Bild: Helmut Schütz

Marias Lied

„Gott hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen“, singt Maria. Als ich mit Konfis diesen Text las, war den meisten das Wort „Magd“ unbekannt. Ein Mädchen fragte: „Ist eine Magd eine Putze?“ Die Richtung stimmt; „Magd“ meint „Dienstmädchen“ oder „Mädchen für alles“. Maria nennt sich „Sklavin Gottes“, eine Frau, die stolz darauf ist, Gott einen großen Dienst erweisen zu können.

Sonnenumstrahlte Frau auf dem Mond mit dem Kind auf dem Arm nach Offenbarung 12
Maria mit dem Jesuskind auf dem Westfenster in der Evangelischen Pauluskirche Gießen
direkt-predigtTaufgottesdienst am 4. Adventssonntag, den 21. Dezember 2014, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Zum Taufgottesdienst am 4. Advent begrüße ich alle herzlich in der Pauluskirche mit dem Wort zur Woche aus dem Brief des Paulus an die Philipper 4, 4-5:

Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch! Der Herr ist nahe!

Besonders herzlich heiße ich Herrn … mit seiner Familie willkommen, denn er möchte heute getauft werden.

Die Vorfreude auf Weihnachten kommt am 4. Advent auch im Gottesdienst besonders zur Geltung. Im Mittelpunkt wird heute ein Lied der Maria stehen, das sie gesungen hat, als sie mit Jesus schwanger war.

Zuerst singen wir aber etwas anderes, nämlich das Adventslied Nr. 19:
O komm, o komm, du Morgenstern
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Psalm 102:

13 Du, HERR, bleibst ewiglich und dein Name für und für.

14 Du wollest dich aufmachen und über Zion erbarmen; denn es ist Zeit, dass du ihm gnädig seist, und die Stunde ist gekommen

16 dass die Heiden den Namen des HERRN fürchten und alle Könige auf Erden deine Herrlichkeit.

17 Ja, der HERR baut Zion wieder und erscheint in seiner Herrlichkeit.

18 Er wendet sich zum Gebet der Verlassenen und verschmäht ihr Gebet nicht.

20 Denn er schaut von seiner heiligen Höhe, der HERR sieht vom Himmel auf die Erde,

21 dass er das Seufzen der Gefangenen höre und losmache die Kinder des Todes,

22 dass sie in Zion verkünden den Namen des HERRN und sein Lob in Jerusalem,

23 wenn die Völker zusammenkommen und die Königreiche, dem HERRN zu dienen.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott erbarmt sich über Zion, also über sein Volk Israel? Alle Völker fürchten Gott und dienen seinem heiligen Namen? Wenn das wahr ist und wahr werden soll, warum gibt es in der Welt ausgerechnet um Israel herum und ausgerechnet zwischen den verschiedenen Religionen so viel Streit, so viel Fanatismus, so viel Terror und Krieg?

Großer Gott, wo es uns schwer fällt, an den Frieden zu glauben, der mit der Geburt Jesu in unsere Welt kommt, öffne du selber unsere Herzen für die Weihnachtsbotschaft, für die Weihnachtsfreude. Mach unsere Herzen frei für die Kraft des Vertrauens auf dich. Hilf uns loslassen, was unser Herz eng und allzu ängstlich macht. Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

(Philipper 4, 4-7:)

4 Freuet euch in dem Herrn allewege, und abermals sage ich: Freuet euch!

5 Eure Güte lasst kund sein allen Menschen! Der Herr ist nahe!

6 Sorgt euch um nichts, sondern in allen Dingen lasst eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott kundwerden!

7 Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.

Der Herr sei mit euch! „Und mit deinem Geist!“

Lieber Gott, in der Vorfreude auf Weihnachten feiern wir heute einen Taufgottesdienst. Wir freuen uns auf den Geburtstag von Jesus, und wir freuen uns über den Mann, den wir heute taufen. Bitte lass uns den Gottesdienst fröhlich feiern und schenke und Lieder und Worte für unser Herz. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören das Lied der Maria, über das Herr Pfarrer Schütz nachher predigen wird. Es steht im Evangelium nach Lukas 1, 46 bis 55:

46 Meine Seele erhebt den Herrn,

47 und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;

48 denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen. Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.

