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Umgang mit dem Sterben auf der Station

Hände einer Pflegeperson halten die Hand eines alten Menschen im Krankenbett
Einem kranken oder sterbenden Menschen die Hand halten (Bild: truthseeker08Pixabay)

Wie ist es zu dieser Veranstaltung gekommen? Zwei Motive haben dabei eine Rolle gespielt. Zuerst einmal liegt schon seit fast zwei Jahren, seit meinem Dienstantritt hier in der Klinik, dieses Thema in der Luft: „Umgang mit dem Sterben auf der Station“. Ein Thema, dem sich keiner auf der Station entziehen kann, weder Patienten noch Pflegekräfte, weder Arzt noch Seelsorger.

Zum andern bin ich – ebenfalls gleich von Anfang an – immer wieder darauf angesprochen worden, dass sich vor allem Pflegekräfte an einem Punkt alleingelassen fühlen: nämlich bei der Frage, wie sie mit all den seelischen Belastungen fertig werden sollen, die die Arbeit auf der Station mit sich bringt. Ärzte und Therapeuten haben mich weniger darauf angesprochen, aber vielleicht geht es ihnen im Grunde ähnlich. Ich weiß jedenfalls von mir, dass ich mit den seelischen Belastungen, die ich in meiner Arbeit erfahre, nicht fertig werden würde, wenn ich keine Gelegenheit hätte, mir selber in einer Supervisionsgruppe erfahrenen Rat zu holen und mich auszutauschen mit Leuten, die ebenfalls in einem helfenden Beruf arbeiten.

Wie nötig es ist, dass auch Helfer nicht immer nur helfen und geben und selber ohne Hilfe bleiben, zeigt ganz drastisch z. B. der Fall des Wolfgang Lange im Landeskrankenhaus Gütersloh. Sie haben sicher davon gehört. Am 7. Januar war in der „Frankfurter Rundschau“ zu lesen: „Um auf seine »Überarbeitung« aufmerksam zu machen, will der 34jährige Krankenpfleger Wolfgang Lange… 14 überwiegend alte Patienten mit Luft-Injektionen in die Venen getötet haben“. Die »unzureichende Personalausstattung« auf seiner Station war sicher nur eine der Ursachen für dieses Gefühl der Überlastung. Vor fünf Jahren bereits war ein ähnlicher Fall in einer Wuppertaler Klinik bekannt geworden; damals hatte die Krankenschwester Michaela Röder mehrere Patienten mit Luft-Spritzen getötet. Sie hatte „ihre Taten als »Sterbehilfe« für unheilbar kranke und schwer leidende Menschen ausgegeben.“

Das sind extreme Fälle, die glücklicherweise selten vorgekommen sind. Aber ist es nicht auch ein Alarmzeichen, dass sich immer weniger junge Menschen für die Ausbildung im Pflegedienst bewerben? Dass immer mehr Pflegekräfte lange vor Erreichen der Altersgrenze aus dem Dienst ausscheiden? Dass sich Resignation ausbreitet, nachdem man lange über den Personalmangel geklagt hat, bis mancher selber das Handtuch wirft?

Schon vor 17 Jahren hatte der amerikanische Psychiater Freudenberger das „Burnout-Syndrom“ beschrieben, das häufig bei Menschen auftritt, die in helfenden Berufen tätig sind. „Burnout“ heißt so viel wie „Ausbrennen“; und gemeint ist damit Folgendes:

  • dass man sich ständig erschöpft und überfordert fühlt;
  • dass man in seiner Tätigkeit kaum persönliche Erfüllung findet;
  • dass man abstumpft gegenüber eigenen und fremden Gefühlen;
  • dass man Widerstand entwickelt gegen jede Veränderung (weil man von jeder Veränderung noch mehr Arbeit, noch mehr Belastungen, erwartet).

Das letzte Element dieses inneren „Ausbrennens“, dieser Widerstand, ist auch eine Erklärung dafür, warum das Interesse z. B. an Gesprächsgruppen unter Pflegekräften so gering zu sein scheint, vielleicht gerade bei denen, die einen solchen Austausch am nötigsten bräuchten; denn zunächst stellt solch ein Angebot ja wieder einen neuen Termin dar; mit Gefühlen in Kontakt kommen oder gar von sich selbst zu reden, erfordert eine große Überwindung; und schließlich ist es doch die große Frage: bringt das Ganze denn überhaupt etwas?

