Bild: Helmut Schütz

Wollen wir Gott – los sein?

Zwei Arten von Gottlosigkeit schildert Markus: Gott aus dem Weg räumen – oder von ihm weggehen. Zwei Zipfel der Frohen Botschaft entdecke ich im Weingärtner-Gleichnis: Wo ist Gott, wenn es dir dreckig geht? An deiner Seite! Und Jesus, den sie behandeln wie einen unbrauchbaren Stein, er wird zum Schluss-Stein, damit die Statik hält und das Gebäude nicht einstürzt.

Der Kopf Jesu auf dem Schluss-Stein in der Kuppel der Kirche in Reichelsheim/Wetterau
Der Kopf Jesu auf dem Schluss-Stein in der Kuppel der Kirche in Reichelsheim/Wetterau
Gottesdienst am Sonntag Reminiscere, 16. März 2003, 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Viele, die zur Kirche gehen, klagen: Die moderne Welt ist eine gottlose Welt! Man lebt, als ob es Gott nicht gäbe. Die Frage: „Wollen wir Gott – los sein?“ ist das Thema für den heutigen Gottesdienst. Die Frage ist aber gar nicht neu. Die Predigt wird zeigen, wie alt die Bemühung der Menschen ist, Gott los zu werden – und warum das nicht gelingen kann!

Als erstes singen wir heute aus dem Lied 360 die Strophen 1 bis 3, mit der zweiten Melodie.
Die ganze Welt hast du uns überlassen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. „Amen.“

„Wollen wir Gott los sein?“ Viele scheinen es zu wollen – und meinen vielleicht, damit Gott sogar einen Gefallen zu tun. Denn wenn es ihn gibt – warum tut er dann nichts gegen all das Leid in der Welt? Ist es nicht besser für ihn selbst, wenn es ihn gar nicht gibt?

Schon die Bibel kennt diesen Zweifel an Gott und spricht ihn aus, z. B. im Psalm 10:

1 HERR, warum stehst du so ferne, verbirgst dich zur Zeit der Not?

4 Der Gottlose meint in seinem Stolz, Gott frage nicht danach. »Es ist kein Gott« sind alle seine Gedanken.

11 Er spricht in seinem Herzen: »Gott hat’s vergessen, er hat sein Antlitz verborgen, er wird’s nimmermehr sehen.«

Aber der Psalmbeter bleibt nicht beim Zweifel stehen. Er ruft trotzdem zu Gott:

12 Steh auf, HERR! Gott, erhebe deine Hand! Vergiss die Elenden nicht!

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

„Wollen wir Gott los sein?“ Viele wollen es, weil man ohne Gott scheinbar bequemer lebt. Wenn keiner da ist, der in alles reinredet, kein Aufpasser im Himmel – sind wir da nicht viel besser dran?

Mag sein, dass Menschen, die auf diese Art und Weise gottlos sind, sich zeitweise stark fühlen, wenn sie stehlen, betrügen und auf Kosten anderer leben. Davon weiß auch Psalm 10 ein Lied zu singen:

6 Der Gottlose spricht in seinem Herzen: »Ich werde nimmermehr wanken.«

7 Sein Mund ist voll Fluchens, voll Lug und Trug; seine Zunge richtet Mühsal und Unheil an.

Und was passiert dann?

2 Weil der Gottlose Übermut treibt, müssen die Elenden leiden.

Das ist Gott aber nicht egal!

13 Warum soll der Gottlose Gott lästern und in seinem Herzen sprechen: »Du fragst doch nicht danach?«

14 Du siehst es doch, denn du schaust das Elend und den Jammer; es steht in deinen Händen. Die Armen befehlen es dir; du bist der Waisen Helfer.

17 Das Verlangen der Elenden hörst du, HERR; du machst ihr Herz gewiss, dein Ohr merkt darauf,

18 dass du Recht schaffest den Waisen und Armen, dass der Mensch nicht mehr trotze auf Erden.