50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.

51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.

52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.

53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.

54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,

55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Nun kommen wir zu Ihnen, lieber Herr …! Sie sind gemeinsam mit Frau … und anderen aus ihrer Familie hier in der Pauluskirche, um sich taufen zu lassen. Eigentlich wohnen Sie in Berlin, aber hier in Gießen sind die Menschen, denen Sie sich am meisten verbunden fühlen.

Für Ihre Taufe haben Sie sich einen Taufspruch aus 1. Korinther 15, 10 ausgesucht. Da sagt der Apostel Paulus:

„Durch Gottes Gnade bin ich, was ich bin.“

Dieser kleine Satz ist zugleich ein demütiger und ein stolzer Satz. Paulus schreibt ihn in seinem Brief, als er erzählt, wie ihm Jesus selbst als der Gekreuzigte und Auferstandene erschienen ist. Das hat er nicht verdient, meint er, denn er hatte doch vorher die Gemeinde der Christen verfolgt. Und dann hat Jesus selbst ihn auf seinem falschen Weg zu Fall gebracht, wie es hier auf unserem Altarbild links unten zu sehen ist, und Paulus konnte umkehren, konnte lernen, an Jesus Christus zu glauben. Das war ein Geschenk von Jesus selbst an einen fanatisch glaubenden Saulus, durch Gottes Gnade wurde er ein Paulus, der in demütigem Stolz an Jesus glauben konnte.

Stolz ist Paulus geblieben: allerdings nicht auf sich selbst, nicht auf seine Herkunft, sondern darauf, dass Gott ihm alles schenkt, was er braucht: Liebe, Vergebung, alle guten Gaben.

Durch die Taufe werden Sie, lieber Herr …, mit Jesus ebenso eng verbunden wie es damals Paulus war. Auch Sie dürfen glauben, dass Sie durch Gottes Gnade angenommen sind, dass Gott viel mit Ihnen vor hat. Was Sie an Kräften und Begabungen haben, was Sie denken und tun können, das ist Ihnen von Gott geschenkt. Sie sind ein von Gott geliebter Mensch, das darf Ihnen niemand ausreden, das sollten Sie niemals vergessen. Und weil Sie durch Gottes Gnade das sind, was Sie sind, traut Gott Ihnen auch zu, gute Dinge zu tun und für die Menschen da zu sein, die Ihre Hilfe brauchen.

Nun lasst uns vor der Taufe gemeinsam unseren christlichen Glauben bekennen:

Glaubensbekenntnis und Taufe

Wir singen nach der Taufe aus dem Lied 1 im Gesangbuch die 5. Strophe:

5. Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein; dein Freundlichkeit auch uns erschein. Dein Heilger Geist uns führ und leit den Weg zur ewgen Seligkeit. Dem Namen dein, o Herr, sei ewig Preis und Ehr.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, nun möchte ich mit Ihnen, mit euch das Lied der Maria genauer anschauen, das wir vorhin in der Lesung gehört haben, das so genannte Magnifikat.

Warum tun wir das als evangelische Christen? In unserem Taufgespräch für Herrn … sprachen wir auch über Maria, die Mutter Jesu, und haben uns gefragt: Welche Rolle spielt sie in unserer evangelischen Kirche?

Viele katholische Christen verehren Maria in besonderer Weise, rufen sie an mit den Worten: „Heilige Mutter Gottes, bitte für uns!“ oder beten mit dem Rosenkranz das „Ave Maria“. In der evangelischen Kirche ist das nicht üblich. Und doch ist zum Beispiel ein Bild von Maria auch in unserer Kirche zu sehen, dort oben auf dem Fensterbild über der Empore: da ist sie als Himmelskönigin dargestellt, mit dem neugeborenen Jesus auf dem Arm; dabei steht sie auf dem Mond und ist bekleidet mit dem Glanz der Sonne.