Nun gut, ich weiß nicht, ob Sie an sich selbst ähnliche Beobachtungen machen können, wie sie dieser Amerikaner bei vielen Krankenpflegekräften festgestellt hat. Die Gefahren sind aber wohl deutlich, die fast jedem Helfer drohen, gerade wenn er ständig unter der Bedingung eines personellen Engpasses arbeiten muss.

Diese Veranstaltung heute könnte ein Anfang sein, um einen solchen Austausch über Belastungen, die in der Arbeit auf der Station auftauchen, in Gang zu setzen. Solch ein Austausch kann auf die Dauer zweierlei Folgen haben: Zum einen könnte man gemeinsam vielleicht doch etwas erreichen, um die äußere Arbeitssituation zu verbessern. Zum andern, und das halte ich fast für noch wichtiger, kann man sich damit auseinandersetzen, wie man innerlich mit dem umgeht, was einen belastet. Der eine stumpft ab – aber ist das eine Lösung? Ein anderer schluckt dauernd seine Probleme herunter – und heraus kommt ein Magengeschwür, oder ein Alkoholproblem. Ein weiterer regt sich ständig auf, rennt an gegen Mauern, gibt irgendwann resigniert auf. Wieder ein anderer schleppt tagelang Belastungen mit sich herum und wäre dankbar für einen geschützten Raum – in einer Gruppe, in der nichts nach außen weitergetragen wird -, um sich einmal aussprechen zu können.

Als Einstieg für einen solchen Austausch haben wir das vorhin genannte Thema gewählt, das wohl niemanden unberührt lässt. Am Thema „Sterben auf der Station“ verdichten sich viele der Belastungen der helfenden Kräfte, und viele Fragen sind nicht leicht zu klären und zu bewältigen: Was kann man für einen sterbenden Patienten tun, wann kann man nichts mehr tun? Und was tut man dann, wenn man nichts mehr tun kann? Wie steht es, wenn der Patient bei Bewusstsein ist, mit der Wahrheit am Krankenbett? Wie kann man die Qualen eines unter großen Schmerzen leidenden Patienten mit ansehen?

Für diese Frage nach dem Umgang mit dem Sterben auf der Station hat man mich als einen Pfarrer ausgewählt. Dafür hält man offensichtlich immer noch den Pfarrer für zuständig, der wird, zumindest im katholischen Bereich, gerufen, wenn einer stirbt, der macht ja auch Beerdigungen, der redet vom ewigen Leben, usw.

Nun muss ich sagen: Ich persönlich bin überhaupt nicht gern der „Todesengel“, bei dessen Auftauchen ein Patient erschrickt: „Steht es mit mir schon so schlimm?“ Ich hoffe, dass inzwischen den meisten Patienten rasch deutlich ist, dass ich mich mindestens genau so intensiv um die Lebenden kümmere, mit ihnen spreche, mit ihnen Andachten halte, und dass es mir nicht darauf ankommt, jeden Patienten vor seinem Tod noch mit irgendwelchen kirchlichen Riten zu bearbeiten. Mich ruft man auch gar nicht so oft zu den Sterbenden. Vielleicht weil ich als evangelischer Pfarrer für solche Fälle ja auch nicht so viel in der Hand habe wie der katholische Priester. Die Krankensalbung gibt es bei uns nicht; für ein Krankenabendmahl ist es so kurz vor dem Tod oft auch zu spät.

Aber es kann auch gut und sinnvoll sein, zu einem Sterbenden zu gehen und – nichts in der Hand zu haben. Einfach da zu sein, nur mit sich selbst und mit dem, was in einem vorgeht.

