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Süßes oder Saures

Süß war ja früher ein eher seltener Geschmack, für einfache Leute gab es Süßigkeiten höchstens an hohen Feiertagen. Süß war etwas Besonderes, was gut tat, nicht nur dem Gaumen und dem Körper, sondern der ganzen Seele. Kann es sein, dass wir heute zwar einen Überfluss an Süßigkeiten haben, dass aber das, was der Seele wirklich gut tut, selten geworden ist?

Eine Zitronenscheibe und Schokoladenstückchenstapel
„Süßes oder Saures“ – zwischen Halloween und dem Reformationstag (Bild: Jerzy GóreckiPixabay)

direkt-predigtGottesdienst um „halb 6 in Paulus“ am 20. Sonntag nach Trinitatis, den 29. Oktober 2006, um 17.30 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen
My Sweet Lord

Guten Abend, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich Im Abendgottesdienst um „halb sechs in Paulus“.

Übermorgen ist der 31. Oktober. Das ist für uns evangelische Christen der Reformationstag. Aber viele finden es interessanter, Halloween zu feiern. Kinder ziehen von Haustür zu Haustür mit dem Spruch: „Süßes oder Saures“!

Das soll auch unser Thema heute Abend im Gottesdienst sein: „Süßes oder Saures“. Hat dieser Spruch auch etwas mit dem Reformationsfest zu tun?

Wir singen aus dem Lied 341 die Strophen 1 und 7:

1. Nun freut euch, lieben Christen g’mein, und lasst uns fröhlich springen, dass wir getrost und all in ein mit Lust und Liebe singen, was Gott an uns gewendet hat und seine süße Wundertat; gar teu’r hat er’s erworben.

7. Er sprach zu mir: »Halt dich an mich, es soll dir jetzt gelingen; ich geb mich selber ganz für dich, da will ich für dich ringen; denn ich bin dein und du bist mein, und wo ich bleib, da sollst du sein, uns soll der Feind nicht scheiden.

Wir feiern diesen Gottesdienst im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

„My sweet Lord“, so haben wir den Gottesdienst vorhin begonnen, mit dem Song von George Harrison, auf Deutsch: „mein süßer Herr“. Im Deutschen klingt das heute komisch, anders als im Englischen, aber es gab auch bei uns eine Zeit, da war das Wort „süß“ auch in religiösen Liedern ganz normal. Am Schluss werden wir ein Lied mit der Zeile singen: „O du süßer Jesu Christ“. Und eben haben wir die „süße Wundertat“ Gottes besungen.

Das Wort „süß“ scheint heute in unserer Sprache fast nur noch für eine Empfindung der Geschmacksnerven verwendet zu werden: eben für die Süßigkeiten, die Kinder bei Halloween an den Haustüren erwarten, oder für den Kuchen, den viele wegen ihrer Zuckerkrankheit gar nicht essen dürften, dem man aber doch nicht widerstehen kann. OK, manchmal nennt man auch Kinder süß, die man niedlich findet, oder ein junger Mann kann sich schon mal in ein süßes Mädchen verlieben.

Aber heute fragen wir uns, was denn so süß an Jesus ist. Warum hat noch der Beatle George Harrison Jesus als „my sweet Lord“ besungen? Was hat Gott so Wunderbares getan, dass die alten Liederdichter dafür das Wort „süß“ passend fanden?

Süß war ja früher ein eher seltener Geschmack, für einfache Leute gab es Süßigkeiten höchstens an hohen Feiertagen. Süß war also etwas ganz Besonderes, nicht nur etwas, was gut schmeckte, sondern was überhaupt gut tat, nicht nur dem Gaumen und dem Körper, sondern der ganzen Seele. Kann es sein, dass wir heute zwar einen Überfluss an Süßigkeiten haben, dass aber das, was der Seele wirklich gut tut, selten geworden ist?

