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Gott liebt mit unendlicher Feindesliebe

Alle stehen mit leeren Händen vor Gott. Alle können sie sich von ihm mit Liebe füllen lassen. Alle – Juden und Heiden. Auch uns, den christlich gewordenen Heiden, redet Paulus ins Gewissen: Erst dann könnt ihr gegenüber Juden ein glaubwürdiges Zeugnis von Jesus ablegen, wenn ihr einseht, dass es unrecht war, 2000 Jahre lang den Juden mit Feindseligkeit zu begegnen.

Geöffnete leere Hände
Alle stehen mit leeren Händen vor Gott (Bild: truthseeker08Pixabay)

#predigtGottesdienst am Sonntag Septuagesimä, den 27. Januar 2002, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ein jüdischer Prophet mit Namen Daniel betet zu Gott (Daniel 9, 18):

Wir liegen vor dir mit unserem Gebet und vertrauen nicht auf unsre Gerechtigkeit, sondern auf deine große Barmherzigkeit.

Diesen Vers hat die evangelische Kirche als Wort zur kommenden Woche ausgewählt.

In jedem Gottesdienst benutzen wir Christen Worte jüdischer Menschen. Heute – genau 57 Jahre nach der Befreiung der Menschen im KZ Auschwitz – denken wir darüber nach: Hat Gott das jüdische Volk verworfen? Sind wir Christen jetzt das einzige Volk Gottes? Oder vertrauen wir Christen gemeinsam mit Juden auf die Barmherzigkeit des gleichen Gottes?

Lied 502, 1-3:

1) Nun preiset alle Gottes Barmherzigkeit! Lob ihn mit Schalle, werteste Christenheit! Er lässt dich freundlich zu sich laden; freue dich, Israel, seiner Gnaden, freue dich, Israel, seiner Gnaden!

2) Der Herr regieret über die ganze Welt; was sich nur rühret, alles zu Fuß ihm fällt; viel tausend Engel um ihn schweben, Psalter und Harfe ihm Ehre geben, Psalter und Harfe ihm Ehre geben.

3) Wohlauf, ihr Heiden, lasset das Trauern sein, zur grünen Weiden stellet euch willig ein; da lässt er uns sein Wort verkünden, machet uns ledig von allen Sünden, machet uns ledig von allen Sünden.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Versammelt sind wir im Namen des Gottes, der auch der Gott der Juden ist. Versammelt sind wir im Namen des Juden Jesus, der zuerst als Messias zu seinem eigenen Volk gesandt war. Versammelt sind wir im Namen des Heiligen Geistes, der am Anfang der Welt auf den Wassern schwebte, der durch den Mund der Propheten Israels redete, der den Sohn Gottes Jesus vollkommen erfüllte. Heiliger Geist – seit Pfingsten auch der Kirche Jesu Christi geschenkt – um Gott in Jesus zu erkennen, um aus Barmherzigkeit zu leben, um von ihm den Frieden zu lernen.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Heute – am 27. Januar – wird der Juden gedacht, die in den Vernichtungslagern starben. Geht uns ihr Leiden etwas an? Wir sind doch Christen? Was haben wir mit den Juden zu tun? Gedenktage rauschen an uns vorbei. Pflichtgemäß wird der Opfer gedacht. Muss das immer noch sein? Schuld sind wir doch nicht.

Aber ich denke nach. Nur sieben Jahre vor meiner Geburt gab es KZs. Fabrikmäßige Ausrottung von Menschen. Nur weil sie Juden waren. Oder auf andere Weise nicht richtig deutsch. Und vorher, genau vor 60 Jahren, wurden getaufte Juden ausgeschlossen aus den evangelischen Kirchen in Deutschland. Waren Juden nicht die enterbten Kinder Gottes und wir Christen das neue, das einzige Gottesvolk?

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg haben wir langsam angefangen, umzulernen. Wir bitten Gott um sein Erbarmen.

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Wir loben Gott mit Worten aus einem alten Lied, das wir mit den Juden gemeinsam haben, Psalm 31:

20 Wie groß ist deine Güte, HERR, die du bewahrt hast denen, die dich fürchten, und erweisest vor den Leuten denen, die auf dich trauen!

