Übersehene Perspektiven im Johannesevangelium

„Das Johannesevangelium heute lesen“ – dazu lädt Michael Heymel sowohl Anfänger als auch Fortgeschrittene ein. Leider übersieht seine Einführung in die gegenwärtige Johannes-Auslegung die Möglichkeit, das vierte Evangelium befreiungstheologisch zu begreifen, nämlich in seinem Blick auf Israels Wiederherstellung und seine Befreiung von der römischen Weltordnung. Eine solche alternative Johannes-Lektüre hat der im Jahr 2022 verstorbene biblische Theologe Ton Veerkamp vorgelegt.

Der Evangelist Johannes ist zusammen mit seinem Symbolbild des Adlers als Holzschnitzerei in einer Kirche zu sehen; im Hintergrund eine Säulenhalle mit verschiedenen Menschen, die in Auseinandersetzungen begriffen zu sein scheinen
Der Evangelist Johannes mit dem Adler als seinem Symbolbild in der Amsterdam Nieuwe Kerk (Bild: Gouwenaar, Amsterdam Nieuwe Kerk Johannes evangelist, CC0 1.0)

Inhaltsverzeichnis

Ton Veerkamps befreiungstheologische Johannes-Auslegung

Was sich Michael Heymel vorgenommen hat

1. Zur Wirkungsgeschichte des Johannesevangeliums

2. Probleme der Auslegung des vierten Evangeliums

2.1 Die „Welt“ und „die Juden“ im Johannesevangelium

2.2 Ist die „johanneische Gemeinde“ eine christliche Kirche?

2.3 Welche Rolle spielen Frauen im Johannesevangelium?

3. Die Eigenart des Johannesevangeliums

3.1 Literarische Besonderheiten: Sprache, Leitworte, Erzählstil

3.2 Theologische Konzeption

3.3 Verfasser und Adressaten

3.4 Ort und Entstehungszeit

3.5 Entstehung und Aufbau

3.6 Das Evangelium als Drama

4. Eine Hinführung zum Glauben an Jesus

4.1 Prolog (1,1-18)

4.2 Johannes der Täufer (1,19-36; 3,22-30; 10,41-42)

4.3 Sieben Zeichen der Herrlichkeit

4.3.1 Die Hochzeit in Kana (Joh 2,1-11)

4.3.2 Der königliche Beamte aus Kafarnaum (Joh 4,46-54)

4.3.3 Heilung am Teich Betesda (Joh 5,1-18)

4.3.4 Speisung der Fünftausend (Joh 6,1-15)

4.3.5 Der Gang auf dem Wasser (Joh 6,16-21)

4.3.6 Heilung eines Blindgeborenen (Joh 9,1-41)

4.3.7 Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-45)

4.4 Der Todesbeschluss des Hohen Rates (Joh 11,46-57)

4.5 Die Tempelreinigung (Joh 2,13-25)

4.6 Vor dem Laubhüttenfest (Joh 7)

4.7 Begegnungen

4.7.1 Das Gespräch mit Nikodemus (Joh 3,1-21)

4.7.2 Das Gespräch mit der Samaritanerin (Joh 4,4-42)

4.7.3 Jesus und die Ehebrecherin (Joh 7,53-8,11)

4.8 Selbstoffenbarungen: Die Ich-bin-Worte

4.8.1 Das Brot des Lebens, das Brot vom Himmel (Joh 6,35.41.48.51)

4.8.2 Das Licht der Welt (Joh 8, 12; vgl. 9,5)

4.8.3 Die Tür (zu den Schafen) (Joh 10,73)

4.8.4 Der gute Hirte (Joh 10,11.14)

4.8.5 Die Auferstehung und das Leben (Joh 11,25)

4.8.6 Der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6)

4.8.7 Der wahre Weinstock (Joh 15,1-8)

4.8.8 Ich bin ein König (Joh 18,37)

4.9 Die Salbung Jesu in Betanien (Joh 12,1-8)

4.10 Einzug in Jerusalem (Joh 12,12-19)

4.11 Ankündigung der Verherrlichung Jesu (Joh 12,20-36)

4.12 Jesu Abschied von den Seinen (Joh 13-17)

4.12.1 Die Fußwaschung (Joh 13)

4.12.2 Abschiedsreden (Joh 14-16)

4.12.3 Das Abschiedsgebet (Joh 17)

4.13 Szenen der Passion (Joh 18-19)

4.13.1 Die Gefangennahme Jesu (Joh 18,21-11)

4.13.2 Das Verhör bei Hannas und Kajafas und die Verleugnung durch Petrus (Joh 18,12-27)

4.13.3 Jesus vor Pilatus (Joh 18,28-19,16a)

4.13.4 Die Kreuzigung (Joh 19,16b-37)

4.14 Szenen der Auferstehung (Joh 20-21)

4.14.1 Erscheinung vor Maria aus Magdala (Joh 20, 11-18)

4.14.2 Erscheinung vor den Jüngern (Joh 20, 19-25)

4.14.3 Erscheinung vor Thomas (Joh 20,24-29)

4.14.4 Erscheinung am See von Tiberias (Joh 21,1-14)

4.14.5 Petrus und der Lieblingsjünger (Joh 21, 15-23)

4.15 Schlussworte (Joh 20,30f, 21,24f.)

5. Zusammenfassung

5.1 Wie man das Johannesevangelium lesen kann

5.2 Ein Buch für Anfänger und Fortgeschrittene

Ton Veerkamps befreiungstheologische Johannes-Auslegung

Bereits im Jahr 2020 las ich Michael Heymels Einführung in das Johannesevangelium, <1> als ich soeben begonnen hatte, mich drei Jahre lang mit Ton Veerkamps befreiungstheologischer Lektüre des Johannesevangeliums zu beschäftigen <2> und sie schließlich mit den wissenschaftlichen Kommentaren von Hartwig Thyen und Klaus Wengst zu vergleichen. <3> Fortsetzen möchte ich meine Auseinandersetzung mit Johannes, indem ich Ton Veerkamps Einsichten auch ins Gespräch mit Michael Heymel zu bringen versuche, der Menschen des 21. Jahrhunderts dazu anregen will, das vierte Evangelium zu lesen.

Als Ton Veerkamp im Jahr 2002 mit der Auslegung und Übersetzung zunächst einmal der Kapitel 13-17 des Johannesevangeliums begann, <4> wies er darauf hin, dass wir uns nur dann einem wirklichen Verstehen biblischer Texte annähern können, wenn wir uns zunächst einmal ihre Fremdheit bewusst machen. Johannes ist kein Christ, der einer christlichen Gemeinde, wie wir sie kennen, etwas über so vertraute Personen wie Jesus, Petrus und Maria Magdalena erzählt, sondern ein messianischer Jude, der mit Juden anderer Prägung erbittert über die Auslegung der Tora des Mose und die Anerkennung Jesu des Nazoräers als des Messias Israels streitet. Das Johannesevangelium nennt Veerkamp [12] wortwörtlich einen „lästigen, widerborstigen, ärgerlichen und hin und wieder großen, auf alle Fälle in seiner ideologischen Wirkung immer noch mächtigen Text“, und seine eigene Auslegung versteht er als „einen Diskussionsbeitrag unter vielen anderen“, der seinen eigentlichen Ort in dem hat, was „die Juden beth ha-midrasch, Lehrhaus“, nennen, also in einem nicht abreißenden Gespräch des Evangeliums mit den Texten der jüdischen Bibel.

Was sich Michael Heymel vorgenommen hat

Nun also zur Einleitung des Buches von Michael Heymel. Ansprechend finde ich, dass er wesentliche Verstehensvoraussetzungen der drei von mir intensiv besprochenen und miteinander ins Gespräch gebrachten Johannes-Kommentatoren Thyen, Wengst und Veerkamp teilt: zum einen, dass das Johannesevangelium im Großen und Ganzen in seiner vorliegenden Gestalt als Einheit auszulegen ist, und zum anderen, dass die heiligen Schriften der Juden, von uns Christen in der Regel Altes Testament genannt, den Hintergrund bilden, vor dem allein es verstanden werden kann.

So weist Heymel darauf hin (8), dass die Exegese des Johannesevangeliums, in dem „die Geschichte Jesu noch einmal völlig neu und anders erzählt wird als in den drei synoptischen Evangelien des Neuen Testaments (Matthäus, Markus und Lukas)“, im vergangenen Jahrhundert hauptsächlich darin bestand, „auf dem Weg der Literarkritik die Vorgeschichte des johanneischen Kreises (Evangelium und Johannesbriefe) zu erhellen und eine womöglich aus mehreren Quellen zusammengesetzte ‚Grundschrift‘ zu rekonstruieren, aus der ein kirchlicher Redaktor oder Bearbeiter dann den heute vorliegenden Text des Johannesevangeliums geschaffen habe“. Demgegenüber setzt sich aber (9) in „den letzten Jahren … mehr und mehr die Einsicht durch…, dass derartige Rekonstruktionen für das Verstehen des vorliegenden Texts wenig beitragen“. Vor allem nach Thyen, Wengst und Berger ist es für „die Interpretation … fruchtbarer, von der Einheitlichkeit des Johannesevangeliums auszugehen“.

Indem damit auch Abschied genommen wird von Bultmanns Annahme, einen „gnostischen Erlösermythos“ <5> hinter dem Text „erkennen zu können, den der Evangelist auf seine Weise entmythologisiert und interpretiert habe“, ist der Weg offen, die Eigenart des Erzählens im Johannesevangelium (10f.), das „die Geschichte Jesu als aktuelles Geschehen erzählt“, stattdessen in einem gesamtbiblischen Zusammenhang zu verstehen:

Solch reflektiertes Erzählen ist charakteristisch für das Alte Testament, insbesondere in der für das Volk Israel konstitutiven Befreiungsgeschichte des Exodus aus Ägypten (vgl. Ex 12-15). Vom Auszug der Israeliten aus Ägypten soll so erzählt werden, dass jede Generation sich fühlt, als sei sie gerade aus der Sklaverei in die Freiheit ausgezogen (Pessach-Haggada). Ein Stilmittel, um diese Präsenz des Geschehens zu betonen, ist der Gebrauch der Worte „heute“, „jetzt“ und „nun“, wie er auch in den synoptischen Evangelien (etwa bei Lukas) vorkommt. Damit stellt sich die Aufgabe, den für das Johannesevangelium charakteristischen Rede- und Erzählstil zu beschreiben und zu zeigen, welche Stilelemente darin aus jüdischer Tradition sowie aus anderen kulturellen Einflüssen des kleinasiatischen Raums aufgenommen wurden.

Nicht weit genug geht Heymel in der Aufnahme dieses biblisch-jüdischen Hintergrundes jedoch, wenn er ihn nur für die stilistische Analyse des Evangeliums heranzieht und die Befreiungsgeschichte Israels nicht auch für die inhaltliche Johannes-Auslegung fruchtbar macht. Er könnte in Erwägung ziehen, dass Israel bereits vor und erst recht nach dem Jüdischen Krieg unter der römischen Weltordnung versklavt ist, und dass Johannes mit dem durchgehenden Bezug auf die Nähe des Passahfestes von einer erst bevorstehenden neuen Befreiungsgeschichte erzählen will, die durch den Tod des Messias Jesus am römischen Kreuz herbeigeführt wird. Solche Gesichtspunkte nimmt Heymel jedoch nicht in den Blick, vielmehr geht er zur Frage (10), für „welche Hörer- und Leserschaft“ das Johannesevangelium „ursprünglich bestimmt“ war, von der These aus: „Das Johannesevangelium hat die Situation der johanneischen Gemeinde, die sich vom pharisäischen Judentum bedrängt und aus der Synagoge ausgeschlossen sah, in die erzählte Geschichte Jesu zurückprojiziert.“

Welche Wege geht nun Heymel zur Erschließung des Johannesevangeliums für Interessierte? Er beginnt (11) erstens mit seiner „Wirkungsgeschichte“. So erinnert er „an Beispiele für die Rezeption des Johannesevangeliums in Kunst und Musik und an wichtige Stationen seiner Wirkung in der Kirchengeschichte.“

Außerdem will er zweitens

Probleme der heutigen Auslegung ansprechen, die entweder den eigenen Zugang zu Johannes blockieren oder bei einer von gängigen Wahrnehmungsmustern geleiteten Lesart der Texte leicht übergangen werden. Was meint Johannes mit dem Begriff „Welt“? Wie ist seine typisierende Rede von „den Juden“ und seine oft negative Darstellung der Juden zu verstehen, zumal sein Evangelium wie kein anderes tief im Judentum und der jüdischen Bibel verankert ist? Wie kann man sich die Gemeinde vorstellen, für die das vierte Evangelium geschrieben wurde? Und welche Rolle spielen Frauen in seinen Texten: Frauen wie die Mutter Jesu, die Samaritanerin am Jakobsbrunnen, die Schwe­stern Maria und Marta und Maria aus Magdalena?

Drittens (12) nimmt Heymel „möglichst genau die Eigenart des Johannesevangeliums als literarisches Werk in den Blick …, bei dem Form und Inhalt eine unauflösbare Einheit bilden. Seine Sprache, Leitworte und erzählerischen Stilmittel stehen im Dienst einer bestimmten theologischen Konzeption, die kurz skizziert werden soll“. In diesem Zusammenhang behandelt er auch

die klassischen Einleitungsfragen …: nach Verfasser und Adressaten, Ort und Entstehungszeit, Entstehung und Aufbau. Johannes erzählt die Geschichte Jesu in dramatischer Form („dramatische Historie“), d. h. in einer Folge von Szenen an wechselnden Orten, wobei Dialoge und Reden wesentliche Teile der Handlung sind. Deshalb schlage ich vor, sein Evangelium als Drama zu verstehen.

Dieser Vorschlag stammt ursprünglich von Hartwig Thyen, wie auch der „Aufbau des Johannesevangeliums“, den Heymel auf der ersten inneren Umschlagseite seines Buches skizziert, auf Thyen aufbaut, der das Evangelium als ein Drama in sieben Akten versteht, das von einem Prolog und einem Epilog eingerahmt und in der Mitte des vierten Aktes durch einen tiefen Einschnitt in zwei Teile aufzuteilen ist.

Viertens erklärt Heymel im „Hauptteil des Buchs … nur diejenigen Abschnitte …, die für das vierte Evangelium charakteristisch sind“:

  • den „Prolog“,
  • die „sieben Wundertaten … als ‚Zeichen‘ der Herrlichkeit Jesu“.
  • die „Begegnungen und Selbstoffenbarungen Jesu, die in sogenannten ‚Ich-bin-Worten‘ gipfeln“,
  • die „Abschiedsreden an die Jünger“
  • die „Szenen, die sein Leiden, Sterben und sein Erscheinen als Auferstandener darstellen.“

Und fünftens schließlich will Heymel „einige Lesehinweise geben und erläutern, inwiefern das Johannesevangelium ein Buch für Anfänger und Fortgeschrittene ist.“

1. Zur Wirkungsgeschichte des Johannesevangeliums

Zur (15) „Rezeption des Johannesevangeliums in Kunst und Musik“ sei nur auf zwei von Heymel angesprochene Einzelheiten hingewiesen, erstens auf den „Adler“ als „eigentliches Symbol“ des Evangelisten Johannes in der christlichen Kunst:

Diese Deutung geht auf Hieronymus (4. Jh.) zurück, der Visionen des Propheten Ezechiel (Ez 1,10) und des Sehers Johannes (Offb 4,6-8) von vier geflügelten Wesen mit den vier Evangelisten verband. Die Kirchenväter ordneten Johannes dem Adler zu, da er sich in einem einzigartigen spirituellen Höhenflug dem „wahren Licht“ der Göttlichkeit des Logos nähert, von dem er gleich zu Beginn des Evangeliums spricht. …

In der Bibel symbolisiert er die Fürsorge Gottes für die Glaubenden, die er „auf Adlersflügeln“ (Ex 19,4) trägt, und die Erneuerung jugendlicher Kraft durch Gott (Ps 103,5; Jes 40,31). Da der Adler – so Aristoteles, vermittelt durch Thomas von Aquin – beim Aufstieg direkt in die Sonne blickt, galt er für Christinnen und Christen als Vorbild in Kontemplation und spiritueller Erkenntnis.

Deutlich wird aus diesen Formulierungen, dass das Johannesevangelium seit den Kirchenvätern als das spirituellste aller Evangelien galt. Das gilt bis in die heutige Zeit hinein, was beispielhaft (20) aus der musikalischen Vertonung der Johannespassion durch die russische Künstlerin Sofia Gubaidulina aus dem Jahr 2000 hervorgeht (21):

Gubaidulinas groß angelegte Passion kombiniert Texte aus dem Evangelium und der Offenbarung des Johannes bzw. die Leidensgeschichte Christi mit Szenen des Jüngsten Gerichts. Die Komponistin erklärt dazu:

„Mir blieb nur, in der Musik das zu tun, was mehrfach und lange Zeit vor mir mit den Mitteln der Architektur und der Freskenmalerei gemacht wurde. In meinem Werk habe ich mich ebenfalls bemüht, diese zwei Texte so miteinander zu verbinden, dass die beiden Ereignis-Typen ständig nebeneinander bestehen und sich durchkreuzen – die Ereignisse auf der Erde, die in der Zeit ablaufen (Leidensgeschichte) und die Ereignisse im Himmel, die sich außerhalb der Zeit entfalten (Apokalypse)“ (zit. nach Deutschlandfunk, 16.9.2001).

Dieses Zitat wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf die Art und Weise, in der die Spiritualität des Johannesevangeliums während seiner gesamten Wirkungsgeschichte aufgefasst wurde, nämlich im Sinne einer wechselseitigen Bezogenheit irdischer Ereignisse auf Ereignisse, die sich in einem jenseitig verstandenen Himmel abspielen, „außerhalb der Zeit“. Heymel stellt nicht die Frage, ob ein solches Verständnis bereits dem Johannesevangelium selbst entsprechen konnte, insofern es ganz und gar in den jüdischen Heiligen Schriften wurzelt, die auf diesseitige Erwartungen einer kommenden Weltzeit des umfassenden Friedens für Israel inmitten der Völker ausgerichtet sind.

Auch aus der Beschreibung der theologischen Wirkungsgeschichte des Johannesevangeliums durch Heymel geht hervor (24), dass es schon früh „als das ‚geistliche‘ (pneumatische) Evangelium“ verstanden wurde, während „die ersten drei Evangelien … mehr die äußeren Vorgänge des Wirkens Jesu“ beschreiben. <6> In diesem Zusammenhang weist Heymel auf „Gemeinsamkeiten“ des vierten Evangeliums mit Texten der Gnosis hin, die es anscheinend „im Sinn ihrer dualistischen, die materielle Welt als böse abwertenden Weltsicht interpretierten“. Indem Johannes „in der Abwehr des Gnostizismus […] für die Kirche entdeckt“ wurde, <7> teilte die inzwischen heidenchristlich dominierte Kirche trotz ihrer Ablehnung einer totalen Weltfeindlichkeit zugleich ganz selbstverständlich eine aufs Jenseits ausgerichtete Sicht der johanneischen Eschatologie. Und spätestens, als „der Johannesprolog (Joh 1,1-18)… in der alten Kirche ‚zur spekulativen Begründung der Trinitätslehre und der Christologie‘ <8> diente“, konnte er kaum noch von seinen jüdischen Wurzeln her interpretiert werden.

Sowohl (25) bei den Reformatoren Luther und Calvin als auch bei „den Vertretern des deutschen Idealismus um 1800 (Lessing, Fichte, Herder, Hölderlin, Schleiermacher, Hegel, Schelling, Moritz) erfreut sich das Johannesevangelium hoher Wertschätzung.“ Dabei sind vor allem Luther und Fichte darin einig, dass „der johanneische Jesus … das Judentum… ‚unbedingt und ohne alle Milderung‘ <9> verworfen habe. Nach Fichte kennt er „‚keinen anderen Gott‘ als den wahren, ‚in welchem wir alle sind und leben und selig sein können und außer welchem nur Tod ist und Nichtsein‘“. Auch (26) „andere Denker jener Zeit“ urteilen ähnlich:

Als „Evangelium des Geistes“ (Lessing) steht das Johannesevangelium auch für Hegel und Schelling auf einer höheren Stufe als die drei Synoptiker Matthäus, Markus und Lukas. Schelling nennt Johannes den „Apostel des Geistes“.

Ausführlicher geht Heymel (27) auf Sören Kierkegaard (1813-1855) ein, dessen „existenzielle Philosophie … die moderne Interpretation des Johannesevangeliums stark geprägt“ hat:

Seine in der Schrift „Philosophische Brosamen“ (1844) ausgeführte Grundthese lautet: Die Offenbarung Jesu als Fleisch gewordenes Wort (logos) stellt den Verstand vor das Paradox der Ewigkeit Gottes, die sich verzeitlicht hat.

Sie bewirkt entweder Einverständnis im Glauben oder provoziert das Ärgernis des Unglaubens und des Unverständnisses. Kierkegaards „Einübung im Christentum“ (1850), die sich im dritten Teil an Texten aus dem Johannesevangelium orientiert, zeigt, dass der Christus des Glaubens für ihn Vorrang hat vor dem historischen Jesus.

Ein unmittelbarer Zugang zur Person Jesu ist unmöglich, weil Jesus inkognito unter den Menschen gelebt hat. Seine wahre Identität als Gottessohn in geringer Knechtsgestalt erschließt sich nur im Glauben, d. h. kraft der „von oben“ geschenkten Einsicht, die im Leiden und Sterben Jesu die Hoheit des zu seinem Vater zurückgekehrten Gottessohns erkennt.

Bereits als Gymnasiast im Philosophieunterricht der Oberstufe habe ich mich mit diesem Kierkegaardschen Paradox herumgeschlagen, das die zwanghaft verkrampften Bemühungen meiner Glaubenswerkgerechtigkeit zu stützen schien, mich möglichst klein zu machen, um aufgerichtet werden zu können, und mich zu einem möglichst reinen Glauben an Jesus durchringen zu können.

Heymel hebt hervor, dass in „seinem Verständnis des johanneischen Jesus und des Glaubens an ihn … der Neutestamentler Bultmann <10> Kierkegaard“ nahesteht (27f.):

Er betont, dass Gott sich nach Johannes 1,14 indirekt, nämlich in Niedrigkeit und Unscheinbarkeit offenbart habe. Diese Paradoxie fordere den Glauben jeweils neu zur Entscheidung heraus, ob er in Jesu Wirken das Ende des Alten und den Anbruch des Neuen erkennen wolle oder nicht. „Der Glaubende ist innerhalb der Welt dem weltlichen Sein entnommen“.

Sehr genau zu prüfen ist bei Bultmann die Art, in der er von der „Welt“ spricht, und was er mit dem „Ende des Alten“ meint. Hat Jesus die alte überholte Religion des Judentums überwinden wollen und nicht vielmehr die scheinbare Übermacht der herrschenden Weltordnung mit ihren Götzen, die der Befreiung, der Gerechtigkeit, dem Frieden, der Solidarität, entgegenstehen?

Dass in „den meisten neuen Jesusbüchern … das Johannesevangelium kaum eine Rolle“ spielt, <11> ist nach Heymel vor allem auf „die liberale Theologie“ zurückzuführen, „die den historischen Jesus zu rekonstruieren sucht und überzeugt ist, dieser könne nicht so christologisch geredet haben wie der johanneische Jesus, weshalb solche Aussagen als nachträgliche Deutung anzusehen seien.“ Eine Ausnahme stellt Klaus Berger dar, „der das vierte Evangelium als frühe historische Quelle ernst nimmt und gerade seine Christologie rezipiert.“

2. Probleme der Auslegung des vierten Evangeliums

2.1 Die „Welt“ und „die Juden“ im Johannesevangelium

Unter der Überschrift (31) „Feindliche Welt – Wer sind ‚die Juden‘?“ geht Heymel auf ein erstes Problem der Auslegung des Johannesevangeliums ein. Dabei setzt er folgendes Verständnis des griechischen Wortes kosmos voraus:

Die Welt (kosmos) ist bei Johannes zwar Gottes Schöpfung, da alles durch das göttliche Wort geschaffen ist (Joh 1,3), aber als Menschenwelt der Finsternis und der Lüge verfallen.

Nicht in den Blick kommt hier, dass der Begriff kosmos auch auf das globale hellenistisch-römische Imperium anspielen könnte, das sich selbst als „wohlgeordnet“ bezeichnete, während es von messianischen Juden als der Inbegriff der zu überwindenden gottfeindlichen noch bestehenden Weltzeit, ˁolam ha-se, verstanden wurde. <12>

Problematisch ist nun insbesondere, dass die „dem Bösen und dem Tod verfallene Welt“, deren „Herrscher … der Teufel“ ist (Joh 12,31; 14,30; 16,11),

dem johanneischen Jesus besonders in „den Juden“ entgegen[tritt]. Nur das vierte Evangelium überliefert von ihm solche Aussagen, die sie als „Teufelskinder“ verurteilen: „Ihr habt den Teufel zum Vater […] Der ist ein Mörder von Anfang an […] er ist ein Lügner und Vater der Lüge“ (Joh 8,44).

Außer Acht bleibt bei Heymel, dass dieser „Teufel“, wenn er nach den jüdischen Schriften als Widersacher des Gottes Israels begriffen wird, mit dem real existierenden Herrscher des kosmos im Sinne der römischen „Weltordnung“, also dem sich als dominus ac deus, „Herr und Gott“, aufspielenden Kaiser, identifiziert werden kann. Wenn „die Juden“ als dessen Kinder verurteilt werden, dann nimmt Johannes die jüdische Führung in den Blick, die mit dem Besatzungsregime kollaboriert („wir haben keinen König außer dem Kaiser“, Johannes 19,15).

Im Blick darauf, dass „67-mal – Schnackenburg zählt 71-mal – … bei Johannes von ‚den Juden‘ die Rede“ ist, <13> und zwar „überwiegend mit negativer Tendenz“, stimmt Heymel dem Urteil von Schnackenburg [148] zu, dass „sich an einer zeitgeschichtlich bedingten antijüdischen Tendenz des Joh-Ev kaum zweifeln“ lässt. Zugleich dürfen nach Heymel (32) aber „die Urteile des Erzählers“ über „die Juden“ als „das Volk und die Gegner Jesu“, da es sich nach Hartwig Thyen [168]

um literarische Figuren handelt, … „nicht unvermittelt zu Aussagen über alle wirklichen Juden von Fleisch und Blut oder gar über das ‚Wesen‘ des jüdischen Volkes generalisiert werden“, wie es in der Wirkungsgeschichte des Antijudaismus bis hin zur antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten immer wieder getan wurde. Die bisherigen Deutungen, wer mit „den Juden“ in der erzählten Zeit Jesu und der Zeit und sozialen Welt des Evangeliums gemeint ist, stehen alle mehr oder weniger im Bann dieser Wirkungsgeschichte.

Am „plausibelsten“ ist die antijüdische Tendenz des Johannesevangeliums nach Heymel von „der historischen Gemeindesituation“ her zu erklären, „aus der die Aussagen des Johannes über ‚die Juden‘ erwachsen sind“, innerhalb derer „die Welt, die die johanneische Gemeinde bedrängte, konkret aus Juden bestand.“ Nach Wengst <14> stellt Johannes „die Pharisäer auf dem Hintergrund seiner eigenen Zeit als führende Repräsentanten des Judentums dar“, deren „Beziehung zu Jesus“ er von daher (33)„durchgängig negativ“ zeichnet, bis auf den „Pharisäer Nikodemus“:

Ein solches pharisäisch bestimmtes Judentum gab es jedoch erst in der Zeit nach 70 n. Chr., d. h. nach der Zerstörung Jerusalems und des Tempels. Erst in diesem Kontext erscheinen „die Juden“ als behördliche Macht, die diejenigen aus der Synagoge aus­schließt, die bekennen, dass Jesus der Gesalbte, der Messias sei. Drei Stellen im Evangelium (Joh 9,22; 12,42; 16,2) weisen auf derartige Erfahrungen des Synagogenausschlusses jüdischer Jesusanhänger hin. Der Ausschluss war für die johanneische Gemeinde eine bedrängende Realität, weil ihre Mitglieder von der Mehrheit, mit der sie zusammenlebten, als Ketzer behandelt und wirtschaftlich boykottiert wurden. Die Gemeinde war damit nicht nur aus der Synagoge, sondern aus der sozialen Umwelt ausgeschlossen.

Obwohl jedoch nach Heymel (34) das Johannesevangelium in „der heidenchristlichen Kirche … immer wieder als antijüdischer Text gelesen und missverstanden“ wurde, ist es zugleich ein zutiefst jüdischer Text, wie Yuval Lapide sagt: „Das Johannesevangelium ist eigentlich ein Midrasch, der Midrasch des Jochanan, der das Judentum intim kennt und liebt!“ Wiederum auf Wengst [106] beruft sich Heymel, indem er schreibt:

Die johanneische Gemeinde bestand überwiegend aus Juden, die in einer jüdisch bestimmten Umwelt lebten. Das vierte Evangelium spiegelt, stärker als die Synoptiker, die scharfe Auseinandersetzung, „die zwischen Juden und Judenchristen über die Frage geführt wurde, ob Jesus der Messias oder auch sonst eine der in der jüdischen Eschatologie erwarteten Gestalten ist oder nicht“. Es vertritt insofern eine unorthodoxe oder abweichende jüdische Tradition.

Während zur Zeit Jesu innerhalb des Judentums noch eine größere „religiöse Diversität“ herrschte, so dass „der Historiker Josephus … von Pharisäern, Sadduzäern, Essenern … und … der Befreiungsbewegung der Zeloten“ berichten konnte, formierte sich nach

der Zerstörung des zweiten Tempels durch die Römer 70 n. Chr. … ein rabbinisches Judentum …, das normative Geltung beansprucht. Es betrachtet Aussagen, die Jesus einen gottgleichen Rang zuschreiben, als skandalös. Viele Kontroversen im Johannesevangelium kreisen um Jesu Anspruch, göttlich zu sein (vgl. Joh 5,17-18; 8,58-59; 10,34-36). Sie reflektieren den Zorn der jüdischen Oberschicht über die Unverschämtheit der johanneischen Gruppe in ihren Reihen. Die polemische Tonlage der Kapitel 5-10 kann nur auf dem Hintergrund eines innerjüdischen Streitgesprächs (family quarrels) erklärt werden. <15>

2.2 Ist die „johanneische Gemeinde“ eine christliche Kirche?

Ein weiteres Problem der Auslegung behandelt Heymel (35) unter dem Stichwort „Die johanneische Gemeinde“. Unter Bezug auf die Autoren Walter Rebell und Jürgen Roloff <16> widerspricht er der lange vertretenen Auffassung, „Johannes kenne die Kirche als theologische Größe nicht und verstehe den Glauben individuell und rein geistig.“

Nach Rebell [174] verstehen sich „die johanneischen Christen“ als eine „Gegenwelt“, die „von der Welt, die sie als uneinsichtig und dem Unheil verfallen ansahen, radikal getrennt existierten und ihre Gemeinde als wahren, eigentlichen Lebensraum empfanden“, der „von einer innigen Bruderliebe und einem egalitären Miteinander, von einem intensiven Zusammengehörigkeitsgefühl“ geprägt ist. Diese „Abkapselung“ ist zu erklären „aus dem gespannten und polemischen Verhältnis, in dem sie zum rabbinischen Judentum“ stehen.

Steht eine solche „Gegenwelt“ im Johannesevangelium aber tatsächlich allein dem Judentum gegenüber und nicht vielmehr der herrschenden Weltordnung, die Jesus durch seinen Tod am Kreuz überwindet? Ist es angemessen, hier bereits von einer christlichen Kirche zu reden, die sich vom Judentum als solchem abkapselt?

Die (36) Roloff [290] zufolge hinter dem Johannesevangelium stehende „Gemeinschaft der Freunde“, ist nach Heymel

in ihrer Sozialgestalt nur durch diese Texte hindurch in Umrissen zu erkennen. Deutlich wird aber: sie ist eine durch Christus konstituierte Gemeinschaft der einzelnen Glaubenden mit ihm und miteinander. Sowohl in Johannes 10 wie in Johannes 15 zeigt sich eine Individualisierung im Gemeindeverständnis.

Bezeichnend ist, dass Heymel in diesem Zusammenhang mit keinem Wort auf die Verwurzelung der in Johannes 10 und 15 verwendeten Bilder vom Hirten und vom Weinstock in den jüdischen Schriften eingeht. Er tut so, als seien diese Bilder allein auf das individuelle Verhältnis jedes nicht näher bestimmten Menschen zu Christus zu beziehen, und übersieht ihren Bezug auf die Sammlung und Wiederherstellung Israels durch den Messias Jesus, auf die es dem jüdischen Messianisten Johannes vor allem anderen ankommt. <17>

Weiter betont Heymel (37) unter Bezug auf Roloff [297], dass Johannes weder von „beauftragten Amtspersonen“ redet noch auf eine „höhere Lehrautorität“ oder „innergemeindliche Strukturen Bezug“ nimmt. Stattdessen deutet Johannes 20,21-23 nach „hingegen an, dass alle Gemeindeglieder gleichermaßen den Geist empfangen haben, der sie in die Wahrheit Jesu führt und zu ihren Aufgaben befähigt.“ Unberücksichtigt bleibt dabei aber die Beauftragung des Simon Petrus mit dem Hirtenamt in der messianischen Gemeinde und seine Beziehung zum geliebten Schüler, worin sich durchaus gemeindliche Strukturen widerspiegeln können.

2.3 Welche Rolle spielen Frauen im Johannesevangelium?

In Heymels Betrachtung (37) einer ganzen „Reihe bemerkenswerter Frauen“ im Johannesevangelium wird besonders deutlich, dass er aus der Vielzahl möglicher Deutungen nur jeweils einen sehr engen Ausschnitt hervorhebt.

Die „Mutter Jesu, die nicht mit Namen genannt wird“, beschreibt Heymel „bei der Hochzeit zu Kana als eine Frau, die auf dem Weg zum Glauben ist“ und erst „in der Szene unter dem Kreuz zum Glaubensvorbild“ wird (37f.):

Zusammen mit dem Lieblingsjünger bildet sie eine kleine Gemeinde gläubiger Jünger, die der Gekreuzigte zurücklässt. Er ruft eine neue Mutter-Sohn-Beziehung ins Leben. Darin spiegelt sich die Tatsache wider, dass „die leibliche Familie Jesu durch die Jüngerfamilie ersetzt ist“. <18>

Unerwähnt bleibt hier die Rolle, die die Mutter des Messias als der Repräsentantin Israels bei der Hochzeit zu Kana als der symbolisch gefeierten messianischen Hochzeit spielt. Auch ist fraglich, ob es Johannes wirklich wie dem Evangelisten Markus um die Ersetzung der leiblichen Familie durch die Jüngerfamilie geht und ob nicht vielmehr unter dem Kreuz das auf den Messias hörende Israel in die Gemeinschaft der mit dem Messias solidarischen Schüler aufgenommen wird.

Zu (38) Marta und ihrer Schwester Maria meint Heymel, dass sie „in judenchristlichen Kreisen zwei unterschiedliche Wege“ repräsentieren:

Maria stellt die persönliche Augenzeugenschaft gegenüber Jesus dar. Marta das, was in der Gemeinde aktuell ist: Diakonie und Bekenntnis. „Maria sitzt zu Füßen Jesu, um das Einmalige zu hören, sie weint und klagt bei ihm, sie salbt ihn. Marta steht in größerer Distanz und ‚tut das, was die Kirche tut‘“. <19>

Abgesehen von der Frage, ob man das, was Lukas über dieses Geschwisterpaar sagt, einfach auf das Johannesevangelium übertragen kann, erscheint mir auch hier fraglich, ob Martas Verhalten im Evangelium des jüdischen Messianisten Johannes bereits auf die Institution der christlichen Kirche bezogen werden kann.

Auf die „Gestalt der Samaritanerin“ geht Heymel unter Bezug auf Berger [70] insofern ein, als Johannes mit ihr auch „samaritanischen Christen den Weg in die johanneische Gemeinschaft“ eröffne. Diese Deutung lässt jedoch außer Acht, dass es Johannes noch nicht um christliche Mission geht, sondern um die Sammlung ganz Israels einschließlich der verlorenen zehn Stämme Israels, die zum Nordreich Israel mit der Hauptstadt Samaria gehört hatten.

3. Die Eigenart des Johannesevangeliums

3.1 Literarische Besonderheiten: Sprache, Leitworte, Erzählstil

Heymel (41) stimmt Hartwig Thyen [4] darin zu, dass das „Johannesevangelium … intertextuell auf die synoptischen Evangelien und den größeren gemeinsamen Kontext des Alten Testaments bezogen“ ist.

Zu den Eigentümlichkeiten des johanneischen Stils gehören Hebraismen, Nachahmungen alttestamentlicher Redeweisen und rabbinische Redewendungen. „Die Atmosphäre der Geschehnisse und der Reden Jesu […] ist eine ganz und gar alttestamentliche“. <20> Ebenso verweist der Dialogcharakter weiter Teile des Johannesevangeliums auf das Alte Testament.

Als johanneische Stilmittel erwähnt Heymel außerdem „Ironie“ und „Doppeldeutigkeit“. Wenn er feststellt: „Wo von irdischen Sachverhalten die Rede ist, weisen sie zugleich auf den himmlischen Bereich hin“, ist allerdings zu bedenken, ob die johan­neische Bezugnahme auf den Himmel mit Spekulationen über ewiges Leben im jenseitigen Himmel verbunden werden darf oder nicht vielmehr auf die Unverfügbarkeit Gottes verweist, während das Leben der kommenden Weltzeit für Israel inmitten der Völker auf der Erde unter dem Himmel Gottes zu erhoffen ist.

Zur „Sprache des Johannes“ fällt außerdem auf, dass sie „einfach und bildhaft“ ist und (42) häufig einprägsame „Leitworte“ wiederholt. Unter diesen hebt Heymel besonders das 56mal <21> verwendete Wort zōē = „Leben“ hervor:

Es verbindet, ungeachtet ihrer Unterschiede, alle johanneischen Schriften, also außer dem Evangelium auch die Briefe und die Offenbarung. Dabei ist zu beachten, dass die Texte drei griechische Substantive für „Leben“ verwenden: bios, psychē und zoē. Bios (nur im Ersten Johannesbrief) meint das Leben im zeitlichen Sinn, die Lebensdauer und Lebensweise. Psychē (im Johannesevangelium 9-mal) heißt Seele und bedeutet die Kraft, die Trägerin meines Lebens. Wenn Jesus sagt: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (Joh 11,25), dann ist weder von bios noch von psychē die Rede, sondern von zoē. Das bedeutet mehr als das Leben der Tiere und Pflanzen, auf das sich der Begriff „Zoologie“ bezieht. Nach antikem Verständnis teilt der Mensch die zoē mit Erde und Himmel, mit Pflanzen, Tieren und Göttern, aber er muss ihr mit seinem bios und seiner psychē noch Darstellung und Gestalt verleihen, damit sie sein Leben wird. <22> Wenn Johannes vom „ewigen Leben“ spricht (17-mal, z. B. Joh 5,24; 6,47.68; 12,25), gebraucht er das Wort zoē.

Damit ist die Bedeutung von zōē im Johannesevangelium aber nicht wirklich geklärt, und zwar nicht nur, weil Heymel nicht erläutert, in welcher Weise der Mensch seiner zōē denn „Darstellung und Gestalt verleihen“ soll, sondern auch, weil bereits diese Formulierung selbst den Blick auf das Leben des menschlichen Individuums verengt.

Ton Veerkamp <23> erläutert den Begriff zōē im Johannesevangelium nicht im Gegenüber zu den Begriffen bios und psychē, sondern im Sinne der gottgemäßen Zeugung im Gegensatz zum Willen des Fleisches (oude ek thelēmatos sarkos … all‘ ek theou egennēthēsan) in Johannes 1,13:

„Nicht aus dem Willen des Fleisches“ heißt: nicht aus einer Existenz gezeugt werden, die an diese Weltzeit, an den ˁolam ha-se, und somit an die herrschende Weltordnung gebunden bleibt. Johannes will keine menschliche (fleischliche) Existenz, die an der Vergänglichkeit ihrer historischen Bedingungen gebunden bleibt, sondern eine messianisch inspirierte (nicht: geistige!) Existenz, die die kommende Weltzeit verkörpert. Der Gegensatz zu einem vergänglichen, verwundbaren, körperlichen Leben ist bei Johannes nicht das ewige, geistige Leben im Jenseits, sondern ein Leben der kommenden Weltzeit, zōē aiōnios, im Diesseits. Das Adjektiv aiōnios bedeutet „den kommenden aiōn, den ˁolam ha-baˀ (Buber: Weltzeit), die kommende Epoche betreffend“. Der Ausdruck stammt von Daniel. … Diese Epoche wird bleibend sein, eine Epoche, in der das menschliche Leben nicht länger durch unmenschliche Verhältnisse bedroht ist. Wir übersetzen daher zōē aiōnios konsequent mit „Leben der kommenden Weltzeit“ und nicht mit „ewiges Leben“.

Nebenbei sei bemerkt, dass Heymel sich bei der Auflistung weiterer Leitworte im Johannesevangelium zum Teil erheblich verzählt; die exakte Anzahl der Vorkommen konnte ich nur für die Worte kosmos = „Welt“ (78-mal), agapan = „lieben“ (37-mal) und den Titel „Christus“ (19-mal) bestätigen. Für die Leitworte doxa = „Herrlichkeit“ und doxazein = „verherrlichen“ gibt Heymel eine Anzahl von 10 bzw. 7 an, obwohl doxa 18-mal und doxazein 23-mal vorkommt; das Wort logos/logoi = „Wort/Worte“ soll ihm zufolge 69mal auftauchen, tatsächlich finde ich es aber nur 40-mal (und selbst wenn ich das gleichbedeutende rhēma berücksichtige, kommen nur 12 Belege hinzu).

3.2 Theologische Konzeption

Ohne nähere Begründung stellt Heymel fest (43), dass das „geografische Umfeld … für die Botschaft des vierten Evangeliums fundamentale Bedeutung“ hat. Außerdem „enthält [es] viele historische Informationen und gilt zugleich als das ‚theologischste‘ Evangelium.“ Daraus meint Heymel den Schluss ziehen zu können (44):

Die präzisen Hinweise auf Orte und Zeiten folgen einer Aussageabsicht des Erzählers, der die Inkarnation des göttlichen Logos (Joh 1,14) als lokalisierbares Erscheinen des Gottessohnes nach einer bestimmten Chronologie begreift. Ihr zufolge beginnt das öffentliche Wirken des Juden Jesus an einem Morgen im März des Jahres 28 und endet an einem Freitag im April 30, nach jüdischem Kalender der 7. Nisan, am Vorabend von Pessach…

Auch wenn es möglich sein mag, eine derart exakte Chronologie aus den Zeitangaben im Johannesevangelium zu erschließen, wird ein solches Unterfangen kaum der Absicht des Evangelisten entsprechen. Seine Bezugnahmen auf bestimmte Tage, Stunden und vor allem auf die Feste der Juden dienen nicht chronologischen Datierungszwecken in unserem modernen Sinn, sondern der Strukturierung der Erzählung. <24> Vor allem die häufige Bezugnahme auf die Nähe des Passahfestes, das aber an keiner Stelle wirklich gefeiert wird, muss nicht auf eine dreijährige Zeit des öffentlichen Wirkens Jesu gedeutet werden, sondern weist betont auf das noch ausstehende künftige Befreiungsfest hin, das erst gefeiert werden kann, wenn der Aufstieg des Messias Jesus zum VATER und damit die Überwindung der herrschenden Weltordnung vollendet und das Leben der kommenden Weltzeit angebrochen ist.

Heymel sieht mit einem Zitat von Ringleben <25> „den Ausgangspunkt für das Verständnis“ der Theologie des Johannes „im Prolog“:

„Weil Joh das Leben und Reden (sprachliche Handeln) Jesu ganz von daher versteht, dass in ihm der ewige Logos (des Prologs) da ist und sich ausspricht, musste sein Evangelium anders ausfallen als die synoptischen Evangelien. Dies vor allem in drei Hinsichten: 1. mit der Transparenz des irdischen für das Ewige (auch im Sprachlichen), 2. durch den ausdrücklichen Rückbezug Jesu selber auf seinen ewigen Ursprung und 3. in Gestalt von Erzählungen im Sinne dieser Theologie, die sich […] so nicht im überlieferten Traditionsgut, wie es sich bei den Synoptikern findet, nachweisen lassen“.

Unübersehbar ist hier erneut vom „Ewigen“ in einer Art und Weise die Rede, die nicht der Verwurzelung des Johannesevangeliums in den jüdischen Schriften entspricht. Nirgends spekuliert das Evangelium über einen Aufenthalt Jesu im Himmel, wohl aber ist er als der Fleisch gewordene göttliche logos ganz und gar vom Gott Israels bestimmt – bis dahin, dass er sogar den heiligen befreienden NAMEN dieses Gottes, hebräisch JHWH, griechisch egō eimi, „ICH BIN“, verkörpert.

Nach Heymel steht im „Zentrum des vierten Evangeliums … die Christologie“, und das erläutert er mit folgenden Worten:

Johannes präsentiert Jesus als den vom Vater gesandten Sohn (z. B. Joh 13,3; 16,5.28). Die Sendung des Sohnes ist Ausdruck der Liebe Gottes zur Welt; die Welt soll gerettet, nicht gerichtet werden (Joh 3,16f). Das endzeitliche Gericht ereignet sich bereits, anders als erwartet, in der Sendung des Sohnes (Joh 3,19; 9,39; 12,31); in der Stellung zu Jesus entscheidet sich jetzt schon Heil und Unheil (Joh 3,18).

Da auch hier nicht genau definiert wird, was „Welt“ sowie „Heil“ und „Unheil“ überhaupt bedeuten sollen, setzt Heymel vermutlich die übliche christliche Vorstellung voraus, dass mit der „Welt“ hier die Gesamtheit aller Menschen gemeint ist, und die Worte „Heil“ oder „Unheil“ beziehen sich auf das Schicksal jedes einzelnen Menschen nach seinem Tode: Wer an Jesus glaubt, erlangt das „Heil“, wer diesen Glauben verweigert, verfällt dem „Unheil“ in Form einer ewigen Verdammnis.

Ob Johannes als jüdischer Messianist aber bereits so gedacht hat, ist zweifelhaft. Wenn mit „Welt“ der weltumspannende kosmos gemeint ist, dann verbirgt sich unter dieser Bezeichnung zwar die von Gott ursprünglich sehr gut geschaffene und geliebte Menschenwelt, aber zugleich bezeichnet sie die herrschende Weltordnung, die inzwischen als eine versklavende Welt-un-ordnung auf der Menschenwelt lastet. So gesehen würde sich an der Stellung zu Jesus entscheiden, ob ihm als dem Messias des Gottes Israels zugetraut wird, die Menschenwelt von der Weltordnung zu befreien, die auf ihr lastet, so dass für Israel inmitten der Völker das Leben der kommenden Weltzeit anbrechen kann.

Für christliche Ohren klingt das weit hergeholt; umgekehrt würde aber in den Ohren durch prophetische Verheißungen geschulter jüdischer Messianisten ein jenseitsbezogenes Heil zu etwas ganz anderem als der erhofften Befreiung Israels auf Erden unter dem Himmel Gottes. Letzten Endes ist zu fragen, in welcher Weise das von den Propheten angekündigte „endzeitliche Gericht“ sich „in der Sendung des Sohnes“ nach Johannes nunmehr „anders als erwartet“ ereignet. Besteht dieses Andere darin, dass die Kriterien verändert werden? Geht es nicht mehr um ein Leben nach dem Willen Gottes, sondern allein um das Vertrauen auf Jesus, zugespitzt formuliert: um eine Werkgerechtigkeit, innerhalb derer ein einziges Werk vollbracht werden muss, nämlich den religiös korrekten Glauben an Jesus als den Sohn Gottes aufzubringen?

Im Rahmen gesamtbiblischen Denkens liegt etwas anderes sehr viel näher. Nach Johannes vollzieht sich das erwartete Gericht Gottes über die herrschende Weltordnung nicht in Form eines zelotischen Befreiungskrieges, sondern insofern anders, als Jesus sie durch seinen Tod am Kreuz als menschenmörderische Unordnung bloßstellt und sozusagen von innen her überwindet, indem die Inspiration der Treue Gottes, die er seiner Schülerschaft im Augenblick seines Todes übergibt (Johannes 19,30 und 20,22-23) eine weltverändernde Praxis solidarischer Liebe, agapē, in Gang setzt.

Heymels anschließende Formulierungen deuten jedoch eine Befangenheit in verjenseitigenden Deutungsmustern an (44f.):

Die johanneische Sehweise macht das irdische Geschehen transparent für das geistliche. Im Sichtbaren lässt sich Unsichtbares entdecken, im Sohn der Vater (Joh 1,18; 8,19; 10,30; 14,9). Jesu Kreuzigung ist seine „Erhöhung“, die Verbform „erhöht werden“ (Joh 3,14; 8,28; 12,32) meint sowohl das Aufrichten des ans Kreuz Geschlagenen wie seine Aufnahme in die himmlische Sphäre der Herrlichkeit Gottes.

