedanken von Andreas Bedenbender in der Exegetischen Zeitschrift „Texte & Kontexte“, u. a. Heft Nr. 77/78 (1+2/1998), „Markusevangelium III“, und dem Artikel: „Wenn der Sturm sich legt und der Schrecken bleibt. Beobachtungen zu Mk 4, 35 – 5, 1“)

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Am Ostersonntag begrüße ich alle herzlich im Gottesdienst in der Pauluskirche mit dem Ostergruß: „Christus ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“

Die normalen Gesänge, die wir im Gottesdienst sonst am Anfang singen, singen wir heute nicht.

Dafür singen wir das ganze Lied 105 im Wechsel mit den Gebeten von Pfarrer Schütz.

Zuerst singen wir die Strophen 1 bis 3:

1. Erstanden ist der heilig Christ, Halleluja, Halleluja,
der aller Welt ein Tröster ist. Halleluja, Halleluja.

2. Und wär er nicht erstanden, Halleluja, Halleluja,
so wär die Welt vergangen. Halleluja, Halleluja.

3. Und seit dass er erstanden ist, Halleluja, Halleluja,
so loben wir den Herren Christ. Halleluja, Halleluja.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Die ersten drei Strophen eines langen Osterliedes haben wir gesungen. Sie umreißen ein Thema, das uns jubeln lässt: Christus ist auferstanden, und wir loben ihn als den Tröster für alle Welt, weil er die Vergänglichkeit der Welt überwunden hat!

Diese drei Strophen bilden den Auftakt für eine lange Litanei über drei Frauen, die zum Grab Jesu gehen. Es fällt auf, dass hier zunächst keine frohe Stimmung herrscht, sondern erst nur Trauer und Verzweiflung, dann Zweifel und Entsetzen.

Wir singen die Strophe 4:

4. Drei Frauen gehn des Morgens früh; Halleluja, Halleluja,
den Herrn zu salben kommen sie. Halleluja, Halleluja.

Jesus, in Trauer gehen wir zu deinem Grab. Du gingst viel zu früh. Der Tod am Kreuz war so grausam. Wir mögen gar nicht daran denken. Jetzt wollen wir dir einfach die letzte Ehre erweisen, dich einbalsamieren, dich noch einmal berühren, deinen Körper hier auf Erden erhalten, so lange es geht.

Wir singen die Strophe 5:

5. Sie suchen den Herrn Jesus Christ, Halleluja, Halleluja,
der an dem Kreuz gestorben ist. Halleluja, Halleluja.

Jesus, in Trauer und dankbarem Gedenken suchen wir dich. Wir wollen die Erinnerung an dich in Ehren halten, an deinen Gedenktagen Feierstunden für dich abhalten.

Wir singen die Strophe 6:

6. Wer wälzt uns fort den schweren Stein, Halleluja, Halleluja,
dass wir gelangn ins Grab hinein? Halleluja, Halleluja.

Jesus, du machst uns Sorgen und Mühe. Als du lebtest, hast du gesagt: Folget mir nach! Als ob das so einfach wäre: Nicht auf Geld, sondern auf Gott vertrauen. Alles miteinander teilen. Die Feinde lieben. Als du lebtest, hast du gesagt: Sorget nicht! Als ob das so einfach wäre: Auf Gott vertrauen, wenn Sorgen wie schwere Steine auf uns lasten, wenn Menschen nicht einmal davor zurückschrecken, dich ans Kreuz zu schlagen! Jesus, wir kommen nicht einmal hinein in dein Grab, der Stein, der davor liegt, ist zu schwer.

Wir singen die 7. Strophe:

7. Der Stein ist fort! Das Grab ist leer! Halleluja, Halleluja.
Wer hilft uns? Wo ist unser Herr? Halleluja, Halleluja.

Wie? Der Stein ist fort? Das kann nicht sein. Der war doch groß und schwer und unbeweglich wie die Naturgesetze und Sachzwänge, die unsere Wirklichkeit in ihren eisernen Klauen gefangenhalten. Das Grab ist leer? Das kann nicht sein. Gräber behalten in sich, was sie einmal umschließen, bis die Verwesung ihr Werk getan hat. Jesus, wo bist du? Gibt es keinen Ort, an dem wir um dich trauern können?

Wir singen die Strophe 8:

8. Erschrecket nicht! Was weinet ihr? Halleluja, Halleluja.
Der, den ihr sucht, der ist nicht hier. Halleluja, Halleluja.

