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Gott steht auf unserer Seite

Steht Gott auf unserer Seite? Nicht, wenn wir denken: wir sind besser als die anderen Menschen. Nicht, wenn wir mit Gottes Hilfe gegen andere Menschen Krieg führen wollen. Aber er steht auf unserer Seite, wenn wir ihn an uns heranlassen – ihn mit seiner Menschlichkeit und Liebe, so wie wir eben sind, ohne dass wir uns verstecken oder verstellen müssten!

Der Schatten eines Kreuzes, daneben der eines Menschen
Schatten des Kreuzes – in Jesus leidet Gott selber mit uns mit (Bild: amalgamatePixabay)
direkt-predigtGottesdienst am 2. Sonntag nach Weihnachten, den 5. Januar 1992, um 9.30 Uhr in der LNK-Kapelle Alzey

Am zweiten Sonntag nach Weihnachten und am ersten Sonntag im Neuen Jahr begrüße ich Sie herzlich im Gottesdienst in unserer Klinik-Kapelle! Das Neue Jahr liegt noch fast frisch und neu vor uns, wir wissen noch nicht, was wir auf der weiten Reise durch die Tage dieses Jahres erleben werden. Wir wissen es genauso wenig, wie es damals die klugen Sterndeuter aus dem Morgenland wissen konnten, als sie den Königs-Stern am Himmel erblickten und zu ihrer weiten Reise in das Land der Juden aufbrachen. Wir fragen deshalb – genau wie die weisen Männer – nach dem Gott, der uns begleitet auf allen unseren Wegen. Und wir besingen diesen Gott mit dem Lied 48, 1+4+5:

1) Wie schön leuchtet der Morgenstern voll Gnad und Wahrheit von dem Herrn,
die süße Wurzel Jesse! Du Sohn Davids aus Jakobs Stamm,
mein König und mein Bräutigam, hast mir mein Herz besessen;
lieblich, freundlich, schön und herrlich,
groß und ehrlich, reich an Gaben, hoch und sehr prächtig erhaben.

4) Von Gott kommt mir ein Freudenschein, wenn du mich mit den Augen dein
gar freundlich tust anblicken. O Herr Jesus, mein trautes Gut,
dein Wort, dein Geist, dein Leib und Blut
mich innerlich erquicken. Nimm mich freundlich
in dein Arme, Herr, erbarme dich in Gnaden; auf dein Wort komm ich geladen.

5) Herr Gott Vater, mein starker Held,
du hast mich ewig vor der Welt in deinem Sohn geliebet.
Dein Sohn hat mich ihm selbst vertraut,
er ist mein Schatz, ich seine Braut, drum mich auch nichts betrübet.
Eia, eia, himmlisch Leben wird er geben mir dort oben;
ewig soll mein Herz ihn loben.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Worten des Propheten Jesaja 61:

1 Der Geist Gottes des HERRN ist auf mir, weil der HERR mich gesalbt hat. Er hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkündigen den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen;

2 zu verkündigen ein gnädiges Jahr des HERRN und einen Tag der Vergeltung unsres Gottes, zu trösten alle Trauernden,

3 zu schaffen den Trauernden zu Zion, dass ihnen Schmuck statt Asche, Freudenöl statt Trauerkleid, Lobgesang statt eines betrübten Geistes gegeben werden, dass sie genannt werden »Bäume der Gerechtigkeit«, »Pflanzung des HERRN«, ihm zum Preise.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Den Glauben zu DIR, o GOTT, können wir nicht machen.
Das Vertrauen zu DIR, o GOTT, ist keine Leistung, die wir erbringen könnten.
Mach DU selbst uns offen für DICH!
Öffne unsre Ohren, unsre Herzen und Sinne für DICH durch DEIN Wort!
Sprich uns an, rühre uns an, bewege unser Herz durch das, was DU uns zu sagen hast!

Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Evangelium nach Matthäus 2, 1-12:

1 Als Jesus geboren war in Bethlehem in Judäa zur Zeit des Königs Herodes, siehe, da kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem und sprachen:

2 Wo ist der neugeborene König der Juden? Wir haben seinen Stern gesehen im Morgenland und sind gekommen, ihn anzubeten.

3 Als das der König Herodes hörte, erschrak er und mit ihm ganz Jerusalem,

4 und er ließ zusammenkommen alle Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte.

