Bild: Helmut Schütz

„Deine Toten werden leben!“

Wer hier auf Erden geliebt hat und geliebt wurde, bleibt nicht gefangen in der Erde. Ein Tau der Lichter belebt die Toten; das ist ein schönes Bild für das ewige Leben in Gottes Liebe. Und wir, die noch auf dieser Erde leben, sollen aufstehen aus der Gebundenheit nur an das Materielle, sollen nicht ein Leben in Gier und Eigensucht führen.

Pfarrer Schütz bei der Osterandacht 2010 mit dem Gießener Bläserkreis

Osterandacht am Ostersonntag, 4. April 2010, 8.00 Uhr am Steinkreuz auf dem Friedhof Gießen
Vorspiel des Bläserkreises
Seit vielen Jahren organisiert Alfed Joswig die Beteiligung des Gießener Bläserkreises an der Osterandacht, die es seit 40 Jahren gibt
Schon lange organisiert Alfed Joswig die Beteiligung des Gießener Bläserkreises an der Osterandacht, die es seit 40 Jahren gibt

„Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaftig auferstanden!“ So begrüßen sich Christen seit vielen Jahrhunderten am Ostermorgen, und so tun wir es auch im Jahr 2010 hier auf dem Neuen Friedhof in Gießen.

Obwohl es gar nicht leicht war, ist es Herrn Alfred Joswig wieder gelungen, einen Bläserchor zusammenzustellen, der unseren Gesang musikalisch begleitet. Sie sind extra aus dem Gießener Umland hierher gekommen, und dafür danken wir Ihnen herzlich! 40 Jahre lang gibt es nun schon diese Tradition auf dem Gießener Friedhof, dass die evangelische Paulusgemeinde zu einer Osterandacht am Steinkreuz einlädt. Es ist schön, dass Sie auch in diesem Jahr wieder dieser Einladung gefolgt sind.

An dem Ort, wo wir unsere Toten bestatten, feiern wir die Auferstehung Jesu Christi von den Toten. Wir sind hier versammelt im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

„Deine Toten werden leben“, so lautet das Thema dieser Andacht. Diesen Satz habe ich dem Prophetenbuch Jesaja 26, 19 entnommen; eine der wenigen Stellen im Alten Testament, an der von der Auferstehung der Toten die Rede ist:

19 Deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen. Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Toten herausgeben.

Bläserkreis am SteinkreuzBevor ich jedoch zur Schriftauslegung komme, singen wir aus dem Osterlied 103 die Strophen 1, 2, 5 und 6:

1. Gelobt sei Gott im höchsten Thron samt seinem eingebornen Sohn, der für uns hat genug getan. Halleluja, Halleluja, Halleluja.

2. Des Morgens früh am dritten Tag, da noch der Stein am Grabe lag, erstand er frei ohn alle Klag. Halleluja, Halleluja, Halleluja.

5. Nun bitten wir dich, Jesu Christ, weil du vom Tod erstanden bist, verleihe, was uns selig ist. Halleluja, Halleluja, Halleluja.

6. O mache unser Herz bereit, damit von Sünden wir befreit dir mögen singen allezeit: Halleluja, Halleluja, Halleluja.

Liebe Gemeinde, Ostern ist das Fest der Auferstehung Jesu Christi. Normalerweise hören wir die Erzählungen aus den Evangelien und die Erklärungen des Apostels Paulus, um uns zu vergegenwärtigen, was diese Auferstehung bedeutet. Aber nach Paulus (1. Korinther 15, 4) ist Jesus

„auferstanden … am dritten Tage nach der Schrift“,

und nach Lukas 24, 52 redete Jesus selbst mit den Jüngern von Emmaus, indem er

„ihnen die Schrift öffnete“,

damit sie begriffen, dass er wahrhaftig auferstanden war. Die Schrift, auf die Paulus und Jesus zurückgreifen, ist die Bibel Israels, unser Altes Testament. Nur von dorther können wir wirklich begreifen, was im Neuen Testament mit „Auferstehung“ gemeint ist.