Wer spricht da? Wer singt da ein Halleluja mitten hinein in unsere Trauer? Du bist ein Engel und störst uns in unserer Traurigkeit? Willst du uns unsere Tränen verbieten? Dürfen wir Jesus nicht betrauern? Wo sollen wir ihn suchen, wenn nicht hier in seinem Grab?

Wir singen die Strophen 9 und 10:

9. Du lieber Engel, sag uns an, Halleluja, Halleluja, wo habt ihr ihn denn hingetan?
Halleluja, Halleluja.

10. Er ist erstanden aus dem Grab, Halleluja, Halleluja,
heut an dem heilgen Ostertag. Halleluja, Halleluja.

Auferstanden? Als hätte Jesus nur geschlafen? Das gibt es doch nicht. Engel, kannst du das beweisen?

Wir singen die beiden Strophen 11 und 12:

11. Zeig uns den Herren Jesus Christ, Halleluja, Halleluja,
der von dem Tod erstanden ist! Halleluja, Halleluja.

12.So tret’t herzu und seht die Statt, Halleluja, Halleluja,
wo euer Herr gelegen hat. Halleluja, Halleluja.

Lieber Engel, wir sehen es ja, dass wir nichts sehen. Aber sollen wir das wirklich glauben: Jesus lebt?

Wir hören die Lesung zum Osterfest aus dem Evangelium nach Markus 16, 1-8:

1 Als der Sabbat vergangen war, kauften Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus, und Salome wohlriechende Öle, um hinzugehen und ihn zu salben.

2 Und sie kamen zum Grab am ersten Tag der Woche, sehr früh, als die Sonne aufging.

3 Und sie sprachen untereinander: Wer wälzt uns den Stein von des Grabes Tür?

4 Und sie blickten hin und sahen, dass der Stein weggewälzt war; denn er war sehr groß.

5 Und sie gingen hinein in das Grab und sahen auf der rechten Seite einen jungen Mann sitzen, der hatte ein langes weißes Gewand an, da erschraken sie sehr.

6 Er aber sprach zu ihnen: Erschreckt nicht! Ihr sucht Jesus von Nazareth, den Gekreuzigten. Er ist auferstanden, er ist nicht hier. Seht, da ist die Stelle, wo man ihn hingelegt hatte.

7 Nun aber geht und sagt seinen Jüngern, vor allem Petrus: Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.

8 Und sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Wir singen Vers 13 und 14:

13. Wir sehen’s wohl, das Grab ist leer. Halleluja, Halleluja.
Wo aber ist denn unser Herr? Halleluja, Halleluja.

14. Ihr sollt nach Galiläa gehn; Halleluja, Halleluja,
dort werdet ihr den Heiland sehn. Halleluja, Halleluja.

Nach Galiläa sollen wir gehen? Dahin, wo wir hergekommen sind? Dahin, wo unsere Sorgen am größten sind, wo uns die Last des Alltags drückt, wo ein Tag ohne Hoffnung sinnlos wie der andere ist? Dort sollen wir Jesus finden, den Heiland, ihn, der unser Leben heil macht und in der Welt Frieden schafft? Nein, Engel, was du uns sagst, ist unglaublich. Du machst uns Angst. Lieber laufen wir weg. Was? Jesus ist auferstanden? Jesus lebt? Wir sollen es den anderen weitersagen? Zu Hause, da, wo wir leben, erwartet er uns? Nein, wir werden niemandem etwas sagen. Man würde uns nur auslachen.

Ja, liebe Gemeinde, so endet das Osterevangelium der Frauen nach Markus. Mit Zittern und Entsetzen.

Unser Lied 105 ist aber noch nicht fertig. Die drei letzten Strophen nehmen Motive aus den anderen Evangelien auf. Dort wird erzählt, dass die Frauen sich dann doch dazu aufgerafft haben, den Jüngern die Botschaft des Engels weiterzuerzählen. Bei Matthäus glauben es ihnen die Jünger sofort. Bei Lukas halten sie es zunächst für Geschwätz. Offenbar spiegelt sich in den verschiedenen Berichten ein längerer Prozess zwischen Trauer und Verzweiflung, Zweifel und Glauben.

