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Von Gott hinweggenommen

Die Bibel ist realistischer als die fromme Phantasie derer, die das Wort „Entrückung“ erfunden haben. Sie sagt: „Henoch ging mit Gott. Es nahm ihn Gott.“ Ein Mensch, der im Gottvertrauen lebt, geht nicht verloren. Dass Gott den Henoch nimmt, ist für ihn kein Unglück; er nimmt ihn ja zu sich.

Eine dunkle Gestalt, von Kreisen umgehen, steht in einem geheimnisvollen Licht
Hinweggenommen in den Himmel – wie soll man sich das vorstellen? (Bild: Gerd AltmannPixabay)

direkt-predigtGottesdienst am Ewigkeitssonntag, den 25. November 2007, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Im Gottesdienst am Ewigkeitssonntag begrüße ich alle herzlich in der Pauluskirche mit dem Wort aus Psalm 90, 12:

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“

Das Thema unserer Gottesdienstfeier lautet: „Von Gott hinweggenommen“.

Besonders heiße ich diejenigen willkommen, die im vergangenen Kirchenjahr von einem Verstorbenen Abschied nehmen mussten.

Wir denken über Tod und Leben, über Abschied und Trauer nach und zünden Kerzen an für Menschen, die uns nahe standen.

Wir singen aus dem Lied 361 die Strophen 1, 6 und 7:

1. Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.

6. Hoff, o du arme Seele, hoff und sei unverzagt! Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken; erwarte nur die Zeit, so wirst du schon erblicken die Sonn der schönsten Freud.

7. Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht, lass fahren, was das Herze betrübt und traurig macht; bist du doch nicht Regente, der alles führen soll, Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

In der Einladung an die Angehörigen der Menschen aus unserer Kirchengemeinde, die im vergangenen Kirchenjahr gestorben sind, habe ich diese Verse aus dem 1. Buch Mose – Genesis 5, 22 und 24 zitiert:

22 Und Henoch wandelte mit Gott.

24 Und weil er mit Gott wandelte, nahm ihn Gott hinweg, und er ward nicht mehr gesehen.

Kommt, lasst uns Gott anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Wenn Gott Menschen hinwegnimmt, sind andere traurig, die zurückbleiben und diese Menschen geliebt haben. Dabei empfinden wir einen Unterschied, je nachdem, wie alt ein Mensch geworden ist. Das ist schon in der Bibel so. Wer in hohem Alter stirbt und seinen Weg mit Gott gegangen ist, der stirbt „alt und lebenssatt“, und die Dankbarkeit im Rückblick auf dieses erfüllte Leben überwiegt.

Aber wenn Gott uns liebe Menschen nimmt, die ihr Leben eigentlich noch vor sich hatten, dann steht auch in der Bibel die Klage im Vordergrund. So klagt Hiob, der an einem Tage alle seine Kinder verliert, mit diesen Worten (Hiob 16):

12 Ich war in Frieden, aber [Gott] hat mich zunichte gemacht…

16 Mein Antlitz ist gerötet vom Weinen, auf meinen Wimpern liegt Dunkelheit,

17 obwohl kein Frevel in meiner Hand und mein Gebet rein ist.

19 Siehe, auch jetzt noch ist mein Zeuge im Himmel, und mein Fürsprecher ist in der Höhe.

20 Meine Freunde verspotten mich; unter Tränen blickt mein Auge zu Gott auf,

21 dass er Recht verschaffe dem Mann bei Gott, dem Menschen vor seinem Freund.

22 Denn nur wenige Jahre noch, und ich gehe den Weg, den ich nicht wiederkommen werde.

So dürfen auch wir klagen, wenn wir Gott nicht begreifen, wie Hiob gegen Gottes unbegreifliche Taten an Gott selbst appelliert. Wir rufen zu Gott:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Aber kennen wir Hiob nicht auch als den, der geduldig sein Leid erträgt und alles willig aus Gottes Händen nimmt? Hören wir genau zu, wie Hiob 1, 21 redet:

 21 Ich bin nackt von meiner Mutter Leibe gekommen, nackt werde ich wieder dahinfahren. Der HERR hat’s gegeben, der HERR hat’s genommen; der Name des HERRN sei gelobt!