„Deine Toten werden leben“, so heißt es im 26. Kapitel des Buches Jesaja. Schon im Kapitel davor schildert der Prophet eine Vision vom Ende aller Tage und sagt von Gott (Jesaja 25, 8):

8 Er wird den Tod verschlingen auf ewig. Und Gott der HERR wird die Tränen von allen Angesichtern abwischen und wird aufheben die Schmach seines Volks in allen Landen; denn der HERR hat’s gesagt.

Gott wird den Tod verschlingen, der uns zu verschlingen droht, und dieser Sieg über den Tod hat zwei Seiten:

Erstens schafft Gott Trost in der Trauer. Tränen werden abgewischt. Die Angst vor der Auslöschung des Lebens wird überwunden.

Und zweitens ist im Blick der soziale oder seelische Tod unterdrückter, gedemütigter Menschen: ihre Würde wird wiederhergestellt. Ich sage das bewusst im Blick auf ein Thema, das zur Zeit in aller Munde ist: Auferstehung ist ein Wunder, das auch geschändete, missbrauchte Menschen erfahren dürfen. Ihre Schmach wird aufgehoben; sie müssen sich nicht mehr schuldig fühlen für das, was ihre Peiniger ihnen angetan haben, ihnen widerfährt Gerechtigkeit, sie dürfen aufatmen.

Bläserkreis und Teilnehmende an der OsterandachtWir singen aus dem Lied 113 die Strophen 1, 3 und 4:

1. O Tod, wo ist dein Stachel nun? Wo ist dein Sieg, o Hölle? Was kann uns jetzt der Teufel tun, wie grausam er sich stelle? Gott sei gedankt, der uns den Sieg so herrlich hat nach diesem Krieg durch Jesus Christ gegeben!

3. Lebendig Christus kommt herfür, die Feind nimmt er gefangen, zerbricht der Hölle Schloss und Tür, trägt weg den Raub mit Prangen. Nichts ist, das in dem Siegeslauf den starken Held kann halten auf, alls liegt da überwunden.

4. Des Herren Rechte, die behält den Sieg und ist erhöhet; des Herren Rechte mächtig fällt, was ihr entgegenstehet. Tod, Teufel, Höll und alle Feind durch Christi Sieg bezwungen seind, ihr Zorn ist kraftlos worden.

Aber ist es realistisch, an Auferstehung zu glauben, egal in welchem Sinne? Nicht erst uns modernen Menschen im wissenschaftlich geprägten Zeitalter fällt das schwer. Schon im Buch Jesaja finden wir im 26. Kapitel Aussagen über die Auferstehung, die sich zu widersprechen scheinen. Eine davon nimmt unsere modernen Zweifel vorweg. In Jesaja 26, 14 heißt es:

14 Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf.

Und in Vers 19 hören wir:

19 Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen.

Man kann diese beiden Bibelverse nicht ohne ihren Zusammenhang verstehen. Der erste Vers bezieht sich auf die Erfahrung, schlimmster Ausbeutung und Demütigung ausgesetzt zu sein und trotzdem nicht das Vertrauen auf Gott zu verlieren:

13 Herr, unser Gott, es herrschen wohl andere Herren über uns als du, aber wir gedenken doch allein deiner und deines Namens.

Von diesen anderen Herren, Gewaltherrschern und Übeltätern, die sich an die Stelle Gottes setzen oder Menschen Gewalt antun unter Missbrauch des Namens Gottes, sagt Jesaja, dass sie nicht auferstehen werden, ja, man wird ihrer nicht einmal mehr gedenken:

14 Tote werden nicht lebendig, Schatten stehen nicht auf; darum hast du sie heimgesucht und vertilgt und jedes Gedenken an sie zunichte gemacht.

