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Muttertrost von Gott

All die mütterlichen Bilder, mit denen der Prophet die Rückkehr der Verbannten beschrieben hat, das Sattwerden einer großen Volksmenge und das Wachsen des Friedens zwischen fremden Völkern, sie bauen darauf auf, dass Gott selber mütterlich ist. Gott lässt uns schwanger werden mit Gedanken und Taten des Friedens, er ist Schöpfer, Befreier und Versöhner aller Menschen.

Eine Mutter umfängt ihren Sohn mit ihren Armen
Gott ist mütterlich (Bild: Hans RohmannPixabay)
direkt-predigtGottesdienst an Neujahr, Freitag, 1. Januar 2016, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Tag, liebe Gemeinde!

Am 1. Januar 2016 begrüße ich Sie im Namen des Kirchenvorstandes herzlich mit der Jahreslosung zum Neuen Jahr aus dem Buch Jesaja 66, 13:

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Passend dazu singen wir zu Beginn kein spezielles Lied zum Jahresanfang, sondern das Lied 326, in dem Gottes Mutterhände vorkommen. Wir singen die Strophen 1, 5, 6 und 8:

1. Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, dem Vater aller Güte, dem Gott, der alle Wunder tut, dem Gott, der mein Gemüte mit seinem reichen Trost erfüllt, dem Gott, der allen Jammer stillt. Gebt unserm Gott die Ehre!

5. Der Herr ist noch und nimmer nicht von seinem Volk geschieden; er bleibet ihre Zuversicht, ihr Segen, Heil und Frieden. Mit Mutterhänden leitet er die Seinen stetig hin und her. Gebt unserm Gott die Ehre!

6. Wenn Trost und Hilf ermangeln muss, die alle Welt erzeiget, so kommt, so hilft der Überfluss, der Schöpfer selbst, und neiget die Vateraugen denen zu, die sonsten nirgends finden Ruh. Gebt unserm Gott die Ehre!

8. Ihr, die ihr Christi Namen nennt, gebt unserm Gott die Ehre; ihr, die ihr Gottes Macht bekennt, gebt unserm Gott die Ehre! Die falschen Götzen macht zu Spott; der Herr ist Gott, der Herr ist Gott! Gebt unserm Gott die Ehre!

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Göttlicher Trost steht am Anfang dieses neuen Jahres. Wie die Gottheit uns mit ihren Mutterhänden in die Arme schließt. Wie die Vateraugen Gottes uns mit liebevollem Blick wahrnehmen und uns helfen, dass wir uns annehmen können, wie wir sind, und uns darum auch verändern können.

Kommt, lasst uns diesen Gott anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Ein Gott, der mütterlich und väterlich zugleich ist, muss auch einer sein, der Grenzen setzen kann, der Unheil und Unrecht Einhalt gebietet. Gott wäre ein Götze, ein falscher Gott, wenn wir es mit ihm nur bequem hätten, wenn er uns nicht auch ins Gewissen reden würde.

Gott, lass uns deine liebevolle Zurechtweisung annehmen, lass uns erkennen, dass du als gnädiger Richter uns aus der Sünde aufrichten willst. Lass uns erkennen, dass Sünde auch in Verzagtheit, in zu großer Sorge, in Ängstlichkeit bestehen kann. Wir bitten dich um den Mut, dein Erbarmen an uns heranzulassen und anzunehmen, und rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

So spricht Gott (Josua 1, 9):

9 Siehe, ich habe dir geboten, dass du getrost und unverzagt seist. Lass dir nicht grauen und entsetze dich nicht; denn der HERR, dein Gott, ist mit dir in allem, was du tun wirst.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.

Der Herr sei mit euch! „Und mit deinem Geist!“

Wenn wir mit Angst durch die Zeit gehen, dann verlass uns nicht, Gott. Wenn wir ohne Rücksicht auf Verluste durch die Zeit gehen, Gott, dann bring uns zur Besinnung. Ach Gott, wenn wir orientierungslos durch die Zeit irren, dann zeig uns deinen Weg für uns. Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Schriftlesung aus dem Brief des Jakobus 4, 13-15:

13 Und nun ihr, die ihr sagt: Heute oder morgen wollen wir in die oder die Stadt gehen und wollen ein Jahr dort zubringen und Handel treiben und Gewinn machen -,

14 und wisst nicht, was morgen sein wird. Was ist euer Leben? Ein Rauch seid ihr, der eine kleine Zeit bleibt und dann verschwindet.

