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Es soll nicht gelogen werden

Trauerfeier für einen Mann, dem es wichtig war, dass bei seiner Beerdigung nicht gelogen wird. Das ist mir sowieso wichtig. Ich versuche, ihm gerecht zu werden, indem ich seine Haltung mit der Haltung des Mannes Hiob in der Bibel vergleiche.

Es soll nicht gelogen werden: Ein Mensch schreit im Dunkeln
Hiob betet zu Gott, indem er seinen Schrei nicht unterdrückt (Bild: Gerd AltmannPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauergemeinde, wir sind hier zusammengekommen, um von Herrn V. Abschied zu nehmen, der im Alter von [über 50] Jahren gestorben ist.

Es ist nicht leicht, die richtigen Worte zu finden, um ihm gerecht zu werden. Das erste, was Sie mir gesagt haben, war: Es solle nicht gelogen werden. Das nehme ich mir zu Herzen, indem ich mich bemühe, dem biblischen Gebot zu folgen (2. Buch Mose – Exodus 20, 16):

Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten.

Dieser Satz als eines der Zehn Gebote sollte jede Trauerfeier leiten, die wir als Christen begehen, denn wenn wir von einem Menschen Abschied nehmen, dann hat er ein Recht darauf, dass wir ihm auch im Tode mit Respekt und Achtung begegnen.

Eine Trauerfeier ist außerdem auch dazu da, dass diejenigen, die weiterleben, mit ihren Gedanken und Empfindungen klarkommen, die sehr gemischt sein können. Kein Gefühl ist verboten, aber es gibt Gefühle, die wir lieber nicht hätten, und es stellt sich die Frage, wie wir durchstehen und überwinden, was uns besonders belastet.

Schließlich ist es mir in einer christlichen Trauerfeier wichtig, auf Gott zu sprechen zu kommen. Denn unser Leben kommt von Gott her und kehrt zu ihm auch wieder zurück. Nun ist es kein Geheimnis, dass Herr V. von der Kirche und vom Glauben nicht so viel gehalten hat. Trotzdem ist er Mitglied der evangelischen Kirche geblieben, und jemand von Ihnen hat zu Recht bemerkt, dass keiner von uns weiß, was er wirklich im Stillen gedacht hat. Ich halte ihn für einen Menschen, der möglicherweise viel von Gott erwartet hat, aber durch Schicksalsschläge sehr enttäuscht von Gott gewesen ist.

Ich erlaube mir darum, an den Anfang dieser Feier das Gebet eines Menschen der Bibel zu stellen, der ebenso viel von Gott erwartet, wie er von ihm enttäuscht ist. Es ist der Mann Hiob aus der Bibel, der die vielen Hiobsbotschaften bekommen hat. Sein ganzes Eigentum geraubt oder in Flammen aufgegangen, alle Kinder gestorben, seine eigene Gesundheit kaputt.

Wenn wir Hiob reden hören, mögen wir zweifeln, ob es sich überhaupt um ein Gebet handelt. Gott selbst hört es aber so, dass diese Worte „recht geredet“ sind; so steht es am Ende des Buches Hiob 42, 8. Darum dürfen auch wir diese Verse über Gott als ein angemessenes Gebet nachsprechen, mit dem wir mitten in Zweifel und Misstrauen gegen Gott doch an Gott festhalten und zu ihm sagen (Markus 9, 24):

Ich glaube; hilf meinem Unglauben.

Hiob sprach (Hiob 9):

2 Ja, ich weiß sehr gut, … dass ein Mensch nicht recht behalten kann gegen Gott.

3 Hat er Lust, mit ihm zu streiten, so kann er ihm auf tausend nicht eins antworten.

4 Gott ist weise und mächtig; wem ist‘s je gelungen, der sich gegen ihn gestellt hat?

10 Er tut große Dinge, die nicht zu erforschen, und Wunder, die nicht zu zählen sind.

11 Siehe, er geht an mir vorüber, ohne dass ich‘s gewahr werde, und wandelt vorbei, ohne dass ich‘s merke.

12 Siehe, wenn er wegrafft, wer will ihm wehren? Wer will zu ihm sagen: Was machst du?

13 Gott wehrt seinem Zorn nicht.

14 Wie sollte dann ich ihm antworten und Worte finden vor ihm?

15 Wenn ich auch recht habe, so kann ich ihm doch nicht antworten, sondern ich müsste um mein Recht flehen.

16 Wenn ich ihn auch anrufe, dass er mir antwortet, so glaube ich nicht, dass er meine Stimme hört,

17 vielmehr greift er nach mir im Wettersturm und schlägt mir viele Wunden ohne Grund.