Diese Toten, die nicht lebendig werden, diese Totengeister, die nicht auferstehen, sind schon tot, obwohl sie hier auf der Erde noch am Leben sind, denn sie treten die Würde anderer Menschen und damit auch ihre eigene Würde mit Füßen.

Teilnehmende an der OsterandachtAber es gibt auch Tote, die auferstehen werden. Von ihnen redet Jesaja, indem er in einer verzweifelten Notlage des Volkes von der Hoffnung auf die Geburt neuer Menschenkinder spricht:

17 Gleich wie eine Schwangere, wenn sie bald gebären soll, sich ängstigt und schreit in ihren Schmerzen, so geht’s uns auch, Herr, vor deinem Angesicht.

18 Wir sind auch schwanger, und uns ist bange, und wenn wir gebären, so ist’s Wind. Wir können dem Lande nicht helfen, und Bewohner des Erdkreises können nicht geboren werden.

Diese Schilderung erinnert mich an unsere Versuche heute, zum Beispiel die Renten abzusichern, das Gesundheitssystem zu reformieren und andere Krisen in den Griff zu bekommen. Wir sind schwanger mit Ideen, wir sind voller Sehnsucht nach Leben, nach Hoffnung, nach praktikablen Lösungen für die Probleme unseres Landes. Aber wir sind bange, und aus Angst vor der eigenen Courage bringen wir nicht wirklich Leben hervor, sondern gebären nur – heiße Luft, würden wir sagen, Wind, sagt die Bibel. Und an dieser Stelle fährt der Prophet Jesaja fort:

19 Aber deine Toten werden leben, deine Leichname werden auferstehen.

Im hebräischen Urtext steht wörtlich übrigens „deine Toten, meine Leichname“. Wieso dieser Wechsel von „dein“ und „mein“? Martin Luther hat es in seiner Übersetzung angeglichen und beide Male von „deinen Toten, deinen Leichnamen“ geschrieben. Aber vielleicht sollte die Rede sein von Toten, die sowohl zu Gott gehören als auch im Volk Gottes mit Namen bekannt sind. Es sind geliebte Menschen, deren Namen im Buch des Lebens geschrieben stehen. Auferstehung wird also erfahren von Menschen, die in Verbindung mit Gott stehen. Sie werden persönlich angesprochen:

Wachet auf und rühmet, die ihr liegt unter der Erde! Denn ein Tau der Lichter ist dein Tau, und die Erde wird die Toten herausgeben.

Wörtlich steht da im Hebräischen: „Wacht auf, ihr Bewohner des Staubes!“ Wie soll man sich das nun vorstellen? Ich denke, wir können und sollen in zwei Richtungen denken. Dieser Satz gilt erstens für die real Verstorbenen. Wer hier auf Erden ein Leben im Gottvertrauen geführt hat, wer geliebt hat und geliebt wurde, der darf vom Tod aufwachen, er bleibt nicht gefangen in der Erde, weder in Sarg noch Urne. Eine Art Himmelstau, ein Tau der Lichter, belebt die Toten und gibt ihnen Licht; ich finde, das ist ein schönes Bild für das ewige Leben in Gottes Liebe, das unsere Sinne nicht wahrnehmen und das wir uns nur bildhaft vorstellen können.

Zweitens gilt dieser Aufruf aber auch für uns, die real noch auf dieser Erde leben. Wir sollen mehr sein als nur Staubbewohner, wir sollen aufstehen aus der Gebundenheit nur an das Materielle, sollen nicht ein Leben in Gier und Eigensucht führen, sondern ein Leben im Gottvertrauen und im Einstehen füreinander.

Bläserkreis am SteinkreuzWir singen das Lied 107:

1. Wir danken dir, Herr Jesu Christ, dass du vom Tod erstanden bist und hast dem Tod zerstört sein Macht und uns zum Leben wiederbracht. Halleluja.

2. Wir bitten dich durch deine Gnad: nimm von uns unsre Missetat und hilf uns durch die Güte dein, dass wir dein treuen Diener sein. Halleluja.

