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Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit

Freiheit und Gleichheit sind die Folge der Brüderlichkeit Gottes. Wir sind dazu berufen, Gottes Kinder zu sein, als dessen Ebenbild wir geschaffen sind. Frei von der Macht der Sünde, brauchen wir uns nicht um jeden Preis gegen den Nächsten zu behaupten. Weil Gott sich uns gleich macht, stellen wir verblüfft fest, dass wir vor ihm alle gleich bedürftig sind.

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Das Motto der Französischen Revolution an einem Gebäude in Avignon: „Liberté, Égalité. Fraternité“ (Bild: falcoPixabay)
Ein Abendmahl am Tisch am Gründonnerstag, 28. März 2002, um 19.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen, gestaltet von Pfarrer Helmut Schütz

Guten Abend, liebe Gemeinde!

Ich begrüße Sie und Euch herzlich zum traditionellen Tischabendmahl am Gründonnerstag in der Pauluskirche! Das ist immer ein etwas anderes Kirchengefühl an diesem Abend – man sitzt nicht in den Bänken, es schauen nicht alle nach vorne, nach der Abendmahlsfeier kann man sich an Grüner Soße satt essen, es gibt Tischgespräche. Auch die Musik ist etwas anders. In den letzten Jahren hatten wir einen Klavierspieler gehabt, heute begleite ich den Gesang mit der Gitarre.

Vor der Mahlzeit und den Tischgesprächen feiern wir Gottesdienst in dieser Runde. Wir feiern Gottesdienst, weil Gott in unserer Mitte ist, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist. Amen.

Das Thema dieser Feier lautet: „Jesus wurde in allem uns gleich“. In Jesus wird Gott unser Bruder und setzt sich mit Schwestern und Brüdern an einen Tisch.

Wir singen das Lied 221:

Das sollt ihr, Jesu Jünger, nie vergessen: wir sind, die wir von einem Brote essen, aus einem Kelche trinken, Jesu Glieder, Schwestern und Brüder.

Wenn wir in Frieden beieinander wohnten, Gebeugte stärkten und die Schwachen schonten, dann würden wir den letzten heilgen Willen des Herrn erfüllen.

Ach dazu müsse deine Lieb uns dringen! Du wollest, Herr, dies große Werk vollbringen, dass unter einem Hirten eine Herde aus allen werde.

Lasst uns hören auf Worte des Psalms 133:

1 Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!

2 Es ist wie das feine Salböl auf dem Haupte Aarons, das herabfließt in seinen Bart, das herabfließt zum Saum seines Kleides,

3 wie der Tau, der vom Hermon herabfällt auf die Berge Zions! Denn dort verheißt der HERR den Segen und Leben bis in Ewigkeit.

So singt ein Psalm Davids das Lob der Brüderlichkeit. Wenn Geschwister sich vertragen, dann ist das so wertvoll wie der Tau, der die Erde auf den trockenen Hügeln der Stadt Jerusalem fruchtbar macht, so wertvoll wie die höchste Ehrung, die einem angesehenen Mann wie Aaron entgegengebracht wird, wertvoll wie ein Oscar oder ein Grimme-Preis für einen Medienstar.

Allerdings trägt die Brüderlichkeit nicht erst seit den Zeiten der Französischen Revolution ein zwiespältiges Gesicht. Immer wieder ist Kain eifersüchtig auf den Bruder Abel und bringt ihn am Ende um. Immer wieder rivalisieren Jakob und Esau um das Erbe des Vaters und brauchen Jahrzehnte bis zur Versöhnung, wenn es überhaupt dazu kommt. Immer wieder werfen die Brüder Josefs das Lieblingskind ihres Vaters in den Brunnen, um ihn loszuwerden, und merken nicht, dass sie dem Schatten und der Gnade des Bruders ihr Leben lang ausgeliefert bleiben. Immer wieder streben Menschen nach der Brüderlichkeit zwischen Menschen verschiedener Herkunft und verschiedenen Glaubens, aber immer wieder heißt es auch: „Und willst du nicht mein Bruder sein, so schlag ich dir den Schädel ein!“ Brüderliche, geschwisterliche Eintracht, warum gelingt sie so selten?

Die Bibel sagt: weil die Menschen das Vertrauen zum Vater im Himmel, zum Schöpfer verloren haben. Kain denkt in seiner Eifersucht, dass Gott seinen Bruder bevorzugt. Im Grunde will er Gott töten, indem er seinen Bruder tötet.

