Bild: Pixabay

Erwarten – Bewahren – Verändern

Eine Geschichte damals im Tempel von Jerusalem öffnet eine Tür zwischen den Generationen. Weihnachten ist das Fest der Großfamilie. Man hört auf die Geschichte der Alten, und in dieser Geschichte ist auch Platz für die Kinder- und Enkelgeneration. Die Generationen begegnen einander und fangen an, sich zu bewegen.

Simeon und Hanna begegnen der heiligen Familie im Tempel
Begegnung der Generationen im Tempel von Jerusalem (Bild: falcoPixabay)

direkt-predigtGottesdienst zwischen den Jahren mit Barbara Görich-Reinel, Carolin Kalbhenn und Helmut Schütz am Sonntag nach Weihnachten, den 28. Dezember 2008, um 10.00 Uhr in der evangelischen Michaelskirche Gießen-Wieseck
Orgelvorspiel
Begrüßung (Carolin Kalbhenn)
Lied 30,1-3:

1. Es ist ein Ros entsprungen aus einer Wurzel zart, wie uns die Alten sungen, von Jesse kam die Art und hat ein Blümlein bracht mitten im kalten Winter wohl zu der halben Nacht.

2. Das Blümlein, das ich meine, davon Jesaja sagt, hat uns gebracht alleine Marie, die reine Magd; aus Gottes ewgem Rat hat sie ein Kind geboren, welches uns selig macht.

3. Das Blümelein so kleine, das duftet uns so süß; mit seinem hellen Scheine vertreibt’s die Finsternis. Wahr‘ Mensch und wahrer Gott, hilft uns aus allem Leide, rettet von Sünd und Tod.

Barbara Görich-Reinel:
Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“
Psalm 71 (EG 732):

1 Herr, ich traue auf dich, lass mich nimmermehr zuschanden werden.

2 Errette mich durch deine Gerechtigkeit und hilf mir heraus, neige deine Ohren zu mir und hilf mir!

3 Sei mir ein starker Hort, zu dem ich immer fliehen kann, der du zugesagt hast, mir zu helfen;

5 denn du bist meine Zuversicht, Herr, mein Gott, meine Hoffnung von meiner Jugend an.

9 Verwirf mich nicht in meinem Alter, verlass mich nicht, wenn ich schwach werde.

20 Du lässest mich erfahren viele und große Angst…

21 … und tröstest mich wieder.

23 Meine Lippen und meine Seele, die du erlöst hast, sollen fröhlich sein und dir lobsingen.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Helmut Schütz:

Weihnachten liegt hinter uns. Mit der Weihnachtsbotschaft aus alten Tagen, „wie uns die Alten sungen“. Mit der Einladung an die ganz Kleinen: „Ihr Kinderlein, kommet!“ Konnten wir es feiern als Fest der Familie, in der Harmonie der Generationen? Konnten wir zueinander finden, Zerrissenheit überwinden?

Wenn Friede da war, hilf uns, ihn dankbar zu bewahren auf dem Weg ins Neue Jahr. Wenn wir gelitten haben unter Spannungen und ungelösten Problemen, dann lass uns Mut gewinnen, um sie zu überwinden und zu lösen. Wir rufen zu dir, Gott:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Weihnachten liegt hinter uns, doch das, was Weihnachten angebrochen ist, liegt zugleich immer noch vor uns. In der Geburt Jesu Christi beginnt die Erfüllung dessen, was wir im Psalm 98, Vers 3, hören: „Der Herr gedenkt an seine Gnade und Treue für das Haus Israel, aller Welt Enden sehen das Heil unsres Gottes.“

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen.“

Vater des Kindes in der Krippe, lass uns nun das Wort hören, das nach Weihnachten geschah, damals in Jerusalem, als Maria und Josef ihren Sohn, deinen Sohn in den Tempel brachten.

Lass dein Wort zu uns reden, uns anrühren und bewegen, dass es wahr wird und sich bewährt in unserem Reden und Tun.