18 Er lässt mich nicht Atem schöpfen, sondern sättigt mich mit Bitternis.

19 Geht es um Macht und Gewalt: Er hat sie. Geht es um Recht: Wer will ihn vorladen?

20 Wäre ich gerecht, so müsste mich doch mein Mund verdammen; wäre ich unschuldig, so würde er mich doch schuldig sprechen.

22 Es ist eins, darum sage ich: Er bringt den Frommen um wie den Gottlosen.

23 Wenn seine Geißel plötzlich tötet, so spottet er über die Verzweiflung der Unschuldigen.

24 Er hat die Erde unter gottlose Hände gegeben, und das Antlitz ihrer Richter verhüllt er. Wenn nicht er, wer anders sollte es tun?

25 Meine Tage sind schneller gewesen als ein Läufer; sie sind dahingeflohen und haben nichts Gutes erlebt.

26 Sie sind dahingefahren wie schnelle Schiffe, wie ein Adler herabstößt auf die Beute.

Liebe Gemeinde!

„Gott bringt den Frommen um wie den Gottlosen“, so klagt dieser Mann der Bibel. Unser Leben ist in der Tat kurz; bewusst wird uns das, wenn wir uns hier auf dem Friedhof versammeln, aber auch sonst manchmal, wenn wir zum Beispiel daran denken, dass Kinder, die wir doch gerade erst vor elf Jahren konfirmiert haben, jetzt selber Kinder bekommen. Unsere Tage schießen dahin wie ein Sprinter oder ein Rennboot; und Gott ist nun einmal der Herr über Leben und Tod. Warum ist das Leben des einen lang und voller Glück, während ein anderer nicht so lange leben darf und außerdem vom Leben nicht gerade verwöhnt wird?

Eine Antwort darauf bekommen wir nicht, jedenfalls keine, die ein Rezept wäre, um eben doch länger zu leben oder automatisch glücklicher zu werden. Wir können Gott nicht in die Karten schauen, können nicht seine Gerechtigkeit an der Länge oder Kürze eines Lebens messen. Wohl aber dürfen wir tun, was Hiob tut: ihn selber angehen, sogar anschreien im Gebet, nicht locker lassen in unserer Sehnsucht, gehört zu werden. Letzten Endes kann nur jeder einzelne mit den Tagen, die ihm geschenkt sind, das tun, was er für richtig hält. Ein erfülltes Leben muss dann nicht unbedingt das längste sein, und was Erfüllung bedeutet, sieht für jeden anders aus.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Alles in allem: Man mag seine Art zu leben, nicht nachvollziehen können, man mag vieles kritisieren. Aber er verdient mit seiner Haltung, ein eigenständiger Mensch sein zu wollen und sein eigenes Leben zu leben, dennoch unseren vollen Respekt.

Wie gehen Sie nun um mit seinem Tod? Es sind ja eine ganze Menge Gefühle zum Ausdruck gekommen, als wir miteinander gesprochen haben, und das ist gut so. Die Trauer um den Sohn, den Bruder, den Verwandten, den Freund, dem man nahe stand und der einem doch oft so fremd war, wenn er sich zurückzog, ist schwer zu ertragen.

Liebe kann man manchmal schwerer in Worte fassen, als wenn man auf jemanden sauer ist. Aber unter einem Zorn, den man auf das Verhalten eines Menschen hat, kann tatsächlich eine sehr tiefe Liebe zu diesem Menschen verborgen sein.

Viele von Ihnen fragen sich, ob man mehr hätte machen können, ob man dem Verstorbenen vielleicht etwas schuldig geblieben ist. Er selbst hat diese Frage verneint. Er hat nicht mehr von Ihnen erwartet.

