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Gott des Friedens, nicht der Unordnung

Ein Gott, der nur ein Gott der Ordnung wäre, könnte nicht vergeben. Ein Gott des Friedens bringt auch die wieder zurecht, die von der Ordnung abgewichen sind. Gottes Zorn über das Böse ist größer als unserer; er lässt keine Entschuldigung gelten; aber auch seine Vergebung ist größer: Wo wir einen Menschen schon für verdorben halten, gibt Gottes Liebe nicht auf.

Ortsausgangsschild: "Frieden statt Chaos"
Welcher Weg führt aus dem Chaos heraus? (Bild: Gerd AltmannPixabay)

direkt-predigtGottesdienst am 1. Sonntag der Passionszeit (Estomihi), 11. März 1984, um 9.30 Uhr in Weckesheim, 10.30 Uhr in Reichelsheim

Am ersten Sonntag in der Passionszeit begrüße ich Sie und Euch herzlich im Gottesdienst! Jetzt beginnt wieder die Zeit, in der wir des Leidens und Sterbens Jesu Christi gedenken und uns fragen, was das mit uns zu tun hat. Im Anschluss des Gottesdienstes feiern wir das Abendmahl mit Brot und Wein. Wenn ihr Konfirmanden einmal schauen wollt, wie die Abendmahlsfeier vor sich geht, könnt ihr dabei hier bleiben, auch wenn ihr heute noch nicht daran teilnehmt. Wer möchte, kann vor der Abendmahlsfeier mit dem Segen entlassen werden.

EKG 71, 1-5 (EG 91, 1-4+6):

1. Herr, stärke mich, dein Leiden zu bedenken, mich in das Meer der Liebe zu versenken, die dich bewog, von aller Schuld des Bösen uns zu erlösen.

2. Vereint mit Gott, ein Mensch gleich uns auf Erden und bis zum Tod am Kreuz gehorsam werden, an unsrer Statt gemartert und zerschlagen, die Sünde tragen:

3. welch wundervoll hochheiliges Geschäfte! Sinn ich ihm nach, so zagen meine Kräfte, mein Herz erbebt; ich seh und ich empfinde den Fluch der Sünde.

4. Gott ist gerecht, ein Rächer alles Bösen; Gott ist die Lieb und lässt die Welt erlösen. Dies kann mein Geist mit Schrecken und Entzücken am Kreuz erblicken.

5. Es schlägt den Stolz und mein Verdienst darnieder, es stürzt mich tief, und es erhebt mich wieder, lehrt mich mein Glück, macht mich aus Gottes Feinde zu Gottes Freunde.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Er [Christus] ist unser Friede! (Epheser 2, 14)

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehre sei dem Vater und dem Sohne und dem heiligen Geiste, wie es war von Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Herr, wir unterbrechen die Unruhe unseres Alltags, die Selbstverständlichkeit unseres Lebens, die Gleichgültigkeit unserer Herzen und unseren Glauben an die Tatsachen, um miteinander Gottesdienst zu feiern. Wir bitten dich: Mach Leidende zuversichtlich und Gleichgültige betroffen. Erinnere Mutlose an ihre Träume und Zufriedene an das Unglück anderer, Abgestumpfte mache empfindlich und Empfindliche stark. Zeig uns das Leben, das du uns zugedacht hast, hilf uns, es zu entdecken, und hilf anderen durch uns. Das bitten wir durch Jesus Christus, unseren Herrn.

Wir hören die Lesung aus dem Evangelium nach Johannes 14, 23-27. Jesus verabschiedet sich dort von seinen Jüngern, gibt ihnen Ermahnungen auf den Weg, kündigt ihnen den heiligen Geist an und gibt ihnen ein großes Geschenk: seinen Frieden.

23 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Wer mich liebt, der wird mein Wort halten; und mein Vater wird ihn lieben, und wir werden zu ihm kommen und Wohnung bei ihm nehmen.

24 Wer aber mich nicht liebt, der hält meine Worte nicht. Und das Wort, das ihr hört, ist nicht mein Wort, sondern das des Vaters, der mich gesandt hat.

25 Das habe ich zu euch geredet, solange ich bei euch gewesen bin.

26 Aber der Tröster, der heilige Geist, den mein Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe.

27 Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch. Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt. Euer Herz erschrecke nicht und fürchte sich nicht.

EG 612, 1-3: Fürchte dich nicht
Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott unserem Vater und Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.
Predigttext: 1. Korinther 14, 33:

Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens.

Liebe Gemeinde!