15 Dagegen solltet ihr sagen: Wenn der Herr will, werden wir leben und dies oder das tun.

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Wir singen aus dem Lied 58 die Strophen 1 bis 7, 10 und 13:

1. Nun lasst uns gehn und treten mit Singen und mit Beten zum Herrn, der unserm Leben bis hierher Kraft gegeben.

2. Wir gehn dahin und wandern von einem Jahr zum andern, wir leben und gedeihen vom alten bis zum neuen

3. durch so viel Angst und Plagen, durch Zittern und durch Zagen, durch Krieg und große Schrecken, die alle Welt bedecken.

4. Denn wie von treuen Müttern in schweren Ungewittern die Kindlein hier auf Erden mit Fleiß bewahret werden,

5. also auch und nicht minder lässt Gott uns, seine Kinder, wenn Not und Trübsal blitzen, in seinem Schoße sitzen.

6. Ach Hüter unsres Lebens, fürwahr, es ist vergebens mit unserm Tun und Machen, wo nicht dein Augen wachen.

7. Gelobt sei deine Treue, die alle Morgen neue; Lob sei den starken Händen, die alles Herzleid wenden.

10. Schließ zu die Jammerpforten und lass an allen Orten auf so viel Blutvergießen die Freudenströme fließen.

13. Hilf gnädig allen Kranken, gib fröhliche Gedanken den hochbetrübten Seelen, die sich mit Schwermut quälen.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde,

die Jahreslosung für das Jahr 2016 spricht von dem mütterlichen Gott (Jesaja 66, 13):

„Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.“

Oft schon habe ich darüber nachgedacht, wie schön es ist, dass Gott, den wir meistens Vater nennen, in der Bibel nicht auf männliche Eigenschaften festgelegt bleibt. Und in der Art, wie Frauen und Männer mütterlich trösten können, nämlich indem sie ihrem weinenden Kind die Tränen nicht verbieten, sondern es in den Arm nehmen und festhalten in seinem Schmerz, und erst dann die Tränen abwischen, darin entdecke ich auch die Art, wie Gott uns Menschen Mut macht, zu unseren Gefühlen zu stehen und sie auszuhalten, damit sie sich verwandeln können.

Wenn ein solcher Spruch schon einmal als Jahreslosung über einem ganzen Jahr steht, schaue ich nach, in welchem Zusammenhang er in der Bibel steht. Ich finde ihn im letzten Kapitel des Buches Jesaja.

Dieses Kapitel 66 hat es allerdings in sich. Nämlich die Versuchung, sich nur ein paar Verse rauszupicken, die einem passen, weil sie mit der eigenen political correctness, dem eigenen religiösen Weltbild übereinstimmen. Ich habe mich aber doch entschlossen, mir und Ihnen das ganze Kapitel zuzumuten – und damit wieder einmal eine lange Predigt. Ich fand es jedenfalls spannend. Herr Ganter liest die einzelnen Verse, ich gebe meine Auslegung dazu.

1 So spricht der HERR: Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße! Was ist denn das für ein Haus, das ihr mir bauen könntet, oder welches ist die Stätte, da ich ruhen sollte?

Sehr kritisch ergreift Gott am Ende des Jesajabuches das Wort. Tempel, Kirchen, Gotteshäuser scheint er abzulehnen, jedenfalls als Wohnung für ihn selbst sind sie ganz und gar nicht geeignet. Bildhaft gesprochen, würde die Erde gerade mal als Fußschemel für ihn ausreichen und das Weltall als Königsthron.

2 Meine Hand hat alles gemacht, was da ist, spricht der HERR.

Wir können uns also niemals einbilden, etwas Besonderes für Gott bauen oder machen zu können – er ist ja selber der Urheber von allem, was es gibt, und das gilt auch für die Gaben und Kräfte, die wir haben.