Das entspricht zwar oberflächlich betrachtet den Aussagen des Johannesevangeliums. Es bleibt aber in seiner Tiefe nur dann wahr, wenn „geistlich“ im Sinne des weltverändernden Geistes Gottes interpretiert und die Aufnahme des Messias „in die himmlische Sphäre der Herrlichkeit Gottes“ nicht im Sinne der bloßen Ortsveränderung in einen jenseitigen Lebensbereich missverstanden wird.

Um das zu begreifen, muss man sich klarmachen, was mit dem biblischen Begriff der „Herrlichkeit“ oder „Ehre“ Gottes, hebräisch kavod, griechisch doxa, wirklich gemeint ist. Zwar betont das hebräische Wort kavod die gewaltige Wucht von Gottes Durchsetzungskraft, ebenso wie das deutsche Wort „Herr-lichkeit“ bzw. „Ver-herr-lichung“ die Übermacht eines „Herren“ herausstellt. Aber diese „herr-liche“ Macht und Durchsetzungskraft des Gottes Israels ist allein darauf gerichtet, sein Volk Israel aus jeglicher Sklaverei zu befreien und in Recht und Frieden leben zu lassen. Darin besteht die „Ehre“ dessen, der sich (etwa in Psalm 115) als der befreiende NAME des Gottes Israels offenbart hat, und es ist diese Ehre oder Herrlichkeit Gottes, die im Zuge der Erhöhung Jesu ans Kreuz und seines Aufsteigens zum VATER wiederhergestellt wird. <26>

Auf diese biblische Verankerung der johanneischen Rede von der „Herrlichkeit“ Gottes oder Jesu geht Heymel allerdings nicht ein. Er betont stattdessen (45), dass Jesu Weg im Johannesevangelium insofern „als Herabsteigen vom Himmel und Hinaufsteigen zum Vater erscheint“, als er, der Gesandte Gottes,

von Anfang an Gottes Herrlichkeit hat (Joh 17,5; vgl. Joh 12,41), sie auf Erden offenbart (Joh 1,14; 2,11; 11,40) und seinen Jüngern weitergibt (Joh 17,22), um schließlich wieder in die Herrlichkeit beim Vater zurückzukehren (Joh 17,5.24). In diesem Rahmen stellt das vierte Evangelium heraus, dass in Jesus in der Zeit seiner irdischen Wirksamkeit der eine Gott präsent ist. Da das Johannesevangelium in Sprache und Begrifflichkeit vielfach auf das Alte Testament verweist, muss betont werden: es geht bei Johannes um die Präsenz des Gottes Israels. Der johanneische Jesus begründet diese Präsenz nicht, sie wird im Evangelium auch nicht erklärt. <27>

So wird „Herrlichkeit“ auf allgemeine Vorstellungen von Glanz und Größe Gottes bezogen, statt sie von den jüdischen Schriften her zu begreifen.

Dass es im Evangelium keine Erläuterungen zu Gottes Gegenwart in Jesus geben soll, trifft übrigens keineswegs zu. Eben im Rückbezug „auf das Alte Testament“, wie Heymel die jüdischen heiligen Schriften nennt, ergeben sich vielfältige Verstehenshilfen etwa für die Identifikation Jesu mit dem Menschensohn von Daniel 7,14, der wie die Schlange von 4. Mose 21 erhöht werden muss, oder für die Art und Weise, wie Jesus in den ICH-BIN-Worten den befreienden NAMEN des Gottes Israels verkörpert.

Zu Recht betont Heymel, wieder unter Bezug auf Berger [190f.], dass (45f.) das

Alte Testament, Mose, Abraham und Jesaja sowie Johannes der Täufer … als Zeugen für Jesus zitiert [werden]. Die Bilder des Wohnens (wörtlich: Zeltens, Joh 1,14) und des Tempels (Joh 2,21), mit denen Gottes Gegenwart in Jesus beschrieben wird, variieren die jüdische Auffassung, wonach Gott durch seinen Namen, durch seinen Geist oder seine Schechina („Einwohnung“) im Tempel wohnt. Sie bringen zum Ausdruck, dass Jesus, in dem Gott wohnt und durch den er in der Welt wahrnehmbar wird, damit ganz von Gott erfüllt ist und doch Mensch bleibt. Aus ihm hat er alle Vollmacht.

3.3 Verfasser und Adressaten

Der Autor des vierten Evangeliums (46) wird von der modernen Johannes-Exegese nicht mehr mit dem Apostel Johannes identifiziert, wie dies die Kirchenväter getan hatten. Heymel erwägt „als Verfasser“ den „Lieblingsjünger Jesu, der später als Presbyter der Kirche in Kleinasien wirkte“, <28> aber es ist wahrscheinlicher, dass der reale anonym bleibende Autor diesen „Lieblingsjünger Jesu“ als den vertrauenswürdigen Zeugen des Messias Jesus nach dem Modell des Schülers Johannes stilisiert hat. <29>

Als Adressaten des Johannesevangeliums nimmt Heymel (47) „überwiegend Juden, aber auch Samaritaner und Nichtjuden (Griechen)“ an:

Wenig überzeugend ist die Annahme, das vierte Evangelium sei für eine nur aus Nichtjuden bestehende Gemeinde bestimmt. Die in ihm vollzogene Synthese von jüdischem und griechischem Denken belegt, dass Johannes jüdische und nichtjüdische Menschen mit seiner Christusbotschaft erreichen will.

Ob eine solche Synthese tatsächlich bereits im Johannesevangelium stattfindet oder nicht vielmehr auf dem Weg zur christlichen Theologie der Konzilien in das Evangelium hineingelesen wurde, ist allerdings fraglich. Aus den wenigen Griechen, die nach Johannes 12,20 Jesus sehen wollen, kann meines Erachtens jedenfalls keine umfassende Völkermission wie bei Paulus, Lukas oder Matthäus erschlossen werden.

3.4 Ort und Entstehungszeit

Religionsgeschichtlich wird nach Heymel (47) heute das Johannesevangelium

nicht mehr in der Gnosis oder dem Mandäismus verortet, wie man bis Bultmann annahm, sondern im zeitgenössischen Judentum, das durch die Textfunde von Qumran und die alexandrinische Philosophie des Philo (ca. 15 v. Chr. – 40/ 50 n. Chr.) erhellt wird.

Dass Heymel hier speziell den jüdisch-hellenistischen Philosophen Philo erwähnt, entspricht seiner Annahme einer johanneischen „Synthese von jüdischem und griechischem Denken“. Darauf, dass Johannes, verwurzelt in messianisch-prophetischen Traditionen Israels, in einer scharfen Auseinandersetzung mit den verschiedenen jüdischen Strömungen seiner Zeit vom Rabbinismus bis zum Zelotentum begriffen sein könnte, geht er mit keinem Wort ein.

Entgegen der kirchlichen Tradition (48), die „Ephesus als Abfassungsort“ des Johannesevangeliums annimmt, hält Heymel die von Wengst [160] vertretene „neuere Hypothese, das Johannesevangelium sei in Syrien entstanden“, für plausibler (48f.):

Für die Lokalisierung der johanneischen Gemeinde im nördlichen Ostjordanland spricht auch der von Riesner geführte Nachweis, dass mit der Notiz „Betanien jenseits des Jordan“ (Joh 1,28) die Landschaft Batanäa gemeint ist. Nach Johannes gewinnt Jesus hier, wo der Täufer zuerst gewirkt hatte (Joh 10,40), seine ersten Jünger. Hierhin „zieht er sich auch zurück, bevor er sich zur Auferweckung des Lazarus wieder in die Nähe Jerusalems begibt“. <30>

Als Entstehungszeit des Evangeliums nimmt Wengst [182] „den Zeitraum 89-90 n. Chr.“ an, die meisten Exegeten plädieren für 90-100 n. Chr., nur einzelne vertreten

eine Frühdatierung auf 65-69 n. Chr. Nach ihrer Ansicht sind Markus und Johannes die ältesten „Versuche, die Jesusüberlieferung in der Art einer Biografie […] darzustellen“; <31> Johannes erweise sich in seinem Bericht als „Augenzeuge“ des Wirkens Jesu.

Ton Veerkamp <32> dagegen hält den Judäischen Krieg für die entscheidende Entstehungsvoraussetzung der Evangelien. Markus, Matthäus, Lukas und Johannes, die in den Jahrzehnten bis zum Ende des 1. Jahrhunderts ihre Evangelien schreiben,

sehen die Leidensgeschichte des Messias als die Leidensgeschichte des judäischen Volkes und die Leidensgeschichte dieses Volkes als Leidensgeschichte des Messias. … Die ‚Evangelien‘ behandeln die ‚Verstörung‘ des Messianismus durch den Krieg und seinen Ausgang: Der Messias sei nicht gekommen und habe sein Volk der Vernichtung durch Rom ausgeliefert. Genauso wie der TeNaK von der Zerstörung Jerusalems durch Babel, so sind die messianischen Schriften von der zweiten Zerstörung bestimmt.“

3.5 Entstehung und Aufbau

Zur Entstehung des Johannesevangeliums vertritt Heymel die Auffassung (50), dass dieser Prozess sich „wohl über einen längeren Zeitraum hin“ erstreckt hat. Indem er die „Wurzeln der johanneischen Gemeinde … in Judäa, im Süden Palästinas“, verortet, erwägt er nochmals, dass der

„Jünger, den Jesus liebte“ (Joh 15,23; 19,26; 20,1ff.), der in ihr als Autorität gilt, … ihr zahlreiche Lokaltraditionen von Jerusalem und Judäa vermittelt haben [könnte], die der Verfasser vor allem in seinem Passionsbericht aufnahm. Als literarische Komposition wird das Evangelium dann im Norden, östlich des Jordans entstanden sein. Die einzelnen Phasen dieser Entstehungsgeschichte lassen sich nicht klar voneinander abgrenzen. Vermutlich gab es eine „Grundschrift“ des Evangeliums, die später durch Johannes 15-17 erweitert wurde. Ob es sich bei Johannes 21 um den Nachtrag eines Redaktors handelt oder einen originären Teil des Werkes, der als Epilog an die Speisung der Fünftausend am See von Tiberias (Joh 6) erinnert [vgl. Thyen 772; 778], mag hier offen bleiben.

Im Aufbau des Johannesevangeliums werden nach Heymel meistens die „Kapitel 1-12 (Jesu öffentliche Wirksamkeit) und Kapitel 13-21 (Abschiedsreden, Leiden, Sterben und Auferstehung Jesu)“ voneinander unterschieden. Indem er (51) wie Thyen und Schenke <33> „das Johannesevangelium als Drama“ versteht, folgt er der Gliederung von Thyen [VII-XII]:

Er gliedert das Drama in sieben Akte, wobei der „lange Abschied Jesu von seinen Jüngern“ (Joh 13-17) als „esoterisches Zwischenspiel“ … und 5. Akt gilt. Nach Thyen umfasst der erste Teil Johannes 1,19-10,42, der zweite Johannes 11,1-20,29 … Der lange 4. Akt (Joh 8,12-12,50) besteht aus zwei Hälften. Für diese Einteilung spricht, dass mit Sterben und Auferweckung des Lazarus (Joh 11) jener Teil des Evangeliums beginnt, der mit Sterben und Auferstehen Jesu (Joh 18-20) zum Abschluss kommt.

Mir erscheint es dem Johannesevangelium angemessener, seiner von Ton Veerkamp <34> aufgedeckten Struktur zu folgen. Nach dem Prolog strukturieren den ersten Teil „Der offenbare Messias“ (Johannes 1,19 – 4,54) zunächst die sieben Tage einer Woche entsprechend der Schöpfungswoche; ein zweites Strukturprinzip sind die beiden „Zeichen“, sēmeia, die Jesus zu Kana vollbringt und die Johannes den „Anfang“, archēn, der Zeichen (2,11), bzw. das „andere, zweite“, deuteron, Zeichen (4,54) nennt. In diesem Teil wird Jesus von Johannes dem Zeugen als der Messias proklamiert, schart sich eine messianische Gemeinde um ihn und offenbart sich Jesus in Jerusalem, Samaria und Galiläa als der Messias für ganz Israel.

Der zweite Hauptteil, von Veerkamp mit „Der verborgene Messias“ überschrieben (Johannes 5,1 – 12,50), wird durch Angaben zu jüdischen Festen in fünf Kapitel sehr unterschiedlicher Länge gegliedert: die Heilung des gelähmten Israel (5,1-47), die Ernährung Israels (6,1-71), die Öffnung der Augen Israels (7,1 – 10,21), die Belebung Israels (10,22 – 11,54) und die Proklamation Jesu als des Königs Israels (11,55 – 12,50).

Den dritten Hauptteil „Der Abschied des Messias“ (Johannes 13,1 – 20,31) sieht Veerkamp durch Zeitangaben in fünf Teile gegliedert: „Vor dem Pascha“ (13,1-30a); „Es war Nacht“ (13,30b-18,28a); „Frühmorgens“ (18,28b-19,13); „ˁErev (Rüsttag des) Pascha“ (19,14-42); „Tag eins der Schabbatwoche“ (20,1-31).

Das dieser Erzählung hinzugefügte Schlusskapitel 21,1-25 schildert nach Veerkamp die Öffnung der bis 20,26 hinter verschlossenen Türen ausharrenden johanneischen Gruppe für die größere von Petrus geführte messianische Bewegung. Meines Erachtens ist dieses Kapitel insofern organisch in die Struktur des gesamten Evangeliums eingepasst, als der Fischfang am See Tiberias als „dritte“, triton, Proklamation Jesu vor seinen Schülern bezeichnet wird (21,14), wodurch er in eine Reihe mit den beiden Zeichen zu Kana gestellt wird. Damit wird neues offenbares messianisches Wirken der Schülerschaft Jesu in seinem Namen möglich.

3.6 Das Evangelium als Drama

Der dramatische Aufbau des Johannesevangeliums (52f.), wie Heymel im Anschluss an Schenke [219f.] ausführt, „intendiert eine kollektive Rezeption … durch eine Gemeinschaft“:

Diese hat ein gemeinsames Vorwissen, auf das beispielsweise Johannes 1,14. 16; 3,11 hinweisen; d. h. sie ist mit der Jesusgeschichte, wie die Synoptiker sie überliefern, vertraut. Bei den dramatischen Dialogen ist jede Leserin, jeder Leser unmittelbar beteiligt. Der Leser, Hörer, Zuschauer „steht auf der Seite des Helden. Er teilt seine Perspektive. Er glaubt an ihn. Er gehört zu den ‚Kindern Gottes‘. So spielt sich vor seinem geistigen Auge das Drama seiner eigenen Existenz ab“. Im Johannesevangelium wird der zentrale Konflikt zwischen dem ungläubigen Kosmos, repräsentiert durch „die Juden“, und den „Kindern Gottes“ ausgetragen. Theologisch verstanden geht es um den Streit zwischen dem Repräsentanten Gottes und seinem Widersacher, dem Herrscher dieser Welt (Joh 12,31; 14,30; 16,11), d. h. zwischen Jesus Christus und dem Teufel. Das Evangelium stellt diesen Kampf als „weltgeschichtliches und damit apokalyptisches Drama dar“ (Berger 1997 [170]).

In Grundzügen ist dieser Darstellung durchaus zuzustimmen. In verheerender Weise in die Irre geht sie jedoch in ihrer Identifikation der „Juden“ mit dem „ungläubigen Kosmos“ und ihrer stillschweigenden Annahme, unter dem Teufel sei eine überweltliche Macht als Gegenspieler Gottes zu verstehen. Gerade wenn es hier um ein apokalyptisches Drama geht, warum sieht Heymel nicht, dass es hier um den Kampf gegen die römische Weltordnung geht – mit dem Herrscher Roms, dem Kaiser, an der Spitze? Warum konstruiert er in dieser Allgemeinheit einen Gegensatz zwischen gläubigen „Kindern Gottes“ und ungläubigen „Juden“, obwohl der Messias Jesus die Sammlung und Befreiung ganz Israels anstrebt und insofern nicht alle Juden, sondern die mit Rom kollaborierende jüdische Führung als Kinder des römischen diabolos (des Widersachers des befreienden Gottes Israels) verurteilt?

Wird das johanneische Drama diesen befreiungstheologischen Zusammenhängen entnommen und sozusagen im luftleeren Raum interpretiert, dann bleibt von dramatischer Spannung nicht viel übrig (53), wie die abschließenden Sätze Heymels, erneut unter Bezug auf Schenke [24 und 28], zeigen:

Im vierten Evangelium weist Jesus „immer wieder darauf hin, dass er und sein Wirken nach seiner Rückkehr zum Vater präsent bleiben“. Er bleibt für seine Jünger in seinem Wort und seinen Geboten (Joh 14,25f; 15,11f.), insofern seine Worte „Geist und Leben“ (Joh 6,63) sind. Zusammen mit dem Vater und im Heiligen Geist wird er bei ihnen bleiben (Joh 14,18-24; 14,16f; 16,13). Die Erzählung des Evangeliums stellt das Handeln Jesu und der Menschen, die ihm begegnen, nicht nur dar, es vergegenwärtigt sie. Für Hörer und Leserinnen, die diese Handlung erleben, wird die Geschichte Jesu Gegenwart. Sie werden mit dem Handeln Jesu konfrontiert. Damit wird die Hörerin, der Leser auf die „eigene Gegenwart verwiesen, in der er lebt und sein Leben gewinnen muss“.

Aber vielleicht wird Heymel ja im nun beginnenden Hauptteil seiner Einführung ins Johannesevangelium konkreter darstellen, in welcher Weise Jesus seinen Hörern und Leserinnen als gegenwärtig erfahrbar wird.

4. Eine Hinführung zum Glauben an Jesus

4.1 Prolog (1,1-18)

Es ist sicher richtig (55), den Prolog des Johannesevangeliums „als Einführung, theologische Grundlegung des Evangeliums und Leseanweisung für den Gesamttext“ zu verstehen. Michael Heymel bringt diese Leseanweisung mit einer Anmerkung zur jüdischen Übersetzung des Neuen Testaments von Levine und Brettler <35> inhaltlich auf den Punkt, dass sich „[i]n und hinter der Geschichte Jesu, die das Evangelium erzählt, … eine kosmologische Geschichte [ereignet], in der Gottes Wort in die Welt eintritt, den Satan überwindet und zum Vater zurückkehrt. Beide Geschichten sind zusammen zu sehen.“ Problematisch ist diese Sichtweise, wenn sie eine Kosmologie als selbstverständlich voraussetzt, innerhalb derer Jesus zwischen einer jenseitigen himmlischen Sphäre und der diesseitigen Menschenwelt hin- und herpendelt und auf deren Hintergrund der Satan als überweltlicher Gegenspieler Gottes zu verstehen ist. <36> Stellt der ursprünglich sehr gut geschaffene kosmos jedoch inzwischen – als angeblich wohlgeordnete Weltordnung der Pax Romana – unter dem Kaiser Roms als dem Widersacher des Gottes Israels in Wirklichkeit ein weltweites Sklavenhaus dar, unter dem Israel seines Tempels und seiner heiligen Stadt Jerusalem beraubt worden ist, dann ergibt sich eine ganz andere, nämlich befreiungstheologische, Leseanweisung für das Evangelium.

Zur (56) „Frage der Entstehung“ des Prologs meint Heymel, dass sie „sich nicht abschließend klären lässt“, daher geht er mit Thyen [64] „von Johannes 1,1-18 als literarischer Komposition“ aus. Seinen Aufbau beschreibt er unter Bezug auf Söding [25.30] als einen „Hymnus“, der „in drei Strophen den Logos als Mittler der Schöpfung (Joh 1,1-5), der Offenbarung Gottes in der Geschichte Israels (Joh 1,6-13) und der Erlösung der Glaubenden durch Jesus Christus (Joh 1,14-18)“ lobt. In dieser knappen Formulierung erschließt sich weder, inwiefern in den Versen 6-13 die „Offenbarung Gottes in der Geschichte Israels“ thematisiert sein soll, noch wird deutlich, welche Art der „Erlösung“ welche Glaubenden den Versen 14-18 zufolge erlangen sollen: Sind hier andere Glaubende gemeint als das Volk Israel? Ist hier Befreiung von Ausbeutung und Unterdrückung im Blick, wie sie die Propheten Israels ersehnt haben, oder geht es um individuelle Erlösung aus Sünde und Schuld und ewiges Seelenheil?

Was in der ersten Strophe (Johannes 1,1-5) ausgesagt werden soll, bezieht Heymel auf „Gottes gute Schöpfung“, die vermittelt durch den „Logos“ geschaffen wurde: „Dahinter steht das hebräische dabar, das ein Kraft- und Tatwort meint.“ Nicht ganz klar ist, wie Heymel die folgenden Sätze versteht (57):

Von Johannes 1,1-5 her ist Jesus der inkarnierte Logos, der schon vor der Schöpfung existierte und durch den alles geschaffen ist (vgl. Hebr 1,2b-3). Ähnlich sprechen frühjüdische Schriften wie Jesus Sirach und die Weisheit Salomos von der präexistenten Weisheit (Sir 24; Weish 7-9).

Begreift Heymel damit Jesus als ein göttliches Wesen, das vor aller Zeit mit Gott im Himmel existiert und dann in dem Menschen Jesus Fleisch und Blut angenommen hat? Oder will Johannes sagen, dass dieser jüdische Mann Jesus so sehr mit Gottes Willen und Wirken übereinstimmt, dass er dessen logos, dabar, also sein befreiendes „Kraft- und Tatwort“, voll und ganz verkörpert?

Zur zweiten Strophe des Prologs (Johannes 1,6-13) erläutert Heymel, dass die Verortung der „Offenbarung Gottes durch den Logos in der Geschichte Israels“ in der Weise geschieht, dass „die Figur Johannes des Täufers eingeführt wird (der hier gerade nicht als Täufer, sondern nur als Zeuge Jesu erscheint).“ Damit ist aber immer noch nicht klar, wie denn nun konkret Jesus auf Israel bezogen sein soll – geht es um Israels Befreiung oder ist es lediglich erster Adressat der missionarischen Tätigkeit des Johannes? Heymel fährt fort:

Der als wahres Licht kommende Logos wird von der Welt verkannt und von seinem Volk (Israel als Gottes „Eigentum“: Ex 19,5; Dtn 14,2; 26,18) abgelehnt, nur die Glaubenden nehmen ihn auf – wie es das Geschick Jesu war. … Von Johannes 1,6-13 her erschließt sich seine Israel-Theologie und die Dialektik von Ablehnung und Annahme des Wortes Gottes, die bereits im Alten Testament (vgl. das Geschick Moses und der Gerichtspropheten) und in der frühjüdischen Weisheitstheologie reflektiert wird.

Obwohl Heymel hier von einer Erschließung der „Israel-Theologie“ des Johannes spricht, bleibt unklar, wer genau diejenigen sind, die Jesus ablehnen und als Glaubende annehmen – und auch, wer überhaupt die Adressaten der Botschaft des Evangeliums sind: Ist es nach wie vor Israel, dessen Sammlung und Befreiung der Messias Jesus anstrebt, oder sind es, nachdem die Mehrheit Israels Jesus ablehnt, nunmehr die Völker der Welt, denen Jesus die Erlösung von ihren Sünden anbietet?

Die dritte Strophe des Prologs schließlich (Johannes 1,14-18) handelt nach Heymel „von der lnkarnation des Logos und davon, wie dieses Geschehen von den Glaubenden wahrgenommen wird.“ Zu Beginn wird Jesus (58) in „1,14 … als Fleisch gewordenes Wort und einzig vom Vater geboren (monogenēs) identifiziert“; Heymel begreift Jesus aber nicht vom ersten Einziggezeugten (monogenēs) der jüdischen Schriften her als den zweiten Isaak, der damit auch insofern als der Sohn Gottes verstanden werden könnte, als er zugleich das Volk Israel verkörpert (2. Mose 4,22). <37>

Heymel geht in diesem Zusammenhang vor allem auf die wörtlich übersetzte Aussage über das Wort ein: „es zeltete unter uns“,

womit auf das „Zelt der Begegnung“ mit der Bundeslade angespielt wird, wo Gott inmitten seines wandernden Volkes wohnt (Ex 33,7-11; 40,34-38; 1Kön 6,13). Jetzt wird Gottes Herrlichkeit (doxa), d. h. der Lichtglanz, die Klarheit, die Gott in der Begegnung mitteilt, an Jesus anschaulich. Damit ist auch Jesu Tempelwort (Joh 2,19) vorbereitet. Ein reformierter Exeget hat schon früh auf den Zusammenhang dieses Wortes mit dem „Zelten“ in Johannes 1,14 hingewiesen: Die menschliche Natur Jesu, in der Gott sein Tabernakel hat (das lat. tabernaculum steht für hebr. mischkan, griech. skenē = Zelt, Heimstätte), ist sinnverwandt mit seinem Leib als Tempel. <38>

Den inhaltlichen Bezug der Herrlichkeit oder Ehre des Gottes Israels, die nach Johannes 1,14 „an Jesus anschaulich“ wird, auf das Ziel der Befreiung bzw. des Lebens der kommenden Weltzeit für Israel nimmt Heymel auch hier nicht in den Blick.

Zu Johannes 1,17 betont Heymel, dass die Mitteilung von Gnade und Wahrheit durch Jesus … zur Gabe der Thora durch Mose nicht in Gegensatz“ steht. Sie macht

vielmehr offenbar, wer ihr eigentlicher Geber ist (vgl. Ex 34,6; Ps 25,10; 86,15; 103,8). Von Johannes 1,14-18 her erscheint Jesus als einzigartiger „Exeget“ des Vaters, der selbst Gnade und Wahrheit in Fülle schenkt (vgl. Joh 14,6), weil er aus intimer Gottesnähe („des Vaters Schoß/Brust“) kommt, der eine Sohn (Joh 3,16.18) des einen Gottes, eins mit dem Vater.

Wieder bleibt offen, was Heymel damit eigentlich sagen will. Will er eine antijüdische Tendenz des Johannesevangeliums abschwächen? Warum muss Jesus dann herausstellen, wer „eigentlicher Geber“ der Thora ist? Dass es nicht Mose, sondern Gott ist, versteht sich nach den jüdischen Schriften doch von selbst.

Da Heymel nicht klärt, inwiefern Jesus als der monogenēs des Gottes Israels zu begreifen ist (siehe oben), liegt die Gefahr nahe, dass Jesus am Ende doch nicht mehr als der „Exeget“ dieses Gottes verstanden wird, der den befreienden NAMEN trägt, sondern dass Gott von einem christlichen Jesus-Verständnis her ganz andere Züge zugeschrieben bekommt, als sie dem Gott Israels angemessen sind.

4.2 Johannes der Täufer (1,19-36; 3,22-30; 10,41-42)

Zu Johannes dem Täufer geht Heymel (58) vor allem auf Unterschiede seiner Darstellung in den synoptischen Evangelien und bei Johannes ein. Bei Johannes ist (59f.) der

Täufer … nur als Lehrautorität und Begründer einer Schule von Bedeutung. Er tauft zwar, aber das heißt lediglich, dass die Täuflinge seine Würde als Lehrer anerkennen, wenn sie sich von ihm taufen lassen. Die jüdischen Autoritäten wundern sich dagegen, dass er tauft, obwohl er weder der Messias noch Elia noch ein Prophet ist (Joh 1,25).

Weiter (60) erwähnt Johannes nicht die Taufe Jesu durch Johannes, wohl aber (60f.),

dass Jesus zunächst wie der Täufer mit Wasser tauft (Joh 3,26) oder sogar taufen lässt (Joh 4,2). Dies mag erstaunen, ist aber aus historischer Sicht durchaus denkbar. Die Ankündigung, Jesus werde mit heiligem Geist taufen, erfüllt dann erst der Auferstandene, der seinen Jüngern den Geist einhaucht (Joh 20,22).

Im Unterschied (61) zu Jesus hat der Täufer „keine Wunder gewirkt“ (Joh 10,41), aber Heymel äußert sich nicht näher zur Frage, inwiefern die „Wunder Jesu … ihn gegenüber dem Täufer“ auszeichnen.

Indem der Täufer „sich als Freund des Bräutigams“ bezeichnet,

der sich freut, wenn er dessen Stimme hört (Joh 3,29)[,] … schreibt er Jesus die Rolle des Bräutigams zu, der die Braut hat. Dieses Zeugnis ist bedeutsam vor dem Hintergrund von Auseinandersetzungen zwischen Jesus- und Täuferanhängern. Es spricht vom Verhältnis des Messias zu Israel; Freudenrufe wie die des Täufers wird man erst zur Endzeit hören (vgl. Jer 33,11).

Was Heymel mit dieser kommentierenden Bemerkung meint, bleibt kryptisch. In welcher Weise versteht er die Endzeit, in der Israels Hoffnungen durch den Messias Jesus erfüllt werden? Wenn hier die Erzählung von der Hochzeit zu Kana als Vorausblick auf die endzeitliche Hochzeit Gottes mit seinem Volk Israel gedeutet wird, <39> muss ernst genommen werden, dass der Evangelist Johannes vor allen anderen dieses Volk Israel als Adressaten seiner Freudenbotschaft in den Blick nimmt.

4.3 Sieben Zeichen der Herrlichkeit

Von großer Bedeutung (63) sind im Johannesevangelium die „Zeichen“ Jesu, griechisch sēmeia. Dieser „Terminus ‚Zeichen‘ kommt bei Johannes 17-mal vor.“ Michael Heymel definiert sie unter Berufung auf Schnackenburg [I, 345] als

bedeutsame Taten Jesu, die zum Glauben an Jesus als den Messias und Gottessohn führen sollen. Für die späteren Glaubenden sind sie nur aussagekräftig, „insofern die Jünger sie mit gläubigen Augen anschauen und Jesu Herrlichkeit in ihnen erkennen“.

In meinen Augen fehlt in dieser Definition ihre inhaltliche Zielsetzung, nämlich dass dass sēmeia kai terata, „Zeichen und Wunder“, des Gottes Israels in den jüdischen Schriften immer der Befreiung Israels dienen. Und genau darauf sind auch Jesu Zeichen ausgerichtet und nicht lediglich auf eine abstrakte Herrlichkeit Jesu, die er in seinen magischen Kräften unter Beweis stellt.

4.3.1 Die Hochzeit in Kana (Joh 2,1-11)

Da man nach Heymel (63) im 1. Jahrhundert auch „als Jude in Galiläa … auf Spuren des Dionysos“ stoßen musste, der als griechischer Gott des Weines „ähnliche Weinwunder wie bei der Hochzeit in Kana“ bewirkte, stellt er mit Bousset <40> fest:

„Hier dürfen wir die Genesis des Weinwunders von Kana vermuten! Der Epiphanie des Gottes Dionysos und ihrem Wunder stellte man die Epiphanie des neuen Gottes gegenüber“.

Bestätigt wird diese Annahme nach Bousset dadurch,

„dass das Datum des Dionysosfestes, die Nacht vom 5./6. Januar, mit dem Termin des christlichen Epiphaniefestes zusammenfällt.“

Von einem solchen Hintergrund her legt es sich für manche christliche Exegeten nahe, auch inhaltlich die Wundertat Jesu im Sinne einer Überbietung des Dionysos-Kults zu interpretieren. <41> Hoch anzurechnen ist es Heymel, dass er in diesem Zusammenhang auf einen entscheidenden Unterschied zwischen dionysischen Mysterien und jüdischen Zukunftshoffnungen verweist:

Bei festlichen Gelagen in den Häusern der Reichen, die sich den Bräuchen der Griechen und Römer anpassten, mag Dionysos Wein und Festfreude gespendet haben. In den Dörfern Galiläas warteten Jüdinnen und Juden auf die Hochzeit Gottes mit seinem Volk (Jes 62,4-5), die seinen Frieden zu dem Land bringen würde, wo jetzt eine Besatzungsmacht regierte.

Dass die Erzählung von „einer Hochzeit zu Kana …, zu der Jesus, seine Mutter und seine Jünger eingeladen sind“, von diesen jüdischen Erwartungen her zu verstehen ist, zeigt schon, dass sie am „dritten Tag“ beginnt, denn (63f.) diese

Zeitangabe spielt an auf die „Vermählung“ Gottes mit seinem Volk am Sinai, die nach Tagen der Reinigung am dritten Tag erfolgt (Ex 19,10f.), und weist voraus auf den Tag der Auferstehung Jesu. Eine Woche lang wird gefeiert, und vorzeitig geht der Wein aus. Auf Marias Feststellung scheint Jesus schroff zu reagieren: „Was hat das mit dir und mir zu tun, Frau?“ (Joh 2,4), wörtlich: Was ist zwischen dir und mir? „Frau“ war eine übliche, keineswegs respektlose Anrede. Auch der Gekreuzigte wird seine Mutter so ansprechen (Joh 19,26). Maria erscheint als wahre Israelitin, wenn sie die Diener anweist: „Was immer er euch sagt, das tut“ (Joh 2,5). Diese Weisung erinnert an Israels Gelöbnis am Sinai: „Alles, was der Herr geboten hat, wollen wir tun“ (Ex 19,8), und sie zitiert, nicht ohne Witz, das Wort des Pharao zu den Ägyptern während der Hungersnot: „Geht zu Josef; was er euch sagt, das sollt ihr tun“ (Gen 41,55).

Bis zu diesem Punkt scheint Heymel Jesu Zeichen zu Kana im Vorausblick auf die Erfüllung der von ihm erwähnten jüdischen Hoffnungen auf Frieden in einem der römischen Weltordnung unterworfenen Land auszulegen. Dann aber äußert er sich viel weniger konkret (64) über das Wunder, das Jesus als „der fremde Gast“ geschehen lässt, „der soviel köstlichen Wein für ‚seine Stunde‘ der Hochzeitsfeier aufbewahrt hat.“ Und das Fazit der Geschichte interpretiert nicht im Blick auf Frieden für Israel, sondern im Sinne allgemein menschlicher Lebensfreude (64f.):

Am Ende der Geschichte heißt es: „Das tat Jesus als Anfang der Zeichen in Kana in Galiläa, und er offenbarte seine Herrlichkeit, und seine Jünger glaubten an ihn“ (Joh 2,1 1). Die Hochzeitsgäste haben vom Wunder nichts mitbekommen. Sie kommen nicht zum Glauben. Der göttliche Lichtglanz Jesu bleibt ihnen verborgen. Doch sie verdanken ihm die mit gutem Wein gefüllten Krüge! Was des Menschen Herz erfreut, gönnt Jesus also den Menschen. Er ist keiner, der selbst aus dem Vollen schöpft, andere aber leer ausgehen lässt. Jesus gönnt allen Menschen die Fülle des Lebens und der Freude.

Erneut überrascht mich Heymel allerdings insofern positiv (65f.), als er dann doch auf durch die „ganze Szene“ geweckte „Assoziationen“ eingeht,

die sich erst im Kontext des Evangeliums und im größeren Zusammenhang der biblisch-jüdischen Tradition erschließen. Johannes der Täufer, der treue Zeuge, wird auf Jesus als den wahren Bräutigam hinweisen, dessen Hochzeitsfreude er teilt (vgl. Joh 3,28-30). In den Abschiedsreden, die er beim Abendessen vor dem Passahfest (Joh 13,1-2) hält, sagt Jesus seinen Jüngern: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Der gute Wein ist da, in ihm, und für sie als die Reben gilt es, in ihm zu bleiben und viel Frucht zu bringen.

Im Deuteronomium heißt es: „Und Traubenblut trinkst du schäumend“ (Dtn 32,14), nämlich als Wein, und die Rede ist von der Zeit, da Frieden eingekehrt sein wird. Auch die syrische Baruch-Apokalypse schildert das messianische Reich als ein Zeitalter, in dem es Wein in Fülle geben wird:

„Und es wird geschehen, dass, wenn alles, was kommen soll, […] erfüllt worden ist, der Gesalbte anfängt, ans Licht zu kommen […] Die Erde wird zehntausendfach Früchte hervorbringen. Und an einem Weinstock werden tausend Zweige sein, und ein Zweig wird tausend Reben tragen, und eine Rebe wird tausend Weintrauben tragen, und eine Traube wird 2 Liter Wein erzeugen“ (2Bar 29,35).

Das alles sind Bilder, mit denen die Freuden der Endzeit ausgemalt werden. Da wird ein großes Freudenmahl sein, bei dem reichlich Wein fließt (Jes 25,6; Hos 2,16-24). Jesus gibt durch sein Handeln zu verstehen: diese Zeit des Heils hat schon begonnen. Er, der messianische Bräutigam, bringt Freude in Fülle, und bei ihm kommt zuletzt – das Allerbeste!

Das alles klingt nach einem angemessenen Rückbezug auf die jüdischen Endzeithoffnungen. Allerdings bleibt trotzdem offen (66), wie Heymel sich konkret „das Allerbeste“ vorstellt, das mit Jesus „zuletzt“ kommen wird: Ist es die Überwindung der weltweiten Versklavung unter die Pax Romana und ein diesseitiges Reich des Friedens und der Gerechtigkeit für Israel inmitten der Völker? Oder erwartet Johannes Heymel zufolge das Reich Gottes in Form des ewigen Heils für verstorbene Seelen im Himmel? Nach Ton Veerkamp markiert das Zeichen der messianischen Hochzeit zu Kana ein äußerst paradoxes Gegenbild zur Wirklichkeit nach dem Judäischen Krieg: Keine Befreiung ist absehbar, Jerusalem liegt in Trümmern, die Macht Roms scheint ungebrochen. Dennoch proklamiert Johannes die Erhöhung des Messias am römischen Kreuz als die endgültige Bloßstellung und Überwindung genau dieser und jeder anderen menschenmörderischen Weltordnung.

4.3.2 Der königliche Beamte aus Kafarnaum (Joh 4,46-54)

Zum zweiten, „sich wieder in Kana“ ereignenden Wunder der Heilung des Sohnes eines basilikos, der entweder als ein jüdischer „Beamter des Königs Herodes Antipas“ oder als römischer Offizier vorzustellen ist, behauptet Heymel (66f.) unter Bezug auf Schneider [122]:

Die Erzählung stellt dar, worin die rechte Art des Glaubens besteht: es ist kein Glaube, der auf Zeichen und Wundern beruht, sondern ein Glaube, „der sich an das Wort Jesu hält […] und für den das Wunder höchstens die Bestätigung des […] Glaubensaktes ist“. In Jerusalem glaubten viele an Jesus, weil sie seine Zeichen gesehen hatten (Joh 2,23). Aber bei den Samaritanern (Joh 4,42) und bei dem Mann aus Kafarnaum ist es ein Glaube, der sich allein auf sein Wort verlässt.

Eine solche Abwertung von „Zeichen und Wundern“ ist jedoch nach Ton Veerkamp nicht die Absicht des Messias Jesus. <42> Warum sollte Jesus Zeichen vollbringen, wenn sie in seinen Augen wertlos wären? Sie stehen für die befreienden Taten Gottes, die auch er bewirken will – allerdings in einer Zeit, in der man wirklich noch nicht viel sieht von Befreiung, sondern in der Rom noch in Ewigkeit zu herrschen scheint.

4.3.3 Heilung am Teich Betesda (Joh 5,1-18)

Bei der Heilung des Gelähmten ist nach Heymel zu bedenken (68), dass der Mann „seit 38 Jahren krank war. Die Zahl erinnert an die 38 Jahre der Sünde Israels, nach denen eine neue Generation ins verheißene Land zog (Dtn 2,14). … Jesus sieht einen Zusammenhang zwischen Krankheit und Sünde“, er heilt ihn, indem er ihn „zu selbstständigem Handeln ermächtigt. Johannes zeigt: Nicht das Wasser hat den Lahmen geheilt, sondern das befreiende Wort Jesu (vgl. Joh 8,34-36).“ Bezeichnend ist, dass Heymel hier Sünde lediglich als die individuelle Verfehlung dieses Mannes begreift und nicht auf die Idee kommt, dass die symbolische Zahl 38 auf Jesu Absicht hindeuten könnte, die Lähmung Israels zu überwinden.

Im an die Heilungsgeschichte anschließenden „Streitgespräch“ mit „den Juden“ über Jesu angebliche „Übertretung des Sabbatgebots“ (69)

rechtfertigt [Jesus] sein Tun, indem er erklärt: Wie mein Vater bis jetzt wirkt, so wirke auch ich. Das heißt, ich tue, „was ich als Sohn meines Vaters tun muss und darf“, <43> weil sein Wirken unaufhörlich – auch nach seiner Sabbatruhe (Gen 2,3) – weitergeht. Die Ankläger suchen Jesus daraufhin erst recht zu töten, denn nach ihrem Urteil macht er sich mit Gott gleich.

In einer großen Rede (Joh 5,19-30) tritt er seinen Anklägern souverän als von Gott bevollmächtigter Ankläger entgegen. Mit dieser Vollmacht wird er Tote lebendig machen und Gericht halten, was nach jüdischer Tradition Gott am jüngsten Tag vorbehalten ist …

Hier ist die Frage zu stellen, ob Jesu Reden im Anschluss an die Heilungsgeschichte richtig verstanden werden können, wenn man nicht bereits die Heilung symbolisch auf die Überwindung der politischen Lähmung Israels deutet. Der johanneische Jesus hält ja seinen Anklägern entgegen (5,17), dass Gott und auch er als der Messias Gottes noch keine Sabbatruhe halten können, so lange die Werke der Heilung und Befreiung Israels und seine Auferweckung aus den Toten noch nicht zur ihrer Vollendung gebracht worden sind.

4.3.4 Speisung der Fünftausend (Joh 6,1-15)

Das Wunder der Speisung der Fünftausend (70) wird von Heymel nacherzählt, mit folgendem Fazit:

Wie alle gesättigt wurden, wird nicht erklärt. Die 12 Körbe voll übriger Brocken, die die Jünger aufsammeln, unterstreichen die Größe des Wunders.

Die Menschen sehen in Jesus einen verheißenen Propheten wie Mose (Dtn 18,15). Als sie ihn ergreifen und zum König machen wollen, entzieht er sich ihnen. Ein politischer Befreier Israels will er nicht sein, sein Königtum ist anders (vgl. Joh 18,36). Er zieht sich allein ins Bergland zurück.

Problematisch ist in diesem Zusammenhang der Satz: „Ein politischer Befreier Israels will er nicht sein“. Darin liegt der große Irrtum fast aller christlichen Ausleger des Johannesevangeliums, die nicht begreifen, dass Jesu Reich zwar nicht von dieser Weltordnung ist, aber dennoch den klar umrissenen politischen Zielsetzungen der Tora Israels entspricht. <44> Jesus ist kein zweiter David oder ein weiterer Makkabäer, erst recht keiner der zelotischen Abenteurer, die das Volk im Jüdischen Krieg in die Katastrophe geführt haben, aber sein Reich ist auch nicht im Sinne eines vergeistigten jenseitigen Himmelreichs zu verstehen. Das Leben der kommenden Weltzeit für Israel inmitten der Völker kann auf dieser Erde unter dem Himmel Gottes anbrechen, indem der kosmos durch die Praxis der agapē, der solidarischen Liebe Gottes, verwandelt wird.

4.3.5 Der Gang auf dem Wasser (Joh 6,16-21)

Ob der Gang Jesu auf dem Wasser als das fünfte in eine Reihe von sieben Zeichen Jesu eingeordnet werden sollte, ist umstritten. Dagegen spricht, dass es weder wie die ersten beiden ausdrücklich (2,11 und 4,54) noch wie die anderen vier andeutend im Rückblick (6,2; 6,14.26; 7,31 und 9,16; 11,47 und 12,18) als solches benannt wird. Zudem passt es nicht in die Reihe der vier an Israel vollzogenen Zeichen, die auf die Überwindung von Israels Lähmung, Hunger, Blindheit und Verwesung gerichtet sind.

Mitten im langen Kapitel 6, in dem der Messias Jesus seine Bedeutung als das Brot für Israel unter Beweis stellt und in der Synagoge zu Kapernaum erläutert, entzieht sich Jesus denjenigen, die ihn mit zelotischen Mitteln zum König machen wollen, indem er wie Mose allein (2. Mose 24,2) auf „den Berg“ geht. Das Wunder, das daraufhin geschieht, beschreibt Heymel folgendermaßen (70f.):

Die Jünger, die vergeblich auf Jesus gewartet haben, wollen ohne ihn über den See fahren, um nach Kafarnaum zu gelangen. Auf halber Strecke, etwa fünf Kilometer vom Ufer entfernt, geraten sie in der Dunkelheit in einen Sturm. Sie sehen, dass eine Gestalt über den aufgewühlten See geht und sich dem Boot nähert. Die Erscheinung erschreckt sie. Da gibt Jesus sich zu erkennen: „Ich bin es, fürchtet euch nicht!“ (Joh 6,20). In diesem absoluten „Ich bin es“ (vgl. Joh 4,26; 8,24 u. ö.) ist dieselbe Stimme zu hören, die zu Mose am Dornbusch sprach: „Ich werde sein, der ich sein werde“ (Ex 3,14; vgl. Jes 43,3.11). Jesus erscheint als der Mensch, in dem Gott gegenwärtig da ist. Er, der das schöpferische Wort im Anfang war, hat sich offenbar viel schneller als das Boot auf dem See bewegt. Er kommt zu den Jüngern, steigt aber nicht zu ihnen ins Boot. Von einer Sturmstillung ist keine Rede.

Zu Recht betont Heymel, dass sich Jesus seinen verängstigten Schülern hier als derjenige zu erkennen gibt, der den befreienden NAMEN des Gottes Israels verkörpert. Seine Formulierung, dass Jesus „sich offenbar viel schneller als das Boot auf dem See bewegt“ hat, klingt allerdings als Beschreibung eines hier vollzogenen Zeichens ziemlich banal.

Nach Ton Veerkamp <45> muss man das „unbändige Meer“ symbolisch auf „die völlig chaotischen politischen Zustände nach der Zerstörung Jerusalems“ beziehen. Während aber Matthäus und Markus in ihren Erzählungen der Sturmstillung Jesus „das Meer beruhigen“ lassen, damit „das stets drohende Chaos nicht zum Zuge kommen“ kann, ist das für

Johannes … offenbar zu blauäugig. Es wird nicht hell, der Wind legt sich nicht, und das Meer tobt wie gehabt. Es herrschen römische Verhältnisse und daran wird sich sobald wenig ändern.

… Angst macht ihnen die Vorstellung, dass der Messias „seinen Gang geht“, ohne dass sich an den äußeren Umständen etwas ändert.

Jeschua [Jesus] sagt: „ICH WERDE DASEIN, habt keine Angst.“ Was auch immer geschieht, das, was in Exodus 3,14 zu Mosche gesagt wurde, bleibt. Der NAME lautet: „ICH WERDE DASEIN!“ Deswegen ist die Angst zwar verständlich, aber unbegründet. Sie wollten ihn ins Boot nehmen, aber erzählt wird nicht, dass Jeschua zu ihnen ins Boot stieg. Trotzdem kommen sie sofort und genau dort ans Land, wohin sie wollten, ohne den Messias!

4.3.6 Heilung eines Blindgeborenen (Joh 9,1-41)

Zu Jesu Heilung des Blinden hebt Heymel zunächst hervor (71), dass es Jesus in ihr „nicht um die Ursachen“ geht, „sondern um das télos, das göttliche Ziel. Der Mann ist blind geboren, ‚damit die Werke Gottes an ihm offenbar würden‘ (Joh 9,3).“ Indem (72) nur von Jesus erzählt wird, dass er „Blinde heilt“, erweist er sich „als Gottes Gesandter“, der „dessen eigenes Werk ausführt und seine Jünger im ‚Wir‘ (Joh 9,4) in seine weitergehende Sendung einschließt“:

Gott allein vermag Blinde sehend zu machen (Ex 4,11; Ps 146,8), wie es in der messianischen Heilszeit geschehen wird (Jes 29,18; 35,4f.). Einzig sein erwählter Knecht ist dazu bestimmt, blinde Augen zu öffnen (Jes 42,6f.).

Dass Jesus mit diesem Gottesknecht zu identifizieren ist, bestätigt der Evangelist, indem er den Namen des Teichs Schiloach ausdrücklich mit „Gesandter“ übersetzt:

Bereits Eusebius hat die Stelle mit dem messianisch gedeuteten Segen Jakobs über Juda (Gen 49,8-12) in Verbindung gebracht: Der kommende Herrscher (hebr. schiloh) ist identisch mit dem Gottesknecht, der als „Licht der Völker“ (Jes 49,6) den Blinden die Augen öffnen soll. Der Blinde wird durch das „lebendige Wasser“ von Schiloach wieder sehend. Genauso erhält der Glaube durch Jesus, den messianischen Gesandten, das Licht, das die Welt hell macht.

Seltsam klingt Heymels Formulierung des folgenden Satzes im Futur, da beide Szenen im Evangelium der Blindenheilung vorausgehen (er selbst wird allerdings auf das Laubhüttenfest und die Samariterin erst später eingehen):

Das Motiv des „lebendigen Wassers“ wird in der Begegnung Jesu mit der Samaritanerin (Joh 4,13ff.) und Jesu Rede auf dem Höhepunkt des Laubhüttenfestes (Joh 7,37-39) wiederkehren.