Darum bitten wir dich im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Lesung: Lukas 2, 22-40

Erzählerin (Carolin Kalbhenn):

22 Und als die Tage ihrer Reinigung nach dem Gesetz des Mose um waren, brachten sie ihn nach Jerusalem, um ihn dem Herrn darzustellen,

23 wie geschrieben steht im Gesetz des Herrn: »Alles Männliche, das zuerst den Mutterschoß durchbricht, soll dem Herrn geheiligt heißen«,

24 und um das Opfer darzubringen, wie es gesagt ist im Gesetz des Herrn: »ein Paar Turteltauben oder zwei junge Tauben«.

Simeon (Helmut Schütz):

25 Und siehe, ein Mann war in Jerusalem, mit Namen Simeon; und dieser Mann war fromm und gottesfürchtig und wartete auf den Trost Israels, und der heilige Geist war mit ihm.

26 Und ihm war ein Wort zuteil geworden von dem heiligen Geist, er solle den Tod nicht sehen, er habe denn zuvor den Christus des Herrn gesehen.

27 Und er kam auf Anregen des Geistes in den Tempel. Und als die Eltern das Kind Jesus in den Tempel brachten, um mit ihm zu tun, wie es Brauch ist nach dem Gesetz,

28 da nahm er ihn auf seine Arme und lobte Gott und sprach:

29 Herr, nun lässt du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast;

30 denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen,

31 den du bereitet hast vor allen Völkern,

32 ein Licht, zu erleuchten die Heiden und zum Preis deines Volkes Israel.

33 Und sein Vater und seine Mutter wunderten sich über das, was von ihm gesagt wurde.

34 Und Simeon segnete sie und sprach zu Maria, seiner Mutter: Siehe, dieser ist gesetzt zum Fall und zum Aufstehen für viele in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird

35 – und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen -, damit vieler Herzen Gedanken offenbar werden.

Hannah (Barbara Görich-Reinel):

36 Und es war eine Prophetin, Hanna, eine Tochter Phanuëls, aus dem Stamm Asser; die war hochbetagt. Sie hatte sieben Jahre mit ihrem Mann gelebt, nachdem sie geheiratet hatte,

37 und war nun eine Witwe an die vierundachtzig Jahre; die wich nicht vom Tempel und diente Gott mit Fasten und Beten Tag und Nacht.

38 Die trat auch hinzu zu derselben Stunde und pries Gott und redete von ihm zu allen, die auf die Erlösung Jerusalems warteten.

Erzählerin (Carolin Kalbhenn):

39 Und als sie alles vollendet hatten nach dem Gesetz des Herrn, kehrten sie wieder zurück nach Galiläa in ihre Stadt Nazareth.

40 Das Kind aber wuchs und wurde stark, voller Weisheit, und Gottes Gnade war bei ihm.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis
Lied: Menschenskinderliederbuch 126: Geht, ruft es von den Bergen
Predigt in drei Teilen:
Teil 1: Simeon (Helmut Schütz)

Ich bin Simeon. Ich wohne in Jerusalem, wo der Berg Zion ist, auf den sich die Hoffnung aller Juden konzentriert. Hier soll alles, was in aller Herren Länder zerstreut ist, wieder zusammengeführt werden, hier sollen alle, die versklavt sind, wieder frei werden, hier sollen Israel und die Völker zu Freunden werden und im Frieden miteinander leben. Auf diesen Frieden warte ich. Ich weiß, dass er kommt, der ihn bringt, der von Gott Gesalbte, der König, der Messias, der Christus. „Das erlebst du deiner Lebtag nicht“, sagen mir die Leute, und ich antworte: Doch, ich weiß es von Gott selbst: die Geburt des Messias werde ich noch erleben, bevor ich sterbe. Du bist wohl ein Prophet? spotten sie. Ja, sage ich, zwar nur ein kleiner, denn Gott hat mir nur ein Wort gesagt. Aber dieses eine genügt mir.