Am Ende können wir mit den getrösteten Frauen das Lied getrost zu Ende singen, die Strophen 15 bis 17:

15. Du lieber Engel, Dank sei dir. Halleluja, Halleluja.
Getröstet gehen wir von hier. Halleluja, Halleluja.

16. Nun singet alle voller Freud: Halleluja, Halleluja.
Der Herr ist auferstanden heut. Halleluja, Halleluja.

17. Des solln wir alle fröhlich sein, Halleluja, Halleluja,
und Christ soll unser Tröster sein. Halleluja, Halleluja.

Glaubensbekenntnis

Wir singen aus dem Lied 111 die Strophen 1 und 6 bis 8:

1. Frühmorgens, da die Sonn aufgeht, mein Heiland Christus aufersteht. Vertrieben ist der Sünden Nacht, Licht, Heil und Leben wiederbracht. Halleluja.

6. Am Kreuz lässt Christus öffentlich vor allem Volke töten sich; da er durchs Todes Kerker bricht, lässt er’s die Menschen sehen nicht. Halleluja.

7. Sein Reich ist nicht von dieser Welt, kein groß Gepräng ihm hier gefällt; was schlicht und niedrig geht herein, soll ihm das Allerliebste sein. Halleluja.

8. Hier ist noch nicht ganz kundgemacht, was er aus seinem Grab gebracht, der große Schatz, die reiche Beut, drauf sich ein Christ so herzlich freut. Halleluja.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde! „Hier ist noch nicht ganz kundgemacht, was er aus seinem Grab gebracht“, so haben wir gesungen. Geheimnisumwoben ist das Geschehen am Ostermorgen. Was da eigentlich passiert ist, bleibt unseren Sinnen und unserem Verstand verborgen. Trotzdem fragen wir: Was hat denn nun Jesus aus seinem Grab gebracht, in doppeltem Sinn: Wie ist er selber da herausgekommen? und: Was hat er uns an Hoffnung mitgebracht? Das heißt: Was bedeutet die Auferstehung für uns konkret? Wie wird Auferstehung für uns wahr in unserem Leben? Wir erleben es nun einmal nicht, dass Menschen, die wir ins Grab legen, einfach wieder herauskommen.

Gewiss, wir haben als Christen die zuversichtliche Hoffnung, dass wir auferstehen, wenn wir einmal gestorben sein werden. Wir hoffen auf ewiges Leben im Himmel, ohne Schmerzen, ohne Tränen, ohne erneutes Verlassenwerden. Diesen Trost verkünden wir an den Gräbern, wenn wir unsere Toten bestatten.

Aber merkwürdig ist, dass das Markusevangelium an seinem Ende solche Bilder der Hoffnung nicht entwickelt. Da bleibt völlig offen, ob es überhaupt zur Osterfreude kommt und worin sie besteht (Markus 16, 8):

8 Sie gingen hinaus und flohen von dem Grab; denn Zittern und Entsetzen hatte sie ergriffen. Und sie sagten niemandem etwas; denn sie fürchteten sich.

Fertig. Ende des Evangeliums. Markus ist der einzige Evangelist, der das Ostergeschehen nicht durch weitere Erzählungen konkret anschaulich macht. Niemand sieht den Auferstandenen noch einmal. Jesus sagt seinen Jüngern nicht noch einmal letzte Worte. Niemandem wird verboten oder erlaubt, ihn noch einmal anzufassen.

Wenn Sie zu Hause nachschlagen, werden Sie vielleicht sagen: Der Pfarrer hat gelogen. Da stehen im 16. Kapitel des Markusevangeliums doch noch 12 weitere Verse. Richtig. Aber in allen alten Handschriften fehlen diese Verse. Sie sind später angefügt worden, weil man dann offenbar nicht mehr verstehen konnte, warum ein Evangelium von Jesus Christus so unvermittelt und ohne echte Osterfreude endet.

Wir können uns das vielleicht erklären, wenn wir an die Zeit denken, in der Markus sein Evangelium wahrscheinlich geschrieben hat. Er steht unter dem unmittelbaren Eindruck der Zerstörung Jerusalems im Jahr 70 nach Christi Geburt. Er hat so viel Tod, Blut und Trümmer gesehen, dass sein Glaube an Jesus und an die Auferstehung in eine tiefe Krise geraten ist. Was Paulus im 1. Korintherbrief zwanzig Jahre vorher ungebrochen verkündet: „die Auferstehung ist 500fach bezeugt und einige unter euch werden die Auferstehung noch erleben, wenn der Messias wiederkommt“, dieser Glaube ist für Markus bis in die Grundfesten erschüttert. Was Paulus an die Wand malt: „ohne den Glauben an die Auferstehung der Toten ist euer Glaube hinfällig!“, das ist offenbar die große Anfechtung des Markus zwanzig Jahre später.