Das kann gut und sinnvoll sein, weil dieses „Nichts-in-der-Hand-Haben“ ja genau der Situation dessen entspricht, der sterben muss. Auch er hat nichts in der Hand, er muss alles loslassen, kann nichts mitnehmen. Und wir, als die, die einem Sterbenden begegnen, können nichts mehr tun von dem, was wir so gern tun würden: heilen, zum Leben ermutigen, Hoffnung machen in dem Sinne: Es wird schon wieder. Da kann man eigentlich nur da sein, dieses hilflose Gefühl aushalten und dem Patienten vermitteln: Jetzt, in diesem Augenblick bin ich für Sie da, ich werde wieder gehen müssen, aber jetzt halte ich ein Stück weit mit Ihnen aus, was hier vor sich geht, was in mir, was in Ihnen vorgeht.

Nun möchte ich Ihnen eine Frage stellen, die Sie bitte jetzt einmal im Stillen ganz persönlich für sich beantworten möchten. „Wie nehmen Sie Kontakt zu einem sterbenden Patienten auf? Und was geht in Ihnen dabei vor?“ Sind Sie froh, eine Infusion anlegen zu können, eine Handreichung machen zu können? Was wäre, wenn Sie einfach mit leeren Händen hinkämen? Malen Sie sich einmal so eine Situation aus und versuchen Sie, sich einzufühlen.

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Ich möchte noch einmal betonen: Sie als Pflegekräfte haben hier viel mehr den Kontakt mit den Sterbenden als alle anderen auf der Station. Deshalb möchte ich hier nicht reden als der, der mehr Ahnung hat als Sie.

Auch in den Veröffentlichungen zum Thema Sterben gibt es meines Wissens wenig, was in der Situation auf unseren Stationen hier weiterhilft. Sie kennen vielleicht Bücher von Frau Kübler-Ross. Sehr beeindruckende Auseinandersetzungen mit dem Thema des Todes und des Sterbens. Sie hat hervorragende Arbeit geleistet, um das Tabu des Todes zu durchbrechen und hat die Würde des Sterbens wiederentdeckt.

Nur leider können wir viele dieser Thesen für unseren Bereich gar nicht anwenden. Weil viele unserer Patienten eben ihr Sterben gar nicht so bewusst erleben. Sie sind oft schon lange sehr beeinträchtigt, dämmern dahin; fragen kaum oder nie nach Leben und Tod. Das heißt aber nicht, dass sie sich nicht damit beschäftigen. Nicht umsonst sind bei vielen Patienten gerade im Haus Alsenztal solche Kirchenlieder besonders beliebt, die auch den Aspekt des Sterbens mit drin haben: „Jesu, geh voran“ z. B., wo es heißt: „führ uns an der Hand bis ins Vaterland“. Oder: „So nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich.“ Sie erinnern sich vielleicht an Frau X., sie hat dieses Lied noch kurz vor ihrem Tod auf dem Sterbebett gesungen, dieselbe Frau X. die auch sonst viel gesungen und immer nach einem Zigarettchen gefragt hatte.

Ich habe bisher auf unseren Stationen hier nur in Einzelfällen eine Patientin oder einen Patienten in seinem Sterben so begleiten können, dass ich den Eindruck hatte, ich helfe ein wenig bei diesem Abschied.

In den meisten Fällen bleibt man mit einem Gefühl der Ohnmacht zurück, entweder weil man wirklich nichts tun konnte, keinen Kontakt mehr aufnehmen konnte zum Patienten, oder weil einfach die Zeit fehlte, um sich dem Sterbenden mehr zuzuwenden.

Die seelischen Belastungen durch das Miterleben des fremden Sterbens ergeben sich manchmal gerade durch diese Spannung: man möchte mehr tun, kann aber nicht; oder man kann die Realität einfach nicht mehr ertragen und versucht sie von sich zu schieben. Das aber geht nicht gut auf die Dauer.

Dazu möchte ich Ihnen ein Beispiel erzählen aus einer anderen Klinik. Eine Schwester klagte dort in einem Gesprächskreis darüber, dass der Gedanke an einen Patienten, der bereits vor Jahren auf ihrer Station gestorben sei, sie immer noch sehr belaste. Sie komme einfach nicht darüber hinweg. Im Gespräch stellte sich heraus, dass es ein jüngerer Patient gewesen war, zu dem sie keinen rechten Draht gefunden hatte. Sie machte sich in gewisser Weise dafür verantwortlich, dass er bis zum Schluss die Tatsache verdrängte, sterben zu müssen; und sie stellte nun fest, dass sie sich nie eingestanden hatte, wie zornig sie war auf ein Schicksal oder einen Gott, der einen Menschen so früh aus dem Leben reißt, obwohl seine Frau und seine Kinder ihn noch nötig gebraucht hätten.