Auf dieses Wort hin lebe ich. Auf dieses Wort lebe ich hin. Nichts anderes gibt meinem Leben Sinn. Darum stehe ich auf jeden Tag, fast immer gehe ich zum Tempel, frage nach den neugeborenen Kindern, die die Eltern in den Tempel bringen. Darum ertrage ich den unerträglichen Zustand meines Volkes, das jetzt Palästina heißt. Es ist praktisch eine Provinz des Römischen Heiden-und-Götzen-Weltstaates, und Israel, das Volk Gottes, es ist völlig zerrissen: Die einen sind fast schon Römer geworden: König Herodes hat zwar einen Tempel gebaut, aber am liebsten würde er in den Turnhallen der Römer bei deren Götterspielen mitmachen. Andere sind voller Eifer für den Gott Israels und greifen zu den Waffen, weil sie nicht weiter zusehen wollen, wie ihre Frauen und Kinder in die Sklaverei verkauft werden, weil die Steuern unbezahlbar geworden sind. Ich bin kein Anhänger des Herodes. Ich glaube aber auch nicht an die Macht der Waffen. Ich warte auf den Friedenskönig. Die Leute sagen: Der alte Simeon spinnt. Der hat keine Ahnung. Die Zeiten haben sich geändert. Die einen sagen: Es kommt kein Messias mehr. Die anderen sagen: Der Messias ist längst da, folgt ihm, holt eure Dolche heraus, wehrt euch gegen die Römer, wo ihr sie trefft. Ich sage: Nein, wenn der Messias kommt, dann wird er euch sagen, was ihr tun sollt. Aber ich glaube nicht, dass er Frieden durch noch mehr Blutvergießen bringt.

Heute komme ich in den Tempel; ich wusste einfach, ich muss hingehen. Und da ist dieses Kind: niemand muss mir sagen, wie es heißt, wer seine Eltern sind – Gott selbst öffnet mir die Augen, und meine Augen sehen: nicht der Kaiser in Rom, der sich Heiland und Retter der Welt schimpft, darf sich so nennen. Dieses Kind hier ist Heiland und Retter; es heißt Jesus, Befreiung; es bringt Licht und Frieden für Israel und alle Völker. Ich segne seine Eltern, die erstaunt sind über meine Worte, und ich muss der Mutter sagen: Leicht wird er es nicht haben, dein Sohn. Man wird ihm widersprechen, viele werden an ihm zu Fall kommen, sein eigenes Schicksal mag ich dir nicht ausmalen, aber er ist wirklich derjenige, durch den viele aufstehen werden: aufstehen zum Leben, auferstehen zum Frieden.

Auf einmal merke ich: Ich bin nicht allein mit meinem Interesse für dieses Kind. Die alte Hanna, eine Prophetin wie ich, ist auch gekommen. Sie ist schon länger Witwe, als ich mich erinnern kann, und sie ist es, durch die ich gelernt habe, das Wort Geduld zu buchstabieren. Sie wohnt praktisch im Tempel und ist so froh wie ich, dass sie das noch erleben darf: Dieses Kind bringt die Erlösung für Jerusalem, ein Ende aller Leiden, aller Gewalt, aller Verzweiflung.

Musik
Teil 2: Jesus (Barbara Görich-Reinel)

Ich bin ein jüdisches Baby. Ich bin jetzt 30 Tage am Leben geblieben. Ich habe Geburt und Beschneidung überstanden, deshalb ist davon auszugehen, dass ich nun wachse und gedeihe. Meine Mutter hat nach guter jüdischer Sitte das Reinigungsopfer gebracht, und ich werde als Erstgeborener heute im Tempel ausgelöst. Ihr wisst, was das bedeutet? Nein. Also gut: Man bringt den erstgeborenen Sohn zum Priester und löst ihn gegen Geld aus. Dann darf man ihn zurück mit nach Hause in die Familie nehmen und der Kleine muss nicht im Tempel, dem Heiligen dienen. Der erstgeborene Sohn ist eigentlich Gott geweiht; deshalb wurde der Erstgeborene der Israeliten auch vor dem Auszug aus Ägypten – bei der 10. Plage – verschont. Doch dann verwirkten die Erstgeborenen ihren besonderen Status, indem sie das goldene Kalb anbeteten. Seitdem wurde ihnen das Recht auf den Dienst für und bei Gott genommen, die Leviten übernahmen zusammen mit den Priestern ihre Aufgabe. Da dieses Amt durchaus auch eine Bürde darstellt, „lösen“ die Familien ihre erstgeborenen Jungs bei den Priestern aus. Meine Eltern auch.