Darum bitten wir Gott um Erbarmen, dass, wer gottlos ist, zu ihm umkehre: Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

„Wollen wir Gott los sein?“ Viele scheinen so zu leben.

Aber kann das überhaupt gelingen? Der Apostel Paulus ist überzeugt: Gott denkt gar nicht daran, die gottlosen Menschen einfach aufzugeben! Im Wort zur Woche – Römer 5, 8 – sagt Paulus:

8 Gott … erweist seine Liebe zu uns darin, dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren.

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende.

Der Herr sei mit euch! „Und mit deinem Geist!“

Gott, mach uns bewusst, dass du uns nicht loswerden willst und dass wir dich nicht loswerden können. Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören ein trauriges Lied aus dem Buch Jesaja 5, 1-7. Es ist ein Lied über die zerbrochene Freundschaft Gottes mit seinem Gottesvolk:

1 Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg. Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe.

2 Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte.

3 Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!

4 Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?

5 Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.

6 Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.

7 Des HERRN Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Amen. „Amen.“

Glaubensbekenntnis

Wir singen das Lied 366:

Wenn wir in höchsten Nöten sein und wissen nicht, wo aus noch ein, und finden weder Hilf noch Rat, ob wir gleich sorgen früh und spat,

so ist dies unser Trost allein, dass wir zusammen insgemein dich anrufen, o treuer Gott, um Rettung aus der Angst und Not,

und heben unser Aug und Herz zu dir in wahrer Reu und Schmerz und flehen um Begnadigung und aller Strafen Linderung,

die du verheißest gnädiglich allen, die darum bitten dich im Namen deins Sohns Jesu Christ, der unser Heil und Fürsprech ist.

Drum kommen wir, o Herre Gott, und klagen dir all unsre Not, weil wir jetzt stehn verlassen gar in großer Trübsal und Gefahr.

Sieh nicht an unsre Sünde groß, sprich uns davon aus Gnaden los, steh uns in unserm Elend bei, mach uns von allen Plagen frei,

auf dass von Herzen können wir nachmals mit Freuden danken dir, gehorsam sein nach deinem Wort, dich allzeit preisen hier und dort.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde! Vorhin hörten wir ein trauriges Schriftwort aus dem Buch Jesaja. Der Prophet erzählt, mit wie viel Mühe sein Freund in bester Hanglage einen Weinberg angelegt hat. Steine aufsammeln, Boden umgraben, Qualitätsrebsorten anpflanzen, Kelter ausmauern und Turm bauen für die Lagerung. Am Ende ist alles vergeblich, weil der Weinberg keinen Ertrag bringt.

Was der Prophet erzählt, ist ein Gleichnis. Denn der Freund ist Gott, der sich viel Mühe gegeben hat, innerhalb seiner Schöpfung die Erde als einen besonderen Garten anzulegen, mit einem sorgsam ausbalancierten ökologischen Gleichgewicht, in dem intelligente und fühlende Lebewesen leben können. Und auf dieser Erde wiederum sucht er sich Menschen aus, die er in besonderer Weise leiten und begleiten will – mit seinem Wort, mit seiner Weisung, damit sie Frucht bringen. Sie sollen die Erde bebauen und bewahren. Sie sollen untereinander in Frieden leben. Sie sollen durch ihr Vertrauen und ihre Liebe ihren Schöpfer loben. Am Ende zieht der Prophet eine ernüchternde Bilanz: „Gott wartete auf Rechts-Spruch, aber da war Rechts-Bruch, er wartete auf Gerechtigkeit, aber da war Schlechtigkeit.“