Dennoch – auch Markus ist nicht ohne Auferstehungshoffnung. Er erzählt zurückhaltender von ihr, und auf eher verborgene Weise.

Von Wolke zu Wolke soll Jesus wieder auf die Erde springen, meint hier ein Junge
Von Wolke zu Wolke springt Jesus wieder auf die Erde, meint ein Schüler

Um die Sichtweise des Markus zu verdeutlichen, möchte ich Ihnen von einem Bild erzählen, das einer meiner Schüler in der 6. Klasse im Religionsunterricht gemalt hat. Er sollte darstellen, wie er sich die Auferstehung Jesu vorstellt. Und er malte auf ein großes Blatt links unten das Grab Jesu und rechts oben den Himmel, wo Gott wohnt. Dazwischen malte er Wolken, die wie Treppenstufen eine Verbindung zwischen Grab und Himmel herstellten. Ich fragte ihn, ob er sich die Auferstehung wie die Himmelfahrt Jesu vorstelle: Jesus steigt nach dem Tod zum Himmel hinauf. Aber der Schüler hatte ein anderes Bild im Sinn. Bei genauerem Hinsehen entdeckte ich Pfeile, die vom Himmel Stufe für Stufe hinunterführten: der Geist, der schon aus dem toten Körper Jesu in den Himmel aufgestiegen war, kehrte in den Körper Jesu zurück und machte ihn wieder lebendig.

Die kindliche Vorstellung dieses elfjährigen Jungen hat mir einen Hinweis gegeben, worauf das Ende des Markusevangeliums abzielen könnte. Sicher nicht darauf, dass der verstorbene Jesus einfach wiederbelebt wird und dann hier auf der Erde weiterlebt, als sei nichts geschehen. Das wäre allzu naiv gedacht und wird in der Bibel nirgends so gesehen. Aber Markus lässt die Jüngerinnen und Jünger nicht in den Himmel blicken, sondern er schickt sie nach Galiläa, zu dem Ort, wo sie hier auf Erden leben, wo ihr Alltag stattfindet: „Er geht euch voraus nach Galiläa; dort werdet ihr ihn sehen, wie er es euch gesagt hat.“ Insofern findet hier in der Tat eine Umkehrung der Blickrichtung statt, wie sie der Junge auf seinem Bild dargestellt hat: Jesu Geist kehrt vom Himmel auf die Erde zurück – dorthin, wo wir leben, wo wir lieben und leiden, wo wir Schicksalsschläge erfahren und mit Sorgen und Alltagsbelastungen zu kämpfen haben. Hier und heute muss sich die Auferstehungshoffnung bewähren. Markus braucht eine konkrete Hoffnung, die stark genug ist, um den grauenvollen Erfahrungen des Untergangs von Jerusalem und den Massenmorden von Römern an Juden und Christen standzuhalten, die zu seiner Zeit, vierzig Jahre nach Jesu Tod, in Galiläa am See Genezareth und in Jerusalem stattgefunden haben.

Gibt uns Markus weitere Hinweise, wie für ihn Auferstehungshoffnung konkret aussieht? Ja, wie Ostereier hat er sie versteckt in seinem ganzen Evangelium, z. B. schon in Markus 1:

35 Und sehr früh am Morgen, noch vor Tage, stand er auf und ging hinaus. Und er ging an eine einsame Stätte und betete dort.

Hier steht das gleiche Wort für „sehr früh am Morgen“, das wir in der Erzählung vom Ostermorgen gehört haben. Und das Aufstehen Jesu noch vor Tagesanbruch bezeichnet Markus mit dem gleichen Wort, mit dem er von seiner Auferstehung spricht: „anastas“. Etwas Alltägliches aus dem Leben Jesu erzählt Markus im Licht des Ostermorgens. Jesus steht auf vom Schlaf und geht allein hinaus in die Einsamkeit, um zu beten. Morgens aufstehen zu können, sich im vertrauensvollen Kontakt zu Gott geborgen zu wissen, ist eine schlichte Art, wie wir alle jeden Morgen neu Auferstehung erfahren können.

