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Schweres Gepäck hinter sich lassen

Trauerfeier für einen Mann, dem seine Kinder die letzte Ehre erweisen. Ich gehe darauf ein, wie biblische Texte dabei helfen können, mit sehr widersprüchlichen und schwer auszuhaltenden Gefühlen umzugehen.

Schweres Gepäck hinter sich lassen: Drei schwere alte Koffer, aufeinander gestapelt
Bedrückende Gefühle können auf der Seele lasten wie schweres Gepäck (Bild: Dean MoriartyPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauerfamilie, Sie sind hier versammelt, um Herrn Q. die letzte Ehre zu erweisen, der im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist.

Ich gehe, wie Sie es gewünscht haben, nicht auf Einzelheiten seines Lebenslaufes ein. Eine Bilanz über unser Leben kann sowieso nur einer ziehen, nämlich Gott, der uns unser Leben geschenkt hat und vor dem wir uns, wenn wir gestorben sind, für alles verantworten müssen, was wir getan oder unterlassen haben.

In der Bibel heißt es (1. Samuel 16, 7):

Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an.

Diesem Gott, der das Herz des nun Verstorbenen von Kindheit an kannte, vertrauen wir ihn in seinem Tode an.

Gott ist gerecht und barmherzig. Er misst uns im Jüngsten Gericht daran, mit welcher Liebe wir einander in diesem Leben begegnen. Er weiß besser, als ein Mensch es wissen kann, was wir erfahren und wonach wir uns sehnen, was uns geschenkt ist und was wir entbehren. Er weiß, vor welche Herausforderungen er uns stellt und ob wir sie bewältigen oder an ihnen scheitern.

Davon, dass Gott unsere Herzen kennt und prüft, auf welchem Wege wir sind, handelt ein Gebet der Bibel, das ich mit Ihnen beten möchte, der Psalm 139 (eckig eingeklammerte Versteile in eigener Übertragung):

1 HERR, du erforschest mich und kennest mich.

2 Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es; du verstehst meine Gedanken von ferne.

3 Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege.

4 Denn siehe, es ist kein Wort auf meiner Zunge, das du, HERR, nicht schon wüsstest.

5 Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.

6 Diese Erkenntnis ist mir zu wunderbar und zu hoch, ich kann sie nicht begreifen.

7 Wohin soll ich gehen vor deinem Geist, und wohin soll ich fliehen vor deinem Angesicht?

8 Führe ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mich bei den Toten, siehe, so bist du auch da.

9 Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer,

10 so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten.

11 Spräche ich: Finsternis möge mich decken und Nacht statt Licht um mich sein -,

12 so wäre auch Finsternis nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtete wie der Tag. Finsternis ist wie das Licht.

13 Denn du hast [mein Inneres] bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe.

14 Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin; wunderbar sind deine Werke; das erkennt meine Seele.

15 Es war dir mein Gebein nicht verborgen, als ich im Verborgenen gemacht wurde, als ich gebildet wurde unten in der Erde.

16 Deine Augen sahen mich, als ich noch nicht bereitet war, und alle Tage waren in dein Buch geschrieben, die noch werden sollten und von denen keiner da war.

17 Aber wie schwer sind für mich, Gott, deine Gedanken!

18 Wollte ich sie zählen, so wären sie mehr als der Sand: Am Ende bin ich noch immer bei dir.

19 Ach Gott, [wie oft habe ich mir den Tod der Gewalttäter gewünscht!]

20 Sie reden[, als gäbe es dich nicht, und erheben sich gegen dich] mit frechem Mut.

21 [Sollte ich sie nicht hassen dürfen, die das Geschenk deiner Liebe mit Füßen treten?]

22 Ich hasse sie mit ganzem Ernst; sie sind mir zu Feinden geworden.

23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich‘s meine.

