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Mit Gott Grenzen überschreiten

Mit Gott gehen kann heute bedeuten, sowohl Grenzen zwischen Christen als auch zwischen Menschen verschiedenen Glaubens zu überwinden. Die Christen Indiens sind in einem multireligiösen Umfeld eine kleine Minderheit. Sie erinnern uns an die Bedeutung des interreligiösen Dialogs. Uns müsste dieser Dialog leichter fallen, sind wir doch in Deutschland in einer Mehrheitssituation.

Ein Männchen überschreitet eine gestrichelte Linie - nicht immer fällt es so leicht, Grenzen zu überschreiten
Nicht immer fällt es leicht, (religiöse) Grenzen zu überschreiten (Bild: Peggy und Marco Lachmann-AnkePixabay)

#gedankeTurmgebet zur Gebetswoche für die Einheit der Christen am Freitag, 17. Mai 2013, um 18.00 Uhr im Stadtkirchenturm Gießen

Herzlich willkommen zum Turmgebet im Stadtkirchenturm Gießen und zugleich zum fünften und letzten Abend der Gebetswoche für die Einheit der Christen, die im Jahr 2013 zum vierten Mal an diesem Ort stattfindet!

Wir sind versammelt im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Unter dem Motto „Mit Gott gehen“ haben in diesem Jahr Studierende aus Indien die Ordnung der Gebetswoche für die Einheit der Christen zusammengestellt. Anlass dafür war das 100jährige Bestehen der Christlichen Studierendenbewegung in Indien (SCMI) im Jahr 2012. Diese jungen Menschen entschlossen sich dazu, die Situation der sogenannten „Dalits“ in den Mittelpunkt der Gebete zu stellen. Die Dalits sind in der indischen Gesellschaft, aber auch in den Kirchen Indiens, großer Ungerechtigkeit ausgesetzt, und die Studierenden sind davon überzeugt: Die Suche nach der sichtbaren Einheit der Christen kann nicht getrennt werden vom Abbau des Kastenwesens und vom Aufbau der Beteiligung der Ärmsten an der Einheit.

Sie lassen sich bei dieser Einsicht durch ein Wort des Propheten Micha 6, 8 leiten (Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift © 1980 by Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart):

Es ist dir gesagt worden, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir erwartet: Nichts anderes als dies: Recht tun, Güte und Treue lieben, in Ehrfurcht den Weg gehen mit deinem Gott.

Wie man den Weg mit Gott gehen kann, davon war in den Gebeten der vorigen vier Tage bereits in verschiedener Hinsicht die Rede: „Miteinander im Gespräch sein“ und „Unterwegs zur Freiheit“ waren zwei der besonderen Themen am Montag und am Mittwoch.

Heute geht es darum, dass, mit Gott zu gehen, auch bedeuten kann, Grenzen zu überschreiten.

Da ein solches Unterfangen nicht leicht ist, möchte ich Sie einladen, mit einem ersten Lied Gott zu bitten, dass er unsere eigenen engen Grenzen in Weite verwandelt.

EG 584: Meine engen Grenzen

Mit Gott gehen heißt auch, Grenzen zu überschreiten, die die Kinder Gottes voneinander trennen.

Wenn wie in Indien bestimmte Menschengruppen als wertlos gelten und aus der Gesellschaft ausgegrenzt werden, muss im Namen des Gottes der Bibel heftig widersprochen werden. Dazu beten wir mit Psalm 113:

1 Halleluja! Lobet, ihr Knechte des HERRN, lobet den Namen des HERRN!

2 Gelobt sei der Name des HERRN von nun an bis in Ewigkeit!

3 Vom Aufgang der Sonne bis zu ihrem Niedergang sei gelobet der Name des HERRN!

4 Der HERR ist hoch über alle Völker; seine Herrlichkeit reicht, so weit der Himmel ist.

5 Wer ist wie der HERR, unser Gott, im Himmel und auf Erden?

6 Der oben thront in der Höhe, der herniederschaut in die Tiefe,

7 der den Geringen aufrichtet aus dem Staube und erhöht den Armen aus dem Schmutz,

8 dass er ihn setze neben die Fürsten, neben die Fürsten seines Volkes;

9 der die Unfruchtbare im Hause zu Ehren bringt, dass sie eine fröhliche Kindermutter wird. Halleluja!

