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Den Gürtel weiter schnallen

Brauner Gürtel, eng geschnallt
Den Gürtel enger schnallen? (Bild: Anikó WéberPixabay)

Die Fastenzeit beginnt, und mir fällt dazu der „Solidarpakt“ ein. „Wir müssen alle den Gürtel enger schnallen!“ – passt dieser Aufruf vieler Politiker nicht gut in diese Zeit des Kirchenjahres hinein? Aber ich ärgere mich über diese Redewendung. Aus welchem Grund schnallt man denn den Gürtel enger? An sich, wenn der Magen leer ist, der Bauch nicht gefüllt. Aber meint einer der Diätenempfänger im Ernst, er müsse hungern, wenn seine Bezüge einmal nicht erhöht werden? Und im gleichen Atemzug geht er daran, den Warenkorb für die Bemessung der Sozialhilfe zu beschneiden! Warum bekommen Menschen, die arm sind, immer wieder zu spüren, dass man ihnen keine Rechte zubilligen will, dass man sie in einen Topf wirft mit Menschen, die ohne Not auf Kosten anderer leben?

Noch aus einem anderen Grund ärgert mich der Ausdruck „den Gürtel enger schnallen“. Er legt nahe, dass es immer nur weh tut und dass das Leben unerträglich eingeengt wird, wenn man auf etwas verzichten muss. Doch wer die Fastenzeit ernst nimmt, spürt gerade umgekehrt: zu viel zu haben, das macht nicht satt und zufrieden. Ein „Zuviel“ bedeutet manchmal ein „Zuwenig“: zu wenig genießen, sich freuen, aufeinander aufmerksam sein zu können. Und dann liegt die Frage nahe: worauf könnte ich jetzt einmal für sieben Wochen verzichten, welche Angewohnheiten sollte ich einmal überprüfen, ob ich auch ohne sie leben kann? Vielleicht würde mein Leben nicht enger, sondern weiter, wenn ich nicht mehr gebunden wäre an das „Zuviel“, an das „Immer-mehr“, an das „Haben“.

Aus der Nervenklinik kenne ich übrigens Menschen, die ihren Gürtel enger schnallen, um ihren Bauch besser einziehen zu können. Nicht nur um so dem gängigen Schönheitsideal besser zu entsprechen. Nein, sie trauen sich einfach nicht, richtig durchzuatmen und dabei ihr Zwerchfell und ihren Bauch zu spüren! Denn dabei würden sie viel intensiver darauf aufmerksam werden, was in ihrem Inneren vorgeht – vielleicht große Angst und Traurigkeit oder auch eine Wut im Bauch. Einige lernen es, „den Gürtel weiter zu schnallen“ und sich nicht länger „zusammenzureißen“. Sie vertrauen sich einem Therapeuten oder Seelsorger an mit all dem, was da brodelt an Gefühlen und verborgener Sehnsucht.

Die Fastenzeit heißt in der evangelischen Kirche „Passionszeit“. Passion heißt wörtlich „das Leiden“, aber auch „die Leidenschaft“. In den nächsten Wochen bis zum Karfreitag erinnern sich Christen an das Leiden Jesu, der kein stiller Dulder war, sondern gewütet hat: gegen die Geschäftemacher im Tempel, der geweint hat aus Angst vor dem nahenden Tod, der geschrien hat vor Schmerzen unter des Folter am Kreuz. Nicht den Verzicht als solchen hat Jesus verherrlicht. Nein, um der leidenschaftlichen Liebe zu den Menschen willen hat er alles hergegeben, sogar sein Leben.

Betrachtung für den Evangelischen Pressedienst am 28. Februar 1993 von Helmut Schütz, Krankenhauspfarrer in Alzey.

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