Kommt es daher, dass in den letzten Jahrzehnten der „Große Bruder“ ein so beherrschendes Bild wurde? George Orwell prägte in seinem Roman 1984 das Wort „Big Brother is watching you“ für den alles überwachenden Staat, vor dem man sich nicht verstecken, den man nur fürchten konnte. Umgekehrt gab es auch die Sehnsucht nach dem „Großen Bruder“, als man sich vor zwei Jahren in den „Big Brother“-Container sperren ließ. Aber die Sehnsucht nach Brüderlichkeit konnte offenbar auch so nicht gestillt werden. Big Brother – eine Mischung aus dem totalen Überwacher, der einem keine Privatsphäre mehr lässt, und dem Großen Bruder, der einem als guter Kumpel nichts zu sagen hat, sorgte nur vorübergehend für Unterhaltung. Dann ereilte auch „Big Brother“ das Schicksal Abels in der Medienlandschaft – mangels Quote ist das Programm gestorben.

Aber wie könnte brüderliche Eintracht gelingen? Wieder gibt die Bibel eine klare Antwort. Sie verweist auf einen anderen Großen Bruder, nämlich Jesus. Der Brief an die Hebräer 2, 17 sagt:

„[Jesus] musste … in allem seinen Brüdern gleich werden.“

Singen wir von diesem Bruder Jesus aus dem Lied 405 die Strophen 1 und 2:

Halt im Gedächtnis Jesus Christ, o Mensch, der auf die Erden vom Thron des Himmels kommen ist, dein Bruder da zu werden; vergiss nicht, dass er dir zugut hat angenommen Fleisch und Blut; dank ihm für diese Liebe!

Halt im Gedächtnis Jesus Christ, der für dich hat gelitten, ja gar am Kreuz gestorben ist und dadurch hat bestritten Welt, Sünde, Teufel, Höll und Tod und dich erlöst aus aller Not; dank ihm für diese Liebe!

In Jesus nimmt Gott unser Fleisch und Blut an und wird so unser Bruder. Von ihm sollten wir also Brüderlichkeit lernen können. In Hebräer 2, 14-18 (Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 by Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart), wird das näher erläutert. Beim genauen Hinhören finden wir hier sogar eine eigenwillige Auslegung für das Motto der französischen Revolution: „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“:

Da wir Menschen von Fleisch und Blut sind, hat auch der Gottessohn in gleicher Weise Fleisch und Blut angenommen, um durch seinen Tod den zu entmachten, der die Gewalt über den Tod hat, nämlich den Teufel, und um die zu befreien, die durch die Furcht vor dem Tod ihr Leben lang der Knechtschaft verfallen waren. Jesus musste in allem seinen Brüdern gleich sein, um ein barmherziger und treuer Hoherpriester vor Gott zu sein und die Sünden des Volkes zu sühnen. Denn da er selbst in Versuchung geführt wurde und gelitten hat, kann er denen helfen, die in Versuchung geführt werden.

Das ist nicht einfach zu verstehen, aber vielleicht kriegen wir es hin.

Zuerst zur Freiheit. Frei sein heißt hier nicht Ungebundenheit oder Freisein von jeder Autorität. Niemand kann frei sein, der aus Angst vor dem Tod sich auf Teufel komm raus im Leben zu behaupten versucht – auch auf Kosten anderer und selbst auf Kosten der eigenen Seele. Frei dagegen ist der Gottessohn. Er kann im Vertrauen auf den himmlischen Vater das Leben als Mensch aus Fleisch und Blut voll annehmen, und er kann es aus Liebe ebenso bereitwillig loslassen, als es sein muss. Er muss sein Leben nicht behaupten und nimmt auf diese Weise dem Tod die Macht. Er nimmt dem Tod die Macht, die darin besteht, dass der Tod uns zum Bösen reizt, nämlich dazu, uns mehr im Leben zu nehmen, als uns zusteht, uns selber an die Stelle von Gott zu setzen. Das ist hier gemeint, wenn es heißt: Der Teufel wird entmachtet. Der Teufel ist die Macht, die uns beherrscht, wenn wir ohne Gottvertrauen leben. Wer im Vertrauen lebt, ist frei.

Wir singen das Lied 586 vom Gottessohn, der uns durch Demut frei macht:

Herr, der du einst gekommen bist, in Knechtsgestalt zu gehen, des Weise nie gewesen ist, sich selber zu erhöhn:

Komm, führe unsre stolze Art in deine Demut ein! Nur wo sich Demut offenbart, kann Gottes Gnade sein.