Die enge Beziehung zwischen der Wasser- und Lichtsymbolik nimmt Ton Veerkamp <46> insofern ernst, als er die Kapitel 7 bis 10 insgesamt als einen großen johanneischen Erzählzusammenhang der Teilnahme Jesu am Laubhüttenfest zuordnet, aus dessen Anlass Jesus – hauptsächlich im Tempel – heftig mit pharisäischen Juden über seine Messianität streitet:

Sukkot, das Laubhüttenfest, bildet den Rahmen der großen Konfrontation mit den Judäern in Jerusalem. Dieses lange Kapitel lässt sich leicht einteilen:

1. Aufstieg nach Jerusalem, 7,1-10

2. Vom Messias, 7,11-52

[Eine Probe aufs Exempel, 7,53-8,11]

3. Das Licht der Welt, 8,12-30

4. Bevor Abraham geboren wurde: ICH WERDE DASEIN, 8,31-59

5. Von Blinden und Sehenden, 9,1-41

6. Von der Einheit Israels, 10,1-10,21

Wasser und Licht bestimmen das Fest, für die Judäer der Höhepunkt des Jahres, und sie bestimmen auch das Kapitel. Am Schluss des Kapitels entfaltet Jeschua sein eigentliches politisches Programm: die Einheit Israels.

Dass letzten Endes diese Hintergründe durch das Zeichen der Heilung des Blindgeborenen symbolisch hervorgehoben werden, weiß auch Heymel (73):

Der Geheilte steht zuletzt als wahrhaft Sehender da, der sich zu Jesus bekennt: „Ich glaube, Herr!“ (Joh 9,38). Demgegenüber werden die Pharisäer als geistig Blinde überführt, die sich dem Licht der Welt verschließen.

4.3.7 Auferweckung des Lazarus (Joh 11,1-45)

Die Auferweckung des Lazarus nennt Heymel (73) mit Söding [65] das „siebte und spektakulärste ‚Zeichen‘“ Jesu, das nach Johannes 11,4 zur „Verherrlichung Gottes“ geschieht; zugleich soll „durch sie … der Sohn Gottes verherrlicht werden“:

In der Auferweckung des Lazarus wird also Gott als Gott und Jesus als Sohn Gottes wahrnehmbar. Sie „offenbart Gott als den, der den Tod überwindet, und Jesus als den, der die Auferstehung und das Leben deshalb bringt, weil er beides in sich trägt und ist“ [Söding 65]. Insofern weist sie voraus auf die Auferstehung Jesu.

Die „drei Geschwister aus Betanien“, die in der Lazarusgeschichte auftreten, sind nach Heymel „aus der synoptischen Tradition, vor allem aus dem Lukasevangelium bekannt“, werden aber von Johannes in ganz anderer Weise charakterisiert. Während dort Maria „Jesus zu Füßen sitzt, statt wie Marta sich geschäftig um die Bewirtung zu kümmern“, ist es hier Marta, die als erste „ihren Glauben“ an Jesus bekennt, während Maria mit der Frau identifiziert wird, „die Jesus vor seiner Passion gesalbt hat (Joh 12,1-11)“. Zur (74) „Hauptfigur Lazarus“ ist nach Heymel „umstritten“, ob sie „auf den ‚armen Lazarus‘ (Lk 16,19-31) anspielt“.

Für Ton Veerkamp ist es offensichtlich, dass die Gestalt des Lazarus, der in keinster Weise als agierendes Individuum vorgestellt wird und kein einziges Wort spricht, durch seinen Namen Lazarus, hebräisch ˀElˁasar, symbolisch auf das zur Zeit Jesu unter der Führung der korrupten Priesterschaft regelrecht verwesende Volk Israel anspielt. <47>

Obwohl auch Heymel erwähnt, dass der „Name ‚Lazarus‘ … die Kurzform des biblischen Namens ‚Elasar‘ (vgl. Jos 14,1 u. ö.)“ ist, kommen ihm solche Überlegungen nicht in den Sinn. Die Verherrlichung des Sohnes Gottes, die in der Auferweckung des Lazarus geschehen soll, bezieht er daher auch nicht auf die Wiederherstellung der Ehre des Gottes Israels, die in der Belebung Israels besteht, sondern auf die im „Sterben und Auferstehen Jesu“ sich vollziehende „Rettung von der Krankheit der Sünde, die ohne Christus eine ‚Krankheit zum Tod‘ ist“. <48> Ob Johannes bei der Krankheit des Lazarus tatsächlich bereits in einem so allgemeinen Sinne an die Krankheit der Sünde denkt, die durch den Glauben an Jesus geheilt bzw. vergeben wird, ist aber keineswegs gewiss. Bezieht er als jüdischer Messianist die Verfehlungen, auf Grund derer Jesus den Tod am römischen Kreuz erleiden muss, nicht eher auf das Fehlen jeglicher toragemäßer Freiheit und Gerechtigkeit für das Volk Israel unter römischer Herrschaft, statt bereits an so etwas wie den verzweifelten Glaubenskampf eines Kierkegaard gegen die von ihm im landläufigen Christentum diagnostizierte Krankheit zum Tode zu denken?

Bezeichnend ist (75), wie Heymel die „Liebe Jesu“ begreift, unter deren „Vorzeichen“ die Erweckung des Lazarus zu begreifen ist und

die sich vollendet in seiner Lebenshingabe für die Seinen (Joh 13,1) und für seine Freunde (Joh 15,13-15). Der Ausdruck „die Seinen“ (vgl. Joh 1,11) bezieht sich auf das jüdische Volk oder die ganze Menschwelt. In Johannes 11 sind hingegen Freunde oder Jünger Jesu im Blick, die eine besondere Beziehung zu ihm haben.

Genau das ist aber fraglich, wenn der zutiefst von der priesterlichen Geschichte Israels geprägte Name Lazarus = Eleasar eben doch das Volk Israel als den Freund Jesu (11,3) repräsentiert, mit dem er sich wie mit dessen Schwestern solidarisch verbunden weiß (11,5), zumal eben diese dem Messias vertrauensvoll verbundenen Schwe­stern Marta und Maria zugleich in einer engen Beziehung zu ihren Mitjuden dargestellt werden (11,19.31.33). Für Heymel dagegen stehen eindeutig „die Geschwister für die Geliebten Jesu“, und daher wird in seinen Augen „in dem, was Lazarus erfährt, anschaulich, was allen Glaubenden verheißen ist.“

Im Gespräch mit Jesus fasst Marta Heymel zufolge (75f.) Jesu „erste Antwort ‚Dein Bruder wird auferstehen‘ (Joh 11,23) … als Hinweis auf die zukünftige Auferstehung der Toten“ auf,

eine Hoffnung, die zur Zeit Jesu von vielen Jüdinnen und Juden geteilt wurde. Doch seine zweite Antwort in der feierlichen Form eines lch-bin-Satzes enthüllt, dass Auferstehung und Leben (zoē) gegenwärtig sind. Jesus sagt zu Marta: „Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25), was sie – und die Lesenden mit ihr – nur auf ihren gestorbenen Bruder und sich selbst beziehen kann. Wer immer in Christus, in seiner Wirklichkeit „lebt, für den oder die gibt es keinen Tod. Das heißt nicht, dass der physische Leib nicht stirbt, sondern dass die Seele und der spirituelle Leib nicht sterben, wenn wir an der zoē teilhaben“. <49> Das „ewige Leben“, das den Glaubenden bereits jetzt in Christus geschenkt wird, endet auch im leiblichen Tod nicht. Persönlich gefragt, antwortet Marta mit einem freudigen „Ja, Herr, jetzt glaube ich, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt“ (Joh 11,27).

Im Anschluss an die mystische Interpretation Sanfords konstruiert Heymel hier also einen Gegensatz zur jüdischen Hoffnung auf die Auferstehung der Toten am Tag der Entscheidung, der den Anbruch des Lebens der kommenden Weltzeit markiert. Kann es aber sein, dass der jüdische Messias Jesus Vorstellungen eines spirituellen Leibes und einer unsterblichen Seele entwickelt haben soll, die den physischen Tod überdauern? Und bezieht sich der Satz „ICH BIN ES: die Auferstehung und das Leben“, wie Ton Veerkamp ihn übersetzt, in der Situation der johanneischen Gemeinde nach dem verheerenden Judäischen Krieg und der Zerstörung Jerusalems tatsächlich auf „das Weiterleben der individuellen Person nach dem Tod“ oder nicht vielmehr auf „Leben trotz des Todes, des allgegenwärtigen Todes, trotz der Allmacht der Todesmacht Rom“? <50> Nach Veerkamp verkörpert der Messias Jesus – auch wenn Jerusalem in Trümmern liegt, Tausende von Juden an römischen Kreuzen gestorben sind, ein Ende der versklavenden Herrschaft Roms nicht absehbar ist – dennoch den befreienden NAMEN des Gottes Israels. Der offensichtliche Sieg des römischen Imperiums über Israel ist nicht endgültig. Gott bleibt der Gott der Lebenden und eröffnet durch den Tod des Messias das Leben der kommenden Weltzeit für Israel. Das gilt gegen allen Augenschein, nur auf Grund der Treue des Gottes Israels.

Dafür, dass Jesus (76) durch den Tod des Lazarus „heftig bewegt, tief erschüttert und in der Seele betrübt (vgl. Joh 11,33-38a; Ps 42,6f.12)“ ist, führt Heymel als mögliche Erklärung an (77),

dass Johannes gegen die doketische Lehre der Gnostiker, Christus sei kein wirklicher Mensch gewesen, sondern habe nur zum Schein (griech. dokein = scheinen) existiert und gelitten, „einen wirklichen Menschen“ zeigt, „mit der ganzen Bandbreite menschlicher Gefühle – obwohl Jesus zugleich ganz göttlich ist, ein Gott mit Herz und Leidenschaft“. <51> Das entspricht auch der Eigenart der Propheten Israels, die leidenschaftlich mit Gott mitfühlen, weil sie von seinem „göttlichen Pathos“ <52> ergriffen sind.

Trotz seines Rückbezugs auf das prophetische Mitfühlen mit dem Gott Israels kommt Heymel jedoch nicht auf die Idee, dass Jesu Trauer sich auf den in tödlicher Verwesung begriffenen Zustand des Volkes Israel beziehen könnte, der ihm als der Verkörperung des NAMENS dieses Gottes ebenso nahe geht wie dem NAMEN selbst.

Als Jesus den Toten aus dem Grab ruft, „erscheint der zum Leben erweckte Tote, eingehüllt in Leichentücher“, Heymel zufolge „[w]ie ein Gespenst“. Damit trägt er jedoch moderne Vorstellungen über mit Tüchern eingehüllte Gespenster in die Erzählung ein; gerade das Johannesevangelium vermeidet jede Erwähnung des griechischen Wortes phantasma, „Gespenst“, das Markus und Matthäus in ihrer Erzählung von der Sturmstillung auf den auf dem Meer gehenden Jesus beziehen (Markus 6,49 und Matthäus 14,26). Heymel dagegen vermeidet es, auf die Pointe der johanneischen Lazaruserzählung einzugehen, die in Jesu Aufforderung besteht: Lysate auton kai aphete auton hypagein, „Macht ihn los und lasst ihn gehen.“

Heymels abschließende Bemerkungen über die Lazarusgeschichte machen deutlich, wie schwer sich eine Exegese mit ihr tut, die in Lazarus nicht das Volk Israel repräsentiert sieht, dessen Auferweckung und Befreiung der Messias Jesus im Sinn hat (77f.):

Johannes und seine ersten Leser waren zweifellos überzeugt, dass Jesus auch über den physischen Tod Macht erwiesen hatte. Moderne Erklärungsversuche [vgl. Söding 70] tun die Auferweckung des Lazarus leicht als Erfindung bzw. literarische „Fiktion“ ab, ohne sich ernsthaft zu bemühen, die Realität zu verstehen, die jenes „Zeichen“ anzeigt. Um eine „symbolische Erzählung“ [Thyen 538] handelt es sich nur insofern, als sie auf eine Wirklichkeit hinweist, die für das menschliche Bewusstsein gewöhnlich nicht zugänglich ist. Nach Sanford [1998, 79] deutet sie auf eine spirituelle Erfahrung hin: Sie erzählt davon, „dass neues Leben nur hervorbrechen kann, wenn zuvor der Tod des alten Lebens stattgefunden hat“. Lazarus sei als „Bild für die Seele“ zu betrachten, die die Erfahrung der mortificatio gemacht hat, d. h. „durch Tod und Begrabenwerden hindurchgegangen und zu einem neuen Leben vorgedrungen ist“.

Wie bereits gesagt, kann sowohl eine derartige Spiritualisierung der Lazaruserzählung als auch die Vorstellung, Jesus habe buchstäblich ein Individuum namens Lazarus auferstehen lassen, kaum der Art und Weise entsprechen, wie jüdische Messianisten von prophetischen Verheißungen her ein auf das Leben und die Befreiung Israels gerichtetes Wirken des Geistes Gottes erwarteten.

4.4 Der Todesbeschluss des Hohen Rates (Joh 11,46-57)

Was (78) nach „der Auferweckung des Lazarus“ in den Versen 11,45-47 geschieht, erzählt Heymel mit einigen Ausschmückungen nach. So

wird berichtet, dass viele von den Juden, die Augenzeugen des schockierenden Ereignisses waren, nun an Jesus glaubten. Andere dagegen seien über den Olivenberg geeilt, um die Autoritäten des Volkes zu informieren (Joh 11,45f.). … Als die Nachricht von Jesu erneutem Auftreten sich in Jerusalem verbreitet hat, versammelt sich das Synhedrium auf dem Tempelberg. Die Ratsmitglieder sehen Jesus, der als neuer Josua, Mose und David proklamiert wird und dem Tausende einen großen Empfang bereiten werden, um ihn zu unterstützen.

Den „Todesbeschluss“, den die „Denunziation und der Ausspruch des Kajafas“ auslöst, interpretiert Heymel (79) als ein offizielles Gerichtsurteil: Jesus „ist jetzt ein verurteilter Verbrecher“:

Mit hintergründigem Doppelsinn argumentiert der Hohepriester Kajafas: Es ist besser für euch, „wenn ein einzelner Mensch für das Volk stirbt und nicht das ganze Volk zugrunde geht“ (Joh 11,50). „Für das Volk“ bedeutet hier „anstelle des Volkes“. Der Erzähler kommentiert, Kajafas habe damit, ohne es zu wissen, ein prophetisches Wort gesprochen, denn Jesus sollte tatsächlich zugunsten und zum Heil des Volkes sterben, nicht allein für das Volk Israel, sondern „dass er die zerstreuten Kinder Gottes zur Einheit zusammenführe“ [Thyen 543].

Indem Heymel hier mit dem Zitat von Thyen „die zerstreuten Kinder Gottes“ dem „Volk Israel“ gegenüberstellt, legt er nahe, dass unter diesen Kindern Gottes nicht Juden, sondern Menschen aus den Völkern zu verstehen sind. Da Johannes in seinem Evangelium aber nirgends ausdrücklich von einer Völkermission spricht, ist es wahrscheinlicher, dass in 11,51-52 die unter die Völker zerstreuten Juden der Diaspora gemeint sind.

Am Ende seines Abschnitts über den „Todesbeschluss des Hohen Rates“ geht Heymel auf die Flucht Jesu nach Efraim und auf das Passahfest ein, anlässlich dessen „nach Jesus gesucht wurde und man sich fragte, ob er zum Fest kommen werde“. Danach beschäftigt er sich in den Abschnitten 4.5 bis 4.8 mit vielen anderen Themen des Johannesevangeliums, bis er in den Abschnitten 4.9 und 4.10 auf die Ereignisse in der Nähe dieses Passah zurückkommen wird.

4.5 Die Tempelreinigung (Joh 2,13-25)

Anders als die Synoptiker (80) erzählt Johannes von der „Tempelreinigung“ nicht im Zusammenhang mit dem „Einzug Jesu in Jerusalem … am Ende des Weges Jesu“, sondern er „eröffnet mit dieser dramatischen Szene Jesu Wirken unter den Juden als ‚den Seinen‘ (Joh 1,11).“ Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie Heymel Jesu Weg nach Jerusalem beschreibt:

Über Kafarnaum geht Jesus im Jordantal über Jericho „nach Jerusalem hinauf“ (Joh 2,13). Als thoratreuer Jude ist er wie andere Pilger dorthin zum Passahfest unterwegs.

Damit weist Heymel zu Recht auf die Treue Jesu zur jüdischen Thora hin und auch darauf, dass der Weg nach Jerusalem einen Aufstieg bedeutet. Mit den beiden Anfangsworten des ersten Satzes „Über Kafarnaum“ erweckt er jedoch den falschen Anschein, als ob Kafarnaum einfach eine Station auf dem Weg dieses Aufstiegs nach Jerusalems sei. Tatsächlich aber heißt es in 2,12 unmittelbar nach dem Zeichen der messianischen Hochzeit zu Kana, das zum Vertrauen der Schüler auf Jesus geführt hat, dass Jesus mit seiner Mutter, seinen Brüdern und seinen Schülern nach Kafarnaum zunächst einmal hinabging, und dass sie dort nicht viele Tage blieben. Dass dieser kleine Vers eine ganze Menge hintergründiger Anspielungen enthält, habe ich in der Auslegung von Johannes 2,12: Der Abstieg der messianischen Gemeinde nach Kapernaum in meinem Johannes-Blog ausführlich dargelegt.

Die Reinigung des Tempels selbst, der in Jesu Augen „zum Kaufhaus gemacht“ wurde, interpretieren seine Schüler nachträglich als

eine in Eifer um das Heilige (Ps 69,10) vollzogene prophetische Handlung. Sie weist auf die messianische Zeit hin, in der „im Haus des Herrn der Heerscharen […] kein Händler mehr sein“ wird (Sach 14,21). Möglicherweise war „der Verkauf von Opfertieren im Tempelbezirk“ eine damals „umstrittene Neuerung“ [Thyen 172]. Das könnte erklären, weshalb die Verantwortlichen unsicher waren und nicht sofort eingriffen.

Mit dem Zitat von Thyen verweist Heymel auf eine von diesem selbst für sehr unwahrscheinlich gehaltene Möglichkeit, dass „der Szene ein historischer Kern zugrundeliegt“. Leider verzichtet er darauf, die Tempelreinigung von ihrem prophetisch- messianischen Hintergrund her als Kritik an der judäischen Führung zu interpretieren, die im Heiligtum des Gottes Israels römische Zustände hat einreißen und das Haus Gottes zum Kaufhaus, oikos emporiou (2,16), werden lassen. Da seine Grundentscheidung feststeht (siehe Abschnitt 4.3.4), dass Jesus kein politischer Befreier sei, passt es ihm nicht in sein Konzept, das Wirken Jesu im Johannesevangelium von den prophetischen Überlieferungen politischer Befreiung her zu begreifen.

Auch (81) Jesu symbolische Rede von „seinem Leib als dem Tempel“ in Johannes 2,21 scheint Heymel von 1. Korinther 6,19 her, „wo Paulus diese Metapher auf alle Christinnen und Christen überträgt“, auf die individuelle Person Jesu zu beziehen, obwohl Jesu Leib als „das wahre Heiligtum“ nach 1. Korinther 12,27 auch als Symbol der messianischen Gemeinde verstanden werden kann. Während nach Paulus in dieser Gemeinde Juden und Menschen aus den Völkern zusammengeschlossen werden, äußert sich Johannes sehr zurückhaltend gegenüber einer Völkermission; er legt Wert auf die Sammlung ganz Israels einschließlich der verlorenen samaritanischen Nordstämme und der Juden aus der Diaspora und redet nur am Rande von „einigen Griechen“ (12,20), die Jesus sehen wollen.

4.6 Vor dem Laubhüttenfest (Joh 7)

Unter der Überschrift„Vor dem Laubhüttenfest“ behandelt Heymel (81) alles, was im Kapitel 7 über die Ereignisse vor, während und am letzten Tag des Festes berichtet wird, und lässt dabei außer Acht, dass auch die folgenden Kapitel bis 10,21 formal und inhaltlich auf das Laubhüttenfest bezogen bleiben (vgl. dazu oben den Schluss des Abschnitts 4.3.6).

Schwer zu begreifen (81) ist am Anfang von Kapitel 7 „ein Disput mit den Brüdern“, unter denen offenbar die leiblichen Brüder Jesu zu verstehen sind. Heymel stellt diese Auseinandersetzung folgendermaßen dar (82f.):

Die Brüder fordern Jesus auf, sich den Festpilgern nach Jerusalem anzuschließen. Dort könne er seine Werke, das heißt seine Wundertaten, zeigen. Wer wie er öffentliche Geltung beanspruche, müsse aus dem provinziellen Galiläa heraus: „Zeige dich der Welt!“ (vgl. Joh 7,3). Der Erzähler macht deutlich, dass daraus nur das Desinteresse und der Unglaube der Brüder spricht. „Auch seine Brüder glaubten nämlich nicht an ihn“ (Joh 7,5). Sie sehen nicht, wer Jesus wirklich ist. Möglicherweise ist ihnen durch Projektionen, Rivalitäten und Hoffnungen der Blick dafür verstellt [vgl. Sanford 1994, 172]. Wie von seiner Mutter (Joh 2,4) distanziert Jesus sich nun von seinen Brüdern: „Meine Zeit (kairós) ist noch nicht da“ (Joh 7,6). Der entscheidende, von Gott bestimmte Zeitpunkt, an dem seine Zeit sich erfüllt, wird die Todesstunde sein. Weshalb die Welt die Brüder nicht hassen kann, erschließt sich erst aus der Abschiedsrede Jesu an die Jünger (Joh 15,18f.): Sie leben fern vom Hass der Welt, weil sie selber „aus der Welt“ sind. Doppeldeutig erklärt er den Brüdern: „Ich gehe nicht zu diesem Fest hinauf“, worin mitschwingt: „Ich steige nicht an diesem Fest nach oben“ (vgl. Joh 5,13; 6,62).

An diese Deutung sind eine Reihe Fragezeichen zu setzen. Zunächst ist fraglich, ob Jesu erga, „Werke“, wirklich einfach auf „seine Wundertaten“ zu beziehen sind und ob das Stichwort kosmos, „Welt“, tatsächlich den Gegensatz zwischen der Weltstadt Jerusalem und dem provinziellen Galiläa meint. Immerhin hat Jesus nach Kapitel 5 in Jerusalem bereits mindestens eine Wundertat vollbracht. Weiter redet der Erzähler zwar vom Unglauben der Brüder Jesu, aber gerade nicht von ihrem „Desinteresse“. Sie sind durchaus interessiert an ihm, wollen ihn aber aller Wahrscheinlichkeit nach, wie es galiläische Anhänger bereits nach Johannes 6,14-15 planten, in Jerusalem zum König machen. Das heißt: Die Brüder Jesu wollen nicht sehen und vertrauen nicht darauf, dass die „Welt“ in Gestalt der römischen Weltordnung nur durch Jesu Weg in den Tod am römischen Kreuz überwunden werden kann. Stattdessen verurteilt Johannes Jesu Brüder als zelotisch fehlgeleitet; sie hängen noch den Illusionen an, als könne ein Aufstand gegen Rom den endzeitlichen Frieden herbeiführen. Darum lehnt Jesus auch den Begriff kairos ab, den seine Brüder verwenden und der als günstiger Zeitpunkt, um loszuschlagen, „immer da“ ist, während seine hōra, „Stunde“, noch nicht gekommen ist. <53>

Unzutreffend ist schließlich Heymels Einschätzung, Jesus habe sich von seiner Mutter in gleicher Weise wie von seinen Brüdern distanziert. Zwar sagt ihr Jesus, dass seine Stunde noch nicht da sei, aber als sie die Bediensteten anweist, zu tun, was ihnen Jesus sagt, da leitet er sofort das Zeichen in die Wege, das auf die endzeitliche messianische Hochzeit hindeutet. Erst recht ist nicht von ihrem Unglauben die Rede. Johannes 2,12 erzählt sogar ausdrücklich, dass nach dem messianischen Zeichen zu Kana sowohl die Mutter Jesu als auch seine Brüder und seine Schüler Jesus auf dem Weg nach Kapernaum begleiten. Dass sie gemeinsam seine messianische Gemeinde bilden, bestätigt eine ähnliche Formulierung der Apostelgeschichte (1,13-14).

Dass Jesus schließlich (83) „unbemerkt doch nach Jerusalem hinauf“ geht, begründet Heymel unter Berufung auf Schneider [165] damit, dass er zwar im Tempel auftritt, aber „nicht, wie seine Brüder es von ihm gefordert hatten, als Wundertäter, sondern als Lehrer“. Ganz stimmt das aber nicht, denn im Kapitel 9 ist dann doch von einem Wunder in Jerusalem die Rede. Vielleicht können folgende Sätze Heymels Licht auf Jesu Entscheidung werfen, „nicht offen, sondern heimlich“ (7,10) zum Fest zu gehen:

Die jüdische Elite, die das Volk verachtet und von ihm gefürchtet wird, sucht ihn. Unter der Volksmenge sind die Meinungen über Jesus geteilt: Die einen sprechen gut von ihm, die anderen sehen einen Verführer, das heißt einen falschen Messias in ihm.

Eben da die Meinungen Jesus gegenüber im Volk geteilt sind, mag Jesus, so lange er sich im Schutz dieser Volksmenge aufhält, vor dem Zugriff der judäischen Führung einigermaßen sicher sein. Was Jesus auf dem Fest tut, nennt Ton Veerkamp „subversive Existenz“: <54>

Unter den Umständen, die die Brüder wollen, kann und will er nicht zum Fest hinaufgehen. Mit der zelotisch-messianischen Euphorie will er nichts zu tun haben. „Ihr mögt hinaufgehen“, wie so viele Menschen aus Galiläa hinaufgegangen sind. Alles, was sie erreichen können, war höchstens Krawall, von den römischen Soldaten blutig niedergeschlagen (Lukas 13,1ff.). „Offenbar“ hingehen bedeutet nichts als Krawall, sinnlose Randale. Sie mögen gehen, er gehe nicht, sagt Jeschua, nicht mit euch, nicht wie ihr geht; nicht als öffentliche Gestalt, mit öffentlich geltend zu machenden Ansprüchen (phanerōs), sondern verborgen (en kryptō).

Um die Verborgenheit, die Subversivität des Messias, geht es in den nächsten Abschnitten. Und wir werden sehen, dass politische Eindeutigkeit und Subversivität nicht miteinander in Widerspruch stehen, sondern sich gegenseitig voraussetzen.

Zur Lehre Jesu beim Laubhüttenfest (83) betont Heymel:

Jesus versteht sich selbst als von Gott gesandt und kann sich mit diesem Selbstverständnis auf die Thora des Mose berufen: „Daran sollt ihr erkennen, dass der Herr mich gesandt hat, alle diese Taten zu vollbringen, und dass es nicht aus meinem eigenen Herzen kommt“ (Num 16,28). Um die von Gott gegebene Lehre zu erkennen, braucht es keine theoretische, sondern praktische Erkenntnis: Nur wer sich ganz darauf einlässt, den Willen Gottes zu tun, kann unterscheiden, ob die Lehre Jesu „aus Gott“ ist oder nicht.

Den Höhepunkt der Lehre Jesu (85) am „letzten Tag des Festes“ bildet sein Ausruf:

„Wenn jemand Durst hat, komme er zu mir und trinke! Wer an mich glaubt, aus dessen Leib werden, wie die Schrift sagt, Ströme lebendigen Wassers fließen“ (Joh 7,37f.). Ähnlich lädt die Weisheit (vgl. Spr 9,4f; Sir 24,19; 51,23f) dazu ein, den Durst der Seele bei ihr zu stillen [vgl. Schneider, 170]. Das mit „Leib“ übersetzte Wort koilia (wörtlich: Bauch) meint hier das verborgene Innere der Person.

Zwar weiß Heymel, dass im „griechischen Urtext … die Stelle zwei Lesarten“ zulässt, denn Jesu Ausspruch kann auch „auf den Leib des Erlösers“ bezogen werden, aber er selbst bezieht ihn „auf den Glaubenden als Quellort“. Die Schrift zitiert Jesus nicht wörtlich, vielmehr bezieht er „sich auf endzeitliche Verheißungen, die das Entspringen einer unerschöpflichen Quelle aus dem Tempel oder aus Jerusalem ankündigen (Jes 12,3; Ez 47,1-2; Joel 4,18; Sach 13,1; 14,8)“ (86):

Nach Johannes beansprucht Jesus, die Quelle zu sein, die aus dem Innersten der Glaubenden lebendiges Wasser strömen lässt. Die eigentliche Quelle seiner Lehre liegt jedoch nicht in ihm selbst, seine Lehre kommt vielmehr direkt von Gott (vgl. Sanford 1998, 17) und setzt in allen, die an ihn glauben, fließendes spirituelles Leben frei. Zurückblickend auf Jesu Verherrlichung erläutert der Erzähler: „Damit meinte er den Geist, den jene empfangen sollten, die an ihn glaubten“ (Joh 7,39). Den Leserinnen und Lesern macht dies bewusst, dass alle Worte Jesu, die das Evangelium überliefert, von dem Erhöhten durch den Geist gesprochen werden. Von ihm inspiriert, werden die Glaubenden seinen Tod als die Stunde wahrnehmen, in der Blut und Wasser aus der durchbohrten Seite heraustreten (Joh 19,34). Aus seinem Innersten, dem wahren Tempel (vgl. Joh 2,21), werden Ströme lebendigen Wassers fließen, dessen Wirken Ezechiel so beschreibt:

„Wenn dieses Wasser dorthin kommt, dann wird es geheilt werden, und wohin der Fluss kommt, da wird Leben sein. […] Und am Fluss, an seinen Ufern auf der einen und auf der anderen Seite, werden Bäume aller Art mit essbaren Früchten wachsen; ihre Blätter werden nicht welken, und ihre Früchte werden nicht aufgebraucht. In ihren Monaten werden sie Früchte tragen, denn ihr Wasser kommt aus dem Heiligtum“ (Ez 47,9.12).

Jenes Wasser wird also „das Vertrocknete in uns befruchten und das Kranke in uns heilen […] Es wird überall Leben wecken und frische Früchte bringen“. <55>

Erneut präsentiert Heymel hier eine Johannesdeutung, die voll und ganz auf „den Durst der Seele“ und auf „spirituelles Leben“ ausgerichtet ist. Tatsächlich ist hier ja auch von pneuma, von Inspiration, die Rede. Gerade der Rückbezug auf den Propheten Ezechiel (Hesekiel) sollte aber dazu anleiten, diese Inspiration nicht nur auf innerseelische Prozesse zu beziehen und erst recht nicht auf rein jenseitige Vorstellungen von einem Himmelreich nach dem Tode. Dem jüdischen Messianisten Johannes geht es wie dem Propheten Ezechiel um die Inspiration der Treue Gottes, die Leben und heilsame Veränderung auf dieser Erde unter dem Himmel Gottes bewirkt.

4.7 Begegnungen

Unter der Überschrift „Begegnungen“ geht Heymel nicht nur auf Jesu Gespräche mit dem Pharisäer Nikodemus und der Samaritanerin am Jakobsbrunnen ein, sondern auch auf die dem Johannesevangelium am Anfang von Kapitel 8 hinzugefügte Erzählung von der Ehebrecherin.

4.7.1 Das Gespräch mit Nikodemus (Joh 3,1-21)

Zur Person des Nikodemus erwähnt Heymel (87), dass er „ein gebildeter, bibelkundiger Mann“ ist, „ein anerkannter Lehrer Israels in führender Stellung (Joh 3,1.10)“, der „als Sprecher vieler auf[tritt] (‚wir wissen‘)“, ohne ausdrücklich darauf einzugehen, dass er der Partei der Pharisäer angehört. Indem dieser Mann heimlich zu Jesus kommt und ihm bescheinigt: „Solche ‚Zeichen‘ (d. h. Wunder), wie du sie tust, kann jemand nur tun, wenn Gott mit ihm ist“, stellt er ihm nach Heymel (87f.)

indirekt … damit wohl die Frage: Wie ist es möglich, so wie du mit Gott verbunden zu sein? Jesus beginnt mit einem feierlichen doppelten „Amen“ und antwortet: Wer nicht von oben beziehungsweise von Neuem geboren und wieder wie ein Kind wird, kann das Reich Gottes (die himmlische Welt) nicht sehen. Das ist indirekt eine christologische Aussage: Jesus selbst ist „von oben“ geboren, sein Ursprung ist oben bei Gott (Joh 1,1). Deshalb kann er von dem sprechen, was er bei seinem Vater gesehen hat (Joh 8,38; vgl. 3,32; 5,19; 6,46). Er bestätigt damit, dass er der „von Gott gekommene Lehrer“ (Joh 3,2) ist.

In diesen Formulierungen verrät Heymel, dass er das Gespräch Jesu mit Nikodemus von vornherein auf einer rein religiösen Ebene versteht – mit der Gefahr der Verjenseitigung. Darauf deutet sowohl seine einfache Gleichsetzung von „Zeichen“ mit „Wunder“, die er zum wiederholten Male vornimmt, als auch die Erklärung von „Reich Gottes“ mit „die himmlische Welt“. Dass sēmeia kai terata nach der Schrift nicht einfach übernatürliche Wunder sind, sondern Zeichen und Machterweise des Gottes Israels, die der Befreiung seines erwählten Volkes dienen, bleibt außer Acht, ebenso, dass die basileia tou theou ein Königreich ist, das Gott vom Himmel her für Israel inmitten der Völker auf der Erde unter dem Himmel anbrechen lassen will. Johannes verwendet das Wort basileia nur hier und dann noch ein einziges Mal im Gespräch mit Pilatus (18,36); ansonsten drückt er dasselbe mit der oben (im Abschnitt 3.1) bereits erwähnten Vorstellung des zōē aiōnios aus, des Lebens der kommenden Weltzeit.

Zum Missverständnis des Nikodemus (88): „Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist?“ in Johannes 3,4 meint Heymel:

Manchmal ist gerade das Einfachste am schwierigsten zu begreifen. Die neue Antwort Jesu führt weiter: Wer nicht aus Wasser und Geist geboren ist, kann nicht in das Reich Gottes kommen. Natürliche und geistliche Geburt werden einander gegenübergestellt, die erste ist notwendige Bedingung der zweiten. Jesus redet verheißungsvoll von der Geburt aus dem Geist: Damit der Geist kommen kann, „muss der Menschensohn erhöht werden“ (Joh 3,14). Erst wenn ein Mensch die Stimme (fonē) des Geistes hört, geschieht das Unbegreifliche, wird er aus dem Geist geboren. Darin klingt die Geschichte Elias am Horeb an, der Gottes Gegenwart im „Flüstern eines sanften Windhauchs“ spürt (1Kön 19,12), in einer „Stimme“, wie an dieser Stelle in der Septuaginta zu lesen ist.

Gerade wenn Heymel allerdings die Stimme des Geistes in Beziehung setzt zum Hören der Stimme Gottes Israels durch den Propheten Elia, der am Horeb mit sehr konkreten Aufträgen betraut wird, die sich auf die Befreiung Israels von der Herrschaft fremder Götter beziehen, sollte man nur mit sehr guten Gründen davon ausgehen, dass Johannes die Inspiration durch die Stimme dieses Gottes in einer vollkommen verinnerlichten oder verjenseitigten Weise begreift, ohne sie zumindest auch auf die Veränderung diesseitiger Verhältnisse zu beziehen.

Dasselbe Problem ist in Heymels Umgang mit dem „Zeichen“ zu erkennen, das Jesus „aus der Geschichte Israels kennt“ und an das er Nikodemus erinnert (88f.), nämlich

die bronzene Schlange (Joh 3,14-15). Im Vierten Buch Mose wird von der Wanderung der Israeliten durch die Wüste erzählt. Als sie Umwege gehen mussten, wurden sie ungeduldig. Sie klagten Gott und Mose an. Da wurden sie von giftigen Schlangen geplagt, sodass viele starben. Sie erkannten, dass es falsch war, Gott Vorwürfe zu machen, und riefen zu Mose: „Bete zum Herrn, damit er uns von den Schlangen befreit!“ (Num 21,7). Nach Gottes Anweisung stellt Mose eine Schlange aus Bronze her und befestigt sie an einer Stange. Nun muss niemand mehr am Biss giftiger Schlangen sterben. Alle, die gebissen werden und die erhöhte Schlange ansehen, bleiben am Leben (vgl. Num 21,4-9).

Bezeichnend ist, dass Heymel in dieser Nacherzählung lediglich formal auf Vorwürfe Israels gegen Gott eingeht, für die es von Gott bestraft wird, und nicht auf den zentralen Inhalt, um den es in der Geschichte geht: Das Volk stellt die Befreiung aus Ägypten angesichts der Nahrungsknappheit in der Wüste in Frage (4. Mose 21,5). Bleibt dieser Zusammenhang unbeachtet, kann Heymel es für angebrachter halten, das Symbol der Schlange in Beziehung zur altgriechischen Heilkunst zu setzen:

Die bronzene Schlange, die Mose auf einer Stange erhöhte, sodass alle sie sehen konnten, war ein Zeichen für Gottes Macht, Leben aus Todesgefahr zu retten. Darin steckt eine alte medizinische Weisheit: tödlich wirkendes Gift wird durch ein stärkeres Gegengift überwunden. Die Griechen des Altertums stellten Asklepios, den Gott der Heilkunde, mit einem von einer Schlange umwundenen Stab dar. Bis heute ist dieser Äskulapstab das Symbol für ärztliche und pharmazeutische Berufe. An den Wurzeln europäischer Kultur steht also die Überzeugung, dass Heilung und Heil zusammengehören und dass es die übergeordnete Macht eines Gottes braucht, um Menschen wirklich gesund und heil, das heißt wieder „ganz“ zu machen. Die bronzene Schlange sollte den Israelitinnen und Israeliten zeigen, dass niemand anders als Gott, dessen Name heilig ist, ihr Leben vor tödlicher Gefahr bewahrt.

Nach Ton Veerkamp <56> geht es hier nicht um griechische Götter, sondern um den befreienden NAMEN des Gottes Israel. Da die Freiheit, die Israel im Auszug aus Ägypten geschenkt wurde, durch das Murren des Volkes verspielt werden kann, muss ihm bewusst gemacht werden, was verspielte Freiheit bedeutet. Und das geschieht, indem Mose dem Volk mit der Giftschlange „ein Sinnbild der tödlichen Folgen einer verspielten Freiheit“ vor Augen stellt:

Sie wird angeheftet an einer Stange, unschädlich gemacht. Das Bild der festgemachten Schlange zu betrachten, heißt begreifen, dass die Unfreiheit nicht länger eine Verlockung ist. Wer sich das vor Augen führt, wer sich dessen bewusst wird, was verspielte Freiheit ist, der wird geheilt.

Wie ist nun nach Heymel (89) die Aufnahme des Symbols der Schlange durch Jesus zu begreifen? Zunächst einmal stellt Jesus die Erhöhung der Schlange in einen Zusammenhang mit seiner eigenen Erhöhung an das Kreuz, an dem er sterben wird, wobei er sich mit der Gestalt des Menschensohns identifiziert (89f.):

Jesus fährt fort: „Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit jeder, der glaubt, in ihm ewiges Leben hat“ (Joh 3,14f.). „Menschensohn“ ist ein biblischer Ausdruck für denjenigen Menschen, mit dem Gott eine neue Zeit und seine neue Welt beginnt. Jesus sieht sich selbst dazu bestimmt, dieser Mensch zu sein. Und er sieht, dass er ans Kreuz geschlagen werden muss. „Erhöht werden“, sagt Johannes, weil er in der Kreuzigung Jesu den Weg erkannt hat, auf dem sich zeigt, was Gott selbst mit der ganzen Welt im Sinn hat. Darum fügt er den Worten Jesu diese Erklärung hinzu: „Denn Gott hat die Menschen so sehr geliebt, dass er seinen einzigen Sohn für sie hergab. Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zugrunde gehen, sondern das ewige Leben haben“ (Joh 3,16).

Ein weiteres Mal weise ich darauf hin, dass Heymel zwar vollkommen zu Recht die Rede vom Menschensohn auf Gottes „neue Zeit und seine neue Welt“ bezieht, die er anbrechen lassen will, dabei allerdings wieder offen lässt, ob das damit verheißene „ewige Leben“ auf dieser Erde unter dem Himmel Gottes oder im Himmel zu verorten sein soll.

Schon sehr bald wird aber deutlich, dass Heymel die alttestamentlichen Heilstaten, die auf innerweltliche Befreiung und Rettung aus Todesgefahr bezogen waren, lediglich sozusagen als Sprungbrett benutzt, um im Blick auf Johannes nur noch von der Rettung aus der lebensbedrohlichen Gefahr der Sünde zu sprechen:

Im Alten Testament zählt die Heilung derer, die die Schlange anblickten, zu den Heilstaten Gottes (Dtn 8,15). Im außerbiblischen Buch der Weisheit Salomos heißt es, Gott habe seinem Volk damit ein „rettendes Zeichen“ gegeben (Weish 16,5-11). Wenn nun Jesus seine Kreuzigung mit der bronzenen Schlange vergleicht, so bedeutet das: Er selbst wird vor aller Welt zum Zeichen dafür, wie Gott sie vor lebensbedrohlicher Gefahr rettet. Der Gekreuzigte zeigt, wie der Schaden der Sünde geheilt wird, der das Leben aller Menschen zu vergiften droht. Er selbst ist das wahre Heilmittel und zugleich der wahre Arzt, der Heil und Heilung bringt. Ein altes Osterlied sagt es so: „Die alte Schlange, Sünd und Tod, die Höll, all Jammer, Angst und Not hat überwunden Jesus Christ, der heut vom Tod erstanden ist. Halleluja“ (EG 106,2).

Nach dem Wort der Tora im 5. Buch Mose 8 sind alle „Heilstaten Gottes“ auf die Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei (8,14) und auf die Bewahrung von Freiheit und Wohlergehen im versprochenen Land (8,6ff.) bezogen. Da die Schlange nach dem Buch der Weisheit als „rettendes Zeichen“ die Heilung von Krankheit und sogar Tod bewirkt, bleibt nur ein kleiner Schritt zu gehen, um die heilende Wirkung des Kreuzestodes Jesu auf die tödliche Gefahr der Sünde zu übertragen. Dieses Verfahren scheint den meisten christlichen Auslegern der beiden biblischen Testamente so sehr in Fleisch und Blut übergegangen zu sein, dass gar nicht mehr wahrgenommen wird, wie sehr die Vorstellungen von „Heil und Heilung“ als irdischem Wohlergehen, politischer Befreiung oder religiösem Seelenheil auseinandergehen.

Mit den folgenden Worten macht Heymel endgültig deutlich (90), dass er den Tod Jesu am Kreuz als ein Opfer begreift, das in seinen Augen offenbar erforderlich ist, damit die Sünden aller Menschen gesühnt werden können. Immerhin wendet sich Johannes seines Erachtens gegen die Vorstellung, Gott selber habe wegen seiner durch die menschliche Sünde zutiefst gekränkten Ehre seinen eigenen Sohn „am Kreuz“ als „ein abscheuliches Menschenopfer“ darbringen müssen, sondern er

legt größtes Gewicht darauf, dass Jesus ein Selbstopfer vollzieht. Gott gibt ihn frei zur Selbsthingabe. Jesus lässt sein Leben für andere (Joh 10,11; 15,13ff.), der Vater liebt ihn, weil er sein Leben (psychē) einsetzt (Joh 10,17f.).

Wie ist in diesem Zusammenhang der Satz zu verstehen: „Alle, die an Jesus als den Sohn Gottes glauben, werden im Aufblicken zu seinem Kreuz das ewige Leben haben“? Was meint Heymel mit diesem „ewigen Leben“? Ihm zufolge ist es (91), wie er mit einem Zitat von Schneider [99] sagt,

„bei Johannes ein Zentralbegriff der Verkündigung Jesu“ und meint ein Leben, das sich nicht im Irdischen erschöpft und das die Glaubenden niemals wie er „in sich“ (Joh 5,26), sondern stets nur in ihm haben werden. Wer so mit Jesus verbunden ist, hat ewiges Leben, wer ihm nicht glaubt, „wird das Leben nicht sehen“ (Joh 3,36). Heilsam wird der Anblick des gekreuzigten Jesus also erst für die, denen die Augen dafür aufgehen, wer da am Kreuz hängt! Sie sehen, dass da Gott selbst, der Vater von Ewigkeit her, aus Liebe zur Welt handelt und seinen einzigartigen Sohn für die Menschen hergibt. Dann leuchtet ihnen Gottes Wahrheit auf. Wer glaubt, sieht die Welt zusammen mit Gott, zusammen mit dem, der das tödliche Gift durch ein stärkeres Gegengift überwindet.

Eindeutig klar ist hier nur, was Heymel nicht meint. Er hat beim „ewigen Leben“ nicht das Leben der kommenden Weltzeit auf Erden für Israel im Blick. Vielmehr soll sich „ewiges Leben“ nicht „im Irdischen“ erschöpfen, also offenbar auf ein himmlisches, göttliches Jenseits ausgerichtet sein, und man soll es nur „in“ Jesus haben können. Meint er damit eine mystische Verbindung mit dem im Glauben ergriffenen Jesus? Aber kann man einem auf Jesus als dem Messias Israels vertrauenden Juden wie Johannes, der ganz und gar in den Schriften Israels verwurzelt ist, bereits ein derart verjenseitigtes und mystisches Glaubensverständnis zutrauen?

Ton Veerkamp [Abs. 29-30 (59)] dagegen versteht den Aufblick des Evangelisten Johannes zum Kreuz Jesu als eine „drastische politische Schulung“ über die Art und Weise, wie der Gott Israels unter den globalen Bedingungen des 1. Jahrhunderts sein befreiendes Wirken durch den Menschensohn, aramäisch bar enosch (Daniel 7,13), in die Tat umsetzt:

Was ist denn „Gott“ anders als der, der sich in Israel nur als „der aus dem Sklavenhaus hinausführende“ benennt. Einen anderen NAMEN hat er nicht. Israel, soviel meint Johannes zu wissen, befindet sich heute im Sklavenhaus Roms. Zu dem von den Römern, von denen, die Israel in ihrem weltweiten Sklavenhaus halten, hingerichteten, ans Folterinstrument Kreuz „gehefteten“ bar enosch, MENSCHEN, muss Israel hinaufblicken, um sich bewusst zu machen, was mit ihm wirklich geschieht. …

Johannes verfremdet den bar enosch Daniels in ein zu Tode gefoltertes, elend zu Grund gehendes Menschenkind. Der hohe Repräsentant Roms führt den gedemütigten, der Lächerlichkeit preisgegebenen Jeschua ben Joseph aus Nazareth dem Volk vor: „Da, der MENSCH“ – bar enosch – so sieht der Mensch aus, wenn er in unsere Hände fällt. Er scheint zunächst der absolute Gegensatz zu Daniels machtvoller Gestalt bar enosch zu sein. Was aber die Niederlage des Messias ist, das ist für Johannes der Ausgangspunkt für die Befreiung der Welt von der Ordnung, die auf ihr lastet. Die Verknüpfung von Daniel 7 mit Numeri 21 ist das Ende aller politischen Illusionen, die das zelotische Abenteuer suggeriert.

Eine politische Auslegung des Johannesevangeliums besteht nach Veerkamp also nicht darin, sich Jesus als Revolutionär mit einem Schwert oder Gewehr in der Hand vorzustellen, der den Aufstand gegen Rom anführt. Im Gegenteil. Seine Revolution wird mit den Waffen der agapē geführt werden, einer solidarischen Liebe, von der in Johannes 3,16 zum ersten Mal die Rede ist. Man mag es zwar für illusorisch halten, von der Niederlage des Messias am Kreuz und von Gottes „Liebe“ die Überwindung der tödlichen Strukturen der herrschenden Weltordnung zu erwarten, aber es ist kaum im Sinne des Johannes, an die Stelle seiner Hoffnung auf „eine befreite Welt“ die Hoffnung auf das ewige Leben nach dem Tod im Himmel zu setzen.

Zurück zu Michael Heymel (91). Einerseits weist Johannes 3,17 auf eine ausgesprochene Großzügigkeit und Weitherzigkeit Gottes hin, denn der „Evangelist Johannes betont: Gottes Heilswille ist universal, niemand soll verloren gehen… Er zielt darauf, durch Jesus die Welt zu retten, nicht sie zu verurteilen, will also alle gewinnen.“ Andererseits aber enthält der Gesamtzusammenhang der Verse 16-21, wie Heymel unter Bezug auf Thyen [213-225] herausstellt, zugleich die „Spannung zwischen Gottes universaler Liebe und der Aussage, dass allein die Glaubenden gerettet werden“. Daraus ergeben sich für die Nichtglaubenden erschreckende Folgen:

Die Glaubenden sind gerettet, deshalb werden sie nicht verurteilt. Die Nichtglaubenden dagegen handeln sich selbst ihr Urteil ein; eine Entscheidung ist insofern gefallen, als sie sich selbst von dem Leben, das Gott der Welt in seinem Sohn gibt, ausgeschlossen haben.