Ja, auch wir evangelischen Christen dürfen Maria mit der Himmelskönigin gleichsetzen, die in der Offenbarung des Johannes (Offenbarung 12) so beschrieben wird wie auf diesem Bild. Wir werden sie dann nicht als heilige Mutter Gottes anrufen, aber wir dürfen uns in diesem Bild selber ein wenig wiedererkennen. Diese Maria, wie sie dort dargestellt ist, steht nämlich bildhaft, symbolisch für die ganze Gemeinschaft der Christen, für die Kirche. So wie Maria bereit war, Jesus von Gott zu empfangen und zur Welt zu bringen, so sind alle, die bereit sind, auf Jesus zu hören und seinen Frieden in die Welt zu tragen, schwanger mit seiner Liebe, erfüllt von Gottes Geist. Jesus ist dort oben ganz klein, ein Baby, auf die Fürsorge und Liebe seiner Mutter angewiesen. Und erstaunlicherweise sagt Jesus später als erwachsener Mann, dass er uns immer noch braucht. Im Gleichnis vom Weltgericht sagt er: „Seid für mich da, sorgt für mich, nehmt mich wahr, wo ich euch brauche, wo ich auf eure Barmherzigkeit angewiesen bin.“ Und wer ihn fragt, wo und wie er für Jesus da sein kann, dem sagt er: „Überall, wo Menschen hungern oder allein sind, wo sie krank sind oder gedemütigt werden, da begegnet ihr in Wirklichkeit mir selbst. Da könnt ihr für mich da sein.“ Das Bild da oben über der Empore will uns daran erinnern, dass nicht nur Jesus für uns da ist, sondern wir auch für ihn. Wir, die Kirche, sind verantwortlich für Menschen, die uns brauchen, so wie Maria Verantwortung übernahm für das Jesuskind in ihrem Bauch. Und von dieser Verantwortung handelt das Lied der Maria, das zugleich unser eigenes Loblied als Kirche Jesu Christi sein kann.

Hören wir es noch einmal, Vers für Vers, um es genauer zu verstehen.

46 Meine Seele erhebt den Herrn.

Wie stolz fängt das Lied, der Psalm, der Lobgesang der Maria an! Ich muss an den Psalm 103 denken, wo es heißt: „Lobe den Herrn, meine Seele!“ Dort fordert jemand seine Seele auf, Gott zu loben. Hier erhebt eine Seele Gott, ausdrücklich die Seele einer Frau, und sie drückt das so aus, als ob sie die Macht hätte, Gott groß zu machen, Gott in den Himmel zu heben. Natürlich ist Gott schon im Himmel, natürlich ist Gott schon groß. Aber wenn Maria sich vorstellt, Gottes Sohn im Arm zu haben, dann ist er ja buchstäblich klein. Und wir merken: Gott ist ein Gott, der es nicht nötig hat, immer nur groß zu sein. Und gerade diesen großen Gott, der im kleinen Kind zur Welt kommen will, das sie hochheben und tragen kann, diesen Gott kann sie in seiner wahren Größe erkennen und lobpreisen. Wir als Kirche Jesu dürfen stolz darauf sein, im Jesuskind, im erwachsenen Jesus, in allen Geschwistern Jesu, die uns brauchen, den großen Gott wiedererkennen und von Herzen mit Maria mitbeten zu können: „Meine Seele erhebt den Herrn!“

47 Und mein Geist freut sich Gottes, meines Heilandes;

Nicht nur von ihrer Seele redet Maria, sondern auch von ihrem Geist. Damit ist in der Bibel in der Regel nicht einfach der Verstand, also das Denken im Gegensatz zur Körperlichkeit oder zu den Gefühlen gemeint. Das Wort Geist erinnert an den Lebenshauch, den Gott Adam einhaucht und mit dem Eva genau so belebt war, zumal ihr Name „Leben“ bedeutet. Wer in der Bibel vom Geist redet, denkt immer daran, wie er von Gott mit Lebendigkeit, Denk- und Urteilsvermögen beschenkt ist. Dieser Geist, so betet Maria, ist voll überschwänglicher Freude „über Gott, meinen Heiland“.

Nun kann man lange darüber nachdenken, was es mit diesem Heiland auf sich hat. Als Kind war mir klar: Jesus ist der Heiland. So wie er am Kreuz dargestellt wird, große Schmerzen leidend, stirbt er für unsere Sünden und macht unsere Seele heil. Ich will heute nicht sagen, dass das falsch ist. Es stimmt auch, allerdings bedeutet das Wort „Heiland“ noch mehr. Die Grundbedeutung ist „Befreier“, „Retter“. Und hier nennt Maria nicht Jesus ihren Heiland, sondern den Gott, der ihr das Jesuskind schenkt.