24 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Liebe Gemeinde, wir halten eine Trauerfeier, in der wir zwei Dinge tun:

Erstens nehmen wir Abschied von Herrn Q. Wir tun unsere Christenpflicht für ihn, der ein ein Anrecht auf ein würdiges Begräbnis hat. Sie sind seine Kinder; ihm verdanken Sie ihr Leben, und Sie sind so erzogen worden, dass Sie wissen, was gut und recht ist.

Zweitens können wir diese Trauerfeier nutzen, um über uns selber nachzudenken. Jede Trauerfeier konfrontiert uns damit, dass unser Leben begrenzt ist, und mit der Frage, welchen Sinn unser Leben hat. Im 90, 12 heißt es:

Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.

Kurz und kostbar ist unser Leben; Gott hat es uns geschenkt, damit wir Liebe, die wir empfangen, weitergeben; und manchmal auch mehr Liebe geben, als wir selber bekommen haben.

Dass es im Leben nicht immer schön und friedlich zugeht, wissen wir; auch im Psalm der Bibel, den wir gehört haben, stand das Gottvertrauen neben der Klage über Menschen, die Gottes Liebe mit Füßen treten; die Bibel nimmt ernst, dass Menschen uns sogar zu Feinden werden können, denen wir mit Hass begegnen.

Aber solche Gefühle bleiben in der Bibel nicht das Letzte. Wenn Jesus dazu aufruft (Lukas 6, 27):

Liebt eure Feinde

– dann nimmt er sehr ernst, dass wir oft genug tatsächlich Grund zum Hass haben. Aber er ist überzeugt: Wir müssen uns nicht von Hass und Wut beherrschen lassen. Wir können solche Gefühle loslassen und können zu einer Haltung finden, die der Apostel Paulus so beschrieben hat (Römer 12, 17):

Vergeltet niemand Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.

Oft genug liegen unter starken Gefühlen der Abwehr und des Hasses heimliche Gefühle der Liebe verborgen, die man sich aber nicht eingestehen mag. Wenn ich sie zuließe, würde ich dann nicht gutheißen, was mir angetan wurde, was nicht gut war? Aber Liebe kann da sein, und diese Liebe ist und bleibt etwas Gutes und Kostbares, selbst wenn sie nicht erwidert wird.

Die Feindesliebe Jesu ist jedenfalls keine Haltung, die zudeckt und beschönigt, was nicht gut war, sondern sie nimmt ernst, dass jeder Mensch gut geschaffen ist nach dem Ebenbild der Liebe Gottes, und dass jeder Mensch sich die Zumutung gefallen lassen muss, darauf angesprochen zu werden: Dir ist viel geschenkt, zuerst dein Leben, aus dem du etwas machen kannst. Es mag sein, dass du Enttäuschungen erlebst, dass du Böses erfährst; aber du selber entscheidest, ob du auf Böses mit Bösem oder mit Gutem antwortest, ob du vielleicht sogar das, was dir angetan wurde, an anderen abreagierst, die nichts dafür können.

Im Psalm 139 stellt sich einer die entscheidende Frage, die auch uns in unserem Leben leiten kann: Auf welchem Weg will ich selber gehen?

23 Erforsche mich, Gott, und erkenne mein Herz; prüfe mich und erkenne, wie ich‘s meine.

24 Und sieh, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.

Darauf kommt es an.

Wenn wir das bedenken, dann ist diese Trauerfeier ein Anlass zum Traurigsein und zum Dankbarsein.

Traurig kann man sein über schöne Stunden, die man miteinander erlebt hat und die nun vorbei sind.

Traurig kann man auch sein in der Erinnerung an verpasste schöne Stunden und schlimme Erfahrungen, die immer noch weh tun.

Traurig ist es, wenn Sehnsucht nach Liebe nicht erfüllt und Liebe nicht erwidert wurde.

Ein Weg der Trauer kann schwieriger sein, wenn man etwas betrauern und loslassen muss, was man nie wirklich hatte.