Aber kann das Evangelium des Johannes tatsächlich auf eine solche Werkgerechtigkeit des Glaubens hinauslaufen, mit der ich selber mich in jugendlichem Alter abgequält habe, bis mir die Beschäftigung mit Helmut Gollwitzer <57> die Umkehr zum Glauben an den befreienden Gott der Bibel ermöglichte? Wenn nach dem angeblich universalem Heilswillen Gottes nur solche Menschen vor der ewigen Verdammnis gerettet werden könnten, die das Werk des Glaubens an Jesus aufbringen, dann wären alle anderen verloren, sogar alle von Liebe erfüllten Nichtchristen und insbesondere alle Juden, die Jesus nicht als den Messias und Sohn Gottes akzeptieren können.

Nach Ton Veerkamp [53 (63)] spiegelt die Auseinandersetzung zwischen Nikodemus und Jesus den politischen Gegensatz pharisäisch-rabbinischer Juden und derjenigen Juden wider, die auf Jesus als den Messias vertrauten. Für Letztere steht fest, „dass mit der Schlachtung des Messias die herrschende Weltordnung ein Ende findet“. Darauf ist nach Johannes zu vertrauen, sonst macht man gemeinsame Sache mit der römischen Weltordnung und ihren Kollaborateuren in der jüdischen Führung. Und wer das tut, schließt sich insofern vom Leben der kommenden Weltzeit aus, als er dieser gegenwärtigen Weltordnung in ihren tödlichen Strukturen und finsteren Machenschaften verhaftet bleibt.

Es ist natürlich nicht einfach, aus einem auf solche Weise interpretierten Johannesevangelium eine Botschaft herauszudestillieren, die es noch heute in der christlichen Kirche wert ist, gepredigt zu werden. Es wäre aber unverantwortlich, an irrtümlichen Auslegungen festzuhalten, nur weil sie bereits seit der Zeit der Kirchenväter üblich geworden sind, in der eine inzwischen heidenchristlich dominierte Kirche kein Gespür mehr hatte für die ursprünglich jüdisch-messianischen Anliegen des Johannes.

Folgendermaßen äußert sich Heymel abschließend zu den von Jesus im Gespräch mit Nikodemus gegebenen Antworten (91f.):

Dieses Leben, das der Glaube an den Sohn eröffnet, besteht wie bei dem wegen seiner Sünde von tödlichen Schlangenbissen heimgesuchten Volk in Umkehr und Sündenvergebung. Von einem Gericht Gottes über die bösen Werke am Ende der Tage ist nicht die Rede. Vielmehr beschreibt Johannes eine vorläufige Scheidung, die sich jeweils dort vollzieht, wo Menschen dem Offenbarer begegnen: er macht offenbar, dass die Menschen die Finsternis anstelle des Lichts geliebt haben. Sie tun Böses und hassen das Licht. Wer aber die Wahrheit tut, das heißt den Glauben bewahrt, kommt zum Licht, damit seine Werke offenbar werden als solche, die in Gott getan sind.

Vieles bleibt in diesen Worten unklar, zum Beispiel, in welcher Weise das Tun der Wahrheit mit der Bewahrung des Glaubens gleichzusetzen ist und wie Heymel die Werke versteht, „die in Gott getan sind“. Unzutreffend scheint jedenfalls seine Behauptung zu sein, dass Johannes kein „Gericht Gottes über die bösen Werke am Ende der Tage“ kenne. Im Kapitel 5 ist ausdrücklich vom Gericht des Sohnes zu der Zeit die Rede, in der die Toten seine Stimme hören werden (5,25.28-29).

Ton Veerkamp [53 (63)] versteht das Tun der Wahrheit, poiein tēn alētheian (Johannes 3,21) im Sinne einer „Praxis“, die „dem Vertrauen auf diesen Messias Israels“ entspricht und deren „Werke (erga) … ‚gottgemäß erwirkt werden‘“, nämlich „en theō, gottgemäß, nach der Maßgabe des NAMENS“, womit der befreiende NAME des Gottes Israels gemeint ist. Wie „bei Matthäus“ kommen also bei Johannes im Gericht Jesu „die Werke der Menschen … ans Licht“, etwa „Hungrige ernähren, Durstigen zu trinken geben. Es ist die (politische) Praxis der Menschen, die zu be- und nötigenfalls zu verurteilen ist.“

4.7.2 Das Gespräch mit der Samaritanerin (Joh 4,4-42)

Dass die (92) nun „folgende kunstvolle Erzählung … keine Parallele bei den Synoptikern“ hat, sondern von Johannes stammt, hätte Heymel genau so auch von der Begegnung mit Nikodemus sagen können. Das „zur Mittagszeit“ stattfindende „Gespräch mit einer Samaritanerin“ sieht er „im Kontrast zum nächtlichen Glaubensgespräch mit Nikodemus.“ Mit der Bemerkung, dass Jesus nach Johannes 4,4 „durch Samarien hindurchziehen“ musste, weist Johannes nach Heymel „auf eine höhere, heilsgeschichtliche Notwendigkeit hin“.

Zum vielfältigen biblischen Hintergrund der Erzählung verweist Heymel darauf, dass der „Erzvater Jakob“ hier in der Nähe von Sichem einen Acker kaufte, auf dem er „selbst und sein Sohn Josef … begraben [wurden] (Gen 33,18f; 48,22; Jos 24,32)“ und dass „der Brunnen Jakobs“ (93)

nach dem archäologischen Befund wirklich dort existiert hat. Der Brunnen ist ein Heiligtum der Samaritaner. Die jüdische Tradition weiß von verschiedenen Beispielen, wo ein Brunnen durch sein Wasser neues Leben spendete: Hagar und Ismael (Gen 21,19), Isaaks Knecht und Rebekka (Gen 24), Jakob und Rahel (Gen 29). Aramäische Quellen erzählen, dass Vater Jakob einen Brunnen in Haran überfließen ließ, sodass das Wasser „zwanzig Jahre im Überfluss“ [Thyen 244] strömte. Der Brunnen ist ein Ort, wo Frauen sich versammeln; die Begegnung zwischen einem Mann und einer Frau hat hier Untertöne von Brautwerbung [JANT 165].

Außerdem erinnert Jesu Rast

nach einer beschwerlichen Wanderung zur Mittagszeit am Brunnen … an Moses Flucht aus Ägypten und seine Rast am Brunnen nahe einer midianitischen Stadt (Ex 2,15-22…). Die sechste Stunde weist voraus auf die Stunde, in der Jesus von Pilatus zum Tod verurteilt und am Kreuz Durst haben wird (Joh 19,14.28).

Trotz der Schilderung all dieser biblischen Hintergründe, insbesondere der Erwähnung Jakobs und Josefs, kommt Heymel nicht auf die Idee, die Samaritanerin als eine Verkörperung der Stammmütter Rebekka bzw. Rahel zu begreifen oder in ihr eine Vertreterin der zehn verlorenen Nordstämme Israels zu sehen, die inzwischen nach ihrer einstigen Hauptstadt Samaritaner heißen und seit Jahrhunderten in einer konfliktreichen Beziehung zu den Judäern leben. Er verweist lediglich darauf, wie verwunderlich es ist, dass Jesus als „jüdischer Lehrer“ (94) „unsichtbare Schranken“ durchbricht,

indem er mit der Samaritanerin ein Gespräch anfängt, das zunächst um das Wasser, den Brunnen und die Quelle kreist. Die Frau, geprägt von religiösen und sozialen Vorurteilen, erfüllt die Bitte des Fremden nicht. Sie behandelt ihn nicht wie einen Einheimischen, wozu Gottes Gebot sie eigentlich verpflichtet (Lev 19,34), sondern sieht nur, dass er sich über die Konvention hinwegsetzt.

Ganz anders beurteilt Ton Veerkamp <58> vom biblischen Hintergrund der Erzählung her die Beziehung Jesu zur Samaritanerin und das Verhalten der Frau:

Dass er, der Judäer, eine Frage an sie, die Samaritanische, richtet, ist schon ein Wunder. Männer, erst recht Männer mit der Würde und Autorität eines Rabbis, reden nicht mit Frauen, erst recht nicht mit einer Frau aus dem Bastardvolk von Samaria. Die Frau fühlt sich alles andere als geehrt durch die Bitte. In schroffem Gegensatz zu den altorientalischen Gepflogenheiten, die Rebekka verkörperte, weist sie ihn ab: „Wie kommst du, Judäer, dazu, mich, eine samaritanische Frau, um etwas zu trinken zu bitten? Judäer verkehren nicht mit Samaritanern“, sagt die Frau. Unter diesen Umständen kann sie nicht Rebekka, Mutter Israels, und nicht Rahel, Geliebte Israels sein. Jeschua kann aus dem gleichen Grund der „herrschenden Zustände“ nicht der Messias Israels sein. Die Situation ist im wahrsten Sinne des Wortes unmöglich, weil es unmöglich ist, dass Jeschua {Jesus} als Judäer in der Samaritanischen eine Tochter Jakobs, eine Tochter Israels, sehen kann. Erst recht ist es unmöglich, dass die Frau aus Samaria von einem Judäer glauben könnte, er sehe in ihr eine Tochter Israels. Er kann für sie nur der Herr im übelsten Sinne des Wortes sein, der sich von einer Samaritanischen als Sklavin bedienen lassen will. Nicht einmal die geheiligte orientalische Gastfreundschaft ist unter „bosnischen“ Verhältnissen möglich.

Nur der Messias könnte die Situation „Judäer verkehren nicht mit Samaritanern“, diese mörderische politische Lage, aufheben: Das ist der Inhalt der Erzählung. Ort und Uhrzeit machen die samaritanische Frau, die Frau am Brunnen – das setting ruft die Assoziation auf -, zu Rebekka, der Mutter Israels, und zu Rahel, der Mutter Josephs, also Ephraims, also Samarias! Beide Namen, Jakob und Joseph, tauchen hier nicht zufällig oder beiläufig auf. Sie sind wesentlich! Alles hängt also davon ab, dass diese zwei, Jeschua Messias und die samaritanische Frau, einen neuen Anfang für ganz Israel, Judäa und Samaria, bewirken. Johannes verknüpft die aktuelle politische Lage mit der Erzählung, in der Israel, der Sohn Rebekkas und Isaaks, der Geliebte Rahels, zum Erstgeborenen und den Völkern zum Volk aller zwölf „Söhne Jakobs/Israels“ wurde; Israel war nicht nur Juda. Ohne diese Verknüpfung wird die Erzählung unverständlich. Mit dieser Verknüpfung erweist sie sich als ein grundlegendes politisches Paradigma.

Als Jesus der Frau an Stelle des Wassers aus dem Brunnen „lebendiges Wasser“ anbietet, wechselt Jesus Heymel zufolge „ähnlich wie im Gespräch mit Nikodemus … von der sinnlich wahrnehmbaren Realität auf eine höhere Ebene“, denn der „Ausdruck ist doppeldeutig, da er sowohl sprudelndes Quellwasser (Gen 26,19; Lev 14,5) wie auch, auf der Symbolebene, lebendig machendes Wasser bezeichnet“ (94f.):

Er spricht von einem Wasser, das wirkliches Leben schenkt. Es stillt ein für allemal den Durst und wird in dem Menschen, der es von Jesus empfängt, zu einer unerschöpflichen Quelle ewigen Lebens. Die Metapher „lebendiges Wasser“ nimmt, wie nun deutlich wird, die biblische Verheißung auf, dass Gott in den letzten Tagen seinen lebendig machenden Geist über alles Fleisch ausgießen will (Jes 44,3; vgl. Sach 12,9; 14,8; Ez 47; Joel 4,18). Jesus selbst offenbart sich als die wunderbare Quelle (vgl. Joh 7,37f.), deren Wasser das Tote lebendig machen wird.

Obwohl all diese Zukunftshoffnungen der Propheten, denen Ton Veerkamp [ebd. 15-16 (79)] noch „das Lied jeßußum midbar, ‚Jauchzen soll die Wüste‘, Jesaja 35“, hinzufügt, in dem alle „entscheidenden Wörter“ aus Johannes 4,13ff. vorkommen, sich auf das Leben der kommenden Weltzeit für Israel auf dieser Erde beziehen, konzentriert sich Heymel (95), wie es schon die „frühen Kirchenväter“ taten, auf das Wasser als „ein spirituelles Element, ohne das die Seele nicht leben könne [vgl. Sanford 1994, 110].“

Zur Interpretation des folgenden Abschnitts 4,16-19 gibt Heymel zunächst das Urteil von Söding [59 und 63] über die Samaritanerin wieder, dass sie eine „Frau mit Vergangenheit“ sei und sich in einer „verkorksten Lebenslage“ befinde:

Sie hatte rechtmäßig fünf Ehemänner, lebt aber jetzt mit einem Mann zusammen, der nicht ihr Ehemann ist. Nach jüdischer und wohl auch samaritanischer Rechtsauffassung war allenfalls zweimalige Wiederheirat statthaft. Die Frau erkennt, dass Jesus mit seinen Worten die Wahrheit über ihr Leben ausgesprochen hat. Ohne zu werten sagt er, wie es mit ihr steht. Dadurch wird er für sie vertrauenswürdig. In ihren Augen ist Jesus ein Prophet.

Dazu ergänzt Heymel die tiefenpsychologische Deutung Anselm Grüns [496] (95f.):

Für ihn deckt Jesus etwas auf, was in den Männergeschichten der Frau verborgen liegt. Dann ist es wichtig, dass der Leser, die Leserin erkennt, was die Frau eigentlich sucht. Die sechs Männer, die die Frau in ihrem Leben gehabt hat, weisen auf etwas Unvollkommenes in der Mann-Frau-Beziehung hin. Die Sehnsucht der Frau nach Liebe habe sich nicht erfüllt, ihr Lebensdurst sei ungestillt geblieben. In Jesus könne man den siebten Mann sehen, der ihr begegnet, aus dessen Herz unbedingte Liebe strömt, die „nicht vermischt ist mit egoistischen Motiven“. Diese Deutung geht allerdings davon aus, dass eine Frau ihren Weg frei wählen kann, was zur Zeit Jesu kaum der Fall war.

An dieser Stelle greift Heymel nun doch die Idee auf, dass die Frau „als ‚Repräsentantin des samaritischen Volkes‘ [Schneider, 113] verstanden werden“ kann (96):

Dafür spricht, dass die Szene an einem Heiligtum dieses Volkes spielt und „durchgehend von der Spannung zwischen Juden und Samaritanern sowie zwischen dem Tempelkult in Jerusalem und auf dem Garizim bestimmt ist“ [Thyen 254]. Es wird erzählt, dass der assyrische König nach der Zerstörung des Nordreichs Israel fünf Völkerschaften aus dem Osten seines Reiches in Städten Samarias ansiedelte, die jeweils ihren eigenen Gott verehrten (2Kön 17,24ff.). Der eifersüchtige Gott Israels bewegte sie dazu, ihn als den Landesgott zu verehren. Die Bewohner richten sich in einer Mischreligion ein: „Sie fürchteten den Herrn, zugleich aber dienten sie ihren Göttern, nach der Weise der Nationen, aus denen man sie weggeführt hatte“ (2Kön 17,33).

Dass Israels Gott von Heymel hier der „eifersüchtige Gott“ genannt wird, könnte Missverständnisse hervorrufen, wenn unerwähnt bleibt, dass der befreiende Gott deswegen um sein Volk eifert, da ihm sein Leben in Freiheit und Recht am Herzen liegt.

Weiter wird Heymel zufolge (96f.) auch nach

dem jüdischen Historiker Josephus <59> … mit fünf heidnischen Gottheiten gerechnet, die man dort verehrte. Jesus würde demnach „auf die religiöse Geschichte Samariens anspielen“ [Schneider 113]. Die fünf einstigen Männer der Samaritanerin symbolisieren dann die heidnischen Götter, der sechste, der nicht ihr Ehemann ist, steht als „Symbol des in jüdischen Augen mehr oder weniger synkretistischen JHWH-Kultes der Samaritaner“ [Thyen 255]. Diese Lesart macht im biblischen Kontext auch deswegen Sinn, weil in der Prophetie Gott als „Ehemann“ und Israel als seine „Ehefrau“ bezeichnet wird (vgl. Hos 2,4).

Unter Bezug auf genau diese Symbolik im Prophetenbuch Hosea, jedoch auf eine andere Stelle (2,18), spitzt Ton Veerkamp <60> diese Auslegung befreiungspolitisch zu:

„Männer“ sind in Johannes 4 nicht irgendwelche individuellen Gatten, sondern baˁalim, Herrscher, Könige, vor denen das Volk von Samaria sich verneigen musste, die Könige Assurs und Babels, die Könige Persiens und der Griechen aus dem Süden (Ägypten) und dem Norden (Syrien), die Könige Judäas, ihre Ordnungen, ihre Götter. Die Frau sagt: „Ich habe keinen Mann“, und das heißt: „Ich erkenne die faktische Herrschaft, der wir uns zu beugen haben, nicht an. Ich vergesse nicht mein Volk und nicht das Haus meines Vaters! Ich habe keinen Mann (ˀisch), ich habe nur einen Herrn und Besitzer (baˁal).“ Johannes argumentiert auf der Linie des Propheten Hosea:

Es wird geschehen an jenem Tag, Verlautbarung des NAMENS.
du wirst rufen: „ˀischi, mein Mann“,
du wirst nicht mehr rufen: „baˁali, mein Herr und Besitzer“.

Die fünf „Männer“, die das Volk je gehabt, waren baˁalim. Die verhängnisvolle Geschichte dieses Volkes unter den fünf baˁalim macht aus der Tora Samarias eine Art von Gegentora, alle politische Organisation der Gesellschaft Samarias war das Gegenteil einer durch die Tora strukturierten Gesellschaft. Das Ganze ist jetzt auf die Herrschaft von dem, der „kein Mann“ ist, hinausgelaufen, die Herrschaft Roms; da ist gar keine Tora mehr möglich, weder für die Judäer, noch für die Samaritaner, wie wir hören werden. Tatsächlich ist sie gezwungen, eine Herrschaft anzurufen, der er, Jeschua [Jesus], den Kampf angesagt hat und die sie, wie die jüngste Geschichte ihres Volkes zeigt, zurückweist. „Nein“, sagt er, „das ist nicht dein Mann, allenfalls dein Besitzer.“ Auf der Basis der gemeinsamen Ablehnung römischer Herrschaft, des römischen baˁal, ist politische Verständigung zwischen den beiden Völkern möglich. Deswegen lobt Jeschua den Satz der Frau: „Ich habe keinen Mann.“

Das Wort Jeschuas ist ein Bekenntnis zu einer Frau, die ihre politische Lage realistisch erkennt. Hier gibt es wirklich eine Plattform für ein Gespräch, eine politische wohlgemerkt. Das Bekenntnis der Menschen zum Messias beginnt mit dem Bekenntnis des Messias zu den Menschen. „Ich habe keinen Mann“ ist die schonungslose Einsicht in die erbärmliche politische Lage ihres Volkes. …

Jeschua hat die Lage auch für sie korrekt zusammengefasst, der, den sie hat, sei gar nicht ihr Mann. Sie reagiert völlig korrekt: „Ein Prophet bist du“, denn Propheten hatten in Israel immer die Aufgabe, die politische Lage wahrheitsgemäß zu deuten.

Nachdem die Frau (97) „Jesus als jüdischen Propheten, das heißt als Mann mit von Gott gegebener Einsicht, erkannt hat“, legt sie ihm die „strittige Frage zwischen Juden und Samaritanern … nach dem rechten Ort der Anbetung“ vor:

Sie stellt der alten Praxis „unserer Väter“, auf dem Berg Garizim zu beten, das viel spätere Dogma der Juden gegenüber, dass man in Jerusalem beten muss. Welcher der beiden Kultorte ist göttlich autorisiert, das will die Frau wissen. Hat nicht die ältere Tradition, die sich auf die Erzväter Jakob und Josef berufen kann, Vorrang vor dem erst seit König David geltenden Grundsatz?

Jesu Antwort bezieht sich nicht auf die Vergangenheit, sondern weist in die Zukunft. Statt auf die Frage nach dem Ort der rechten Anbetung einzugehen, spricht er „von der rechten Art und der nahen Zeit der wahren Anbetung und relativiert damit die Juden und Samaritaner trennende Frage nach deren rechtem Ort“ [Thyen 257].

Indem nach Jesus jetzt die Stunde anbricht, „in der die wahren Beter in Geist und Wahrheit zum Vater beten werden“ (Johannes 4,23), wird (98) die „Frage nach dem Vorrang eines Kultorts … überholt sein“, denn „Gott, der Vater aller, ‚die an den Sohn glauben‘ (Joh 3,36)“, wird „von allen angebetet werden, gleichgültig ob sie Juden, Samaritaner oder Heiden sind.“ Nach dieser Formulierung Heymels muss Jesu Erwartung auf die christliche Mission an Juden, Samaritanern und Heiden bezogen werden.

Im Zuge der Interpretation des Verses 4,22 wendet sich Heymel dann aber doch gegen die Auffassung, Jesus mache sich in der Wir-Form „zum Sprecher ‚der Christen‘“, die „im Gegensatz zu beiden Gemeinschaften“ der Juden und Samaritaner „die wahren Gottesgläubigen“ seien:

Vielmehr wird der heilsgeschichtliche Vorrang Israels als Gottes Volk mit einer besonderen Mission (vgl. Dtn 4,37; 7,6f.; 10,15 u. a.) auf eine im vierten Evangelium einzigartige Weise bekräftigt. Der Sache nach ähnlich äußert sich im Neuen Testament Paulus (Röm 3,1f.; 9,4f.). Obwohl Jesus hier nicht ausdrücklich von „seiner Stunde“ spricht, ist doch die Stunde seiner Verherrlichung gemeint, in der er sein Werk vollenden wird. Dann wird der „Geist der Wahr­heit“ (Joh 14,17; 15,26) den Jüngern die ganze Wahrheit seines Werkes erschließen. Diejenigen, die Gott „im Geist und in der Wahrheit anbeten“ (Joh 4,24), entsprechen in Zeit und Geschichte dem Willen Gottes, des Vaters, der solche Anbetung aktiv sucht. Als Geist kann Gott überall angebetet werden. Die exklusive Bindung an Orte oder Heiligtümer ist damit zwar aufgehoben, aber es versteht sich, dass gemeinsame Anbetung weiterhin bestimmte irdische Orte, Zeiten und Formen braucht.

Allerdings folgt Heymel der Spur des „heilsgeschichtlichen Vorrangs Israels als Gottes Volk“ nicht so weit, dass er die Konzentration des Johannes auf die Sammlung ganz Israels ernst genug nehmen würde. Stattdessen meint er (99), „Menschen der Spätmoderne“ darüber aufklären zu müssen, was in „der Lebenswelt der Antike … offensichtlich“ ist, nämlich

dass Anbeten in leibhaftiger Beziehung zur Gottheit geschieht. Das griechische Wort für „anbeten“ (proskynein) hat die Grundbedeutung „küssen“. Beim Küssen der Erde (die als Göttin Gaia verehrt wurde) und des Götterbildes musste man sich zu Boden werfen. Darin äußert sich, was Götterverehrung bedeutet. In der Septuaginta und im Neuen Testament wird die körperliche Bewegung als Ausdruck einer inneren Haltung der Person verstanden: wer sich bückt und verneigt, zeigt seine Bereitschaft, sich in Ehrfurcht dem Willen des einen unsichtbaren Gottes zu beugen. Wer sich vor ihm beugt, gibt das Kreisen um sich selbst auf. Er oder sie findet eine „wirkliche Heimat […] dort, wo das Geheimnis wohnt“ [Grün 496] – so hat es der Benediktiner Anselm Grün formuliert.

Was Heymel dabei außer Acht lässt, ist die Frage, welche Rolle in der Antike die Niederwerfung vor irdischen Machthabern und den sie legitimierenden Göttern spielte und in welcher Weise sich davon die Verneigung vor dem Gott Israels unterschied, dessen Ziel die Befreiung von jeglicher Versklavung und Ausbeutung ist.

Nach Ton Veerkamp <61> kennt Johannes noch keine christliche Mission, schon gar keine generelle Völkermission wie Paulus oder Matthäus. Aber als jüdischer Messianist traut er dem Messias Jesus zu, die verfeindeten Brudervölker Samaria und Judäa, die gemeinsam unter die römische Weltordnung versklavt sind, miteinander zu versöhnen und gemeinsam das Leben der kommenden Weltzeit in Freiheit und Recht zu gewinnen. Unter dieser Voraussetzung geht Johannes davon aus, dass die bisherigen Heiligtümer beider Völker keine Zukunft mehr haben, vor allem aber ist der

Abriss von absurden und mörderischen Trennmauern … der Inbegriff messianischer Politik, Friedenspolitik (vgl. Johannes 14,27ff. und Epheser 2,14ff.). Am Ort des Heiligtums in Jerusalem kann man dem Gott Israels nicht „politisch huldigen“, denn das bedeutet das Verb proskynein, „sich verneigen“. Auf der Ebene der Erzählung (fiction) existiert das Heiligtum in Jerusalem noch; auf der Ebene des Erzählers (reality) sind beide Heiligtümer zerstört. Beide Völker haben „keinen Ort, nirgends“ mehr. „Weder Jerusalem noch Gerizim“ ist trostlose Realität, für beide Völker. Welche Zukunft haben sie denn? Wem können sie noch nachgehen, es sei denn dem Götzen dieser Weltordnung?

Das „Wir“ Jesu ist nach Veerkamp darauf zu beziehen, dass „die Befreiung (sōteria)“ in einer ganz bestimmten Weise „von den Judäern“ kommt:

„Gott“ in Israel ist die Freiheit Israels. Sie kommt aber nicht von den Judäern an sich, im allgemeinen, von dem Judentum überhaupt, sondern von einem ganz bestimmten Judäer, dem Messias Jeschua ben Joseph aus Nazareth, Galiläa. Und dann von jenen ganz bestimmten Judäern, den Schülern des Jeschua ben Joseph. Wir bedeutet Jeschua und die, die folgen. Das bedeutet natürlich nicht die Christen! Es bedeutet diese ganz bestimmten Juden. …

Das „wir“ ist hier keine homogene jüdische Größe, was im Kontext des Johannesevangeliums auch nicht anders zu erwarten ist. Es ist das „wir“ der messianischen Gemeinde, die weiß, dass sie judäischen Ursprungs ist und das weder verleugnen will noch kann. Nur so ist sie eine Bewegung für und in Israel gewesen, nur so eine konkret-politische Befreiungsbewegung des Volkes Israels, das mehr ist als das Volk Judäas. Das weder – noch weist über den Gegensatz zwischen Judäa und Samaria hinaus, freilich nicht in der Form eines christlichen, alle Gegensätze überwindenden Jenseits. Das „Jenseits“ ist für Johannes das Diesseits „ganz Israel in einer Synagoge bzw. einem Hof“, der Inhalt seines politischen Programms (11,52 bzw. 10,11-16). Diese messianischen Judäer wissen, vor wem sie sich verneigen, indem sie wissen, dass das historisch reale Heiligtum, das emporion, zum Markt, geworden war und zerstört wurde, ersetzt wurde durch das in drei Tagen aufgebaute Heiligtum des „Körpers des Messias“, d.h. der messianischen Gemeinde (2,18ff.).

In diesem Zusammenhang schlägt Veerkamp auch eine neue Übersetzung der Wendung „in Geist und Wahrheit“ (4,23) vor:

„Es kommt die Stunde – und das ist jetzt! -, dass die, die sich wirklich vor dem VATER verneigen, sich inspiriert und getreu verneigen.“ In Geist und Wahrheit übersetzt man immer. Nicht falsch, aber abgegriffen, verschlissen. Das Bewusstsein hat die Treue Gottes zu Israel als wesentlichen Inhalt und diese inspiriert. Inspiration – das Wort enthält das lateinische Wort spiritus (pneuma, ruach) – ist das, was das Handeln, Reden und Denken der Menschen orientiert, von der Treue her, auf die Treue hin. „Gott“ ist das, was die letztendliche Loyalität der Menschen beansprucht, es ist das, worum es einem Menschen eigentlich geht. „Gott“ hat in Israel einen NAMEN, und diesen NAME kann man nur aussprechen als: Der aus dem Haus des Sklaventums herausführt (Exodus 20,2), als moschiaˁ jißraˀel, Befreier Israels (Jesaja 45,15). „Gott“ funktioniert aber tatsächlich als alles mögliche andere, als namenlose Götter. Samaria ist aufgerufen, nur diesem NAMEN als „Gott“, als dem, worum es eigentlich geht, zu huldigen.

Solche suche der VATER, „denn Gott“, so Jeschua, „darf nur noch als diese Inspiration funktionieren“. Das heißt: sich durch den Befreier und seine Befreiung inspirieren lassen, seine ganze politische Tätigkeit auf diese Befreiung ausrichten, diese Befreiung „Gott“ sein lassen. Es geht in diesem Gespräch nicht um akademische Klarstellung, ob Gott ein „Geist“ sei. Nein: Gott inspiriert durch seine Treue zu seinem Volk, das er befreien will, wie er einst Israel aus dem Sklavenhaus befreite.

Der Satz: pneuma ho theos hat die Form eines Urteilssatzes. Das, was Menschen inspiriert, ist ihr „Gott.“ Und was sie als „Gott“ erkennen, als das, worum es eigentlich geht, dem müssen sie politisch huldigen. In Israel ist das der VATER; mit diesem Wort umschreibt Johannes den unaussprechlichen NAMEN.

Was heißt: „Und das ist jetzt?“ Christliche Orthodoxie sieht hier einen innerlichen Vorgang: wer sich darauf einlässt, ist „erlöst.“ Das ist nicht ganz falsch. Wer sich diese politische Perspektive zum Lebensinhalt macht, lebt tatsächlich anders. Für ihn ist die Spaltung Israels tatsächlich überwunden.

Indem die Samaritanerin nunmehr (99) auf Jesus mit den Worten reagiert: „Ich weiß, dass der Messias kommt, den man den Gesalbten nennt“ (Joh 4,25), spricht sie nach Heymel zum ersten Mal „als Individuum, das in der Begegnung mit dem fremden Anderen den Mut gewinnt, ‚ich‘ zu sagen“. Damit

hört sie auf, die Samaritaner zu repräsentieren, denn diese kennen keinen Messias. Sie nimmt Jesu Wort auf, dass das Heil von den Juden kommt, und redet, dem Bekenntnis der Marta vergleichbar (Joh 11,27), von dem Messias, der Israel und den Völkern das Heil bringen wird.

Meines Erachtens kann die Äußerung der Frau jedoch nicht als Distanzierung von den Traditionen ihres Volkes gedeutet werden, denn wenige Verse später (4,29) spricht sie selbst ihre samaritanischen Landsleute auf Jesus als den Messias an, ohne dass diese darauf vorbereitet worden wären, eine nur auf die Juden beschränkte Vorstellung zu akzeptieren. Der Evangelist verwendet also den Titel „Messias“ in seiner an das Hebräische maschiach angelehnten griechischen Form, den die Frau selbst ausdrücklich mit christos, „der Gesalbte“, übersetzt, für eine endzeitliche Gestalt, deren Erwartung die Samaritaner mit den Juden verbindet. Dennoch war es Johannes sicher bewusst, worauf er selber ja auch fortwährend anspielt, dass die Samaritaner einen solchen Gesalbten Gottes nicht aus dem Stamm Juda, sondern aus dem Stamm Josef erwarten würden und auch nicht als einen König, sondern als einen Propheten wie Mose, der, wie Gott in 5. Mose 18,18 sagt, „zu ihnen alles reden wird, was ich ihm gebieten werde.“ <62>

Jesu Antwort auf die Frau kommentiert Heymel zutreffend mit folgenden Worten:

In diesem Augenblick offenbart Jesus sich ihr mit einem Ich-bin-Wort, das hier zum ersten Mal erklingt (vgl. Joh 6,20; 8,24.28.58; 13,19). Es ist Gottes Name – „Ich bin, der ich bin“ (Ex 3,14) -, mit dem er sich der Frau zu erkennen gibt. Dieser Name deutet im biblischen Kontext an, wo Gott „wohnt“, das heißt, wo er jeweils neu begegnet: Jesus als der Fleisch gewordene Logos ist selbst der neue Tempel und Ort der Gegenwart Gottes unter den Menschen.

Allerdings beschränkt sich Heymels Deutung auch hier auf weitgehend formale Aussagen, indem er nicht inhaltlich auf die konkrete Art und Weise eingeht, in der Gottes befreiender NAME hier geschieht, nämlich darin, dass Jesus als der judäische Prophet und Messias und die Frau als Repräsentantin Samarias in ihrem Gespräch miteinander den Hass ihrer Völker zu überwinden beginnen.

Immerhin nimmt Heymel jedoch ernst (101f.), dass „das absolute ‚Ich bin‘, mit dem Jesus sich als Gottessohn und Messias offenbart“ und das in „insgesamt acht Ich-bin-Worte[n] Jesu … mit verschiedenen Selbstprädikationen“ verknüpft wird, „auf die alttestamentliche Offenbarungsformel anî JHWH (‚ich bin der Herr‘, Jes 45,18) bei Deuterojesaja“ zu beziehen ist und dass diese „Ich-bin-Worte“ nicht, wie die frühere Exegese meinte, „aus dem gnostischen Milieu abgeleitet“ werden können.

Auch in der Wiedergabe (100) dessen, was die Samaritanerin ihren Landsleuten über die Begegnung mit Jesus erzählt, bezieht sich Heymel nicht auf die Beziehung der beiden verfeindeten Brudervölker und auf den diesbezüglichen symbolischen Hintergrund der Männer, die die Frau gehabt hat, sondern engt die Interpretation wieder auf die „Frau mit Vergangenheit“ [Söding 59] ein, nämlich auf das,

was Jesus ihr persönlich über ihre Lebensgeschichte sagte… „Kommt, da ist einer [wörtlich: seht einen Menschen], der mir alles gesagt hat, was ich getan habe. Sollte dieser etwa der Christus sein?“ (Joh 4,29). Mit diesem Aufruf bringt sie die ganze Stadt in Bewegung und zeigt sich zugleich bewegt von „einer Frage, die sich einem Christusbekenntnis nähert“ [Schneider 116].

Das eingeschobene „Lehrgespräch Jesu mit den Jüngern“ (Joh 4,31-38) läuft nach Heymel darauf hinaus,

dass eine neue Zeit und eine ganz andere Art von Ernte bevorstehen. „Ernte“ ist ein gängiges Sinnbild für Gottes endzeitliches Kommen zum Heil wie zum Gericht (Jes 27,12; Hos 6,11; Joel 4,13; Jes 18,5). Es ist also Zeit, die Verlorenen Israels zu sammeln. Wenn die Jünger auf die Felder schauen, die reif zur Ernte sind, werden sie auch die sich nähernden Samaritaner sehen. Der Erntende ist Jesus selbst, die Säende, die sich mit ihm an der reichen Ernte freut, ist die Samaritanerin. Sie ist seine Mitarbeiterin, die mit ihm den Willen des Vaters tut.

Indem Heymel (101) allerdings unter Bezug auf Berger [1997, 70] von „samaritanischen Christen“ spricht, die durch die Begegnung „dieser Frau … mit Jesus … ‚den Weg in die johanneische Gemeinschaft‘“ finden, gerät erneut die zentrale Pointe dieser Erzählung aus dem Blick, die auf die Überwindung der Feindschaft zwischen Judäa und Samaria hinaus will. Von der Notwendigkeit dieser Sammlung ganz Israels ist der jüdische Messianist Johannes überzeugt, eine christliche Völkermission wie Paulus hat er nicht im Blick.

Für Heymel aber scheint der Besuch Jesu in Samaria aber genau auf eine solche Weltmission hinauszulaufen, wie seine abschließende Zusammenfassung zeigt:

Das Bekenntnis zu Jesus, das die Leute in Sychar zuletzt aussprechen, wird in Stufen entwickelt. Am Anfang steht die Frau, für die Jesus erst der fremde Jude, dann Herr und Prophet ist, bis sie ihn fragt, ob er der Christus sei. So werden die Leser und Hörerinnen didaktisch dorthin geführt, wo sie bekennen: „Dieser ist wirklich der Retter der Welt“ (Joh 4,42).

Ton Veerkamp <63> hebt hervor, dass die Samaritaner „eine intensive biblisch-politische Lehrhausveranstaltung“ während der „zwei Tage“ nötig hatten, in denen Jesus bei ihnen blieb, um „dem Messias“ zu vertrauen:

Sie haben selber zugehört und wissen, ihr Bewusstsein hat sich geändert. Johannes kann schwerlich daran gelegen sein, das Zeugnis der Frau herunterzuspielen. Die letzten Worte der Frau zeigten den messianischen Vorbehalt. Sie repräsentiert eine Situation in Samaria, wo man der messianischen Gemeinde distanziert begegnete. <64> Das feierliche Bekenntnis kommt daher nicht aus dem Mund der Frau, sondern aus dem Mund derer, die „selber gehört und erkannt hatten, dass dieser wirklich der Befreier der Welt ist“.

Dieser Titel, sōtēr tou kosmou, stellt nach Veerkamp nicht nur ein religiöses Bekenntnis zum Glauben an Jesus gekommener Christen dar, sondern er ist im Sinne einer politischen Programmatik zu verstehen:

Das ist der offene Aufstand gegen die real existierenden, sich „Befreier der Welt“ nennenden Kaiser Roms. Tatsächlich findet sich dieser Titel in Inschriften zweier Kaiser, Nero (54-68) und Hadrian (117-138). Dieser Titel gebühre ihnen, weil sie überall im Imperium „Ordnung“ schaffen wollten, was bei Nero eine lächerliche Anmaßung ist. Bei Hadrian geht die Bezeichnung so weit in Ordnung, so lange man unter befreiender und heilsamer Ordnung jene tüchtige römische, aber immer noch ausbeuterische Verwaltung der Adoptivkaiser des 2. Jh. versteht, die der Korruption der Provinzbehörden eine gewisse Grenze setzte. Aber mit Befreiung nach den Maßstäben der Tora hat das nichts zu tun, insofern ist auch die Selbstbezeichnung Hadrians eine Anmaßung.

Auf alle Fälle ist das Wort ein Schlüsselwort in der politischen Propaganda des römischen Kaiserregimes. Die Leute aus Samaria stellen mit ihrem Satz „Dieser ist wirklich Befreier der Welt“ zwei Dinge klar. Erstens ist für sie nur der Gott Israels Befreier Israels gewesen, moschiaˁ jißraˀel, sōtēr tou Israēl, niemand sonst, wie es im Buch Jesaja heißt; wenn sie den Propheten Jesaja nicht gelten ließen, so kannten sie doch die Tora und den Satz Exodus 14,30: „Und der NAME befreite (wa-joschaˁ JHWH) an diesem Tag Israel aus der Hand Ägyptens.“ Der NAME ist im alten Orient immer auch Lebensprogramm. Der NAME Gottes ist wesentlich Befreiung; der NAME Jeschua bedeutet „Befreiung“, und zwar Befreiung gemäß Exodus 14,30. Und zweitens sprachen sie Rom den Anspruch ab, Befreier der Welt zu sein. Sie erkannten als erste die politische Implikation des messianischen Bekenntnisses.

Auf diese Weise laufen die Erzählungen von Nikodemus und der Samaritanerin darauf hinaus, die Bemühungen des Messias Jesus um die Sammlung ganz Israels herauszustellen. Während er den judäischen Pharisäer Nikodemus mit nur mäßigem Erfolg umwirbt, da er selbst nur ein heimlicher Schüler sein wird und die Mehrheit des von ihm vertretenen rabbinischen Judentums Jesus als den Messias ablehnt, gelingt es ihm, die Samaritaner von seinem messianischen Ziel der Befreiung der Welt von der Weltordnung, die auf ihr lastet, überzeugen.

4.7.3 Jesus und die Ehebrecherin (Joh 7,53-8,11)

Obwohl (102) die Erzählung von Jesus und der Ehebrecherin, „die auch in Handschriften anderer Evangelien auftaucht (etwa nach Lk 21,38)“, erst spät „an den Anfang des achten Kapitels des Johannesevangeliums gestellt“ worden ist, „wohl deshalb, weil Jesus hier erklärt, dass er niemand richtet (Joh 8,15)“, kommentiert Heymel sie nicht anders als andere Teile des Evangeliums.

In seinen Augen wollen „die Schriftgelehrten und Pharisäer … Jesus testen, wie er zur Thora des Mose steht“, und zwar in einem Fall (103), der „vom jüdischen Eherecht her gesehen … klar“ ist:

Jesus wird persönlich herausgefordert: „Du nun, was sagst du dazu?“ (Joh 8,5).

Statt zu antworten, schreibt Jesus mit dem Finger auf die Erde. Was er schreibt, wissen wir nicht. … Im Evangelium bleibt sein Schreiben ein Rätsel. Spielt es darauf an, dass diejenigen, die von Gott abfallen, in den Staub geschrieben werden (Jer 17,13)? … Was die Gegner Jesu von ihm hören, trifft sie unerwartet. Statt die Frau zu verurteilen, mutet er den Männern zu, sich selbst zu prüfen. Man kann sich vorstellen, wie verlegen sie einander anschauen. „Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie!“ (Joh 8,7). Während Jesus wieder auf die Erde schreibt, geht einer nach dem andern davon. Die Frau bleibt allein bei ihm zurück. Keiner hat sie verurteilt. Er bekräftigt, dass auch er sie nicht verurteilt, und fügt hinzu: „Geh, und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11). Jesus gibt der Frau eine neue Chance, aber es ist ein „Freispruch auf Bewährung“.

Mit keinem Wort problematisiert Heymel die antijüdische Wirkungsgeschichte dieser Geschichte und erst recht nicht die Frage, ob sie bereits in einem jüdischen Kontext hätte entstehen können, was Klaus Wengst nachdrücklich bestreitet. <65>

Spannend finde ich die Auslegung der Erzählung, die Ton Veerkamp im Anschluss an Andreas Bedenbender vorgelegt hat, <66> demzufolge „es sich hier nicht um den individuellen Fall eines privaten Ehebruchs“ handelt:

In der Schrift handelt es sich beim Thema Ehebruch fast immer um den Bruch des Treueverhältnisses zwischen dem Volk Israel und seinem Gott. Es kann beim christlichen (!) Erzähler kein Zweifel daran bestehen, dass Israel in die Irre gegangen ist, denn es vertraut dem Messias nicht. Die Frau, die Tochter Jerusalems, steht hier pars pro toto Israel. Dann haben wir tatsächlich einen anderen Rechtskasus. Israel ist in flagranti erwischt. Wer urteilt, wer vollstreckt dann das Urteil? Das ist tatsächlich die eigentliche Frage. Wer kann in diesem Fall überhaupt richten?

Den Grund, warum an dieser Stelle eine Antwort auf diese Frage zu geben versucht wird, sehen Veerkamp und Bedenbender darin, dass die Pharisäer nach Johannes 7,49 eben das getan haben. Sie haben das Volk wegen ihrer Unkenntnis der Tora gerichtet. „Sie, Judäer, haben die, die Tora nicht kennen, ebenfalls Judäer, verurteilt, eben verflucht.“ Jesus aber hatte zuvor zu allen Judäern gesagt (7,19):

„Niemand von euch tut die Tora“. Wenn die Tora der Maßstab ist, wer ist dann ohne Verirrung (anhamartētos)? Wer ohne Verirrung ist, mag das Urteil vollstrecken.

Es gibt eine Negativfolie, auf die Bedenbender (a.a.O.) aufmerksam gemacht hat. In der Schrift schreibt der Finger Gottes das Zehnwort auf Steintafeln. Hier schreibt Jeschua mit seinem Finger (Übereinstimmung) auf Sand (Differenz) und ohne deutlich zu machen, was er schreibt (Differenz). Bedenbender vermutet, Jeschua schreibe die Sünde auf, meißelt sie nicht in Stein, sozusagen haltbar für die Ewigkeit, sondern schreibt sie in den Sand, vergänglich.

Wir denken hier nicht, dass das Zehnwort rückgängig gemacht worden ist. Es wird nicht gesagt, was Jeschua geschrieben hat. Es gilt keine Tora mehr, weil Tora nicht mehr durchführbar ist: „Niemand tut die Tora!“ Der christliche Theologe bestätigt die Schlussfolgerung des Paulus, Römer 7,10: „Das Gebot zum Leben, gerade das ist zum Tode!“ Deswegen urteilt (krinei) bzw. verurteilt (katakrinei) der Messias nicht. Das ist die Hauptsache.

Das Stück endet mit dem Satz: „Auch ich verurteile dich nicht. Gehe und verirre dich nicht wieder.“ Das hat er auch zum geheilten Gelähmten gesagt, 5,14. Verirrung ist: dem Messias nicht zu vertrauen. Der Erzähler hat seine Erzählung so genau in den Duktus des Evangeliums eingefügt, dass man denken könnte, sie sei durch und durch „johanneisch“. Deswegen ist die Diskussion, ob von Johannes oder nicht, müßig. Die Erzählung ist auf alle Fälle ein sehr präziser Kommentar zu den Kapiteln 7 und 8.

4.8 Selbstoffenbarungen: Die Ich-bin-Worte

Bereits im Gespräch mit der Samaritanerin begegnet Michael Heymel zufolge (101f.) zum ersten Mal „das absolute ‚Ich-bin‘, mit dem Jesus sich als Gottessohn und Messias offenbart.“ Nun kommt er auf die „insgesamt acht Ich-bin-Worte Jesu“ zu sprechen, „die diese Offenbarungsformel mit verschiedenen Selbstprädikationen verknüpfen.“

Dass Heymel acht solcher Ich-bin-Worte annimmt, verwundert mich jedoch, da zum Beispiel Hartwig Thyen [2005, 774] ganz selbstverständlich eine Anzahl von „sieben prädizierten Ich-Bin-Worten Jesu“ voraussetzt. Schaut man genauer nach, dann wird man in Johannes 18,37, wo Heymel das achte Ich-bin-Wort Jesu verortet, ein solches jedenfalls nicht in dieser wortwörtlichen Abfolge vorfinden.

4.8.1 Das Brot des Lebens, das Brot vom Himmel (Joh 6,35.41.48.51)

Zum (104) ersten dieser erweiterten Ich-bin-Worte Jesu: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, wird nicht mehr Hunger haben, und wer an mich glaubt, wird nie mehr Durst haben“ (Joh 6,35; vgl. 6,48), hebt Heymel hervor, dass Jesus sich mit ihm von „dem Manna, dem Brot, das auch vom Himmel kam und das die Väter in der Wüste aßen (vgl. Ex 16)“ unterscheidet:

Er sei das Brot, das vom Himmel komme, das der Welt ewiges Leben gibt (vgl. Joh 6,33), das Manna hingegen habe die Väter nicht vor dem Sterben bewahrt.

Will Johannes aber tatsächlich Gottes Gabe des himmlischen Manna an sein Volk Israel in irgeneiner Weise herabsetzen? Ton Veerkamp <67> zufolge ist das nicht der Fall, denn in Johannes 6,48-51 geht es nicht um den natürlichen Tod der Väter, vor dem das übernatürliche Brot Jesu sie hätte bewahren können, sondern um die Generation der Väter, deren mangelndes Gottvertrauen ihren Tod in der Wüste zur Folge hatte. Damals hatte der sich Mose mit den Worten „ICH-BIN“ als Befreier offenbarende Gott seinem Volk das Gelobte Land verheißen; zur Zeit des Johannes kann das dauerhafte Leben in Freiheit nur im Vertrauen auf den Messias Jesus anbrechen:

Dieser ist das Brot des Lebens. Heißt: wenn das „ICH WERDE DASEIN“ noch gilt, dann nur als jenes Brot, das der Messias ist. Die Väter haben das Manna gegessen und sind gestorben. Nicht von ungefähr sind sie gestorben, sondern weil sie sich geweigert hatten, in das Land Freiheit zu gehen, Deuteronomium 2,14. Sie haben zwar gegessen, aber auf die Worte Gottes durch Mosche nicht gehört, deswegen sind sie gestorben. Der Messias ist das Brot, das vom Himmel herabsteigende; wie damals das Manna das Leben Israels sicherte, so sichert jetzt das Brot Messias das Leben Israels. Dieses Brot Messias ist das lebende, das vom Himmel herabsteigende Brot, welches das Leben bis in die kommende Weltzeit sichert.

Was Heymel weiter von der Brotrede sagt (104), klingt im Großen und Ganzen richtig:

Die Rede handelt von der persönlichen Beziehung zu Jesus, die den Hunger stillt, und folgt wohl einem alttestamentlichen Muster (Jes 55,1-3.10-11). Dem Wort Gottes entspricht in der Rede Jesu der Menschensohn: Er ist das Fleisch gewordene Wort, denn Jesus sagt von dem Brot, das er für das Leben der Welt geben werde, es sei „mein Fleisch“ (Joh 6,51). Am Kreuz wird er sich selbst für das Leben der Welt geben. Wer immer sein Wort hört, muss es sich „einverleiben“ und sich davon nähren, das heißt von ihm leben, denn in seinem Wort kommt er selbst, der mit dem Vater eins ist, als lebendiges Brot zu den Menschen. „Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist“ (Joh 6,51; vgl. 6,41). Brot des Lebens ist Jesus somit, weil auch er vom Wort Gottes lebt: er gibt nur, wovon er selber sich nährt und lebt.