Wir fragen nach dem, was süß für unsere Seele wäre, und singen zwischen den einzelnen Texten und Fragen die Liedstrophe 631:

In Gottes Namen wolln wir finden, was verloren ist

Was wünschen sich die Kinder, die Halloween feiern, indem sie an den Haus­türen rufen: „Süßes oder Saures!“ Ist es das unschuldige Vergnügen, einfach etwas mehr zum Naschen zu haben? Ist es Abenteuerlust, einmal die Erwachsen herauszufordern und vielleicht zu ärgern, wer sich ärgern lässt?

Suchen manche Kinder vielleicht insgeheim auch Trost für ihre verletzte oder vernachlässigte Seele? Wie übel manche Eltern mit ihren Kindern umgehen, war in der letzten Zeit oft Thema im Fernsehen und in der Zeitung. Wie sauer ist das Leben eines Kindes, das zu Hause nicht willkommen ist, das auf die Straße nicht nur zum Spielen geschickt wird, sondern um es loszuwerden, das niemanden hat, der ihm zuhört, das nicht weinen darf, weil niemand seine Tränen sehen will.

Lied 631: In Gottes Namen wolln wir finden, was verloren ist

Was empfinden die Erwachsenen, die an der Haustür Kindern gegenüberstehen, wenn sie herausfordernd rufen: „Süßes oder Saures!“

Manche haben sich darauf eingerichtet, ihnen etwas Süßes zu geben. Von einigen weiß ich, dass sie Lutherbonbons parat haben, um an den Reformationstag zu erinnern, den wir am 31. Oktober feiern.

Andere werden selber „sauer“, wenn man ihnen Saures androht. Sie ärgern sich über die Nötigung an der Haustür. Viele geben gern, möchten aber selber entscheiden, wann und wem sie was verschenken.

Und manche, denen das Leben durch Krankheit oder andere Sorgen sowieso schon sauer genug gemacht ist, bekommen vielleicht jetzt auch noch Angst, die Kinder könnten ihnen ärgerliche Streiche spielen, zum Beispiel Eier an die Hauswand werfen und Dreck machen, der nicht mehr weggeht.

Lied 631: In Gottes Namen wolln wir finden, was verloren ist

Wenn wir etwas wirklich Saures essen, verziehen wir unser Gesicht. Manchmal sagen wir aber auch: Sauer macht lustig!

Mit dem Süßen ist es ähnlich: Manche sind richtige Schleckermäuler, andere mögen es überhaupt nicht, wenn etwas zu süß ist.

Ist es nicht auch so mit Veränderungen in der Gesellschaft? Viele sagen, wir sind auf dem Weg zur Spaßgesellschaft. Aber kann das Leben für alle immer nur süß sein?

Wenn der Gegensatz zwischen reich und arm immer größer wird, kann nicht jeder mithalten, wenn zum selbstverständlichen Luxus das teuerste Handy und die angesagteste Kleidung gehört.

Und selbst wenn jeder alles kaufen könnte, macht Übersättigung nicht wirklich zufrieden. Dann ist es vorprogrammiert, dass in der Spaßgesellschaft auch viele mit sauren oder langen oder gelangweilten Gesichtern herumlaufen.

Lied 631: In Gottes Namen wolln wir finden, was verloren ist

Aber sind unsere heutigen Zeiten wirklich schrecklicher als alle früheren Zeiten? Ist die Jugend schlimmer als früher? Gesagt haben das schon die alten Griechen und Römer, und wenn aus den Jugendlichen dann Erwachsene werden, schimpfen sie auch wieder auf die nächste Generation.

Geht alles den Bach runter, wenn man Halloween feiert statt Reformationstag? Vielleicht konnten wir ja mit dem Reformationstag selber zu wenig anfangen und haben ihn zu langweilig gestaltet.

Sind alle Kinder nur noch ego­istisch, weil einige an Halloween „Süßes oder Saures“ rufen? Es gibt auch noch die Sternsinger, die am Anfang des Jahres an den Haustüren für einen guten Zweck sammeln.

