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„Hilf uns fröhlich sterben!“

Trauerfeier für eine fast hundertjährige Frau, bei der mehrere Loblieder gesungen werden und die Trauer ganz hinter der Dankbarkeit für ein erfülltes Leben zurücktritt.

Hilf uns fröhlich sterben: Das Portrait einer alten Frau mit einem Lächeln auf dem Gesicht
Eine alte Frau voller Lebensfreude (Bild: Nay Lin AungPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Worte aus dem Loblied, das wir zu Beginn hörten, sollen eine fröhliche Beerdigung einleiten (EG 316):

1. Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren, lob ihn, o Seele, vereint mit den himmlischen Chören. Kommet zuhauf, Psalter und Harfe, wacht auf, lasset den Lobgesang hören!

4. Lobe den Herren, der sichtbar dein Leben gesegnet, der aus dem Himmel mit Strömen der Liebe geregnet. Denke daran, was der Allmächtige kann, der dir mit Liebe begegnet.

Liebe Gemeinde, wir sind auf dem Friedhof versammelt, um Abschied zu nehmen von Frau L., die im Alter von [weit über 90] Jahren gestorben ist.

Wir freuen uns über ihr erfülltes Leben und ihr gesegnetes Alter; und wir sind Gott dankbar, dass ihr Tod ein friedliches Einschlafen gewesen ist.

Wenn ein Mensch sehr alt geworden ist, dann sprechen wir manchmal von einem biblischen Alter. Ein solches Alter hat Frau L. erreicht – ich möchte es in ihrem Fall aber nicht nur aufgrund der hohen Zahl der Jahre so nennen.

Um zu erläutern, was ich meine, hole ich ein wenig aus.

Der Tod Abrahams, des Stammvaters des Volkes Israel und dreier Religionen, wird in der Bibel auf folgende Weise geschildert (1. Buch Mose – Genesis 25):

7 Das ist aber Abrahams Alter, das er erreicht hat: hundertundfünfundsiebzig Jahre.

8 Und Abraham verschied und starb in einem guten Alter, als er alt und lebenssatt war, und wurde zu seinen Vätern versammelt.

9 Und es begruben ihn seine Söhne Isaak und Ismael in der Höhle von Machpela auf dem Acker Efrons, des Sohnes Zohars, des Hetiters, die da liegt östlich von Mamre

10 auf dem Felde, das Abraham von den Hetitern gekauft hatte. Da ist Abraham begraben mit Sara, seiner Frau.

Dieser Bibelstelle entnehme ich, dass zu einem biblischen Alter mehr gehört als die Zahl der Jahre. Diese Zahl ist in der Bibel häufig sogar übertrieben worden, handelt es sich bei den Patriarchen ja um Berichte aus sagenhafter Vorzeit. Eindrucksvoller finde ich die Haltung, in der man dem Tod im hohen Alter begegnet:

„Er starb in einem guten Alter, als er alt und lebenssatt war“ – das ist die uralte biblische Einstellung zum Leben und zum Tod. Es gibt im Leben ein Genug an Erfüllung. Es gibt ein Sattsein an Lebenstagen, an Lebensjahren, und zwar ganz und gar nicht im Sinne von „ich habe es satt“. Es gibt ein „gutes Alter“, in dem das Sterben kein Anlass mehr zur Trauer, sondern nur noch zum dankbaren Rückblick ist. Es gibt erfülltes Leben, das rund geworden ist.

Damit ein Leben auch für die Zurückbleibenden rund wird, feiern wir Abschied, stellen wir uns Fragen, rufen wir uns die verstorbene Person in Erinnerung. Wir erweisen ihr die letzte Ehre, wir fragen uns: Was wird uns fehlen mit ihrem Tod? Und wir stellen die Frage: Wohin geht die Reise nach dem Tod? Ist da noch etwas?

In Abrahams Fall erfahren wir, dass seine beiden Söhne den Vater bestatten, der Sohn der Ehefrau und der Sohn der Magd, deren Wege seit langer Zeit auseinandergegangen waren. Beim Tode des Vaters finden sie zueinander. Sie machen sich wohl auch klar, welche prägenden Einflüsse sie ihm verdanken – so wie Sie heute an Begegnungen mit Frau L. denken, die für Ihr Leben wertvoll und richtungweisend waren.

Ausführlich wird von Abrahams Grab berichtet, sogar von wem es gekauft wird, und wir erfahren, dass Abraham in der gleichen Grabstätte wie seine Ehefrau Sara beigesetzt wird. Ähnlich werden wir heute Frau L. in der Familiengrabstätte neben ihrem Ehemann bestatten.