Der du noch in der letzten Nacht, eh dich der Feind gefasst, den Deinen von der Liebe Macht so treu gezeuget hast:

Erinnre deine kleine Schar, die sich so leicht entzweit, dass deine letzte Sorge war der Glieder Einigkeit.

Drum leit auf deiner Leidensbahn uns selber an der Hand, weil dort nur mit regieren kann, wer hier mit überwand.

Nun zur Gleichheit: der Gottessohn ist insofern ein Gleichmacher, als er etwas im Grunde Unmögliches möglich macht. Er schafft eine gleiche Ebene zwischen den unendlich großen und fernen Gott und uns kleinen Menschen.

Gott erwählt sich einen Menschen, in dem sein Geist oder seine Seele so vollkommen wohnt, dass wir in diesem Menschen das Wesen von Gott selbst erkennen. Er wäre uns nicht vollkommen gleich gewesen, wenn er nicht genau wie wir aus Fleisch und Blut gewesen wäre. Er war ein Kind wie wir, ist herangewachsen wie wir, hat seinen Eltern durchaus Widerworte gegeben und war zu allen Gefühlen fähig – freudig erregt oder zornig, voller Trauer oder Begeisterung. Er konnte Schmerzen leiden und hat in Todesangst Blut und Wasser geschwitzt wie wir. Und er war Versuchungen ausgesetzt, genau wie wir – die er nur dadurch bestehen konnte, dass er sich dem Vater im Himmel vollkommen anvertrauen konnte. Jesus hatte den Wunsch zu überleben, gewiss. Aber er gab diesen Wunsch auf, als er erkennen musste, dass die Liebe zu seinen menschlichen Geschwistern mehr erforderte – sein Leben nicht zu behaupten, durch Flucht oder Gewalt oder göttliche Magie, sondern aufzugeben, zu opfern für eben die schuldigen Menschen, die ihn als Opfer preisgaben.

Es gibt die Redensart: „Leben wie Gott in Frankreich“, wenn man an gutes Essen und an die Kunst denkt, das Leben in vollen Zügen zu genießen. Doch der Gott, der wirklich auf dieser Erde gelebt hat, hat sich dazu nicht einen Reichen ausgesucht, sondern den, der allen gleich sein konnte, weil er den Abgrund des Elends auszuhalten imstande war. Leben wie Gott auf der Erde, heißt Sterbenmüssen, um zu leben.

Wir singen das Lied 546:
Wer leben will wie Gott auf dieser Erde

Gleichheit bedeutet also nicht, dass alle Menschen gleich sind in ihren Eigenschaften. Wohl aber sind sie alle gleich vor Gott, indem alle vor Gott Sünder sind und alle von Gott begnadigt sind. Keiner hat dem anderen irgendetwas voraus. Keiner ist aber auch von vornherein verloren. Jeder bekommt die Chance, neu zu beginnen. Denn Jesus ist ein Hoherpriester, der nicht durch Tieropfer einen zornigen Gott zu versöhnen versucht. Sondern in ihm ist Gott selbst anwesend, der so barmherzig ist, dass er sich lieber selber opfern lässt, als dass er seine Menschenkinder der Vernichtung preisgibt. Er vergibt ihnen im selben Augenblick, in dem sie ihn opfern. Denn er weiß, dass sie es aus eigener Kraft nicht schaffen, der Versuchung zu widerstehen – das geht nur mit einem übermenschlichen Gottvertrauen, einem Vertrauen, das uns Gott selber schenkt.

Und damit sind wir bei der Brüderlichkeit.

Freiheit und Gleichheit sind die Folge der Brüderlichkeit Gottes. Freiheit und Gleichheit schenkt uns Jesus, der unser Bruder geworden ist.

Er ist unser Bruder, weil wir alle einen Vater haben, als dessen Ebenbild wir geschaffen sind. Wir sind dazu berufen, Gottes Kinder zu sein – und dazu, in jedem anderen Menschen auch ein Kind Gottes zu erkennen.

Weil wir frei sind von der Macht des Todes und der Sünde, brauchen wir uns nicht um jeden Preis gegen den Nächsten zu behaupten.

Weil Gott sich uns gleich macht, stellen wir verblüfft fest, dass wir vor ihm alle gleich bedürftig sind – und dass er bereit ist, uns alle gleichermaßen zu beschenken.