21 Du birgst sie in deinem Schutz vor den Rotten der Leute, du deckst sie in der Hütte vor den zänkischen Zungen.

22 Gelobt sei der HERR; denn er hat seine wunderbare Güte mir erwiesen in einer festen Stadt.

23 Ich sprach wohl in meinem Zagen: Ich bin von deinen Augen verstoßen. Doch du hörtest die Stimme meines Flehens, als ich zu dir schrie.

24 Liebet den HERRN, alle seine Heiligen! Die Gläubigen behütet der HERR und vergilt reichlich dem, der Hochmut übt.

25 Seid getrost und unverzagt alle, die ihr des HERRN harret!

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, wir sind Christen und nicht Juden. Aber oft vergessen wir, dass es unsere Religion ohne die Juden gar nicht gäbe. Dass die Propheten und Jesus und die Apostel alle Juden waren. Dass die Bibel, in der Jesus las, die Tora der Juden war.

Lass uns nachdenken über unseren Glauben und stärke uns im Vertrauen auf dich. Schenke uns die Einsicht, dass wir es nicht nötig haben, auf andere Menschen herabzusehen, die nicht unseren Glauben teilen. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Buch Jeremia 18, 1-10:

1 Dies ist das Wort, das geschah vom HERRN zu Jeremia:

2 Mach dich auf und geh hinab in des Töpfers Haus; dort will ich dich meine Worte hören lassen.

3 Und ich ging hinab in des Töpfers Haus, und siehe, er arbeitete eben auf der Scheibe.

4 Und der Topf, den er aus dem Ton machte, missriet ihm unter den Händen. Da machte er einen andern Topf daraus, wie es ihm gefiel.

5 Da geschah des HERRN Wort zu mir:

6 Kann ich nicht ebenso mit euch umgehen, ihr vom Hause Israel, wie dieser Töpfer? spricht der HERR. Siehe, wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid auch ihr vom Hause Israel in meiner Hand.

7 Bald rede ich über ein Volk und Königreich, dass ich es ausreißen, einreißen und zerstören will;

8 wenn es sich aber bekehrt von seiner Bosheit, gegen die ich rede, so reut mich auch das Unheil, das ich ihm gedachte zu tun.

9 Und bald rede ich über ein Volk und Königreich, dass ich es bauen und pflanzen will;

10 wenn es aber tut, was mir missfällt, dass es meiner Stimme nicht gehorcht, so reut mich auch das Gute, das ich ihm verheißen hatte zu tun.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir bekennen gemeinsam unseren Glauben als christliche Gemeinde:
Glaubensbekenntnis
Lied 299, 1+2+5:

1) Aus tiefer Not schrei ich zu dir, Herr Gott, erhör mein Rufen. Dein gnädig‘ Ohren kehr zu mir und meiner Bitt sie öffne; denn so du willst das sehen an, was Sünd und Unrecht ist getan, wer kann, Herr, vor dir bleiben?

2) Bei dir gilt nichts denn Gnad und Gunst, die Sünde zu vergeben; es ist doch unser Tun umsonst auch in dem besten Leben. Vor dir niemand sich rühmen kann, des muss dich fürchten jedermann und deiner Gnade leben.

5) Ob bei uns ist der Sünden viel, bei Gott ist viel mehr Gnade; sein Hand zu helfen hat kein Ziel, wie groß auch sei der Schade. Er ist allein der gute Hirt, der Israel erlösen wird aus seinen Sünden allen.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde! Vorhin dieser Text – von Gott, der wie ein Töpfer ist, und wir sind in seiner Hand wie Gefäße aus Ton, und er kann uns zusammenschmeißen und neu formen, wie er will – ist das nicht furchtbar? Kann man da nicht Angst bekommen vor Gott? Bestätigt dieser Text nicht alle Vorurteile der Zweifler und Atheisten – Gott ist ein Tyrann, Gott ist ungerecht!?