Lied 631: In Gottes Namen wolln wir finden, was verloren ist

„Süßes oder Saures“: der Spruch mag modern klingen, aber eigentlich ist diese fordernde Haltung uralt. Schon Adam und Eva im Paradies waren nicht zufrieden mit dem, was die Bäume in Gottes Garten ihnen boten. Sie mussten unbedingt die einzige Frucht haben, die Gott ihnen verboten hatte, aus gutem Grund. Sie wollten sein wie Gott, aber wer wie Gott sein will, hält sein Menschsein nicht mehr aus, weil er niemanden mehr hat, dem er vertrauen kann, von dem er getragen, gehalten, geliebt wird.

„Süßes oder Saures“, so dachten schon die allzu Frommen aller Zeiten: wenn ich Gott alles recht mache, habe ich Anspruch auf Lohn, auf den Himmel, und die andern verdienen Saures, weil sie ja gottlose Sünder sind.

Jesus dachte anders: Er gab den Sündern nicht Saures. Er versprach ihnen den Himmel. Er nahm verzweifelte Kinder in die Arme und tröstete sie. Er rief die mühseligen und beladenen Erwachsenen zu sich und gab ihnen neuen Mut zum Leben.

Und wenn ein römischer Soldat einen Mann dazu zwang, ihm sein Gepäck eine Meile weit zu tragen, dann sagte er zu ihm: „Lass dir deine Würde nicht nehmen. Geh freiwillig mit ihm zwei Meilen. Wenn du Gewalt anwendest, verliert einer von euch sein Leben und du lässt dir das Gesetz des Handelns von ihm aufzwingen. Wenn du ihm freiwillig mehr gibst, als er verlangt, wirst du ihn vielleicht beschämen.“

Lied 631: In Gottes Namen wolln wir finden, was verloren ist

Wir haben mit dem Spruch „Süßes oder Saures“ gespielt. Süß und sauer im Geschmack, in unserer Gefühlswelt, in unserer Gesellschaft. Zum Schluss sind wir auf Jesus gekommen, der unsere Maßstäbe auf den Kopf stellt.

Darüber wollen wir in diesem Gottesdienst noch genauer nachdenken. Es gibt ein Wort, mit dem die Bibel diese Umkehrung der Maßstäbe bezeichnet, das Wort „Gnade“. Das ist ein deutsches Wort, aber es ist für unsere Zeit ein Fremdwort geworden. Wir werden sehen, ob wir es in unser Leben, in unsere Zeit, in unsere Gesellschaft hinein übersetzen können.

Hören wir jetzt also Worte des Paulus über die Gnade. Sie stehen in 1. Korinther 1, 3-10:

3 Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus!

4 Ich danke meinem Gott allezeit euretwegen für die Gnade Gottes, die euch gegeben ist in Christus Jesus,

5 dass ihr durch ihn in allen Stücken reich gemacht seid, in aller Lehre und in aller Erkenntnis.

6 Denn die Predigt von Christus ist in euch kräftig geworden,

7 so dass ihr keinen Mangel habt an irgendeiner Gabe und wartet nur auf die Offenbarung unseres Herrn Jesus Christus.

8 Der wird euch auch fest erhalten bis ans Ende, dass ihr untadelig seid am Tag unseres Herrn Jesus Christus.

9 Denn Gott ist treu, durch den ihr berufen seid zur Gemeinschaft seines Sohnes Jesus Christus, unseres Herrn.

10 Ich ermahne euch aber, liebe [Geschwister], im Namen unseres Herrn Jesus Christus, dass ihr alle mit einer Stimme redet und lasst keine Spaltungen unter euch sein, sondern haltet aneinander fest in einem Sinn und in einer Meinung.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Hal­leluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja.“

Wir bekennen heute unseren Glauben mit dem Nizänischen Glaubensbekenntnis, das im Gesangbuch unter der Nummer 805 steht:

Wir glauben an den einen Gott, den Vater, den Allmächtigen, der alles geschaffen hat, Himmel und Erde, die sichtbare und die unsichtbare Welt. Und an den einen Herrn Jesus Chri­stus, Gottes eingeborenen Sohn, aus dem Vater geboren vor aller Zeit: Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, gezeugt, nicht geschaffen, eines Wesens mit dem Vater; durch ihn ist alles geschaffen. Für uns Menschen und zu unserm Heil ist er vom Himmel gekommen, hat Fleisch angenommen durch den Heiligen Geist von der Jungfrau Maria und ist Mensch geworden. Er wurde für uns gekreuzigt unter Pontius Pilatus, hat gelitten und ist begraben worden, ist am dritten Tage auferstanden nach der Schrift und aufgefahren in den Himmel. Er sitzt zur Rechten des Vaters und wird wiederkommen in Herrlichkeit, zu richten die Lebenden und die Toten; seiner Herrschaft wird kein Ende sein. Wir glauben an den Heiligen Geist, der Herr ist und lebendig macht, der aus dem Vater und dem Sohn hervorgeht, der mit dem Vater und dem Sohn angebetet und verherrlicht wird, der gesprochen hat durch die Propheten, und die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche. Wir bekennen die eine Taufe zur Vergebung der Sünden. Wir erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt. Amen.

Wir singen 352, 1 bis 4:

1. Alles ist an Gottes Segen und an seiner Gnad gelegen über alles Geld und Gut. Wer auf Gott sein Hoffnung setzet, der behält ganz unverletzet einen freien Heldenmut.

2. Der mich bisher hat ernähret und mir manches Glück bescheret, ist und bleibet ewig mein. Der mich wunderbar geführet und noch leitet und regieret, wird forthin mein Helfer sein.

3. Sollt ich mich bemühn um Sachen, die nur Sorg und Unruh machen und ganz unbeständig sind? Nein, ich will nach Gütern ringen, die mir wahre Ruhe bringen, die man in der Welt nicht find’t.

4. Hoffnung kann das Herz erquicken; was ich wünsche, wird sich schicken, wenn es meinem Gott gefällt. Meine Seele, Leib und Leben hab ich seiner Gnad ergeben und ihm alles heimgestellt.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde, von Karl Kraus stammt der Satz:

Man muss ein Wort
so lange anblicken,
bis es fremd
zurückblickt.

Ich denke, bei dem Wort Gnade dauert es nur wenige Sekunden, bis es uns fremd vorkommt.

Wo begegnet uns dieses Wort im Alltag? Im Brutalo-Western winselt einer um Gnade. Wenn einer zum ersten Mal sich etwas hat zuschulden kommen lassen, lässt man vielleicht noch einmal Gnade vor Recht ergehen.

Gnade ist so eine Art Geschenk, das aber nicht zwischen Gleichgestellten oder Freunden ausgetauscht wird. Bei der Gnade gibt es immer ein Gefälle: einer steht oben, ist mächtiger, hat etwas zu verschenken, und der andere ist auf Gnade angewiesen, kommt sich deshalb vielleicht auch so vor, als sei er ganz klein da unten, wo er steht. Auf Gnade hat man keinen Anspruch, man kann sie nicht rechtlich einklagen. Wer möchte schon unten stehen, klein sein, auf Gnade angewiesen sein?

Und doch sind, wenn der Theologe Ton Veerkamp Recht hat, die meisten Menschen im Arbeitsleben auf Gnade angewiesen. Unsere Wirtschaftsordnung ist insofern keine Rechts-, sondern eine Gnadenordnung, als es nun einmal kein verbrieftes Recht auf einen Arbeitsplatz gibt. Ob jemand einen Job bekommt oder behält, um seinen Lebensunterhalt mit ehrlicher Arbeit zu verdienen, das hängt sehr stark von der Gnade des jeweiligen Arbeitgebers ab. Im Zeitalter von Hartz IV gibt es immer mehr Menschen, die sich entwürdigt fühlen, weil man auf ihre Arbeitskraft einfach verzichten kann, und das gilt sowohl für junge Leute, die gar nicht erst eine Lehrstelle kriegen, als auch für Menschen, die sich jahrzehntelang krumm geschuftet haben und dann doch gekündigt werden.