Ich glaube, wir bräuchten gar nicht lange zum Nachdenken, um in diese Klage mit eigenen Beispielen voll einstimmen zu können. Jeder auf seine Weise. Ältere unter uns wüssten von rotzfrechen Jugendlichen zu erzählen, die ihnen nicht nur keinen Platz im Bus anbieten, sondern ihnen sogar noch Beleidigungen an den Kopf werfen. Kinder wiederum würden zurückgeben, dass auch alte Leute im Bus oft nicht gerade höflich sind, wenn sie ihren Anspruch auf einen Sitzplatz geltend machen. Ich könnte jammern, wie viel Zeit ich mir nehme, um den Konfirmanden- oder Schulunterricht vorzubereiten, und dann kommt oft als Reaktion nur ein „Ööööh, müssen wir unbedingt den Film kucken?“

Es gab sogar buchstäblichen Rechtsbruch in der Paulusgemeinde: Zwei Einbrüche im Gemeindezentrum und im Kindergarten. Vor der Aufklärung steht der Betrug eines Jugendlichen, der vor einer Woche von Haustür zu Haustür ging und Geld sammelte. Angeblich für die Paulusgemeinde, in Wirklichkeit in die eigene Tasche.

Schauen wir weiter in die Welt hinaus, fällt es genau so leicht, die Enttäuschung des Propheten nachzuvollziehen: Die Zeitungen sind voll von Nachrichten über Schlechtigkeiten. Und wo Politiker das Böse eindämmen wollen, mit oder ohne kriegerische Mittel, da erreichen sie möglicherweise beim besten Willen genau das Gegenteil.

Woher kommt es, dass die Welt so schlecht ist? Viele würden antworten: Weil die Menschen gottlos geworden sind. Sie nehmen gar nicht mehr wahr, dass der Weinberg Gott gehört, dass diese Welt Gottes Schöpfung ist. Die Menschen leben, als ob es Gott nicht gäbe, sie wollen Gott los sein. Könnte es am Ende nicht sein, wie Jesaja ankündigt, dass dann auch Gott die Menschen los sein will? Der Weinberg des Gottesvolkes, zuletzt liegt er da: verwüstet, zertreten, vertrocknet, von Disteln und Dornen überwuchert!

Ist doch normal, dass man irgendwann die Geduld verliert – das muss wohl auch bei Gott so sein.

Muss es?

Die Propheten des Volkes Israel sind dieser Meinung. Mit Katastrophen bestraft Gott sein eigenes Volk, weil es undankbar ist und alles andere lieber macht, als sich an die Gebote zu halten und den Mitmenschen zu helfen. Viele Propheten treten auf, rufen das Volk zur Umkehr, reden den Leuten ins Gewissen. Mit Erfolg? Nicht wirklich. Reißt Gottes Geduldsfaden jetzt immer noch nicht?

Nein, Gott gibt immer noch nicht auf. Einen letzten Versuch startet er, um seinen Weinberg doch noch zu retten. Er schickt keine Propheten mehr, er schickt seinen eigenen Sohn in den Weinberg namens Erde. Was dann geschieht, erzählt Jesus selbst, indem er das alte jüdische Weinberggleichniss umdichtet.

Es steht im Evangelium nach Markus 12, 1-9:

1 Und er [Jesus] fing an, zu ihnen in Gleichnissen zu reden: Ein Mensch pflanzte einen Weinberg und zog einen Zaun darum und grub eine Kelter und baute einen Turm und verpachtete ihn an Weingärtner und ging außer Landes.

2 Und er sandte, als die Zeit kam, einen Knecht zu den Weingärtnern, damit er von den Weingärtnern seinen Anteil an den Früchten des Weinbergs hole.

3 Sie nahmen ihn aber, schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.

4 Abermals sandte er zu ihnen einen andern Knecht; dem schlugen sie auf den Kopf und schmähten ihn.

5 Und er sandte noch einen andern, den töteten sie; und viele andere: die einen schlugen sie, die andern töteten sie.

6 Da hatte er noch einen, seinen geliebten Sohn; den sandte er als letzten auch zu ihnen und sagte sich: Sie werden sich vor meinem Sohn scheuen.