Paulus kennt diese Vorwürfe an die Adresse von Gott. Er ist ja ein Jude und fragt sich selbst: Kann Gott die Juden verstoßen haben, dieses ganze Volk, das einmal von ihm auserwählt war? Das wäre wirklich die totale Willkür: Erst sagt er: „Ich bin euer Gott“ – und dann: „Weg mit euch!“ Wie der Töpfer auf der Töpferscheibe – der Topf ist misslungen: „Weg mit dem Matsch – mach ich mir eben einen neuen!“

Mit diesen Gedanken setzt sich Paulus auseinander. Und zwar im Predigttext für heute aus dem Brief an die Römer 9, 14-24. Herr Stomps liest die Worte des Paulus, ich lege sie Vers für Vers aus.

14 Ist denn Gott ungerecht? Das sei ferne!

15 Denn er spricht zu Mose: »Wem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig; und wessen ich mich erbarme, dessen erbarme ich mich.«

Paulus kennt den Vorwurf: „Gott ist ungerecht! Er bevorzugt und benachteiligt. Die Bösen leben oft in Saus und Braus und wer es überhaupt nicht verdient hat, wird mit Krankheit und Leid gestraft.“

Dennoch behauptet Paulus: Keineswegs handelt Gott ungerecht. Aber seine Begründung ist auf den ersten Blick nicht einleuchtend. „Ich schenke Erbarmen, wem ich will. Ich erweise Gnade, wem ich will.“ Klingt das nicht nach totaler Willkür? Wie er gerade Lust hat, wählt er den einen Menschen als seinen Liebling und der andere geht verloren. Das kann doch nicht so gemeint sein – sonst wäre Gott in der Tat ein ungerechter, willkürlicher Tyrann.

Im nächsten Satz wird klarer, was Paulus meint:

16 So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen.

Er will gar nicht sagen, dass Gott willkürlich auswählt. Er stellt in Frage, wie wir uns Gerechtigkeit normalerweise vorstellen. Was ist denn in unseren Augen gerecht? Wer viel leistet, der kriegt auch viel zurück. Wer viel arbeitet, kriegt seinen gerechten Lohn und nicht weniger. Wer nichts zustandebringt, leer aus. „Der Schwächste fliegt“, um es mit dem Titel einer Rateshow zu sagen, die inzwischen selber aus dem Programm geflogen ist, weil die Einschaltquoten zu niedrig waren. Paulus sagt klipp und klar: Bei Gott hat auch der Schwächste eine Chance. Und der Starke, Leistungsfähige wird nicht besser behandelt. Bei Gott zählt die Liebe.

Anhand eines Beispiels wird Paulus noch deutlicher:

17 Denn die Schrift sagt zum Pharao: »Eben dazu habe ich dich erweckt, damit ich an dir meine Macht erweise und damit mein Name auf der ganzen Erde verkündigt werde.«

18 So erbarmt er sich nun, wessen er will, und verstockt, wen er will.

Der Pharao war für die Juden der Inbegriff eines Diktators, einer von vielen Unterdrückern, unter denen das Volk Israel in vielen Jahrhunderten immer wieder leiden musste: angefangen von den Ägyptern über die Assyrer, Babylonier und Römer bis hin zu Hitler und Stalin und zu den Terroristen, die den neu aufgebauten Staat Israel heute wieder auslöschen wollen. Pharao ist der Inbegriff des Machtmenschen, der auf Gewalt und äußere Stärke vertraut.

Mit der Macht dieser brutalstmöglichen Weltmächte hat die Macht Gottes nichts zu tun. Gott ist kein Unterdrückergott. Aber Paulus ist überzeugt, dass Gott auf seine Weise mächtiger ist als Terroristen und Diktatoren. In seinen Augen benutzt Gott den Pharao wie eine Spielfigur auf dem Schachbrett der Welt. Obwohl er sich so mächtig vorkommt, geht es am Ende ganz anders aus: Er geht mit seinem starken Heer in den Fluten des Roten Meeres unter, und die gedemütigten und waffenlosen Israeliten gelangen in die Freiheit. „Eben dazu habe ich dich bestimmt“, sagt Gott zu Pharao, „dass ich an dir meine Macht zeige und dass auf der ganzen Erde mein Name verkündet wird.“ In der Tat ist heute diese Geschichte überall auf der Welt bekannt, in der Bibel der Juden und der Christen steht sie, die Geschichte vom Auszug der Kinder Israels aus der Knechtschaft in Ägypten.