Sicher gibt es auch in der Bibel viele Texte, die dazu aufrufen, die Reinheit des Gottesvolkes zu bewahren, sich nicht mit fremden Völkern und vor allem ihren Göttern einzulassen. Wenn ich es richtig sehe, sollte eine solche Abgrenzung verhindern, dass das von Gott befreite Volk wieder unter die Herrschaft tyrannischer Götter und ihrer irdischen Stellvertreter geriet.

Aber es gibt in der Bibel keine absolute Abgrenzung zwischen verschiedenen Völkern an sich. Das kleine Buch Rut zeigt deutlich, dass es David, den größten König Israels, niemals gegeben hätte, wenn nicht sein Urgroßvater Boas eine Moabiterin geheiratet hätte. Wir lesen im Buch Rut 4, 13–17, von den Nachkommen von Rut und Boas:

13 So nahm Boas die Rut, dass sie seine Frau wurde. Und als er zu ihr einging, gab ihr der HERR, dass sie schwanger ward, und sie gebar einen Sohn.

14 Da sprachen die Frauen zu Noomi: Gelobt sei der HERR, der dir zu dieser Zeit einen Löser nicht versagt hat! Dessen Name werde gerühmt in Israel!

15 Der wird dich erquicken und dein Alter versorgen. Denn deine Schwiegertochter, die dich geliebt hat, hat ihn geboren, die dir mehr wert ist als sieben Söhne.

16 Und Noomi nahm das Kind und legte es auf ihren Schoß und ward seine Wärterin.

17 Und ihre Nachbarinnen gaben ihm einen Namen und sprachen: Noomi ist ein Sohn geboren; und sie nannten ihn Obed. Der ist der Vater Isais, welcher Davids Vater ist.

Noomi war eine Israelitin, die kinderlos gestorben wäre, wenn nicht ihre Schwiegertochter einen Löser gefunden hätte. Die Söhne Noomis waren kinderlos gestorben; ihre Schwiegertochter Rut, eine Ausländerin aus Moab, war bereit, zu ihr zu stehen. „Wo du hingehst, da will ich auch hingehen“, diese bekannten Worte stammen von ihr, gerichtet an ihre Schwiegermutter. Und Boas tritt für sie ein als „Löser“, er übernimmt die Verpflichtung, der Noomi durch ihre Schwiegertochter Nachkommen zu verschaffen. Dass er dabei kulturelle und religiöse Grenzen überschreitet, wird mit keinem Wort kritisch beurteilt.

Im Neuen Testament ist der Apostel Paulus das wichtigste Beispiel dafür, wie Menschen, die mit Gott gehen, auch religiöse Grenzen überschreiten. Er erlebt die Trennung zwischen Heiden und Juden als so schmerzlich, dass er sich im Brief an die Epheser 2, 13-17, vehement wehrt gegen diese trennende Wand zwischen Menschen:

13 Jetzt aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst Ferne wart, Nahe geworden durch das Blut Christi.

14 Denn er ist unser Friede, der aus beiden eines gemacht hat und den Zaun abgebrochen hat, der dazwischen war, nämlich die Feindschaft. Durch das Opfer seines Leibes

15 hat er abgetan das Gesetz mit seinen Geboten und Satzungen, damit er in sich selber aus den zweien einen neuen Menschen schaffe und Frieden mache

16 und die beiden versöhne mit Gott in einem Leib durch das Kreuz, indem er die Feindschaft tötete durch sich selbst.

17 Und er ist gekommen und hat im Evangelium Frieden verkündigt euch, die ihr fern wart, und Frieden denen, die nahe waren.

Jesus Christus, der von Juden und Heiden ans Kreuz geschickt und sogar von seinen Freunden im Stich gelassen wurde, er riss alle Grenzen zwischen Menschen nieder, indem er sogar seinen Feinden vergab.

Paulus wagt es sogar, von einer Einheit zu reden, die hier auf Erden bisher nirgends vollkommen sichtbar gewesen ist, auf die wir aber im Glauben an Jesus Christus hoffen dürfen. Im Brief an die Galater 3, 26-29, schreibt der Apostel:

26 Denn ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus.

27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen.

28 Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.