Und es gibt noch mehr, was im 1. Markus-Kapitel an die Ostererzählung erinnert:

36 Simon aber und die bei ihm waren, eilten ihm nach.

37 Und als sie ihn fanden, sprachen sie zu ihm: Jedermann sucht dich.

Ist es Zufall, dass hier am Anfang des Markusevangeliums die Jünger Jesus suchen, wie die Frauen am Ende ihn im Grab suchen? Hier finden ihn die Jünger, was dort den Frauen erst noch verheißen wird. Doch nachdem die Jünger Jesus gefunden haben, bricht er sofort wieder auf:

38 Und er sprach zu ihnen: Lasst uns anderswohin gehen, in die nächsten Städte, dass ich auch dort predige; denn dazu bin ich gekommen.

Jesus steht auf und aufersteht im Verborgenen, und wenn er sich finden lässt, lässt er sich nicht festhalten. Auch wir können Jesus nicht einbinden in geschlossene kirchliche Gesellschaften. Jesus will auch die erreichen, die draußen stehen. Auch wir erfahren Auferstehung nur dort, wo wir wie Jesus immer wieder aufstehen aus bequem gewordenen Sesseln und aufbrechen aus eingefahrenen Strukturen, um auch Menschen zu erreichen, die von sich aus zur Gemeinde keinen Zugang finden.

Im Markusevangelium ist der Zöllner Levi einer von denen, die Jesus aufsucht und dazu bewegt, seinerseits aufzustehen und ihm nachzufolgen (Markus 2):

14 Und als er vorüberging, sah er Levi, den Sohn des Alphäus, am Zoll sitzen und sprach zu ihm: Folge mir nach! Und er stand auf und folgte ihm nach.

Und schließlich erinnert auch die Geschichte vom Wandel Jesu auf dem Meer, der ebenfalls vor Tagesanbruch geschieht, an Ostererfahrungen. Sie wird erzählt in Markus 6:

46 Und als er [Jesus] sie [die Jünger] fortgeschickt hatte, ging er hin auf einen Berg, um zu beten.

47 Und am Abend war das Boot mitten auf dem See und er auf dem Land allein.

48 Und er sah, dass sie sich abplagten beim Rudern, denn der Wind stand ihnen entgegen. Um die vierte Nachtwache kam er zu ihnen und ging auf dem See und wollte an ihnen vorübergehen.

49 Und als sie ihn sahen auf dem See gehen, meinten sie, es wäre ein Gespenst, und schrien;

50 denn sie sahen ihn alle und erschraken. Aber sogleich redete er mit ihnen und sprach zu ihnen: Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!

Dass Jesus an den Jüngern vorübergehen will, und dass sie ihn nicht erkennen, erinnert an die Erzählung von den Jüngern auf dem Weg nach Emmaus am Abend des Ostertages. Auferstehung ereignet sich dort, wo sie sich in großer Not befinden und wo die Begegnung mit Jesus ihnen genau so viel Angst macht wie den Frauen am Ostermorgen die Begegnung mit dem Engel. Markus kann Menschen offenbar gut verstehen, für die eine Erscheinung des Auferstandenen etwas Gespenstisches an sich hat. Vielleicht sollte man wissen, dass bei einer Seeschlacht im Jahre 67 der See Genezareth sich rot färbte durch das Blut von 6700 Menschen, die von römischen Soldaten getötet wurden, wie Josephus in seinem Buch über den „Jüdischen Krieg“ berichtet. Markus muss dieses Bild vor Augen gehabt haben, wenn er tastend nach einer Antwort darauf sucht, wie man angesichts solcher Greueltaten auf Hilfe durch Jesus hoffen kann. Was unterscheidet die Hoffnung auf den Auferstandenen von einem Hirngespinst? Das Wort, das Luther mit Gespenst übersetzt, lautet im Griechischen „Phantasma“; beruht der Glaube an Auferstehung auf Einbildung?

Diesem Eindruck widerspricht Markus behutsam, zurückhaltend und doch nachdrücklich. Denn das vermeintliche Gespenst redet die Jünger in dem auf den Wellen umhertanzenden Boot an: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!“ Hier, auf dem See Genezareth, wo so Furchtbares geschehen ist, erscheint Jesus seinen Jüngern im Markusevangelium als der Auferstandene. Die Macht des ewigen Lebens bewährt sich hier, wo der Tod scheinbar alles Lebendige vernichtet hat. Ostern beginnt, wo getrauert wird und Tränen abgewischt werden, wo Hoffnung wächst inmitten von Verzweiflung, wo Menschen, die erniedrigt worden sind, in ihrer Würde aufgerichtet werden. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen aus dem Lied 111 Vers 9 bis 12 und 2:

9. Der Jüngste Tag wird’s zeigen an, was er für Taten hat getan, wie er der Schlangen Kopf zerknickt, die Höll zerstört, den Tod erdrückt. Halleluja.