Es sieht nur so aus, als ob auch Gott willkürlich handelt. Ja, er erbarmt sich, wessen er will, und macht verstockt, wen er will, doch er hat einen gerechten Willen: Gott will nicht, dass Willkür und Gewalt das letzte Wort haben!

Trotzdem bleibt ein Unbehagen bei dem Gedanken, dass Gott selber den Pharao verstockt macht, so dass der gar nicht anders kann, als in Gottes Plan seine bestimmte Rolle zu spielen. Paulus weiß um dieses Problem.

19 Nun sagst du zu mir: Warum beschuldigt er uns dann noch? Wer kann seinem Willen widerstehen?

Jahrhundertelang hat man sich darüber gestritten, ob die Menschen einen freien Willen haben oder nicht.

Die einen sagen: Wir können uns frei für das Gute oder das Böse entscheiden – unsere Erlösung hängt dann auch mit von uns selbst ab und nicht nur von der Gnade Gottes. Die anderen sagen: Nein, wir sind unrettbar gefangen in der Sünde, wenn uns Gott nicht vergibt. Nur durch seine Gnade können wir überhaupt Gutes tun. Aber wenn unser Wille nicht frei genug ist, um von selber das Gute zu tun, kann Gott uns dann überhaupt für irgendetwas die Schuld geben? Dann können wir ja nichts für unsere Taten!

Manche Theologen haben sogar gesagt, dass das Schicksal der Menschen genau vorherbestimmt ist: Die einen zur ewigen Seligkeit im Himmel – die anderen zur ewigen Verdammnis in der Hölle. Wo bleibt da die Gerechtigkeit? Wenn das so stimmt, was kann der zur Verdammnis bestimmte Mensch denn dafür, dass Gott das so wollte? Ist Gott also doch ungerecht?

An dieser Stelle fällt dem Paulus das alte Bild ein, mit dem die Propheten Jesaja und Jeremia von Gottes Allmacht gesprochen haben – Gott als Töpfer, der die Menschen aus einem Klumpen Lehm auf seiner Töpferscheibe formt:

20 Ja, lieber Mensch, wer bist du denn, dass du mit Gott rechten willst? Spricht auch ein Werk zu seinem Meister: Warum machst du mich so?

21 Hat nicht ein Töpfer Macht über den Ton, aus demselben Klumpen ein Gefäß zu ehrenvollem und ein anderes zu nicht ehrenvollem Gebrauch zu machen?

Man stelle sich vor: Plötzlich würden die Gegenstände im Haushalt anfangen zu reden und zu meckern: „Warum bist du ein Becher für den schönen Wein und du ein Römertopf für den leckeren Braten und ich bloß ein Aschenbecher oder ein Nachttopf?!“ Nein, was ein Handwerker herstellt, kann sich nicht gegen ihn wehren. Der Töpfer macht aus demselben Klumpen Ton ganz verschiedene Gefäße.

Aber kann man dieses Bild einfach auf den Menschen übertragen? Im 4. Buch Esra, das einige Jahre nach dem Römerbrief geschrieben, aber nicht in unsere Bibel aufgenommen wurde, sagt ein Engel: Nicht jeder Same, den ein Bauer aussät, geht auf, nicht alles Gepflanzte schlägt Wurzel. Genau so ist es mit den Menschen, „die in der Welt gesät sind“. Sie werden „nicht alle bewahrt bleiben“ (4. Esra 8, 41). Diesem Engel hält Esra die Frage entgegen: „Das Menschenkind, das durch deine Hände gebildet, das dein Ebenbild genannt ist, weil es dir gleich geschaffen ist, um dessentwillen du alles geschaffen hast, das hast du dem Samen des Landmanns gleichgestellt?“ (4. Esra 8, 43f.)

Sagt nicht Jesus, dass Gott die Sonne scheinen lässt über Gerechte und Ungerechte, dass wir ihm noch weit mehr bedeuten als Blumen und Vögel? Will Gott nicht, dass allen Menschen geholfen wird? Kann Gott uns dann in einen Topf werfen mit Töpfen und Saatgut?