Trotzdem wird das nicht jedes Grübeln und jedes Schuldgefühl verhindern können. Ist er vielleicht einfach nur resigniert gewesen? Hätte man ihn vielleicht nur auf die richtige Weise ansprechen müssen? Wie dem auch sei, es ist auf jeden Fall, was ihn betrifft, zu spät für solche Überlegungen. Was uns bleibt, ist die schlichte Bitte an Gott um Vergebung, falls wir ihm tatsächlich etwas schuldig geblieben sind.

Und wir können auch unser Gefühl der Machtlosigkeit, dass er sich von niemandem in seiner Einstellung ändern lassen wollte, Gott anvertrauen und ihn bitten: „Gib mir die Kraft und die Gelassenheit, zu ertragen, was ich nicht ändern kann.“

Ich komme zum dritten Teil meiner Ansprache, in dem ich noch einmal am Anfang anknüpfen werde. In einer christlichen Trauerfeier vertrauen wir einen Verstorbenen den Händen Gottes an. Mit welchem Recht und in welchem Sinne dürfen wir das tun, wenn wir doch wissen, dass seine Beziehung zu Gott mindestens zwiespältig war?

Wenn man ihn aufforderte, doch zu beten, meinte er, dass er das ja vorher auch nicht getan hätte. Aber vielleicht wollte er einfach nicht, dass man ihm vorschrieb, auf welche Weise er zu beten hätte. War er enttäuscht von Gott, wie Hiob? Wenn er gebetet hatte, und es kam keine Hilfe – was sollte das bedeuten? War Gott nicht mächtig oder gütig genug, um ihm zu helfen, warum sollte er ihn ernstnehmen?

Ganz ähnlich spricht Hiob in der Bibel ja mit Gott. Der fragt Gott auch: „Warum strafst du mich so ungerecht? Warum tötest du meine Kinder und fügst mir so viel Leid zu?“

Seine Freunde sagen ihm: „Gib doch Ruhe und gestehe endlich, dass du ein sündiger Mensch bist, dass du Strafe verdient hast.“ Aber Hiob gibt nicht klein bei. Natürlich weiß er, dass kein Mensch vollkommen ist. Niemand tut immer nur das Richtige. Aber Hiob packt Gott bei seiner Ehre, spricht ihn auf seinen heiligen Namen an. Der unaussprechliche Name Gottes bedeutet nämlich: „Ich bin da. Ich bin für euch da. Ich helfe, befreie euch, rette euch.“ Aber weil Hiob von einer solchen Hilfe nichts merkt, provoziert er Gott. „Er hört ja sowieso nicht zu. Er schlägt mir Wunden ohne Grund. Er tötet den Frommen wie den Gottlosen.“

In ähnlicher Weise hat auch Herr V. nicht immer mit höchstem Respekt von Gott reden wollen. Er fand nicht, dass Gott „alles so herrlich regieret“, wie es in einem Lied heißt, sondern er sprach auch schon mal von dem „Himmelskomiker“ da oben. Aber es kann auch sein, dass er nicht Gott, sondern seinen menschlichen Gesprächspartner provozieren wollte. Was er wirklich gedacht hat, weiß keiner.

Ich denke, der Gott, der dem Hiob damals Recht gegeben hat in seinen Klagen und Anklagen, der hat jedenfalls auch ausgehalten, was Herr V. über ihn gesagt hat.

Und wir dürfen tatsächlich fragen, warum Gott ihm nicht geholfen hat, warum ihm damals die geliebte Frau genommen wurde, warum er nicht die Einsicht und Kraft gewinnen konnte, sein Leben in andere Bahnen zu lenken. Antworten gibt es darauf freilich nicht.

Außer derjenigen, dass wir diese Fragen am sinnvollsten Gott selber entgegenhalten. Wer Gott im Gebet anschreit, erfährt möglicherweise irgendwann doch eine Antwort. Dem Hiob damals ist es so ergangen. Als er wirklich am Ende war, sich alles von der Seele geredet hatte und dann alles hinwerfen wollte, da hörte er plötzlich Gottes Stimme, die ihm sagte: „Ich gebe dir Recht. Ja, du darfst Hilfe erwarten. Du hast Recht, wenn du nicht auf die hörst, die dich demütigen wollen. Es ist wahr, ich habe dir viel zu tragen gegeben. Vielleicht zu viel. Aber wenn du dich von mir verlassen fühlst, dann darfst du das laut sagen.“

Später gab es dann noch einmal einen, der das ganz laut geschrieen hat (Markus 15, 34):

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?