Wir singen das Lied 382:
Ich steh vor dir mit leeren Händen, Herr

Jesus beschenkt uns als unser großer Bruder mit Liebe, die wir nicht verdient haben, mit Vergebung, die er gewährte, während er am Kreuz hing, mit Leben, das unverlierbar ist in Ewigkeit. Am Abend vor seinem Tod saß er zusammen mit seinen Jüngern, so wie wir jetzt zusammensitzen. Als Bruder saß er zusammen mit Menschen, wie wir es sind – mit dem, der ängstlich in die Zukunft schaut, mit dem, der ihn verleugnen wird, mit dem, der zweifelt, und mit dem der glaubt. Sogar der, der ihn verraten wird, sitzt mit ihm am Tisch, und Jesus ist der, der niemanden zurückstößt und allen die Liebe des Vaters anbietet.

Der Herr Jesus, in der Nacht, da er verraten ward, nahm er das Brot, dankte und brach’s und gab’s seinen Jüngern und sprach: Nehmt, esst; das ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das tut zu meinem Gedächtnis.

Und er nahm den Kelch und dankte, gab ihnen den und sprach: Trinkt alle daraus; das ist mein Blut des Bundes, das vergossen wird für viele zur Vergebung der Sünden. Das tut, so oft ihr daraus trinkt, zu meinem Gedächtnis.

Wir singen das Lied 579:
Das Weizenkorn muss sterben, sonst bleibt es ja allein

Deinen Tod, o Herr, verkünden wir, und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit. Amen.

Nehmt und gebt weiter, was euch geschenkt ist – das Brot des lebendigen Leibes der Liebe Gottes.

Herumreichen des Korbs

Nehmt hin und gebt weiter, was euch geschenkt ist, den Kelch der Versöhnung zwischen Gott und dem Menschen.

Austeilen der Kelche

Jesus spricht: „Es gibt keine größere Liebe, als wenn einer sein Leben für seine Freunde hingibt.“ Lasst uns diese Liebe annehmen und aus ihr leben. Amen.

Wir singen das Lied 632:
Wenn das Brot, das wir teilen, als Rose blüht

Lasst uns beten für die Freiheit.

Gerechter Gott! Schenke Freiheit den Verfolgten und zu Unrecht Eingesperrten. Schenke Freiheit den politisch Unterdrückten und denen, die unter ungerechten Zwängen leiden. Schenke Freiheit von inneren Bindungen an schlechte Angewohnheiten und Suchtmittel. Schenke vor allem Freiheit von Sünde und von der lähmenden Angst vor dem Tod.

Lasst uns beten für die Gleichheit.

Barmherziger Gott! Schenke denen neue Chancen, die chancenlos sind in unserer Gesellschaft. Schenke einen neuen Anfang denen, die am Ende sind und aus eigener Kraft nicht wieder aufstehen können. Schenke allen Menschen den Mut, ihr Leben vor dir zu verantworten und zu sich selber zu stehen, auch wenn sie anders sind als andere Menschen.

Lasst uns beten für die Brüderlichkeit.

Jesus, unser Bruder! Hab Dank, dass du in allem uns gleich geworden bist. Dass du beides kennst, unsere Lebenslust und unseren Schmerz, unsere Versuchungen und unsere Sehnsucht nach Liebe. Du kennst sogar unser Ausgeliefertsein an die Sünde, weil du die Folgen unserer Sünde am eigenen Leib erduldet hast. Danke, dass du diesen Tod aus Liebe für uns erlitten hast – und dass du uns alles vergibst, was wir dir antun und was wir dir schuldig bleiben. Wir bitten dich, schenke uns alle Tage deine Liebe und ein barmherziges Herz! Amen.

Gemeinsam beten wir, wie uns unser großer Bruder Jesus Christus zum Vater im Himmel zu beten gelehrt hat:

Vater unser

Zum Schluss singen wir das Lied 436:

Herr, gib uns deinen Frieden

Bevor wir mit dem Grüne-Soße-Essen beginnen, seid gesegnet mit einem irischen Segenswunsch:

Den tiefen Frieden über dem stillen Lande wünsche ich dir.
Den tiefen Frieden unter den leuchtenden Sternen wünsche ich dir.
Den tiefen Frieden im Rauschen der Wellen wünsche ich dir.
Den tiefen Frieden im schmeichelnden Wind wünsche ich dir.
Den tiefen Frieden vom Sohne des Friedens wünsche ich dir.

Der Herr segne dich und er behüte dich. Er lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir seinen Frieden. Amen.

Grüne-Soße-Essen

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