Ich sehe aber auf den Elenden und auf den, der zerbrochenen Geistes ist und der erzittert vor meinem Wort.

Ganz unvermittelt hören wir von dem so groß und fast arrogant redenden Gott ganz leise Töne: Er ist denen nahe, die im Elend sitzen, die kaputt und innerlich zerrissen sind – so sehr, dass sie vor dem, was Gott sagen könnte, sogar Angst haben.

3 Wer einen Stier schlachtet, gleicht dem, der einen Mann erschlägt; wer ein Schaf opfert, gleicht dem, der einem Hund das Genick bricht; wer ein Speisopfer bringt, gleicht dem, der Schweineblut spendet; wer Weihrauch anzündet, gleicht dem, der Götzen verehrt.

Die Kritik am Opferkult im Tempel geht weiter. Vieles, was einem frommen Juden heilig ist, wird mit Greueltaten verglichen, das Stieropfer mit einem Totschlag am Menschen, ein Opferschaf mit einem Hund, das Speiseopfer mit dem Blut des unreinen Schweines. Und Weihrauch, auch wenn er für den Einen Gott entzündet wird, entspricht der Anbetung falscher Götter. Uns evangelischen Christen kommt eine solche Kritik entgegen, wir betreiben ja weder Opferkult noch verwenden wir Weihrauch. Den Propheten ging es meist nicht um eine grundsätzliche Ablehnung von Opfern für Gott, sondern darum, dass man bei allem Gottesdienst nicht den eigentlichen Willen Gottes vergessen sollte, nämlich für Recht und Gerechtigkeit einzutreten.

Wahrlich, wie sie Lust haben an ihren eigenen Wegen und ihre Seele Gefallen hat an ihren Greueln,

4 so will auch ich Lust daran haben, dass ich ihnen wehe tue, und ich will über sie kommen lassen, wovor ihnen graut.

Damit habe ich aber nun Probleme als ein Christ, der an den Gott der Liebe glaubt. Gott hat Lust, Leuten weh zu tun? Hier hat Martin Luther zwar sehr eingängig, aber doch nicht ganz richtig übersetzt; wörtlich steht da gar nicht „Lust haben“, sondern „wählen“, und schon gar nicht geht es um eine Lust am Schmerz-Zufügen, sondern um die Wahl einer Strafe. Wo Menschen statt der Wege Gottes eigene Wege wählen, auf denen sie tun, was Gott ein Greuel ist, da mag sich Gott dafür entscheiden, dass sie auch die Folgen dieser falschen Wege spüren. Das ist das Konzept von „Strafe“ in der Bibel: „Wer nicht hören will, muss fühlen“, wird die Konsequenzen böser Taten erleiden. Um welche greuelhaften Wege es geht, ahnen wir, wenn wir uns daran erinnern, dass Gott den Elenden und seelisch Verletzten nahe ist: wer andere Menschen ins Elend stößt, beleidigt, ausbeutet, ihnen Gewalt antut, ihre Seele und ihre Würde verletzt, ihnen Hilfe schuldig bleibt, der geht auf Wegen, die in den Augen eines Gottes der Liebe nicht ohne böse Konsequenzen bleiben.

Denn ich rief, und niemand antwortete, ich redete, und sie hörten nicht und taten, was mir nicht gefiel, und hatten ihre Lust an dem, woran ich kein Wohlgefallen hatte.

Noch einmal gibt Gott in aller Deutlichkeit Gründe dafür an, wofür Menschen Strafe zu erwarten haben: Nicht auf Gottes Ruf zu hören, Gott nicht zu antworten, und stattdessen zu tun, was Gott nicht gefallen kann, weil es seinen guten Geboten nicht entspricht.

5 Hört des HERRN Wort, die ihr erzittert vor seinem Wort: Es sprechen eure Brüder, die euch hassen und verstoßen um meines Namens willen: »Lasst doch den HERRN sich verherrlichen, dass wir eure Freude mitansehen«, – doch sie sollen zuschanden werden.

