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Gottes Schwäche ist stärker als die Stärke der starken Männer

Wir dürfen für die Folgen unserer Schuld einstehen und nach der Wahrheit fragen, auch wenn viele sich mit der Suche nach Sündenböcken zufrieden geben. Wir dürfen in schwerem Leid zu Gott schreien, seine versprochene Hilfe einklagen. Wir dürfen uns lösen von Bindungen, die uns unglücklich machen.

Jesus hängt am Kreuz vor einer Wüste mit bewölktem Himmel, an dem ein Silberstreif zu sehen ist
Jesus hängt am Stamm des Kreuzes (Bild: kalhhPixabay)
direkt-predigtGottesdienst mit Abendmahl am Karfreitag, 17. April 1981, um 8.30 in Dorn-Assenheim, um 9.30 in Reichelsheim, um 10.30 in Heuchelheim
Orgelvorspiel

Ich begrüße Sie herzlich in der Kirche am Karfreitag! Dieser Freitag ist nicht wie jeder andere. Der Tag des Kreuzestodes Jesu ist der Tag, mit dem unser christlicher Glaube steht oder fällt. Dieser Tag wird in verschiedenen Ländern unterschiedlich gefeiert, hat auch verschiedene Namen. Bei uns heißt er auch „Stiller Freitag“, in England nennt man ihn auch „Good Friday“, den „Guten Freitag“. Dieser Name kann uns auf etwas aufmerksam machen: Karfreitag wird mit gutem Grund nicht „Schwarzer Freitag“ oder „Böser Freitag“ genannt; heute ist nicht ein Tag reiner Trauer, ein Tag des Scheiterns eines guten Menschen. Karfreitag ist recht betrachtet – wirklich ein „guter Freitag“. Darüber werden wir im Karfreitagsgottesdienst nachdenken.

Zwei neue Lieder wollen wir in diesem Gottesdienst vorsingen und vorspielen, mit mir Ralf Schäfer an der Orgel und Britta Schreiber mit der Flöte, und wir möchten Sie bitten, jeweils den Versuch zu wagen, den Kehrvers mitzusingen. Das erste Lied ist eine neue Vertonung eines ganz alten Liedes, des 23. Psalms. Ein Psalm, den Jesus sicher oft gebetet hat; das Bild vom Hirten hat er auch auf sich selbst bezogen. Wir singen dieses Lied am Karfreitag und denken darüber nach, was es bedeutet, dass Gott, der Vater, auch der Hirte Jesu, seines Sohnes, war. Wie konnte Jesus singen: „Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln!“ und dann diesen Tod erleiden?

Lied: Psalm 23
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Also hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben. (Johannes 3, 16)

Im finstern Tal bist du gewandert, Herr Jesus Christus, die rechte Straße, auf der dich der Vater führte, führte dich in dieses Tal, dunkler als alle unsere Schicksale, die wir erleiden und zum Teil selbst verschulden. Wir könnten mit vollstem Recht fragen (wie wir es oft angesichts unserer Schicksalsschläge tun): Womit hat er das verdient? Du hast es nicht verdient, du hast nur unter der Schuld der anderen gelitten, und hast dich nicht gewehrt, hast nicht verachtet, nicht verdammt und nicht gestraft. Du hast unsere Strafe für unsere Schuld getragen, und deshalb haben wir von dir nur Vergebung zu erwarten. Und wenn wir schweren Kummer und schwere Not leiden, dann gib uns, dass wir uns an dein unschuldiges Leiden erinnern. Denn du willst uns nicht mit schwerem Schicksal strafen. Aber du willst uns nahe sein, gerade im Leiden. Gib auch, dass wir einander beistehen, dass wir Menschen finden, die uns nahe sind oder die unsere Nähe brauchen. Amen.

Schriftlesung: Lukas 23, 33-49

33 Und als sie kamen an die Stätte, die da heißt Schädelstätte, kreuzigten sie ihn dort und die Übeltäter mit ihm, einen zur Rechten und einen zur Linken.

34 Jesus aber sprach: Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun! Und sie verteilten seine Kleider und warfen das Los darum.

35 Und das Volk stand da und sah zu. Aber die Oberen spotteten und sprachen: Er hat andern geholfen; er helfe sich selber, ist er der Christus, der Auserwählte Gottes.