5 Und sie sagten ihm: In Bethlehem in Judäa; denn so steht geschrieben durch den Propheten (Micha 1):

6 »Und du, Bethlehem im jüdischen Lande, bist keineswegs die kleinste unter den Städten in Juda; denn aus dir wird kommen der Fürst, der mein Volk Israel weiden soll.«

7 Da rief Herodes die Weisen heimlich zu sich und erkundete genau von ihnen, wann der Stern erschienen wäre,

8 und schickte sie nach Bethlehem und sprach: Zieht hin und forscht fleißig nach dem Kindlein; und wenn ihr’s findet, so sagt mir’s wieder, dass auch ich komme und es anbete.

9 Als sie nun den König gehört hatten, zogen sie hin. Und siehe, der Stern, den sie im Morgenland gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er über dem Ort stand, wo das Kindlein war.

10 Als sie den Stern sahen, wurden sie hoch erfreut

11 und gingen in das Haus und fanden das Kindlein mit Maria, seiner Mutter, und fielen nieder und beteten es an und taten ihre Schätze auf und schenkten ihm

12 Gold, Weihrauch und Myrrhe. Und Gott befahl ihnen im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren; und sie zogen auf einem andern Weg wieder in ihr Land.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir singen aus dem Lied 49, 1-3 und 5:

1) O König aller Ehren, Herr Jesu, Davids Sohn,
dein Reich soll ewig währen, im Himmel ist dein Thron;
hilf dass allhier auf Erden den Menschen weit und breit
dein Reich bekannt mög werden zur Seelen Seligkeit.

2) Von deinem Reich auch zeugen die Leut aus Morgenland;
die Knie sie vor dir beugen, weil du ihn‘ bist bekannt.
Der neu Stern auf dich weiset, dazu das göttlich Wort.
Drum man dich billig preiset, dass du bist unser Hort.

3) Du bist ein großer König, wie uns die Schrift vermeldt,
doch achtest du gar wenig vergänglich Gut und Geld,
prangst nicht auf stolzem Rosse, trägst keine güldne Kron,
sitzt nicht im steinern Schlosse; hier hast du Spott und Hohn.

5) Du wollst dich mein erbarmen, in dein Reich nimm mich auf,
dein Güte schenk mir Armen und segne meinen Lauf.
Mein‘ Feinden wollst du wehren, dem Teufel, Sünd und Tod,
dass sie mich nicht versehren; rett mich aus aller Not.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Am Anfang eines Neuen Jahres hören wir Worte des Paulus aus seinem Brief an die Römer 8, 31-39. Er hat sie gesagt, als er im Gefängnis saß, er hat so zu einer Gemeinde gesprochen, die im römischen Weltreich unter Verfolgung zu leiden hatte:

31 Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?

32 Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?

33 Wer will die Auserwählten Gottes beschuldigen? Gott ist hier, der gerecht macht.

34 Wer will verdammen? Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.

35 Wer will uns scheiden von der Liebe Christi? Trübsal oder Angst oder Verfolgung oder Hunger oder Blöße oder Gefahr oder Schwert?

38 Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges,

39 weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.

Liebe Gemeinde!

Paulus will uns etwas von Gott erzählen! Er beginnt mit dem starken Satz: „Ist Gott für uns, wer kann wider uns sein?“

Das klingt gut. Wenn wir Gott auf unserer Seite haben, haben wir nichts und niemanden zu fürchten. Nur: wann ist Gott auf unserer Seite? Ich höre von Patienten, dass sie so sehr darum bitten, gesund zu werden, und sie kommen und kommen nicht heraus aus ihrer Depression – steht Gott nicht auf ihrer Seite? Ich denke an die kriegführenden Parteien im Golfkrieg oder in Jugoslawien, die beide ihre Religion haben und zu ihrem Gott beten – auf welcher Seite steht nun Gott?