Die Ordnung steht bei uns hoch im Kurs. Ordnung muss sein! Vorschrift ist Vorschrift, Gesetz ist Gesetz! Wo kämen wir sonst hin? Man muss seine eigenen Angelegenheiten in Ordnung halten; man schämt sich, fremde Leute in eine unaufgeräumte Wohnung hereinzulassen, man möchte sich immer selbst beherrschen und anderen Leuten keine Gefühlsausbrüche zumuten. Ist das gemeint, wenn Paulus sagt: „Gott ist kein Gott der Unordnung“?

Merkwürdig, Paulus fährt nicht fort: „… sondern der Ordnung“. Paulus beendet den Satz so: „… sondern des Friedens.“ Wo liegt der Unterschied?

Vielleicht kann eine erste Antwort so aussehen: Ordnung kann leicht starr werden und einengen. Frieden ist etwas Lebendiges, Befreiendes. Wohin es führen kann, wenn Ordnungen und Vorschriften starr angewendet werden, zeigt als Beispiel ein Zeitungsartikel, der vor längerer Zeit in der Münchner Abendzeitung erschien:

Ein Mann läuft in der Geschäftsstelle einer Krankenkasse Amok, er verursacht einen Sachschaden von 20000 Mark, weil eine ihm gegebene Zusage, Schulden abzahlen zu können, nicht eingehalten wurde. Die Leser der Münchner Abendzeitung bieten dem Mann Geld an, um den Schaden zu bezahlen, und beklagen sich über das herrische Gehabe mancher Schalterbeamter, die die Besucher wie lästige Bittsteller behandeln. (zitiert nach der Zeitschrift für Gottesdienst und Predigt 1/1984, S. 32)

Können wir nicht auch manchmal so ein Verhalten verstehen? Obwohl wir an sich Freunde geordneter Verhältnisse sind? Wie sollte denn der Mann mit 600 Mark drei Monatsmieten nachzahlen? Musste er sich nicht zutiefst verletzt fühlen, als die Beamten eine gegebene Zusage wieder vom Tisch wischten? Die Beamten sind sicher nach der Ordnung vorgegangen, nach bestimmten Vorschriften. Aber Frieden entsteht nicht, wenn es heißt: „Es gibt nun einmal Vorschriften und damit basta!“ Frieden wäre vielmehr zu spüren, wenn an einem Schalter oder anderswo jemand sagt: „Wir wollen einmal überlegen, was wir machen können, denn schließlich sind Sie in einer schwierigen Lage. Vielleicht gibt es doch einen Ausweg.“ Die Sache hätte also anders ausgehen können, wenn die Beamten menschlicher gehandelt hätten – was ja auch viele, vielleicht die meisten, immer wieder tun. Aber oft ist es gar nicht so leicht, zwischen dem Grundsatz „Ordnung muss sein“ und dem Gebot der Menschlichkeit eine richtige Entscheidung zu treffen – zumal man auch Undankbarkeit ernten kann oder Vorwürfe der Vorgesetzten oder man ausgenutzt werden kann. Jedenfalls kommt es immer wieder vor, dass man ungerecht behandelt wird.

Natürlich ist es keine Lösung, als Antwort auf Unrecht das Inventar eines gepflegten Büros zu Kleinholz zu machen. Aber was sollen wir denn machen, wenn uns der Kragen platzt, wenn unsere mühsam trainierte Selbstbeherrschung nicht mehr ausreicht?

Ich denke, dass dem Schankkellner Walter D. vielleicht gerade seine zu große Selbstbeherrschung zum Verhängnis geworden ist. Er hatte wahrscheinlich viel zu vieles schweigend heruntergeschluckt. Eine Zusage, die nicht eingehalten wurde, brachte schließlich ein schon volles Fass zum Überlaufen. Es heißt zwar: „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold!“ aber dieses Sprichwort trifft nicht auf jede Lebenslage zu. Oft ist es besser, einfach herauszusprudeln, was einem nicht passt. Wer rechtzeitig seinem Unwillen Luft macht, kann leichter verhindern, dass plötzlich die eigenen Sicherungen durchbrennen.