Von einer umfassenden Befreiung, Rettung und Heilung ist hier die Rede, individuell und sozial, gesundheitlich und gesellschaftlich, körperlich und seelisch, geistlich und weltlich. Es ist nicht falsch, Jesus den Heiland zu nennen, aber Jesus selber war sich bewusst, dass er die Kraft zum Heilen, zum Sündenvergeben, zum Befreien aus Zwängen, zum Aufrichten aus Demütigungen nicht aus sich selber, sondern aus dem Vertrauen zu seinem Vater im Himmel hatte. Der ist der eigentliche Heiland, der eine Gott auch für uns Christen, den wir allerdings ohne Jesus nicht so erkennen würden, wie er wirklich ist.

48 Denn er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen.

Wieso lobt Maria Gott dafür, dass er ihre Niedrigkeit, ihre Kleinheit, Schwachheit und Schande ansieht? Ist das nicht peinlich? Muss sie sich nicht schämen? Um so mehr, als Maria sich hier „Magd“ nennt. Als ich mit unseren Konfis diesen Text las, war den meisten dieses Wort unbekannt oder unverständlich. Eine Konfirmandin meinte allerdings: „Ist eine Magd eine Putze?“ Die Richtung mit der Putzfrau stimmt; eigentlich ist „Magd“ das Wort, von dem unser modernes Wort „Mädchen“ herkommt, aber im Sinne von „Dienstmädchen“ oder „Mädchen für alles“. Wörtlich steht im Text das Wort „Sklavin“. Also noch einmal: Müsste es Maria nicht peinlich sein, wenn Gott sie als einfaches Dienstmädchen, als Sklavin ansieht? Das wäre dann der Fall, wenn Gott sie verächtlich anschauen würde, sie auslachen, sie niedermachen würde. Aber genau das tut Gott nicht. Er sieht Maria an, er sieht auch uns als Kirche, als Mitglieder der Gemeinde Jesu, so an, wie Gott damals das Volk Israel in Ägypten angeschaut hatte, als er voller Mitgefühl sah, wie furchtbar die Leiden des Volkes waren und dass sie endlich ein Ende haben sollten. Wenn man genau hinschaut, nennt Maria sich übrigens auch nicht einfach so „Sklavin“, sondern sie sieht sich als „Sklavin Gottes“, als eine Frau, die Gott dienen darf. Und da Gott ein Herr ist, der frei macht, fühlt sie sich keineswegs wie ein Mensch, der unterdrückt wäre und sich dafür schämen muss, sondern sie ist stolz darauf, Gott einen großen Dienst erweisen zu können.

Siehe, von nun an werden mich selig preisen alle Kindeskinder.

So bedeutend, so wichtig ist diese Frau Maria. Sie wird von allen Generationen selig gepriesen, die noch kommen werden. Selbst im Islam glaubt man zwar nicht an Jesus als Gottessohn, aber Maria wird sehr hoch geachtet als die Jungfrau, die den Propheten und Messias Jesus geboren hat.

Passt dieser Satz auch auf uns als Kirche, die für die geringsten Geschwister Jesu verantwortlich ist? Werden auch uns alle Generationen selig preisen? Das werden wir zurückhaltend dem Urteil anderer überlassen müssen.

49 Denn er hat große Dinge an mir getan, der da mächtig ist und dessen Name heilig ist.

Noch einmal betont Maria: „Gott hat mich nicht nur angesehen, er hat auch gehandelt. Großes hat er an mir getan.“ Sie wird ungewollt schwanger, sie akzeptiert, dass ihr Kind ein ganz besonderes, heiliges Kind sein soll, sie nimmt die Aufgabe an, für dieses Kind da zu sein, sie hofft, dass Josef sie nicht verstoßen wird, sie vertraut auf Gottes Hilfe. All das nennt sie „groß“. In all dem spürt sie, dass Gott mit ihr etwas Großes vor hat. Können wir Gott auch so loben? Lassen wir es auch zu, dass Gott Dinge mit uns tut? Vielleicht noch nicht einmal große Dinge, vielleicht kleine Schritte, die er und zeigt und möglich macht?