Es ist leicht, fromme Sprüche zu machen, zu sagen: Hab nur Vertrauen auf Gott, er wird schon helfen! Aber viele haben nie gelernt, irgendjemandem zu vertrauen, nicht einmal ihren Eltern, geschweige denn einem geheimnisvollen, unsichtbaren Gott, der ihnen fremd oder unheimlich geblieben ist.

Es gibt umgekehrt sogar recht viele Menschen, die von sich sagen: Ich habe meinen Herrgott! Ich habe meinen festen Glauben! Doch manche von ihnen geraten in tiefe Zweifel, wenn sie z. B. krank werden, wenn ein Schicksalsschlag sie trifft, und Gott sieht anscheinend untätig zu.

Steht Gott wirklich auf unserer Seite? Paulus begründet auch, warum er das so sagt: „Ist Gott für uns, wer kann gegen uns sein?“ Paulus spricht von Gott, dem Vater, „der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?“

Aber da stellen sich viele Menschen gleich eine neue Frage: Kann das denn ein liebender, ein guter Vater sein, der „seinen eigenen Sohn nicht verschont“? Würde nicht jeder gute menschliche Vater eher sein eigenes Leben hingeben, als seinen Sohn zu opfern?

Ich bin überzeugt, dass Gott nicht das Opfer seines Sohnes für sich selbst braucht, sozusagen um seinen Rachedurst zu stillen und dann die Menschen wieder lieben zu können. Ist das wirklich denkbar, dass Gott anstelle von uns schuldigen Menschen, die er eigentlich hätte vernichten wollen, ein Ersatzopfer töten ließ, nämlich seinen unschuldigen Sohn, damit sein Zorn versöhnt wird? Diese Art Theologie kann nicht stimmen. Gott kann nicht so eine Art Vater sein, dessen Zorn man besänftigen muss, so wie das in manchen Familien die Kinder tun müssen, deren Vater im Alkoholrausch Frau und Kinder schlägt.

Es muss also einen anderen Grund geben, weshalb Gott seinen eigenen Sohn nicht verschonen konnte. Nämlich – so unglaublich es ist: die Menschen wehren sich ausgerechnet gegen einen Gott, der es gut mit ihnen meint. Schon vom Kind in der Krippe wird berichtet, dass Herodes es töten lassen will, so dass die Heilige Familie in Ägypten Asyl suchen muss. Und auch später kommen die meisten nicht zurecht mit einem Jesus, der sich um die Menschen mit dem festen Glauben weniger kümmert als um die, die mit leeren oder schmutzigen Händen vor Gott stehen. Jesus lebt konsequent aus seinem Vertrauen in einen Gott, der keinen Zwang und keine Gewalt will, der auch nicht durch ein Wunder seine Macht beweisen will. Auch dann nimmt er kein Wunder für sich in Anspruch, als er sich selbst damit hätte retten können.

Sicher, Jesus tut auch Wunder, aber das sind Wunder anderer Art. Diese Wunder bestehen immer darin, dass Menschen anfangen, genau das zu tun, was Jesus auch tut: aus dem Vertrauen zu Gott zu leben – und dadurch heil zu werden, Angst zu überwinden, Mut zum Leben zu gewinnen.

Einer, der solche Wunder tut, kommt nur bei Menschen an, an denen eben solche Wunder geschehen, die selber ein solches Vertrauen zu Gott gewinnen. Alle anderen lehnen ihn ab, machen ihm das Leben schwer, bringen ihn schließlich um. Ich denke auch daran, wie schwer es Maria gefallen ist, den Weg ihres Sohnes Jesus zu akzeptieren. Sie wollte ihn zurückhalten, sie machte sich Sorgen, sie ahnte schon früh die Gefahr, in die er sich begab. Und Jesus konnte nicht anders, als ihr gegenüber zu sagen: „Wer ist meine Mutter?“ Sie musste ihn seinen Weg gehen lassen, ob sie wollte oder nicht. Im Grunde hat Gott, der Vater im Himmel, in einem ganz ähnlichen Sinn Jesus, seinen Sohn, nicht vor dem Leid bewahren können.