Am Anfang scheint der Prophet noch zu denen gesprochen zu haben, die dann doch nicht auf ihn hören. Jetzt spricht der Prophet zu den Opfern dieser Leute, zu denen, die im Elend sind und die mit Furcht und Zittern auf Gottes Wort hören, zu denen, die voller Hass gemobbt, gedemütigt und aus der Gemeinschaft ausgestoßen wurden. Ihnen macht er Mut: „Wer euch verspottet, der darf nicht lange seine Schadenfreude genießen.“

6 Horch, Lärm aus der Stadt! Horch, vom Tempel her! Horch, der HERR vergilt seinen Feinden!

Auf einmal wird es laut im Zentrum der Stadt, da wo der Tempel ist. Der Prophet deutet diesen Lärm als eine Tat Gottes. Jetzt zahlt Gott es seinen Feinden heim! Aber wie tut er das? In völlig unerwarteter Weise!

7 Ehe sie Wehen bekommt, hat sie geboren; ehe sie in Kindsnöte kommt, ist sie eines Knaben genesen.

„Hääh?“, möchte ich fragen. Wer kriegt keine Wehen, aber doch ein Kind?

8 Wer hat solches je gehört? Wer hat solches je gesehen? Ward ein Land an einem Tage geboren? Ist ein Volk auf einmal zur Welt gekommen? Kaum in Wehen, hat Zion schon ihre Kinder geboren.

Von der Stadt Jerusalem, die nach dem Tempelberg auch Zion genannt wird, ist die Rede, Zion kriegt Kinder ohne eine lange Schwangerschaft, die Bevölkerung Jerusalems wächst schlagartig, möglicherweise weil die Verbannten aus Babylon in Scharen wieder in die Stadt zurückkommen. Genau ist es nicht zu sagen, aber wir müssen uns ein Ereignis vorstellen, das die Hoffnungen und Sehnsüchte eines Volkes übertrifft, vielleicht wie der Fall der Mauer 1989 in Deutschland. Vielleicht ist die Geburt vieler Kinder ohne Wehen aber auch mit der Ankunft so vieler Menschen in Deutschland zu vergleichen, die im vergangenen Jahr hier Zuflucht gesucht haben.

9 Sollte ich das Kind den Mutterschoß durchbrechen und nicht auch geboren werden lassen? spricht der HERR. Sollte ich, der gebären lässt, den Schoß verschließen? spricht dein Gott.

In Bildern von der Geburt spricht Gott durch den Propheten davon, wie Gott an seinem Volk und überhaupt an Völkern wunderbar handeln kann. Mir fällt spontan das Wort unserer Kanzlerin ein: „Wir schaffen das!“ Wo Menschen ganz unerwartet ins Land kommen, da müssen sie auch wirklich ankommen können.

10 Freuet euch mit Jerusalem und seid fröhlich über die Stadt, alle, die ihr sie liebhabt! Freuet euch mit ihr, alle, die ihr über sie traurig gewesen seid.

Warum muss der Prophet zur Freude aufrufen? Wenn die Menschen wegen der verbannten Juden traurig gewesen waren, müssten sie sich nicht ganz von selbst über die Ankunft derer freuen, die zurückkehren? Gab es damals vielleicht auch Sorgen, wie man so viele Rückkehrer in die inzwischen veränderte Gesellschaft wieder integrieren könnte? Das ist nur eine Vermutung. Der Prophet damals begründet seinen Aufruf zur Freude mit einem weiteren überschwänglichen Bild der Mütterlichkeit:

11 Denn nun dürft ihr saugen und euch satt trinken an den Brüsten ihres Trostes; denn nun dürft ihr reichlich trinken und euch erfreuen an dem Reichtum ihrer Mutterbrust.

Wenn sich jemand Sorgen macht, ob alle diese Menschen ernährt werden können, so wird mit diesem Bild klar und deutlich gemacht, dass Jerusalem reich genug ist, um alle satt zu machen.

12 Denn so spricht der HERR: Siehe, ich breite aus bei ihr den Frieden wie einen Strom und den Reichtum der Völker wie einen überströmenden Bach.