7 Sie aber, die Weingärtner, sprachen untereinander: Dies ist der Erbe; kommt, lasst uns ihn töten, so wird das Erbe unser sein!

8 Und sie nahmen ihn und töteten ihn und warfen ihn hinaus vor den Weinberg.

9 Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weingärtner umbringen und den Weinberg andern geben.

Ja, liebe Gemeinde, auch bei Jesus geht die Geschichte nicht besser aus. Hier ist es nicht der Weinberg, der keinen Ertrag bringt, hier sind es die Pächter, die keine Pacht zahlen, aber ansonsten ist die Bilanz der Geschichte die gleiche wie vorhin bei Jesaja: Misserfolg auf der ganzen Linie! Jesus schildert sogar in drastischen Farben, wie grausam die Menschen mit denen umgehen, die ihnen ins Gewissen reden. Die Knechte des Weinbergbesitzers, das sind die Propheten, die dem Volk das Wort Gottes ausrichten. Man hört nicht auf sie, man verfolgt sie, sperrt sie ein, tötet sie.

Zum Schluss redet Jesus von sich selbst. Er ist der Sohn des Eigentümers, vor ihm als Sohn Gottes müssten die Menschen doch wenigstens Respekt haben!

Aber nein – gerade ihn wollen sie loswerden. „Wenn wir den töten, räumen wir den Erben aus dem Weg“, denken sie. „Dann haben wir freie Bahn. Dann sind wir Gott endgültig los. Wir töten Gott ein für allemal! Dann sind wir Gott los, und wir können alles machen, was wir wollen!“ So schwer tun sich Menschen mit ihrer Freiheit, so schamlos nutzen sie sie aus. „Die ganze Welt hast du uns überlassen, doch wir begreifen deine Großmut nicht.“

Zwei traurige Geschichten. Ein realistischer Blick auf die Welt. „Es sind gerade Menschen wie Jesus, die für ihre Liebe kaputtgehasst werden“, hat mir gestern jemand am Telefon gesagt.

Traurig, aber wahr, könnte man sagen. Nur – soll eine Predigt so enden? Das wäre deprimierend. Wo bleibt das Evangelium, die Frohe Botschaft?

Zwei Zipfel der Frohen Botschaft entdecke ich im heutigen Text zur Predigt. Den einen in dem Teil, den ich schon gelesen habe, den zweiten in einem Teil, der gleich noch kommt.

Den ersten Zipfel einer froh machenden Botschaft mitten im traurigen Gleichnis vom Weinberg nehme ich wahr, wenn ich mir noch einmal klar mache, von wem es eigentlich handelt. Es ist ja nicht einfach die Klage eines x-beliebigen Menschen über die böse Welt, der selber auch Dreck am Stecken hat. Es ist vielmehr eine nüchterne Problemanzeige vom einzigen, der ein Recht zur Klage über die böse Welt hat. Dass man sogar Jesus tötet, obwohl er Gottes Sohn ist, zeugt von Realismus und zeigt das Ausmaß der Verrücktheit dieser Welt, in der alle Maßstäbe aus dem Lot geraten, ver-rückt worden sind.

Dass aber dieser eine es trotzdem wagt, als Unschuldslamm in die Höhle des Löwen zu gehen, das ist Frohe Botschaft pur. Denn das ist stark. Er lebt eine Liebe, die nicht einmal in dieser Situation aufgibt, in der alles klar zu sein scheint: Die Menschen haben keine neue Chance verdient. Das Schicksal der Weinbergpächter ist besiegelt. Ihnen droht ewiger Tod, Höllenqualen, sie haben alle Chancen verspielt.

Gott weiß das alles. Und trotzdem geht sein Sohn hinein in diese mörderische Situation, lässt sich anpöbeln, verprügeln, quälen und töten. Indem Gottes Geist in Jesus wohnt, ist es Gott selbst, der hier unten auf Erden der Letzte ist, den die Hunde beißen, der am Kreuz verreckt.