Offen bleibt hier aber wie schon so oft bei Heymel, welches Leben hier gemeint ist: ewiges Leben nach dem Tod oder das Leben der kommenden Weltzeit für Israel auf Erden. Wenn Heymel „von der persönlichen Beziehung zu Jesus“ spricht, mag er gegenüber der politischen, befreiungstheologischen Deutung Veerkamps eine auf den religiösen Glauben des Individuums bezogene Deutung bevorzugen. Auch ist nicht ganz klar, was Heymel mit der Einverleibung des Wortes Jesu meint. Er bestreitet zwar (104f.), dass die Brotrede einen „direkten Bezug zur Eucharistie hat“, erwähnt aber doch (105), dass Jesu Ich-bin-Wort vom Brot „seit altkirchlicher Zeit zur Interpretation der synoptischen Abendmahlsberichte herangezogen“ wird und dass „nachreformatorische Abendmahlslieder … die Wendung ‚Brot des Lebens‘ auf[nehmen] (z. B. EG 217,2; 218,6).“ <68>

4.8.2 Das Licht der Welt (Joh 8, 12; vgl. 9,5)

Auch das zweite Ich-bin-Wort Jesu (105): „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir folgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern das Licht des Lebens haben“ (Joh 8,12) erschließt sich nach Heymel

vor dem Hintergrund der Prophetie Deuterojesajas, nach dem Gott seinen erwählten Knecht „zum Licht der Nationen“ macht, „um blinde Augen zu öffnen, um Gefangene hinauszuführen aus dem Gefängnis und aus dem Kerker, die in der Finsternis sitzen“ (Jes 42,6f.). Alle Völker werden als Zeugen aufgerufen, Israel soll vor ihnen Zeuge des einen wahren Gottes sein (Jes 43,9-12). Dieses Forum des endzeitlichen Gerichts ist auch für das Wort Jesu prägend, der vor den jüdischen Autoritäten beansprucht, dass sein Zeugnis wahr sei (vgl. Joh 8,13-19). Es nimmt die Verheißung für Israel auf, das in der Finsternis gehende Volk habe „ein großes Licht gesehen“ (Jes 9,1).

Vollkommen zu Recht interpretiert Heymel das Lichtwort Jesu von den endzeitlichen Erwartungen Israels her und stellt es in den Zusammenhang der jüdischen Feste Sukkot und Hanukka:

Licht, das in die Finsternis kommt, ist das Thema des Festes, das in den niederschlagsreichen Dezembertagen stattfindet: Hanukka, das Fest der Tempelweihe (Joh 10,22), auch Lichterfest genannt (1Kön 8; Josephus, ant. XII, 325). Es markiert die Erfüllung der Gebete des Laubhüttenfestes Sukkot, die nicht nur den Segen des Regens, sondern auch das Kommen des Befreiers von Unterdrückung erbitten. <69>

In den folgenden Sätzen scheint Heymel dann aber doch die prophetischen Verheißungen nicht auf die Befreiung Israels in der kommenden Weltzeit zu beziehen, sondern auf allgemein-menschliche Einsichten für eine verantwortliche Lebensführung (105f.):

Das Licht zeigt gerade bedrängten, unfreien Menschen den Weg zu Gott. Darin erfüllt sich die Bestimmung Jesu, wie bereits der Prolog sagt: Er ist das Licht, das in der Finsternis scheint, das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet (Joh 1,5.9), sodass sie nicht mehr in der Finsternis von Unwissenheit und Sünde umherirren müssen. Jesus nimmt also für sich in Anspruch, das zu verwirklichen, wozu das Volk Israel bzw. der Messias berufen ist, nämlich das Licht zu sein, das jedem Menschen Einsicht in den eigenen Weg, das heißt ein neues Bewusstsein seiner Lebensaufgabe schenkt.

Mit Bezug auf die tiefenpsychologische Auslegung von Sanford entnimmt Heymel Jesu Lichtwort vollständig seinem innerjüdischen Bedeutungszusammenhang (106):

Das Ich-bin-Wort vom Licht eröffnet eine Gerichtsrede, insofern es jede und jeden mit der Frage konfrontiert: Wie lebst du? Die Frage, ob wir zum Licht oder zur Finsternis gehören, bewusst oder unbewusst leben, führt in eine Krise [vgl. Sanford 1998, 24]. Widerstände gegen ein neues Bewusstsein, wie Jesus es durch sein Wirken vermittelt, sind stark. Die Pharisäer sind im alten Bewusstsein „dieser Welt“ verhaftet, deshalb bekämpfen sie das Licht. Jesus weist darauf hin, dass auf dem Weg mit ihm eine Erneuerung und Neuorientierung in Gang kommt: Wer ihm nachfolgt, nimmt das Leben in einem neuen Licht wahr und hört auf, dunklen Mächten zu folgen.

Völlig unklar bleibt in dieser Interpretation, was Heymel mit „dieser Welt“ meint, deren Bewusstsein die Pharisäer verhaftet sein sollen. Nach Ton Veerkamp <70> stehen die Pharisäer für die rabbinischen Juden der Zeit des Johannes, die nicht auf die Überwindung der römischen Weltordnung durch den Messias Jesus vertrauen, sondern sich in den Augen des Evangelisten in einer Nische des Imperiums einrichten. Sie folgen den „dunklen Mächten“ „dieser Welt“, nämlich Roms, indem sie die Befreiung Israels für eine Illusion und messianische Illusionen für gefährlich halten. Nach Johannes dagegen offenbart sich Jesus als die Verkörperung des Gottes Israels, der Licht in das Dunkel der unerträglichen Zustände einer weltweiten Gewaltordnung bringt (Johannes 8,12):

„ICH BIN ES: das Licht der Welt.“ Das Licht ist das Licht der Aufklärung, es klärt die Menschen darüber auf, was mit der Ordnung dieser Welt los ist. Das Licht ermöglicht den Gang unter den Bedingungen der Weltordnung. …

Der Messias ist für die Menschen der einzige Lichtblick in einer Zeit, wo durch die herrschende Ordnung alles finster ist. Den Gang kann man unter den Bedingungen der Weltordnung nur gehen, wenn man sich dem Messias anvertraut. Anderenfalls würde man, so toratreu man sich auch immer in der Welt verhält, die Weltordnung nur bestätigen, man „geht“ dann „mit der Finsternis“. Unter den heutigen Umständen, sagt Johannes, sei der Gang (Halakha) nur mit dem Messias Jeschua möglich.

4.8.3 Die Tür (zu den Schafen) (Joh 10,73)

Zu dem (106) sich auf die „Tür“ beziehenden Ich-bin-Wort Jesu: „Amen, amen, ich sage euch: Ich bin die Tür zu den Schafen. […] Ich bin die Tür. Wenn jemand durch mich hineingeht, wird er gerettet werden und wird ein- und ausgehen und eine Weide finden“ (Joh 10,7.9), benennt Heymel mit Thyen [2005, 483] als „‚sachlich engste Parallele‘ … das Ich-bin-Wort vom Weg (Joh 14,6).“ Indem er den „Kontext, in dem Jesus sich als ‚Tür der Schafe‘ und deren ‚Hirte‘ bezeichnet“, als „eine polemische Hirtenrede“ bezeichnet, die „mit einer Rätselrede (paroimia)“ beginnt, bezieht er alle Elemente dieser Rede auf das Bild einer Schafherde in ihrer durch eine Tür verschlossenen und vom Türhüter bewachten Weide. Dabei setzt er (106f.) die „Diebe, Räuber und Lohnarbeiter, die die Schafe stehlen und dem Verderben preisgeben oder feige dem Wolf als Beute überlassen“, mit den (107) „religiösen Führungsfiguren des Gottesvolkes“, den Pharisäern, gleich, „die unmittelbar vorher in der Erzählung vom Blindgeborenen in ihrer Arroganz porträtiert“ und auch hier (Joh 9,40; 10,6) angeredet werden.

Bereits der katholische Exeget Simonis <71> hat darauf hingewiesen, dass das Wort aulē in Johannes 10 nicht mit Schafstall oder -weide übersetzt werden darf, sondern den Vorhof des Tempels meint. Das widerrechtliche Hinaufsteigen von Dieben und Räubern in den Jerusalemer Tempel bezieht er auf zelotische Plünderer und Terroristen, die „die Alleinherrschaft Gottes unmittelbar mit Gewalt erkämpfen“ wollten. Wenn Jesus in seiner Auseinandersetzung mit den Pharisäern, eingeleitet mit dem doppelten Amen, in Johannes 10,1 von einem solchen kleptēs kai lēstēs spricht, der unrechtmäßig in die aulē hinaufsteigt, dann stellt er ihnen gegenüber klar: Wenn ihr meint, ich sei so einer, der sich – wie die später im Judäischen Krieg in den Tempel eingedrungenen zelotischen Plünderer und Terroristen – unrechtmäßig im Hof des Tempels aufhält, dann seid ihr im Irrtum. Und darauf folgen Jesu Worte über den wahren Hirten des Volkes Israel, dessen Stimme (Jesaja 43,1) dieses Volk kennt.

In diesem Sinne begreift auch Ton Veerkamp <72> das Rätselwort und die sie deutende Hirtenrede Jesu als einen gegen zelotische Aufständische gerichteten Text, von denen er als der wahre Messias sich grundlegend unterscheidet:

Die, die allachothen, „von woanders“, einsteigen, kommen statt des Messias Jeschua. Die Übersetzung vor {in Johannes 10,8} ist nicht unrichtig, unterschlägt aber die aktuelle Gefahr. An des Messias Statt (pro) kommen immer noch andere. Es geht um die, die sich als Messias Israels ausgaben und ausgeben, deswegen das Präsenz eisin, sind. Sie sind Diebe – wie Iskariot (12,6) – oder Terroristen – wie Barabbas, der auf Grund terroristischer Aktivitäten zum Tode verurteilt wurde (18,40). Der lēstēs ist ein Mitglied der gegen Rom und seine Kollaborateure kämpfenden Guerilla. Und Judas nimmt den Dieb Johannes von Gischala vorweg, wie Barabbas den zelotischen Untergrundkämpfer Simon bar Giora.

Ein Teil der Zeloten stieg am Ende des Jahres 67 nach Jerusalem auf, besetzte es unter der Führung des Johannes von Gischala und etablierte eine Diktatur. Die Macht musste Johannes von Gischala bald mit einem anderen zelotischen Führer, Simon bar Giora, teilen. Als Flavius Josephus noch Befehlshaber der aufständischen Truppen Galiläa war, bemühte er sich nach eigenen Angaben darum, Disziplin in die Truppe zu bringen und ihr die ungerechten Handlungen, adikēmata, auszutreiben, darunter Diebstahl, Terrorismus und Plünderung (klopai te kai lēsteiai kai harpagē). <73> Nun kann schwerlich angenommen werden, Johannes habe den Bericht des Flavius Josephus gelesen, aber diese drei Wörter tauchen auch bei Johannes im Kapitel über den „guten Hirten“ auf. Wenn man den politischen Kontext des Johannes nicht kennt, kann man Wörter wie Hof, aufsteigen, Dieb, Terrorist, Raub usw. nicht zuordnen.

Johannes 10 ist ein antizelotischer Text. Die Befreiung, die die Zeloten sich und anderen vorgespiegelt hatten, ist eine Karikatur dessen, was sich Johannes unter Befreiung vorstellt: „Wenn einer durch mich hineingeht, wird er befreit werden, er wird hineingehen, er wird hinausgehen, er wird Weide finden.“ Hier finden wir ein Zitat als Mischzitat aus Numeri 27,17 und Klagelieder 1,6. Diese Kombination ist gewollt. Die Numeristelle handelt von Josua, griechisch Iēsous, mit der Bedeutung: „Der NAME befreit!“ Er wird als Nachfolger Mosches bestellt. Seine Aufgabe ist, Israel voranzugehen und es wieder zurückzuführen:

Und Mosche redete zum NAMEN, er sagte:
Möge der NAME, Gott, der alles Fleisch inspiriert,
einen Mann über die Gemeinschaft verordnen,
der vorausgeht vor ihnen,
der zurückkommt mit ihnen,
der sie hinausführt,
der sie zurückbringt,
damit die Gemeinschaft nicht wird
wie eine Schafsherde ohne Hirten.

Das erste Lied aus der Rolle „Wehe“ [Klagelieder Jeremias] trauert über den Untergang Jerusalems. In V.6 heißt es:

Von der Tochter Zions zog weg aller Glanz,
ihre Führer wurden wie Hirsche, ohne Weide zu finden,
ohne Kraft gingen sie vor dem Verfolger ein.

So sollte die neue Führung Israels sein. Statt dessen: „Der Dieb kommt nur, um zu stehlen, zu schlachten, zu Grunde zu richten.“ Es kann kaum bezweifelt werden, dass Johannes hier auf die zelotischen Führer Jerusalems hinweist. Vom Ausgang des zelotischen Krieges her beurteilt Johannes die ganze zelotische Bewegung und ihre Motivation: Stehlen, abschlachten, vernichten. Der neue Joschua dagegen wird Israel befreien, er wird Weide finden. Diese Wertung des zelotischen Krieges gegen Rom muss man nicht übernehmen, aber es ist die Wertung des Johannes.

Heymel fügt seiner Deutung des Ich-bin-Worts von der Tür folgende Erwägungen hinzu (107):

Eine Tür öffnet sich, um jemanden hereinzulassen; sie kann aber auch Menschen ausschließen oder einsperren. „Christus als die Tür ist nicht nur die Öffnung, durch die die legitimen Schafe ihren Weg finden. Er ist auch die Macht, die denen den Weg versperrt, die nicht in der Lage sind, den Weg zu finden“ [Sanford 1998, 60f.]. Die absolute Aussage „Ich bin die Tür“ betont, dass Jesus in Wahrheit der Einzige ist, der Zugang zum wahren Leben (Joh 10,10) eröffnet. Ihre kritische Spitze richtet sich nicht gegen Angehörige anderer Religionen, sondern gegen die Autoritäten des Gottesvolkes: Wenn er allein die Tür ist, haben sie nicht zu bestimmen, wer zur Herde gehört.

Sehr widersprüchlich klingt diese Auslegung. Einerseits vertritt Heymel mit Sanford einen christlichen Absolutheitsanspruch: Nur Jesus ermöglicht wahres Leben. Andererseits soll sich die „kritische Spitze“ dieser Aussage aber nicht gegen Andersgläubige richten, sondern gegen die Autoritäten des Gottesvolkes. Dann müsste man diese Kritik auch auf christliche Kirchenführer beziehen können, die Andersgläubige vom Heil ausschließen wollen. Aber geht es in dieser ganzen Rätsel- und Hirtenrede überhaupt um den Zugang zum wahren Leben im Himmel oder nicht vielmehr um die Befreiung von menschenunwürdigen Lebensverhältnissen auf dieser Erde? Versteht man Johannes 10,9, wie es Veerkamp vorgeschlagen hat, von 4. Mose 27,17 her, dann ist das Wort sōzein nicht mit „selig werden“, sondern „befreit werden“ zu übersetzen und auf den Anbruch der kommenden Weltzeit auf Erden zu beziehen.

4.8.4 Der gute Hirte (Joh 10,11.14)

Die „Hirtenrede Jesu (Joh 10,1-18)“ ingesamt ruft nach Heymel (107f.)

eine starke biblische Tradition in Erinnerung, die die ungläubigen Führer Israels als schlechte Hirten darstellt, die ihre Herde den Wölfen ausliefern (vgl. Jer 23,1-8; Ez 34,2ff.; Sach 10,2-3; 11,4-17). Diese prophetischen Texte müssen den erzählten Zuhörern Jesu vertraut gewesen sein. Die Rede von einem guten Hirten ist dagegen nur rabbinisch (Mekhilta 57-59) belegt, im Alten Testament findet sich kein Beispiel dafür.

Obwohl Heymel also weiß, dass im Hintergrund der Hirtenrede die von den Propheten als unzuverlässig gescholtenen politischen Führer Israels stehen, lässt er in seiner Auslegung nicht erkennen, dass auch Johannes eine befreiungstheologische Zielsetzung Jesu im Blick haben könnte:

Jesus erklärt, er sei der gute Hirte des Gottesvolkes. Eines Tages wird er zur Hingabe seines Lebens für seine Herde bereit sein: „Ich bin der gute Hirt. Der gute Hirt setzt sein Leben ein für die Schafe“ (Joh 10,11). Der gute Hirte wird das Opferlamm für das Volk werden. Dann spricht er von der Beziehung zu seiner „Herde“, die in seiner Beziehung zum Vater begründet ist: „Ich bin der gute Hirt und kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, wie der Vater mich kennt und ich den Vater kenne“ (Joh 10,14). Mit „kennen“ ist ein wechselseitiges Miteinander-vertraut-Sein gemeint. Jesus weiß sich vom Vater gekannt und geliebt. Es ist sein Geheimnis, der Schlüssel seiner ganzen Sendung, dass er sein Leben und Dasein darin findet, auf diese Beziehung zu antworten. <74>

Mit der Formulierung „wechselseitiges Miteinander-vertraut-Sein“ überträgt Heymel die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk Israel (vgl. Jesaja 43,1) auf einen allgemein-menschlich verstandenen persönlichen religiösen Glauben an Jesus, was in den folgenden Sätzen noch deutlicher hervortritt:

Der gute Hirte hält die Schafe durch seine Stimme zusammen. Er ruft sie mit Namen, und sie folgen ihm, weil sie seine Stimme kennen (Joh 10,4f. 27). Indem sie auf ihn hören, werden sie „eine Herde mit einem Hirten“ (Joh 10,16). Der Theologe Karl Barth, gegen Ende seines Lebens nach seinem Glauben gefragt, antwortete mit einem Kinderlied der Herrnhuter Brüdergemeine: „Weil ich Jesu Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten, der mich liebet, der mich kennt und bei meinem Namen nennt“ (EG Bayern 593,1).

Ton Veerkamp <75> hat über solche Deutungen des Hirtenbildes, die ihre befreiungspolitische Perspektive vollkommen außer Acht lassen, ein despektierliches Urteil gefällt:

Es gibt kaum einen messianischen Text, der so viel Anlass zum christlichen Kitsch gab – und zwar in allen christlichen Kirchen und Sekten – wie Johannes 10, bekannt unter dem Titel Der gute Hirte. Tatsächlich wird Johannes nirgends politisch so deutlich wie hier, wenn wir von 11,47-53 absehen.

Veerkamps Blick auf die auch von Heymel zitierten Propheten Ezechiel (Hesekiel) und Sacharja fällt abschließend auf Sacharja 11,15-17, wo in seinen Augen

heftig mit der neuen Monarchie ab[gerechnet wird], die unter dem Haus des Judas Makkabäus entstanden ist. Es geht um falsche Hirten, um nichtswürdige Hirten. Es sind Hirten, die die Schafe verlassen, wenn der Wolf kommt, heißt es bei Johannes. Für ihn erhalten diese prophetischen Worte eine ungeheure Aktualität.

In vielen Kommentaren kann man lesen, dass die Lohnhirten sich nicht um die Herde kümmern, weil sie nicht ihr Eigentum ist. Das ist eine durch und durch bürgerliche Vorstellung. Hier geht es aber um den einzigen Eigentümer, den die Schrift gelten lässt, den NAMEN, den Gott Israels: „Mein ist das Land, alle seid ihr Pächter und Fremdlinge verglichen mit mir“, Leviticus 25,23. Lohnhirten sind daher alle, die im Auftrage des Eigentümers die Schafe weiden.

Es geht also um die politische Führung Judäas in den Jahren vor dem Judäischen Krieg und während des Krieges. Wer hat die Schafe im Stich gelassen? Manche denken an Jochanan ben Sakkai, der nach der Gründungslegende des rabbinischen Judentums die belagerte Stadt verließ und sich in die Obhut der Römer begab. Wenn wir schon die Flucht Sakkais in Erwägung ziehen, dann sollten wir auch an die Flucht der messianischen Gemeinde Jerusalems, geführt von den „Brüdern des Herrn“, denken. Auch sie ließen die Kinder Israels im Stich. Wir wissen aus 7,2ff., dass Johannes von den Brüdern Jeschuas – und das heißt von der Gemeinde in Jerusalem – nichts gehalten hat. Schließlich wird noch von den Schülern selbst gesagt: „Ihr werdet mich (Jeschua) allein lassen“, 16,32 (hier wie dort aphiesthai). Hier klärt Johannes seine messianische Gemeinde auf über das totale Versagen der damaligen priesterlichen Führung des Volkes und der Führung der messianischen Gemeinden.

Was sind nach Veerkamp demgegenüber die Merkmale eines guten Hirten?

Das erste Mal {Johannes 10,11} wird „gut“ inhaltlich gefüllt mit der Haltung, durch die der Hirt seine Seele für seine Schafe einsetzt, das zweite Mal {10,14} durch das „Kennen“. Dieses Kennen beruht auf Gegenseitigkeit. Die Grundform dieser Gegenseitigkeit ist das gegenseitige „Anerkennen“ zwischen VATER und Hirten. Denn ginōskein bedeutet: sich anerkennen und sich vertrauen. Das Grundverhältnis zwischen dem Gott Israels und dem Messias bestimmt alle anderen Verhältnisse. Kennen, anerkennen, vertrauen bedeutet in der Konsequenz: seine Seele einsetzen.

Dieses „Grundverhältnis zwischen dem Gott Israels und dem Messias“ muss nach Veerkamp von zutiefst politischen Texten wie Psalm 72 her begriffen werden. Dann kann die Metapher vom guten Hirten den kritischen Blick auf alle real existierenden staatlichen Strukturen schärfen:

„Guter Hirte“ heißt: „gutes Regiment“. Wenn Staat („gerechter König“, Psalm 72!), dann „guter Hirte“. In der Regel aber ist Staat ein Apparat, der zur Verselbständigung neigt, schlimmstenfalls zum korrupten Selbstbedienungsladen von Ezechiel 34 wird.

4.8.5 Die Auferstehung und das Leben (Joh 11,25)

Zu Jesu Ich-bin-Wort (109): „Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 11,25), hebt Heymel hervor:

Dieses Wort wendet sich nicht gegen den Glauben an die endzeitliche Auferstehung „aller, die in den Gräbern sind“ (Joh 5,28f.). Der Sprecher bezeugt vielmehr in einer konkreten Situation, dass in ihm Auferstehung und ewiges Leben bei Gott wirklich da sind. Aus dem Zusammenhang der Erzählung weiß die Leserin, der Leser, dass Jesus gekommen ist, um seinen verstorbenen Freund Lazarus aus dem Todesschlaf zu erwecken. Wenn er zu Marta sagt, dass der Glaubende leben wird, auch wenn er stirbt, so bedeutet das zum einen: Auch Glaubende müssen den leiblichen Tod sterben. Zum andern macht die unmittelbar anschließende Lebenszusage deutlich, dass das in Christus geschenkte ewige Leben der Glaubenden unzerstörbar ist und nicht mit dem leiblichen Tod endet: „Wer lebt und an mich glaubt, wird in Ewigkeit nicht sterben“ (Joh 11,26).

Oben (im Abschnitt 4.3.7) war bereits deutlich geworden, dass Heymel die Auferweckung des Lazarus nicht auf die Belebung des Volkes Israel in der kommenden Weltzeit bezieht, die mit Jesu Aufsteigen zum VATER anbrechen kann. Von daher ist es auch nicht verwunderlich, dass er diese „endzeitliche Auferstehung“ zwar erwähnt, aber nicht mit dem Leben Israels auf dieser Erde unter dem Himmel Gottes in Verbindung bringt. Stattdessen unterscheidet er im folgenden Absatz zwischen zwei verschiedenen Vorstellungen von Auferstehung. Die von ihm bereits erwähnte „endzeitliche Auferstehung“ scheint er „in ferner Zukunft nach dem Tod“ zu verorten, aber um sie geht es Heymel zufolge in Jesu Ich-bin-Wort gar nicht in erster Linie:

Das gilt nicht erst in ferner Zukunft nach dem Tod. Auferstehung ist „eine ganz neue Existenzweise“ [Grün 532], die für Glaubende schon jetzt das Leben qualitativ verändert. Denn „wer an den Sohn glaubt, hat das ewige Leben“ (Joh 3,36)! „Ewigkeit“ (aiōn) hat im Alten Testament die Grundbedeutung „Lebenszeit“, „ewiges Leben“ ist dem entsprechend bei Johannes als ein Christus zugehöriges Leben, als Lebenszeit mit Christus zu verstehen, die nicht aufhört.

„Wer also ‚in‘ der unaussprechlichen Wirklichkeit Jesu lebt, für den oder die gibt es keinen Tod. […] Wir werden aufgefordert, in das mystische Sein Christi einzutreten und uns spirituell in seine unaussprechliche Wirklichkeit aufnehmen zu lassen“ [Sanford 1998, 76].

Mir ist Anselm Grün als Seelsorger sehr sympathisch, und die biblische Vorstellung von Ewigkeit habe auch ich schon im Sinne erfüllten Lebens ausgelegt. Trotzdem muss gefragt werden, ob Heymel die alttestamentliche Grundbedeutung des Wortes aiōn angemessen wiedergibt, wenn er „Lebenszeit“ kurzerhand auf individuell erfahrene spirituelle Lebenserfüllung reduziert und mit Sanford als mystisches Einsseins mit Christus interpretiert. In den biblischen Schriften liegt der Akzent der kommenden Lebens- oder Weltzeit auf dem gemeinschaftlichen diesseitigen Leben des Volkes Israel und auf der Hoffnung, dass Leben in Freiheit und Gerechtigkeit, unter Feigenbaum und Weinstock, also im Frieden, für immer kommen wird. Je furchtbarer diese Welt, ˁolam ha-se, in all ihren Gewalt- und Unrechtserfahrungen ist, um so mehr darf man auf die kommende Weltzeit der Befreiung, des Rechtes, des Friedens, ˁolam ha-baˀ, hoffen. Und wer so lebt, muss nicht in Angst vor dem Tod leben. Es geht jedenfalls nicht um reine Vertröstung aufs Jenseits, sondern immer zumindest auch um Hoffnung auf das, was in den Schriften schalom, Friede auf Erden in Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen, genannt wird.

4.8.6 Der Weg, die Wahrheit und das Leben (Joh 14,6)

Ein weiteres Ich-bin-Wort aus den Abschiedsreden Jesu (110): „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater, es sei denn durch mich“ (Joh 14,6; vgl. 10,9) „enthält das Bild des Weges, in dem Johannes seine Christologie konzentriert und zusammenfasst [JANT 185]“. Es stellt die Antwort auf die Frage seines Schülers Thomas dar, der nach Heymel „alles ganz genau wissen will“ und Jesus daher fragt: „Herr, wir wissen nicht, wohin du gehst. Wie können wir da den Weg kennen?“ (Joh 14,5):

Doch hier kommt es nicht darauf an, etwas über die sinnlich wahrnehmbare Realität zu wissen, sondern Jesus als den zu erkennen, durch den man Gott erkennt und sieht. Das ist eine Erkenntnis, die erst durch persönliche Erfahrung, durch ein die Augen öffnendes Vertrautsein mit dem anderen erreicht wird. Nach Johannes ist Jesus auf einzigartige Weise transparent: Durch ihn scheint Gott hindurch, wie es nur durch einen Menschen geschehen kann, in dem Gottes Wort Fleisch geworden ist: „Wer mich sieht, sieht den Vater“ (Joh 14,9).

Wieder einmal verwendet Heymel Begriffe, die zu Missverständnissen einladen. Was ist bezogen auf Jesus „persönliche Erfahrung“ und „ein die Augen öffnendes Vertrautsein mit dem anderen“? Meint er religiös zu verstehende innerseelische Erfahrungen mit Jesus bis hin zur mystischen Verschmelzung? Und in welcher Weise versteht er die Exklusivität des Anspruchs Jesu, die er im folgenden Absatz entfaltet?

In diesem Zusammenhang spricht Jesus von sich selbst als dem Weg (vgl. Joh 10,9): Er kann die Seinen zum Vater führen, weil er in Person die Wahrheit und das Leben ist. Hier ist nicht von abstrakten Begriffen die Rede, sondern vom irdischen, historischen Jesus, einem jüdischen Mann, dessen Leben und Wirken ganz für das Leben und Wirken Gottes transparent sind. Seiner Selbstmitteilung zufolge ist allein er der Weg, durch den jemand zu Gott kommt.

Hoch anzurechnen ist es Heymel, dass er an dieser Stelle einen christlichen Absolutheitsanspruch, der aus solchen Sätzen gefolgert wurde, ablehnt (110f.):

Christinnen und Christen aus der nichtjüdischen Völkerwelt haben später für ihr Christentum beansprucht, allein in ihm sei die Wahrheit zu finden, und diesen Absolutheitsanspruch gegenüber Juden und Ketzern gewaltsam durchzusetzen versucht. An die Stelle des heilsamen Nichtwissens, das in der Thomasfrage zum Ausdruck kommt, trat ein von Existenzwahrheit gelöstes Wissen, Zustimmung zu „richtigen“ Glaubenssätzen ersetzte das wahrhaftige Zeugnis. Dabei wurde der Glaube an Jesus Christus als Bedingung missverstanden, die Menschen erfüllen müssten, um zu Gott zu kommen und ewiges Leben zu haben [vgl. Thyen 623-626]. Glaube ist bei Johannes jedoch „nicht die Bedingung, sondern die Folge der Rettung“ [Thyen 624]. Er entspricht der Öffnung des Weges, die der Vater längst in Christus vollzogen hat.

So knapp, wie Heymel hier Thyen zitiert, kann allerdings kaum deutlich werden, wie dieser unter Bezug auf Helmut Gollwitzer, Friedrich-Wilhelm Marquardt und Carl Heinz Ratschow trotz der Absage an eine Werkgerechtigkeit des Glaubens dennoch die Überzeugung von der Absolutheit der eigenen Religion festzuhalten versucht. <76> Heymel will diese Absolutheit nicht auf Jesus selbst, sondern auf Gott beziehen:

Jesu Aussage wäre daher mit jener aus der Brotrede zu verbinden: „Niemand kann zu mir kommen außer dem, den der Vater zieht“ (Joh 6,44). Durch Gott, nicht durch sich selbst wird Jesus den Menschen bekannt. Die Pointe seines Ich-bin-Wortes lautet also: Wer nicht zu mir kommt, kommt auch nicht zu Gott, der mich gesandt hat und den ich den Vater nenne.

Richtet Heymel damit aber nicht genau den christlichen Absolutheitsanspruch wieder auf, den er zuvor bestritten hatte?

Nach Ton Veerkamp <77> darf keines der Ich-bin-Worte Jesu irgendwelche Zuschreibungen nach sich ziehen, die anderswoher als vom Gott Israels inhaltlich gefüllt werden. Auch Johannes 14,6: „ICH BIN ES, der Weg und die Treue und das Leben“, wie Veerkamp übersetzt, muss von der Selbstkundgabe des Gottes Israels durch seinen befreienden NAMEN (so gibt Veerkamp das Tetragramm JHWH gewöhnlich wieder) in 2. Mose 3,14 her verstanden werden. Das heißt: In Jesu messianischem Wirken, insbesondere in seinem Weg ans Kreuz, verkörpert sich der befreiende Wille des NAMENS voll und ganz. Von diesem NAMEN, vom VATER, ist Jesus als der Messias gesandt, nur von dessen Wirken her ist also auch der Sinn der nachfolgenden Worte Weg, Wahrheit/Treue und Leben zu interpretieren. Veerkamp vergleicht diese Sendung mit der Sendung des Mose:

Die Definition Mosches war ebenfalls der Gesandte des NAMENS: ˀEhje schickt mich, der NAME schickt mich, Exodus 3,14. Aber die Einheit des gesandten Messias mit dem Sendenden, der NAME/VATER hat für Johannes eine andere Qualität. Mosche hat über Weg und Leben geredet. In Deuteronomium 30,15-16 heißt es:

Siehe:
Ich habe dir heute vorgegeben:
das Leben und das Gute,
den Tod und das Böse.
Wie ich heute dir gebiete,
den NAMEN, deinen Gott, zu lieben,
auf seinem Weg zu gehen,
zu wahren die Gebote, die Gesetze, die Rechtsverordnungen,
und du wirst leben,
du wirst viele werden,
der NAME, dein Gott, wird dich segnen,
im Lande, wohin du kommst, es zu erben.

Hier stehen „Weg“ und „Leben“ in einer eindeutigen Beziehung zum „NAMEN“. Im Lied „Lauschet ihr Himmel“ heißt es vom Gott Israels, Deuteronomium 32,4:

Der Fels, vollkommen sein Werk,
all seine Wege sind gerecht,
Gottheit der Treue, ohne Betrug.
Ein Wahrer ist er, geradeaus.

Der Gott Israels ist „Weg, Treue und Leben“ für Israel. Jeschua ist für Israel der Weg Gottes, er verkörpert die Treue Gottes und ist somit das Leben für Israel. Wie der NAME geschah, indem er Mosche schickte – und Mosche ist die Tora -, so geschieht der NAME heute durch den Messias Jeschua, 1,17. Mosche verkündete den Weg, die Treue und das Leben, das Gott für Israel ist. Jeschua ist jetzt die einzige Gestalt des Weges Gottes, der Treue Gottes und des Lebens, das Gott verheißt.

Von der Tora und von den Propheten her sind also die Worte „Weg, Wahrheit und Leben“ zu füllen, und zwar im Blick auf das zukünftige Leben Israels im Frieden. Sowohl bei Mose als auch bei Jesus geht es darum, dass der NAME geschieht, indem Israel Befreiung erfährt und leben kann. Diese Befreiung kann nach Veerkamp unter den Bedingungen einer global unterdrückenden Weltordnung nicht mehr so vonstatten gehen wie zur Zeit des Mose oder noch des Kyros von Persien, als das Volk Israel die Chance erhielt, in einem eigenen Land, getrennt von den Völkern, die Tora als eine Disziplin der Freiheit zu verwirklichen. Im Jahrhundert des Evangelisten Johannes muss Jesus den NAMEN, dessen Worte Mose in der Tora geredet hat, als der Messias Gottes in seinem gesamten Wollen und Wirken bis hin zu seinem Sterben am Kreuz verkörpern, um die herrschende Weltordnung zu überwinden:

Hier ist ein Gegensatz, aber das Christentum hat daraus einen antagonistischen Widerspruch gemacht: Mosche oder Jeschua. Der Widerspruch ist kein absoluter, sondern ein bedingter. Es sind die neuen Verhältnisse, die die alten Verhältnisse außer Kraft setzen und neue Fragen stellen. Sie verlangen eine neue Antwort: das ist die Grundauffassung aller messianischen Gruppen aller Richtungen. Ohne diese neue Antwort komme niemand zum VATER.

„Zum VATER kommen“ heißt: Auf seinen Wegen gehen, nach seinen Geboten handeln. Unter den neuen Bedingungen heißt es: Auf den Wegen des Messias gehen, nach seinem neuen Gebot handeln. Wer diese neue Antwort, den Messias, diesen Messias, kennt, erkennt Gott.

In diesem Sinne vertritt Johannes auch nach Veerkamp durchaus einen Absolutheitsanspruch, der sich aber nicht auf die Überlegenheit der christlichen Religion gegenüber dem Judentum bezieht. Er bestätigt auch nicht einfach den Absolutheitsanspruch des Gottes Israels in der Weise, wie Thyen sie im Anschluss an Ratschow versteht. Johannes erhebt innerjüdisch für Jesus den Anspruch, dass ausschließlich er als der Messias Gottes anzusehen ist, dass nur durch Jesus die Befreiung Israels durch den NAMEN zu ihrem Ziel kommen kann.

Der Streit darüber, ob diese Einschätzung des Johannes gegenüber der bis heute durchgehaltenen Skepsis des rabbinischen Judentums wahr ist, darf heute nicht mehr zu wechselseitigen Verurteilungen führen, wohl aber zu einem Wettstreit des jeweils von der eigenen Überzeugung her vertretenen und gelebten Vertrauens auf Gott. Zu hoffen ist dabei, dass sowohl Juden als auch Christen ihre Überzeugungen bewähren, indem es ihnen gelingt, ihre Schritte auf den Weg der Befreiung, der Gerechtigkeit und des Friedens zu lenken.

4.8.7 Der wahre Weinstock (Joh 15,1-8)

Es ist Heymel durchaus bewusst (111), dass Jesus mit „dem Bild vom wahren Weinstock … auf ein vertrautes Bild für das Gottesvolk“ zurückgreift [JANT 187), „das die Schriften des Alten Testaments entfalten“, nämlich „das Bild vom Weingärtner und seinem Weinberg …, das die Beziehung des Gottes Israels zu seinem Volk beschreibt (Ps 80,9-12; Jes 5,1-7; Jer 2,21).“ Aber trotzdem bezieht er sich in seiner Auslegung in keinster Weise auf diese Texte, vielmehr deutet er das Bild vom Weinstock völlig unabhängig davon auf eine enge persönliche Verbindung, die zwischen Jesu Jüngern und Jesus selbst niemals abreißen darf (111f.):

Einen Weinstock zu ziehen erfordert viel „Erziehungsarbeit“. Er muss mehrere Jahre regelmäßig beschnitten werden, bevor seine Reben gute Früchte hervorbringen. Der Weingärtner schneidet im Winter Triebe und Blätter zurück, damit das Wachstum sich auf die Reben konzentriert. Eine Rebe, die keine Frucht bringt, wird abgeschnitten, während Reben, die Frucht bringen, ständige Reinigung brauchen, um mehr Frucht zu bringen. Das Ich-bin-Wort Jesu zielt darauf ab, dass die Jünger in ihm bleiben wie die Reben am Weinstock. Dafür brauchen sie den Weingärtner, der ihre unnützen Triebe immer wieder „reinigt“, das heißt beschneidet und läutert. Sobald sie sich von Jesus ablösen, verdorren sie, das heißt sie verlieren ihre Lebenskraft. „Ohne mich könnt ihr nichts tun“ (Joh 15,5) bedeutet: Ohne dauernde Verbindung zu mir und meinen Worten könnt ihr keine Frucht bringen und nicht meine Jünger werden.

In einem weiteren Absatz bezieht sich Heymel zwar in einem Nebensatz auf Israel, aber in einer Weise, die das Volk Israel sozusagen zu einem Sprungbrett für die Bewährung von Jüngern Jesu macht, die mit Israel selbst nichts mehr zu tun haben:

Als der wahre Weinstock „nährt“ Jesus sich von der Liebe des Vaters und teilt sie den Seinen mit (Joh 15,9ff.). So ermöglicht er ihnen, das zu sein, wozu Israel berufen ist, nämlich fruchtbare Reben im Weinberg des Herrn.

Wenn man bedenkt, dass Israel im prophetischen Weinberggleichnis harte Kritik erfährt, weil es eben keine guten Früchte bringt, könnte hier der Fehlschluss gezogen werden, die auf Jesus vertrauenden und mit ihm verbundenen Christen sollten an die Stelle des ungehorsamen Volkes Israel treten, zumal die Mehrheit Israels nicht bereit ist, den Messias Jesus zu akzeptieren. Heymel selbst vertritt eine solche Auffassung nicht, aber an dieser Stelle weicht er einer Auseinandersetzung mit ihr aus.

Stattdessen versucht er zu erklären, wie die mystisch klingende Formulierung „in ihm bleiben“ zu verstehen ist:

In ihm zu bleiben, bedeutet, in seiner Liebe zu bleiben, so wie er in der Liebe des Vaters bleibt. Die Frucht, die sie bringen, ist demnach ihre gegenseitige Liebe. Ausdrücklich werden die Adressaten angesprochen und ins Bild gesetzt: „Ihr seid die Reben“ (Joh 15,5). Zwischen dem Weinstock und den Reben besteht eine organische Verbindung: Der eine und die vielen bilden eine innige Lebensgemeinschaft. „In der lebendigen Einheit von Einheit und Verschiedenheit ist der ‚Weinstock‘ Inbegriff des Lebens schlechthin [zoē] und dies als lebengebendes Leben (5,26)“ [Ringleben 485].

Konkret ist damit aber immer noch nicht klar geworden, wie man das fertigbringt, „in Jesus“ zu bleiben. Ist der persönliche Glaube an Jesus gemeint, der sich in der Nächstenliebe bewährt? Oder dass man nicht aus der Kirche austritt?

Noch viel weniger ist klar, ob bereits der Evangelist Johannes die Beziehung der Schüler zu Jesus in der Art eines „in ihm“-Seins verstanden haben kann. Ton Veerkamp <78> geht davon aus, dass man meinate en emoi mit „Bleibt fest bei mir“ übersetzen muss, und ist davon überzeugt, dass man auch das Weinbergwort Jesu nur von den prophetischen Schriften Israels her begreifen kann:

Diese Diskussionsrunde {Jesu mit seinen Schülern} beginnt mit einer klassischen israelitischen Metapher, dem Rebstock. Drei Texte stehen im Hintergrund der ersten Verse dieses Abschnitts, 1-7.

Zunächst Jesaja 5,1ff.

Ich will ja für meinen Freund singen,
den Gesang vom Weinberg meines Freundes.
Einen Weinberg hatte mein Freund,
am fettbödigen Hang.
Er grub ihn um, befreite ihn von Steinen,
bepflanzte ihn mit rotem Rebstock (ßoreq, ampelos sorēch),
baute einen Wachtturm mitten in ihm,
schlug eine Keltergrube aus ihm.
Er hoffte auf Traubenertrag,
er trug nur Verfaultes.

Dann Jeremia 2,21:

Ich selber habe dich gepflanzt als roter Rebstock (ßoreq),
alles getreue Saat.
Wie hast du dich mir verwandelt,
verkehrter, fremder Rebstock?

In der griechischen Fassung:

Ich selber habe dich gepflanzt,
fruchttragenden Rebstock (ampelos), ganz getreu.
Wie hast du dich verkehrt in Bitteres,
du, fremder Rebstock (ampelos)?

Dann das Lied „Hirte Israels, lausche“ (Psalm 80). In diesem Lied wird Israel verglichen mit einem Rebstock, den Gott aus Ägypten in das Land hinaufgebracht hat, „seine Wurzel eingewurzelt … seine Ranken streckten sich bis zum Meer aus.“ Die Stichworte unseres Gleichnisses Johannes 15,1-2 (ampelos, Rebstock und klēmata, Ranken, Blütenzweige) finden wir auch in diesem Lied. Thema des Liedes ist der Niedergang Israels, das zur Beute fremder Völker geworden ist. Der Refrain des Liedes (viermal, V.4.8.15.20) lautet:

Gott: lasse uns wiederkehren,
es leuchte Dein Angesicht,
wir werden befreit.

Die Texte sehen Israel als Weinberg, wo die Rebstöcke Früchte tragen: Israels erhoffter Ertrag ist die Rechtsordnung seines Gottes. Tatsächlich aber ist Israel der fremde Rebstock, der keine Früchte trägt, und wenn, dann nur beˀuschim, Verfaultes. Auf die Sehnsucht nach der Wiederherstellung Israels antwortet der Messias: „ICH BIN ES: der getreue Rebstock.“

An dieser Stelle entdeckt Veerkamp noch ein anderes Stichwort im 80. Psalm, das zum Verständnis des Weinbergswortes Jesu beitragen kann:

Ausgerechnet im Psalm 80 ist von einem ben ˀadam {Sohn des Menschen} (die hebräische Form für das aramäische bar enosch) die Rede, V.18f.:

Sei Deine Hand über dem Mann Deiner Rechten,
über den MENSCHEN, den Du Dir mit Kraft ausgestattet hast.
Nie mehr wollen wir uns abwenden von dir,
lass uns leben, die wir mit Deinem Namen gerufen sind.

Dieser Hintergrund lässt uns verstehen, was mit diesem Gleichnis gesagt wird. Der Messias Israels ist jener bar enosch, MENSCH, und so Israel selber, Daniel 7,27. Er ist der absolute Gegensatz zu jenem trügerischen Israel, jenem „verkehrten, fremden Rebstock“.

An dieser Stelle kommt nun alles darauf an, wie der Evangelist Johannes die Beziehung des Messias zu Israel deutet. Verflucht er (wie die Pharisäer) das Volk, das die Tora nicht kennt? Oder wendet er sich von Israel ab, weil dessen Führung (die Hohenpriester zur Zeit Jesu, die Rabbinen zur Zeit des Johannes) Jesus nicht als Messias anerkennt, und wendet sich den Völkern als neues Missionsfeld zu? Nach Veerkamp hält Johannes daran fest, dass der Messias das gelähmte, verhungernde, blinde, verwesende Israel nicht dem Tode überlässt. Vielmehr verkörpert Jesus selbst das Volk Israel als der monogenēs tou patris, der Einziggezeugte des VATERS, der zweite Isaak, der erstgeborene Sohn Gottes. Und indem ein auf den Messias vertrauender Rest Israels sich in der messianischen Gemeinde versammelt und in der Praxis der solidarischen Liebe den Anbruch der kommenden Weltzeit tätig erwartet, kann die Versklavung Israels unter die herrschende Weltordnung überwunden werden:

Für Israel als Kollektiv wird die Metapher Rebstock verwendet. Der Rebstock ist der Messias, die Mitglieder der Gruppe sind die Blütenzweige, die Trauben. Sie müssen versorgt sein, damit die Trauben Frucht tragen. Das ist nicht das Werk des Messias, sondern des Winzers, des Gottes Israels.

Das Werk Gottes ist „reinigen“. Durch das Wort (logos, davar) des Messias sind die Schüler rein, 15,3. Das bedeutet: durch das Wort erfüllen die Schüler „schon“ (V.3) jene Bedingung der Reinheit, die von jeher für die Gemeinschaftsfähigkeit jedes einzelnen Mitglieds des Volkes erfüllt wird.

Die intensive Verbindung mit dem Messias ist dafür die Grundlage: „Bleibt fest bei mir, wie ich bei euch.“ Die messianische Vision ist die Grundbedingung für ein wahrhaftes Leben. Wenn man nicht wirklich zuversichtlich ist, dass die herrschenden Zustände, eben die „Weltordnung“, nicht unveränderbar sind, sondern ein „Leben in der kommenden Weltzeit“ (zōē aiōnios) eine reale Perspektive für das Leben der Menschen auf der Erde ist, kann man nichts ausrichten: Denn „getrennt von mir (chōris emou) könnt ihr nichts tun“. Sonst ist alles Tun nutzlos, dürr, unfruchtbar.

Begreift man das „in-Jesus“-Sein wie Paulus im Sinne der Zugehörigkeit zur messianischen Gemeinde, die er sōma Christou, „Leib Christi“, nennt (1. Korinther 12,27) und zu der außer Juden auch Menschen der Völker hinzuberufen werden, dann könnte man auch in Johannes 15,4 der Übersetzung „Bleibt in mir“ einen Sinn abgewinnen.

4.8.8 Ich bin ein König (Joh 18,37)

Als achtes erweitertes Ich-bin-Wort Jesu fasst Heymel die Stelle Johannes 18,37 auf, in der Jesus sich als ein König besonderer Art zu erkennen gibt (112f.):

Der römische Statthalter Pontius Pilatus fragt Jesus im Verhör: „Bist du der König der Juden?“ (Joh 18,33). Der Gefangene weicht der Frage zunächst aus, erklärt dann aber, sein Königtum (basileía) sei nicht von dieser Welt bzw. „nicht von hier“ (Joh 18,36). Erst auf die erneute Nachfrage erwidert er: „Ich bin ein König“ …

Damit weist Jesus die Selbstbezeichnung als König zwar nicht zurück, aber es fällt auf, dass er hier eben gerade nicht ausdrücklich die Formulierung: egō eimi basileus, „ICH BIN ES – ein König“, mit dem betont vorangestellten Pronomen egō verwendet, sondern auf die wiederholte Nachfrage des Statthalters Pilatus seiner Antwort das betonte Pronomen sy, „du“, voranstellt: sy legeis hoti basileus eimi, „Du sagst, dass ich ein König bin.“ Diese Zurückhaltung erinnert an die Flucht Jesu vor denen, die ihn nach der Speisung der Fünftausend zum König machen wollen, und daran, dass nach Johannes Jesus nicht von David abstammt; jeden Anschein, Jesus könne ein Königtum in der Weise der Makkabäer oder der Zeloten anstreben, will Johannes offenbar vermeiden.

Mit dem betonten egō, allerdings ohne das zu einem Ich-bin-Wort gehörenden eimi, leitet Jesus seine Erklärung ein (113),

worin sein Königtum besteht und wie man es begreifen soll: „Dazu bin ich geboren, und dazu bin ich in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme“ (Joh 18,37). Damit werden alle Hörer und Leserinnen des Evangeliums eingeladen, auf die Stimme dieses Königs zu hören, der kein selbstherrliches Regime errichten will, sondern für Gottes freimachende Wahrheit eintritt. Diese Rede erinnert an das Ich-bin-Wort vom guten Hirten, dessen Schafe seine Stimme genau von der Stimme des Fremden unterscheiden. Biblischer Hintergrund sind Verse aus dem Buch Ezechiel, wo Gott erklärt, dass er dem Volk seinen Knecht David als treuen Hirten und König senden will (Ez 34,23f.).

