Bild: Helmut Schütz

Erinnern und Loslassen

Erinnerung spielt eine zentrale Rolle in unseren Trauerfeiern. Wir gedenken der Verstorbenen, wir rufen uns ihre Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit ins Gedächtnis, wir betonen, dass wir sie, die wir geliebt haben, nicht vergessen werden. Der Liederdichter Andreas Gryphius meinte: Nur dieser Augenblick gehört uns, dann ist unsere Zeit schon wieder verflogen. Aber im Vertrauen auf Gott vergehen wir nie.

Gottesdienstbesucher kommen am Friedhofsvorplatz an
Gottesdienstbesucher kommen am Friedhofsvorplatz an

Gottesdienst unterwegs am Sonntag, 12. Juli 2015, 16.00 Uhr auf dem Friedhof am Rodtberg Gießen
Treffpunkt am Friedhofseingang
Treffpunkt der Gottesdienstbesucher mit Regenschirmen
Es regnet ein bisschen, aber davon lassen sich die Gottesdienstteilnehmer nicht abschrecken
Station 1: Friedhofsvorplatz
Vorspiel: „Dust In The Wind“
Andreas Pithan und Pfarrer Helmut Schütz beim Gitarrenvorspiel, von einer Konfirmandin beschirmt
Andreas Pithan und Pfarrer Helmut Schütz beim Gitarrenvorspiel, von einer Konfirmandin beschirmt

Herzlich willkommen zum „Gottesdienst unterwegs“ auf dem Neuen Friedhof! Seit 2003 feiern wir einen solchen Stationengottesdienst hier zum sechsten Mal, und zum dritten Mal tun wir es in ökumenischer Zusammenarbeit. Herr Andreas Pithan von der Katholischen Pfarrgemeinde St. Albertus und ich, Pfarrer Helmut Schütz, von der Evangelischen Paulusgemeinde, haben ihn gemeinsam vorbereitet.

Die Idee für diesen Gottesdienst entstand auf einer gemeinsamen Sitzung des Kirchenvorstands der Paulusgemeinde und des Pfarrgemeinde- und Verwaltungsrates der Gemeinde St. Albertus. Wir fragten uns nämlich, ob wir in diesem Jahr wieder eine Ökumenische Wallfahrt unternehmen sollten, und wir entschieden uns für eine kleine Wallfahrt in Form dieses Gottesdienstes, der uns auf dem Neuen Friedhof von Station zu Station führt.

Die Idee für das Thema dieses Gottesdienstes entstand im Frühjahr in einem Gespräch mit Prädikantin Gaby Engel, die ihn eigentlich mitgestalten wollte, wegen einer Erkrankung und anschließenden Reha aber leider verhindert ist. Wir dachten daran, wie oft wir uns auf dem Friedhof an geliebte Menschen erinnern, die gestorben sind, und wie schwer es oft ist, sie loszulassen, sie wirklich gehen zu lassen. Herr Pithan und ich haben dieses Mal vorwiegend im neueren Teil des Friedhofs im Osten hinter dem Krematorium Grabsteine gefunden, auf denen dieses Thema angesprochen oder angedeutet wird: „Erinnern und Loslassen.“

Nun lasst uns diesen Gottesdienst feiern im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

Als erstes singen wir das Lied 521. Eine Premiere ist heute, dass ich selber mit meiner Gitarre für die Musik sorge. Einen Bläserkreis zusammenzutrommeln, ist in diesem Jahr leider nicht gelungen, da es zu viele andere Termine am selben Tag gibt. Als ich im Urlaub auf der Insel Juist war, gab es dort eine Nachtwanderung mit Engelliedern an den Dünen und am Strand entlang, begleitet von der Inselpastorin mit ihrer Gitarre. Das hat mich ermutigt, heute auch meine Gitarre mitzubringen und die Lieder auf diese Weise zu begleiten.

In dem Lied 521, das früher wohl mehr gesungen wurde als heute, geht es um das Loslassen unseres Lebens im Tod. Wer stirbt, der löst sich von der Welt, der muss alles loslassen, was er so selbstverständlich festhalten zu können glaubte:

1. O Welt, ich muss dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen ins ewig Vaterland. Mein‘ Geist will ich aufgeben, dazu mein‘ Leib und Leben legen in Gottes gnädig Hand.