Bisher lief alles normal. Doch heute redete man mich im Tempel mit Heiland an, man titulierte mich als Licht der Heiden. Außerdem soll ich ein Zeichen sein, an dem sich die Geister scheiden und das zu Widerspruch herausfordert. Bin ich irgendwie besonders, zu irgend etwas berufen und gesandt? … Ist ja schön, dass man mir alles Mögliche zutraut! Ich soll Menschen retten und Fremden Orientierungshilfe sein. Was ihr alles wisst und von mir wollt! Mal sehen, was ich daraus mache. Ich habe schließlich auch eigene Vorstellungen vom Leben. Und bis ich mal groß bin, hat sich noch manches verändert. Aber lasst mich nur machen! Vertraut mir! (Geste) Immerhin bin ich offensichtlich nicht nur der brave, liebe Goldjunge. „Siehe, dieser ist bestimmt, viele in Israel zum Fallen und zum Aufstehen zu bringen…“ Das klingt interessant, vielleicht auch gefährlich, auf jeden Fall nach einer verantwortungsvollen Aufgabe. Ich bin gespannt.

Dass diese Alten so neugierig auf mich sind, finde ich erstmal nett. Simeon hat mich sogar auf den Arm genommen und meine Eltern gesegnet. Seine Freude und Herzlichkeit waren überschwänglich. Er wartet auf den Trost Israels, während Hanna auf die Erlösung Jerusalems hofft. Wenn sie mich damit meinen, dann stehe ich ganz schön unter Druck! Ob ich dann nicht enttäusche? Aber mit Gottes Hilfe werde ich meinen Weg schon gehen.

Musik
Teil 3: Josef (Carolin Kalbhenn)

Josef heiße ich. Ich spreche jetzt mal stellvertretend auch für meine Frau. Es ist irgendwie schon symptomatisch, dass ich hier zuletzt spreche. Auf uns, die Eltern, scheint’s ja nicht so richtig anzukommen. Dem Lukas, der über diese ganzen Begebenheiten mit unserem Sohn erzählt, sind wir jetzt 30 Tage nach der Geburt nicht mal mehr die Erwähnung unserer Namen wert. Ich habe fast den Verdacht, wir kommen in der ganzen Geschichte überhaupt nur deshalb vor, weil unser Kind, so klein wie es ist, halt noch nicht selber in den Tempel laufen kann. Ja, als Träger, als Versorger – ja, da sind wir wichtig. Und natürlich macht man das gerne. Ja, wir schlafen nachts wenig, ja, unsre erste Sorge ist, dass es dem Kind gut gehen möge, dass das Kind gegessen hat und warm eingepackt ist. Unsre Bedürfnisse, die treten da erstmal ganz zurück. Ist ja auch richtig. Aber schön wäre es schon, wenn mal jemand fragen würde, wie wir eigentlich mit der Verantwortung umgehen. Wie wir die Zerreißprobe schaffen, für das Kind da zu sein, ihm eine gute Entwicklung zu ermöglichen und gleichzeitig eine wirtschaftliche Basis für unsere Familie zu schaffen. Wie wir mit unseren neuen Rollen als ziemlich junge Eltern klarkommen. Welche Erwartungen wir für unsere Zukunft als kleine Familie haben.

Na ja, meistens treten wir Eltern ja erst dann in den Fokus, wenn was schief geht. Dann kann man unsere Porträts in jeder Zeitung sehen im Großformat. „Warum?“ – steht dann drunter. Warum waren sie so überfordert, warum haben sie nicht rechtzeitig um Hilfe gebeten usw. Und jeder schüttelt den Kopf und denkt sich, na ja, waren sowieso viel zu jung und dann waren die Verhältnisse mit der Vaterschaft ja auch nicht so richtig geklärt. Kein Wunder!

Aber wenn’s normal läuft, na dann bewundert jeder einfach nur den süßen Fratz. Und dann hat jeder so seine Vorstellungen, was wohl aus ihm alles werden könnte. Wir übrigens auch – aber uns fragt ja keiner. Wir hören immer nur die guten oder gutgemeinten Ratschläge der „Alten“ – „dem Kind muss man Grenzen setzen, von Anfang an“, „man muss sie auch mal schreien lassen, damit sie lebenstüchtig werden“, und so weiter.