Der Herr hat genommen. Nicht weggenommen nach einem langen Leben wie bei Henoch. Genommen, herausgerissen mitten aus dem Leben wurden die Kinder Hiobs. Und dennoch lobt Hiob Gott?

Er lobt ihn, doch ohne seine Klage zurückzunehmen. Er klagt, indem er nach dem hebräischen Urtext wörtlich sagt: Ich kehre nackt dorthin zurück – in den Schoß meiner Mutter. Aber das ist ja unmöglich. Das ist sein verzweifelter Wunsch in seinem Schmerz, niemals geboren worden zu sein. Und er lobt Gott, indem er wortwörtlich einen Vers aus dem Psalm 113 betet.

Lasst uns diesen Psalm im Ganzen mit Hiob beten, er steht im Gesangbuch unter der Nummer 745, und wir werden sehen, dass Hiob nicht einen unpersönlichen Schicksalsgott lobt, der willkürlich gibt und nimmt, wie er will, sondern dass er an seinem Vertrauen zu dem Gott Israels festhält, der die Verzweifelten aus ihrem Schmerz aufrichtet und sie nicht allein lässt.

Ich lese die linksbündigen Verse und Sie bitte die nach rechts eingerückten Verse:

1 Halleluja! Lobet, ihr Knechte des HERRN, lobet den Namen des HERRN!

2 Gelobt sei der Name des HERRN von nun an bis in Ewigkeit!

3 Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des HERRN!

4 Der HERR ist hoch über alle Völker; seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist.

5 Wer ist wie der HERR, unser Gott, im Himmel und auf Erden?

6 Der oben thront in der Höhe, der herniederschaut in die Tiefe,

7 der den Geringen aufrichtet aus dem Staube und erhöht den Armen aus dem Schmutz,

8 dass er ihn setze neben die Fürsten, neben die Fürsten seines Volkes;

9 der die Unfruchtbare im Hause zu Ehren bringt, dass sie eine fröhliche Kindermutter wird. Halleluja!

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott im Himmel, Leben und Tod liegen in deiner Hand. Du bist es, der uns das Leben gibt, und du musst auch der sein, der es uns nimmt, denn keine Macht ist stärker als du, auch der Tod ist deiner Macht unterworfen. Darum begreifen wir dich oft nicht, zweifeln an deiner Güte, zweifeln sogar, dass es dich gibt.

Nein, zu deiner Güte und Liebe passt es nicht, dass Kinder sterben, dass Menschen für Wochen tot in ihrer Wohnung liegen, dass geliebte Menschen von böser Krankheit getroffen werden, dass Sterbende unerträglich lange leiden müssen. Dennoch bleiben wir bei dir und appellieren an deine Güte und Liebe. Wo sollten wir sonst hingehen mit unserem Schmerz, mit unserer Trauer, mit unserer Verzweiflung? Auf dich dürfen wir vertrauen im Leben und im Sterben durch deinen Sohn Jesus Christus, der gekreuzigt wurde und auferstanden ist, unseren Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Buch der Weisheit 3 und 4:

1 Die Seelen der Gerechten sind in Gottes Hand, und keine Qual rührt sie an.

2 In den Augen der Unverständigen gelten sie als tot, und ihr Abscheiden wird für Strafe gehalten

3 und ihr Weggehen von uns für Verderben; aber sie sind im Frieden.

8 Der Herr wird König sein über sie in Ewigkeit.

9 Die auf ihn vertrauen, werden seine Zuverlässigkeit erfahren, und die treu sind in der Liebe, werden bei ihm bleiben.

7 Wenn aber der Gerechte zu frühzeitig stirbt, so ist er doch in der Ruhe.

8 Denn ein ehrenvolles Alter muss nicht lange währen und wird nicht nach der Zahl der Jahre gemessen.

9 Einsicht ist für die Menschen das wahre graue Haar und ein unbeflecktes Leben das rechte Greisenalter.

10 Der Gott wohlgefiel, wurde ihm lieb; und weil er unter Sündern lebte, wurde er hinweggenommen.

13 Obwohl früh vollendet, hat er doch viele Jahre erfüllt.

14 Denn seine Seele gefiel dem Herrn; darum eilte sie fort von den bösen Menschen.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Aus dem vorhin angefangenen Lied 361 singen wir die Strophen 9 bis 12:

9. Er wird zwar eine Weile mit seinem Trost verziehn und tun an seinem Teile, als hätt in seinem Sinn er deiner sich begeben und sollt’st du für und für in Angst und Nöten schweben, als frag er nichts nach dir.