Offenbar ist es ein uraltes Anliegen, dass unserem Körper nach dem Tod eine letzte Ehre erwiesen wird – die Ruhe, die wir den sterblichen Überresten gönnen, ersehnen wir ja erst recht für unser innerstes Selbst, für unsere bewusste Persönlichkeit, können oder mögen wir uns doch kaum vorstellen, dass es uns im Tode einfach nicht mehr gibt. Wir ersehnen eine Art Heimkehr – zu uns selbst, zum früheren Ehepartner, zum Urgrund der Welt, zu dem Gott, auf den wir zu Lebzeiten vertraut haben.

Diese Sehnsucht drücken die alttestamentlichen Erzähler in einem einfachen Satz aus: „Er wurde zu seinen Vätern versammelt“. Von einem verstorbenen Menschen Abschied zu nehmen, bedeutet, ihn loszulassen im Vertrauen darauf, dass er nicht verloren geht. Er geht über in eine andere Wirklichkeit, die man nicht näher beschreiben muss.

Im Neuen Testament wird die gleiche Hoffnung in anderen Bildern ausgesprochen: wir werden bei Gott, dem Vater, eine Wohnung haben, wir bleiben in seiner Liebe geborgen.

Ganz in diesem Sinne konnte der evangelische Liederdichter Paul Gerhardt später mitten im 30jährigen Krieg in einem Pfingstlied ein „fröhliches Sterben“ besingen (EG 133):

13 Richt unser ganzes Leben allzeit nach deinem Sinn; und wenn wir‘s sollen geben ins Todes Rachen hin, wenn‘s mit uns hier wird aus, so hilf uns fröhlich sterben und nach dem Tod ererben des ewgen Lebens Haus.

Also hat Frau L. nicht eine ungewisse, sondern eine gewisse Zukunft vor sich: Die Ruhestätte im Grab ihres Mannes auf dem Friedhof; die ewige Ruhe in Gott, auf den sie zu Lebzeiten vertraut hat.

Eins bleibt uns heute noch zu tun: Rückblickend uns zu vergegenwärtigen, von wem wir heute Abschied nehmen, was uns dieser Mensch bedeutet hat, wofür wir dankbar sind und was uns bleibt, wenn wir uns an Frau L. erinnern.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Nach einem langen Leben ohne Krankheit und Operationen war es ihr geschenkt, den Verlust von Augenlicht und Gehör in ihren letzten vier Lebensjahren gut und ohne Klage ertragen zu können. Gottes letztes irdisches Geschenk an Frau L. war ihr stiller friedlicher Tod ohne Schmerzen.

Die große Familie, die heute aus Nord und Süd hier zusammengekommen ist, bis hin zu den Urenkelkindern – Sie nehmen Abschied von ihr, doch nicht mit Schmerz, sondern mit großer Dankbarkeit im Herzen. Darum hören wir nach dieser Ansprache heute kein Trauerlied, sondern die Melodie des von Ihnen gewünschten Liedes „Geh aus, mein Herz und suche Freud!“

EG 503:

1. Geh aus, mein Herz, und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben; schau an der schönen Gärten Zier und siehe, wie sie mir und dir sich ausgeschmücket haben, sich ausgeschmücket haben.

10. Welch hohe Lust, welch heller Schein wird wohl in Christi Garten sein! Wie muss es da wohl klingen, da so viel tausend Seraphim mit unverdrossnem Mund und Stimm ihr Halleluja singen, ihr Halleluja singen.

11. O wär ich da! O stünd ich schon, ach süßer Gott, vor deinem Thron und trüge meine Palmen: so wollt ich nach der Engel Weis erhöhen deines Namens Preis mit tausend schönen Psalmen, mit tausend schönen Psalmen.

Barmherziger Gott, voller Dankbarkeit nehmen wir Abschied von Frau L. Wir freuen uns über Liebe, die wir gaben oder empfingen, über gemeinsam empfundene Lebensfreude und bewältigte Herausforderungen.

Wir danken Dir auch, dass niemand von uns verloren geht, dass du uns allen die Erfüllung schenken willst, die wir mit den Worten „Glaube, Liebe und Hoffnung“ umschreiben. Ganz gleich, ob unser Leben von langer oder kurzer Dauer ist, wir leben nur von dem, was du uns schenkst. Du bist es, der uns satt macht – wenn wir Liebe erfahren, wenn wir uns immer getragen wissen, wenn wir niemals die Hoffnung aufgeben. Amen.

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