Gnade – wie blickst du uns an, du fremdes Wort? Bist du im Grunde nur Willkür? Wir kommen nicht darum herum, unsere Arbeitskraft auf dem Arbeitsmarkt zu verkaufen, sind insofern auf die Gnade irgendeines Arbeitgebers angewiesen. Aber sonst – kann uns die Gnade nicht gestohlen bleiben? Ist es nicht besser, dem Grundsatz zu folgen: „Es wird einem im Leben nichts geschenkt“? Sind wir nicht auf der sicheren Seite, wenn im menschlichen Miteinander Leistung und Gegenleistung immer schön ausgeglichen sind? Ich werde auch nervös, wenn ich ein Geschenk von jemandem kriege, dem ich noch nie etwas geschenkt habe. Muss ich mich ihm verpflichtet fühlen? Bin ich ihm jetzt was schuldig? Und ich weiß, wie schwer es Menschen fällt, um Unterstützung zu bitten, die immer in der Lage waren, für sich selbst zu sorgen.

Gnade, fremdartiges Wort, in unserer Welt hast du keinen guten Klang. Trotzdem, schauen wir dich weiter an. Vielleicht bist du auch noch zu einem anderen Gesichtsausdruck fähig? Vielleicht blickst du uns auch noch ganz anders an, wenn wir dich lange genug anschauen?

Wie sagt Paulus von dir? „Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.“

Gnade von Jesus. Wir hörten von Jesus, dass er Entwürdigten ihre Würde zurückgibt. Gnade von Gott. Von Gott wissen wir, dass er ganz oben steht. Der Schöpfer hat das Sagen. Aber von diesem Schöpfer abhängig zu sein, auf ihn angewiesen zu sein, ihm gegenüber unten zu stehen, ist kein Unglück und keine Demütigung. Denn indem Gott uns erschafft, beschenkt er uns auch. Unser Leben ist sein Geschenk, unsere Gesundheit, alles, was wir können, kommt von ihm. Ja, sogar wenn wir Gott vergessen und seine Gebote missachten, hört er nicht auf, uns Sünder zu lieben. Auch in diesem Sinne schenkt er uns Gnade, Vergebung, er nimmt uns, wie wir sind, damit wir so werden, wie er sich uns vorgestellt hat. So blickt Gnade uns freundlich an.

Was Martin Luther vor knapp 500 Jahren über die Gnade herausgefunden hat, das war deshalb so revolutionär für die damalige Gesellschaft, weil die Menschen, auch die einfachen, plötzlich Freiheit und Würde zugesprochen bekamen. Auf Gottes Gnade war man angewiesen, aber nicht auf die Gnade irgendwelcher Ablassprediger, die einem die Vergebung auch verweigern konnten, wenn man nicht genug zahlte. Man war Gott Gehorsam schuldig, aber wenn man sich im Gewissen an Gott gebunden fühlte, musste man sich keinem anderen Herrn beugen. Ja, wer auf Gott vertraute, der durfte sich einer menschlichen Würde gewiss sein, die ihm niemand nehmen konnte, egal wie arm oder reich er war.

Das größte Geschenk, das Gott uns macht, ist die Würde als sein Ebenbild, nach dem er uns geschaffen hat. In unserer Freiheit, unserer Verantwortlichkeit, unserer Fähigkeit zur Liebe sind wir Gott ähnlich. Wer mehr will, wer selber an der Stelle des Schöpfers stehen will, stürzt sich und andere ins Unglück. Wir sind nun einmal nicht Gott, könnten keine Sekunde tragen und aushalten, was er trägt und aushält. Aber wer sich darauf einlässt, im Vertrauen auf Gott zu leben, der weiß, dass einem im Leben viel geschenkt wird: alles, worauf es wirklich ankommt, was unser Leben wirklich erfüllt, Liebe, Vertrauen, Hoffnung, Dankbarkeit, Zufriedenheit. All das kann uns nur geschenkt werden, oder wir bekommen es nie.