Für wen könnte das eine Frohe Botschaft sein? Für alle, die an dieser Welt verzweifeln, weil sie Opfer anderer Menschen geworden sind, weil sie keinen Ausweg mehr sehen, weil sie sich von niemandem gebraucht fühlen. Genau so ging es dem Gottessohn: ausgenutzt, gequält, getötet und weggeworfen wie einen räudigen Hund draußen vor das Tor. Wo ist Gott, wenn es dir dreckig geht? Er ist an deiner Seite – dein Schicksal geht ihm nahe, weil er es buchstäblich geteilt hat.

Und dann ist da noch ein zweiter Zipfel einer Frohen Botschaft in unserem Text. Denn nach der Erzählung von den bösen Weinbergpächtern zitiert Jesus eine andere Stelle aus seiner jüdischen Bibel:

10 Habt ihr denn nicht dieses Schriftwort gelesen (Psalm 118, 22.23): »Der Stein, den die Bauleute verworfen haben, der ist zum Eckstein geworden.

11 Vom Herrn ist das geschehen und ist ein Wunder vor unsern Augen«?

Mit diesem zweiten Gleichnis legt Jesus das erste aus.

Anknüpfungspunkt ist das Hinauswerfen. Hinaus vors Tor wird im Weinberggleichnis der getötete Sohn geworfen; draußen vor dem Tor wird Jesus real wie ein Verbrecher gekreuzigt.

Die Menschen behandeln Jesus wie einen unbrauchbaren Stein, den ein Maurer auf den Schutthaufen wirft. Doch ausgerechnet dieser Stein, so wird sich herausstellen, ist der wichtigste Stein am ganzen Bauwerk; ihn wird man als Eckstein oder Schlussstein brauchen, oben in der Kuppel des Gewölbes, damit die Statik hält und das Gebäude nicht einstürzt.

Das ist Frohe Botschaft für diejenigen, die sich trauen zu vertrauen. Denn beweisen kann man nicht, dass Jesus Gottes Sohn ist und am Ende auf Gottes Thron im Himmel sitzen wird. Beweisen kann man nicht einmal Gottes Existenz. Die Weinberggleichnisse zeigen ja: scheinbar ungestraft lebt man über viele Jahre gottlos, wird man zum Schluss sogar Gott los. Ein Wunder ist es also, wenn vor unseren Augen – vor den Augen unserer Seele – eine andere Wahrheit aufscheint: Auch wenn Menschen Jesus töten, werden sie seine Liebe nicht los – er sagt trotzdem: Vater, vergib ihnen! Gottlose werden Gott nicht los. Er gibt sie nicht auf, wartet unermüdlich auf ihre Umkehr. Auch wenn uns Gott zu schwach vorkommt und uns scheinbar nicht helfen kann, wendet er sich nicht beleidigt von uns ab. Er steht bei uns, er steht zu uns, gerade dort, wo wir am Ende sind.

Am Ende seiner Gleichnisrede bleibt Jesu Schicksal jetzt noch in der Schwebe:

12 Und sie trachteten danach, ihn zu ergreifen, und fürchteten sich doch vor dem Volk; denn sie verstanden, dass er auf sie hin dies Gleichnis gesagt hatte. Und sie ließen ihn und gingen davon.

Menschen, die Gott los werden wollen, schwanken zwischen zwei Möglichkeiten: noch trauen sie sich nicht, ihm etwas zu tun – da gehen sie einfach weg von ihm. Zwei Formen der Gottlosigkeit: Gott aktiv aus dem Weg räumen – oder selber von ihm weggehen.

