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„Die Füße der Freudenboten“

Die Verbannten aus Babylon kehren nach Jerusalem zurück. Mädchen und Jungen springen über die Hügel und rufen: „Frieden!“ „Endlich wird alles gut, wie es in der Schöpfung sein soll!“ „Befreiung!“ „Jetzt ist nur Gott unser König!“ Tatsächlich konnten die heimgekehrten Juden an der langen Leine der persischen Oberherrschaft ein eigenes Staatswesen aufbauen – mit der Weisung Gottes als Grundgesetz.

Die Beine einer Person, wahrscheinlich Frau, gehen barfuß über Steine und einen kleinen Bach
Die Füße einer Freudenbotin? (Bild: PezibearPixabay)
direkt-predigtGottesdienst am 4. Sonntag im Advent, 23. Dezember 2007, 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Zum Gottesdienst am 4. Advent unter dem Thema „Die Füße der Freudenboten“ begrüße ich alle herzlich in der Pauluskirche mit dem Wort zur Woche aus dem Brief des Paulus an die Philipper 4, 4-5:

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! … Der Herr ist nahe!

Diesen Gottesdienst feiern wir gemeinsam mit den beiden evangelischen Nachbargemeinden im Gießener Norden, der Thomasgemeinde und der Michaelsgemeinde Wieseck. Pfarrerin Görich-Reinel und Pfarrer Schütz halten heute den Gottesdienst gemeinsam; sie hat den Gebetsteil vorbereitet und er die Predigt.

Wir singen das Lied 17:
Wir sagen euch an den lieben Advent
Eingangsliturgie

Wir beten mit Worten aus dem Psalm 68:

4 Die Gerechten aber freuen sich und sind fröhlich vor Gott und freuen sich von Herzen.

5 Singet Gott, lobsinget seinem Namen! Macht Bahn dem, der durch die Wüste einherfährt; er heißt HERR [ein Herr, der euch Freiheit schenkt]. Freuet euch vor ihm!

6 Ein Vater der Waisen und ein Helfer der Witwen ist Gott in seiner heiligen Wohnung,

7 ein Gott, der die Einsamen nach Hause bringt, der die Gefangenen herausführt, dass es ihnen wohlgehe; aber die Abtrünnigen lässt er bleiben in dürrem Lande.

11 Gott, du labst die Elenden in deiner Güte.

12 Der Herr gibt ein Wort – der Freudenbotinnen ist eine große Schar –:

13 Die Könige der Heerscharen fliehen, sie fliehen, und die Frauen teilen die Beute aus.

34b Siehe, er lässt seine Stimme erschallen, eine gewaltige Stimme.

Wir hören den Lobgesang der Maria, den sie sang, nachdem ihr der Engel die Geburt ihres Sohnes Jesus angekündigt hatte. Er steht im Evangelium nach Lukas 1, 46 bis 55:

46 Und Maria sprach: Meine Seele erhebt den Herrn,

47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;

48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.

50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.

51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.

52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.

53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.

54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,

55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir singen das Lied 13:

1. Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir, ja er kommt, der Friedefürst. Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!

2. Hosianna, Davids Sohn, sei gesegnet deinem Volk! Gründe nun dein ewig Reich, Hosianna in der Höh! Hosianna, Davids Sohn, sei gesegnet deinem Volk!

3. Hosianna, Davids Sohn, sei gegrüßet, König mild! Ewig steht dein Friedensthron, du, des ewgen Vaters Kind. Hosianna, Davids Sohn, sei gegrüßet, König mild!

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Zur Predigt hören wir aus dem Buch Jesaja 52, 7 bis 10:

7 Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König!

8 Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der HERR nach Zion zurückkehrt.

9 Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der HERR hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst.

10 Der HERR hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.

Liebe Gemeinde,

Füße haben wir verteilt in der Kirche. Möglichst liebliche Füße in bunten Farben, und auf einige der Füße habe ich draufgeschrieben, was diejenigen, die auf ihnen angelaufen gekommen sind, damals gerufen haben: „Frieden!“ „Alles wird gut!“ „Befreiung!“ „König ist Gott – niemand sonst!“

Vorhin im Psalm 68 wurde eine ähnliche Situation geschildert:

12 Der Herr gibt ein Wort – der Freudenbotinnen ist eine große Schar –:

13 Die Könige der Heerscharen fliehen, sie fliehen, und die Frauen teilen die Beute aus.

Wenn Gott König ist in seinem Volk, dann müssen fremde Könige mit ihren Armeen fliehen. Barfußlaufend stürmen die Mädchen über die Hügel hinweg und rufen freudestrahlend den Daheimgebliebenen zu, dass der Krieg vorbei ist, dass die Fremdherrschaft ein Ende hat. Und es gibt zu Hause sogar Beute auszuteilen; wenn dies Frauen tun, sollte deutlich sein: zu dieser Kriegsbeute gehören keine Sklavinnen.