Na gut. Aber zurück zu dem, was uns passiert ist. Also: wir bringen den Jungen in den Tempel. Das ist bei uns so üblich. Sicher ist es auch ein Ausdruck von Dankbarkeit. Wir sind bewahrt worden. Die Geburt verlief gut, wenn auch so anders als wir uns das vorgestellt hatten. Das Kind hat überlebt, die Mutter auch. Und dann kommen da dieser Mann und diese Frau, die die Urgroßeltern des Kindes sein könnten, die wir aber noch nie gesehen haben und sagen solche merkwürdigen Sachen: „ein Licht zu erleuchten die Heiden, ein Heiland.“ Unser Kind!!! Ein Säugling, gerade eine Woche alt, wehrlos und hilflos. Natürlich: für uns das schönste Baby der Welt, ein wirklicher Lichtblick für uns beide, unsere verkörperte Hoffnung auf Zukunft. Aber das nun gleich für die ganze Welt? Also wirklich. Ich habe innerlich den Kopf geschüttelt und gedacht: „Das arme Kind. Nun lasst es doch erstmal groß werden, bevor ihr es mit euren Erwartungen überfrachtet.“ und Maria hörte ich nur murmeln: „Was kommt da nur auf uns zu.“ Und Recht hat sie doch. Wir sind einfache Zimmerleute aus Nazareth. Natürlich wollen wir das Beste für unser Kind, wir werden für es tun, was wir können. Aber unsere Möglichkeiten sind doch begrenzt. Wie könnte da aus ihm all‘ das werden, was die Alten sich von ihm versprechen?

Und andererseits: bei aller Sorge, die man so hat mit so einem kleinen, zerbrechlichen Wesen, da war es auch irgendwie eine Beruhigung, diese Alten mit solcher Sicherheit davon sprechen zu hören, dass sich in diesem Kind viele Erwartungen erfüllen. Da tat es gut zu sehen, wie die beiden noch einmal aufgeblüht sind, mit welcher Kraft sie über die Zukunft gesprochen haben, welche Hoffnung mit einem Mal lebendig geworden ist und in diesem Tempel fast schon mit Händen zu greifen war. Da tat es gut, mit den Augen von Fremden auf unser Kind zu schauen und zu spüren: dies ist ein zarter Anfang von etwas viel Größerem.

Da blieb uns nur zu schweigen, und uns zu wundern.

Musik

Stimmen aus drei Generationen zur Zeit von Jesu Geburt haben wir gehört.

Da klingen Vorurteile an, Missverständnisse; alles wirkt wie festgefahren:

„Ihr Alten habt ja keine Ahnung!“

„Die Jugend von heute taugt nichts, aber eigentlich sind ja die Eltern schuld!“

„Das arme Kind, es wird hoffnungslos überfordert!“

„Was kommt da auf uns Eltern zu?“

Aber die Geschichte damals im Tempel von Jerusalem öffnet eine Tür zwischen den Generationen:

„Dass ich das noch erleben darf!“

„Schön, dass ihr mir das zutraut!“

„Schön, dass ihr unserem Kind so viel zutraut!“

„Jetzt kann ich abtreten. Das Leben geht weiter, auch ohne mich.“

Weihnachten erscheint hier als das Fest nicht nur der Kleinfamilie mit Mutter und Kind und bestenfalls dem Vater. Weihnachten ist das Fest der Großfamilie. Man hört auf die Geschichte der Alten, und in dieser Geschichte ist auch Platz für die Kinder- und Enkelgeneration. Die Generationen begegnen einander und fangen an, sich zu bewegen.

Was wir heute „Familienzentrum“ nennen, greift dieses Ziel für unsere Zeit auf. In vielen Gießener Kirchengemeinden, auch bei uns in der Michaelsgemeinde, ist ein solches generationenübergreifendes Haus geplant und soll mit Leben erfüllt werden.

Auch in unserer Paulusgemeinde soll dem Kindergarten ein Familienzentrum angeschlossen werden, unter anderem als ein Ort, wo die Generationen einander begegnen. Schon jetzt kommen Damen der älteren Generation regelmäßig in den Kindergarten und lesen den Kindern Geschichten und Bilderbücher vor.

