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„Es war mir zu schwer…“

Das Leben kann einem zu schwer sein. Moderne Menschen tun sich oft auch schwer mit dem Glauben. Aber ob es Gott gibt, kann man weder beweisen noch widerlegen. Warum also nicht einfach drauflos-glauben wie ein Kind?

Es war mir zu schwer: Skulptur eines Mannes, der einen schweren Stein vor sich auf den Armen trägt.
Wohin gehen mit Lasten, wenn sie zu schwer sind? (Bild: MrBondePixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

So spricht Gott, der Herr (Jesaja 43, 1):

Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst; ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein!

Liebe Gemeinde, wir sind zusammengekommen, um Abschied zu nehmen von Frau X., die im Alter von [über 80] Jahren gestorben ist. Wir erinnern uns an ihr Leben und denken an das, was uns mit ihr gegeben wurde. Wir besinnen uns zugleich auf das, was uns unser Leben sinnvoll macht – gerade auch, wenn ein Leben zu Ende gegangen ist.

Wir beten mit Worten aus Psalm 90 (Lutherbibel 1912):

10 Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn‘s hoch kommt, so sind‘s achtzig Jahre, und wenn‘s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen; denn es fährt schnell dahin, als flögen wir davon.

12 Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Liebe Angehörige von Frau X.! Sie bilden heute eine ganz kleine Trauergemeinde hier auf dem Gießener Friedhof, denn Frau X. hat es zuletzt so gewünscht, in aller Stille bestattet zu werden. So sind außer mir nur Personen hier versammelt, denen die Verstorbene vertraut war; ich werde Ihnen über sie, wer und wie sie war und über ihr Leben nichts Neues erzählen können. Sie alle haben Ihre ganz bestimmten Erinnerungen an Frau X., Sie sind von ihr geprägt und beeinflusst worden, haben einen großen oder kleinen Teil Ihres eigenen Lebens mit ihr geteilt. Ich kann mir vorstellen, dass Sie mit ganz unterschiedlichen Gedanken und jeder auch mit sehr gemischten Gefühlen sich heute darauf zurückbesinnen. In unserem Vorbereitungsgespräch für diese Feier sprachen wir bereits darüber, dass es jedenfalls keine Norm dafür gibt, wann sich bei uns welches Gefühl einstellt. Man kann vielleicht von einem Menschen in sehr hohem Alter leichter Abschied nehmen als von einem jüngeren; man kann in manchen Fällen dankbar sein für die Erlösung von einer Vielzahl von Krankheiten und Gebrechen; und dennoch ist es ganz normal, dass wir irgendwann auch die Trauer fühlen: Denn da fehlt nun ein Mensch, der immer da war, der unser Leben beeinflusst hat, mit dem wir eine vielleicht sehr wechselvolle Geschichte gehabt haben.

Einen weiten Lebensweg hat Frau X. hinter sich gebracht.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Ihr Tod kam plötzlich, obwohl Frau X. über allerhand Leiden zu klagen gehabt hatte. Im Nachhinein fallen dann einige Anzeichen auf, die vermuten lassen, dass sie vielleicht doch etwas vom nahenden Tod geahnt hat; öfters hat sie jedenfalls in Gesprächen ihre Sehnsucht nach dem Ende durchklingen lassen. So ist ihr Tod der Abschluss eines erfüllten Lebens.

Wovon ihr Leben erfüllt war, das kann ich in diesen wenigen Worten nur andeuten. Das geht weit über das hinaus, was Sie mir in unserem Gespräch sagen konnten. Es geht aber auch über das hinaus, was wir Menschen überhaupt von einem anderen Menschen wissen können. Wir können im Familienkreis anders sein, als wir Außenstehenden gegenüber erscheinen; bei Frau X. war es zum Beispiel so, dass sie vertrauten Menschen wohl auch ihre Klagen anvertrauen konnte, während sie es nach außen hin lieber überspielte, wenn es ihr schlecht ging. Aber selbst dem vertrautesten Menschen können wir im letzten nicht ganz gerecht werden, wenn wir sagen sollen: Was hat sein Leben ausgemacht? Nicht einmal über uns selbst wissen wir solche Fragen immer ganz genau zu beantworten. Ein letztes Urteil über ein Menschenleben kann nach alter Überlieferung nur Gott treffen – und Gott-sei-Dank fällt dieses Urteil nach dem christlichen Glauben gnädiger aus, als wir selbst uns ehrlicherweise beurteilen würden.

Als ich Sie fragte, ob Sie für die Beerdigung einen besonderen Bibeltext auswählen möchten, ist Ihnen spontan ein Vers eingefallen, den ein Pfarrer einst einer Konfirmandin mit auf den Lebensweg gab, ohne dass sie damit etwas anfangen konnte. Sie hatten diesen Vers so in Ihrer Erinnerung:

Es war mir zu schwer, bis ich kam ins Himmelreich Gottes.