10. Wird’s aber sich befinden, dass du ihm treu verbleibst, so wird er dich entbinden, da du’s am mindsten glaubst; er wird dein Herze lösen von der so schweren Last, die du zu keinem Bösen bisher getragen hast.

11. Wohl dir, du Kind der Treue, du hast und trägst davon mit Ruhm und Dankgeschreie den Sieg und Ehrenkron; Gott gibt dir selbst die Palmen in deine rechte Hand, und du singst Freudenpsalmen dem, der dein Leid gewandt.

12. Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not; stärk unsre Füß und Hände und lass bis in den Tod uns allzeit deiner Pflege und Treu empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein.

Liebe Gemeinde! Nun wenden wir uns bewusst jedem einzelnen Menschen zu, von dem wir im vergangenen Kirchenjahr Abschied nehmen mussten. Ob sie alt werden durften oder in frühem Alter sterben mussten, ob ihnen wenig Glück im Leben beschieden war oder sie ihr Leben als erfüllt erlebt haben, für sie alle zünden wir eine Kerze an.

Wir beten für die Verstorbenen, um die wir trauern, denen wir in Liebe verbunden bleiben, und zünden eine Kerze an –

für 36 Menschen, die im vergangenen Kirchenjahr aus unserer Gemeinde bestattet wurden …

Auch für andere Menschen, die nicht hier oder nicht in diesem Jahr bestattet worden sind, können Sie, wenn Sie möchten, jetzt hier vorn eine Kerze anzünden.

Orgelmusik

Wir singen aus dem Lied 449 die Strophen 7 bis 8 und 11 bis 13:

7. Menschliches Wesen, was ist’s gewesen? In einer Stunde geht es zugrunde, sobald das Lüftlein des Todes drein bläst. Alles in allen muss brechen und fallen, Himmel und Erden die müssen das werden, was sie vor ihrer Erschaffung gewest.

8. Alles vergehet, Gott aber stehet ohn alles Wanken; seine Gedanken, sein Wort und Wille hat ewigen Grund. Sein Heil und Gnaden, die nehmen nicht Schaden, heilen im Herzen die tödlichen Schmerzen, halten uns zeitlich und ewig gesund.

10. Willst du mir geben, womit mein Leben ich kann ernähren, so lass mich hören allzeit im Herzen dies heilige Wort: »Gott ist das Größte, das Schönste und Beste, Gott ist das Süßte und Allergewisste, aus allen Schätzen der edelste Hort.«

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, eine der geheimnisvollsten Gestalten der Bibel ist dieser Henoch, von dem wir gehört haben. Er kommt nur am Rande in der Bibel vor, aber in schlichten, knappen Worten wird von ihm Großartiges berichtet. Das Buch Sirach sagt von ihm in Kapitel 49:

16 Niemand ist auf Erden geschaffen, der Henoch gleich wäre; denn er ist von der Erde hinweggenommen worden.

Und im Kapitel 44 des gleichen Buches heißt es:

16 Henoch gefiel dem Herrn und wurde hinweggenommen, um für die Welt ein Beispiel der Buße zu sein.

Henoch ist also ein Beispiel der Umkehr zu Gott.

Einmal wird Henoch auch im Neuen Testament erwähnt, nämlich im Hebräer 11:

5 Durch den Glauben wurde Henoch entrückt, damit er den Tod nicht sehe, und wurde nicht mehr gefunden, weil Gott ihn entrückt hatte; denn vor seiner Entrückung ist ihm bezeugt worden, dass er Gott gefallen habe.

„Entrückung“ ist ein Wort, das wir im Deutschen benutzen, wenn ein Mensch direkt von der Erde in den Himmel Gottes gelangt, ohne dass er vorher stirbt. Diese Vorstellung macht uns modernen Menschen Schwierigkeiten, weil sie sozusagen einen nahtlosen räumlichen Übergang vom Diesseits zum Jenseits voraussetzt, als ob besonders auserwählte Menschen einfach mit ihrem irdischen Leib im Himmel weiterleben könnten wie bisher.