Für viele mögen solche Vorschläge, zumal hier im Gottesdienst, ungewöhnlich klingen. Vielleicht haben wir das Leiden Jesu mit einer schweigenden Ergebung in sein Schicksal verwechselt, vielleicht haben wir vergessen, dass Jesus unter Tränen Gott gebeten hat, diesen Kelch an ihm vorübergehen zu lassen, dass er am Kreuz laut aufgeschrien hat. Nicht nur Jesus, auch andere Menschen der Bibel ließen ihre Gefühle sprechen, schütteten ihr Herz aus, klagten und schrien vor Verzweiflung oder Zorn. Die Bibel ist auch das Buch der großen Temperamentsausbrüche. Die Dichter der Psalmen, die Propheten, Jesus und seine Jünger haben ihre Worte nicht auf die Goldwaage gelegt. Die Bibel sagt vielmehr (Psalm 32, 2):

„Als ich es wollte verschweigen, verschmachteten meine Gebeine.“

Der Mann aus dem Zeitungsartikel wäre sicher auch besser beraten gewesen, wenn er seinen Zorn nur laut hinausgeschrien hätte, statt gewalttätig zu werden.

Gerade wer sehr selbstbeherrscht ist, wer nie anecken will, wer seinen Ärger lieber herunterschluckt, wer nicht auffallen möchte, der muss sich sagen lassen: „Du bist auch dafür verantwortlich, wenn all das, was du in dir anstaust, einmal herausbricht. Du kannst dann nicht sagen: Ich kann doch nichts dafür!“

Aber was tun? Man kann doch nicht jedem anderen Menschen sein Innenleben auf die Nase binden! Dann würde man sich ja zum Gespött der Leute machen! – Richtig! Aber im Gespräch mit einem Freund, mit dem Ehepartner, mit einem Berater kann man doch wohl auch einmal sein Herz ausschütten, ehe das Fass überläuft. Und man kann es nach und nach lernen, auch im Alltag gegenüber Fremden nicht alles herunterzuschlucken und dabei trotzdem nicht ausfällig oder verletzend zu werden.

Hier liegt noch ein für Christen wichtiger Punkt: Jesu Leiden war für ihn – um der Liebe zu den Menschen willen – unvermeidlich. Manches Leiden können auch wir als Christen nicht umgehen – um der Liebe willen. Wir sollen aber unser Leiden nicht absichtlich vergrößern. Wer seine Gefühle immer herunterschluckt, macht sich auch selber krank und trägt sozusagen sein Leiden vor sich her: Schaut her, was sie mir antun! Jesu Reaktion war dagegen von Vergebung geprägt (Lukas 23, 34):

Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!

Deshalb stellt Paulus nicht die Ordnung, sondern den Frieden der Unordnung gegenüber. Ein Gott, der nur ein Gott der Ordnung wäre, könnte nicht vergeben. Ein Gott des Friedens bringt durch Vergebung auch die wieder zurecht, die von der Ordnung abgewichen sind.

D. h.: So wie wir für die Beweggründe des Kellners, der durchgedreht ist, Verständnis haben, auch wenn wir seine Tat missbilligen, so lässt Gott niemanden fallen, auch wenn seine Taten nicht zu entschuldigen sind. Nur – Gott geht dabei viel weiter als wir. Sein Zorn über das Böse ist größer; er lässt keine Entschuldigung gelten; aber auch seine Vergebung ist größer: er sucht für jeden einen neuen Anfang. Auch da, wo wir einen Menschen schon für verdorben halten, für rettungslos verloren, gibt Gottes Liebe nicht auf.

Ich sage das in Reichelsheim auch aus gegebenem Anlass. Was da vorgestern in der Turmgasse geschehen ist, hat mich sehr betroffen gemacht: dass Kinder „Einbrecher“ gespielt haben und die Wohnung einer türkischen Familie verwüstet haben. Ich bekomme Angst, wenn ich daran denke, dass 6-7-8-jährige Kinder solch sinnlose Zerstörung anrichten – sei es als Anstifter, als Mitläufer oder als Beobachter, die es nicht wagen, sich gegen die Anführer zu wehren. Was mag in den Kindern vorgegangen sein? Was fehlt ihnen, dass sie so etwas tun? Wie können wir unsere Kinder so erziehen, dass sie wissen, was Recht und Unrecht ist, und dass sie sich auch in schwierigen Situationen daran halten? Ich weiß nicht einmal genau, ob sich meine Söhne anders verhalten hätten als die Kinder, die aus Angst dageblieben sind. Ich spreche das hier an, weil es wichtig ist, uns selber unbequeme Fragen zu stellen, statt dass wir mit Verurteilungen schnell bei der Hand sind. Verurteilungen helfen nicht weiter, sondern stempeln einen Menschen leicht ein für allemal ab. Vielleicht geht es vielmehr darum, auch bei unseren Kindern genau darauf zu achten, was sie im Umgang mit Erwachsenen oder mit Gleichaltrigen ertragen oder herunterschlucken müssen. Vielleicht wissen wir zu wenig, was oft in unseren Kindern vorgeht, wenn wir zu wenig Zeit für sie und ihre Sorgen haben. Was mich auch bedrückt, ist, dass eine türkische Familie nun in Angst vor deutschen Kindern lebt. Wir müssten deutlich machen, dass uns dieses Verhalten der Kinder ebenso erschüttert wie sie. Wir müssten zeigen, dass wir uns mit den ausländischen Nachbarn verbunden fühlen.