3. Gott Vater in dem höchsten Thron samt seinem eingebornen Sohn, dem Heilgen Geist in gleicher Weis in Ewigkeit sei Lob und Preis! Halleluja.

Wir haben im Ohr, was Jesaja uns von der Auferstehung gesagt hat, und nun hören wir die Botschaft von der Auferstehung Jesu Christi, wie der Apostel Paulus sie in 1. Korinther 15 überliefert:

3 Ich habe euch weitergegeben, was ich auch empfangen habe: Dass Christus gestorben ist für unsre Sünden nach der Schrift;

4 und dass er begraben worden ist; und dass er auferstanden ist am dritten Tage nach der Schrift.

35 Es könnte aber jemand fragen: Wie werden die Toten auferstehen, und mit was für einem Leib werden sie kommen?

42 … Es wird gesät verweslich und wird auferstehen unverweslich.

43 Es wird gesät in Niedrigkeit und wird auferstehen in Herrlichkeit. Es wird gesät in Armseligkeit und wird auferstehen in Kraft.

Hören wir diese Worte auf dem Hintergrund der Schriftworte im Buch Jesaja, dann dürfen wir auch die Rede des Paulus von der Auferstehung auf zweifache Weise verstehen:

Wir dürfen an die Auferstehung nach dem Tod glauben – eine Neuschöpfung mit einem unverweslichen Leib, für uns unvorstellbar, bei Gott im Himmel.

Und wir dürfen ebenso vertrauen auf eine Auferstehung vor dem Tod, hier im irdischen Leben, das Aufstehen aus Schande und Erniedrigung, das Gerichtet- und Aufgerichtetwerden aus der eigenen Sünde. Beides zusammen ist Grund für unsere Osterfreude: Trost in der Trauer über Menschen, die uns fehlen, und Ermutigung zum Leben auch für die, deren Würde mit Füßen getreten wurde. Amen.

Teilnehmende an der Osterandacht 2010Wir singen aus dem Lied 115 die Strophen 1 und 5 bis 6:

1. Jesus lebt, mit ihm auch ich! Tod, wo sind nun deine Schrecken? Er, er lebt und wird auch mich von den Toten auferwecken. Er verklärt mich in sein Licht; dies ist meine Zuversicht.

5. Jesus lebt! Ich bin gewiss, nichts soll mich von Jesus scheiden, keine Macht der Finsternis, keine Herrlichkeit, kein Leiden. Seine Treue wanket nicht; dies ist meine Zuversicht.

6. Jesus lebt! Nun ist der Tod mir der Eingang in das Leben. Welchen Trost in Todesnot wird er meiner Seele geben, wenn sie gläubig zu ihm spricht: »Herr, Herr, meine Zuversicht!«

Herr Jesus Christus, lass uns Trost erfahren und lass uns ein offenes Ohr haben für Menschen, die uns brauchen. Richte uns auf aus Depression und Verzweiflung, Angst und Schuld. Gib uns Orientierung und festen Halt an deinen Geboten, an deiner Gemeinde, an deiner allmächtigen Liebe. Lass uns fröhlich Ostern feiern im Vertrauen auf die Botschaft von der Auferstehung – denn dein Leben triumphiert über alle Mächte des Todes, der Sünde und der banalen Gleichgültigkeit, in der alles egal ist. Du bist wahrhaftig auferstanden – lass auch uns aufstehen und in Verantwortung vor dir unser Leben führen mit aufrechtem Gang. Amen.

Gemeinsam beten wir zum Vater im Himmel:

Vater unser

Bläserkreis Gießen vor dem SteinkreuzWir singen das Lied 99:

1) Christ ist erstanden von der Marter alle; des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

2) Wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen; seit dass er erstanden ist, so lobn wir den Vater Jesu Christ‘. Kyrieleis.

3) Halleluja, Halleluja, Halleluja! Des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. Amen.

Nachspiel des Bläserkreises

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