Ich denke, die Bibel ist realistischer als die fromme Phantasie derer, die das Wort „Entrückung“ erfunden haben, sie verwendet einfach das schlichte Wort „nehmen“ für das, was mit Henoch geschehen ist. So wörtlich wie möglich übersetzt, steht da: „Und es ging Henoch mit Gott, und nichts war mehr da von ihm, denn es nahm ihn Gott.“ Lakach, nehmen, steht da, so wie wir in der Trauer sagen: mir ist ein lieber Mensch genommen worden. Aber in dieser Knappheit drückt die Bibel aus: Dass Gott den Henoch nimmt, ist für ihn kein Unglück; er nimmt ihn ja zu sich. Nichts ist mehr von ihm da auf dieser Erde; und das geschieht mit uns allen nach dem Prozess der Verwesung oder Verbrennung und der Rückkehr unseres Körpers in den Kreislauf der Natur. Aber das ist nicht gleichbedeutend mit dem endgültigen Aus für diesen unverwechselbaren Menschen. „Er ging mit Gott. Es nahm ihn Gott.“ So drückt das 1. Buch Mose die Zuversicht aus, dass ein Mensch, der im Gottvertrauen lebt und sich dementsprechend auch im alltäglichen Leben verhält, nicht verloren geht.

Viele wundern sich, dass im Volk Israel ursprünglich der Glaube an die Auferstehung der Toten nur eine geringe Rolle gespielt hat. Das lag wohl daran, dass den Israeliten das Interesse am Jenseits erst einmal gründlich verleidet wurde durch ihre Erfahrungen in Ägypten. Die Pharaonen trieben ja bekanntlich den Totenkult auf die Spitze, indem sie sich in gigantischen Pyramiden bestatten ließen, um ewig zu leben und sich in einem ewigen Leben ewig bedienen zu lassen. Diese Jenseitssehnsucht der Oberen Zehntausend im Pharaonenreich machte zahllosen anderen das Leben hier auf Erden zur Hölle: denen, die für den Pyramidenbau versklavt und entwürdigt wurden.

Aus dieser Sklaverei befreite Gott die Israeliten. Und er gab ihnen die Zehn Gebote, damit nicht auch bei ihnen Freiheit und Menschenwürde wieder unter die Räder kommen. Das ist gemeint mit dem „Gehen mit Gott“: nicht Welt-Flucht, sondern Bewährung in der Welt, im Gottvertrauen.

Das Beispiel Henochs aber zeigt: Es gibt auch in Israel durchaus schon früh die Vorstellung: Wer tot ist, der ist bei Gott. Die Voraussetzung dafür ist anders als bei den Ägyptern. Die größten Pyramiden nützen nichts, wenn einer nicht auf den Wegen Gottes geht. Aber wer seinen Weg mit Gott geht, den nimmt Gott zu sich, einfach so.

Ich denke, die Israeliten waren realistisch genug, um zu wissen: Henoch ist – rein biologisch – gestorben wie alle anderen Menschen auch. Aber wenn Gott einen Menschen zu sich nimmt, dann ist der Tod, als wäre er nichts. Jesus sagt (Matthäus 22, 32):

Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.

Wer Gott anbetet, der kann nicht den Tod als Götzen anbeten. Gegenüber Gottes Macht der Liebe verliert der Tod seine schreckenerregende Macht.

Der zweite Mensch in der Bibel, von dem erzählt wird, dass er direkt von der Erde in den Himmel kommt, ist Elia. Seine Geschichte wird dramatischer erzählt. Elia ist auch einer, der seinen Weg mit Gott gegangen ist, aber bei ihm kommt noch etwas hinzu: Er ist ein Prophet. Er zeigt auch anderen, wie sie den Weg mit Gott gehen sollen. Und da kommt noch ein Mann ins Spiel: Der Gefährte und Schüler und Mitarbeiter von Elia, der Elisa heißt. Der weiß eines Tages, dass er Abschied von seinem Lehrer und Meister nehmen muss. Gott wird ihn von ihm nehmen.