Gott will nicht die Unordnung. Und es werden klare Worte fallen müssen, was Recht und was Unrecht ist. Gott ist aber nicht ein Gott einer Ordnung, in der die Guten lupenrein von den Abgerutschten zu unterscheiden sind. Gott ist ein Gott des Friedens, der das Böse durch das Gute zu überwinden sucht. Ein gutes Wort wirkt hundertmal mehr als hundert selbstgerechte Verurteilungen – davon werden wir gleich noch ein Lied singen. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Lied aus dem Liederheft: Manchmal fühl ich mich allein

Barmherziger Vater, lass dein gutes Wort in uns wirken, damit wir immer genug gute Worte für andere in uns tragen und sie auch aussprechen. Lass uns nicht müde werden im Einsatz für Frieden – in unserer Familie, in der Beziehung zu den türkischen Familien, im Kontakt zu denen, die auf die schiefe Bahn zu geraten drohen. Lass uns auch nicht ermüden im Einsatz für den Frieden zwischen den Völkern, zwischen Ost und West, Nord und Süd. Widerstehe unserer Resignation und schenke uns eine starke Zuversicht. Schenke uns dich selbst, denn du bist unser Friede! Komm in unser Herz und sei du unser langer Atem, damit wir wieder Mut finden. Amen.

Vater unser
Lied EKG 420, 1 (im EG nur in den Anhängen von Österreich 568
sowie der Reformierten Kirche und Rheinland/Westfalen/Lippe 573):

Die wir uns allhier beisammen finden, schlagen unsre Hände ein, uns auf deine Marter zu verbinden, dir auf ewig treu zu sein. Und zum Zeichen, dass dies Lobgetöne deinem Herzen angenehm und schöne, sage: »Amen!« und zugleich: »Friede, Friede sei mit euch!«

Abkündigungen
Lied 421, 1-3 (EG 224): Du hast zu deinem Abendmahl als Gäste uns geladen

Herr, unser Gott, du willst es mit uns zu tun haben, du willst die Gemeinschaft mit uns im Abendmahl. Du kommst nicht auf uns zu, weil wir so großartig sind. Sondern weil deine Liebe zu uns so groß ist. Wir haben vor dir zu bekennen, dass wir immer wieder lieblos, rachsüchtig, nachtragend, egoistisch, träge oder hochmütig gewesen sind. Wir haben uns zu wenig zugetraut – und damit nicht auf deinen Geist vertraut, der in uns wirken will. Wir haben anderen zu wenig zugetraut – und damit verleugnet, dass auch die anderen deine Kinder sind. Dies alles bringen wir vor dich, alles, was uns belastet und bedrückt, und wir bitten dich von Herzen um Vergebung!

Herr, wir brauchen vor dir nicht unsere ganzen Verdienste auszubreiten. Wir kommen mit leeren Händen und dürfen das auch tun. Du willst sie uns füllen – heute mit Brot und mit dem Kelch, morgen und jeden Tag mit der inneren Ausrüstung, die wir brauchen. Du kommst selbst zu uns und bleibst bei uns, du lässt uns nicht allein. Auch wenn wir dich nicht sehen – du bist so wirklich bei uns wie das Brot, das wir essen, und wie der Wein, den wir trinken. So schenke uns dich nun wieder im Heiligen Abendhahl. Amen.

Einsetzungsworte
Christe, du Lamm Gottes
Austeilung des Abendmahls
Lied EG 170, 1-4: Komm, Herr, seqne uns

Wir danken dir, Herr, für dein Heiliges Mahl! Wir danken dir, dass du uns den Frieden gibst, der uns in die Lage versetzt, etwas für den Frieden zu tun. Wir danken dir, dass du uns im Lachen und Weinen nahe bist und dass wir einander nicht alleinzulassen brauchen. Wir bekommen genügend Kraft, um füreinander da zu sein. Amen.

Segen und Orgelnachspiel

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