10. Da werd ich Christi Herrlichkeit anschauen ewig voller Freud, ich werde sehn, wie alle Feind zur Höllenpein gestürzet seind. Halleluja.

11. O Wunder groß, o starker Held! Wo ist ein Feind, den er nicht fällt? Kein Angststein liegt so schwer auf mir, er wälzt ihn von des Herzens Tür. Halleluja.

12. Wie tief Kreuz, Trübsal oder Pein: mein Heiland greift allmächtig drein, führt mich heraus mit seiner Hand. Wer mich will halten, wird zuschand‘. Halleluja.

2. Wenn ich des Nachts oft lieg in Not verschlossen, gleich als wär ich tot, lässt du mir früh die Gnadensonn aufgehn: nach Trauern Freud und Wonn. Halleluja.

Lasst uns nun am Osterfest das Heilige Abendmahl miteinander feiern! Ob wir voller Gottvertrauen den Osterjubel anstimmen oder ob wir uns zweifelnd oder verzweifelt an das Wunder der Auferstehung herantasten, im Brechen des Brotes lässt der Auferstandene sich von uns erkennen, indem er zu uns sagt: „Seid getrost, ich bin’s; fürchtet euch nicht!“

Herr Jesus Christus, du willst, dass wir aufstehen aus eingefahrenen Gewohnheiten und handfesten Sünden. Du willst, dass wir auferstehen vom Tod und nicht ewig verloren gehen. Wir bekennen vor dir, wo wir versagt haben, und bringen in der Stille vor dich, was uns belastet:

Beichtstille

Wollt Ihr, dass Gott euch verwandelt zum neuen Leben durch die Kraft der Auferstehung Jesu Christi, dann sagt laut oder leise oder auch still im Herzen: Ja!

Auf euer aufrichtiges Bekenntnis spreche ich euch die Vergebung eurer Sünden zu – im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Der Herr sei mit euch. „Und mit deinem Geiste.“

Erhebet eure Herzen! „Wir erheben sie zum Herren.“

Lasset uns Dank sagen dem Herrn, unserem Gott. „Das ist würdig und recht.“

Würdig und recht ist es, Herr Jesus Christus, dass wir das Geheimnis deiner Auferstehung mit vertrauendem Herzen annehmen – es ist für uns geschehen, ohne unser Zutun, ohne unser Verdienst und Würdigkeit, einfach durch deine Liebe, durch dein Sterben und Auferstehen. Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst, o Herr, in Ewigkeit. Zu dir rufen wir und preisen dich, Heiliger Gott:

Heilig, heilig, heilig ist der Herr Zebaoth; alle Lande sind seiner Ehre voll. Hosianna in der Höhe. Gelobet sei, der da kommt im Namen des Herrn. Hosianna in der Höhe.

Vater unser und Abendmahl

Gott, lass uns die Kraft der Auferstehung deines Sohnes erfahren: da, wo wir trauern, an den Gräbern unserer Lieben, in den Augenblicken, in denen wir verzweifeln über das, was wir verloren haben und loslassen müssen.

Gott, lass uns die Kraft der Auferstehung deines Sohnes erfahren: da, wo wir in scheinbar unveränderbaren Gewohnheiten und Sachzwängen festgefahren sind und nicht wissen, wie wir aufstehen und einen neuen Anfang wagen können.

Gott, lass uns die Kraft der Auferstehung deines Sohnes erfahren: da, wo Menschen Gewalt und Erniedrigung erfahren haben und sie jedes behutsame Wort und jede Geste der Liebe brauchen, um zu spüren, dass du sie liebst.

Gott, lass uns aufstehen hier und jetzt, weil du uns liebst und aufrichtest aus unserer Gefangenschaft in der Sünde. Und wenn wir einmal sterben müssen, dann lass uns auferstehen zum ewigen Leben. Amen.

Wir singen das Lied 551:
Seht, der Stein ist weggerückt, nicht mehr, wo er war
Abkündigungen und Segen

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