Beim Wort „König“, beim Wort „Herr“ denken wir in der Regel unwillkürlich an Unfreiheit, an Eroberung, an Unterdrückung. Das Volk Israel kannte hier einen Unterschied, der entscheidend war: Wenn Gott König ist, dann befreit er die Menschen, dann bewahrt er ihre Menschenwürde. Er entthront andere Könige, die den Menschen ihre Würde nehmen, wie es Maria in ihrem Lobgesang gesungen hat: „Die Gewaltigen stürzt er vom Thron und erhöht die Niedrigen.“

Als Jesaja Freudenboten über die Berge kommen sieht und hört und ihre lieblichen, anmutigen Füße besingt, ist die Situation des Volkes noch nicht friedlich. Er hat eine Vision, er sieht in die Zukunft. Die Gegenwart ist alles andere als lieblich. Denn das Volk der Juden sitzt in Babylon fest, in der Verbannung. Und in der Stadt Jerusalem mit ihrem Berg Zion wohnen nur wenige übriggebliebene Israeliten in den Trümmern eines Krieges, die auch 70 Jahre danach noch nicht beseitigt sind. Aber jetzt hat Jesaja diese Vision, er beschreibt die Situation, die kommen wird und die dann auch real gekommen ist: Die babylonischen Gewaltherrscher werden tatsächlich vom Thron gestürzt, und der persische König Kyros ist der Vollstrecker diese Umsturzes. Er gilt in der Bibel als ein Gesalbter des Gottes Israels. Eigentlicher König der Welt ist Gott selber; indem er den Perser Kyros als Werkzeug benutzt, befreit er sein Volk von der Fremdherrschaft der Babylonier.

Diese Situation sieht Jesaja vor Augen: Die Verbannten aus Babylon kehren nach Jerusalem zurück. Ich denke, er stellt sich vor, wie die Mädchen und Jungen leichtfüßig vorneweg über die Hügel springen und den Spähern der Stadt Jerusalem die guten Neuigkeiten zurufen: „Frieden!“ „Endlich wird alles gut, sehr gut, wie es in der Schöpfung sein soll!“ „Befreiung!“ „Jetzt ist nur Gott unser König!“ In der Tat konnten die heimgekehrten Juden dann an der langen Leine der persischen Oberherrschaft ein eigenes Staatswesen aufbauen, das als Grundgesetz die Weisung Gottes hatte. Jerusalem und sein Tempel wurden aus den Trümmern wieder aufgebaut; eine Zeitlang gab es in Israel wirklich keinen König außer Gott selber.

Aber dieser Friede, diese Freiheit, dieses Glück war nur von kurzer Dauer. Andere Weltreiche kamen, die Hellenen, die Römer, und sie unterdrückten das Volk der Juden mehr denn je. Doch die Worte der Propheten blieben im Volk lebendig. Irgendwann würde es nicht nur einen begrenzten Frieden unter einer fremden Oberherrschaft in Israel geben, irgendwann würde Gott seinen heiligen Arm vor allen Völkern entblößen und aller Welt zeigen, was für ein Gott er ist: ein Gott – der Befreiung.

Das Lukasevangelium weiß von der Erfüllung dieser Zukunftsmusik ein Lied zu singen. Wir haben vorhin in der Schriftlesung die Worte einer Freudenbotin gehört, die sich aufmachte (Lukas 1, 39-40)

und ging eilends in das Gebirge zu einer Stadt in Juda und kam in das Haus des Zacharias und begrüßte Elisabeth.

Was war geschehen, und warum liefen ihre Füße so eilig über die Berge? Das Mädchen hieß Maria, und ein Engel Gottes hatte ihr angekündigt, dass sie die Mutter des Befreiers werden sollte. Was die Freudenboten bei Jesaja verkünden, Befreiung, hebräisch Jeschuah, das ist der Name, den sie ihrem Kind geben soll: Jeschuah, Jesus.

Das Kind, das sie gebären sollte, feiern wir morgen. Wir feiern die Geburt Jesu, die Geburt des Jeschuah. Allerdings nennen wir ihn nicht den Befreier, sondern Retter oder Heiland oder Sohn Gottes. Wo im Jesajabuch das Wort Befreiung steht, übersetzt Luther mit Heil. Ist damit nun etwas völlig anderes gemeint als mit dem Wort Befreiung?

Es kommt darauf an. Nämlich darauf, was wir mit diesen Worten verbinden.