2. Mein Zeit ist nun vollendet, der Tod das Leben endet, Sterben ist mein Gewinn; kein Bleiben ist auf Erden; das Ewge muss mir werden, mit Fried und Freud ich fahr dahin.

3. Auf Gott steht mein Vertrauen, sein Antlitz will ich schauen wahrhaft durch Jesus Christ, der für mich ist gestorben, des Vaters Huld erworben und so mein Mittler worden ist.

Gang zur Station 2: Gnade

Gang zur Station 2: GnadeWer stirbt, muss die Welt loslassen. Wer gestorben ist, den müssen wir loslassen. Aber im Tode lässt Gott uns nicht los. Daran erinnert ein Bibelvers auf diesem Grabstein: „Meine Gnade soll nicht von dir weichen.“ So spricht Gott zu uns durch den Mund des Propheten Jesaja.

Grabstein-Inschrift: Meine Gnade soll nicht von dir weichen, darüber das Christus-Symbol PXWir hören diesen Satz im Zusammenhang von Jesaja 54, 7-10:

7 Ich habe dich einen kleinen Augenblick verlassen; aber mit großer Barmherzigkeit will ich dich sammeln.

8 Ich habe mein Angesicht im Augenblick des Zorns ein wenig vor dir verborgen, aber mit ewiger Gnade will ich mich deiner erbarmen, spricht der HERR, dein Erlöser.

9 Ich halte es wie zur Zeit Noahs, als ich schwor, dass die Wasser Noahs nicht mehr über die Erde gehen sollten. So habe ich geschworen, dass ich nicht mehr über dich zürnen und dich nicht mehr schelten will.

10 Denn es sollen wohl Berge weichen und Hügel hinfallen; aber meine Gnade soll nicht von dir weichen, und der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen, spricht der HERR, dein Erbarmer.

Pfarrer Schütz spricht, umgeben von Gottesdienstteilnehmern

Gang zur Station 3: Unvergessen

Erinnerung spielt eine große, ja sogar zentrale Rolle in unseren Trauerfeiern. Wir gedenken der Verstorbenen, wir rufen uns ihre Einmaligkeit und Unverwechselbarkeit ins Gedächtnis, wir betonen, dass wir sie, die wir geliebt haben, nicht vergessen werden.

Andreas Pithan spricht an drei jüdischen GrabsteinenAn dieser Stelle finden wir dieses Motiv auf gleich drei jüdischen Grabsteinen: „Wir vergessen dich nie“, heißt es hier. „Du lebst in unseren Herzen weiter“, steht auf dem nächsten Stein, und damit ist ja gemeint, dass die Erinnerung in den Hinterbliebenen lebendig bleibt. In Gedichtform wird auf dem dritten Grabstein ergänzt, dass Trauer um einen besonderen Menschen sehr weh tun kann, aber dieser Schmerz kann durch Erinnerung in gewisser Weise gelindert werden: „Wer dich gekannt, wird unser Leid ermessen – was du uns warst, bleibt ewig unvergessen.“

Drei jüdische GrabsteineWeitere Beispiele ähnlicher Gedanken sind auch auf christlichen Gräbern zu finden; die hohe Wertschätzung der Erinnerung an geliebte Verstorbene verbindet Menschen verschiedener Religionszugehörigkeit.