Hier nennt Maria Gott den Mächtigen; und zugleich sagt sie, dass sein Name heilig ist. Damit erinnert sie an das Alte Testament, wo Gottes Name eine besondere Rolle spielt. Unaussprechlich ist dieser Name, und er bedeutet, dass Gott für uns Menschen nicht verfügbar ist, sein Name kann nicht beschworen werden wie in einem Zauberritual, aber dennoch oder gerade deswegen ist Gott freiwillig für uns da! Er ist eben der Heiland, der uns frei macht von allem, was uns belastet und an einem erfüllten Leben hindert.

An dieser Stelle unterbreche ich die Predigt, und wir singen die ersten beiden Strophen aus dem Lied 308, das der Reformator Erasmus Alber aus Bruchenbrücken bei Friedberg dem Lied der Maria nachgedichtet hat:

1. Mein Seel, o Herr, muss loben dich, du bist mein Heil, des freu ich mich, dass du nicht fragst nach weltlich‘ Pracht und hast mich Arme nicht veracht‘

2. und angesehn mein Niedrigkeit. Des wird von nun an weit und breit mich selig preisen jedermann, weil du groß Ding an mir getan.

3. Du bist auch mächtig, lieber Herr, dein große Macht stirbt nimmermehr; dein Nam ist alles Rühmens wert, drum man dich willig preist und ehrt.

Weiter können wir mit dem Lied der Maria Gott loben und preisen für alles, was er nicht nur ihr, sondern vielen Menschen tut.

50 Und seine Barmherzigkeit währt von Geschlecht zu Geschlecht bei denen, die ihn fürchten.

Gott ist barmherzig durch alle menschlichen Generationen hindurch, das heißt, er verlässt die Menschen auch heute nicht. Aber gibt es da nicht eine Einschränkung im Text? Ist Gott nur bei den Frommen, bei den Gottesfürchtigen? Wichtig ist, dass wir hier gut unterscheiden: Maria spricht in ihrem Psalm davon, dass nur diejenigen Gottes Liebe und Barmherzigkeit erfahren, die in irgendeiner Weise für diese Liebe offen sind, die Gott und seinen barmherzigen Willen respektieren. Das können alle Menschen sein, gleich welcher Religion. Und umgekehrt kann es Menschen geben, die sich für gottesfürchtig halten, aber in ihrem fanatischen Glauben so unbarmherzig denken und handeln, dass sie in Wirklichkeit den barmherzigen Gott absolut nicht fürchten, respektieren oder ernstnehmen.

51 Er übt Gewalt mit seinem Arm und zerstreut, die hoffärtig sind in ihres Herzens Sinn.

Brachialgewalt auszuüben, dafür Gott zu loben, das sind wir nicht gewohnt. Aber Maria tut es. Ihr Sohn wird ein einziges Mal mit seinem Arm die Tische der Geldwechsler im Tempel umstürzen, die Geschäftemacher als Räuber beschimpfen und aus dem Heiligtum herausjagen. In diesem Vers wird deutlich, dass wir, wenn wir uns als Kirche in den Spuren der Maria bewegen wollen, etwas nicht als unüberwindlich oder gar bewundernswert in unserer Welt ansehen sollten, nämlich das, was Martin Luther in seiner Übersetzung „Hoffärtigkeit“ nennt. Wer in seinem Herzen einen hoffärtigen, einen hochfahrenden, einen überheblichen Sinn hat, der mag zwar auf Kosten anderer zu Geld und Einfluss kommen, aber für Gott sind solche Leute wie Weizenspreu im Wind, sie werden zerstreut.