Zur Verdeutlichung wechselt der Prophet wieder in die direkte Gottesrede und verkündet von Gott her Frieden und einen Reichtum der Völker, der wie ein Bach überströmt. Das klingt fast zu schön, um wahr zu sein: Völker, die Frieden schaffen und ihren Reichtum teilen, statt ihn gegeneinander zu verteidigen oder gar andere Völker auszubeuten.

Um die segensreichen Konsequenzen des Friedens auszumalen, hören wir im nächsten Vers nach dem Bild des Gebärens und des Stillens an der Mutterbrust ein drittes mütterliches Bild:

Ihre Kinder sollen auf dem Arme getragen werden, und auf den Knien wird man sie liebkosen.

Was kann man sich Friedlicheres vorstellen als Babies, die man auf dem Arm trägt und mit denen man schmust! Und dies ist genau die Stelle, an der nun unsere Jahreslosung ihren Platz in der Bibel hat, wo Gott selber spricht:

13 Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet; ja, ihr sollt an Jerusalem getröstet werden.

All die mütterlichen Bilder, mit denen der Prophet vorher die Rückkehr der Verbannten beschrieben hat, das Sattwerden einer großen Volksmenge und das Wachsen des Friedens zwischen fremden Völkern, sie bauen darauf auf, dass Gott selber mütterlich ist. Gott ist die treibende Kraft hinter jeder Geburt, Gott ist die Urquelle jeder Nahrung, Gott lässt uns schwanger werden mit Gedanken und Taten des Friedens, er ist Schöpfer, Befreier und Versöhner aller Menschen.

Ein bisschen stört in diesem Vers das Wort „Jerusalem“. Was geht Jerusalem uns an? Oder geht dieser ganze schöne Vers im Grunde uns nichts an, weil er nur an die Bewohner Jerusalems gerichtet ist? „In Jerusalem findet ihr Trost“, so steht es da wörtlich. Ich höre das so: Wenn in Jerusalem Friede wird, in dieser Stadt, die immer umkämpft war, die bis heute ein Zankapfel zwischen Religionen ist, dann kann wirklich Friede einkehren in dieser Welt, dann ist Gottes mütterlicher Trost ans Ziel gelangt. Und umgekehrt: Frieden gibt es in unserer Welt nicht wirklich, so lange nicht auch in und um Jerusalem die Konflikte überwunden werden.

14 Ihr werdet‘s sehen, und euer Herz wird sich freuen, und euer Gebein soll grünen wie Gras. Dann wird man erkennen die Hand des HERRN an seinen Knechten und den Zorn an seinen Feinden.

Jetzt ist von Freude die Rede, zu der man nicht mehr aufrufen muss, die einfach im Herzen da ist, weil man den Frieden zwischen den Völkern sehen kann und weil die alten Knochen wieder jung werden, grün und saftig wie das Gras. All das, wovon die Rede war – Heimkehr, Sattwerden, Frieden – sind Anzeichen der Hand Gottes, die Menschen aus dem Elend aufrichtet.

Zugleich aber erwähnt der Prophet auch die Kehrseite der Medaille: die Feinde der Elenden, die Egoisten, Ausbeuter und Kriegstreiber, sie mögen diesen Segen für elende Menschen nicht, sie erfahren in ihm Gottes Zorn. Der Prophet malt diesen Zorn in apokalyptischen Bildern aus:

15 Denn siehe, der HERR wird kommen mit Feuer und seine Wagen wie ein Wetter, dass er vergelte im Grimm seines Zorns und mit Schelten in Feuerflammen.

16 Denn der HERR wird durch Feuer die ganze Erde richten und durch sein Schwert alles Fleisch, und der vom HERRN Getöteten werden viele sein.

Ich gebe zu, solche Bilder gefallen mir nicht. Und doch, wenn ich in der Zeitung davon lese, wie heute Stellungen der IS von der irakischen Armee zurückerobert werden, oder wenn ich daran denke, wie dem Völkermord an Juden und anderen Menschen im Zweiten Weltkrieg durch die Gewalt der Alliierten ein Ende gesetzt wurde, dann kann ich ein wenig nachempfinden, wie man sich den Tod von Feinden der Menschlichkeit von Gott ersehnen kann.