Ich bin erst einmal hängengeblieben am ersten Teil dieses Satzes: „Es war mir zu schwer…“ Das Leben kann zu schwer sein, ein Leben mit allzuharten Herausforderungen, mit schweren Plagen und Leiden, mit Schmerzen, die einem den Lebensgenuss verleiden, bis dahin, dass man nicht einmal mehr ohne Schmerzen essen oder trinken kann. Das Leben kann so schwer werden, dass man sich nach einem Ende sehnt – „ich will nicht mehr leben.“ Es ist gut, wenn man dann nicht nur negativ vorausschauen muss – auf das Ende, das man ersehnt – sondern auch ein positives Bild vor Augen hat: „…bis ich kam ins Himmelreich Gottes.“

„Es war mir zu schwer…“ Auch mit dem Glauben kann man sich schwer tun. Wir haben heute oft mehr Schwierigkeiten mit dem Glauben als unsere Vorfahren – das 20. Jahrhundert mit seiner rasanten Entwicklung in Wissenschaft und Technik, aber auch im allgemeinen Lebensgefühl hat so viel von den alten Überlieferungen nahezu beiseitegeschoben, dass uns heute eine Sprache fehlt für viele grundlegende Dinge, gerade auf dem Gebiet des Fühlens, des Erlebens, der Bewältigung unseres eigenen Schicksals. Das gilt für alle Menschen, ob sie sich nun näher einer Kirche verbunden fühlen oder diesen Kontakt haben abreißen lassen – einfache Antworten scheint es nicht mehr zu geben: zum Beispiel auf die Frage, ob unser Leben wertvoll ist und ob wir nach dem Tod in den Himmel kommen, wie man es früher ganz naiv ausgedrückt hat.

Aber machen wir uns nicht manches unnötig schwer? Warum soll nicht auch uns modernen Menschen ein kindliches Vertrauen möglich sein, das sich Bilder vom Himmel ausmalt und von den liebevollen Händen Gottes, in denen wir geborgen bleiben – als kostbare, wertgeschätzte Kinder Gottes? Gerade wir modernen Menschen müssten es wissen: Es gibt keine wissenschaftlichen Antworten auf religiöse Fragen – keinen Beweis, aber auch keine Widerlegung Gottes. Warum also nicht einfach drauflos-glauben – auf Gott vertrauen wie ein Kind? In erwachsenen Worten können wir das so ausdrücken: Für unser Jenseits ist gesorgt, um das, was nach dem Tod geschieht, müssen wir uns keine Sorgen machen. Es gibt die Wirklichkeit, die wir mit dem Bild des Himmels umschreiben können – ein Mehr über unser manchmal elendes irdischen Leben hinaus, eine ewige Vollendung dieses begrenzten Lebens zwischen Geburt und Tod. Das heißt: Wir können nach zwei Seiten hin getröstet sein: Wir können getrost unsere Verstorbene loslassen, denn wir geben sie hinein in liebende Hände. Und wir können selber getrost weiterleben, denn wenn wir uns um das Jenseits keine Sorgen machen müssen, sparen wir um so mehr Kraft und Mut fürs Diesseits auf.

Bleibt noch eine Frage offen: Steht dieser Vers, so wie Sie sich an ihn erinnert haben, überhaupt in der Bibel? Mein kluges Computerprogramm hat mir gesagt, dass der Satz „Es war mir zu schwer“ nur ein einziges Mal in der Bibel vorkommt, und zwar im Psalm 73. Dieser Psalm beginnt mit einem trotzigen „Dennoch“ – es ist die Klage eines Menschen, der auf Gott vertraut und sich fragt: Was habe ich eigentlich davon? Mir geht es schlecht und denen, die nicht nach Gott fragen, geht es oftmals so viel besser. Und in diesem Zusammenhang steht dann der von Ihnen erinnerte Vers, allerdings ein ganz kleines bißchen anders formuliert:

16 So sann ich nach, ob ich‘s begreifen könnte, aber es war mir zu schwer,

17 bis ich ging in das Heiligtum Gottes.

Also nicht das Himmelreich, sondern das Heiligtum wird im Originaltext der Bibel erwähnt. Vielleicht wollte der Pfarrer damals seiner Konfirmandin einen Wink mit dem Zaunpfahl geben: „Wenn es dir zu schwer wird mit dem Glauben, dann geh einfach in die Kirche.“ Das macht ja auch seinen Sinn – wenn man sich damit nicht unter Druck setzt oder setzen lässt. Wenn wir Lebensprobleme und Glaubensfragen haben, dann können wir mit ihnen „ins Heiligtum gehen“. Alle sind jederzeit im Gottesdienst willkommen, um Antworten auf ihre Fragen zu suchen – und vielleicht auch manchmal zu finden.

Diese Antworten können ganz unterschiedlich ausfallen. Der Beter von Psalm 73 findet im Heiligtum doppelten Trost. Zunächst denkt er daran, dass auch die Gottlosen einmal sterben werden, genau wie er selbst. Und dann tröstet er sich damit, dass Gott ihm nahe bleibt, in allem, was ihm geschieht. Diese Verse können auch uns heute ein Trost sein – sowohl im Blick auf das, was Frau X. in ihren schwersten Stunden hat mitmachen müssen, als auch im Blick auf unsere eigenen schweren Wege:

23 Dennoch bleibe ich stets an dir; denn du hältst mich bei meiner rechten Hand,

24 du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich am Ende mit Ehren an.

25 Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.

26 Wenn mir gleich Leib und Seele verschmachtet, so bist du doch, Gott, allezeit meines Herzens Trost und mein Teil.

Amen.

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