In dieser Situation führen die beiden ein letztes Gespräch miteinander, das in 2. Könige 2 aufgezeichnet ist:

9 Und … Elia [sprach] zu Elisa: Bitte, was ich dir tun soll, ehe ich von dir genommen werde. Elisa sprach: Dass mir zwei Anteile von deinem Geiste zufallen.

10 [Elia] sprach: Du hast Schweres erbeten. Doch wenn du mich sehen wirst, wie ich von dir genommen werde, so wird’s geschehen; wenn nicht, so wird’s nicht sein.

11 Und als sie miteinander gingen und redeten, siehe, da kam ein feuriger Wagen mit feurigen Rossen, die schieden die beiden voneinander. Und Elia fuhr im Wetter gen Himmel.

Dieses Bild von der Himmelfahrt des Elia mit einem Feuerwagen, von feurigen Rossen gezogen, ist von Malern phantasievoll ausgestaltet worden. Es würde zu weit führen, diese Geschichte im einzelnen zu erklären. Wichtig ist mir hier und heute, dass auch diese Erzählung im Grunde eine Deutung des Sterbens von Elia ist.

Elia wird dem Elisa von Gott „genommen“, und er kündigt seinem Schüler an: „Wenn Gott dich sehen lassen wird, was irdische Augen nicht sehen können, nämlich wie ich von dir genommen werde, dann hat sich erwiesen, dass Gott auch dir die Gabe verliehen hat, ein Prophet zu sein.“

Die Himmelfahrt des Elia ist eine Vision des Elisa; Elisa schaut mit dem Auge des Propheten, was von Henoch nur knapp erzählt wird: Auch sein Lehrer Elia ist seinen Weg mit Gott gegangen, auch der Weg des Elia endet nicht im Grab, auch Elia wird von Gott hinweggenommen. Ja, er wird sogar mit einem Ehrengeleit von dieser Erde abgeholt.

Der dritte Himmelfahrer in der Bibel ist Jesus. Sein Fall liegt wieder anders. Jesus ist ja definitiv bereits gestorben, aber als Auferstandener erscheint er noch einige Male seinen Jüngern und Jüngerinnen.

Der Evangelist Lukas erzählt (Lukas 24, 51):

51 Und es geschah, als er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf zum Himmel.

Wörtlich steht im griechischen Urtext allerdings nichts vom Fahren, sondern einfach: Er wurde hochgebracht.

In der Apostelgeschichte 1, 9 ergänzt Lukas eine Einzelheit:

9 Er [wurde] … zusehends aufgehoben, und eine Wolke nahm ihn auf vor ihren Augen weg.

Das heißt: Bei Jesus wird auf jeden Fall der Abschied von einem Menschen geschildert, der den Tod hinter sich hat, den wir alle sterben müssen. Von Jesus heißt es zwar nicht, dass er von Gott „hinweggenommen“ wird, aber er wird „hochgebracht“, „aufgehoben“, also auch er, der nicht nur seinen Weg mit Gott ging, sondern in dem Gottes Geist selbst wohnte, geht zum Vater, indem der ihn zu sich nimmt.

Die Jünger Jesu brauchen Zeit, um zu begreifen, was Jesus da tut. Jesus verlässt sie, und sie fühlen sich alleingelassen. Jesus verlässt uns, sie und wir sehen ihn nicht mehr, so wie Henoch und Elia weggenommen werden und nicht mehr gesehen werden auf der Erde.

Und doch lässt Jesus sie und uns nicht vereinsamt zurück hier auf Erden, sondern er wird ja in den Himmel aufgenommen. Und von dort aus ist er unsichtbar bei uns, überall ist er uns nahe.

Die Jünger damals kapieren das an Pfingsten, da spüren sie seinen Geist, da erfüllt er sie mit Trost, mit Liebe, mit neuem Mut, den Weg mit Gott zu gehen. Und sie finden sogar Worte in einer Sprache, die alle verstehen, und können auch die Völker lehren, mit dem Gott Israels zu gehen.

Wie war das noch mit Henoch (Sirach 44)?

