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Von der Raupenexistenz zum Schmetterlingsleben

Bei der Trauerfeier für eine sehr alte Frau denke ich über ein Gedicht von Heinrich Böll nach und über Bilder der Auferstehung aus der Bibel.

Von der Raupenexistenz zum Schmetterlingsleben: Eine Brille, auf deren einem Glas eine Raupe und auf dem anderen ein Schmetterling abgebildet sind
Raupe und Schmetterling – Sinnbild der Auferstehung (Bild: PublicDomainPicturesPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauergemeinde, wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Frau T., die im Alter von [über 90] Jahren gestorben ist.

Wir erinnern uns an ihr Leben. Wir begleiten einander auf dem Weg der Trauer. Wir besinnen uns auf den Gott, von dem unser Leben herkommt und zu dem es im Tode zurückkehrt.

Wir beten mit Psalm 23:

1 Der HERR ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.

2 Er weidet mich auf einer grünen Aue und führet mich zum frischen Wasser.

3 Er erquicket meine Seele. Er führet mich auf rechter Straße um seines Namens willen.

4 Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten mich.

5 Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein.

6 Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des HERRN immerdar.

Wir singen aus dem Lied 361 die Strophen 1 und 12:

1. Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann.

12. Mach End, o Herr, mach Ende mit aller unsrer Not; stärk unsre Füß und Hände und lass bis in den Tod uns allzeit deiner Pflege und Treu empfohlen sein, so gehen unsre Wege gewiss zum Himmel ein.

Liebe Trauergemeinde!

Ich habe den wohl bekanntesten Psalm der Bibel gebetet, das Lied vom Guten Hirten. Dieses Gebet drückt die Zuversicht aus, dass wir im Leben umsorgt, bewahrt und behütet bleiben, was auch immer geschieht. Gott ist bei uns sowohl in Zeiten des Glücks, als auch dann, wenn unser Weg durch tiefe Täler führt.

Überblicken wir mit dieser Zuversicht den Lebenslauf der Verstorbenen mit allen Höhen und Tiefen, dann bekommt alles ein positives Vorzeichen und wir können uns getrost erinnern, an alles, was dieses Leben erfüllt hat, an das viele Glück und auch an die Schicksalsschläge, die zu bewältigen waren in diesem unverwechselbaren Leben.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

Das Glück dieses Lebens ist mit Händen zu greifen. Da war die von Glück erfüllte Ehegemeinschaft mit ihrem Mann bis zu seinem Tod; bis ins hohe Alter konnte man beide händchenhaltend auf der Couch sitzen sehen. Da waren die Enkelkinder, die sie liebte und gerne um sich hatte und zum Teil mit großzog. Da war der Garten, in dem sie noch mit über 80 Jahren gegraben hat. Nach wie vor interessierte sie sich für Tiere, hielt Hunde, las Tiergeschichten und schaute Naturfilme im Fernsehen an. Überhaupt las sie sehr viel und ging wohl selten ohne ein Buch ins Bett.

Schwer trafen sie der Tod ihres Mannes und weitere Todesfälle in der Familie; seitdem lebte sie ein eher zurückgezogenes Leben. Aber sie verlor nicht das Interesse an ihren Enkelkindern, die inzwischen auch selber Kinder haben; ich glaube, sie hat mir mal anlässlich eines Besuchs zum Geburtstag stolz erzählt, dass ihre Enkel ihre Kinder streng und liebevoll erziehen – und auch sie hat ihre vielen Urenkelkinder sehr geliebt.

Insgesamt war sie ein zufriedener und dankbarer Mensch. Sie schöpfte Kraft aus dem Gebet, das war ihr wichtig jeden Tag. „Der da oben, der gibt mir Kraft und Hilfe“, meinte sie.