Und noch etwas: Wenn wir von Gott als Vater sprechen und von Jesus als Gottes Sohn, dann sprechen wir in einem menschlichen Bild von etwas, für das wir keine anderen Worte und Begriffe haben. Schließlich ist Gott ja nicht in der Weise der Vater Jesu, wie wir alle einen leiblichen Vater haben, sondern wir wollen mit diesem Bild die einzigartige Verbundenheit Jesu mit Gott im Himmel ausdrücken. Im Grunde können wir genauso gut und vielleicht besser sagen: Gott selber kommt in Jesus zur Welt, in Jesus sehen wir etwas davon, wie menschlich Gott selber in seinem Wesen ist. Dann ist es also nicht so, dass Gott einen anderen, seinen Sohn, anstelle seiner selbst leiden lässt, nein, es ist vielmehr in Jesus Gott selber, der sich nicht zu schade ist, angespuckt und gequält und getötet zu werden von denen, die ihn und seine einfache Menschlichkeit und Liebe nicht ertragen. Dazu passt auch das Wort Jesu aus dem Johannesevangelium: „Ich und der Vater sind eins!“

Zurück also zur Frage: Steht Gott auf unserer Seite? Er steht nicht auf unserer Seite, wenn wir denken: wir sind besser als die anderen Menschen, wir haben einen besseren Glauben als andere. Er steht nicht auf unserer Seite, wenn wir mit Gottes Hilfe gegen andere Menschen Krieg führen wollen. Aber er steht auf unserer Seite, wenn wir ihn ganz einfach an uns heranlassen – ihn mit seiner Menschlichkeit und Liebe, so wie wir eben sind, ohne dass wir uns verstecken oder verstellen müssten!

Paulus spricht von den „Auserwählten Gottes“ – wer will sie beschuldigen? Das ist wieder so ein schwieriger Ausdruck! Auserwählt – wer ist das, bin ich’s, sind Sie es, wer gehört dazu? Wer entscheidet das?

Man kann dieses Wort leicht falsch verstehen. Wir verstehen es oft so: als ob Gott willkürlich sagt: den wähle ich aus, und den wähle ich nicht aus. Nein, so ist es nicht. Es geht um etwas anderes. Nicht wir wählen uns Gott aus, nicht wir lieben Gott zuerst, nicht wir können zu Gott kommen durch unsere Anstrengung. Nein, es ist umgekehrt. Gott wählt uns aus, er wendet sich von sich aus uns zu, er hat uns lieb, ohne unser vorheriges Zutun, ohne besondere fromme Leistungen, und er macht dabei keine Ausnahmen!

Probleme treten eigentlich nur auf, wenn wir meinen: Das habe ich doch nicht nötig. Ich brauche Gott doch gar nicht. Ich bin doch auch wer ohne Gott. Das gibt es nicht nur bei Atheisten, sondern noch viel schlimmer bei Christen, wenn sie denken: Ich müsste Gott schon recht sein, denn ich bin kein schlechter Mensch, da gibt es welche, die sind viel schlimmer als ich. Diese Haltung war es, die Jesus bei den Pharisäern aufs Schärfste bekämpft und verurteilt hat.

Aber die „Auserwählten Gottes“, die Menschen, die Gott lieb hat, sie kann niemand beschuldigen, auch wenn andere Menschen ihnen noch so viele Vorwürfe machen, auch wenn sie selbst von sich denken, sie haben versagt und können sich nicht verzeihen. „Gott ist hier, der gerecht macht. Wer will verdammen?“ sagt Paulus. „Christus Jesus ist hier, der gestorben ist, ja vielmehr, der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und uns vertritt.“