Tatsächlich muss man Jesu Königtum von den jüdischen Schriften her begreifen. Die Art, wie Heymel sich auf die Verheißung eines Hirten und Königs wie David bezieht, lässt jedoch erkennen, dass er nicht deren politische Zuspitzung im Blick hat, sondern sehr allgemein „Gottes freimachende Wahrheit“, für die Jesus eintritt, statt ein „selbstherrliches Regime“ aufzurichten. Das kann zwar grundsätzlich auch die Wahrheit Gottes im Sinne seiner Treue zum Volk Israel meinen und ein Königtum, das an die Königsherrschaft dieses Gottes gebunden ist, der Israel in die Freiheit führen will, aber nichts deutet darauf hin, dass Heymel in dieser Richtung denkt.

Ton Veerkamp <79> dagegen begreift Jesu Königtum von zentralen Stellen der Tora, der Propheten und der Psalmen her. Jesus ist ein König, wie sich ihn die Tora vorstellt (5. Mose 17,13ff.) und den „es noch nie gegeben“ hat, ein König, wie er in Psalm 72,1-4 beschrieben wird, dessen „Kernaufgabe … das Recht für den Erniedrigten und Bedürftigen“ ist. Was Jesus nicht ist, wird in 1. Samuel 8,4ff. beschrieben: Er ist kein König wie bei allen Völkern, der seine Untertanen versklavt, und wie ihn die Hohenpriester mit ihrem Bekenntnis zu Cäsar (Johannes 19,15) als ihren König anerkennen.

Aber warum ist Jesus nach 18,37 ausdrücklich dazu „gezeugt worden und in die Welt gekommen“, um „Zeugnis zu geben über die Treue“, wie Veerkamp übersetzt? Mit dem Stichwort gegennēmai, „geboren“ oder „gezeugt worden“ wird ihm zufolge noch ein weiteres Psalmwort in Erinnerung gerufen:

Warum „gezeugt worden“? „In die Welt gekommen“ würde völlig reichen (vgl. 11,27). Johannes ruft aber die Assoziation zu Psalm 2,6f. auf:

Ich habe dich ernannt zu meinem König,
über Zion, dem Berg meiner Heiligung.
Ich will es erzählen, den Beschluss:
Der NAME sprach zu mir: „Mein Sohn bist du.
Heute habe ich dich gezeugt.“

Mit den Worten „dazu bin ich gezeugt, dazu in die Welt gekommen“ hören wir zugleich, „wie die Völker toben“, wie „die Könige der Erde, ihre Erlauchten, eine Sitzung zusammenrufen / gegen den NAMEN und seinen Messias (‚Gesalbten‘, meschicho, christou autou)“. Genau das geschieht hier.

„Verlange, und ich gebe dir die Völker als Erbteil, zum Besitz die Ränder der Erde (das römische Imperium), du magst sie zerschmettern mit einem eisernen Stock, zerschlagen wie ein Gerät aus Ton.“ Das ist eine Sprache, die uns nicht gefällt. Aber die Erhöhung dieses Messias ist das Ende für Rom, die Zerschlagung dieses Reiches, die Vernichtung der mischpat ha-melekh, der Rechtsordnung des Königs. Dazu lässt uns Johannes Psalm 2 mithören. In Zeiten nach der katastrophalen Niederlage von 70 ist der zweite Psalm der Strohhalm, an dem sich die isolierte messianische Gemeinde des Johannes festklammert.

Veerkamp deutet selbst an, dass eine solche politische Deutung des Johannesevangeliums „uns nicht gefällt“, also der Vorstellung eines barmherzigen, liebevollen Jesus als dem Guten Hirten widerstrebt, die die meisten Christen teilen. Und sind nicht auch Zweifel angebracht, ob Johannes tatsächlich erwarten konnte, dass die Praxis der solidarischen Liebe, wie Jesus sie von seiner Schülerschaft in der messianischen Gemeinde forderte, die römische Weltordnung von innen her unterwandern würde – bis hin zur endgültigen Zerstörung ihrer Strukturen von Gewalt und Ausbeutung? Wenn der Jude Johannes jedoch in den prophetischen Verheißungen Israels lebte und ihre Erwartung des Lebens der kommenden Weltzeit für Israel inmitten der Völker auf dieser Erde ernst nahm, warum sollte sein Evangelium dann nicht in dieser Weise begriffen werden?

Heymel dagegen interpretiert Johannes mit Ringleben eher als das „philosophische Evangelium“ und zitiert dessen Auffassung [455], dass alle Ich-bin-Worte Jesu, „die von seinem Sein als Brot, Wasser, Licht, Wein, Leben, Weg usw. sprechen, … zu der Einsicht [führen], dass es bei solchen Prädikaten immer um die Suche des Menschen nach Leben geht, sodass sie alle jeweils dessen Ganzes meinen“. Mit einem weiteren Zitat von Zimmermann <80> hebt Heymel hervor, dass sich der

Sinn der verwendeten Sprachbilder … nur im Lesen oder Hören [erschließt]. „Die Christusbilder müssen gesehen, mit Augen wahrgenommen, d.h. aber zuletzt sinnlich erfahren werden, um verstanden werden zu können“.

Welche sinnliche Wahrnehmung kann sich aber im bloßen Lesen oder Hören der „Christusbilder“ erschließen, wenn sie nicht geschult wird an den Worten der Schrift, auf die sie sich zurückbeziehen und von denen her sie konkret zu füllen sind? Öffnen sich hier nicht Tore zu einer beliebigen Deutung des Johannesevangeliums im Sinne jeder spirituell-religiösen oder philosophisch-weltanschaulichen Richtung, die man persönlich bevorzugt?

4.9 Die Salbung Jesu in Betanien (Joh 12,1-8)

Mit der Erzählung von der Salbung Jesu in Bethanien beginnt Johannes nach Heymel (113f.) die „letzte Woche“ des Wirkens Jesu:

„Sechs Tage vor dem Passa“ (Joh 12,1) kommt Jesus wieder nach Betanien, und dieser Tag ist verbunden mit dem seines Begräbnisses am Abend vor dem Passahfest (Joh 12,7; 19,14.31.42). Johannes setzt die entsprechenden Erzählungen der Synoptiker voraus (Mk 14,3-11; Mt 26,6-13; Lk 7,36-50), ändert aber die Reihenfolge der Ereignisse. Er erzählt zuerst von der Salbung Jesu, dann vom Einzug in Jerusalem und verortet die Szene im Haus von Lazarus, Marta und Maria. Wie bei Lukas salbt eine Frau die Füße Jesu mit kostbarem Nardenöl, doch nur Johannes nennt ihren Namen. Hier „wäscht“ Maria Jesus die Füße, ein Sklavendienst, den sie freiwillig aus Liebe tut, sodass die Szene als Gegenstück zur Waschung der Füße der Jünger durch ihren Herrn (Joh 13,1-11) erscheint.

Indem Johannes (114) „der Figur des Judas“, der „Marias Handlung als Verschwendung“ tadelt, „Verrat und Geldgier“ zuschreibt, prägt er das Bild des Judas so nachhaltig, dass diese Züge „in der späteren Wirkungsgeschichte auf ‚die Juden‘ übertragen“ werden.

Ton Veerkamp erwägt zwei Gründe, warum Judas als „Dieb“ gebrandmarkt wird. Zum einen sieht er, worauf ich bereits zur Rätselrede über den Hirten (im Abschnitt 4.8.3) hingewiesen habe, in der Bemerkung über den kleptēs kai lēstēs, „Dieb und Terroristen“, in Johannes 10,1 eine Anspielung auf den Dieb Judas und den Terroristen Barabbas, die beide wiederum die plündernden und mordenden Zeloten des Judäischen Krieges symbolisch vorwegnehmen. Zum andern fällt Veerkamp auf, <81> dass Johannes anders die synoptischen Evangelien „die Armen nur in Zusammenhang mit dem Verräter (12,5.8; 13,29) und sonst gar nicht auftreten lässt“. Nur er weist auf die Vernachlässigung der Bedürftigen hin, während sich bei Matthäus und Markus „die Zwölf bzw. nicht näher bezeichnete ‚einige‘“ darüber entrüsten:

Bei den Synoptikern ist das nicht verwunderlich, spielen doch bei ihnen die Bedürftigen, ptōchoi, ˀevjonim eine zentrale Rolle; bei Johannes glänzen diese durch ihre völlige Abwesenheit. Die Bedürftigen dienen hier als heuchlerischer Vorwand eines räuberischen Kassenwarts, der einer entgangenen Beute nachtrauert. Johannes sieht ihn als Verräter und Dieb, weil er das Königtum Jeschuas, vor allem, weil er ein Königtum, das „nicht nach der herrschenden Weltordnung“ funktioniert, ablehnt und sich an der messianischen Bewegung bereichert.

In 13,29 ist Judas sozusagen der Armenfürsorger vom Dienst. Johannes beschäftigt sich vor allem mit großer Politik. Die soziale Frage sei eine ewige Frage, sagt Johannes, hier aber stehe zunächst die politische Frage im Vordergrund. Deswegen zitiert er Deuteronomium 15 (insbesondere V.11). In diesem großen Toratext geht es um „Soziales“, Schuldenerlass, Vermögensverteilung. Eine Gesellschaft, die auf Egalität aller Familien des Volkes beruht und beruhen will, muss solches tun. Hier aber, bei Johannes, geht es um die politische Linie eines Königtums für ganz Israel. Kurz vor der direkten Konfrontation des Messias mit dem Repräsentanten der Weltordnung (18,33ff.) muss Sozialpolitik zurückstehen. Wer wie Johannes die Armen nur in Zusammenhang mit dem Verräter (12,5.8; 13,29) und sonst gar nicht auftreten lässt, will über Jeschua aus Nazareth völlig anders erzählen. Das kann als politische Kritik der Gruppe um Johannes an den messianischen Gemeinden aus den orientalischen Judäern verstanden werden. Durch die vorrangige Sorge um die Armen würden diese die große politische Linie verlieren, die Politik der Großen Alternative.

Die Handlung Marias macht deutlich, dass der Messias ein König ist, aber einer, wie es noch keinen gab. Iskariot, der Mann aus Kerijot, sieht das als alberne politische Kapriolen: Hätte man das viele Geld nicht besser den Bedürftigen geben sollen, um den Rückhalt im Volk zu vertiefen? So mag Judas gedacht haben. Johannes deutet Judas als den, der die johanneische Politik blockiert.

Maria aber salbt den lebenden Messias, der sterben wird. Sie feiert vorweg den Abschied des Messias, des Königs, der nicht wie alle anderen ist. Er ist der König, der weg geht, der sich verabschiedet, der beerdigt wird. Maria ist für Johannes entscheidend politischer als Judas und die Zwölf, die hier wohl mit Judas sympathisierten. Denn Jeschuas Antwort richtet sich an alle Schüler: „Die Bedürftigen behaltet ihr …“

Veerkamps Überlegungen mögen weit hergeholt erscheinen, haben aber doch so viel für sich, dass sie erwogen werden sollten. Auf jeden Fall ist Judas in den Augen des Juden Johannes natürlich auf keinen Fall der Prototyp aller Juden.

4.10 Einzug in Jerusalem (Joh 12,12-19)

Den Einzug Jesu in Jerusalem nennt Heymel (115) einen „königlichen Triumphzug“, zu dem „die Volksmenge“ durch „das Wunder der Auferweckung des Lazarus“ als eines „messianischen Zeichens veranlasst“ wird. Sein Einreiten „auf einem jungen Esel“ kennzeichnet ihn vom Propheten Sacharja (9,9) her allerdings erst nachträglich als den dort angekündigten „messianischen König“:

Jesus zeigt ohne Worte, dass er als Friedenskönig kommt, um den Völkern Frieden zu gebieten, und alles Kriegsgerät beiseiteschaffen will. Mit dem endzeitlichen Gottesprädikat „König Israels“ (Zeph 3,15) macht Johannes deutlich, wer hier in der Mitte Israels erscheint: der Sohn Gottes und Gott, die „eins“ sind (Joh 10,30).

Aber wie ist dieser Einzug Jesu konkret zu deuten? Heymel unterscheidet (116) „[d]rei Haltungen“, die „gegenüber Jesus … bei seinem Einzug sichtbar“ werden:

a) Den Jüngern, die mit Jesus unterwegs sind, wird erst im Nachhinein klar, dass er nicht als Eroberer irdischer Reiche kommt, sondern als Friedenskönig, dessen Königtum „nicht von dieser Welt“ (Joh 18,36) ist. b) Das Volk erscheint als bewegte Menge, die in ihm ihren Führer sieht, und seine „kollektive Meinung“ [Sanford 1998, 100] ist leicht beeinflussbar. c) Die Pharisäer verachten die Menge und sehen durch Jesus ihre Macht bedroht.

Die knappen Skizzen dieser Haltungen enthalten jedoch alle drei nur halbe Wahrheiten. Rollen wir das Feld von hinten auf: Der Satz über die Pharisäer lässt außer Acht, welche Funktion sie zur Zeit Jesu und in der Zeit nach dem Judäischen Krieg ausübten. Zur Zeit Jesu spielten sie eher eine oppositionelle Rolle gegenüber dem sadduzäischen Priestertum, blickten aber sicher auch skeptisch auf messianische Gruppierungen, die von der römischen Besatzungsmacht als gefährlich eingestuft werden konnten. Als nach der Zerstörung des Tempels das Priestertum jeglichen Einfluss verlor, wurde die pharisäische Bewegung zur bestimmenden Kraft, durch die das rabbinische Judentum im Römischen Reich als religio licita, als erlaubte Religion, überleben konnte – und dabei auch gute Gründe hatte, eine messianische Bewegung wie die der Jesus-Anhänger mit Skepsis zu betrachten, wenn sie Unruhe hervorrief, die möglicherweise den immer prekären Status der jüdischen Religion bedrohte.

Der Satz über das Volk, das „leicht beeinflussbar“ ist, ruft die Assoziation auf, dass es jetzt Jesus zujubelt, aber schon wenige Tage später lautstark das „Kreuzige!“ schreien wird. Aber im Johannesevangelium werden weder die Pharisäer noch der ochlos, die Volksmenge, anwesend sein, wenn die Oberpriester und ihre Untergebenen von Pilatus die Kreuzigung fordern.

Schließlich stimmt es zwar, dass Jesus kein „Eroberer irdischer Reiche“ ist, aber dennoch ist er durchaus als der Überwinder der römischen Weltordnung zu verstehen. Er ist kein Zelot, aber sein Tod am römischen Kreuz stellt ein für alle Mal jede Weltordnung bloß, die auf Gewalt und Ausbeutung beruht, und leitet einen Prozess ein, der unaufhaltsam auf den Anbruch des kommenden messianischen Friedensreiches gerichtet ist, und zwar hier auf Erden unter dem Himmel Gottes.

4.11 Ankündigung der Verherrlichung Jesu (Joh 12,20-36)

Bereits im Abschnitt 3.2 bin ich darauf eingegangen, dass Heymel die Verherrlichung Jesu im Johannesevangelium nicht von der Ehre des Gottes Israels her interpretiert, die ganz und gar vom Ziel bestimmt ist, Israels Leben der kommenden Weltzeit in Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden zu erreichen. Zwar sieht er (116) in den beiden Bezeichnungen für „den Kreuzestod Jesu als ‚Erhöhtwerden‘ des Menschensohns (vgl. Joh 3,14)“ und als „Jesu ‚Verherrlichtwerden‘ (Joh 7,39; 8,54; 12,16.28; 21,19 u. ö.)“ durchaus eine Anspielung „auf die sogenannten Gottesknechtslieder des zweiten Jesaja (Jes 42-53), vor allem auf die Zeile: ‚Sieh, mein Diener wird Erfolg haben, er wird emporsteigen [Septuaginta: erhöht werden], wird hoch erhoben und sehr erhaben sein‘ (Jes 52,13)“, aber er zieht daraus nur sehr allgemein gehaltene Schlüsse, nämlich „dass der Gekreuzigte in eine Stellung höchster Würde eingesetzt wird“ und dass, wie Steiger <82> sagt, für „Johannes … Jesu Leiden und Sterben ein ‚Ins-Licht-Treten – nicht nur der Öffentlichkeit, sondern auch und vielmehr des himmlisch-göttlichen Lichts‘“ ist.

Zur „Szene nach dem Einzug Jesu (Joh 12,20-26)“ hebt Heymel zunächst unter Berufung auf Bruce Schein [156] hervor, dass sie „sich im Vorhof des Tempels“ ereignet, denn es werden nichtjüdische Griechen erwähnt, die „als Festpilger zum Passahfest nach Jerusalem“ kommen (116f.),

um im Vorhof des Tempels zu beten, der als Haus des Gebets allen Völker offen steht (Jes 56,7). Das Kommen von Menschen aus der Völkerwelt ist für Johannes theologisch bedeutsam: in den Kapiteln 10-12 wird immer wieder auf den Plan Gottes hingewiesen, die Heiden zu retten. Ihr Erscheinen im Tempelbezirk zeigt an (vgl. Joh 10,16), dass jetzt für Jesus die Zeit gekommen ist, sein Leben hinzugeben; aus prophetischer Sicht (Jes 2,2f.) ist es ein Signal der Endzeit.

Ganz so viele Hinweise sind es aber in Wirklichkeit nicht, die im Johannesevangelium auf eine generelle Völkermission hindeuten. Nicht einmal die einzige von Heymel angeführte Stelle 10,16 muss sich auf die Völkerwelt im Allgemeinen beziehen; näher liegt der unmittelbare Bezug auf die Sammlung der Samaritaner und allenfalls indirekt der Bezug auf die Befreiung der Welt als notwendige Voraussetzung für die Befreiung ganz Israels einschließlich der Samaritaner von der Weltordnung, die auf allen Völkern lastet. Im Übrigen weiß Heymel auch selbst, dass Johannes sich im Blick auf die „Griechen“ sehr zurückhaltend äußert:

Es wird nicht erzählt, ob die Griechen Jesus wirklich gesehen haben. Sie verschwinden spurlos aus der Szene. Berichtet wird nur, dass sie persönlichen Zugang zu Jesus suchen.

Aus dem Umstand, dass diese Griechen Jesus sehen wollen, zieht Heymel jedoch sehr weitreichende Schlüsse, die lediglich auf Vermutungen beruhen:

Das griechische Wort für „sehen“ heißt hier mehr als Jesus „in Augenschein nehmen“. Die Griechen wollen mit Jesus bekannt werden und von ihm glauben lernen. Sie suchen einen Zugang zum Leben, das er verspricht und das nur auf seinem Weg zugänglich ist (vgl. Joh 11,25f.; 14,6). Ihr Sehen zielt auf die Herrlichkeit, den einzigartigen Glanz Jesu (Joh 1,14; 11,40; 17,24), das heißt auf ein Sehen und Erkennen des Vaters im Sohn (Joh 12,45; 14,7).

Einschränkend muss Heymel allerdings zugeben, dass es nach Johannes für die Griechen keinen „direkten Zugang zu Jesus gibt“, vielmehr muss er „durch Apostel vermittelt werden, durch das Gespräch mit denen, die bereits mit Jesus auf dem Weg sind“. Und als Jesus dann über die Art seiner Verherrlichung spricht, „sein Sterben am Kreuz vor den Augen der Völkerwelt“, ist nach Heymel wiederum „nicht eindeutig, ob Jesus sich nur an die beiden Jünger wendet oder auch die Repräsentanten der nichtjüdischen Völker anspricht.“ Liest man Johannes nicht von vornherein mit dem Interesse, die von Paulus, Lukas und Matthäus propagierte Hinwendung zu den Völkern auch im vierten Evangelium wiederzufinden, dann springt regelrecht ins Auge, dass kein einziger „Heide“ erwähnt wird, dessen Vertrauen Jesus hervorhebt oder den er als seinen Schüler annimmt, geschweige denn, dass Jesus zu einer generellen Völkermission aufruft.

Trotzdem setzt Heymel voraus (118), dass Jesu Sendung „von Anfang an auf alle Menschen ausgerichtet ist (vgl. Joh 4,42; 7,35; 17,2)“ und dass in „der Stunde seiner Passion … auch den nichtjüdischen Menschen ein Zugang zum Leben und zur wahren Anbetung eröffnet“ wird. Das verallgemeinernde „den“ in der Formulierung „auch den nichtjüdischen Menschen“ trifft in meinen Augen für Johannes nicht zu; er schließt zwar nicht aus, dass nichtjüdische Menschen zu Israel hinzustoßen können, aber er hat keinesfalls gewollt, dass schon wenige Jahrzehnte später eine heidenchristlich dominierte Kirche kein Interesse mehr an den Hoffnungen Israels für sein Leben der kommenden Weltzeit auf dieser Erde unter dem Himmel Gottes haben würde.

Jesu „Bildwort vom Weizenkorn“ legt Heymel in derselben Richtung aus, dass „nur durch seinen Tod … alle Menschen das Leben gewinnen“ können. Dabei kommt mehr und mehr zum Vorschein, dass er das durch Jesus gewonnene Leben nicht im Sinne eines erfüllten Lebens auf dieser Erde in Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden versteht, sondern eher auf ein ewiges Leben im Himmel:

Dasselbe Gesetz gilt für seine Jünger. Auch sie müssen gleichsam durch den Tod hindurchgehen. Jesus gewinnt Menschen durch und für sein Sterben. Nur wenn sie an bzw. in ihm bleiben, werden sie viel Frucht bringen (vgl. Joh 15,1-8).

Wer Jesus kennenlernen will, muss dem Leben mit ihm den Vorzug geben. Er oder sie führt somit kein privates Leben mehr. Das Wort vom Leben spricht von zwei Haltungen, die sich gegenseitig ausschließen: Man kann das eigene Leben (psychē) nicht zugleich lieben und hassen. Es weist damit auf den johanneischen Gegensatz zwischen dem Leben dieser Welt und dem wahren, ewigen Leben (zoē) bei Gott.

Was meint Heymel konkret, wenn ihm zufolge die Nachfolge Jesu eine „privates Leben“ ausschließt? Wer sein Leben, also das „Leben dieser Welt“, liebt, also wer sein „Leben für sich haben, Leiden und Selbsthingabe um jeden Preis vermeiden“ will, dessen Leben bleibt fruchtlos, er bleibt allein. Wer sich aber (119)

mit Jesus verbunden weiß als Frucht seines Sterbens, hört auf, sein Leben als etwas ihm allein Gehöriges zu lieben. Denn der Glaubende hat bei Jesus einen Ort außerhalb „dieser Welt“ gefunden. Er hängt nicht mehr von der Sphäre des Bösen ab. Darum kann er sein Leben als Objekt dieser Welt „hassen“, d. h. sich selbst transzendieren. Er will nichts mehr mit ihm gemein haben. So kann jemand sein Leben von Grund auf neu als Gottes Gabe im Zusammenhang mit dem göttlichen, alle Grenzen überschreitenden Leben wahrnehmen und bewahren.

Damit ruft Jesus „nicht zum Selbsthass auf“, sondern er würdigt „das Leben in seiner ganzen Fülle …, die auch das Leid umfasst“. Der folgende Vers 26 mit seinem „Wort vom Dienen präzisiert, was passiert, wenn man Jesus kennenlernen und Anteil an dem Leben gewinnen will, das er verspricht“ (119f.):

Wer nachfolgt, wird auch bereit sein, in den Tod zu gehen, also sein Leben hinzugeben, doch wird er auch durch den Tod das Ziel erreichen: im Raum Jesu, im Haus des Vaters (vgl. Joh 14,2f.) zu sein.

Obwohl also Heymel über Jesu Verwurzelung in den jüdischen Schriften Bescheid weiß, begreift er Jesu Wort über das ewige Leben nicht von den Verheißungen diesseitigen Lebens für Israel her. Und diese Welt versteht er allgemein als „Sphäre des Bösen“ statt konkret als gegenwärtige von Gewalt und Unterdrückung bestimmte römische Weltordnung, die Jesus überwinden will, was er in seiner Auslegung der folgenden Rede Jesu (Johannes 12,27-36) nochmals unterstreicht:

Die Stunde der Verherrlichung ist da, das wiederholte „Jetzt“ unterstreicht die kosmische Bedeutung dieses Ereignisses: Über diese Welt ergeht das Gericht, und der „Herrscher dieser Welt“, der Satan, wird entmachtet.

Indem Heymel verkennt, dass dieser Satan im Johannesevangelium als innerweltliche Verkörperung der absoluten Gegnerschaft zum befreienden Gott Israels, nämlich des römischen Kaisers, verstanden werden muss und dass Jesus als der Messias des Gottes Israels vor allem anderen die Befreiung Israels aus dem weltweiten römischen Sklavenhaus im Sinne hat, liegt das Missverständnis nahe, als ob Jesus durch seinen Tod am Kreuz einen ganz neuen Weg der Befreiung von Sünde und Schuld eröffnet, der an die Stelle der Vergebung durch den Gott Israels tritt. Demgegenüber würden alle, die nicht an Jesus glauben können oder wollen, unter der Herrschaft des Satans bleiben und müssten die ewige Verdammnis fürchten. Heymel spricht diese Schlussfolgerungen, die aus seinen Ausführungen gefolgert werden können, nicht offen aus, aber es hat seit dem 2. Jahrhundert unzählige Christen gegeben, die das Johannesevangelium in genau diesem Sinne antijüdisch ausgelegt haben. <83>

4.12 Jesu Abschied von den Seinen (Joh 13-17)

Die Kapitel 13 bis 17 des Johannesevangeliums umfassen die so genannten Abschiedsreden Jesu und ein Gebet Jesu zum Vater. Statt (120) „in der Öffentlichkeit“ zu wirken, „unterweist“ er in der Nacht vor seinem Tod „seine Jünger“. Unter Berufung (121) auf Thyen [584] geht Heymel davon aus, dass der „Jüngerkreis um Jesus … die Seinen überhaupt“ repräsentiert, „das heißt weit über die Juden hinaus alle Menschen“. Wenn damit aber zugleich Israel und seine Befreiung völlig aus dem Blick gerät, sondern an die Stelle der prophetischen Verheißungen einer kommenden Weltzeit auf Erden die Hoffnung auf Erlösung im Himmel tritt, die nur noch für Anhänger Jesu reserviert ist, wird das Anliegen des Evangelisten ins Gegenteil verkehrt. Hat Johannes solche Gefahren möglicherweise schon geahnt und deswegen nur mit außerordentlicher Zurückhaltung von „einigen Griechen“ gesprochen, die Jesus „sehen“ wollen, von denen aber kein einziger zum Kreis seiner Schüler hinzuberufen wird?

4.12.1 Die Fußwaschung (Joh 13)

Dass Jesus (121) seinen Schülern die Füße wäscht, einen Dienst, „der selbst einem jüdischen Sklaven nicht zugemutet wurde“, interpretiert Heymel „als Zeichen seiner Lebenshingabe“. Dabei stehen, wie Anselm Grün [§47] sagt,

die Füße … für den ganzen Menschen, „für unsere Beziehung zur Welt“, sodass die Fußwaschung einem reinigenden Vollbad gleichkommt. Wer sich schämt, diesen Dienst Jesu an sich geschehen zu lassen, schließt sich aus der Gemeinschaft mit ihm aus.

Aus der Reaktion des Petrus geht hervor, „dass die Empfänger der Fußwaschung unwissende Schüler sind, die die grenzenlose Liebe, die Jesus ihnen erweist, nicht begreifen.“

Darüber hinaus (123) gibt Jesus nach seinem Gespräch mit Petrus noch eine weitere Deutung der Fußwaschung, nämlich dass sein Beispiel „ein Vorbild für sie sein“ soll. Nach Thyen [592] hat er durch „sein Verhalten als ihr Herr und Meister … ‚die gesamte Weltordnung von Herrschaft und Knechtschaft … außer Kraft“ gesetzt. Daraus folgert Heymel mit Schroer und Staubli <84> die Bereitschaft zur „ständige[n] Aufhebung der Rangordnungen“, ohne allerdings konkret zu sagen, was damit gemeint sein soll: Eine grundsätzliche Wertschätzung jedes Menschen unabhängig von seinem sozialen Rang, der gleichwohl bestehen bleibt? Eine Aufhebung jeder Rangordnung, also auch jeden Gefälles zwischen Lehrer und Schülerin, Chefin und Mitarbeiter? Oder die Aufhebung jedes Zwangs zum Sklavendienst durch den freiwilligen Sklavendienst für andere? Indem Heymel unter Berufung auf Sanford <85> und Grün [548f.] die Vorbildfunktion Jesu auch darauf bezieht, „die Brüder und Schwestern da zu berühren, wo sie sich schmutzig machen und verwundbar sind, sodass sie sich selbst annehmen und rein und lauter fühlen können“, engt er den Blickwinkel einseitig auf den Bereich persönlicher mitmenschlicher Beziehungen ein und verliert das Zeil der Überwindung versklavender Strukturen bis hin zur gesamten Weltordnung aus den Augen.

Ebenso unklar drückt sich Heymel über das neue Gebot aus (124), mit dem „Jesus seine Jünger in besonderer Weise füreinander verantwortlich“ macht, nachdem „Judas in die Nacht hinausgegangen ist, der Mann, von dem nur Jesus und sein Lieblingsjünger wissen, dass er der Verräter ist (vgl. Joh 13,28f)“:

„Ein neues Gebot gebe ich euch: dass ihr einander liebt. Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben. Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: Wenn ihr bei euch der Liebe Raum gebt“ (Joh 13,34f.). Nicht der Imperativ der Liebe ist neu (vgl. Lev 19,18), sondern seine Prägung durch Jesus: Die Jünger sollen einander lieben, so wie er sie geliebt hat.

Heymel bleibt die Erläuterung schuldig, wie dieses „wie er sie geliebt hat“ zu verstehen ist, ja, es fehlt überhaupt die Definition einer Liebe, die man gebieten kann. Ist Liebe von Jesu freiwilligem Sklavendienst für seine Schüler her zu begreifen, dann ist Liebe das Gebot solidarischen Füreinandereinstehens, das alle menschlichen Herrschaftsstrukturen von den persönlichen bis zu den gesellschaftlichen und globalen zu unterwandern und zu überwinden in der Lage ist.

4.12.2 Abschiedsreden (Joh 14-16)

Bereits in Kapitel 13 werden von Jesus (124), so Heymel unter Berufung auf Söding [86], „drei Themen“ angesprochen,

die in den folgenden Kapiteln durchgespielt und variiert werden: a) die Verherrlichung Jesu und des Vaters (Joh 13,31f); b) der Weg Jesu und seiner Jünger (Joh 13,33); c) die Liebe (Joh 13,34). „Alle drei Themen sind innerlich verknüpft“.

Die „Komposition“ der Abschiedsreden in den Kapiteln 14 bis 16 versteht Heymel dementsprechend (125) in „literarischer Hinsicht“

als „Fortschreibung“ des Grundtexts (Joh 13,31-35) …, wie sie auch in den alttestamentlichen Prophetenbüchern (z.B. Jesaja) erfolgte. Der Grundtext wäre dann jeweils neu durch kreative, aktualisierende Lektüre (relecture) erweitert worden.

Die „innere Logik der Abschiedsreden“ beschreibt Heymel „aus der Situation des Abschieds als seelsorgliche Trostreden Jesu …, der seine Jünger durch die Erfahrung der Angst hindurchführt, sodass sie im Glauben frei werden und selber hindurchgehen können.“ In diesen Trostreden sind ihm zufolge vier „Aspekte“ hervorzuheben.

Als ersten nennt er eine „Trauerarbeit mithilfe des Geistes“, die er in Analogie zu den psychoanalytischen Schritten „Erinnern, Wiederholen, Durcharbeiten“ nach Sigmund Freud begreift, „damit der Verlust realisiert und eine Neuorientierung möglich wird“. Dazu „muss der Lehrer und Seelsorger Jesus lange im Abschied verharren“ und, wie Steiger <86> sagt, „[i]mmer neu zurückgehen“, (126) „um jeden neuen Jünger zu trösten und aufzuklären mithilfe des Geistes, der der Geist des Lebens ist“.

Zweitens hinterlässt Jesus seinen Jüngern, die „angesichts seines Weggehens zutiefst erschrocken und ratlos sind“, seinen „Geist als Fürsprecher“ und „Geist der Wahrheit“, der „in ihnen sein“ wird. Obwohl allerdings dieser Geist „sie an alles erinnern“ wird, „was der Lehrer gesagt hat (Joh 14,25)“, meint Heymel mit einem Zitat von Steiger [1978, 239f.] aus Johannes 16,13 auch folgern zu können:

„Dieser Geist erinnert nicht nur an Früheres, sondern sagt, was heute und morgen im Sinne des Lehrers ist. Der Lehrer lässt sich vertreten durch einen Referendar, der klug ist und liebenswert wie er selbst. In alle Wahrheit wird er die Schüler führen – doch so, dass sie selbst alles aus sich erfahren und können. Schüler, die sich selbst belehren (Joh 16,13)“.

So wichtig freilich das Zuhören im seelsorgerlichen Gespräch einzuschätzen ist, darf die Aussage Jesu über den Geist, dass er nicht aus sich selber reden wird, sondern nur redet, was er hört, doch keineswegs auf eine Selbstbelehrung der Schüler bezogen werden, vielmehr hört nach Ton Veerkamp <87> die Inspiration, wie er den Geist nennt, nur auf den Gott Israels, dessen Treue im Messias Jesus Gestalt annimmt:

Die Inspiration lässt die Schüler nur das reden, was sie, die Inspiration, selber hört: nämlich die Treue Gottes zu Israel, und diese Treue nimmt, so Johannes, endgültig Gestalt im Messias Jeschua an. VATER, Messias, Inspiration der Treue, das ist eine unverbrüchliche Einheit. Hier, und nur hier, liegt die Wurzel dessen, was das Christentum Trinität nennen wird.

Folgendermaßen beschreibt Heymel den dritten Aspekt der Trostreden (127):

Universale Liebe: Johannes gilt seit je als der „Liebesapostel“, weil er wie kein anderer Evangelist von der Liebe zu reden weiß. Nirgendwo wird deren Bedeutung so klar wie in Jesu Gebot der wechselseitigen Liebe seiner Schüler (Joh 13,34f.), die sich zur universalen Liebe weitet (Joh 17,21f.). Sie wurzelt im „Urverhältnis der innergöttlichen Liebe“ <88> zwischen Vater und Sohn (Joh 17, 24), die sich in der Lebenshingabe für die Freunde ausdrückt (Joh 15,12-15), und ist auf ein freundschaftliches und liebendes Miteinander ausgerichtet.

Aber ist im Johannesevangelium wirklich so einfach zu verstehen, was hier mit Liebe und Freundschaft gemeint ist? Heymel verzichtet auf jede Definition von Liebe, jede Klärung, ob mit Liebe ein Gefühl gemeint ist oder eine Handlung gefordert wird.

In Jesu „Auslegung seiner Rede vom Weinstock (Joh 15,9-17)“ versteht Heymel das „Gebot: ‚Bleibt in meiner Liebe!‘ (Joh 15,9)“ nicht als (127f.)

allgemeine[n] Appell, liebevoll miteinander umzugehen, sondern [als] eine Zusage: Meine Liebe zu euch bleibt euch erhalten. Im Raum dieser Liebe zu bleiben, ist ein sinnfälliges Bild dafür, dass jemand wirklich liebt. Auf das Verhältnis der Jünger zueinander bezogen ist es Jesu erklärter Wille: „dass ihr einander liebt, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15,12). Die Liebe untereinander wird ja zuvor als das Kennzeichen eingeführt, an dem alle erkennen, wer Jesu Jünger sind (vgl. Joh 13,34f.). Das Bleiben in seiner Liebe setzt voraus, dass sie in seinem Wort bleiben (Joh 8,31) und in ihm bleiben (Joh 15,5). Alles Lieben verdankt sich also ihm, dem wahren Weinstock.

Auch hier bleibt immer noch offen, was mit dem Bild des Weinstocks und dem Bleiben in Jesus, in seinem Wort, in seiner Liebe, konkret gemeint ist. Und selbst im folgenden Abschnitt (128), in dem Heymel das Bleiben in der Liebe Jesu näher zu erläutern versucht, tut er dies im Rückgriff auf die Gebote, den Willen und die Liebe des Vaters, die ihrerseits nicht näher bestimmt werden, und im Blick auf die Freude Jesu und seiner Jünger, die sich in tätiger Liebe erfüllt – womit sich seine Argumentation im Kreise dreht:

In der Liebe Jesu bleibt, wer seine Gebote hält. Dieses praktische Liebesverhältnis entspricht dem Verhältnis des Sohnes zum Vater: Auch der Sohn bleibt nur als Liebender, der den Willen des Vaters tut, in der Liebe des Vaters (vgl. Joh 4,34). Er will, dass seine Freude in den Seinen bleibt. Was kann seine Freude anderes sein als das Verhältnis zum Vater, das in der Freude gelebt wird (vgl. Ps 16,11; 33,21; 73,28 u. ö.)? Aus der Erfahrung der unbedingten Liebe des Vaters kommt die Freude, mit der Jesus die Seinen durch seine Liebe in Berührung bringt. Die Freude der Jünger soll sich darin erfüllen, dass sie als Liebende in der Liebe tätig bleiben, die den Sohn mit dem Vater verbindet. Seine Liebe zu ihnen im Verhältnis zueinander widerzuspiegeln, das ist die vollkommene Freude der Jünger. Dies entspricht genau dem Ziel der Sendung Jesu: Die Liebe, mit der Gott ihn liebt, soll in den Jüngern sein (Joh 17,26).

Vielleicht tue ich Heymel unrecht, denn er teilt ja lediglich eine Sichtweise, die unserem landläufigen christlichen Verständnis von Liebe entspricht. Dennoch muss die Frage gestellt werden, ob bereits der jüdische Messianist Johannes die Liebe Jesu so allgemein und universal verstanden hat oder ob nicht der Wille des Gottes Israels zunächst auf die Befreiung und das Leben des Volkes Israel gerichtet ist. Dieses Volk Israel lebt zwar inmitten der Völker und kann nur befreit werden, wenn die ganze Menschenwelt von der Weltordnung befreit wird, die auf ihr lastet, aber ohne die Fokussierung auf Israel läuft die Johannesauslegung Gefahr, auch die Konzentration der Verheißungen Israels auf die kommende Weltzeit des Friedens auf Erden aus dem Blick zu verlieren.

Abgesehen davon enthalten Heymels Ausführungen einen Widerspruch. Einerseits spricht er von der „unbedingten Liebe des Vaters“, andererseits davon, dass nur derjenige in der „Liebe Jesu“ oder „des Vaters“ bleibt, der dessen „Gebote hält“ bzw. „den Willen des Vaters tut“. Ton Veerkamp <89> deutet diesen Widerspruch in seiner Auslegung von Johannes 15,16a und 19b, in denen es um die Erwählung der Schüler durch Jesus geht, indem er zwischen Gottes Liebe im Sinne einer Erwählung einerseits und dem zwischen Gott und seinem Volk geschlossenen Bund im Sinne einer vertraglichen Verpflichtung andererseits unterscheidet:

In der Schrift ist der Erwählte Israel, bechiri, „mein Erwählter“, Jesaja 43,20; 45,4; 65,15 usw. Gehäuft kommt das Verb „erwählen“, bachar, im Deuteronomium und im Buch Jesaja (vor allem Jesaja 40-66) vor. Beide Bücher zielen auf einen unverhofften Neuanfang, Jesaja 43,22; 44,1:

Und nicht hast du nach mir gerufen, Jakob,
hättest du dich bemüht um mich, Israel?

Jetzt aber höre, Jakob, mein Knecht,
Israel: ich erwähle es!

Oder Deuteronomium 7,7-8:

Nicht weil ihr mehr seid als alle Völker
hat sich der NAME an euch gehangen,
hat er euch erwählt;
denn ihr seid das geringste aller Völker.
Nein, weil er euch liebte …

Die Erwählung ist ein souveräner Akt, wie die Liebe, es gibt keine Rechtsansprüche und keine rationalen Gründe. Liebe begründet man nicht. Deswegen ist hier mit „lieben“ zu übersetzen. Erst als er „einen Bund geschlossen hatte mit seinem Erwählten“ (Psalm 89,4), gibt es Rechtstitel.

Die Erwählung der Schüler erzählt Johannes in 1,37-51. Vor allem Nathanael macht das klar. Er hat nicht nach dem Messias gerufen, sich nicht um einen Messias bemüht, vielmehr könne, so sagt er, aus Nazareth nichts Gutes kommen. Er sieht und er hört, was er gar nicht erwartete. Eine vollständig neue politische Perspektive kann einen Menschen vollständig aus dem Gang der Dinge herausreißen, er kann von heute auf morgen ein völlig anderes Leben beginnen, „aus der Weltordnung herausgewählt werden“ – die Formulierung des Johannes ist also sehr genau.

Heymel geht ebenfalls auf die Erwählung durch Jesus in Johannes 15,16 ein, und zwar (128), indem er als vierten Aspekt der Trostreden die „Freundschaft mit Jesus“ hervorhebt:

Nach Johannes macht Jesus mit den Jüngern alle, die seine Worte durch das Evangelium lesen und hören, zu seinen Vertrauten. Er weiht uns ein in das Geheimnis der neuen Beziehung Gottes zu den Menschen, die durch ihn Wirklichkeit geworden ist: „Ihr seid meine Freunde“ (Joh 15,14a). Seinen Freunden vertraut er an, was er tut; sie sind frei, keine Sklaven, die ihrem Herrn gehorchen müssen, ohne ihn zu verstehen (Joh 15,14f.). Er offenbart ihnen alles, was er von seinem Vater gehört hat. Diese Freundschaft ist weder auf eine bestimmte (kirchliche) Gruppe begrenzt, noch durch andere herstellbar.

Nach Heymel (129) ist es

ein christologischer Satz, der das Für-uns-Sein Jesu Christi umschreibt: Jesus lässt sein Leben für uns, also „sind“ wir Freunde, sind es geworden. Seine Jünger sind Freunde geworden, weil er sie dazu bestimmt hat: „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“ (Joh 15,16).

Ohne diese Zusage hängt das Liebesgebot in der Luft. Sie begründet, was es heißt, zu Jesus Christus zu gehören. Es heißt: erwählt sein, befreit sein aus sklavischer Angst und Isoliertheit, in der man die Wahrheit verunstaltet (vgl. Joh 8,32-36), und dazu berufen sein, hinzugehen und Frucht zu bringen. In gegenseitiger Liebe realisieren die Glaubenden, dass sie Freundinnen und Freunde Jesu Christi sind. Sie werden kenntlich als Kirche, als seine Gemeinde, wo sie betend und handelnd in seiner Liebe bleiben. Er zieht sie ins Vertrauen, damit sie, inspiriert von seinen Worten, mehr und mehr von jener Liebe bewegt werden, mit der der Vater den Sohn und im Sohn die Welt liebt (vgl. Joh 3,16; 1Joh 4,9f.).

Hier ist Heymel ganz der christliche Theologe, der trotz aller Erkenntnisse des Rückbezugs des Johannesevangeliums auf die jüdischen Schriften genau weiß, dass sich das Liebesgebot Jesu in der christlichen Kirche verwirklichen soll. Jesus stirbt für „uns“, dadurch werden „wir“ seine Freunde. Aber was ist mit denjenigen, die nicht an Jesus glauben wollen wie wir, etwa die Juden? Schließen sie sich selber aus von seiner Liebe, bleiben sie in sklavischer Angst und Isoliertheit befangen, verunstalten sie die Wahrheit?

Abschließend zu Heymels Auslegung der Abschiedsreden Jesu werfe ich noch einen kurzen Blick auf einen beiläufig von ihm geäußerten Satz (126):

Jesus spricht davon, dass er den Jüngern in seinem Vaterhaus ihre Stätte (topos) bereitet, um sie dann zu sich zu nehmen.

Damit setzt Heymel ganz selbstverständlich voraus, dass der Ort, den Jesus für die Seinen gründen will, jenseits dieser Erde und dieses Lebens im Himmel zu suchen ist. Aber im Johannesevangelium wird an keiner Stelle ein Blick in den Himmel geworfen und „nirgends ist bei ihm der Himmel eine Perspektive für Menschen“. <90> Stattdessen spricht Jesus (Johannes 14,23) davon, dass sich umgekehrt der Vater und er gemeinsam bei denen, die mit ihnen in Liebe verbunden sind, einen Ort von Dauer machen wird. Dazu schreibt Ton Veerkamp: <91>

Hier wird die Ankündigung von 14,2 präzisiert, und es wird endgültig klar, dass es sich nicht um eine „Wohnung im Himmel“ handelt. Die Richtung ist, wenn man will, von oben nach unten und nicht von unten nach oben. Wir kommen nicht in den Himmel; wenn überhaupt kommt der Himmel zu uns.

4.12.3 Das Abschiedsgebet (Joh 17)

Seine Auslegung des Abschiedsgebetes Jesu (129) beginnt Heymel mit dem Satz:

Leitworte sind verherrlichen (doxázein) und Herrlichkeit (doxa), womit der Lichtglanz, die vollkommene Klarheit und Heilskraft Gottes bezeichnet wird, mithin das, was die Göttlichkeit Gottes ausmacht.

Und zum wiederholten Male muss darauf hingewiesen werden, dass Gottes Herrlichkeit oder Ehre missverstanden wird, wenn sie nicht von der hebräischen kavod her begriffen wird, also von der Wucht seiner befreienden Macht her, die Israels Leben der kommenden Weltzeit in Recht und Frieden anbrechen lässt.

Heymel dagegen beschränkt sich auf allgemeine, abstrakte Beschreibungen von Gottes Herrlichkeit und Göttlichkeit, an der Jesus teilhaben will (129f.):

Er, der als der Sohn im Anfang bei Gott war (Joh 1,1) und in seinem Leben auf Erden den Vater verherrlicht hat (Joh 17,4), bittet darum, dass der Vater nun ihn verherrliche (Joh 17,15). Jesus will also an Gott teilhaben, er will ganz von seinem Wesen durchdrungen und bestimmt sein. Sein Weg vollendet sich darin, dass er in die anfängliche Nähe zu Gott zurückkehrt. Er will aber auch alle, die an ihn glauben, an der ihm verliehenen Herrlichkeit teilhaben lassen. Sie sollen seine Herrlichkeit „schauen“. Sein Gebet zielt darauf, „dass diese Verherrlichung Gottes im Kreise seiner Jünger durch Gott bestätigt und vollendet werde, indem der Vater die Glaubenden, die auf Erden bleiben, in die Herrlichkeit des Sohnes mit einbezieht“. <92>

Im Gebet (130) tritt Jesus Heymel zufolge „vor dem Vater für seine Jünger ein, aber er betet nicht nur für die anwesende Jüngergemeinde, sondern auch für die, die nach seinem Weggang, vermittelt durch das Zeugnis (Wort) seiner Jünger, an ihn glauben werden (Joh 17,20f.).“ Dazu betont er, dass diese Bitte keineswegs nur, wie Thyen [698] meint, „die Christen aller zukünftigen Generationen“ einschließt, sondern „noch umfassender ökumenisch verstanden werden“ muss. Was Heymel damit meint, bleibt offen. Meint er über das Christentum hinaus anonym auf Jesus Vertrauende, die anderen Religionen angehören oder sogar religionslos leben? Widerspricht dem aber nicht, dass Jesus die „Einheit der Gemeinde“ will, die „auf seinem Einssein mit dem Vater“ gründet, und dass (131) nur die an Jesus Glaubenden „hineingenommen“ sind „in die Lebenseinheit des Sohns mit dem Vater“?

Noch einmal kommt Heymel auf die Herrlichkeit Jesu zu sprechen, indem nämlich „Jesus … den Glaubenden (‚ihnen‘), das heißt allen, die zu ihm kommen, seine Herrlichkeit (Joh 17,22f.)“ gibt (131f.):

Er macht sie schön, indem er das zerstörte Bild Gottes in ihnen wiederherstellt. Das setzt voraus, dass alle mit dem Heiligen Geist begabt werden (Joh 14,16f.26). Geleitet vom Geist, sollen sie zur vollkommenen Einheit gelangen. Hier ist keine Rede davon, dass die Einheit der Gemeinde durch Organisationen, Institutionen und Dogmen hergestellt werden könnte. Sie hat allein in der Verbundenheit Jesu mit dem Vater ihren Grund. Die Gemeinde ist aber, wie Thyen [700] gegenüber Bultmann meines Erachtens zu Recht betont, zum Zeugnis vor der Welt berufen. An ihrer „sichtbaren Praxis der Liebe zueinander soll … jeder erkennen, dass sie Jesu Jünger sind (13,54f.)“.

So schön das klingt, bleiben Heymels Ausführungen auch hier abstrakt. Was meint er konkret mit der Wiederherstellung des zerstörten Bildes Gottes in den an Jesus Glaubenden? Wer ist mit der Welt gemeint und wie sieht konkret ihr gegenüber die „Praxis der Liebe“ als das Zeugnis der Gemeinde aus?