Als sie zuletzt Betreuung rund um die Uhr brauchte und noch einmal umzog ein ein Seniorenheim, hat sie sich auch dort sehr wohlgefühlt. Sie sagte nie: „Ich will nach Hause“, sondern war dankbar für die liebevolle Pflege und die Besuche aus der Familie. Eine Schwester meinte jetzt: „Schade, dass die Frau T. nicht mehr da ist, das war hier unser Schätzchen!“ Bis zuletzt war sie sehr ruhig; und als es ans Sterben ging, ist sie ganz ruhig eingeschlafen.

In dieser getrosten Zuversicht können wir nun auch von Frau T. Abschied nehmen. Sie hat sich nicht gefürchtet vor dem Tod, vor dem Hinübergehen in eine uns völlig unvorstellbare Welt. Und wir sind zwar traurig, wenn wir einen geliebten Menschen gehen lassen müssen, den wir vermissen werden, können aber trotzdem voller Dankbarkeit zurückblicken und voller Hoffnung in die Zukunft schauen.

Heinrich Böll hat diese Hoffnung in einem Gedicht meditiert, auf das Sie in einer kirchlichen Zeitschrift stießen und das Sie aufbewahrt haben:

Wenn die Raupen wüssten, was einmal sein wird
wenn sie erst Schmetterlinge sind,
sie würden ganz anders leben:
froher, zuversichtlicher und hoffnungsvoller.
Der Tod ist nicht das Letzte.

Der Schmetterling ist das Symbol der Verwandlung,
Sinnbild der Auferstehung.
Das Leben endet nicht, es wird verändert.
Der Schmetterling erinnert uns daran,
„dass wir auf dieser Welt nicht ganz zu Hause sind“.

Damit knüpft Heinrich Böll an Hoffnungen an, die auch in der Bibel aufbewahrt sind. Ein Psalmsänger erkennt zum Beispiel (Psalm 119, 19):

Ich bin ein Gast auf Erden.

Und er verbindet diese Erkenntnis mit der Bitte an Gott:

Verbirg deine Gebote nicht vor mir.

Damit meint er nicht ein Leben in freudloser Pflichterfüllung, sondern ein geradliniges Leben, das in Klarheit und Wahrhaftigkeit vor Gott mit einem Ziel vor Augen geführt wird und so ein von Sinn erfülltes Leben ist.

Im Neuen Testament greift der Schreiber des Briefs an die Hebräer 13, 14 den Gedanken auf, dass wir nur vorübergehend diese Erde bewohnen:

Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Und der Apostel Paulus macht sich – ähnlich wie später die Beobachter der Raupen und Schmetterlinge – Gedanken darüber, wie ein Leben nach diesem Leben wohl aussehen könnte (1. Korinther 15, 35-44):

35 Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten auferstehen, und mit was für einem Leib werden sie kommen?

36 Du Narr: Was du säst, wird nicht lebendig, wenn es nicht stirbt.

37 Und was du säst, ist ja nicht der Leib, der werden soll, sondern ein bloßes Korn, sei es von Weizen oder etwas anderem.

38 Gott aber gibt ihm einen Leib, wie er will, einem jeden Samen seinen eigenen Leib.

39 Nicht alles Fleisch ist das gleiche Fleisch, sondern ein anderes Fleisch haben die Menschen, ein anderes das Vieh, ein anderes die Vögel, ein anderes die Fische.

40 Und es gibt himmlische Körper und irdische Körper; aber eine andere Herrlichkeit haben die himmlischen und eine andere die irdischen.

41 Einen andern Glanz hat die Sonne, einen andern Glanz hat der Mond, einen andern Glanz haben die Sterne; denn ein Stern unterscheidet sich vom andern durch seinen Glanz.

42 So auch die Auferstehung der Toten. Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich.

43 Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Armseligkeit und wird auferstehen in Kraft.

44 Es wird gesät ein natürlicher Leib und wird auferstehen ein geistlicher Leib.

Mit all diesen Bildern macht Paulus bereits das Gleiche wie Heinrich Böll. In dichterischer und vertrauensvoller Phantasie entwirft er Bilder des Himmels, den wir, die wir noch an die Erde und ihre Vorstellungsformen gebunden sind, einfach nicht fassen können.