Wenn so ein Bogen des Verstehens zwischen den ganz Alten und den ganz kleinen Kindern gespannt wird, dann geht er zunächst über die Köpfe der mittleren Generation hinweg; doch er dient dazu, dass sie, die ihre Alltagsverantwortung in allen Bereichen am intensivsten zu tragen haben, dies nicht allein und nicht ohne Perspektive tun müssen.

Die Erlösung, von dem in unserem Bibeltext die Rede war, verwirklicht sie sich nicht schon hier ein wenig, im Miteinander der Generationen, in ihrer gegenseitigen Wertschätzung?

Natürlich müssen die Jungen nicht alles gut finden, was die Alten gemacht haben und umgekehrt. Trotzdem muss nicht alles verkehrt sein, was unter veränderten Zeitumständen einfach nur anders war oder ist. Und die Fehler, die man gemacht hat? Manche Fehler muss wohl wirklich jede Generation neu machen, um daraus zu lernen, von anderen wünscht man sich, dass sie bitte niemals wiederholt werden.

Wir wollen die guten Traditionen und Zukunftsvisionen der Vergangenheit bewahren und zugleich offen bleiben für das, was immer von neuem überraschend auf uns zukommt. Amen.

Lied vom Deutschen Evangelischen Kirchentag Köln 1985: „Da wohnt ein Sehnen tief in uns“
Fürbitten

Jesus Christus, Kind im Tempel, wir danken dir für das Wunder deiner Geburt. Es rührt uns an, lässt uns staunen. In dir ist Gott zur Welt gekommen. Das ist mehr als wir begreifen können. Hilf uns heute, dass wir das Staunen und Wundern nicht vergessen, wenn bald der normale Alltag wieder beginnt. Schenke uns Offenheit für deine Nähe in unserem Leben.

Jesus Christus, Bruder in Nazareth, wir danken dir für deine Worte und Taten, die Menschen verändern und befreien. In ihnen wird ein anderes Leben erkennbar, dein Reich des Friedens, der Liebe und der Gerechtigkeit für alle Menschen. Hilf uns heute, als Christinnen und Christen in deiner Nachfolge zu leben und deinen Worten der Vergebung und des Neuanfangs zu trauen.

Jesus Christus, Licht der Völker, wir danken dir, dass du zu uns kommst und mit deinem Licht unsere Dunkelheit durchbrichst. Wir bitten dich für alle Menschen, die in ihren Dunkelheiten gefangen sind, die traurig sind, die kraftlos sind und ohne Hoffnung. Wir bitten dich für alle, die nichts Neues mehr erwarten, die enttäuscht sind, die frustriert sind und ohne Perspektive. Halte in uns allen die Sehnsucht wach, dass Veränderungen und Neuanfänge möglich sind. Hilf uns, dass wir uns gegenseitig in unserem Glauben, in unserer Liebe und unserer Hoffnung stärken können. Geh mit uns durch diese besonderen Tage zwischen den Jahren, lass uns erwartungsvoll und zuversichtlich dem neuen Jahr entgegen sehen.

Stille und Vater unser
Lied 35, 1-3:

1. Nun singet und seid froh, jauchzt alle und sagt so: Unsers Herzens Wonne liegt in der Krippen bloß und leucht‘ doch wie die Sonne in seiner Mutter Schoß. Du bist A und O, du bist A und O.

2. Sohn Gottes in der Höh, nach dir ist mir so weh. Tröst mir mein Gemüte, o Kindlein zart und rein, durch alle deine Güte, o liebstes Jesulein. Zieh mich hin zu dir, zieh mich hin zu dir.

3. Groß ist des Vaters Huld, der Sohn tilgt unsre Schuld. Wir warn all verdorben durch Sünd und Eitelkeit, so hat er uns erworben die ewig Himmelsfreud. O welch große Gnad, o welch große Gnad!

4. Wo ist der Freuden Ort? Nirgends mehr denn dort, da die Engel singen mit den Heilgen all und die Psalmen klingen im hohen Himmelssaal. Eia, wärn wir da, eia, wärn wir da!

Abkündigungen
Segen und Nachspiel

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.