Gang zur Station 4: Bergkapelle

Gang zur Station 4: Bergkapelle

Sonnenuntergang
Hermann Hesses Gedicht: „Beim Schlafengehen“

Sonnenuntergang oder -aufgang hinter Bergen, Bäumen und einer Kapelle auf einem GrabsteinOft schon ist der Tod mit dem Schlaf und das Sterben mit dem Einschlafen verglichen worden. Ruhige Rückkehr zu kindlicher Einfalt und freundlicher Schlichtheit strahlt der Text aus. In konzentrierter Andacht wird deutlich, wie es bei allen ermüdenden Verdeckungen, Ablenkungen und Verstellungen des umtriebigen Tages mit unserem Leben im Grunde bestellt ist. Wir werden zu einer harmonischen Weisheit mitgenommen und fortgetragen, schwingen uns zu sternenklaren Nachtsphären auf, um so von uns selbst, von allem eigensinnigen Denken und Tun frei zu werden, frei für ein erstes und letztes stilles Empfangen, für ein dankbares, entspanntes Annehmen der geheimnisvollen, unauslotbaren Tiefe des Lebens. Denn alles Wesentliche ist zuerst Geschenk und Gabe. Die Erfüllung im tausendfachen Reichtum des Lebens können wir Tagwesen bei aller Sehnsucht und bei allem Verlangen nicht herstellen. Wir können sie nur entdecken, indem wir alles, auch und gerade uns selbst und unser Ich lassen und aufmerksam werden auf das, was uns gegeben ist und wird. Sterben und der Tod müssen uns keine Angst machen. In kindlicher Einfalt und schlichtem Überlassen ist der Tod weder schön noch hässlich, weder zu suchen noch zu fliehen, weder anziehend noch abstoßend. Das ist er nur für unser Empfinden. Aber dieses entgleitet uns im Schlaf wie im Sterben ins Vergessen und leitet uns nicht mehr. Vielmehr werden wir von dem geleitet und getragen, was Grund und Bestand allen Lebens in seinen unendlichen Formen ist.

Gottesdienstteilnehmer an der Station Bergkapelle

Sonnenaufgang

Ganz anders ein Lied, das während der Erweckungsbewegungen im 19. Jahrhundert entstand:

Lebt wohl, lebt wohl! Mein Morgen tagt;
lebt wohl, ich geh‘ zur Ruh‘!

In der zweiten Strophe heißt es:

Lebt wohl, lebt wohl! Ich harrte lang
der Stunde, schön und licht,
wo siegreich durch der Erde Nacht
der ew‘ge Morgen bricht.

Andreas Pithan spricht an der Station BergkapelleIch werde dabei an die Worte des Apostels Paulus aus seinem Brief an die Philipper 1, 21-23 und 3, 20-21, erinnert (Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 by Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart):

21 Für mich ist Christus das Leben, und Sterben Gewinn.

22 Wenn ich aber weiterleben soll, bedeutet das für mich fruchtbare Arbeit. Was soll ich wählen? Ich weiß es nicht.

23 Es zieht mich nach beiden Seiten: Ich sehne mich danach, aufzubrechen und bei Christus zu sein – um wieviel besser wäre das!

20 Unsere Heimat aber ist im Himmel. Von dorther erwarten wir auch Jesus Christus, den Herrn, als Retter,

21 der unseren armseligen Leib verwandeln wird in die Gestalt seines verherrlichten Leibes, in der Kraft, mit der er sich alles unterwerfen kann.

Gang zur Station 5: Schiff und Hände

So nimm denn meine Hände - eingraviert auf einem Grabstein mit SchiffHier hat jemand das Bild eines Schiffes auf einem Grabstein eingravieren lassen, vielleicht um anzudeuten, dass der Übergang vom Leben zum Tod einer Fahrt ins Ungewisse gleicht. Man verlässt den festen Boden der irdischen Wirklichkeit, aber man bleibt getragen, ohne auf dem Wasser aus eigenen Kräften festen Halt zu finden. Im Sterben und im Tod sind wir gehalten an der Hand dessen, der auf Wassern gehen kann. Singen wir das Lied 376, dessen erste Zeile ebenfalls auf dem Grabstein steht:

Konfirmandinnen beschirmen Pfarrer Schütz beim Gitarrenspiel1. So nimm denn meine Hände und führe mich
bis an mein selig Ende und ewiglich.
Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt:
wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.

2. In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz
und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz.
Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind:
es will die Augen schließen und glauben blind.

3. Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht,
du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht:
so nimm denn meine Hände und führe mich
bis an mein selig Ende und ewiglich!