Ich denke, wir müssen klar unterscheiden: Gott könnte uns so behandeln wie der Bauer oder der Töpfer; er hat die Macht dazu; aber er tut es nicht wirklich. Schon die Propheten der jüdischen Bibel wussten von Gottes Barmherzigkeit, und spätestens Jesus stellt eindeutig klar: Es gibt kein Geschöpf, das Gott nicht liebt, es gibt keinen Menschen, für den Jesus nicht in den Tod gegangen ist, es gibt keinen Feind, den Jesus nicht zu lieben bereit wäre. Also kann es in Jesu Augen gar keine Menschen geben, die nur dazu geschaffen sind, um vernichtet zu werden.

Auch die Vorstellung, dass Gott einige Geschöpfe unabsichtlich misslingen, passt nicht zum Gott der Bibel. Die Schöpfungsgeschichte betont: Gott produziert keinen Schrott (1. Buch Mose – Genesis 1, 31):

Gott sah an alles, was er gemacht hatte, und siehe, es war sehr gut.

Trotzdem spricht Paulus von Gefäßen des Zorns, die zur Vernichtung bestimmt sind. Er kann damit nicht Menschen meinen, die Gott von vornherein dazu geschaffen hat, um vernichtet zu werden. Er meint Menschen, die als Ebenbilder Gottes mit der Freiheit geschaffen sind, sich trotzdem von Gott loszusagen, die sich gegen Recht, Liebe und Barmherzigkeit auflehnen können. Sie wollen ohne Gott leben, obwohl sie von ihm den Lebensatem haben. Sie könnten ohne ihn keine Sekunde leben und sind zur Vernichtung bestimmt, indem sie sich selbst von dem lösen, was sie leben lässt.

Achten wir einmal genau darauf, wie Paulus von den Gefäßen spricht, die zur Vernichtung bestimmt sind:

22 Da Gott seinen Zorn erzeigen und seine Macht kundtun wollte, hat er mit großer Geduld ertragen die Gefäße des Zorns, die zum Verderben bestimmt waren.

Paulus verkündet hier keine ausweglose Vorherbestimmungstheorie, sondern die Feindesliebe Gottes. Gott erträgt Spötter, Gottlose und Atheisten mit unendlicher Geduld. Natürlich kommt es vor, dass Menschen ins eigene Unglück rennen, dass der Pharao sich sein eigenes Grab in den Fluten des Roten Meeres schaufelt. Von sich aus hat Gott unvorstellbar viel Geduld sogar mit Menschen, die wir als missraten ansehen. Vielleicht deshalb, weil er selber am besten weiß, dass sie eigentlich nicht missraten sind. Er hat sie ja gut geschaffen. Ganz verschieden, mit großen oder kleinen Gaben, aber niemanden ohne seinen unendlich großen Wert als Menschenkind. Darum die Langmut Gottes mit denen, die seinen Zorn herausfordern und die er nicht aufgibt, um die er ringt, die er für sich gewinnen will.

Es ist sehr schwierig, diese Sätze aus dem Griechischen zu übersetzen. Anscheinend kann auch Paulus nur stammelnd davon reden, wer zum Verderben oder zum Leben bestimmt ist. Darum spricht er kein letztes Urteil über fremde Menschen, sondern er konzentriert sich auf das, was Gott mit ihm selber, mit uns selber, vorhat. Die anderen, die Feinde Gottes, erträgt er nur aus einem Grund mit großer Geduld, nämlich…

23 damit er den Reichtum seiner Herrlichkeit kundtue an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er zuvor bereitet hatte zur Herrlichkeit.