Im „Tagebuch eines Landpfarrers“ von Georges Bernanos steht der Satz: „Es ist leichter, als man glaubt, sich zu hassen. Die Gnade besteht darin, dass man sich vergisst.“ Also wer sich selber hasst, will auf Gnade verzichten. Ist also Egoismus im Grunde Selbsthass, das Gegenteil von Selbstliebe? Wer sich selbst hasst, kann kaum die andern lieben. Wer auf Kosten anderer lebt, findet nicht wirklich zu sich selbst.

Aber Gnade, soll ich mich wirklich auf dich einlassen, wenn ich mich vergessen soll? Das Geheimnis des Sichvergessens besteht ja darin, dass ich mich erst dann vergessen kann, wenn ich mich auf ein Gegenüber einlasse, auf einen geliebten Menschen, auf Gott, auf ein Du. Das ist ein Wagnis, das größte und schönste Risiko überhaupt. Wer aufmerksam wird auf ein Du, der entdeckt nicht nur die fremde Welt dieses andern, sondern entdeckt auch sich selbst ganz neu. Ich vergesse mich, indem ich den andern liebe, und ich finde mich wieder, indem ich geliebt bin. So überwindet Gnade auch Selbsthass, Gnade hilft, die eigenen Abgründe auszuhalten. Ich kann es Jesus überlassen, ob ich noch zu retten bin. Ich kann mir vergeben lassen. Ich darf es wagen, zu leben, jeden Morgen neu. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen das Lied 630:

Wo ein Mensch Vertrauen gibt, nicht nur an sich selber denkt

Lasst uns beten.

Manchmal habe ich um Wunder gebetet…

Vater im Himmel, wir bitten dich um Augen für deine Wundertaten, die jeden Tag in unserem Leben geschehen, wo wir Liebe und Begleitung, Ermutigung und Trost erfahren.

Wir bitten dich um das Geschenk, das Gnade heißt, damit wir den Druck unserer inneren Antreiber loslassen können, die Übermenschliches von uns verlangen und nie zufrieden sind.

Wir bitten dich um den Reichtum, der daraus entsteht, dass man nicht alles haben muss, dass man mit wenig zufrieden sein kann, dass man glücklicher sein kann, wenn man schenkt, als wenn man immer nur fordert und nimmt.

Wir bitten dich um deine Nähe, die uns das Leben auch in sauren Zeiten versüßt, weil wir spüren: Wir sind nicht allein.

Insbesondere beten wir heute für zwei Verstorbene, deren irdischer Lebensweg durch süße und saure Tage hindurch hier auf Erden zu Ende gegangen ist. … Wir danken dir für allen Segen, den du ihnen und uns durch sie erwiesen hast, und wir bitten dich: Begleite die Angehörigen auf dem Weg ihrer Trauer. Sei mit allen, die die Verstorbenen schmerzlich vermissen. Amen.

Was wir noch auf dem Herzen haben, bringen wir in der Stille vor Gott:

Gebetsstille und Vater unser

Wir singen das Lied 398, in dem der süße Jesus Christ angebetet wird:

1. In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ! Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist; hilfest von Schanden, rettest von Banden. Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben. Halleluja. Zu deiner Güte steht unser G’müte, an dir wir kleben im Tod und Leben; nichts kann uns scheiden. Halleluja.

2. Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod; du hast’s in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not. Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle zu dieser Stunde. Halleluja. Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben mit Herz und Munde. Halleluja.

Abkündigungen

Unser Herr Jesus Christus, geboren von der Jungfrau Maria, segne dich und behüte dich. Der Gott Abrahams und Saras lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Die heilige Geistkraft erfülle dich mit Gottvertrauen und Liebe und gebe dir Gottes Frieden. Amen.

Amazing Grace
Lutherbonbons und Kirchencafé

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