36 Es verspotteten ihn auch die Soldaten, traten herzu und brachten ihm Essig

37 und sprachen: Bist du der Juden König, so hilf dir selber!

38 Es war aber über ihm auch eine Aufschrift: Dies ist der Juden König.

39 Aber einer der Übeltäter, die am Kreuz hingen, lästerte ihn und sprach: Bist du nicht der Christus? Hilf dir selbst und uns!

40 Da wies ihn der andere zurecht und sprach: Und du fürchtest dich auch nicht vor Gott, der du doch in gleicher Verdammnis bist?

41 Wir sind es zwar mit Recht, denn wir empfangen, was unsre Taten verdienen; dieser aber hat nichts Unrechtes getan.

42 Und er sprach: Jesus, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst!

43 Und Jesus sprach zu ihm: Wahrlich, ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein.

44 Und es war schon um die sechste Stunde, und es kam eine Finsternis über das ganze Land bis zur neunten Stunde,

45 und die Sonne verlor ihren Schein, und der Vorhang des Tempels riss mitten entzwei

46 Und Jesus rief laut: Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände! Und als er das gesagt hatte, verschied er.

47 Als aber der Hauptmann sah, was da geschah, pries er Gott und sprach: Fürwahr, dieser ist ein frommer Mensch gewesen!

48 Und als alles Volk, das dabei war und zuschaute, sah, was da geschah, schlugen sie sich an ihre Brust und kehrten wieder um.

49 Es standen aber alle seine Bekannten von ferne, auch die Frauen, die ihm aus Galiläa nachgefolgt waren, und sahen das alles.

Lied EKG 64, 1+3+5+6 (EG 84, 1-2+4+5):

1. O Welt, sieh hier dein Leben am Stamm des Kreuzes schweben, dein Heil sinkt in den Tod. Der große Fürst der Ehren lässt willig sich beschweren mit Schlägen, Hohn und großem Spott.

3. Wer hat dich so geschlagen, mein Heil, und dich mit Plagen so übel zugericht’? Du bist ja nicht ein Sünder wie wir und unsre Kinder, von Übeltaten weißt du nicht.

5. Ich bin’s, ich sollte büßen an Händen und an Füßen gebunden in der Höll; die Geißeln und die Bande und was du ausgestanden, das hat verdienet meine Seel.

6. Du nimmst auf deinen Rücken die Lasten, die mich drücken viel schwerer als ein Stein; du wirst ein Fluch, dagegen verehrst du mir den Segen; dein Schmerzen muss mein Labsal sein.

Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unserem gekreuzigten und auferstandenen Herrn. Amen.

Als Predigttext wiederhole ich einen Vers aus dem vorhin verlesenen Evangelium (Lukas 23, 46):

Und Jesus rief laut: „Vater, ich befehle meinen Geist in deine Hände!“ Und als er das gesagt hatte, verschied er.

Herr, lehre uns, dein Leiden und Sterben recht zu bedenken. Amen.

Liebe Gemeinde!

Der Stamm eines Kreuzes stand auf unserer Erde, an diesem Kreuz hing Jesus, von dem wir bekennen: er war Gottes Sohn. Dieses Kreuz hat unsere Welt verändert.

Hat es wirklich unsere Welt verändert? Herrscht denn schon Liebe, Gerechtigkeit und Frieden? Hat Jesus denn sein Reich, Gottes Reich, durchsetzen können?

Diese kritischen Fragen wurden schon damals gestellt, als Jesus am Kreuz hing. Das Volk stand dabei und schaute zu, wie man auch andere Sensationen bestaunte. Vielleicht war mancher enttäuscht, dass auch Jesus nicht der war, der die Römer fortgejagt hatte.

Die einflussreichen Leute in Politik und Religion und auch die Soldaten, ja sogar einer der mit Jesus gekreuzigten Männer, verspotten ihn: „Jetzt hilf dir doch selbst, wenn du wirklich der Sohn Gottes bist! Aber du kannst es ja nicht!“

So ist es geblieben: die, die sich vor einer Veränderung ungerechter Verhältnisse fürchten, die fahren fort mit ihrem Spott gegenüber denen, die an eine neue Welt glauben, die sich für Gerechtigkeit und Frieden einsetzen, schimpfen sie Spinner, Idealisten oder gefährliche Pazifisten. Auch die, die mit den Verhältnissen unzufrieden sind, die aber Besserung nur von einem starken Mann ersehnen, die sind enttäuscht von einem, der nicht durchgreift, der auch in dem verdorbensten Verbrecher noch den Menschen sieht, der nicht herrschen will, sondern dienen, der nicht Gewalt ausüben will, sondern, wo es nötig ist, sie erleiden.