29 Gehört ihr aber Christus an, so seid ihr ja Abrahams Kinder und nach der Verheißung Erben.

Aber wer darf von sich sagen, dass er in Jesus ist? Wer gehört zum geheimnisvollen Leib Christi, der für uns Christen durch das Heilige Abendmahl zusammengefügt wird? Gehören nur die dazu, die das Herrenmahl auf eine bestimmte Weise feiern? Gehören nur die dazu, die Jesus als den Sohn Gottes bekennen und auf seinen Namen getauft sind? Oder ist die Barmherzigkeit der alleinige Maßstab dafür, ob ein Mensch gleich welcher Religion im Gericht vor dem Menschensohn bestehen kann? Jesus sagt ja deutlich im Evangelium nach Matthäus 25, 40:

40 Und der König wird antworten und zu ihnen sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.

Aber hat Jesus wirklich nicht auf Religion und Herkunft eines Menschen geachtet? Ursprünglich schon, heißt es im Evangelium nach Matthäus 15, 21–28, an anderer Stelle:

21 Jesus … zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon.

22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt.

23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach.

24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.

25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir!

26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde.

27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen.

28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.

Wie schwer religiöse Barrieren zu überwinden sind, zeigt hier das Beispiel unseres Herrn Jesu Christi selbst. Jesus zögert, einer Frau zu helfen, die nicht zum Volk Israel gehört. Er sagt sogar ausdrücklich, dass er nur der Messias der Juden sei.

Aber dann sieht er den Glauben dieser Frau in ihrer Not. Sie entwaffnet ihn mit ihrer einfachen Logik, macht seine Unterscheidung zwischen Kindern und Hunden, zwischen Volk Gottes und Heiden, reinen Juden und unreinen Gojim schlicht hinfällig. Auch Hunde werden in Gottes Welt satt, weil ihre Herren auch sie mit dem füttern, was von ihrem Essen übrig bleibt. Und Jesus lässt sich dadurch offenbar gern und nachhaltig an die unendlich große Barmherzigkeit Gottes erinnern, die die Grenzen des eigenen Gottesvolkes weit übersteigt. Auch Jesu Jünger lernen es, die von Menschen errichteten Grenzen und Barrieren im Namen der Religion zu überwinden.

Und heute? Mit Gott gehen kann heute bedeuten, sowohl Grenzen zwischen Christen als auch zwischen Menschen verschiedenen Glaubens zu überwinden. Wir glauben an einen Gott, alle Menschen sind Gottes Kinder. Die Christen Indiens sind in einem multireligiösen Umfeld eine kleine Minderheit. Sie erinnern uns an die Bedeutung des interreligiösen Dialogs. Uns müsste dieser Dialog leichter fallen, sind wir doch in Deutschland in einer Mehrheitssituation. Wir haben viele Möglichkeiten, auf Minderheiten zuzugehen und in guter Nachbarschaft mit ihnen zu leben, ja, auch in einen Dialog mit ihnen zu treten.

Aus dem Lied 133 singen wir die Strophen 7 und 8:

7. Du bist ein Geist der Liebe, ein Freund der Freundlichkeit, willst nicht, dass uns betrübe Zorn, Zank, Hass, Neid und Streit. Der Feindschaft bist du feind, willst, dass durch Liebesflammen sich wieder tun zusammen, die voller Zwietracht seind.

8. Du, Herr, hast selbst in Händen die ganze weite Welt, kannst Menschenherzen wenden, wie dir es wohlgefällt; so gib doch deine Gnad zu Fried und Liebesbanden, verknüpf in allen Landen, was sich getrennet hat.

Lasst uns beten.

Vater, vergib, dass wir noch immer Grenzen errichten. Gier, Vorurteile und Verachtung trennen uns als Christen untereinander und von Menschen anderen Glaubens. Lass uns durch deinen Geist Grenzen mutig überwinden und Mauern einreißen. So gehen wir mit Christus, um die Botschaft der Liebe und Einheit in die ganze Welt zu tragen. Stärke uns dazu. Gott des Lebens, führe uns hin zu Gerechtigkeit und Frieden. Amen.

Vater unser
EG 628: Herr, gib mir Mut zum Brückenbauen

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. Amen.

EG 483: Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden

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