Die Raupe weiß nicht, dass aus ihr ein luftig-leichter Schmetterling wird, der die Erdenschwere mit leichtem Flügelschlag überwindet. Ebenso wenig „wissen“ wir, was uns jenseits dieses Lebens, jenseits der letzten Tür nach unserem Sterben erwartet.

Im Vertrauen auf Gott, im Vertrauen auf die Macht der Liebe, die uns ins Leben rief und die an der Schwelle des Todes nicht aufhört, bekommen wir eine Ahnung, ja eine feste Zuversicht, dass wir nicht alles verlieren, wenn wir sterben, sondern dass das Leben in Wahrheit dort zu seiner Vollendung kommt.

Wir drücken das oft in Verneinungen aus, zum Beispiel mit Worten, die die Vorsilbe „un“ enthalten. „Un“-verweslich nennt Paulus den geistlichen Leib, der nicht der Verwesung unterworfen ist, dem ewigen Kreislauf der natürlichen Elemente, aus denen unser Körper aufgebaut ist. „Leib“ ist etwas anderes als „Körper“ und meint das, was uns als Mensch unverwechselbar macht und zwar nicht nur als Individuum, sondern als Mensch inmitten unserer Lebensgeschichte und inmitten unserer lebendigen Beziehungen zu anderen Menschen.

Was wir hier auf Erden gewesen sind, ganz gleich wie lange oder kurze Zeit, bleibt in Gottes Ewigkeit aufbewahrt. Nichts ist vor Gott gleichgültig, darum ist es auch so wichtig, unser Leben und die Liebe, die wir von ihm empfangen, als etwas Kostbares aus seinen Händen zu empfangen. Vor ihm und nur vor ihm müssen wir uns verantworten, denn was uns geschenkt ist, damit sollen wir anderen zum Segen sein.

Die Bestimmung der Raupe ist es, zum Schmetterling zu werden. Die Bestimmung des Menschen ist es, als Ebenbild der Liebe Gottes zu leben: aus der Liebe heraus, die Gott uns zuwendet, barmherzig mit sich selbst und mit den anderen umzugehen. Dieser Prozess der Verwandlung beginnt hier auf Erden, aber er endet nicht, wenn wir sterben: er wird vollendet – wir werden vollendet – in der Ewigkeit Gottes.

Mit dieser Zuversicht im Herzen dürfen wir heute getrost von Frau T. Abschied nehmen. Sie hat schon hier auf Erden ein großes Stück der Verwandlung erfahren, die Heinrich Böll in seinem Gedicht beschreibt: sie lebte in Dankbarkeit und Zuversicht ein frohes und hoffnungsvolles Leben – ein Stück Schmetterlingsleben bereits in der irdischen Raupenexistenz.

Mit der Erinnerung an die Liebe, die wir einander verdanken, haben wir einen starken Anker, an dem sich auch unsere Zuversicht und Hoffnung fest machen kann: Frau T. geht nicht verloren, und wir werden in der Zukunft nicht verloren gehen, denn unser Leben ist geborgen in der Liebe eines Gottes, dem diese Welt und wir Menschen am Herzen liegt. Wir werden am Ende wie ein Samenkorn in die Erde gelegt. Was daraus wächst, wissen wir nicht, aber es wird unverweslich sein, einfach unvorstellbar herrlich. Amen.

Wir singen das Lied 376:

1. So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Ich mag allein nicht gehen, nicht einen Schritt: wo du wirst gehn und stehen, da nimm mich mit.

2. In dein Erbarmen hülle mein schwaches Herz und mach es gänzlich stille in Freud und Schmerz. Lass ruhn zu deinen Füßen dein armes Kind: es will die Augen schließen und glauben blind.

3. Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht: so nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich!

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