Ein zunächst rätselhaftes Wort, das Gott selber spricht, schließt sich an:

17 Die sich heiligen und reinigen für das Opfer in den Gärten dem einen nach, der in der Mitte ist, und Schweinefleisch essen, greuliches Getier und Mäuse, die sollen miteinander weggerafft werden, spricht der HERR.

Was hier geschieht, erinnert mich an Menschen in der heutigen Zeit, die mit satanistischen Kulten die Vertreter der herrschenden Religion provozieren und ihre Werte in Frage stellen. Damals versammelte ein Guru offenbar eine Schar von Anhängern um sich, um Rituale durchzuführen, die in den Augen von Juden entsetzlich waren, nämlich alle Arten unreiner Tiere bis hin zu Mäusen zu verzehren. Ich verbinde den Gedanken an solche rituelle Gemeinschaften auch damit, dass sie die Fassade für weitaus schlimmere Praktiken bilden können, nämlich Kinder oder andere hilflose Opfer zu missbrauchen oder qualvollen Zeremonien auszusetzen.

18 Ich kenne ihre Werke und ihre Gedanken und komme, um alle Völker und Zungen zu versammeln, dass sie kommen und meine Herrlichkeit sehen.

Noch einmal weitet sich der Blick in dieser prophetischen Vision. Der Gott, der die Taten und Gedanken auch böser Menschen kennt, hat am Ende ein großes Ziel: die Menschen aller Welt mit all ihren verschiedenen Sprachen sollen kommen und sehen, wie wunderbar dieser Eine und einzige Gott ist.

19 Und ich will ein Zeichen unter ihnen aufrichten und einige von ihnen, die errettet sind, zu den Völkern senden, nach Tarsis, nach Put und Lud, nach Meschech und Rosch, nach Tubal und Jawan und zu den fernen Inseln, wo man nichts von mir gehört hat und die meine Herrlichkeit nicht gesehen haben; und sie sollen meine Herrlichkeit unter den Völkern verkündigen.

Hier wird beschrieben, wie Gott die Völker einbeziehen wird in das Vertrauen auf den großartigen Gott Israels. Als Christ mag ich in dem Zeichen, das unter ihnen aufgerichtet wird, gern das Kreuz Jesu Christi wiedererkennen; aus Tarsis kommt später der Völkermissionar Paulus; das jedenfalls ist in der Ausbreitung des Glaubens an Jesus in aller Welt wahr geworden, dass Menschen fernster Völker von der Herrlichkeit des Einen Gottes erfahren haben.

20 Und sie werden alle eure Brüder aus allen Völkern herbringen dem HERRN zum Weihgeschenk auf Rossen und Wagen, in Sänften, auf Maultieren und Dromedaren nach Jerusalem zu meinem heiligen Berge, spricht der HERR, gleichwie Israel die Opfergaben in reinem Gefäße zum Hause des HERRN bringt.

21 Und ich will auch aus ihnen Priester und Leviten nehmen, spricht der HERR.

Wie sich das zuvor gehörte Wort für uns Christen gut anfühlt, so erfüllt diese Zusage die Sehnsucht des jüdischen Volkes: alle in der Welt verstreuten Israeliten sollen um den Tempelberg Zion herum wieder vereinigt werden, um dort Gott wie lebendige Opfergaben zu dienen. In dem Satz, dass Gott auch aus ihnen Priester und Tempeldiener beruft, klingt an, dass unter denen, die sich in Israel versammeln, dann auch Menschen sein werden, die ursprünglich keine Juden waren.

22 Denn wie der neue Himmel und die neue Erde, die ich mache, vor mir Bestand haben, spricht der HERR, so soll auch euer Geschlecht und Name Bestand haben.