Viele Gefühle gehen da in uns durcheinander, und es ist gut, sich darüber mit vertrauten Menschen austauschen zu können.

Dankbar sein können Sie für Ihre Gemeinschaft als Geschwister, dass Sie immer zusammengehalten haben und auch in Zukunft einander beistehen werden. Dankbar sein können Sie für die Wege, die Sie für Ihr eigenes Leben gewählt haben: Wege eines vertrauensvollen Familienlebens, Wege der Übernahme von Verantwortung für sich selber und andere, Wege, auf denen Sie Liebe von anderen spüren und anderen Liebe weitergeben.

Dankbar sind Sie auch Ihrem Vater, denn ohne ihn stünden Sie nicht hier. Heute lassen Sie ihn endgültig los, indem Sie ihm die letzte Ehre erweisen und ihn der Gnade des barmherzigen Gottes überlassen.

Sie sind frei, Ihr eigenes Leben zu führen und im gegenseitigen Einstehen füreinander alles zu bewältigen, was Ihnen auf der Seele liegt und was Sie belastet. Loslassen heißt auch: Sie dürfen einen zu schweren Koffer, den Sie lange mit durchs Leben schleppen mussten, einfach stehen lassen, hinter sich lassen.

Im Vertrauen auf Gottes Liebe dürfen wir mit leichtem Gepäck durchs Leben gehen. So fällt es uns dann auch leichter, einander unsere schweren Lasten tragen zu helfen. Amen.

Gnädiger Gott, im Leben und im Tod stehen wir in Deiner Hand. Du schenkst uns Liebe, aber auch Freiheit, und wir sind verstrickt in eine Geschichte, in der Menschen in dieser Freiheit als liebevolle Menschen leben oder auch an dieser Freiheit scheitern.

Vergib uns unser Versagen, hilf uns, dass wir selber vergeben können, um auch die Last des Nachtragens loslassen zu können.

Nimm Herrn Q. in seinem Tode in dein Erbarmen auf. Du kennst ihn besser als wir ihn kennen. Du überblickst sein Leben mit allem, was er von Kindheit an bis ins hohe Alter erfahren hat. Du kennst seine Einstellungen, die er sich aufgebaut und an denen er festgehalten hat, du weißt, welche Wege er gegangen ist und wohin sie ihn geführt haben. Vater im Himmel, wo wir am Ende sind, weißt du noch Wege. Heile, was hier auf Erden nicht geheilt werden konnte.

Guter Gott, mach uns stark, um für die Menschen, die uns anvertraut sind, in Liebe da zu sein. Starker Gott, lass uns einsehen, dass wir nicht allmächtig und nicht immer stark sind, und mach uns fähig, Hilfe zu suchen und anzunehmen, wenn wir am Ende sind.

Barmherziger Gott, gib uns den Mut, zu ändern, was wir ändern können. Gib uns die Kraft zu ertragen, was nicht zu ändern ist. Und gib uns die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden. Amen.

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2 Kommentare zu „Schweres Gepäck hinter sich lassen“

  1. Danke.
    Das ging mir nahe und hat mir sehr geholfen.

  2. Eine sehr bewegende, achtsame und die Angehörigen psychisch aufbauende Trauerrede. Vor allem berührt mich die Hoffnung, dass Gott heilt, was hier auf Erden nicht geheilt werden konnte. Das Bild mit den schwerer Koffern ist gut gewählt. Beim Lesen spürte ich, dsss es möglich und auch von der Schöpfung so vorgesehen ist, dass wir die alten schweren Lasten ablegen o. stehen lassen, abgeben an Gott, damit wir uns um die eigenen kümmern und auch anderen Menschen helfen können ihre Lasten zu erleichtern. Ihre Rede bereitet den Boden dafür, dass die Angehörigen inneren Frieden finden und in der Lage sind mit belastenden Erinnerungen weitgehend abzuschließen bzw. negative Emotionen zu verarbeiten.

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