Geht Paulus hier nicht doch von der Vorstellung aus, dass Jesus für uns bei Gott eintreten müsse, um ihn zu besänftigen und seinen Zorn zu stillen? Wie gesagt, diese Auffassung würde ich nicht teilen. Wir können diese Stelle aber auch so verstehen: Jesus (gemeinsam mit Gott, dem Vater) tritt für uns ein – gegenüber allen, die uns verurteilen und niedermachen wollen. Wenn z. B. ein Menschenkind als unerwünschtes Kind geboren wurde und dann jahrzehntelang mit dem Gefühl leben muss, eigentlich kein Recht zu haben, überhaupt da zu sein, geschweige denn geliebt zu werden – dann dürfen und müssen wir als Christen die Wahrheit dagegensetzen: Auch diese Frau, auch dieser Mann ist von Gott geliebt! Wenn wir als Christen diese einfache Tatsache ernstnehmen – für uns selbst zuerst und dann auch für andere – dass wir alle von Gott her ein Recht haben, da zu sein, so zu fühlen, wie wir fühlen, so zu sein, wie wir sind! – wie schön ist das – wie anders wird es dann unter uns – wie wohl fühlen sich dann bei uns auch all die Menschen, die sonst nirgends ein Zuhause kennen. Wenn wir allerdings lieber mitmachen bei dem Urteilen und Verurteilen, beim Druck-Ausüben und Zwingen und „Reiß dich doch zusammen!“ – dann entsteht eine Atmosphäre, in der man lieber nicht aus sich herausgeht, man schließt sich ein in sich selbst, man fühlt sich ungeliebt und kann auch nicht lieben.

Paulus stellt dann ganz einfach die Frage: „Wer will uns scheiden von der Liebe Christi?“ Niemand natürlich, will er uns zurufen, niemand und nichts kann die Liebe Jesu von uns wegnehmen.

Paulus weiß von „Trübsal“, von „Angst“, wie so viele Menschen unter uns, die oft nicht mehr aus noch ein wissen. Sie sehnen sich so sehr nach Liebe, sie sind aber auch so misstrauisch gegenüber Menschen, die ihnen zu nahe kommen, dass sie Liebe kaum annehmen können. Wer ihnen dennoch ein gutes Wort anbieten möchte, wer ihnen die Erfahrung vermitteln möchte, dass auch sie nicht getrennt sind von der Liebe Jesu, der wird selber nicht verschont bleiben vor schweren Gedanken, vor inneren Konflikten, vor der Sorge um einen Menschen, den man liebgewinnt und den man trotzdem vielleicht auch beim besten Willen nicht wirklich in seiner inneren Verzweiflung erreichen kann. Und dennoch, auch wer noch so sehr gefangen ist in seiner Angst und Trübsal – er ist doch nicht getrennt von der Liebe Jesu, auch wenn er es jetzt noch nicht glauben kann.

Paulus weiß auch von „Verfolgung“ – er weiß, wie es ist, wenn man in einem Staat nicht mehr geduldet ist, nur weil man Christ ist. Er weiß von „Hunger“ und von „Blöße“, er hat es erfahren, nichts zu essen, nichts anzuziehen zu haben. Er weiß von „Gefahr“ und von „Schwert“ – so wie die vielen Menschen, die in den Kriegen in ständiger Angst um sich und ihre Angehörigen leben müssen, oder so wie die Ausländer in Deutschland, die sich fürchten vor einem Gewaltanschlag auf ihre Wohnung oder ihr Heim. Paulus hat selbst die Erfahrung gemacht, dass Gott ihm nicht jeden Schicksalsschlag erspart. Und dennoch weiß er sich in allem von der Liebe Christi getragen.

Mit einem seiner schönsten Sätze endet Paulus den Abschnitt, der mir für diese Predigt vorgegeben war: „Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch eine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“ Die Liebe Gottes, sie ist wirklich in Jesus da gewesen und sie bleibt untrennbar mit dem Bild dieses Jesus verbunden, der sanft und stark, aber niemals brutal und grausam war. Von dieser Liebe Gottes kann uns nichts und niemand abbringen und wegdrängen, nicht einmal der Tod, auch nicht die scheinbar schönen Verlockungen und Versuchungen des Lebens, die doch nur ein Ersatz sind für wirkliche Liebe. Mag es auch noch so viele Kräfte und Mächte in unserer Welt geben, die wir nicht in der Hand haben, von denen wir uns manchmal wie gefangen fühlen – „Engel, Mächte und Gewalten“ – Gottes Liebe ist stärker! Mag die Gegenwart uns manchmal überfordern, die Zukunft uns ungewiss und bedrohlich erscheinen – die Liebe Gottes kann uns auf den Teppich herunterholen, uns helfen, uns nur das Wesentliche vorzunehmen und das, was wir nicht können, Gott zu überlassen. Nichts kann uns von Gott trennen, keine Hochstimmung, in der wir Gott vielleicht einmal vergessen, und keine Depression, in der wir nicht einmal mehr beten können – Gott hält trotzdem an uns fest und lässt uns nicht los. Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes – so können wir getrost auf die weite Reise gehen durch das Neue Jahr 1992! Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Wir singen aus dem Lied, das von Paul Gerhardt unserm Predigttext nachgedichtet wurde – 250, 1-2+6+12:

1) Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich;
sooft ich ruf und bete, weicht alles hinter sich.
Hab ich das Haupt zum Freunde und bin geliebt bei Gott,
was kann mir tun der Feinde und Widersacher Rott?

2) Nun weiß und glaub ich feste, ich rühms auch ohne Scheu,
dass Gott, der Höchst und Beste, mein Freund und Vater sei
und dass in allen Fällen er mir zur Rechten steh
und dämpfe Sturm und Wellen und was mir bringet Weh.

6) Nichts, nichts kann mich verdammen, nichts nimmt mir meinen Mut;
die Höll und ihre Flammen löscht meines Heilands Blut.
Kein Urteil mich erschrecket, kein Unheil mich betrübt,
weil mich mit Flügels decket mein Heiland, der mich liebt.

12) Kein Engel, keine Freuden, kein Thron, kein Herrlichkeit,
kein Lieben und kein Leiden, kein Angst und Fährlichkeit,
was man nur kann erdenken, es sei klein oder groß:
der keines soll mich lenken aus deinem Arm und Schoß.

Nun feiern wir – wie immer am ersten Sonntag des Monats, und auch am ersten Sonntag im Jahr – das heilige Abendmahl miteinander. Wer kommen will, mag gleich nach vorn kommen, wer nicht mitmachen will, mag auf seinem Platz bleiben.

Lasst uns, bevor wir gemeinsam das Mahl zu uns nehmen, zu Gott rufen mit den Worten des Lobpsalms 103:

1 Lobe den HERRN, meine Seele, / und was in mir ist, seinen heiligen Namen!

2 Lobe den HERRN, meine Seele, / und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:

3 der dir alle deine Sünde vergibt / und heilet alle deine Gebrechen,

4 der dein Leben vom Verderben erlöst, / der dich krönet mit Gnade und Barmherzigkeit,

5 der deinen Mund fröhlich macht, / und du wieder jung wirst wie ein Adler.

Christus spricht: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer an mich glaubt, der hat das ewige Leben!“

Gott, schenke uns mit deinem Abendmahl die Gewissheit, dass du uns liebhast, dass du uns festhältst, dass du uns niemals allein lassen wirst. Stärke uns für unsere Wege, die wir vor uns haben. Amen.

Einsetzungsworte und Abendmahl

Lasst uns beten mit Worten von Jörg Zink:

Herr meiner Stunden und meiner Jahre, du hast mir viel Zeit gegeben.
Vater unser

Zum Schluss singen wir Lied 42, 1-3 und 11-15:

1) Nun lasst uns gehn und treten mit Singen und mit Beten
zum Herrn, der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.

2) Wir gehn dahin und wandern von einem Jahr zum andern,
wir leben und gedeihen vom alten bis zum neuen

3) durch so viel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen,
durch Krieg und große Schrecken, die alle Welt bedecken.

11) Sprich deinen milden Segen zu allen unsern Wegen,
lass Großen und auch Kleinen die Gnadensonne scheinen.

12) Sei der Verlassnen Vater, der Irrenden Berater,
der Unversorgten Gabe, der Armen Gut und Habe.

13) Hilf gnädig allen Kranken, gib fröhliche Gedanken
den hochbetrübten Seelen, die sich mit Schwermut quälen.

14) Und endlich, was das meiste, füll uns mit deinem Geiste,
der uns hier herrlich ziere und dort zum Himmel führe.

15) Das alles wollst du geben, o meines Lebens Leben,
mir und der Christen Schare zum selgen neuen Jahre.

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Abend und in das neue Jahr hineingehen:

Der Herr segne euch und er behüte euch.
Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig.
Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden.
„Amen, Amen, Amen!“

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