Beschirmte GottesdienstteilnehmerMeine Lieblingstante starb, als ich Konfirmand war. Damals fiel es mir schwer, etwas von der Liebe Gottes zu spüren, und ich sang sehr gerne diese Strophe: „Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele, auch durch die Nacht.“ Zu welchem Ziel werden wir geführt? Das kann die Überwindung der Trauer hier auf Erden sein, das Loslassen der geliebten Verstorbenen, um das eigene Leben zu bewältigen. Das kann aber auch die Hoffnung sein, dass wir dereinst die Menschen wiedersehen werden, die wir geliebt haben. Auch diese Hoffnung ist auf diesem Grab ausgedrückt: „Für immer unvergessen“ steht auf einem Herz aus Stein.

Auf einem Grabstein ein aufgeschlagenes Buch aus Marmor: links ein Kreuz, rechts "Wir werden uns wiedersehen..."Und in einem aufgeschlagenen Buch, das an das Buch des Lebens erinnert, in dem unsere Namen aufgeschrieben bleiben, lesen wir die Worte: „Wir werden uns wiedersehen, unser Herz wird sich freuen und unsere Freude wird ewig dauern.“

Ursprünglich stehen diese Worte, allerdings ein bisschen anders, im Evangelium nach Johannes 16, 22. Da nimmt Jesus vor seinem Tode Abschied von seinen Jüngern und sagt:

Ich will euch wiedersehen, und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen.

Im Vertrauen auf den Sohn Gottes dürfen auch wir auf ein Wiedersehen mit geliebten Menschen hoffen.

Gang zur Station 6: Erinnerung: Trost, Qual, Kraftquelle?

Gräberfeld mit UrnengräbernWie ist das mit der Erinnerung? Ist es immer gut, sich erinnern zu können? Auf diesem Gräberfeld können wir darüber nachdenken.

Es gibt wohltuende Erinnerungen, die die Nacht der Traurigkeit ein wenig heller machen, vielleicht Erinnerungen an Liebe, die man erfahren und verschenken konnte. Davon erzählt hier eine Grabinschrift: „Erinnerungen sind kleine Sterne, die tröstend in das Dunkel unserer Trauer leuchten.“

Aufgeschlagenes Buch als Grabstein: links Rose, rechts "Erinnerungen sind kleine Sterne..."Allerdings kann Erinnerung an Liebe, die für immer vergangen ist, auch eine unerträgliche Qual bedeuten. Die liebende Witwe, die ihrem Mann, einem Fabrikanten, dort drüben ein Monument hat setzen lassen, weiß etwas davon, dass nichts auf Erden herrlicher ist als die Liebe: „Alle Herrlichkeit der Erden ist Lieben und geliebt zu werden.“

Monument, das die Witwe eines Fabrikanten ihm hat setzen lassenAber sie scheint sich, jedenfalls zu der Zeit, als sie das Grabmal in Auftrag gegeben hat, gewünscht zu haben, ihre so früh verlorene Liebe lieber zu vergessen. Aber natürlich kann sie es nicht und fasst ihre andauernde Trauer mit einer weiteren Inschrift auf der rechten Seite in eindrucksvolle Worte: „Ich besaß es doch einmal, was so köstlich ist. Dass man doch zu seiner Qual nimmer es vergisst.“

Inschrift auf der rechten Seite des Fabrikantenmonuments: "Ich besaß es doch einmal..."Ob sie sich später doch noch ins Loslassen einüben konnte? Ob sie in ihrem Leben die Herrlichkeit der Liebe noch einmal neu erfahren durfte? Wir wissen es nicht.

Gottesdienstteilnehmer am GräberfeldEin Grabmal aus neuerer Zeit – weiter links – trägt nur einen einzigen Satz als Inschrift: „Ich trage dein Herz in meinem Herzen.“ Hier spricht sich eine Liebe aus, die den Tod überdauert und der Partnerin Kraft gibt, indem sie das Herz des geliebten Menschen ins eigene Herz mit aufgenommen hat. Sie kann den Partner loslassen, indem sie seine Liebe in sich bewahrt.