Trotzdem hat das Kreuz Jesu die Welt verändert. An diesem Kreuz hat Gott selbst gelitten. Er hat nicht Unrecht gerechtfertigt, sondern ist durch die Gewalt der Mächtigen gestorben, klagt sie und ihr Unrecht dadurch an. Er hat die Welt nicht so von Unrecht und Schuld befreit, wie es von einem starken Mann erwartet wird, mit neuer Gewalt gegen die Bösen. Sein Tod macht uns vielmehr klar, dass keiner von uns ein Recht hat, sich als guter Mensch zu fühlen. Er hat die Welt befreit als ein schwacher Mann. Gottes Schwäche ist stärker als die Stärke der starken Männer, weil sie niemanden verletzt, weil sie nur Liebe ist, weil in ihr der Keim einer neuen Welt liegt, in der Feinde Freunde werden, in der Verschlossene sich vertrauensvoll öffnen können und in der Trauernde getröstet werden.

Zwei Männer, von denen wir es nicht erwarten würden, sehen dies als erste: der zweite der Verbrecher, die neben Jesus gekreuzigt worden waren, der einsieht, dass er seine verdiente Strafe erleidet und Jesus bittet: „Denk an mich, Jesus, wenn du König bist!“ Und ein römischer Offizier, der die Verantwortung für den ordnungsgemäßen Ablauf der Hinrichtung trug, erkennt: „Dieser Mann ist ohne Schuld gewesen!“ Selbst die Schaulustigen gehen betroffen weg. Hier geht es nicht um einen Nervenkitzel, hier geht es um die Entscheidung für ein neues Leben, die jeder einzelne selbst für sich zu fällen hat.

Das Kreuz Jesu hat die Welt verändert. Sind wir nur Zuschauer, betroffen zwar über das Leid Jesu, im Grunde aber nicht bereit, unser Leben zu ändern? Das Kreuz verändert unsere Welt nicht automatisch. Es ist eine Veränderung, die durch uns hindurch geschieht, durch viele, die sich von Gott verändern lassen. Zum Beispiel den zweiten Verbrecher am Kreuz oder den hochgestellten Offizier neben dem Kreuz. Wir müssen nicht mehr unsere Schuld verdrängen. Wir müssen nicht an alle scheinbaren Sachzwänge unserer Gesellschaft und Politik glauben. Wir müssen unser eigenes Recht nicht um jeden Preis behaupten. Wir müssen nicht zuerst an uns selbst denken. Wir müssen nicht in Schicksalsschlägen eine Strafe sehen oder das Ende jeder Hoffnung auf Glück. Wir müssen nicht aus Angst vor Menschen, die anders sind, uns abkapseln, absichern, misstrauisch oder gar ungerecht sein. Wir tun das alles oft, aber wir müssen es nicht mehr tun. So hat das Kreuz Jesu die Welt verändert.

Sagen wir es noch einmal anders herum: Wir dürfen zu unserer Verantwortung stehen und für die Folgen unserer Schuld einstehen. Wir dürfen nach der Wahrheit fragen, auch wenn viele sich mit oberflächlicher Einsicht und mit der Suche nach Sündenböcken zufrieden geben. Wir dürfen uns selbst so wichtig nehmen wie die anderen, und die anderen so wichtig wie uns selbst. Wir dürfen in schwerem Leid zu Gott schreien, seine versprochene Hilfe einklagen. Wir dürfen uns lösen von Bindungen, die uns unglücklich machen, von allem, was wir festhalten wollen, was uns aber genommen werden kann – bisherige Fähigkeiten, liebgewordene Besitztümer, die Gesundheit, ein geliebter Mensch. Lösen heißt in diesem Fall nicht undankbar sein, sondern gemeint ist: Wir dürfen dankbar empfangen, was uns Gott schenkt; es ist aber auch eine Gnade, wenn wir das uns Geschenkte wieder in Gottes Hand zurücklegen können – im Vertrauen darauf, dass Gott uns noch mehr schenken kann und schenken wird.