Die Gesprächsgruppe half dieser Schwester, sich über ihre eigenen Gefühle klar zu werden; sie konnte sie vor anderen aussprechen, ohne z. B. dafür kritisiert zu werden, dass sie einen Zorn auf Gott hatte; sie akzeptierte schließlich auch, dass sie damals wirklich nicht mehr tun konnte – sie konnte den Patienten ja nicht zwingen, sich seinem Sterben bewusst zu stellen.

Kurze Zeit später empfand sie den Gedanken an diesen Patienten nicht mehr als belastend; sie konnte ihn sozusagen verspätet „beerdigen“, von ihm wirklich Abschied nehmen.

Die Realität annehmen, sich den eigenen Gefühlen stellen, die da sind, sich dem Sterben eines Patienten stellen, das man nicht verhindern kann – das erinnert mich übrigens auch an ein Wort Jesu aus meiner letzten Sonntagspredigt: „Wer mir nachfolgen will, der verleugne sich selbst und nehme sein Kreuz auf sich und folge mir nach.“

Das ist ein oft missverstandenes Wort, weil man immer denkt, „sich selbst verleugnen“ heiße: völlig selbstlos nur an die anderen Menschen denken. Ich verstehe das Wort wörtlich so: Sich selbst verleugnen heißt: Ich kenne mich selbst nicht, jedenfalls noch nicht ganz. Sich selbst verleugnen heißt: sich selbst einmal ganz anders kennenlernen.

Wenn jemand, der in einem helfenden Beruf arbeitet, immer schon mehr an die anderen denkt als an sich selbst, der kann vielleicht die andere Seite in sich kennenlernen, dass er auch für sich etwas braucht. Sich selbst verleugnen heißt dann: anerkennen, dass man nicht immer nur geben kann, sondern auch ein Recht hat, etwas zu bekommen, zu genießen, sich selbst liebzuhaben.

Ich denke, dass jeder das braucht, sich immer wieder einmal zu befragen: habe ich nicht noch andere Seiten, andere Gefühle, die auch ihr Recht fordern. Es können Gefühle sein, die mir unangenehm und schmerzlich sind, eine unterdrückte Traurigkeit, ein versteckter Zorn, ein Schuldgefühl, eine andauernde Selbstüberforderung.

Ein Leiden entsteht jedenfalls oft daraus, dass man eine bestimmte Realität, ein „Kreuz“, wie Jesus sagt, nicht anerkennen will, obwohl man einfach nicht darum herumkommt. Das können äußere Realitäten sein – wie der Tod eines Patienten. Oder innere Realitäten – wie die Gefühle, mit denen ich auf einen Todesfall reagiere. Und verdrängen lassen sich Realitäten nicht, auch dann nicht, wenn es sich um unsere eigenen Gefühle handelt. Die melden sich wieder, notfalls an anderer Stelle, notfalls durch Krankheiten.

Ich weiß nicht, ob ich Sie durch diese Äußerungen nun angeregt habe, sich in ein Gespräch zur Sache einzulassen. Oder ob ich Sie eher abgeschreckt und genervt habe, weil ich Fragen angeschnitten habe, die für Sie gar nicht so interessant sind. Pfarrer haben auch manchmal die Eigenart, auf Fragen zu antworten, die niemand gestellt hat. Deshalb sind jetzt Sie dran – Sie haben das Wort!

 

Am Schluß der Veranstaltung möchte ich nun noch einmal ein paar Fragenkomplexe andeuten, um die es in folgenden Fortbildungsveranstaltungen gehen könnte. Wir können gemeinsam entscheiden, ob wir überhaupt weitermachen wollen, und mit welchen Fragen wir uns weiter beschäftigen wollen.