Grab-Doppel-Stele mit Inschrift: "Ich trage dein Herz in meinem Herzen" Holzkreuz mit schlichtem GrabschmuckIm Gegensatz zu diesen scheinbar für die Ewigkeit gestalteten Denkmalen fällt inmitten vieler Gräber mit Grabsteinen ein einfaches verwittertes Holzkreuz auf. Unwillkürlich fragt man sich: Ist die hier beerdigte Frau vergessen worden? Gab es niemanden, der sie so sehr liebte, dass er sich in Stein gemeißelt an sie erinnern wollte? Doch halt! Auch hier wurden Rosen niedergelegt, und ich denke, auch hier hat jemand auf eine stille, unscheinbare Art in tiefer Liebe an diese Frau gedacht.

Außerdem erinnert mich dieses Grab mit dem Gras, das um das Kreuz herum wächst, an das Wort aus Psalm 103, 15-18:

15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Feld;

16 wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennt sie nicht mehr.

17 Die Gnade aber des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über die, die ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind

18 bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, dass sie darnach tun.

Gang zur Station 7: Gottes Liebe

Gang zur Station 7: Gottes Liebe

Gott spricht (Jeremia 31, 3):

Ich habe dich je und je geliebt und deshalb habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte.

Im ersten Johannesbrief (1. Johannes 4, 16) lesen wir die Worte:

Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, der bleibt in Gott und Gott bleibt in ihm.

Grabinschrift "Ich habe dich je und je geliebt..."Gott ist Liebe, in diesen Worten steckt eine der tiefsten Wahrheiten der Bibel. Gottes Natur ist Liebe und Liebe ist das wahre Motiv für alles, was er tut.

Zunächst einmal wollen wir definieren, was wir unter Liebe verstehen. Im Deutschen ist das Wort Liebe ein ziemlich ungenauer Begriff. Wir benutzen ihn, um auszudrücken, dass wir Eiscreme, den letzten Film, unseren Hund oder auch unseren Partner lieben – und doch meinen wir in jedem Fall etwas anderes. Was meinte nun Johannes mit „Gott ist Liebe?“ Im Griechischen, der Sprache des Neuen Testamentes gibt es mehrer Wörter mit der Bedeutung Liebe: Eros = sexuelle Liebe, storge = das natürliche Liebesband zwischen Familienmitgliedern, phileo = emotionales Empfinden und agape. Letzten Begriff benutzt Johannes.

Agape-Liebe hat nicht in erster Linie mit Zuneigung zu tun, noch ist sie auf Gefühle gegründet. Emotionen sind oft mit einbezogen, aber Gottes Liebe ist in erster Linie ein Akt des Willens. Die Agape-Liebe versucht immer die Interessen der anderen zu fördern, unabhängig davon, ob die entsprechenden Personen gut oder böse sind. Sie ist bedingungslos und hängt nicht davon ab, wie Gott sich an diesem Tag fühlt oder was die Person, auf die diese Liebe gerichtet ist, getan oder nicht getan hat. Gott liebt den schlimmsten Sünder genauso wie den heiligsten Heiligen und seine Liebe schwankt niemals. Das bedeutet, es ist unmöglich durch irgendetwas Gottes Liebe zu verdienen – sei es durch Beten, Almosen geben, den Gottesdienst besuchen, Gutes tun oder einfach nur gut sein. Es wäre sogar töricht, Gottes Liebe verdienen zu wollen, denn Gott liebt uns einfach, weil das seiner Natur entspricht und nicht aufgrund dessen, was wir tun oder nicht tun! Die Tatsache, dass Gott uns liebt, bedeutet aber nicht, dass unsere falschen Handlungen keine Konsequenzen nach sich ziehen – das tun sie sicherlich – aber ob wir Gutes oder Falsches tun, verändert Gottes Liebe zu uns in keiner Weise! Dieser Liebe vertrauen wir auch unsere Verstorbenen an.

Gang zur Station 8: Erinnern und Loslassen

Ein Feld mit Einzelgräbern ganz im Osten des Neuen FriedhofsDrei Grabinschriften wollen wir uns auf diesem Gräberfeld ganz im Osten unseres Friedhofs anschauen.

Die erste drückt den nur zu verständlichen Wunsch aus: Ich möchte den geliebten Menschen am liebsten nicht loslassen: „Wenn Liebe eine Leiter wäre und Erinnerungen die Stufen, würden wir hinaufsteigen, um dich zu uns zurückzuholen.“ In gewisser Weise können Erinnerungen aber auch die Stufen einer Leiter der Liebe sein, auf der wir im eigenen Leben vorwärts und aufwärts klettern, indem wir Trauer bewältigen und auf neue Weise Liebe erfahren.