Deshalb konnte Jesus am Kreuz sagen: „Vater, in deine Hände lege ich meinen Geist!“ Gott, den er Vater nannte, hatte ihm alles genommen, was ihm geschenkt war, hatte von ihm sogar verlangt, es freiwillig hinzugeben, auch sein Leben. Ostern zeigte es sich, dass er ihn nicht verlassen hatte, dass er ihm viel mehr schenkte, als ihm genommen war: nämlich ewiges Leben, unzerstörbares, erfülltes Leben.

Darum ist das Kreuz ein Zeichen der Hoffnung in unserer Welt. Wer sich verändern lässt, der beginnt, gegen den Strom zu denken, zu fühlen und zu handeln. So wie es zum Beispiel in dem Lied ausgedrückt wird, das wir nun singen wollen: Feinde müssen nicht Feinde bleiben, Gewalt muss nicht immer mit Gewalt beantwortet werden. Amen.

Lied: Wolf und Lamm

Lasst uns nun miteinander das Abendmahl feiern.

Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde, hatten wir im Psalm 23 gesungen, dieser Tisch ist dir bereitet worden am Vorabend deines Todes, Herr Jesus Christus; nicht dein Haupt wurde gesalbt mit Öl, aber deine Füße – von einer Sünderin, die dich sehr geliebt hat, voll eingeschenkt wurde dir – nicht der gute Becher Wein, sondern der Kelch des Leidens. Und doch hast du von Gott nichts anderes erwartet, als Güte und Barmherzigkeit, hast selbst Leiden und Tod aus seiner Hand genommen, hast den Teufelskreis von Sünde und Tod, von Gewalt und Leiden durchbrochen. Dass dies wahr ist, das lässt du uns schmecken im Abendmahl, in der Tischgemeinschaft mit dir. Unsere Sünden vergibst du uns, wir brauchen nicht mehr an sie zurückzudenken. Doch auch wir sollen nicht mehr an die Sünden der anderen denken, an das, was sie uns angetan haben. So räumst du zwischen uns weg, was uns trennt, und wir feiern Abendmahl als eine Tischgemeinschaft von Menschen, die sich näher kommen wollen und vielleicht auch manches aneinander wieder gut zu machen haben.

Einsetzungsworte
Lied EKG 64, 7+12+13 (EG 84, 6+10+11):

7. Du setzest dich zum Bürgen, ja lässest dich gar würgen für mich und meine Schuld; mir lässest du dich krönen mit Dornen, die dich höhnen, und leidest alles mit Geduld.

12. Ich will daraus studieren, wie ich mein Herz soll zieren mit stillem, sanftem Mut, und wie ich die soll lieben, die mich doch sehr betrüben mit Werken, so die Bosheit tut.

13. Wenn böse Zungen stechen, mir Ehr und Namen brechen, so will ich zähmen mich; das Unrecht will ich dulden, dem Nächsten seine Schulden verzeihen gern und williglich.

Austeilung des Abendmahls

Herr, hab Dank für dein Mahl, für deine Hingabe, dein Kreuz! Lass uns gewiss werden, dass dein Kreuz die Welt verändert hat. Mach aus uns neue Menschen, schenke uns mehr Liebe, mehr Mut, mehr Hoffnung, mehr Zutrauen zu dem, was du aus uns und der Welt machen willst. Heute bitten wir dich insbesondere für Frau …, die in der vergangenen Woche gestorben und kirchlich beerdigt worden ist; wir bitten für die Angehörigen um deinen Trost und darum, dass sie immer Menschen haben, die ihnen in der Trauer begleitend und stützend nahe sind. Amen.

Vaterunser, Abkündigungen und Segen
Lied EKG 63, 8+5 (EG 85):

8. Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du’s so gut gemeint. Ach gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu und, wenn ich nun erkalte, in dir mein Ende sei.

5. Erkenne mich, mein Hüter, mein Hirte, nimm mich an. Von dir, Quell aller Güter, ist mir viel Guts getan; dein Mund hat mich gelabet mit Milch und süßer Kost, dein Geist hat mich begabet mit mancher Himmelslust.

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