Meinten wir mit dem Heil ein privates Seelenheil, nach dem Motto: „Hauptsache, ich komme durch Gottes Sohn mit Gott klar, alles andere kann mir egal sein!“, dann hätte dieses Heil nichts zu tun mit den Kämpfen und Sehnsüchten des Volkes Israel und auch nichts mit dem, was heute die Menschen erhoffen, die noch immer von Krieg und Bürgerkrieg, von Hunger und Ungerechtigkeit, von Armut und Missbrauch betroffen sind.

Und wenn wir unter Befreiung eine politische Revolution verstünden, die eine bisher unterdrückte Partei an die Macht bringt, und diese Partei treibt es anschließend schlimmer als die ehemaligen Unterdrücker, dann hätte diese Befreiung auch nichts zu tun mit der Freiheit, die der Gott Israels seinem Volk und der Welt bringen will.

Befreiung hat in der Bibel immer mehrere Seiten: Es geht zwar um die Beendigung von äußerer Unfreiheit, Sklaverei, Fremdherrschaft, Ausbeutung. Es ist aber immer auch klar, dass Freiheit eine innere Haltung ist, eine Sache des Herzens, des Willens, an Freiheit und Gerechtigkeit festzuhalten, also nicht nur die eigene Freiheit im Blick zu haben, sondern vor allem die Freiheit des anderen Menschen. Dafür gibt Gott seinem Volk als Wegweisung die Zehn Gebote. Denn Freiheit will bewährt sein, ohne Disziplin geht Freiheit verloren. Wer nur frei von Zwang sein will und meint, alles zu dürfen, der geht sehr schnell dazu über, anderen die Freiheit zu rauben. Und er merkt gar nicht, unter welchen inneren Zwängen er selber steht. Diese inneren Zwänge, die sich sofort auch als äußere Zwänge zwischen den Menschen auswirken, nennt die Bibel „Sünde“.

Jesus wird zum Befreier seines Volkes und auch zum Befreier der Welt, weil in ihm Gott selber am Werk ist. In Jesus entblößt Gott seinen heiligen Arm vor den Völkern – nicht als einen kraftstrotzenden Arm, der seine Muskeln spielen lässt, um so die Völker das Fürchten zu lehren. Nein, in Jesus zeigt Gott sein Wesen als die Liebe, die sich ohne Gewalt durchsetzt, im Frieden. In Jesus zeigt Gott sein Wesen als die Freiheit, die nicht auf Kosten der Freiheit dessen geht, der anders ist. In Jesus zeigt Gott sein Wesen als der Messias Israels, der für sein Volk da ist, ohne gegen die Völker der Welt zu sein, und für die Völker der Welt, ohne sein Volk Israel der Vernichtung preiszugeben.

Morgen feiern wir den, der – auch – unser Befreier ist. Der uns frei macht von der Sünde, vom inneren Zwang, das Böse zu tun, von den inneren Hemmungen, das Gute zu tun. Morgen feiern wir den, der die Gewaltigen vom Thron stürzt, weil in der Gewalt kein Heil liegt. Morgen feiern wir den, der die Niedrigen erhebt, der Traurige tröstet, verzweifelten Menschen eine Perspektive gibt und die Schwachen stark macht. Morgen feiern wir den Heiland, der heil macht, was in unserer Welt und in jeder einzelnen Seele zerrissen ist.

Bei unseren jetzigen Temperaturen werden wir morgen am Heiligen Abend zwar nicht erleben, wie Freudenbotinnen barfuß und mit lieblichen Füßen zu uns gerannt kommen, um uns das Evangelium, die Botschaft von Jesus, dem Befreier, zu übermitteln. Aber vielleicht werden wir die himmlischen Freudenboten auf dem Feld von Bethlehem singen hören: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen, die er liebt.“ Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen das Lied 14:

1. Dein König kommt in niedern Hüllen, ihn trägt der lastbarn Es’lin Füllen, empfang ihn froh, Jerusalem! Trag ihm entgegen Friedenspalmen, bestreu den Pfad mit grünen Halmen; so ist’s dem Herren angenehm.

2. O mächt’ger Herrscher ohne Heere, gewalt’ger Kämpfer ohne Speere, o Friedefürst von großer Macht! Es wollen dir der Erde Herren den Weg zu deinem Throne sperren, doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.

3. Dein Reich ist nicht von dieser Erden, doch aller Erde Reiche werden dem, das du gründest, untertan. Bewaffnet mit des Glaubens Worten zieht deine Schar nach allen Orten der Welt hinaus und macht dir Bahn.

6. O lass dein Licht auf Erden siegen, die Macht der Finsternis erliegen und lösch der Zwietracht Glimmen aus, dass wir, die Völker und die Thronen, vereint als Brüder wieder wohnen in deines großen Vaters Haus.

Fürbitten und Stille und Vater unser

Wir singen aus dem Lied 536 die Strophen 3 bis 5:

Singt von Frieden in der Welt dort, wo Menschen streiten
Abkündigungen

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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