Das war Jesus, der Sohn Gottes selbst. Man kann sich fragen, wieso Gott es zuließ, dass sein eigener Sohn, also der einzige Mensch, der die Liebe Gottes vollkommen verkörperte, so grausam mit 33 Jahren einen ungerechten Tod am Kreuz sterben musste.

Die Antwort der Christen ist: Da am Kreuz hat in Jesus Gott selbst mit uns all das erlitten, was wir Menschen einander antun. Gott wurde unser Bruder in unserem Leid. Und sogar in einem anderen Sinn wurde er uns ein Bruder, nämlich wenn wir selber Schuld auf uns laden. Er sagt ja auch zu uns (Lukas 23, 34):

Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!

Diesem Sohn Gottes, der auferstanden ist und zu Gott im Himmel aufgefahren ist, treten wir gegenüber, wenn wir sterben. Er ist barmherzig und schaut in unser Herz, er kennt uns besser, als wir uns selber kennen.

Ich weiß nicht, wie ich mir das ausmalen soll, wenn Herr V. ihm begegnet. Vielleicht führt er ihn zu seiner geliebten Frau, die seit langem auf ihn wartet. Vielleicht darf er in der himmlischen Fußballmannschaft die besten Tore schießen.

Wir haben darüber gesprochen, ob der Himmel wirklich ein langweiliger Ort ist, wo man ewig nur Halleluja singt. Ich stelle mir vor, dass der Himmel alles mögliche sein kann, nur eins nicht: langweilig. Denn alle Bilder vom Himmel sollen ausdrücken, dass dort bei Gott unsere geheimsten und schönsten Wünsche erfüllt werden. Wenn sich einer einfach nur nach Ruhe sehnt, mag er vielleicht einfach im Frieden schlafen können; und wenn einer auf Hardrock statt auf Harfen- und Orgelklänge steht, der kann in einer Himmelsband vielleicht mit Freddy Mercury und Janis Joplin so richtig abrocken. Aber so viel wir uns auch ausmalen, wirklich wissen können wir es nicht, wie der Himmel Gottes aussieht.

Im Vertrauen auf Gott dürfen wir aber dessen gewiss sein, dass wir im Tode nicht verloren gehen. Jedenfalls geht das nicht verloren, was wir in unserem Leben an Liebe voneinander empfangen und füreinander verschenkt haben. Dass Sie mit Herrn V. in Liebe verbunden waren, war spürbar in unserem Gespräch. In der Ewigkeit wird Gott uns mit seiner Liebe vollkommen erfüllen – und ich stelle mir das nicht erdrückend oder vereinnahmend vor, sondern befreiend und erlösend, so dass wir zu uns selbst kommen und ein Glück erleben, wie wir es uns vielleicht nicht einmal erträumen. In diese Liebe Gottes hinein dürfen wir Herrn V. getrost loslassen. Und alles, was uns belastet, dürfen wir von uns ablegen und voller Vertrauen auf Gott werfen. Amen.

Vater im Himmel, in der Zuversicht, dass Herr V. in seinem Tode dir gegenübertritt und dich in deiner Gnade und Liebe kennenlernt, wollen wir ihn getrost loslassen und deinen barmherzigen Händen anvertrauen. Nimm ihn gnädig auf und lass ihn die Erfüllung finden, die sein Herz sich ersehnt.

Dankbar sind wir für alles, was uns mit dem Leben des Verstorbenen geschenkt war. Um Vergebung bitten wir für alles, was wir einander schuldig geblieben sind.

Uns, die wir zurückbleiben, schenke die Kraft, um zu bewältigen, was uns belastet. Begleite uns auf dem Weg der Trauer und hilf uns, im Vertrauen auf dich unser eigenes Leben zu meistern. Hilf uns klarzukommen mit den Gedanken an den Tod und schenke uns die Einsicht, wie kostbar das uns geschenkte Leben ist. Mach uns bewusst, dass wir von dir geschaffen sind, um auf dieser Erde Liebe zu empfangen und zu geben. Amen.

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