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Die Ernte der Tränensaat

Trauerfeier für einen Mann, über dessen Bett ein Psalmwort hing: „Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“

Die Ernte der Tränensaat: Ein Gerstenhalm mit Regen- oder Tautropfen vor einem Gerstenfeld
Was heißt das: Mit Tränen säen, mit Freuden ernten? (Bild: Kerstin RiemerPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Gemeinde, wir sind hier versammelt, um von Herrn Y. Abschied zu nehmen, der im Alter von [über 50] Jahren gestorben ist.

Der Abschied fällt schwer. Es tut weh, einen geliebten Menschen herzugeben. Er war ein Stück des eigenen Lebens.

Aber dankbar sind wir auch, denn dieser Mensch war ein Geschenk für uns, das wir in unserem Leben nicht missen wollten.

So sind wir hier mit gemischten Gefühlen und Gedanken und stehen einander bei.

Wir besinnen uns auch auf Gott. Wir beten zu ihm, der unsere Gedanken kennt, dem wir uns anvertrauen können. Von ihm kommt unser Leben her, und zu ihm kehrt es im Tode zurück.

Wir sprechen Worte aus dem Psalm 126, einem Wallfahrtslied des Volkes Israel. Es wurde in und um Jerusalem zu einer traurigen Zeit gesungen; ein großer Teil der Bevölkerung war nämlich in das ferne Land Babylon verschleppt worden:

1 Wenn der HERR die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden.

2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Dann wird man sagen unter den Heiden: Der HERR hat Großes an ihnen getan!

4 HERR, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland.

5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

6 Sie gehen hin und weinen und streuen ihren Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Liebe Trauerfamilie, liebe Gemeinde!

„Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.“ Dieser Vers aus der Bibel, den wir eben gehört haben, muss für Herrn Y. eine besondere Bedeutung gehabt haben. Über seinem Bett im Schlafzimmer war er als Wandspruch zu lesen, und wir haben im Gespräch über diese Trauerfeier gesagt: Das soll der Text für diese Ansprache sein.

In der Bibel geht es um die Tränen eines Volkes, das fremde Besatzung und Verschleppung erleiden musste, bis die Menschen endlich doch noch heimkehren durften. Ihre Familie hat von der Zeit der Sowjetunion bis zur ihrer Auflösung in den Neunziger Jahren ähnliche Erfahrungen gemacht: sich fremd zu fühlen in einem Vielvölkerstaat, sich zu sehnen nach einer wirklichen Heimat, umzusiedeln und dabei Gefahr zu laufen, enttäuscht und endgültig entwurzelt zu werden.

Erinnerungen an das Leben und Sterben des Verstorbenen

In den letzten Tagen seines Lebens war er hin- und hergerissen zwischen dem Willen zu leben und der Kapitulation vor den Schmerzen seiner Krankheit. So konnte er nachts im Gebet rufen: „Lieber Gott, nimm mich doch mit, befrei mich von den Schmerzen!“ Auf der anderen Seite hielt er fest am Leben und sagte seinen Lieben: „Mach dir keine Sorgen, es wird alles gut.“

In der Bibel kommen an entscheidenden Stellen Träume vor. Gott schickt manchen Menschen Träume, damit sie etwas Wichtiges erfahren oder lernen. Herr Y. hatte auch Träume, die ihn beschäftigten. Mehrfach träumte er von Gott, aber er schaute ihm nicht ins Angesicht, denn er wusste, dann würde er zu ihm gehen müssen, und das wollte er noch nicht so früh.

Als er dann gestorben ist, da scheint er ganz bewusst Abschied genommen zu haben. Mit einem Mal blickte er auf einen ganz bestimmten Punkt, als ob er dort etwas sah, wohin er gehen sollte, vielleicht ein Licht oder etwas Unbeschreibliches. Zuerst sah er skeptisch aus, brauchte noch Zeit, um sich damit einverstanden zu erklären. Aber dann sagte er: „Ich muss gehen.“ Als seine Tochter meinte: „Nimm mich mit!“, antwortete er: „Du darfst nicht mitgehen.“ So nahm er Abschied. Er ging friedlich den Weg, den er gehen musste. Als er dann gestorben war und Sie noch einige Stunden bei ihm blieben, waren Sie erstaunt, dass er sich nun wärmer anfühlte als zuvor.

Nachdem er Abschied von seinem Leben genommen hat und hinübergegangen ist ins Licht des Himmels, müssen nun auch Sie als Familienangehörige und Freunde des Verstorbenen von ihm Abschied nehmen. Vielleicht kann Ihnen in Ihrer Trauer auch das Bibelwort helfen, das über dem Bett von Herrn Y. hing (Psalm 126, 5):

Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

Wenn wir unserem Bibelwort glauben, dann sind Tränen wie Samen. In der Landwirtschaft bringen Männer und Frauen die Saat aufs Feld, um im Herbst Korn zu ernten. Im Haushalt unserer menschlichen Seele weinen Männer, Frauen und Kinder Tränen, die geweint werden müssen, und auch dann ist eine Ernte zu erwarten.

Die Ernte der Tränen ist zum Beispiel der Trost, den man spürt, wenn man nicht allein bleibt mit seiner Traurigkeit, wenn man sein Herz ausschütten kann und jemanden hat, der einen in den Arm nimmt. Wer Tränen sät, kann erfahren, dass neben der Trauer auch wieder andere Gefühle in ihm Platz haben. Trauer und Freude scheinen sich auszuschließen, aber im Gegenteil: nur wer wirklich trauert, kann am Ende den Schmerz loslassen, wieder unbeschwert leben und sich neuem Glück öffnen.

Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

Welche Rolle dieser Spruch im Leben von Herrn Y. gespielt hat, können wir nicht genau sagen. Bestimmt spiegelt er etwas wieder von seinem Leben, schon der schweren Kindheit und Jugend und auch dem, was er in den letzten Jahren verkraften musste.

Er wusste offenbar etwas davon, dass Tränen für uns Menschen wichtig sind. Es ist nicht immer leicht, seine Gefühle zu spüren und zu zeigen, aber es gehört zur menschlichen Stärke dazu, auch weinen zu können, für Männer und Frauen, Mädchen und Jungen.

Manchmal ist man nicht stark genug, um zu fühlen, was man fühlt, dann tut man besser daran, Gefühle auch einmal zu verbergen. Vor allem dann, wenn Schmerz oder erfahrenes Unrecht so unerträglich sind, dass man es nicht einmal spüren und es erst recht niemandem durch seine Tränen zeigen möchte. Aber wer trotz großem Leid niemals weinen kann, der trägt unverheilte Wunden in seiner Seele mit sich herum, die ihn sein Leben lang plagen, obwohl man ihm von außen nichts anmerkt.

Es mag sein, dass Y. von seiner Kindheit her solche unverheilten Wunden mit sich herumgetragen hat. Er hat aber seine Konsequenzen daraus gezogen. Was er in seiner Kindheit entbehrt hatte, das wollte er seinen Kindern ermöglichen: in einer Familie aufzuwachsen, in der auch der Vater ganz selbstverständlich für die Kinder da ist und dass sie mit ihm über alles reden können. Die Saat der Tränen in seiner Kindheit und Jugend ließ in seinem Erwachsenenalter als Ernte die Fähigkeit aufgehen, dass er seine Kinder anders erzog, ihnen das Beste gab, was ein Vater seinen Kindern geben kann: Liebe, Geborgenheit, Vertrauen. Und dafür sind Sie ihm von Herzen dankbar.

Vorhin haben wir den Psalm von der Saat der Tränen gehört. An den Schluss dieser Ansprache stelle ich einen anderen Psalm, ein Gebet für Stunden der Verzweiflung, in denen Ihnen vielleicht gar nicht nach Beten zumute ist und in denen Sie kaum glauben können, dass irgendwann nach der Trauer auch wieder Stunden der Freude kommen können. Wir beten mit Worten aus Psalm 77:

2 Ich rufe zu Gott und schreie um Hilfe, zu Gott rufe ich, und er erhört mich.

3 In der Zeit meiner Not suche ich den Herrn; meine Hand ist des Nachts ausgereckt und lässt nicht ab; denn meine Seele will sich nicht trösten lassen.

4 Ich denke an Gott – und bin betrübt; ich sinne nach – und mein Herz ist in Ängsten.

5 Meine Augen hältst du, dass sie wachen müssen; ich bin so voll Unruhe, dass ich nicht reden kann.

6 Ich gedenke der alten Zeit, der vergangenen Jahre.

7 Ich denke und sinne des Nachts und rede mit meinem Herzen, mein Geist muss forschen.

8 Wird denn der Herr auf ewig verstoßen und keine Gnade mehr erweisen?

9 Ist‘s denn ganz und gar aus mit seiner Güte, und hat die Verheißung für immer ein Ende?

10 Hat Gott vergessen, gnädig zu sein, oder sein Erbarmen im Zorn verschlossen?

11 Ich sprach: Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann.

12 Darum denke ich an die Taten des HERRN, ja, ich denke an deine früheren Wunder

13 und sinne über alle deine Werke und denke deinen Taten nach.

14 Gott, dein Weg ist heilig. Wo ist ein so mächtiger Gott, wie du, Gott, bist?

15 Du bist der Gott, der Wunder tut, du hast deine Macht bewiesen unter den Völkern.

21 Du führtest dein Volk wie eine Herde.

So können wir vor Gott auch unsere Klage ausschütten, wenn wir nicht begreifen, warum er uns einen geliebten Menschen genommen hat.

Und zugleich dürfen wir auf Wunder Gottes hoffen. Diese Wunder müssen nichts Übernatürliches an sich haben. Wunder in der Bibel sind Erfahrungen von Befreiung und Ermutigung Trost – dass Menschen einander zum Licht und zum Segen werden, dass sie getröstet werden, dass sie wieder Freude finden.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie auf dem schweren Weg Ihrer Trauer solche Wunder erleben, die der Spruch aus dem Psalm 126 ausdrückt:

Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten.

Amen.

Lieber Vater im Himmel, wir müssen einen geliebten Menschen begraben. Du weißt, wie schwer das ist. Wir müssen uns fügen und den Verlust hinnehmen. Tröste uns, lass unser Herz nicht vor dem Tod erschrecken und schenke uns Vertrauen zu dir.

Wir sind auch dankbar in dieser Stunde: für Liebe, die wir empfangen und geben konnten, für viele Prägungen und Begegnungen, für alles, was gemeinsam durchlebt und bewältigt worden ist.

Gott, in deiner Liebe nimm Herrn Y. gnädig auf und lass ihn Ruhe und Frieden finden.

Für uns bitten wir dich um Kraft, füreinander da zu sein, auch auf dem Weg der Trauer, dass wir schwere Stunden gemeinsam durchstehen, dass wir unser Herz ausschütten können, dass wir mit der Zeit Trost finden für unsere Seele und neue Zuversicht und Kraft, um die Aufgaben unseres Lebens zu bewältigen. Amen.

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