Herzförmige Grabgedächtnisplatte aus Holz: "Wenn Liebe einen Weg zum Himmel fände..."Die zweite dreht sich um die Stichworte: „Licht – Liebe – Leben. Man lebt zwei Mal. Das erste Mal in der Wirklichkeit, das zweite Mal in der Erinnerung.“ Offenbar steht im Hintergrund das Empfinden: Was im Leben wesentlich ist, das erfahren wir, wenn wir im Licht und in der Liebe leben. Und das geht in der Erinnerung nicht verloren.

Grabplatte mit Kerzen und Rose: "Licht - Liebe - Leben..."Die dritte Inschrift ermutigt uns zu einem Perspektivenwechsel: „Der Tod ist wie ein Horizont, dieser ist nichts anderes als die Grenze unserer Wahrnehmung. Wenn wir um einen Menschen trauern, freuen sich andere, ihn hinter unserem Horizont wieder zu sehen.“

Aufgeschlagenes Buch: "Der Tod ist wie ein Horizont..."Wie verhält sich dazu die christliche Botschaft? Hat dieser Perspektivenwechsel mit der „Gemeinschaft der Heiligen“ zu tun, von der wir im Glaubensbekenntnis sprechen? Noch sind wir getrennt von den Toten, aber unsichtbar sind sie jenseits der Grenze unserer Wahrnehmung doch da, aufbewahrt in der Ewigkeit Gottes? Und irgendwann werden sie sich freuen, uns dort willkommen zu heißen?

Pfarrer Schütz begleitet ein Lied mit der Gitarre, beschirmt von einer KonfirmandinDer Liederdichter Andreas Gryphius meinte, wir sollten uns keinesfalls zu sehr an irdischer Herrlichkeit festhalten. Auch unsere Lebenszeit gehört uns nur sehr bedingt, weder Vergangenheit noch Zukunft haben wir in der Hand, nur in diesem Augenblick gehört sie uns, dann ist sie schon wieder verflogen. Aber im Vertrauen auf Gott vergehen wir nie, obwohl alle Herrlichkeit der Erden wie ein leichter Traum vergeht. Wir singen aus dem Lied 527 die Strophen 1 und 8 bis 10:

1. Die Herrlichkeit der Erden muss Rauch und Asche werden, kein Fels, kein Erz kann stehn. Dies, was uns kann ergötzen, was wir für ewig schätzen, wird als ein leichter Traum vergehn.

8. Auf, Herz, wach und bedenke, dass dieser Zeit Geschenke den Augenblick nur dein. Was du zuvor genossen, ist als ein Strom verschossen; was künftig, wessen wird es sein?

9. Verlache Welt und Ehre, Furcht, Hoffen, Gunst und Lehre und geh den Herren an, der immer König bleibet, den keine Zeit vertreibet, der einzig ewig machen kann.

10. Wohl dem, der auf ihn trauet! Er hat recht fest gebauet, und ob er hier gleich fällt, wird er doch dort bestehen und nimmermehr vergehen, weil ihn die Stärke selbst erhält.

Gang zur Station 9: Alpha und Omega

Grabstele mit Würfel oben drauf, auf dem vorne ein Alpha und ein Omega stehtGottesdienstteilnehmer an der Station "Alpha und Omega"An unserer vorletzten Station entdecken wir verschiedene Symbole auf einem Grabstein: Einen Notenschlüssel links, Hammer, Kelle und Lot rechts. Hier ist wohl ein musikalischer Baumeister begraben worden, man hat sprechende Bilder in Stein gemeißelt, um die Nachwelt an seine besonderen Interessen zu erinnern.

Auf der Vorderseite stehen außerdem zwei griechische Buchstaben mit einer noch tieferen Bedeutung: Alpha und Omega. Sie erinnern daran, dass das Leben dieses Menschen wie unser aller Leben umschlossen ist von der Liebe dessen, dem Gott alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben hat.