Nicht nachvollziehbar sind für mich Heymels folgende Schlussfolgerungen, die er aus dem Abschiedsgebet Jesu zieht (132):

Jesus will seinen ganzen „Anhang“, den er sich erworben hat, dem Vater mitbringen. Er sehnt sich danach, aus dieser Welt zum Vater zu gehen. Wie an keiner anderen Stelle der Evangelien erklärt er hier „seinen königlichen Willen“, <93> uns zum letzten Ziel zu bringen, wo wir seine Herrlichkeit „schauen“, in jene Sphäre des Erhöhten zur Rechten des Vaters, wo alle Glaubenden in einer geistigen Schau von Angesicht zu Angesicht erfahren, wer er in Wahrheit ist (vgl. Joh 1,14; 4,19): der ewig geliebte Sohn des Vaters.

In meinen Augen geht aus dem Johannesevangelium nicht zwingend hervor, dass Jesus sich nach seinem ewigen Leben im Himmel sehnt. Ja, er will aus dieser Welt heraus, und zwar in dem Sinne, dass er dazu angetreten ist, die Gewaltordnung dieser gegenwärtigen Weltzeit zu überwinden. Und, ja, er will zum Vater aufsteigen, und zwar in dem Sinne, dass er mit seinem Tod am Kreuz den Geist der Treue und Liebe Gottes seinen Schülerinnen und Schülern übergibt (Johannes 19,30 und 20,22), so dass sie in der Praxis ihrer Liebe den Anbruch der kommenden Weltzeit tätig erwarten. Seine Sehnsucht gilt also nicht einem ruhigen, seligen Leben bei Gott im Jenseits, sondern der Verwirklichung einer Welt der Freiheit und des Rechts für Israel auf der Erde unter dem Himmel inmitten ebenfalls befreiter Völker!

Abschließend bekräftigt Jesus in seinem Gebet, „dass er den Vater kennt, den die Welt nicht kennt.“ Dazu meint Heymel (132f.):

Im Alten Testament bezeichnet „erkennen“ auch das Einswerden von Mann und Frau (vgl. Gen 4,1.17). Insofern spricht Jesus im Gebet aus einer intimen Beziehung zum Vater und nimmt die Seinen in diese Liebesbeziehung des Vaters und des Sohnes hinein.

Wenn Heymel damit auf die messianische Hochzeit als Bild für den wiederhergestellten Bund des befreienden Gottes mit Israel in der kommenden Weltzeit anspielen wollte, ginge seine Auslegung in die richtige Richtung. Er fährt fort (133):

Die Gemeinde der Glaubenden, die Jesus als den Gesandten erkannt hat, kennt durch ihn den Namen, mit dem Gott sich offenbart hat: „Ich bin da“ (Ex 3,14 nach Martin Buber). Sie erhält auf diese Weise jetzt schon das ewige Leben, das in der Erkenntnis des Vaters als des einzig wahren Gottes und dessen, den er gesandt hat, besteht.

Hier drückt sich Heymel sehr missverständlich aus. Es ist doch nicht so, dass die Gemeinde der auf Jesus Vertrauenden erst durch Jesus den befreienden Gottesnamen kennt. Wie Heymel selbst sagt, wurde dieser NAME bereits Mose nach 2. Mose 3,14 offenbart. Umgekehrt wird ein Schuh draus – die Art, in der Jesus der Gesandte Gottes ist, der Messias bzw. Christus, muss von diesem befreienden NAMEN her verstanden werden. Unter den Bedingungen der weltweiten Versklavung unter die römische Weltordnung verkörpert sich die befreiende Macht des Gottes Israels in seinem Sohn und Messias Jesus, der die versklavende Weltordnung überwindet und das Leben der kommenden Weltzeit des Friedens auf Erden anbrechen lässt.

4.13 Szenen der Passion (Joh 18-19)

Nach Michael Heymel (133) ist das Johannesevangelium „prinzipiell und durchgängig“ von der Passion Jesu bestimmt, was er mit einem Zitat von Söding [97] so auf den Punkt bringt (133f.):

„Das ganze Johannesevangelium steht im Zeichen des Prozesses“. Das gilt in doppeltem Sinn, von Gott und von der Welt her betrachtet. Gott konfrontiert die Welt mit seiner und ihrer Wahrheit. Er führt sie in die Krise durch den, dem er „das Richten übergeben“ hat (Joh 5,22.27). Jesus, der in Person die Wahrheit verkörpert (Joh 14,6), konfrontiert die Welt mit der Realität des Bösen (Joh 3,19ff.). Das Gericht, das er in Gottes Namen vollzieht, dient dazu, die Welt zu retten, nicht sie zu verurteilen (Joh 3,17). In diesem Prozess Gottes dreht sich alles darum, dass der „Herrscher dieser Welt hinausgeworfen“ wird (Joh 12,31). Der Paraklet deckt auf, was für ein Gericht Jesus auf der Welt gehalten hat (Joh 16,8-11).

Wieder definiert Heymel nicht, was er mit „Welt“ meint. Er scheint sich allgemein auf die Menschenwelt zu beziehen (134), die Jesus von „der Realität des Bösen“ befreien bzw. vor dem Teufel als dem „Herrscher dieser Welt“ retten will. Als konkrete Vertreter dieser Welt benennt er sodann an erster Stelle die „religiösen Autoritäten“, insbesondere die „Hohenpriester“, während er Pilatus lediglich als „willigen Vollstrecker“ deren Willens bezeichnet:

Die Welt ihrerseits macht Jesus den Prozess. Die religiösen Autoritäten wollen ihn beseitigen und benutzen dafür Pilatus als willigen Vollstrecker. Wie Johannes zeigt, stößt Jesus von Anfang an auf Kritik, weil er frei und offen von seiner Beziehung zu Gott spricht, weil er als „Gesandter“ Gottes auftritt, und weil seine Gegner ablehnen, wie er sich auf Gott beruft. Aus der Sicht des Johannes ist es Jesu Erhöhung am Kreuz, die den Teufel vertreibt (Joh 12,28): Das scheinbar triumphierende Böse wird im Tod Jesu besiegt. Die Hohenpriester betreiben die Hinrichtung Jesu, weil sie etwas „für das Volk“ (Joh 11,50) tun wollen – eine unfreiwillige Prophetie, denn Jesu Lebenshingabe bringt wirklich, über Israel hinaus, das Heil (Joh 11,51f.).

Zwar spricht Heymel es nicht aus, aber indem ihm zufolge die Jesus feindlich gegenüberstehende Welt in erster Linie aus Juden besteht und Jesus ein „Heil“ bringt, das „über Israel hinaus“ wirkt, kann sehr leicht vollkommen aus dem Blick geraten, dass sōtēria nach Johannes kein jenseitig zu verstehendes Seelenheil meint, sondern die Befreiung Israels inmitten der Völker von der Weltordnung, die auf allen lastet. Zudem wird verkannt, dass Pilatus nicht einfach Handlanger böser Juden ist, sondern dass er die satanische Macht der römischen Weltordnung verkörpert, in deren Dienst sich die religiösen Autoritäten gestellt haben, die keinen König anerkennen außer dem Kaiser (Johannes 19,15). Solche Überlegungen spielen für Heymel keine Rolle; er interessiert sich mehr dafür, dass der „Prozess vor Pilatus … historisch plausibler“ dargestellt ist als in den synoptischen Evangelien.

4.13.1 Die Gefangennahme Jesu (Joh 18,21-11)

Zur von Johannes (135) „auf seine Weise“ dargestellten „Getsemani-Szene …, ohne den Ort so zu bezeichnen“, hebt Heymel hervor, dass „eine ganze Kohorte von 600 Soldaten oder eine kleinere Einheit von 200 Mann für die Festnahme eines Einzelnen aufmarschierte, … kaum anzunehmen“ ist: „Johannes übertreibt, um zu betonen, dass der Herrscher der Welt mit ‚seinen irdischen Repräsentanten keine Macht über Jesus hat‘ [Thyen 708].“ Wieder zieht er nicht in Erwägung, dass de Evangelist mit dem „Herrscher der Welt“ den durchaus irdischen Kaiser Roms als den vergöttlichten Widersacher des befreienden Gottes Israels meinen könnte und nicht eine überweltlich dämonisch-teuflische Macht, die in der Art eines zweiten bösen Gottes neben dem einen Gott vorzustellen wäre.

4.13.2 Das Verhör bei Hannas und Kajafas und die Verleugnung durch Petrus (Joh 18,12-27)

Die Überschrift dieses Abschnitts könnte den falschen Eindruck erwecken, Johannes schildere Verhöre vor zwei Hohenpriestern. Er erzählt aber kein einziges Wort eines Verhörs durch Kaiphas. Heymels Bemerkung (135f.): „Obwohl Hannas bereits abgesetzt war, hatte er offenbar noch großen Einfluss“, klingt so, als ob er die von den synoptischen Evangelien abweichende Darstellung historisch plausibel findet. An historischer Genauigkeit ist Johannes aber sicher weniger interessiert als daran, durch die Erwähnung der als korrupt geltenden Priesterfamilie des Hannas <94> auf die in seinen Augen verwerfliche Kollaboration der Führung Judäas mit der römischen Besatzungsmacht anzuspielen.

Zur Verleugnung des Petrus (136) betont Heymel, dass „sein: ‚Ich bin es nicht‘ (Joh 18,17.25) in deutlichem Kontrast zu Jesu ‚Ich bin es‘“ bei seiner Verhaftung steht.

4.13.3 Jesus vor Pilatus (Joh 18,28-19,16a)

Zum Prozess vor Pilatus (136) schreibt Heymel, dass „Diener der Pharisäer und Oberpriester, Vertreter der jüdischen Religionsbehörde, … Jesus zum Amtssitz des römischen Statthalters“ führen, ohne zu erwähnen, dass das Wort „Pharisäer“ zum letzten Mal in Johannes 18,3 verwendet wird und dass die Pharisäer selbst in der gesamten Passionserzählung des Johannes überhaupt nicht auftauchen. Anscheinend sieht Johannes die Pharisäer zwar als erbitterte Gegner des messianischen Anspruchs Jesu, aber die Verantwortung für seine Kreuzigung lastet er ihnen nicht an.

Heymel differenziert nicht so genau zwischen Pharisäern und Oberpriestern. Es sind die „führenden Vertreter der Juden“, die „nur die religiösen Regeln“ beachten und nicht am „Recht ihres Gefangenen interessiert“ sind (136f.):

Ihr Urteil über Jesus steht schon fest. Auf die Frage, welche Anklage eigentlich erhoben wird, antworten sie nicht. Sie wissen, dass sie kein Recht haben, ihn zu töten. Das soll Pilatus ihnen abnehmen. Er soll Jesus anklagen und ihn verurteilen. Dem Statthalter Pilatus wäre es am liebsten, wenn die Juden Jesus nach ihrem Gesetz verurteilten (Joh 18,31). Da sie das ablehnen, muss er sich mit dem Fall beschäftigen.

Oberflächlich gesehen stimmt das. Falsch wäre es aber, schon hier den Schluss zu ziehen, dass Johannes die römische Staatsmacht von jeder Verantwortung für die Verurteilung Jesu freisprechen wollte, da Pilatus ein Opfer jüdischer Intrigen wird.

Heymels Frage (137), in welcher Sprache sich Pilatus wohl mit Jesus verständigen konnte und ob er einen Dolmetscher brauchte, dürfte müßig sein, da ein derartiges Verhör Jesu vor Pilatus historisch äußerst unwahrscheinlich ist, und verkennt die Absicht des Johannes, in diesem Dialog darzustellen, in welch konträrer Weise Jesus als der König Israels dem Vertreter der römischen Weltordnung gegenübersteht.

Auf die Frage des Pilatus: „Was hast du getan?“ (Johannes 18,35) erhält er von Jesus keine „direkte Antwort“, sondern (137f.)

nur eine rätselhafte Andeutung: „Mein Reich ist nicht von dieser Welt. Wäre mein Reich von dieser Welt, würden meine Diener dafür kämpfen, dass ich nicht an die Juden ausgeliefert werde“ (Joh 18,36). Der Römer mag sich im Stillen fragen, was für ein Königreich Jesus meint. Ein Königreich, das „nicht von hier“ ist? Also von einer fremden Macht stammt? Bewaffnete Leute hat der Angeklagte anscheinend nicht aufzubieten. Aber wer steckt hinter ihm? Pilatus fragt erneut: „Du bist also doch ein König?“ (Joh 18,37). Die Antwort Jesu gibt ihm noch größere Rätsel auf: „Du sagst es. Ich bin ein König. Dazu bin ich geboren und dazu bin ich in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege“ (Joh 18,37).

Aus diesen für Pilatus rätselhaften Äußerungen zieht Heymel den Schluss (138):

Einer, der so redet, steht außerhalb der Politik. „Wahrhaftigkeit ist nie zu den politischen Tugenden gerechnet worden“. <95> Pilatus aber ist Politiker. Er hat ein Amt mit Machtbefugnissen und repräsentiert eine Weltmacht. So ein großes Wort wie „Wahrheit“ ist ihm nicht geheuer. Also reagiert er, indem er eine philosophische Frage stellt: „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38). Johannes, der diese Szene schildert, bietet aus der Sicht eines Schülers Jesu eine Deutung an. Hier geht es nicht um eine Wahrheit, über die man verschiedener Meinung sein kann. „Wer aus der Wahrheit ist, hört meine Stimme“ (Joh 18,37). Auch umgekehrt gilt: nur wer gehorsam hört, ist aus der Wahrheit (vgl. Joh 10). Jesus spricht von Wahrhaftigkeit, von unbedingter Vertrauenswürdigkeit. Er spricht nicht bloß über sie, er lebt sie und drückt sie in seinem Leben aus.

Der große Irrtums Heymels besteht hier darin, dass Jesus zwar der von Pilatus vertretenen Politik diametral entgegensteht, aber keineswegs außerhalb der von den gesamten jüdischen Schriften beabsichtigten Politik. Wenn Johannes das Wort alē­theia verwendet, dann begreift er es von der Treue und Wahrhaftigkeit des Gottes Israels her, und genau um dessen befreiende Politik geht es hier. Heymel scheint anzunehmen, dass Politik immer schmutzig sein muss, dass die Machenschaften dieser Welt nicht zu überwinden sind. Aber Jesus vertritt ein politisches Königtum der Treue <96> nach den Regeln der Tora, das zwar nicht von diesem kosmos ist, nicht von dieser Weltordnung der unterdrückenden Gewalt, aber doch auf die politischen Ziele der Befreiung und Gerechtigkeit für Israel hinausläuft. Ein solches Königtum hat es zwar nicht einmal in Israel jemals in Reinkultur gegeben, aber Jesu Gebot der agapē als einer freiwilligen Selbstversklavung aller Menschen, die Verantwortung füreinander tragen, läuft genau darauf hinaus.

Zu Recht stellt Heymel fest, dass Pilatus mit seiner Frage: „Was ist Wahrheit?“ gar nicht merkt, „wen er vor sich hat“. Pilatus kann mit jüdischen Vorstellungen vom Königtum nach der Tora nichts anfangen; für ihn hat „Treue“ oder „Wahrheit“ keinen Platz in der Politik. Heymel fährt allerdings damit fort, das Thema der Wahrheit ganz aus dem Feld der Politik herauszuhalten und auf einer rein religiösen Ebene zu verhandeln, indem er über Pilatus schreibt:

Er merkt nicht, dass er vor der Wahrheit in Person steht, vor einem König, der die Herrschaft nicht aus dieser Welt empfängt. Er steht vor dem, in dem der Höchste gegenwärtig ist. „Gott ist im Fleische: wer kann dies Geheimnis verstehen?“ (Tersteegen, EG 41,4; RG 404,4).

Die Frage ist, ob das Geheimnis der Fleischwerdung Jesu verstanden werden kann, wenn man außer Acht lässt, dass Jesus als dieser ganz bestimmte Jude den befreienden NAMEN des Gottes Israels verkörpert, dessen Ehre darin besteht, Israels Leben der kommenden Weltzeit in Freiheit, Recht und Frieden anbrechen zu lassen.

Auch der folgende Absatz von Heymel enthält fragwürdige Aussagen (139):

Die Leute sollen entscheiden – und das tun sie. „Wollt ihr nun, dass ich euch den König der Juden freigebe?“ (Joh 18,39b). „König der Juden“ ist „ein politischer Begriff“ [Schneider 301], der in den Ohren der Menge wie Hohn klingt. Sie wählen nicht den, der als ihr König gilt, sondern einen Räuber, genauer gesagt: einen Aufrührer. „Barabbas!“ (Joh 18,40) schreit die Menge.

Erstens spricht Heymel zu Unrecht von „der Menge“ oder den „Leuten“, die in seinen Augen Jesus anstelle eines Aufrührers verurteilt wissen wollen. Der ochlos, also die Volksmenge, ist in der Szene mit Pilatus genau so wenig auf der Bildfläche wie die Pharisäer; gegen Jesus agitieren hier ausschließlich die Oberpriester und ihre Handlanger.

Zweitens erweckt die Bemerkung Schneiders über den „König der Juden“ als „politischer Begriff“ den Eindruck, als ob die Leute Jesus deswegen ablehnen, weil er eben kein König in politischem Sinne sein wolle. Aber darum geht es nicht; vielmehr können sie nichts mit einem König anfangen, der sich dem zelotischen Kampf gegen Rom verweigert. Daran übt Johannes scharfe Kritik; als nach dem Jüdischen Krieg schreibender Evangelist weiß er, in welche Katastrophe der Aufstand gegen Rom geführt hat. Für ihn sind die zelotischen Freiheitskämpfer nichts als Plünderer und Terroristen. Blendet man diesen Hintergrund aus, muss die Entscheidung der Juden, dem unpolitischen himmlischen Jesus einen politischen Aufrührer vorzuziehen, um so verwerflicher erscheinen.

Die Vorführung des „blutig geschlagenen“ Jesus durch Pilatus mit den Worten: „Seht, ich führe ihn zu euch hinaus, damit ihr erkennt, dass ich keine Schuld an ihm finde“ (Joh 19,4), beurteilt Heymel angemessen als „pure[n] Zynismus“:

Pilatus stellt einen Gequälten zur Schau, eine Figur, auf die man mit Fingern zeigt und über die man sich lustig macht. Verächtlicher kann man mit einem Menschen nicht umgehen, als dass man ihn so bloßstellt und vorführt. „Da ist der Mensch!“ (Joh 19,5). Diese Karikatur eines Königs!

Zu Recht hebt Heymel nun hervor (140), dass es bei Johannes „nur die Autoritäten“ sind, die Jesu „Tod verlangen, nicht das von ihnen überredete Volk (so bei Mk 15,11ff.; Mt 27,20ff.; Lk 23,13.21ff.)“. Danach spricht er wieder von den „Juden“, die Jesus „mit einer Denunziation beim Caesar“ (so Thyen [728]) unter Druck setzen, obwohl diese Juden, wie sich in Johannes 19,15 zeigen wird, niemand anders sind als die Hohenpriester und ihr Anhang.

Obwohl Heymel feststellt, dass Pilatus sich „auf den Richterstuhl“ setzt (141), fällt er in seinen Augen nicht „ein Urteil“, sondern er „präsentiert … Jesus den Anklägern ironisch mit den Worten: ‚Da ist euer König!‘ (Joh 19,14b)“ und fragt, „ob er wirklich ihren König kreuzigen soll“. Mit dem Ausruf: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser!“ (Joh 19,15) bekunden die Hohenpriester daraufhin

ihre politische Loyalität. Deswegen pauschal über „das Judentum“ zu urteilen, es sage dem Glauben an Gottes alleiniges Königtum ab, ist abwegig. Dass Pilatus Jesus dann tatsächlich schuldig spricht, wird nicht berichtet. Indem er Jesus zur Exekution ausliefert, kapituliert er vor der Drohung der Hohenpriester und erfüllt den Wunsch der Volksmenge.

Auch diese Ausführungen Heymels halte ich für problematisch. Sicher will Johannes nicht dem Judentum insgesamt den „Glauben an Gottes alleiniges Königtum“ absprechen, aber der hohenpriesterlichen Führung zur Zeit Jesu wirft er genau diesen Abfall vom befreienden Gott Israels und ihr Bekenntnis zum römischen Gottkaiser vor. Die „Volksmenge“ dagegen, deren Wunsch Pilatus erfüllt haben soll, ist in der gesamten Szene überhaupt nicht anwesend; Heymel widerspricht hier selbst dem, was er eben noch betont hatte, dass „nur die Autoritäten“ Jesu Tod fordern.

Pilatus wiederum ist nicht einfach nur das willenlose Opfer jüdischer Intrigen, der „vor der Drohung der Hohenpriester [kapituliert]“, vielmehr darf man es als Erfolg seiner Prozessführung werten, dass er die jüdische Führung, indem er Jesus als den König der Juden bezeichnet, zu ihrer unverbrüchlichen Loyalität gegenüber Rom herausfordert. <97>

4.13.4 Die Kreuzigung (Joh 19,16b-37)

Die Kreuzigung Jesu gliedert sich nach Heymel als ein neuer „Akt des Dramas … wie der Prozess vor Pilatus in sieben Szenen [Söding 103]“. Anders als bei den Synoptikern trägt Jesus „selbst sein Kreuz“, womit er „bis zuletzt der Handelnde bleibt“. Indem (142) Pilatus gegenüber den Hohenpriestern auf der „Kreuzesinschrift“ beharrt, die „Jesus von Nazaret“ als den „König der Juden“ bezeichnet, wird er „ironischerweise nochmals unwissend zum Zeugen der Wahrheit Jesu.“

Überraschend ist bei Johannes, dass „vier namentlich genannte Frauen direkt unter dem Kreuz stehen“, darunter „an erster Stelle die Mutter Jesu …, die in den synoptischen Texten nicht vorkommt“, und ebenso „die Gegenwart des Lieblingsjüngers unter dem Kreuz“. Hier kommt Heymel auf die symbolische Bedeutung der Mutter des Messias als der Repräsentantin des messianischen Volkes Israel zu sprechen (142f.):

Jesus sorgt für seine Mutter, die als Witwe auf Unterstützung angewiesen ist, indem er sie seinem geliebten Jünger anvertraut. Die Szene ist symbolisch zu verstehen: Jesus macht Maria „zur Mittlerin zwischen der alten und der neuen Familie Gottes“; in ihr ist „das messianische Volk Israel wahrzunehmen“ [Thyen 739]. Maria und der Jünger Johannes ergänzen einander als Vorbilder der Jüngerschaft, auf die alle Gläubigen angewiesen bleiben.

Die (143) „Sterbeszene“ Jesu interpretiert Heymel mit einem Satz von Söding [107]:

„Am Kreuz vollendet sich das gesamte ‚Werk‘ Gottes (4,34), das Jesus von seinem Vater übertragen worden ist (5,36)“. Dieses „Werk“ kommt hier zu seinem Ziel (telos). In der Kreuzigung wird offenbar, was Gott aus Liebe zur Welt (Joh 3,16) erleidet und wie Jesus seine Liebe zu den Seinen (Joh 13,1) realisiert. Auch in den Gesten des Sterbens bleibt er noch souverän. Der Menschensohn, der keinen Ort zum Ausruhen hat (Mt 8,20; Lk 9,58), findet am Kreuz den Ort, an dem er sein Haupt niederlegen kann. Danach heißt es wörtlich: „Er gab den Geist hin“, eine Wendung, die noch das Sterben als seine Tat bezeichnet und die Lesenden daran erinnert, dass der verheißene Geist erst in der Stunde der Verherrlichung Jesu in die Welt kommen (Joh 7,39) und die Seinen in alle Wahrheit führen soll (Joh 16,13).

Dieser Interpretation ist nicht zu widersprechen, es fehlen aber konkrete Aussagen über das Werk Gottes, das hier zu seinem Ziel kommt, und über die Wahrheit, in die der Geist die Seinen führen soll. In der Deutung des Todes Jesu durch Johannes „im Horizont der alttestamentlichen Schrift“, auf die Heymel anschließend zu sprechen kommt, könnte eine Konkretisierung erfolgen (143f.):

Der leidende Gerechte bekommt Essig zu trinken (Ps 69,22). Zur Todesstunde im Tempel werden die Passahlämmer geschlachtet, denen man keinen Knochen zerbrechen darf (Ex 12,46; Ps 34,21). Im Rahmen des Passahfestes erkennt Johannes, dass am Kreuz das wahre Passahlamm stirbt. Gewöhnlich zerbrachen Soldaten den Gehenkten die Schenkel, um ihren Tod zu beschleunigen; bei Jesus geschah das jedoch laut der Erzählung nicht, da er schon gestorben war (vgl. Joh 19,33). Ein Soldat sticht seine Lanze in die Seite des Toten. Johannes deutet auch dies im Licht der Prophetie, die ankündigt, dass die Bewohner Jerusalems „auf den blicken, den sie durchbohrt haben“ (Sach 12,10 LXX). Nach dem hebräischen Text spricht hier Gott selbst: „Sie werden auf mich schauen.“ Der im gekreuzigten Sohn Durchbohrte ist also der Gott Israels. Dafür, dass aus der Seitenwunde Blut und Wasser fließen, beruft der Evangelist sich auf einen Augenzeugen. Es liegt nahe, dabei an den Lieblingsjünger zu denken. Sein Zeugnis ist wichtig, da hier zugleich Jesu Verheißung vom Laubhüttenfest (Joh 7,38) und prophetische Verheißungen (Sach 13,1; 14,8) sich erfüllen.

Welche Konkretisierung von Gottes Werk und der Wahrheit des Geistes ergibt sich daraus? Erstens, dass Jesus „am Kreuz“ als „das wahre Passahlamm stirbt“, und zweitens, dass der „im gekreuzigten Sohn Durchbohrte … der Gott Israels“ ist. Aber Heymel lässt offen, in welcher Weise sich „prophetische Verheißungen“ erfüllen und zu welchem Ziel Jesus als das Lamm Gottes und zugleich als der Gott Israels am Kreuz stirbt.

Muss Jesus am Kreuz sterben, um die Opfertiere zu ersetzen, die nach der Tora zur Sühne für Israels Schuld dargebracht werden mussten? Ist Sündenvergebung seit Jesu Tod am Kreuz nur noch für diejenigen erschwinglich, die an Jesus glauben, auch für Juden? Nach Ton Veerkamp <98> muss das Ziel Jesu in Analogie zum ersten Passahfest der Befreiung Israels aus Ägypten verstanden werden, nämlich im Sinne der Befreiung Israels aus dem weltweiten römischen Sklavenhaus:

Der Messias erreicht das Ziel, das der Psalm 69 angibt: die Befreiung Zions. Der Tod ist nicht das Ende oder die Vollendung Jeschuas, dieser Tod ist das Ende Roms. Durch Jeschuas Tod wird „der Führer dieser Weltordnung hinausgeworfen“, 12,31. Jeschua hat in und durch diesen Tod hindurch Zukunft, denn sein Tod heißt, dass er seine Inspiration über- und weitergibt. Diese Inspiration wird dafür Sorge tragen, dass von Jeschua als Messias (Christus) durch die Jahrtausende hindurch die Rede sein wird und die Menschen in seinem Namen und durch diese Inspiration „Werke tun“, die „größer“ als Jeschuas Werke sein werden, 14,12. Rom hat aber keine Zukunft mehr.

Das sagt und hofft Johannes.

4.14 Szenen der Auferstehung (Joh 20-21)

Für Michael Heymel ist (145f.) innerhalb der „Osterbotschaft“ des Johannes die

Auffindung des leeren Grabs … der letzte Akt der dramatischen Historie Jesu. „Am ersten Tag der Woche“, das heißt in der Morgendämmerung des „dritten“ Tags nach dem Karfreitag kommt zuerst Maria aus Magdala zum Grab. Wie die Braut des Hohenlieds sucht sie den, den ihre Seele liebt (Hld 3,1). Sie vertritt hier die Frauen, die an diesem Morgen das Grab besuchen (Mk 16,1ff.). Sie findet das Grab leer, der Stein, der es verschloss, ist weggerückt. Maria läuft zu Petrus und dem Lieblingsjünger und klagt: Man hat ihr den Herrn aus dem Grab geraubt! Auffällig ist, dass sie in der Mehrzahl fortfährt: „Wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben“ (Joh 20,2). Petrus und der Lieblingsjünger machen daraufhin einen Wettlauf zum Grab, der geliebte Jünger erreicht zuerst die Grabstätte. Wer er ist, verrät der Evangelist erst am Ende seines Werkes (Joh 21,24). Der Lieblingsjünger schaut in das Grab, sieht darin die Leinenbinden liegen, geht aber nicht hinein, sondern überlässt Petrus den Vortritt. Dieser geht hinein und sieht auch das Schweißtuch Jesu. Erst dann geht auch der andere Jünger hinein; „er sah, und darum glaubte er“ (Joh 20,8). Das wird nur über ihn, nicht über Petrus gesagt, der wohl ebenso verwundert und ratlos wie Maria dasteht.

Nur wenige deutende Anmerkungen fügt Heymel hier seiner Wiedergabe der Erzählung hinzu. Obwohl Maria Magdalena später als Schülerin Jesu gekennzeichnet wird, vergleicht er sie mit der Braut des Hohenliedes. Den Wettlauf der beiden Schüler lässt er unkommentiert. Und für den einleitenden Ausdruck tē de mia tōn sabbatōn übernimmt Heymel die übliche Übersetzung „am ersten Tag der Woche“, ohne auf die Verwendung der Kardinalzahl mia, „Tag eins“, an Stelle der Ordinalzahl protē, „erster Tag“, zu achten. Ton Veerkamp <99> macht darauf aufmerksam, dass die Formulierungen „Tag eins der Schabbatwoche“ und „Finsternis ist noch“ in Johannes 20,1 auf den ebenfalls mit „Tag eins“ bezeichneten Beginn der Schöpfungswoche (1. Mo­se 1,2-5) anspielen. Mit der Auferstehung Jesu aus den Toten beginnt somit nach Johannes die Schöpfung ganz neu:

Wie bei der Schöpfung der Tag der Schöpfung des Lichtes nicht nur ein „erster“ Tag in einer Reihe von ähnlichen Tagen war, sondern ein Tag, der Voraussetzung für alle kommenden Tage ist, so ist für alle messianischen Gemeinden der Tag nach jenem großen Schabbat nicht nur ein „erster“ Tag einer neuen Woche, sondern Voraussetzung für alle kommenden Tage. Unsere Übersetzungen müssen diesem Umstand Rechnung tragen. Wie der Tag der Unterscheidung zwischen Licht und Finsternis alle kommenden Unterscheidungen, etwa Himmel/Erde, Meer/Trocknes, normiert, so normiert der Tag eins der Schabbatwoche das ganze Leben aller Schüler Jeschuas.

4.14.1 Erscheinung vor Maria aus Magdala (Joh 20, 11-18)

In seiner Deutung (146) der Erzählung von Marias Begegnung mit dem auferstandenen Jesus hebt Heymel zwar hervor, dass „Jesus … für sie der Meister“ ist und „sie die Schülerin, die ihm ihr Leben verdankt“, aber trotzdem will er nach wie vor (147) „die Szene auf dem Hintergrund des Hohenlieds (Hld 3,1-4)“ interpretieren. Von daher nimmt er an, dass entweder „Maria Jesus schon berührt hat oder … im Begriff ist, es zu tun“, so dass er zu ihr sagt:

„Halte mich nicht fest!“ (Joh 20,17). Die Zürcher Bibel übersetzt: „Fass mich nicht an!“ Aber das sagt zu wenig. Maria soll ihn auf dem Weg zum Vater nicht aufhalten. Jesus beauftragt sie, den Jüngern („meinen Brüdern“) seinen Heimgang zum Vater mitzuteilen. Indem sie diesen Auftrag erfüllt und zu den Jüngern sagt: „Ich habe den Herrn gesehen“ (Joh 20,18), wird sie zur ersten Zeugin des Auferstandenen.

Ton Veerkamp <100> widerspricht der üblichen Auffassung, Jesu Aufsteigen zum Vater sei im Sinne einer Ortsveränderung von Diesseits zum Jenseits, von der Erde zum Himmel, also als einfacher „Heimgang zum Vater“ zu begreifen. Für ihn ist der Satz: „Noch bin ich nicht hinaufgestiegen“ (oupō anabebēka) die entscheidende Botschaft, die Maria den Schülern Jesu und unter ihnen besonders seinen Brüdern überbringen soll:

Mit dieser negativen Botschaft wird Maria aus Magdala als erste Evangelistin zu den Brüdern Jeschuas geschickt: „Noch bin ich nicht zum VATER hinaufstiegen“, Perfekt, aber dann doch mit der entscheidenden positiven Botschaft: „Ich steige auf“, Präsens. Die – leiblichen – Brüder Jeschuas gehörten zur ursprünglichen messianischen Gemeinde, 2,12. Dort wird ein Unterschied zwischen „den Brüdern“ und „den Schülern Jeschuas“ gemacht. Dieser Unterschied wird deutlich in der Auseinandersetzung Jeschuas mit seinen Brüdern anlässlich des Aufstiegs nach Jerusalem zum Sukkotfest. Tatsächlich geht Maria, wie es im folgenden V.18 heißt, zu allen „Schülern“; dass Jeschua sie seine „Brüder“ nennt, unterstreicht deutlich, wie sehr in den Augen des Johannes die führenden Kreise der messianischen Gemeinde in Jerusalem nach wie vor zelotisch infiziert waren. Ihnen muss gesagt werden: „Ich steige auf.“

Das Präsens ist ein semitisches Präsens, es deutet eine Handlung an, die begonnen wurde und die bis in die Zukunft fortdauert. … Deswegen wäre das Perfekt fehl am Platze. Die Bewegung zum VATER beginnt am Tag eins. Das ist das Einzige, aber es ist alles. Es gibt keine Garantien, aber am Tag eins ist die Todesgeschichte der herrschenden Weltordnung wieder offen.

Im Klartext bedeutet das: Ton Veerkamp kann und will sich nicht einfach vorstellen, dass Johannes einen Messias voraussetzt, der vom Himmel herabsteigt und in den Himmel zurückkehrt, ohne dass sich an den real herrschenden Zuständen auf dieser Erde irgendetwas ändert. Sein Aufsteigen zum Vater vollzieht sich stattdessen im Zuge des weltverändernden Wirkens der Schülerschaft Jesu, die von der Treue des Gottes Israels inspiriert, vom Gebot der solidarischen Liebe Jesu geleitet ist.

4.14.2 Erscheinung vor den Jüngern (Joh 20, 19-25)

Seinen Jüngern offenbart sich Jesus (147) in dem „verschlossenen Raum, in den die Jünger sich aus Furcht vor ‚den Juden‘ zurückgezogen haben“, als derjenige, der an seinen Wunden als ihr Herr erkennbar bleibt (147f.):

Als seine Apostel werden sie von ihm in die Welt gesandt. „Und nachdem er dies gesagt hatte, hauchte er sie an, und er sagt zu ihnen: Heiligen Geist sollt ihr empfangen! Wem immer ihr die Sünden vergebt, dem sind sie vergeben; wem ihr sie festhaltet, dem sind sie festgehalten“ (Joh 20,22). Wie Gott beim Schöpfungsakt Adam seinen Lebensatem einhauchte (Gen 2,7), so haucht Jesus den Jüngern den Heiligen Geist ein. Dadurch erneuert er ihr Leben (vgl. Joh 3,5) und bevollmächtigt sie, Sünden zu vergeben oder die Vergebung zu verweigern.

Das gibt Heymel grundsätzlich zutreffend wieder, abgesehen davon, dass er in seiner Stellenangabe den Vers 23 anzugeben vergisst; außerdem lässt er die Frage offen, was in diesem Zusammenhang unter Sündenvergebung zu verstehen ist.

Ton Veerkamp <101> hält genau den Vers Johannes 20,23 für

schwer zu übersetzen und noch schwerer zu erklären. Vorab sei gesagt: Hier wird nicht, wie die Katholiken lesen, das Sakrament der Beichte eingerichtet. Es geht um Verirrung (hamartia, chataˀ, „Sünde“), um wegnehmen (aphienai, ssalach) und um verstockt sein lassen (kratein). Das Verb kratein kommt bei Johannes nur hier vor, das Verb aphienai dagegen vierzehnmal. Bis auf 20,23 bedeutet letzteres „verlassen, entlassen“. Man übersetzt dann „Sünden erlassen, vergeben“. Weil wir das Wort „Sünde“ ob seines moralistischen Beigeschmacks vermeiden und von „Verirrung“ reden, müssen wir aphienai mit einem Wort wie „aufheben“ umschreiben. In der Schrift werden „Sünden“ nur von Gott „vergeben“, „Verirrungen“ werden nur durch Gott „bedeckt“ (kipper vgl. jom kippur) oder „aufgehoben“, vgl. Markus 2,7. Das Verb salach („vergeben“) hat in der Schrift kein anderes Subjekt als Gott bzw. der NAME.

Was geschieht, wenn Verirrungen aufgehoben werden? In den ersten Kapiteln des Buches Leviticus wird über Verirrungen gesprochen. Der, der in die Irre gegangen ist, muss ein Opfer darbringen, er muss etwas vernichten, ein Handvoll Mehl verbrennen oder ein Tier schlachten. Er zeigt drastisch, dass durch seine Verirrungen etwas kaputtgegangen ist. Wenn er dieses Bewusstsein – mit einem drastischen Opfer – zeigt, wird die Verirrung bedeckt, und sie kann nicht länger ihre gesellschaftszerstörende Wirkung entfalten. Die Menschen können also wieder das tun, was ihre eigentliche Bestimmung von ihnen verlangt.

Das hebräische Verb chataˀ bedeutet so etwas wie „ein Ziel verfehlen“. „Vergeben“ bedeutet dann „wieder auf das ursprüngliche Ziel orientieren“. Wie gesagt, diese Neuorientierung kommt in der Schrift nur von Gott. „Wer vermag Verirrungen aufzuheben, es sei denn Gott“, fragen die Peruschim {Pharisäer} bei der Heilung des Gelähmten in Markus 2,7. In der Tat: Verirrungen kann man nicht dadurch aus der Welt schaffen, indem man sie „vergibt“. Die ursprüngliche Bestimmung der Menschen wird wiederhergestellt, indem Gott, von dem diese Bestimmung kommt, sie wieder zur Bestimmung der Menschen macht. In der Vollmacht „Gottes“ kann das der Messias, und in der Vollmacht des Messias können es die vom Messias inspirierten Schüler. Anders gesagt: Nur wenn ein Mensch Gott und seine gesellschaftliche Ordnung – die Tora – wieder als sein alleiniges Ziel annimmt, „ist ihm vergeben worden“ (nisslach lo, aphethēsetai autō). Diese Vollmacht erteilt der Messias durch seine Inspiration der Heiligung den Schülern.

Ebenso bedenkenswert finde ich Veerkamps Erwägungen über der Vorgang der Verweigerung von Vergebung, wie Heymel es formuliert hat:

Kratein ist offenbar das Gegenteil. Kratein, „ergreifen, verhaften, dingfest machen“. Wir sollten uns erinnern an Johannes 9,41: Jeschua sagte ihnen: „Wenn ihr blind wärt, würdet ihr euch nicht verirren. Jetzt sagt ihr: wir sehen. Eure Verirrung bleibt.“ Wenn also die Schüler feststellen, dass Menschen sich (politisch) irren, diese Verirrung bei ihnen „fest sitzt“, etwa wenn sie behaupten, sie seien auf dem richtigen Weg, dann bleibt nichts anderes übrig, als sie in die falsche Richtung gehen lassen, dann „ist“ die Verirrung in ihnen „fest gemacht worden“, so kann man das passive Perfekt kekratēntai umschreiben.

Die Schüler und ihre messianischen Gemeinden sollten darin bestärkt werden, die Resignation und die Ohnmacht der Weltordnung gegenüber „aufzuheben (aphienai)“. Wer allerdings die Übermacht, ja Allmacht der Weltordnung als eine Tatsache ohne Alternative auffasst, dessen Verirrung sitzt dann so tief, dass er sich nicht mehr bewegen kann. Das ist Verstockung. Dadurch, dass die Schüler die Alternative zeigen, ja leben, wird aus der politischen Verblendung Verstockung. Sie verursachen sozusagen die Verstockung.

Wir müssen diese Stelle nicht als Begründung für die Beichte auffassen, sondern versuchen, sie im Lichte des Erfüllungszitates Jesaja 6,10 zu verstehen, das uns Johannes 12,37-43 in einem bitteren Resümee hören ließ. Dort ging es um die Verstockung. Die Schüler sollen tun und reden wie die Propheten, wie Ezechiel, „dass der Verirrte, der umkehrt von seiner Verirrung, seine Seele am Leben hält“ (Ezechiel 18; 33,1-20); wie der Prophet Jesaja: ein Volk „mit verfettetem Herzen, schwerhörigen Ohren und verschmierten Augen“ geht zugrunde (6,10). Keine beneidenswerte Aufgabe für die inspirierten Schüler. Propheten finden selten Gehör!

Wie weit wir uns mit diesen Ausführungen Veerkamps von der Auslegung Heymels entfernt haben, zeigt dessen Interesse an der übernatürlichen Körperlichkeit des Auferstandenen, auf die er im folgenden Absatz zu sprechen kommt (148):

Dass der auferstandene Jesus hier körperlich und berührbar erscheint, können viele Menschen heute nicht mehr glauben, weil die Vorstellung einem überholten mythologischen, unwissenschaftlichen Weltbild verhaftet zu sein scheint. Johannes und die Lehrer der alten Kirche waren jedoch von der Realität des spirituellen Körpers überzeugt. Berichte von Menschen, die Nahtoderfahrungen außerhalb des physischen Körpers gemacht haben, deuten daraufhin, dass sie „in einer anderen Art von Körper lebten“ [Sanford 1998, 197]. Wie solche Berichte weisen auch die Ostererzählungen des Johannes auf eine körperliche Realität besonderer Art hin, die von den Beteiligten als tief berührend wahrgenommen wird.

Erneut scheint Heymel hier die Erzählungen des Johannes als historisch plausibel hinstellen zu wollen und verfällt dabei auf die seltsame Analogie zu modernen Nahtoderfahrungen. Der jüdische Messianist Johannes wird aber weder daran noch an spirituell-gnostischen Spekulationen über die Körperlichkeit Jesu auch nur das geringste Interesse gehabt haben. Er war eher daran interessiert, in welcher Weise die Auferstehung Jesu eine Antwort auf die Ruinen- und Grabfelder rund um Jerusalem und auf die weiter bestehende Macht des Imperium Romanum darstellen könnte.

4.14.3 Erscheinung vor Thomas (Joh 20,24-29)

In Abschnitt 4.3.2 hatte Heymel zum zweiten von Jesus bewirkten Zeichen zu Kana ausgeführt, dass „die rechte Art des Glaubens“ nicht „auf Zeichen und Wundern beruht“. Dem widerspricht in gewisser Weise seine Deutung der Erzählung von Thomas, der (148f.)

seine eigene Erfahrung machen, mit eigenen Augen die Wunden sehen und mit eigenen Händen fühlen [will], dass Jesus lebt. Als er am folgenden Sonntag mit den anderen zusammen ist, tritt Jesus wieder in ihre Mitte und erlaubt ihm, ihn anzufassen und durch eigene Erfahrung zum Glauben zu kommen. Darauf antwortet Thomas mit dem Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott!“ (Joh 20,28). Jesus schließt den Zweifel nicht aus, sondern behebt ihn. Es ist menschlich zu zweifeln, solange man nicht erfahren hat.

Allerdings steht Heymel dem Zweifel des Thomas und erst demjenigen moderner Zweifler recht zwiespältig gegenüber:

Wer Thomas als „ungläubig“ abstempelt, tut ihm unrecht. Sein Fehler ist, dass er „etwas zur Bedingung seines Glaubens macht“, denn so verschließt er sich selbst „die Möglichkeit, den Auferstandenen zu sehen“ [Steiger 1978, 77f.]. Er sieht ihn erst, als Jesus erneut die Abgeschlossenheit der Jünger durchbricht. Anders als viele moderne „Zweifler“, die den Raum, in dem Jesus ihnen real begegnen könnte, gar nicht erst betreten, bleibt Thomas nicht abseits. Er möchte seinem Herrn nahe sein, an der Erfahrung der anderen Jünger teilhaben. Als er die Wunden Jesu sieht und fühlt, zeigt er sich selbst berührbar und verwundbar.

Sehr seltsam mutet Heymels Urteil über den Raum an, in dem moderne Zweifler Jesus begegnen könnten, den sie jedoch gar nicht erst betreten. Das klingt so, als ob er ihnen vorwirft, den Raum der Kirche und des Gottesdienstes zu meiden, während Thomas die Versammlung der Mitschüler aufgesucht hat. Aber sollte es Jesus, der seine Schüler hinter verschlossenen Türen aufsuchen konnte, unmöglich sein, einem Zweifler auch außerhalb von Kirchenmauern zu begegnen?

Nach Ton Veerkamp <102> ist es bemerkenswert, dass Johannes ausgerechnet den Skeptiker Thomas

das eigentliche Gemeindebekenntnis zum Messias Jeschua aussprechen [lässt]: „Mein Herr und mein Gott!“ Herr, Kyrios, ist der Titel, den die Herrscher der Weltordnung für sich in Anspruch nahmen. „Gott“ ist die absolute Loyalität, welche die Träger dieser Bezeichnung „Gott“ verlangen. Dominus ac deus ließ sich der flavische Kaiser Domitian (81-96) nennen. Dieses Bekenntnis ist eine Kampfansage an das Reich, keine Vorwegnahme der orthodoxen Christologie.

4.14.4 Erscheinung am See von Tiberias (Joh 21,1-14)

In der Deutung des reichen Fischzugs am See von Tiberias (150) geht Heymel ausführlich auf die „Fülle von 153 Fischen“ ein, für die sich viele verschiedene Deutungen anbieten, unter denen er selbst die „mithilfe der Buchstabenrechnung“ erstellte „tiefsinnige Erklärung“ von Steiger [1978, 71] hervorhebt (151):

„153 = 17 mal 3 mal 3. Was soll die Zahl 17? Brot des Lebens (artes tēs zoēs) hat den Zahlenwert 1 (Alpha = 1) und 7 (Zeta = 7). 10 hat den Zahlenwert von Iota. Also vielleicht: Fisch des Lebens (ichthys tēs zoēs)?“

Alles ist in dieser Szene bedeutsam, auch der eine Fisch, der schon auf dem Feuer liegt und durch den Fischzug wunderbar vermehrt wird. Also wäre zu rechnen: 153 plus 1 = 154. Der 154. Fisch ist ein Hinweis auf Jesus selbst, denn ichthys steht im Urchristentum für: Iesous Christos Theou Hyios Soter = Jesus Christus, Gottes Sohn, (ist der) Retter. Das gemeinsame Mahl mit ihm ist eine österliche Wiederholung des letzten Mahls Jesu mit seinen Jüngern.

Die Frage ist, ob man mit solch spitzfindigen Überlegungen jemals herausfinden wird, worauf Johannes mit dieser Zahl wirklich anspielen wollte. Ton Veerkamp <103> verweist auf ein Zitat von Calvin, der zu ihrer Deutung durch den von diesem verehrten Augustin bemerkte:

„In der Zahl der Fische soll man keinen geheimnisvollen Sinn suchen. Augustin bringt sie zwar sehr scharfsinnig mit Gesetz und Evangelium in Verbindung [ein Gott, der zunächst in den fünf Büchern der Tora spricht, sich dann im Evangelium als dreieiniger Gott offenbart]; bei genauerem Nachdenken jedoch wird man finden, daß das eine kindische Spielerei ist“.

In meinen Augen ist in Johannes 21,14 das Wort triton, „das dritte Mal“, von entscheidender Bedeutung für die Auslegung. Denn es stellt das öffentliche Auftreten Jesu vor seinen Schülern am See Tiberias in eine Reihe mit den beiden Zeichen, die in Kana stattfanden und einen erzählerischen Rahmen um den Anfangsteil des Evangeliums bildeten, in dem es um das öffentliche Wirken des Messias ging. Dieses öffentliche Wirken wird nach Verborgenheit und Abschied des Messias nun auf neue Weise fortgeführt, und zwar durch das durch ihn angestoßene Wirken seiner Schülerschaft, die er durch den heiligen Geist (den Parakleten) zu größeren Werken (5,20; 14,12), als er sie tun konnte, ermutigen und befähigen wird.

4.14.5 Petrus und der Lieblingsjünger (Joh 21, 15-23)

Zum letzten inhaltlichen Abschnitt des Johannesevangeliums betont Heymel (151f.) unter Bezug auf Steiger [1978, 72] die therapeutische Funktion des Dialogs zwischen Jesus und Petrus, der

am Kohlefeuer statt[findet], ein Hinweis auf den Ort, an dem Petrus seinen Herrn dreimal verleugnete (Joh 18,18). Jetzt aber handelt der Verleugnete als Therapeut. Er „macht mit Petrus Trauerarbeit: positive Wiederholung gegen den Wiederholungszwang der Schuld“. Als Petrus Jesus verleugnete, hat er sich selbst verleugnet; zwei Mal antwortete er auf die Frage, ob er ein Jünger Jesu sei: „Ich bin es nicht“ (Joh 18,17.25).

Jetzt darf er „seine dreimalige Verleugnung abarbeiten. Das ist reale Vergebung, die so verfährt. Nicht sagen, dass alles nun vergessen sei, sondern die tödliche Erinnerung durchgehen und die wunden Punkte heilen, Schritt für Schritt, Satz für Satz, Medizin tropfenweise, mit Zählen, Wiedergutmachung von Tränen“.