16 Henoch gefiel dem Herrn und wurde hinweggenommen, um für die Welt ein Beispiel der Buße zu sein.

Wie war das noch mit Elia? Die Vision seiner Himmelfahrt brachte seinem Schüler Elisa die Gewissheit, vom Geist Gottes erfüllt zu sein.

Wie ist das mit Jesus? Seit er die sichtbare Welt verlassen hat und von Gott in den Himmel aufgenommen ist, wirkt sein Geist unsichtbar unter uns: Wir dürfen uns einlassen auf seine Kraft, auf seinen Trost, auf seine Ermutigung, unseren Weg mit Gott zu gehen.

Und wie ist das mit den Toten, von denen wir Abschied nehmen? Wo sie Liebe erfahren und gelebt haben, sind sie ihren Weg mit Gott gegangen. Wo sie vor lauter Schmerz und Enttäuschung an der Liebe verzweifelt sind, da hat Gott sie selber mit seiner Liebe getragen. Wer von Gott weggenommen wurde, weg von dieser Erde, weg von uns, der ist bei Gott. Dessen Liebe geht nicht verloren, dessen Sehnsucht nach Liebe findet ewige Erfüllung. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Aus dem bekannten Lied 482, „Der Mond ist aufgegangen“ singen wir die Strophen 5 und 6:

5. Gott, lass dein Heil uns schauen, auf nichts Vergänglichs trauen, nicht Eitelkeit uns freun; lass uns einfältig werden und vor dir hier auf Erden wie Kinder fromm und fröhlich sein.

6. Wollst endlich sonder Grämen aus dieser Welt uns nehmen durch einen sanften Tod; und wenn du uns genommen, lass uns in‘ Himmel kommen, du unser Herr und unser Gott.

Lasst uns beten.

Gott, Vater, von dir haben wir unser Leben. Kostbares Leben sind wir, von der Erde genommen, durch deinen eigenen Atem beseelt, beschenkt mit Freiheit, mit Begabungen, mit unserem ganz persönlichen Schicksal.

Wir bitten dich, Gott, Vater, um die Einsicht, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Wenn wir Leben loslassen müssen, in der Trauer das Leben von Menschen, die uns nahe stehen, im eigenen Sterben auch einmal das eigene Leben, dann lass uns das im Bewusstsein tun, dir etwas Kostbares zurückzugeben und dankbar sein zu können für erfülltes Leben.

Jesus Christus, du bist unser Leben. Du zeigst uns ein Gesicht von Gott, der sonst unsichtbar bliebe, ein Gesicht, das uns liebevoll anblickt und Liebe von uns erwartet. Du nimmst den Fluch von uns, der auf uns lastet, wenn wir sein wollen wie Gott und dabei unser Leben und unsere Erde zugrunderichten. Herr Jesus Christus, vergib uns, was wir einander und der Erde schuldig bleiben. Gib uns Orientierung für unser Leben. Mach uns offen für den Himmel, den du längst für uns geöffnet hast.

Gott, Heiliger Geist, verwandle uns von innen her. Bete in uns, wenn wir nur noch seufzen können. Lass in uns das kleine Licht der Hoffnung nicht erlöschen. Sei unser Trost, wenn in uns alles leer ist vor lauter Trauer. Lass uns Worte finden und ein offenes Ohr, das sie hören will, wenn wir mit all dem nicht mehr fertig werden, was uns belastet. Heiliger Geist, sei du selbst in uns die zarte Pflanze des Gottvertrauens und lass sie wachsen. Amen.

In der Stille bringen wir vor dich, Gott, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Zum Schluss singen wir von dem Trost, den uns die Nähe Gottes angesichts der Nacht des Todes geben kann, aus dem Abendlied 476 die beiden letzten Strophen 6 und 7:

6. Herr, wenn mich wird die lange Nacht bedecken und in die Ruh des tiefen Grabes stecken, so blicke mich mit deinen Augen an, daraus ich Licht im Tode nehmen kann,

7. und lass hernach zugleich mit allen Frommen mich zu dem Glanz des andern Lebens kommen, da du uns hast den großen Tag bestimmt, dem keine Nacht sein Licht und Klarheit nimmt.

Abkündigungen

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag gehen – wer möchte, ist im Anschluss noch herzlich zum Beisammensein mit Kaffee oder Tee im Gemeindesaal eingeladen.

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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