Fast wie nebenbei erwähnt Gott, dass all das, was der Prophet vorausschaut, mit der Erschaffung eines neuen Himmels und einer neuen Erde zusammenhängt. Damit würden wir Bilder vom Weltuntergang verbinden. Aber Gott verbindet mit der Vorstellung einer ganz neuen Weltordnung die feste Zusage an Israel, dass dieses Volk niemals untergehen wird – und auch nicht sein Name Israel, der auf Deutsch „Gottesstreiter“ bedeutet. Das heißt, für alle Zukunft bleibt die bis heute umstrittene und umkämpfte Existenz Israels eine Mahnung an Christen und Muslime, dass sie sich in der Größe ihrer jeweils eigenen Religion nicht überschätzen und sich bewusst bleiben, dass Menschen jeder Religion und Konfession um den Glauben an den Einen Gott immer wieder neu ringen müssen.

23 Und alles Fleisch wird einen Neumond nach dem andern und einen Sabbat nach dem andern kommen, um vor mir anzubeten, spricht der HERR.

24 Und sie werden hinausgehen und schauen die Leichname derer, die von mir abtrünnig waren; denn ihr Wurm wird nicht sterben, und ihr Feuer wird nicht verlöschen, und sie werden allem Fleisch ein Greuel sein.

Mit zwei Versen, die mir sehr fremd vorkommen, endet das Buch Jesaja. Ganz am Schluss steht noch einmal eine gruselige Vision von Menschen, die in einer absoluten Feindschaft zu Gott gefangen bleiben und in ihrem Tode ewige Qual leiden. Offenbar meint der Prophet Jesaja, dass ein abschreckendes Beispiel die Menschen zum Glauben führen kann.

Ich verstehe gut, dass die Juden bei der Lesung des Buches Jesaja den vorletzten Vers zuletzt noch einmal wiederholt haben. Da heißt es – in einem gewissem Widerspruch zu letzten Vers – dass alles Fleisch, alle Menschen Gott anbeten werden. Neumonde und Sabbate im wörtlichen Sinne feiern wir Christen zwar nicht; aber wir dürfen Sonntag für Sonntag und an jedem unserer christlichen Feiertage mit Gott mitfeiern, wie er am siebten Schöpfungstag ausruht von aller Mühe und Plage des Erschaffens einer wirklich guten Erde mit menschlichem Gesicht nach dem Ebenbild der Liebe Gottes. Die Bilder des letzten Kapitels im Buch Jesaja legen nahe, dass dieser siebte Schöpfungstag immer noch im Gange ist, dass wir viel göttlich-mütterlichen Trost und Beistand brauchen, um im Neuen Jahr auf Gottes Wort des Friedens zu hören und es mit unseren kleinen Kräften in kleine Schritte und Taten umzusetzen. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen aus dem Lied 243 die Strophen 1 bis 3 und 6:

1. Lob Gott getrost mit Singen, frohlock, du christlich Schar! Dir soll es nicht misslingen, Gott hilft dir immerdar. Ob du gleich hier musst tragen viel Widerwärtigkeit, sollst du doch nicht verzagen; er hilft aus allem Leid.

2. Dich hat er sich erkoren, durch sein Wort auferbaut, bei seinem Eid geschworen, dieweil du ihm vertraut, dass er deiner will pflegen in aller Angst und Not, dein Feinde niederlegen, die schmähen dich mit Spott.

3. Kann und mag auch verlassen ein Mutter je ihr Kind und also gar verstoßen, dass es kein Gnad mehr find’t? Und ob sich’s möcht begeben, dass sie so gar abfiel: Gott schwört bei seinem Leben, er dich nicht lassen will.

6. Gott solln wir fröhlich loben, der sich aus großer Gnad durch seine milden Gaben uns kundgegeben hat. Er wird uns auch erhalten in Lieb und Einigkeit und unser freundlich walten hier und in Ewigkeit.

Fürbitten – Gebetsstille – Vater unser

Singen wir zum Abschluss das Lied 65, mit dem wir uns noch einmal bewusst machen, wie Gott durch alle seine guten Mächte für uns da ist und uns Trost und Mut gibt wie eine gute Mutter:

Von guten Mächten treu und still umgeben
Abkündigungen

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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