52 Er stößt die Gewaltigen vom Thron und erhebt die Niedrigen.

Maria wird noch deutlicher: Mächtige Herrscher hat Gott bereits von ihren Thronen heruntergeholt, und unbedeutenden Menschen von niedriger Herkunft überträgt er Aufgaben, die gewaltig sind in ihrer Bedeutung. Zum zweiten Mal im Lied Marias kommt hier die „Niedrigkeit“ vor; sie selber fühlt sich ja von Gott erhoben und mit einer großartigen Aufgabe beschenkt. Wenn wir als Kirche manchmal denken, dass unser Einfluss in der Gesellschaft leider nicht mehr so groß ist wie früher, dann sollten wir bedenken: Es geht nicht darum, dass wir uns um jeden Preis mit den Mächtigen eines Staates gut stellen oder möglichst viel Einfluss haben. Wichtig ist, dass wir für das eintreten, was Gott will, egal wie machtlos wir uns dabei fühlen. Und wenn wir ein Vertrauen haben wie Maria, dann werden wir erleben, dass Gott ganz unverhofft Machtverhältnisse ändern kann, so dass Unrechtsstaaten wie die DDR oder das Apartheidsregime in Südafrika keine Chance mehr haben.

53 Die Hungrigen füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen.

Noch konkreter singt Maria davon, was Gott will: Hungrige sollen alles bekommen, was sie brauchen, Reiche sollen zumindest nicht ihren Hals nicht noch voller bekommen, sollen die Armen nicht noch weiter ausbeuten und ärmer machen. Können wir das mit Maria mitsingen? Müssen wir nicht zugeben: In der Welt ist das Gegenteil der Fall? Arme werden immer ärmer, Menschen in vielen Ländern wird von Reichen ihr Land geraubt. Wörtlich singt Maria ihr Lied in der Vergangenheitsform: Er hat das schon gemacht. Er hat dafür gesorgt, dass das Volk Hungersnöte überstehen konnte, er ließ es aber auch zu, dass das Volk, in dem die Ausbeutung der Armen überhand nahm, gedemütigt und in die Verbannung nach Babylon geschickt wurde. Und immer lässt Gott diese Dinge durch Menschen geschehen – manchmal ohne deren Wissen und Willen, oft aber auch dadurch, indem sie auf seinen Willen hören und ihn tun. Im Grunde dürfen wir diesen Vers mit Maria nur dann mitsingen, wenn wir mithelfen, Hungrige sattzumachen.

Noch einmal unterbreche ich die Predigt, und wir singen aus dem Lied 308 die Strophen 4 bis 7:

4. Du bist barmherzig insgemein dem, der dich herzlich fürcht‘ allein, und hilfst dem Armen immerdar, wenn er muss leiden groß Gefahr.

5. Der Menschen Hoffart muss vergehn, mag nicht vor deiner Hand bestehn; wer sich verlässt auf seine Pracht, dem hast du bald ein End gemacht.

6. Du machst zunicht der Menschen Rat, das sind, Herr, deine Wundertat‘; was sie gedenken wider dich, das geht doch allzeit hinter sich.

7. Wer niedrig ist und klein geacht‘, an dem übst du dein göttlich Macht und machst ihn einem Fürsten gleich, die Reichen arm, die Armen reich.

Nun kommen wir zum Ende des Liedes der Maria.

54 Er gedenkt der Barmherzigkeit und hilft seinem Diener Israel auf,

55 wie er geredet hat zu unsern Vätern, Abraham und seinen Kindern in Ewigkeit.

Die letzten beiden Verse in Marias Lied lassen mich noch einmal aufhorchen. Ist dieses Lied wirklich als ein Kirchenlied gedacht? Ist es nicht ein Lied eigentlich nur für das Volk Israel?

Der Satz beginnt im Urtext damit, dass Maria sich und uns bewusst macht: Gott nimmt sich seines Volkes Israel an, um an seine Barmherzigkeit zu erinnern. Das geht so weit, dass sich sogar ihr Sohn Jesus zuerst nur als Retter dieses Volkes begreift! Erst im Lauf der Zeit wird Jesus sich auch öffnen für die Menschen anderer Völker, und so ist es keine Selbstverständlichkeit, dass wir in all die Versprechungen, die Gott seinem Volk gemacht hatte, durch Jesus auch mit hineingenommen worden sind. Auf jeden Fall mahnt uns Maria eindringlich: Was wir von Gott zu erwarten haben, das nimmt er nicht den Juden weg. Gott ist so groß, dass er für Juden und für Christen gleichermaßen da ist. Maria spricht von ihren Vätern, also den Vorfahren der Juden bis hin zu Abraham in der Vergangenheit, aber zugleich spricht sie vom Samen Abrahams, von seiner Nachkommenschaft, die bis in die Ewigkeit reicht. Wenn wir unter den Nachkommen Abrahams auch die verstehen, die wie Abraham auf Gott vertrauen, dann könnte das Lied der Maria vielleicht von noch viel mehr Menschen mitgesungen werden: von allen nämlich, die ihre eigene Religion so verstehen, dass Gott Frieden, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit will und nicht Fanatismus, Unterdrückung und Kriegsterror. In diesem Sinne wünsche ich uns, dass wir offen werden oder bleiben für die Friedensbotschaft des Weihnachtsfestes. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen die letzten Strophen 8 bis 11 aus dem Lied 308:

8. Das tust du, Herr, zu dieser Zeit, gedenkest der Barmherzigkeit; Israel willst du Hilfe tun durch deinen auserwählten Sohn.

9. Wir haben’s nicht verdient um dich, dass du mit uns fährst gnädiglich; zu unsern Vätern ist geschehn ein Wort, das hast du angesehn.

10. Auch Abraham hast du geschworn, dass wir nicht sollten sein verlorn, uns zugesagt das Himmelreich und unsern Kindern ewiglich.

11. Gott Vater und dem ein’gen Sohn, dem Heilgen Geist in einem Thron sei Ehr und Preis von uns bereit‘ von nun an bis in Ewigkeit.

Lasst uns beten.

Du Gott der Gnade, wir bitten dich für den Mann, den wir getauft haben. Begleite Herrn … auf seinem Weg als Christ, als Teil der Gemeinde von Jesus, und behüte ihn und alle, die ihm in Liebe verbunden sind.

Du Gott der Liebe, wir bitten dich für alle, die sich ein Weihnachtsfest ohne Enttäuschungen, Spannungen und Konflikte wünschen. Lass sie Zeit für entspannte Gespräche finden, lass sie Mut gewinnen, auch schwierige Themen anzusprechen, lass Kraft in ihnen wachsen, um einander anzunehmen, wie man ist, und einander zugleich Gutes zuzutrauen.

Du Gott des Friedens, wir bitten dich für alle, die unter dem Hass und dem Terror derer leiden, die aus der Religion eine Waffe gegen andere Menschen machen. Lass uns dem Fanatismus widerstehen, aber auch dem Misstrauen, das jeden, der anders glaubt, automatisch für gefährlich hält.

Du Gott des Trostes, wir bitten dich heute insbesondere für Frau …, die im Alter von … Jahren gestorben ist. Wir haben sie bestattet und dir anvertraut, und wir sind zuversichtlich, dass sie in deiner Gnade, in deiner Liebe, in deinem ewigen Frieden im Himmel gut aufgehoben ist und bleibt. Begleite auch ihre Angehörigen mit deinem Trost; hilf ihnen, alles zu bewältigen, was ihnen auf der Seele liegt und was an ihren Kräften zehrt.

Du Gott, den man in der Stille lobt, lass uns nun noch einmal still werden zu dir und vor dich bringen, was wir persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Zum Schluss singen wir aus dem Adventslied Nr. 11 die Strophen 4 bis 7 – von dem Gott, der mit der Geburt Jesu Christi in unsere Welt und unser Leben kommt, der uns tröstet und uns groß macht, so wie es Maria in ihrem Lied gesungen hat.

4. Ich lag in schweren Banden, du kommst und machst mich los; ich stand in Spott und Schanden, du kommst und machst mich groß und hebst mich hoch zu Ehren und schenkst mir großes Gut, das sich nicht lässt verzehren, wie irdisch Reichtum tut.

5. Nichts, nichts hat dich getrieben zu mir vom Himmelszelt als das geliebte Lieben, damit du alle Welt in ihren tausend Plagen und großen Jammerlast, die kein Mund kann aussagen, so fest umfangen hast.

6. Das schreib dir in dein Herze, du hochbetrübtes Heer, bei denen Gram und Schmerze sich häuft je mehr und mehr; seid unverzagt, ihr habet die Hilfe vor der Tür; der eure Herzen labet und tröstet, steht allhier.

7. Ihr dürft euch nicht bemühen noch sorgen Tag und Nacht, wie ihr ihn wollet ziehen mit eures Armes Macht. Er kommt, er kommt mit Willen, ist voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die ihm an euch bewusst.

Abkündigungen

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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