Notenschlüssel links - Alpha und Omega rechtsIn der Offenbarung 21, 1-7, lesen wir:

1 Und ich sah einen neuen Himmel und eine neue Erde; denn der erste Himmel und die erste Erde sind vergangen, und das Meer ist nicht mehr.

2 Und ich sah die heilige Stadt, das neue Jerusalem, von Gott aus dem Himmel herabkommen, bereitet wie eine geschmückte Braut für ihren Mann.

3 Und ich hörte eine große Stimme von dem Thron her, die sprach: Siehe da, die Hütte Gottes bei den Menschen! Und er wird bei ihnen wohnen, und sie werden sein Volk sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird ihr Gott sein;

4 und Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen.

Zu schön, um wahr zu sein?!

5 Und der auf dem Thron saß, sprach: Siehe, ich mache alles neu! Und er spricht: Schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiss!

6 Und er sprach zu mir: Es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Ich will dem Durstigen geben von der Quelle des lebendigen Wassers umsonst.

7 Wer überwindet, der wird es alles ererben, und ich werde sein Gott sein, und er wird mein Sohn sein.

Wir vertrauen darauf, dass unsere Verstorbenen schon etwas von diesen Zusagen Gottes erleben und in ihm geborgen sind. In seine Hände hinein können wir loslassen. Ihm, dem Anfang und dem Ende, dürfen auch wir uns anvertrauen.

Gang zur Station 10: Treppe zum Himmel?

Eine Treppe, die scheinbar nirgendwo hin führt...An dieser Stelle soll unser Pilgergottesdienst enden. An einer Treppe, die an keinen besonderen Ort zu führen scheint. Sie endet auf dem Rasen, wozu ist sie überhaupt da? Mir fiel dazu der Song ein „Stairway To Heaven“, Treppe zum Himmel, gibt es diese Treppe, die nicht ins Nirgendwo führt, wenn wir sterben, sondern in das Paradies, in das ewigen Leben?

An dieser Stelle bringen wir unsere Fürbitten vor Gott.

Christus ist unsere Hoffnung im Leben und im Sterben. Durch ihn beten wir: Gott, du Herr des Lebens. Wir bitten dich, erhöre uns!

Für alle, die um liebe Verstorbene trauern. Sei du ihnen Trost, der sie aufrichtet und ihnen hilft, ihren Frieden zu finden.

Gott, du Herr des Lebens. Wir bitten dich, erhöre uns!

Für alle, die fast zerbrechen an ihrer Trauer um einen geliebten Menschen. Hilf ihnen, mit dem erlittenen Verlust fertig zu werden und wieder neu Lebensfreude zu entwickeln.

Gott, du Herr des Lebens. Wir bitten dich, erhöre uns!

Wir beten für diejenigen, die krank und gebrechlich sind. Gib ihnen die Kraft und die Stärke, den letzten Weg auf Erden gehen zu können.

Gott, du Herr des Lebens. Wir bitten dich, erhöre uns!

Für alle, die an ein ewiges Leben bei dir nicht glauben können. Öffne ihnen die Augen für dine barmherzige Liebe.

Gott, du Herr des Lebens. Wir bitten dich, erhöre uns!

Gib allen Trauernden die Sicherheit und Zuversicht, dass wir uns eines Tages wiedersehen werden.

Gott, du Herr des Lebens. Wir bitten dich, erhöre uns!

Für all unsere Verstorbenen. Sei ihnen ein gnädiger Richter und lass sie Ruhe finden bei dir.

Gott, du Herr des Lebens. Wir bitten dich, erhöre uns!

In der Stille bringen wir vor Gott, was wir ganz persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Pfarrer Schütz segnet die GottesdienstteilnehmerEmpfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er hebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. Amen.

Wir singen das Lied 163:

Unsern Ausgang segne Gott, unsern Eingang gleichermaßen, segne unser täglich Brot, segne unser Tun und Lassen, segne uns mit sel’gem Sterben und mach uns zu Himmelserben.

Nachspiel: „Stairway To Heaven“

Pfarrer Helmut Schütz beim Gitarrennachspiel - Foto: Gießener Anzeiger

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