Lassen Sie mich noch einmal ein paar mögliche Fragen für uns hier und heute (oder auch für einen späteren Zeitpunkt) auflisten:

  1. Wie erleben wir eigentlich als Pflegekräfte, als Ärzte, als Therapeuten, als Pfarrer das Sterben auf der Station? Welche Unterschiede nehmen wir wahr: ob einer bewusst stirbt, d. h. in welchem Grad der Bewusstheit, ob einer leicht oder schwer Abschied vom Leben nimmt. Und dann vor allem die Frage: Wie nimmt uns dieses Sterben mit? Wann belastet es uns mehr, wann weniger? Mussten wir die Entscheidung treffen, unsere Gefühle eher wegzudrängen oder haben wir Möglichkeiten, anders mit unseren Gefühlen umzugehen?
  2. Wie gehen wir eigentlich mit dem Thema „Tod“ im eigenen, persönlichen Bereich um? Wie werden wir damit fertig, wenn ein mir nahestehender Mensch stirbt? Was geht in uns vor, wenn wir an unseren eigenen Tod denken, der uns unausweichlich einmal treffen wird? Ich bin davon überzeugt, dass die Art, wie wir selber mit diesem Thema umgehen, auch Auswirkungen darauf hat, wie wir dem Tod auf der Station begegnen.
  3. Spielen die Angebote der religiösen Tradition, mit dem Tod umzugehen, für uns noch eine Rolle? Oder sind wir auf der Suche nach neuen Wegen, diese Erfahrung zu bewältigen? Der Glaube an die Auferstehung der Toten hat heute viel von seiner ursprünglichen Kraft verloren; manche suchen Zuflucht in Reinkarnationstheorien, manche glauben an den Tod als endgültiges Ende des Lebens.
    Eng verbunden mit diesen Fragen ist die Frage nach dem Sinn des Lebens. Ein erfülltes Leben loszulassen, fällt uns leichter als das sinnlose Ende eines sinnlosen Lebens vor Augen zu haben. Aber wann ist ein Leben erfüllt, wann ist es sinnvoll? Und wie gehen wir damit um, dass manche sich am liebsten selbst umbringen würden und dass andere verzweifelt an ihrem Leben hängen?
  4. Wie steht es – über unser heutiges Thema hinaus – mit anderen Belastungen, die uns als helfenden Kräften in der Klinik das Leben schwer machen? Wären Sie an einer regelmäßigen Möglichkeit interessiert, sich über solche Themen auszutauschen?
  5. Noch ein letzter, ganz konkreter Punkt. Ich weiß, dass es nicht allen möglich ist, hierher zu kommen, selbst wenn sie es wollen. Wenn eine Station unzureichend besetzt ist, kann sich auch in der Übergabezeit niemand frei machen. Ich weiß von Belastungen, die nicht mehr als tragbar erscheinen; und ich weiß, dass manche Pflegekräfte resignieren, sich nicht mehr beklagen, weil sie denken, es sei eh zwecklos, es könne doch nichts gemacht werden, und sie möchten auch nicht als Querulanten dastehen, die immer nur meckern.

 

Ein Nachtrag:

Einmal fragte mich eine Patientin, die gerade von der Schwester in einem langen Gespräch darauf vorbereitet worden war, dass sie nicht mehr gesund werden würde: Wollen Sie mir auch noch schwere Gedanken machen? Da musste ich letzten Endes zustimmen: Ja, ich würde Ihnen doch nicht helfen, wenn ich Ihnen etwas vormachte. Als dann aber die Patientin sagte: Dann wäre ja alles umsonst gewesen, mein ganzer Kampf gegen die Krankheit, alles wäre dann aus. Da habe ich Einspruch erhoben: Ich sehe das etwas anders. Ein Kampf ist zwar vorbei, der Kampf, um gesund zu werden. Aber eine andere Aufgabe ist noch da, nämlich loszulassen, das Leben herzugeben, Abschied zu nehmen, vielleicht noch etwas zu beenden, was noch offen ist in einer Beziehung. Und dieses Loslassen ist nicht weniger wichtig als vorher ein Leben lang das Festhalten und Bewahren und Kämpfen gewesen war. Ich habe mit dieser Frau nur dieses eine Gespräch geführt. Später hörte ich, dass sie am gleichen Tag noch weinen konnte; ich nehme an, dass darin ein Stück von diesem Loslassen geschehen ist, dass sie nicht mehr so verkrampft an ihrem Leben gehangen hat wie zuvor. Am Tag danach ist sie gestorben.

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