Es gibt nur einen Weg, mit Gott zu leben: Indem man bei Jesus bleibt, dessen Weg damals unaufhaltsam in Richtung Golgatha führt; indem man sein eigenes Kreuz trägt, so wie Jesus es wird tragen müssen; indem man aushält, was man im eigenen Leben nicht ändern kann. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen aus dem Lied 360 vom Anfang jetzt die Strophen 4 bis 6:

Wir richten Mauern auf, wir setzen Grenzen

Danke Gott, dass der seidene Faden, an dem wir hängen, dein Geduldsfaden ist, der niemals reißt. Danke, dass die Freiheit, die du uns schenkst, keine Ungebundenheit und Haltlosigkeit ist, sondern ein Weg, auf dem wir etwas zu hoffen haben und auf dem wir von deiner Liebe lernen.

Wir bitten dich um Klarheit in unseren Entscheidungen und um Zuversicht, wenn uns die Herausforderungen unseres Lebens über den Kopf wachsen. Wir bitten: Gib nicht auf, uns Frieden zu lehren, der dort wächst, wo gerecht geteilt wird und fair gestritten wird.

Insbesondere beten wir heute für ein verstorbenes Gemeindeglied… Schenke ihm ewige Ruhe in dir, und stehe seinen Angehörigen bei, dass sie in der Trauer nicht alleingelassen sind.

Wir bitten um den Mut zum Glauben in einer Welt, die weithin ohne dich leben will – lass uns einsehen, dass wir dich niemals loswerden, selbst wenn wir dich ignorieren, lächerlich machen oder ans Kreuz schlagen. Hilf uns zu glauben, wie Oscar Wilde einmal gesagt hat: Ich kann alles glauben – vorausgesetzt es ist unglaublich. Oder hilf uns zu glauben wie jener Mensch, der Jesus begegnete und ihn bat: Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben!

In der Stille bringen wir vor dich, Gott, was wir außerdem auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Zum Schluss singen wir aus dem Lied 326 die Strophen 1 und 4 bis 6:

Sei Lob und Ehr dem höchsten Gut, dem Vater aller Güte, dem Gott, der alle Wunder tut, dem Gott, der mein Gemüte mit seinem reichen Trost erfüllt, dem Gott, der allen Jammer stillt. gebt unserm Gott die Ehre!

Ich rief zum Herrn in meiner Not: „Ach Gott, vernimm mein Schreien!“ Da half mein Helfer mir vom Tod und ließ mir Trost gedeihen. Drum dank, ach Gott, drum dank ich dir; ach danket, danket Gott mit mir! Gebt unserm Gott die Ehre!

Der Herr ist noch und nimmer nicht von seinem Volk geschieden; er bleibet ihre Zuversicht, ihr Segen, Heil und Frieden. Mit Mutterhänden leitet er die Seinen stetig hin und her. Gebt unserm Gott die Ehre!

Wenn Trost und Hilf ermangeln muss, die alle Welt erzeiget, so kommt, so hilft der Überfluss, der Schöpfer selbst, und neiget die Vateraugen denen zu, die sonsten nirgends finden Ruh. Gebt unserm Gott die Ehre!

Und nun geht mit Gottes Segen. Vielleicht bleiben Sie auch noch ein wenig zusammen im Gemeindesaal bei Kaffee oder Tee.

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

2 Kommentare zu „Wollen wir Gott – los sein?“

  1. Naja.
    Gott verarscht mich zu viel.
    Ich hasse ihn. Sorry, Ihn, nein ihn!
    Gott du Lo++er
    Amen.

    1. Lieber Matyas,
      du scheinst dich mit Gott eng verbunden zu fühlen – eng verbunden im Hass und im Gebet, in der Enttäuschung von ihm und im Gefühl, dich evtl. entschuldigen zu müssen, ja sogar in einer Art Mitgefühl, indem du ihn als Looser ansprichst. Kann es sein, dass sich hinter deinem Gefühlsmix vielleicht doch eine Liebe zu Gott verbirgt oder zumindest der Wunsch, von ihm geliebt zu sein?

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