24 Dazu hat er uns berufen, nicht allein aus den Juden, sondern auch aus den Heiden.

Ich kann das nur so lesen: Alle Menschen können Gefäße von Gottes Erbarmen sein. Alle stehen mit leeren Händen, schwach im Glauben, arm an Geist, vor Gott, alle können sich von ihm mit Liebe füllen lassen. Alle – Juden und Heiden. Paulus schreibt den Juden ins Stammbuch: Bildet euch nichts auf eure Erwählung durch Gott ein. Durch Jesus will Gott alle Menschen retten, auch die bisher gottlosen Heiden. Aber auch uns, den christlich gewordenen Heiden, redet Paulus ins Gewissen: Bildet euch nicht ein, dass ihr den Juden überlegen seid. Auch ihr lebt nur aus Gottes Erbarmen. Erst dann könnt ihr gegenüber Juden ein glaubwürdiges Zeugnis von Jesus ablegen, wenn ihr einseht, dass es unrecht war, 2000 Jahre lang den Juden mit Feindseligkeit und Gewalt zu begegnen. Jesus ist und bleibt Stein des Anstoßes für Juden und für Christen – denn Jesus erlaubt uns nicht, uns für besser zu halten als andere Menschen. Er hält uns Gottes Barmherzigkeit vor Augen, liebt uns mit unendlicher Feindesliebe und erwartet von uns, dass wir hinsehen, wo Unrecht geschieht – auch wo wir selber Unrecht tun oder zulassen.

Das meint Paulus: Wir sind nicht verloren, wenn wir Gottes Barmherzigkeit annehmen, die allen Menschen gilt und so auch uns. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen das Lied 613, es wurde gedichtet von Schalom Ben-Chorin, der in Deutschland geboren war und 1935 nach Israel auswandern musste. Nach dem Krieg setzte er sich unermüdlich für Versöhnung ein: zwischen Juden und Palästinensern, zwischen Christen und Juden. Der Mandelbaum vor seinem Haus in Jerusalem war ihm selbst „in den düsteren Jahren des Zweiten Weltkrieges und der beispiellosen Verfolgungen” – wie es in seinem Gedicht heißt – „Zeichen für des Lebens Sieg”.

Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt

Lasst uns beten!

Ewiger Gott, wir beten für das Volk der Juden, das du zuerst berufen und als Zeugen deiner Liebe erwählt hast. Du hast Abraham und Sara deinen Segen zugesagt und wolltest durch ihre Nachkommen alle Menschen segnen. Du hast durch Mose deinen Willen dem Volk Israel mitgeteilt, und auch wir haben ihn kennengelernt durch die Überlieferung der Juden. Du hast Jesus Christus inmitten dieses Volkes Mensch werden lassen. Erhalte Israel deine Treue und gib uns Anteil an deiner Liebe durch Christus, unseren Herrn.

Wir gedenken heute der Opfer des Nationalsozialismus. Wir erinnern uns, dass auch die Kirche nicht mutig dem Terror widerstand. Wir erinnern uns, dass nur wenige Christen aufschrieen, als ihre Mitmenschen grausam ermordet wurden. Gott der Schwachen, lass das Gedenken an die Opfer nicht verstummen. Tröste die, die untröstlich sind, und stärke die Überlebenden.

Schenke deinen Geist der Kraft der Liebe und der Besonnenheit, dass wir Brücken bauen über Gräben hinweg, dass wir wahrhaftig sind gegenüber anderen und uns selbst, dass wir uns mutig dem Geist des Hasses und der Gewalt in den Weg stellen.

Schenke uns selbst dein Erbarmen, dass wir spüren: Du gibst uns nicht verloren, auch wenn wir uns verloren vorkommen, du erfüllst uns mit deiner Liebe, auch wenn wir zu wenig Liebe erfahren haben, du lässt in uns Vertrauen wachsen, auch wenn wir ängstlich und misstrauisch sind.

Was wir außerdem auf dem Herzen haben, bringen wir in der Stille vor dich, unser Gott.

Stille und Vater unser
Lied 372, 1+4+6:

1) Was Gott tut, das ist wohlgetan, es bleibt gerecht sein Wille; wie er fängt seine Sachen an, will ich ihm halten stille. Er ist mein Gott, der in der Not mich wohl weiß zu erhalten; drum lass ich ihn nur walten.

4) Was Gott tut, das ist wohlgetan, er ist mein Licht und Leben, der mir nichts Böses gönnen kann; ich will mich ihm ergeben in Freud und Leid, es kommt die Zeit, da öffentlich erscheinet, wie treulich er es meinet.

6) Was Gott tut, das ist wohlgetan, dabei will ich verbleiben. Es mag mich auf die rauhe Bahn Not, Tod und Elend treiben, so wird Gott mich ganz väterlich in seinen Armen halten; drum lass ich ihn nur walten.

Abkündigungen

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

Musik zum Ausgang – Katrin Emde: Schaff’s mit mir, Gott, nach deinem Willen

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