Eher nebenbei erwähnt Heymel (152), dass Petrus „drei Mal … als Hirte der Herde Christi eingesetzt“ wird, dass ihm Jesus die Bewährung seiner „Liebe durch das Martyrium“ ankündigt und dass er ihn zur weiteren Nachfolge auffordert. Zum Lieblingsjünger sagt er nur, dass dieser „einen anderen Weg gehen“ wird und „alles aufschreiben“ soll.

Nach Ton Veerkamp spiegelt sich in dieser Erzählung wider, dass sich die johanneische Gruppierung, die sich durch den Lieblingsjünger repräsentiert weiß, der übergreifenden messianischen Bewegung unter der Führung des Petrus anschließt, aber dennoch an ihrer eigenen Identität festhalten will. <104>

4.15 Schlussworte (Joh 20,30f, 21,24f.)

Zum Schluss des Johannesevangeliums schließt sich Michael Heymel (152f.) der von Hartwig Thyen [4 und 772] vertretenen Auffassung an,

dass Kapitel 21 kein sekundärer Anhang, sondern ein ursprünglicher Teil und unentbehrlicher lnterpretationsschlüssel des Evangeliums ist, der mit dem Prolog korrespondiert.

Thyen zufolge gibt es zwei Epiloge, nämlich die Verse 20,30-31 und 21,24-25, die den „Schlussteil des Evangeliums“ rahmen. Im ersten Epilog (153) weist Johannes

auf „viele andere Zeichen“ (Joh 20,30) hin, die Jesus vor seinen Jüngern getan habe. Sie seien aber nicht in seinem Evangelium aufgeschrieben. Damit gibt er seinen Lesenden zu verstehen, dass er nicht von allen Wundertaten Jesu berichtet und es andere Bücher gibt, das heißt die synoptischen Evangelien, die weitere Zeichen überliefert haben. Sein Evangelium will die Adressaten dazu bewegen, zum Glauben an Jesus als messianischen Gottessohn zu kommen oder an ihm festzuhalten. Er setzt voraus und entfaltet in Kapitel 1-20, dass sie in solchem Glauben das Leben haben werden.

Meine am Ende des Abschnitts 4.14.4 vertretene Auslegung des Zahlworts triton in Johannes 21,14 fügt diesem rückblickenden Bezug der Verse 20,30-31 auf die Kapitel 1-20 einen vorausblickenden Bezug auf das Schlusskapitel 21 hinzu. Versteht man nämlich diese Verse als Auftakt alles Folgenden, dann sind viele der Zeichen Jesu, die nach 20,30 nicht in diesem Buch geschrieben sind, vielleicht noch gar nicht geschehen, sondern Jesus wird sie erst in der Zukunft des messianischen Wirkens seiner Schülerschaft vollbringen. Ein Beispiel wird in den Versen 21,1-14 erzählt.

Im zweiten Epilog, also ganz

am Schluss des Evangeliums wird die Leserin, der Leser über die Rolle der literarischen Figur des von Jesus geliebten Jüngers aufgeklärt. Er habe „dies alles“ bezeugt und aufgeschrieben. Der reale Evangelist präsentiert ihn als eigentlichen Autor, als fiktionalen „Evangelisten im Evangelium“ [Thyen 794]. Mit dem Plural „wir wissen“ bekennt er den Glauben, in dem er sich mit seinem Leser, seiner Leserin eins weiß: „Und wir wissen, dass sein Zeugnis glaubwürdig ist“ (Joh 21,24b). Der Evangelist tritt damit hinter die Figur des Lieblingsjüngers zurück. Dass dieser „nur“ eine literarische Fiktion und keine reale Person sei, wie Hartwig Thyen annimmt, lässt sich nicht beweisen.

Damit deutet Heymel an, dass er doch gerne den Lieblingsjünger mit einer historisch fassbaren Gestalt identifizieren würde. Ton Veerkamp <105> dagegen hält Versuche, den realen Autor „dieses Evangeliums ausfindig zu machen“, für „belanglos“, denn der fiktive Erzähler,

einer der Sieben, die „den Herrn“ am Strand des Galiläischen Meeres sahen…, der geliebte Schüler, hat ein wahrhaftiges und vertrauenswürdiges Zeugnis über Jeschua ben Joseph abgegeben.

„Ich lüge euch nichts vor“, sagt er, „ihr könnt euch auf diese geschriebenen Worte verlassen.“ Die Erzählung ist eine Auswahl, das hörten wir schon in 20,30f. … [Er] wusste, dass andere ihre Auswahl brachten. Alles kann man nicht aufschreiben, die Welt ist nicht groß genug, um alle Bücher darüber fassen zu können, die darüber verfasst werden können. Diese 21 Kapitel müssen also reichen.

Sie reichen tatsächlich, um die Messiasauffassung jener radikal- messianischen, nicht länger isolierten Gruppe verstehen zu können.

um die Bedeutungsfülle dessen, was Jesus getan hat, auszudrücken: „Die ganze Welt“ könnte „die Bücher nicht fassen, die dann zu schreiben wären“ (Joh 21,25). … Die rhetorische Übertreibung bedeutet nicht, dass man in Wirklichkeit mit weniger auskäme, sie weist vielmehr ins Unendliche: wir werden mit der Geschichte Jesu Christi nie fertig.

5. Zusammenfassung

5.1 Wie man das Johannesevangelium lesen kann

Im ersten Teil seines zusammenfassenden Schlusskapitels (157) empfiehlt Heymel die „fortlaufende Lektüre“ des Johannesevangeliums, da es sich, wie er „selbst probiert und erfahren“ hat, dadurch „in seiner Tiefe und Bedeutungsfülle“ am besten erschließt. Da Johannes mit eng miteinander verwobenen „Leitworten, Sprachbildern, wiederholten Wendungen, Querverweisen und Anspielungen“ arbeitet, werden „die 21 Kapitel des vierten Evangeliums am besten von Anfang bis Ende gelesen und verstanden werden.“

Dabei setzt Heymel für Johannes noch mehr „als für die synoptischen Evangelien“ voraus, dass sein „Evangelium … kein objektiver historischer Tatsachenbericht“ ist, sondern „eine Verkündigungsabsicht“ verfolgt, die er unter Bezug auf Thyen [564] folgendermaßen formuliert (157f.):

Es erzählt die Biografie des Juden Jesus von Nazaret, indem es vom ersten bis zum letzten Vers seine „Einheit als des ‚Sohnes‘ mit seinem himmlischen Vater zu erweisen [sucht]“. Sein Spitzensatz lautet: Das ewige Wort ist Fleisch geworden. Das bedeutet auch: es ist menschliches, wirkliches Wort in menschlicher Sprache geworden. … In den Reden des Menschen Jesus beansprucht das vierte Evangelium nichts Geringeres, als Gott selbst vernehmbar zu machen.

Letzten Endes zielt das Johannesevangelium (158)

darauf ab, dass seine Leser und Hörerinnen durch den Glauben das Leben haben in Jesu Namen (Joh 20,31). „‚Glauben‘ heißt, in den logoi Jesu den, der ihn gesandt hat, zu vernehmen und, indem man an Jesus und sein Wort glaubt, Gott zu glauben“ (Ringleben [531]; vgl. Joh 5,24-26; 17,3). Johannes gibt also seinen Lesenden deutlich vor, wie sein Evangelium zu verstehen ist. Was bedeutet es, diesen immanenten Vorgaben heute zu folgen?

Um diese auf „heute“ bezogene Frage zu beantworten, bezieht sich Heymel zunächst auf Martin Luthers Unterscheidung zweier

Haltungen, die Menschen der biblisch-christlichen Tradition gegenüber einnehmen können: einerseits „Historien“ von Christus wissen und nachsprechen, andererseits glauben, das heißt im Herzen fassen, dass darin ein für allemal über mein Heil und Leben entschieden ist.

Nach Heymel muss auch „nach der Aufklärung“ an der letzteren von Luther vertretenen Haltung festgehalten werden, denn (158f.)

Glauben geht über historisches Bescheidwissen hinaus; es heißt, darauf vertrauen, „dass Christus pro nobis, das heißt für uns persönlich geboren wurde und für uns das Werk des Heils vollbracht hat“. <106> Dem entsprechen zwei Arten des Lesens, die den biblischen Text entweder als sachliche Information oder als Anrede und göttliche Mitteilung nehmen.

Fragwürdig ist es aber nicht nur, das Johannesevangelium als ein Buch über den historischen Jesus misszuverstehen. Die von Heymel und seinen Gewährsleuten Luther und McGrath vertretene Deutung der im Johannesevangelium bezeugten sōtēria im Sinne eines „Heils“, das Jesus ein für allemal „für uns persönlich“ bewirkt hat, lässt so deutlich ein individuelles Seelenheil anklingen, ein jenseitiges ewiges Leben, dass eine alternative Auslegung im Sinne einer gesellschaftlichen Befreiung auf Erden gar nicht erst in Erwägung gezogen wird. Abgesehen davon setzt diese Deutung allzu selbstverständlich voraus, dass Johannes seine Schrift von Anfang an „für uns“, also für Christen aus den nichtjüdischen Völkern verfasst hat. Wenn Johannes aber zunächst einmal ein jüdischer Messianist war, der sich vor allem an Juden wandte und mit seinen rabbinischen Mitjuden heftig über die Messianität Jesu stritt, dann muss zumindest gefragt werden, ob „das Werk des Heils“, also der sōtēria, nicht angemessen von den jüdischen Verheißungen der Befreiung für Israel her zu verstehen ist. In welcher Weise ein biblischer Text, der uns dadurch zunächst noch fremder wird, dann auch wieder für uns Christen bedeutsam werden kann, das ist erst in weiteren Auslegungsschritten zu klären.

Heymel äußert sich zurückhaltend gegenüber einer distanzierten Lektüre des Evangeliums (159):

Man kann das vierte Evangelium in historischer Perspektive als ein Stück frühchristlicher Literatur neben den synoptischen und außerkanonischen Evangelien lesen und seine Theologie, seine Eschatologie und seine Christologie zu erfassen suchen. Dabei bleibt es von mir als der oder dem heute Lesenden abständig; ich betrachte seine Textwelt von außen, verstehe aber nicht mich selbst in ihr.

In diesen Worten setzt Heymel selbstverständlich voraus, dass Johannes bereits ein „frühchristlicher“ Autor ist. So bleibt außen vor, ob er nicht jüdisch denkt und sein Vertrauen auf Jesus als den Messias von den Schriften Israels her entfaltet. Heymel plädiert ohnehin für eine noch ganz andere Lektüre des Evangeliums:

Man kann Johannes aber auch in existenzieller Perspektive lesen, indem man bestimmte Worte, Szenen und Bilder meditiert und tiefenpsychologisch zu verstehen sucht. Dann vertieft man sich in seine Textwelt, liest sich in sie hinein, um darin seinen Ort als Leser oder Leserin zu finden, und erkennt in seinen Figuren typische Verhaltensweisen und innere Konflikte wieder.

Sicher ist eine solche Art der existentiellen Lektüre möglich. Ob dabei mehr in das Evangelium hineingelesen wird, als unter Abwägung seines Bezugs auf die biblischen Schriften herausgefunden werden kann, ist sorgfältig zu prüfen. Immerhin wird in diesem Vorschlag Heymels aber nun doch eine weitere Alternative zu einer rein lutherisch-dogmatischen Ausrichtung auf ein ewiges Seelenheil sichtbar.

Außerdem ist zu fragen, ob eine existentielle Auslegung auf individuell-psychologische Erfahrungen mit dem Text eingeschränkt werden darf. Sieht man in Jesu Reich, das nicht von dieser Welt ist, ein von der Tora bestimmtes Königtum im Gegenüber zu den Gewaltordnungen dieses kosmos, dann kann das Johannesevangelium auch in befreiungstheologischer Perspektive gelesen werden.

Zu Recht betont Heymel schließlich (159f.):

Die Situation der Gemeinschaft, für die Johannes schrieb, ist nicht die unsere. Seine Polemik gegen „die Juden“ hat ihre ursprüngliche Bedeutung verloren. Heute tritt anstelle des Trennenden mehr und mehr das Verbindende ins Bewusstsein. Man hat erkannt, wie tief das vierte Evangelium von den geistigen Strömungen des Judentums und ihrer Auseinandersetzung mit der hellenistischen Kultur beeinflusst ist. Wir leben in anderen Kulturen. Verbindungen lassen sich nur schwer herstellen. Umso wichtiger ist es, genau zu hören, was Johannes sagen will, und sich von seinen Worten, Szenen und Bildern berühren zu lassen.

Warum kommt Heymel erst ganz am Schluss seines Buches auf die tiefgreifenden Unterschiede der Kulturen zu sprechen, in der die johanneische Gemeinschaft lebte und in der wir leben? Bis zum Schluss schien er doch vorauszusetzen, dass der Evangelist seine Botschaft direkt an „uns“ als die Christen der Völkerwelt adressiert. Und inwiefern seine Polemik gegen „die Juden“ heutzutage ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben soll, darüber drückt sich Heymel auch sehr vage aus. Wenn der Glaube an Jesus zum ewigen Heil notwendig sein soll, werden dann nicht auch heute noch „die Juden“, die nicht an Jesus glauben, von diesem Heil ausgeschlossen?

Anders geht Ton Veerkamp mit diesem Problem um. <107> In seinen Augen streiten zwei jüdische Gruppierungen über den richtigen Weg zum Leben der kommenden Weltzeit des Friedens für Israel. Das rabbinische Judentum versammelt sich um die Tora des Mose und richtet sich als religio licita, erlaubte Religion, in einer Nische des römischen Weltreichs darauf ein, geduldig auf die Ankunft des Messias zu warten. Die jüdischen Anhänger des Messias Jesus sehen in dessen Tod am römischen Kreuz die letztgültige Überwindung der römischen Weltordnung und das Startsignal für den Anbruch der kommenden Weltreich des Friedens, die in der Praxis des freiwilligen Sklavendienstes füreinander, in der agapē, tätig zu erwarten ist. Vor diesem Hintergrund ist einerseits zu begreifen, dass Jesusanhänger aus der synagogalen Gemeinschaft ausgeschlossen werden konnten, wenn sie als gefährliche Unruhestifter empfunden wurden, die den jüdischen Status als erlaubter Religion gefährdeten. Andererseits wird auch verständlich, dass im Johannesevangelium umgekehrt die rabbinische Einstellung als Mitläufertum mit der römischen Weltordnung verurteilt wird und „die Juden“ sogar als Kinder des menschenmörderischen diabolos bezeichnet werden (Johannes 8,44), womit kein überweltlich-dämonischer Teufel, sondern der römische Gottkaiser als der irdische Widersacher des Gottes Israels gemeint ist.

5.2 Ein Buch für Anfänger und Fortgeschrittene

Heymel begreift das Johannesevangelium (160) einerseits als ein Buch für „Anfänger“, die durch die „vielen Zeichen, die Jesus getan hat“ (Johannes 20,30f.) zum Glauben geführt werden, „dass Jesus der messianische Gottessohn ist“:

Die Zeichen eröffnen sozusagen den Zugang zu Jesus und ermöglichen es, ihn als den Christus zu erkennen. Deshalb ist dieses Buch für Anfänger geeignet, die Jesus aus einer Glaubensperspektive kennenlernen wollen. Es bedient sich keiner Sondersprache, die nur Insider verstehen, sondern vermag mit seiner einfachen Sprache und seinen Bildern gerade Außenstehende „am besten in die christliche Tradition einzuführen“ [Thyen 776].

In diesem Zusammenhang wehrt sich Heymel mit Thyen [596] gegen eine Kritik am „bloßen Zeichenglauben“, denn das Johannesevangelium (160f.)

leitet seine Adressaten dazu an, in Jesus das Wort Gottes, das Fleisch, also sinnlich wahrnehmbar Mensch geworden ist, zu sehen und mithilfe von Zeichenhandlungen und Sprachbildern die spirituelle Bedeutung seiner Reden und Taten zu erkennen.

Seltsam finde ich es, dass Heymel das Johannesevangelium wegen seiner Konzentration auf Zeichen und Bilder als Buch für Anfänger begreift. Meint er, dass diese in einfacher Weise selbsterklärend sind? Zwar wendet er sich zu recht gegen die Abwertung der Zeichen Jesu, aber sie können kaum angemessen verstanden werden, wenn man sie nicht vor dem Hintergrund der befreienden Zeichen und Machterweise, sēmeia kai tērata, des Gottes Israels betrachtet, durch die das Volk Israel ägyptische Sklaverei und babylonische Verbannung überwinden konnte. Verliert man diesen Hintergrund aus dem Blick, kann Jesus sehr leicht mit dem Wundertäter einer Mysterienreligion oder einem gnostischen Himmelswesen verwechselt werden.

Gleichwohl fährt Heymel unbeirrt in seiner Empfehlung des Johannesevangeliums als eines Buches für Anfänger folgendermaßen fort (161):

In Erzählungen, in den dramatischen Reden Jesu und seinen Ich-bin-Worten begegnen Bilder von archetypischer Kraft, Symbole, die zu denken geben. Während die einen davon unmittelbar angesprochen werden, haben andere genau damit Schwierigkeiten, Johannes auf der symbolischen Ebene zu verstehen. Sie neigen dazu, seine Texte, deren Historizität ihnen bewusst ist, als merkwürdige Zeugnisse frühchristlichen Bewusstseins zu erklären und ihre Glaubwürdigkeit mit Kategorien modernen Weltwissens zu beurteilen. Das vierte Evangelium erschließt sich am ehesten, wenn man sich von ihm „ins Bild setzen“ und sich seine Bilder „einbilden“ lässt.

Wie ich nun schon oft gesagt habe, sehe ich außer diesen von Heymel beschriebenen Alternativen noch eine andere Betrachtungsweise des Johannesevangeliums, die mir angemessener erscheint: eine Auslegung, die seinem jüdisch-messianischen Charakter und seinem befreiungstheologischen Hintergrund in den jüdischen heiligen Schriften gerecht wird.

Heymel wiederum sieht auf der anderen Seite das Johannesevangelium aber auch als ein Buch

für Fortgeschrittene, die bereits gewohnt sind, in der Bibel zu lesen. Vor dem Hintergrund der synoptischen Evangelien erzählt es die Geschichte Jesu noch einmal ganz neu. Es bezeugt, dass Gott durch Christus in der Welt sinnlich und körperlich wahrgenommen werden kann. Durch die Glaubensgespräche Jesu zieht es den Leser, die Leserin immer tiefer in ein symbolisches Denken hinein, das dazu herausfordert, sich von alten Denk- und Sehgewohnheiten zu lösen.

Die Art, wie Heymel eine solche fortgeschrittene Lektüre des Evangeliums beschreibt, stößt mich allerdings eher ab:

Das vierte Evangelium ist intellektuell, insofern es ihm auf „die Durchgeistigung des Glaubens, die Leuchtkraft seines Schauens, die Herrlichkeit der Theophanie“ [Timm 111] ankommt. Es geht ihm „um die absolute Erkenntnis, die das ewige Leben aufschließt bzw. ist, und diese als eine Erkenntnis ‚im Geist und in der Wahrheit‘ (4,24)“ [Ringleben 305].

Diese Art eines vergeistigten Glaubens hat in meinen Augen nichts mehr zu tun mit der befreienden Inspiration des Gottes Israels, dessen Ehre bzw. Herrlichkeit sich im Leben der kommenden Weltzeit für Israel erfüllt. Vielmehr fühle ich mich an griechische Philosophie, an gnostische Spiritualität, an verjenseitigte Vorstellungen von Herrlichkeit erinnert, die letzten Endes auf einen Abschied vom Gott der Bibel und seinen Verheißungen für Israel inmitten der Völker hinauslaufen.

Dem entsprechen auch Heymels weitere Bemerkungen über die Liebe (161f.):

Im dritten Teil der „Göttlichen Komödie“ ist es nicht zufällig Johannes, der Dante vor dem Aufstieg in die höchste Sphäre des Paradieses auf seine Liebe prüft: geblendet von seinem Licht, spricht Dante davon, dass die Liebe ihn geläutert habe und sein Herz zu Gott ziehe. In seinem Abschiedsgebet sagt Jesus: „Das aber ist das ewige Leben: dass sie dich, den einzig wahren Gott, erkennen und den, den du gesandt hast, Jesus Christus“ (Joh 17,3). Den einen wahren Gott finden, der das Leben „in sich selber“ hat (Joh 5,26), heißt für Johannes, ihn als die Liebe finden, die er im Sohn erweist (Joh 3,16), damit auch die Glaubenden das Leben in sich selbst haben können.

Darf die johanneische Vorstellung der agapē wirklich zugespitzt auf einen derartigen Individualismus ausgelegt werden? Im Evangelium bezieht Jesus die agapē als einer tatkräftigen solidarischen Liebe ganz und gar nicht auf ein Finden des Lebens in sich selber, sondern er lebt sie seinen Schülern in der Fußwaschung als einen freiwilligen wechselseitigen Sklavendienst vor, durch den die gewaltsamen, ausbeuterischen, unterdrückenden Strukturen der herrschenden Weltordnung überwunden werden.

Was ist am Ende von Heymels Einführung in das Johannesevangelium von seinem folgenden Fazit zu halten?

Anfänger und Fortgeschrittene können durch das Johannesevangelium erkennen, wer Jesus Christus ist, wenn sie es aus ihrem Leben heraus lesen und dabei auf die Stimme hören, die durch die Schrift zu ihnen spricht.

Das mag richtig sein, wenn man zwei Dinge beachtet:

Erstens sollte das Evangelium zwar aus dem eigenen Leben heraus betrachtet werden, aber zugleich im Bewusstsein, dass dieses Leben eingebettet ist in gesellschaftliche und weltweite Bedingtheiten und Verantwortlichkeiten.

Und zweitens ist die Stimme, „die durch die Schrift“ zu uns spricht, nicht im Evangelium ganz für sich allein zu vernehmen, sondern nur im Zusammenklang mit der Stimme der gesamten Bibel, die im Hintergrund aller Worte des Johannes als die Stimme des befreienden Gottes Israels zu hören ist.

Anmerkungen

<01> Michael Heymel, Das Johannesevangelium heute lesen, Zürich 2020. Die im folgenden Text in runden Klammern angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die jeweils folgenden Zitate aus diesem Buch. Sind solche Zitate als eigener Absatz eingerückt, werden sie blau hervorgehoben. Das in seinem Text wegen der Veröffentlichung in einem Schweizer Verlag mit „ss“ wiedergegebene deutsche „ß“ erlaube ich mir, wo ich ihn zitiere, durch das in Deutschland übliche „ß“ zu ersetzen.

<02> Auf die Ergebnisse dieser Beschäftigung verweise ich in meinem Beitrag: Johannes – antijüdischer oder jüdisch-messianischer Evangelist?

<03> Diesen Vergleich habe ich in den drei Teilen meines „Johannes-Blogs“ veröffentlicht: Johannes-Blog 1: „Der offenbare Messias“ (1,1 – 4,54), Johannes-Blog 2: „Der verborgene Messias“ (5,1 – 12,50) und Johannes-Blog 3: „Der Abschied des Messias“ (13,1 – 21,25).

<04> Ton Veerkamp, Der Abschied des Messias. Johannes 13-17, in: Texte & Kontexte 95/96 (2002). Das hier folgende Zitat ist auch in der Einleitung zur Internet-Veröffentlichung von Veerkamps Johannes-Auslegung unter dem Stichwort Lehrhaus zu finden.

<05> So zitiert Heymel Rudolf Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK 2), Göttingen 1941, 38. Auf weitere Zitate eines bereits zitierten Autors beziehe ich mich im Folgenden mit Seitenzahlen in eckigen Klammern, die dem jeweiligen Zitat voranstehen.

<06> So zitiert Heymel „Clemens von Alexandrien, um 200 n. Chr. Vorsteher der christlichen Katechetenschule“ nach Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte (Historia ecclesiastica = hist. eccl.) VI, 14,7.

<07> So zitiert Heymel Rudolf Schnackenburg, Das Johannesevangelium (HthK 4,1-4), 4 Bde., Freiburg 1965-1984, hier Band 1, 179.

<08> So zitiert Heymel Kurt Niederwimmer, Et Verbum caro factum est, in: Quaestiones theologicae. Gesammelte Aufsätze (BZNW 90), hg. von Wilhelm Pratscher und Markus Öhler, Berlin/New York 1998, 197.

<09> So zitiert Heymel Johann Gottlieb Fichte, Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters [1806], in: Werke, Bd. 7, Berlin 1845/46, 97.

<10> Im folgenden Zitat bezieht sich Heymel auf die 19. Auflage von Rudolf Bultmann, Das Evangelium des Johannes (KEK 2), Göttingen 1968, 430.

<11> So nach Heymel Thomas Söding, Im Anfang war das Wort. Das Johannesevangelium. Skriptum der Vorlesung im Sommersemester 2010, Ruhr Universität Bochum, 13.

<12> Vgl. dazu in meinem Johannes-Blog die Auslegung von Johannes 1,10: Die (Menschen-)Welt unter der Weltordnung.

<13> Dazu bezieht sich Heymel auf Schnackenburg [1, 146], und Hartwig Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 2005, 168. Er übersieht, dass das Wort Ioudaios zwar nur in 67 Versen des Evangeliums vorkommt, aber insgesamt 71mal (je 2mal in 4,9 und 9,22, 3mal in 19,21).

<14> Heymel bezieht sich auf Klaus Wengst, Bedrängte Gemeinde und verherrlichter Christus. Ein Versuch über das Johannesevangelium, Neukirchen 1986; stark erweitert in 4. Aufl. München 1992, 55-104.

<15> Dazu verweist Heymel auf John Ashton, Understanding the Fourth Gospel, Oxford 1991, 131-151.

<16> Heymel bezieht sich auf Walter Rebell, Zum neuen Leben berufen. Kommunikative Gemeindepraxis im frühen Christentum, München 1990, und Jürgen Roloff, Die Kirche im Neuen Testament (NTD Erg. Reihe 10), Göttingen 1993.

<17> Vgl. dazu die Ausführungen von Ton Veerkamp, wie ich sie in der Auslegung von Johannes 10,1-6: Das Gleichnis vom Hof der Schafe, die nur auf ihren Hirten hören und Johannes 15,1: Jesus als der getreue Weinstock und sein VATER als der Winzer herausgestellt habe.

<18> So zitiert Heymel Raymond E. Brown u.a. (Hg.), Maria im Neuen Testament. Eine ökumenische Untersuchung, Stuttgart 1981, 168.

<19> So zitiert Heymel Klaus Berger, Im Anfang war Johannes, Stuttgart 1997, 74.

<20> So zitiert Heymel Claus Westermann, Das Johannesevangelium aus der Sicht des Alten Testaments (Arbeiten zur Theologie, Bd. 77), Stuttgart 1994, 69.

<21> Nach meiner Zählung kommt das Wort im Johannesevangelium in 32 Versen insgesamt 36mal vor. Nimmt man die Johannesbriefe und die Offenbarung des Johannes hinzu, ergeben sich insgesamt 66 Vorkommen in 59 Versen.

<22> Dazu bezieht sich Heymel auf Christian Möller, „Das Leben ist erschienen“ – Grenzen überschreiten vom Erleben zum Leben, in: Praktische Theologie 35 (2000), Heft 3, 205f.

<23> Ton Veerkamp, Solidarität gegen die Weltordnung. Eine politische Lektüre des Johannesevangeliums über Jeschua Messias von ganz Israel, nach der Veröffentlichung auf der Internet-Seite Bibelwelt: Geburt, 1,12-13, Abs. 10, ursprünglich in: Ton Veerkamp, Der Abschied des Messias. Eine Auslegung des Johannesevangeliums, I. Teil: Johannes 1,1-10,21, in: Texte und Kontexte 109-111, 2006, 17-18.

Zu weiteren Zitaten aus Veerkamps Johannes-Auslegung verweise ich auf die jeweiligen Absätze der Online-Veröffentlichung. Sind solche Zitate als eigener Absatz eingerückt, werden sie rot hervorgehoben. Die dem I. Teil der Auslegung zugrunde liegende Zeitschriftenausgabe führe ich fortan in Klammern mit „Veerkamp 2006“ an, den II. Teil: Johannes 10,22-21,25, in: Texte und Kontexte 113-115, 2007, mit „Veerkamp 2007“.

<24> Vgl. dazu besonders Ton Veerkamps Angaben Zur Gliederung des Johannesevangeliums, auf die ich in meinem Johannes-Blog eingehe.

<25> Heymel zitiert Joachim Ringleben, Das philosophische Evangelium. Theologische Auslegung des Johannesevangeliums (HUTh 64), Tübingen 2014, 6.

<26> Vgl. dazu die Ausführungen zu Ton Veerkamp, wie ich sie in meinen Auslegungen von Johannes 1,14cd: Das Schauen der Ehre des Einziggezeugten Sohnes vom VATER und Johannes 13,31-32: In der Nacht des Messias beginnt seine Ehre als Gottes Ehre sowie Johannes 17,1-5: Jesu Gebet zum VATER um das Leben der kommenden Weltzeit in der Stunde ihrer wechselseitigen Ehrung dargelegt habe.

<27> Zu diesen Gedankengängen verweist Heymel auf Klaus Berger, Im Anfang war Johannes, Stuttgart 1997, 188.

<28> Dazu beruft sich Heymel auf Johannes Schneider, Das Evangelium nach Johannes (ThHK Sonderband), Berlin, 2. Aufl. 1978, 45.

<29> Damit folge ich Hartwig Thyen, dessen diesbezügliche Thesen ich im letzten Abschnitt meines Johannes-Blogs nachzeichne: Johannes 21,24-25: Das vertrauenswürdige Zeugnis dieses Schülers, der nur einen kleinen Teil dessen aufschreiben konnte, was Jesus getan hat.

<30> Dazu bezieht sich Heymel auf Wengst 1992 [172] und Rainer Riesner, Bethanien jenseits des Jordan. Topografie und Theologie im Johannes-Evangelium, Gießen 2002, 57ff; 117.

<31> So Klaus Berger, Theologiegeschichte des Urchristentums, Tübingen-Basel, 2. Aufl. 1995, 677. Die Aussage im folgenden Satz vertritt Carsten Peter Thiede, Ein Fisch für den Kaiser. Juden, Griechen, Römer: Die Welt des Jesus Christus, München 1998, 284.

<32> Hier zitiere ich Ton Veerkamp, Die Welt anders. Politische Geschichte der Großen Erzählung © Institut für Kritische Theologie Berlin e. V. nach der in Berlin erschienenen Ausgabe © Argument Verlag 2013, 316f. Veerkamps diesbezügliche Gedanken habe ich unter dem Stichwort Evangelien in meiner Besprechung dieses Buches zusammengefasst. Das Stichwort „TeNaK“ im Zitat meint die jüdische Bibel in ihrem Zusammenhang von T = Tora, N = Neviim (Propheten) und K = Ketuvim (Schriften).

<33> Hartwig Thyen, Das Johannesevangelium (HNT 6), Tübingen 2005, und Ludger Schenke, Das Johannesevangelium: Einführung – Text – dramatische Gestalt (Urban-Taschenbücher 446), Stuttgart 1992.

<34> Ich zeichne seine Gliederung des Johannesevangeliums im Abschnitt Zur Gliederung des Johannesevangeliums meines Johannes-Blogs nach.

<35> Heymel zitiert Amy-Jill Levine and Marc Zwi Brettler (ed.), The Jewish Annotated New Testament. New Revised Standard Version. Bible Translation, New York 2011, 156. Wie Heymel selbst werde ich mich auf diese Übersetzung fortan mit der Abkürzung „JANT“ beziehen.

<36> Vgl. dazu meine Besprechung des Buches von Adele Reinhartz, The Word in the World. The Cosmological Tale in the Fourth Gospel, Atlanta/Georgia 1992 unter dem Titel Jenseitskosmologie oder Überwindung der Weltordnung?

<37> Vgl. dazu Ton Veerkamp, wie ich seine Ausführungen zum Stichwort monogenēs in den Auslegungen zu Johannes 1,14cd: Das Schauen der Ehre des Einziggezeugten Sohnes vom VATER und Johannes 3,16: Die solidarische Liebe Gottes zur Welt im Sohn, dem Einziggezeugten in meinem Johannes-Blog wiedergebe.

<38> Dazu verweist Heymel auf Johannes d‘Outrein, Gods Tabernakel Onder De Menschen. Ende De Heerlykheid Des Soons Gods Over Joh. 1,14. Mitsgaders Het Heilig Sabbath- en Jubel-Jaar, Over Lev. XXV,1-13 […] Amsterdam 1701, 32-42.

<39> Vgl. dazu Ton Veerkamp, wie ich seine Ausführungen zu diesem Thema in den Auslegungen zu Johannes 2,8-10: Der Festverantwortliche und der Wein, der Wasser gewesen war und Johannes 3, 29-30: Johannes als der Freund des messianischen Bräutigams in meinem Johannes-Blog wiedergebe.

<40> Heymel zitiert Wilhelm Bousset, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus, Göttingen 1913, 75.

<41> Die Exegetin Esther Kobel, Dining with John. Communal Meals and Identity Formation in the Fourth Gospel and its Historical and Cultural Context, Leiden: Brill 2011, 300, interpretiert vom Dionysos-Kult her auch Johannes 6,51-28 als Aufforderung Jesu an seine Nachfolger, die Elemente des Abendmahls entsprechend der dionysischen Einverleibung eines Gottes in sich aufzunehmen und dadurch ewiges Leben zu erhalten:

In seiner Rede vom Brot des Lebens deutet Jesus an, dass er sich besonders im Brot manifestiert. Er ist nicht nur im Augenblick dieser Rede unter den Jüngern, sondern er ist auch im Brot gegenwärtig. Der johanneische Jesus bittet die Gläubigen, ihn nicht nur in seiner menschlichen Gestalt zu erkennen und anzunehmen, sondern auch in seiner Manifestation unter ihnen in Form von Brot. Das Brot stellt sein Fleisch dar, und diejenigen, die an ihn glauben, sollen davon essen und damit Jesus in sich aufnehmen. Ebenso werden sie sein Blut trinken. Auf diese Weise ist Jesus unter denen, die essen und trinken, gegenwärtig, und durch dieses Essen und Trinken erlangen die Gläubigen das ewige Leben.

So habe ich in meiner Besprechung des Buches von Kobel im Abschnitt 6.5 Jesu Fleisch kauen entsprechend der Theophagie des Gottes Dionysos?, Abs. 16, die folgende englische Passage übersetzt:

In his bread of life discourse, Jesus suggests that he is particularly manifest in the bread. Not only is he among the disciples at the very moment of this speech, but he is present within the bread. The Johannine Jesus asks of his believers that they recognize and accept him not only in his physical human form, but also in his manifestation among them in the form of bread. The bread represents his flesh, and those who believe in him shall eat of it, and thereby ingest Jesus. Likewise, they shall drink his blood. In this way, Jesus is present among those who eat and drink, and from this eating and drinking believers gain eternal life.

<42> Vgl. dazu die Auslegung von Johannes 4,48: Ohne Zeichen und Machterweise Gottes ist kein Vertrauen möglich in meinem Johannes-Blog.

<43> So zitiert Heymel Karl Barth, Erklärung des Johannesevangeliums (Karl-Barth-Gesamtausgabe Bd. 9), Zürich, 2. Aufl. 1999.

<44> Vgl. dazu die Auslegungen von Johannes 6,14-15: Jesus als Prophet lässt sich nicht zum König machen, sondern entweicht allein auf den Berg und Johannes 18,33-38a: Verhör Jesu durch Pilatus über Jesu Königtum der Treue in meinem Johannes-Blog.

<45> Ton Veerkamp, lCH WERDE DASEIN, 6,16-25, Abs. 5-8 (Veerkamp 2006, 113-114).

<46> Ebd., Sukkot, das Laubhüttenfest. Der große Streit, 7,2-10,21, Abs. 1-3 (Veerkamp 2006, 127).

<47> Ebd., Lazarus, 11,1-16, Abs. 20-4 (Veerkamp 2007, 11).

<48> So führt Heymel nicht ganz wörtlich Hartwig Thyen [514] an, der dort wiederum Jörg Frey, Die johanneische Eschatologie, 3. Bd., WUNT 117, Tübingen 2000, 425, zitiert:

„… die Erweckung des Lazarus als sēmeion [ist] nur von Jesu Kreuz und Auferweckung her zu verstehen, als solche weist sie hin auf die Errettung von der astheneia der Sünde, die remoto Christo ,Krankheit zum Tode‘ ist, aber aufgrund von Jesu Kreuz und Auferstehung für Lazarus, den paradigmatisch Glaubenden, ihre an den Tod bindende Macht verloren hat“.

<49> So zitiert Heymel John A. Sanford, Mystical Christianity. A Psychological Commentary on the Gospel of John, New York 1994, 76.

<50> Vgl. dazu Ton Veerkamp, Martha, 11,17-27, Abs. 9-11 (Veerkamp 2007, 15).

<51> So zitiert Heymel John A. Sanford, Das Johannesevangelium – eine tiefenpsychologische Auslegung, Teil 2: Kapitel 7-21, München 1998, 77.

<52> So bezieht sich Heymel auf Abraham J. Heschel, The Prophets, 2. Band, New York 1975, 1-26.

<53> Vgl. dazu die Auslegung von Johannes 7,3-10: Jesu Konflikt mit seinen Brüdern und sein heimliches Aufsteigen zum Fest in meinem Johannes-Blog.

<54> Ton Veerkamp, Aufstieg nach Jerusalem, 7,1-10, Abs. 14-15 (Veerkamp 2006, 130).

<55> So zitiert Heymel Anselm Grün, Jesus – Tür zum Leben. Das Evangelium des Johannes, Stuttgart/Zürich 2002 = Das große Buch der Evangelien. Jesus – Wege zum Leben, Freiburg 2010, 512.

<56> Ton Veerkamp, „Du bist der Lehrer Israels, und das verstehst du nicht?“, 2,23-3,21, Abs. 27 (Veerkamp 2006, 58). Zu weiteren Veerkamp-Zitaten in diesem Abschnitt gebe ich in eckigen Klammern den jeweiligen Absatz der Online-Veröffentlichung und die Seitenzahl in der Zeitschrift an.

<57> Genauer gesagt, mit dem Buch von Helmut Gollwitzer, Krummes Holz – aufrechter Gang, Zur Frage nach dem Sinn des Lebens, München, 4. Auflage 1971.

<58> Ton Veerkamp, Im Land des Anfangs, 4,5-15, Abs. 10-11 (Veerkamp 2006, 77f.).

<59> Heymel bezieht sich auf Flavius Josephus, Jüdische Altertümer (Antiquitates Judaicae) und kürzt diese Quelle mit „ant.“ ab: ant. IX, 288.

<60> Ton Veerkamp, Der Mann, den du jetzt hast, ist nicht dein Mann, 4,16-19, Abs. 5-8 und 10 (Veerkamp 2006, 80-81).

<61> Ton Veerkamp, Weder – noch, Inspiration und Treue, 4,20-24, Abs. 4-5,7,9-12 (Veerkamp 2006, 82-85).

<62> Vgl. dazu die Auslegung von Johannes 4,25: Die Erwartung des Messias, der alles verkünden wird in meinem Johannes-Blog.

<63> Ton Veerkamp, Befreier der Welt, 4,39-42, Abs. 4-6 (Veerkamp 2006, 89-90).

<64> Dazu bemerkt Veerkamp (Anm. 173):

Aus anderen Quellen können wir schließen, dass diese messianische Bewegung gerade in Samaria große Probleme hatte: Lukas 9,52; Apostelgeschichte 8,14. Vgl. dazu Gerhard Jankowski, Und sie werden hören. Die Apostelgeschichte des Lukas. 1. Teil (1,1-9,31), in: Texte & Kontexte 91/92 (2001), 1-169, hier 139ff.

<65> Vgl. dazu die Auslegung von Johannes 7,53 – 8,11: Gehört Jesu Freispruch für die Ehebrecherin in einen christlichen oder jüdischen Kontext – und in welcher Weise? in meinem Johannes-Blog.

<66> Ton Veerkamp, Intermezzo: Eine Probe aufs Exempel, 7,53-8,11, Abs. 9-13 (Veerkamp 2006,137-138) in Anlehnung an Andreas Bedenbender, Der Sündlose unter euch werfe als erster auf sie einen Stein (Joh 8,7), in: Texte & Kontexte 58 (1993), 21-48.

<67> Ton Veerkamp, Murren. Brot des Lebens, Fleischessen, 6,41-51, Abs. 13 (Veerkamp 2006, 121.

<68> Vgl. dazu die Auslegung von Johannes 6,52-58: Das Fleisch des Menschensohns kauen, sein Blut trinken in meinem Johannes-Blog.

<69> So bezieht sich Heymel auf Bruce E. Schein, Following the Way. The Setting of John‘s Gospel, Minnesota 1980, 128.

<70> Ton Veerkamp, Das Licht der Welt 8,12-30, Abs. 1-2 (Veerkamp 2006, 138-139).

<71> Adrianus Johannes Simonis, Die Hirtenrede im Johannes-Evangelium. Versuch einer Analyse von Johannes 10,1-18 nach Entstehung, Hintergrund und Inhalt, Rom: Päpstliches Bibelinstitut, 1967, 133.

<72> Ton Veerkamp, Die Deutung des Gleichnisses, 10,7-18, Abs. 3-9 (Veerkamp 2006, 155-156).

<73> Veerkamp bezieht sich hier auf Flavius Josephus, Geschichte des Jüdischen Krieges. Aus dem Griechischen übersetzt von Heinrich Clementz. Durchsicht der Übersetzung, Einleitung und Anmerkungen von Heinz Kreissig, Leipzig 1978, 2,20,7.

<74> Dazu verweist Heymel auf John A. T. Robinson, The Priority of John, London 1985, 359.

<75> Die folgenden Zitate stammen aus Ton Veerkamp, Von der Einheit Israels, 10,1-21, Abs. 1 (Veerkamp 2006, 153), und Die Deutung des Gleichnisses, 10,7-18, Abs. 16-18 und 22-23 (Veerkamp 2006, 158-159).

<76> Vgl. dazu die Ausführungen von Thyen, wie ich sie in der Auslegung von Johannes 14,4-7: In Jesus als Weg, Treue und Leben ist der VATER zu erkennen in meinem Johannes-Blog zusammenfasse.

<77> Ton Veerkamp, Der erste Einwand: Wir wissen nicht, wo du hingehst, 14,1-7, Abs. 11-18 (Veerkamp 2007, 48-49).

<78> Ton Veerkamp, Das Gleichnis vom Rebstock. Solidarität, 15,1-17, Abs. 3-16 (Veerkamp 2007, 54-56).

<79> Ton Veerkamp, Was ist schon Treue? 18,28b-38a, Abs. 8-35 (Veerkamp 2007, 87-90).

<80> Heymel zitiert Ruben Zimmermann, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10 (WUNT 171), Tübingen 2004, 76.

<81> Ton Veerkamp, Ein Begräbnismahl, 11,55-12,11, Abs. 14-17 (Veerkamp 2007, 27).

<82> Heymel zitiert Lothar Steiger, Dogmatik im Kirchenjahr: Epiphanias und Vorpassion, Kassel 1982 52.

<83> Vgl. dazu Adele Reinhartz, Cast Out of the Covenant: Jews and Anti-Judaism in the Gospel of John (Lanham: Lexington Books-Fortress Academic, 2018, und meine Besprechung dieses Buches: Befreiung für ganz Israel durch den Messias Jesus.

<84> Heymel zitiert Silvia Schroer und Thomas Staubli, Die Körpersymbolik der Bibel, Gütersloh, 2. Auf. 2005, 156.

<85> Versehentlich nennt Heymel hier den Namen „Sanders“, tatsächlich bezieht er sich aber auf John A. Sanford, Das Johannesevangelium – eine tiefenpsychologische Auslegung, Teil 2: Kapitel 7-21, München 1998, 114ff.

<86> Heymel zitiert Lothar Steiger, Erzählter Glaube. Die Evangelien, Gütersloh 1978, 240.

<87> Ton Veerkamp, Wenn sie kommt, die Inspiration der Treue, 16,13-15, Abs. 2 (Veerkamp 2007, 67). Vgl. dazu außerdem die Auslegung von Johannes 16,13-15: Die Trinität der Inspiration der Treue, die vom VATER ausgeht und im Messias Jesus Gestalt angenommen hat in meinem Johannes-Blog.

<88> So zitiert Heymel Hermann Timm, Geist der Liebe. Die Ursprungsgeschichte der religiösen Anthropotheologie (Johannismus), Gütersloh 1978, 94.

<89> Ton Veerkamp, Der Kampf, 15,18-25, Abs. 9-13 (Veerkamp 2007, 59).

<90> So Ton Veerkamp, Der erste Einwand: Wir wissen nicht, wo du hingehst, 14,1-7, Abs. 3 (Veerkamp 2007, 46). Vgl. dazu die Auslegung von Johannes 14,2-3: Jesus geht hin, um den Seinen einen Ort auf Dauer zu gründen in meinem Johannes-Blog.

<91> Ton Veerkamp, Der dritte Einwand: Warum bist du für uns wirklich und nicht für die Weltordnung? 14,22-31, Abs. 5 (Veerkamp 2007, 52).

<92> So zitiert Heymel Ulrich Wilckens, Das Evangelium nach Johannes (NTD 4), Göttingen, 17. Aufl. 1998, 375 (im Text nennt er allerdings das Erscheinungsjahr 1974).

<93> Heymel zitiert Adolf Schlatter, Das Evangelium des Johannes, Calw/Stuttgart 1899, 329.

<94> Vgl. dazu die Auslegung von Johannes 18,12-14: Jesu Verhaftung und Überführung zu Hannas, dem Schwiegervater des Hohenpriesters Kaiphas in meinem Johannes-Blog.

<95> So zitiert Heymel Hannah Arendt, Wahrheit und Lüge in der Politik, München, 2. Aufl. 1987, 74.

<96> Vgl. die Auslegung von Johannes 18,33-38a: Verhör Jesu durch Pilatus über Jesu Königtum der Treue in meinem Johannes-Blog.

<97> Vgl. dazu die Auslegungen von Johannes 19,12-13: Pilatus wird als Freund des Kaisers erpresst, Jesus nicht freizulassen, und setzt sich auf den Richterstuhl und Johannes 19,14-16a: Die Führung Judäas erreicht die Kreuzigung des ihr von Pilatus präsentierten Königs der Juden und bekennt sich zum Kaiser als ihrem König in meinem Johannes-Blog.

<98> Ton Veerkamp, Dritte Szene: Das Ziel ist erreicht, 19,28-30, Abs. 13-14 (Veerkamp 2007, 107). Vgl. dazu weiter die Auslegung von Johannes 19,28-30: Der dürstende Jesus am Kreuz erreicht sein Ziel, indem er die Schrift erfüllt und das pneuma {Geist, Inspiration} übergibt und Johannes 19,31-37: An Jesus wird kein Bein gebrochen, aber ein Lanzenstich durchbohrt ihn, so dass Blut und Wasser herauskommt, was der treue Zeuge bezeugt in meinem Johannes-Blog.

<99> Ton Veerkamp, Vorbemerkung: Die Zeitangabe „Tag eins“, Abs. 7 (Veerkamp 2007, 113-114). Zum Wettlauf der Schüler vgl. die Auslegung von Johannes 20,3-10: Der Wettlauf von Petrus und dem anderen Schüler zu Jesu Grab in meinem Johannes-Blog.

<100> Ton Veerkamp, Noch nicht, 20,11-18, Abs. 11-12 (Veerkamp 2007, 119).

<101> Ton Veerkamp, Die geschlossenen Türen, 20,19-23, Abs. 11-16 (Veerkamp 2007, 123-125).

<102> Ton Veerkamp, Sehen und vertrauen, 20,24-29, Abs. 7 (Veerkamp 2007, 126).

<103> Johannes Calvin, Auslegung des Johannesevangeliums [1553], übersetzt v. Martin Trebesius und Hans Christian Petersen, Neukirchen-Vluyn 1964, 488, zitiert von Ton Veerkamp, Auch wir kommen mit dir, 21,1-14, Abs. 13, Anm. 572 (Veerkamp 2007, 130).

<104> Vgl. Ton Veerkamp, Anm. 567 zur Auslegung von Johannes 21,1 (ursprünglich in: Ton Veerkamp, Das Evangelium nach Johannes. Übersetzt und mit Anmerkungen versehen, 2., grundlegend überarbeitete Auflage, in: Texte und Kontexte Sonderheft Nr. 3 (2015), 150-

<105> Ton Veerkamp, Unterschrift: Dies ist der Schüler, 21,24-25, Abs. 3-5 (Veerkamp 2007, 137).

<106> Heymel zitiert Alister McGrath, Der Weg der christlichen Theologie. Eine Einführung, hrsg. von Heinzpeter Hempelmann, Gießen, 3. Aufl. 2013, 517.

<107> Vgl. dazu meine Darstellung seiner Ausführungen in der Auslegung von Johannes 16,1-3: Die Gefahr, ohne den Schutz der Synagoge zu Fall zu kommen in meinem Johannes-Blog.

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.