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Hausputz für die Seele

Wenn ich aufgeräumt habe, kann ich anfangen zu putzen. Aber so ein Hausputz in meiner Seele – das müsste bedeuten: ehrlich nachschauen, was fühle ich wirklich, wie bin ich wirklich, wie verletzlich bin ich und wonach sehne ich mich wirklich? Wie schwer ist es für meine Seele, Tür und Tor groß und weit aufzumachen, statt dass ich verschlossen bleibe!

Ein Kopf aus Drahtgeflecht gestaltet
Es ist gar nicht so einfach, einen Hausputz in der eigenen Seele zu unternehmen (Bild: Reimund BertramsPixabay)
direkt-predigtGottesdienst am 1. Sonntag im Advent, den 30. November 1997, um 9.00 Uhr in der Kapelle der Rheinhessen-Fachklinik Alzey

Herzlich willkommen im Gottesdienst! Heute, am letzten Tag des November 1997 fängt ein Neues Kirchenjahr an, und wir feiern den 1. Sonntag im Advent, wir beginnen die Zeit des Wartens auf Weihnachten.

Altvertraute Bilder aus der Bibel werden wir betrachten, das Bild der Tore und Türen, die hoch und weit gemacht werden, das Bild der Tochter Zion, die sich freuen soll, das Bild des Königs, der auf einem Eselsfüllen in seiner Stadt einzieht. Wir werden schauen, ob wir in diesen alten Bildern vielleicht auch etwas ganz Neues entdecken, etwas Neues für unser eigenes Leben – heute, im Jahre 1997.

Als erstes Lied singen wir nun das bekannteste aller Adventslieder, in dem uns eines der eben erwähnten Bilder vor Augen gestellt wird, das Lied Nr. 1 im Gesangbuch:

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit; es kommt der Herr der Herrlichkeit, ein König aller Königreich, ein Heiland aller Welt zugleich, der Heil und Leben mit sich bringt; derhalben jauchzt, mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Schöpfer reich von Rat.

Er ist gerecht, ein Helfer wert; Sanftmütigkeit ist sein Gefährt, sein Königskron ist Heiligkeit, sein Zepter ist Barmherzigkeit; all unsre Not zum End er bringt, derhalben jauchzt, mit Freuden singt: Gelobet sei mein Gott, mein Heiland groß von Tat.

O wohl dem Land, o wohl der Stadt, so diesen König bei sich hat. Wohl allen Herzen insgemein, da dieser König ziehet ein. Er ist die rechte Freudensonn, bringt mit sich lauter Freud und Wonn. Gelobet sei mein Gott, mein Tröster früh und spat.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Wir beten mit Psalm 24:

1 Die Erde ist des HERRN und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.

7 Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!

8 Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR, stark und mächtig, der HERR, mächtig im Streit.

9 Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!

10 Wer ist der König der Ehre? Es ist der HERR Zebaoth; er ist der König der Ehre.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Gott im Himmel, von einem König singen wir, von einem König, der bei uns einziehen soll. Ein König der Ehre soll er sein, und Tore und Türen sollen wir größer und weiter machen, damit er bei uns einreiten kann. Ein starker und mächtiger Herr soll er sein, ein Herr, mächtig im Streit, der Herr Zebaoth, der Herr der himmlischen Heerscharen. Aber das bist ja du, Gott – du selbst willst hereinkommen in unser Leben? Fremdartig sind diese Worte, diese Bilder, die uns vor Augen gestellt werden, fremdartig und doch vertraut. Sie passen nicht gut in unsere heutige Alltagswelt, und doch passen sie in die Zeit des Advent. Gott, lass uns nun auch verstehen, was wir in dieser Zeit singen und hören. Das erbitten wir von dir im Namen Jesu Christi, unseres Herrn. „Amen.“

Wir hören die Lesung aus dem Evangelium nach Matthäus 21, 1-9:

1 Als sie nun in die Nähe von Jerusalem kamen, nach Betfage an den Ölberg, sandte Jesus zwei Jünger voraus

2 und sprach zu ihnen: Geht hin in das Dorf, das vor euch liegt, und gleich werdet ihr eine Eselin angebunden finden und ein Füllen bei ihr; bindet sie los und führt sie zu mir!

3 Und wenn euch jemand etwas sagen wird, so sprecht: Der Herr bedarf ihrer. Sogleich wird er sie euch überlassen.

4 Das geschah aber, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht:

5 »Sagt der Tochter Zion: Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers.«

6 Die Jünger gingen hin und taten, wie ihnen Jesus befohlen hatte,

7 und brachten die Eselin und das Füllen und legten ihre Kleider darauf, und er setzte sich darauf.

8 Aber eine sehr große Menge breitete ihre Kleider auf den Weg; andere hieben Zweige von den Bäumen und streuten sie auf den Weg.

9 Die Menge aber, die ihm voranging und nachfolgte, schrie: Hosianna dem Sohn Davids! Gelobt sei, der da kommt in dem Namen des Herrn! Hosianna in der Höhe!

Selig sind, die Gottes Wort hören und bewahren. Halleluja! „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Wir singen aus dem Lied 314 die Strophen 1 bis 5:
Jesus zieht in Jerusalem ein, Hosianna!
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserm Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

Liebe Gemeinde, wenn in alten Zeiten ein König in eine Stadt kommen wollte, dann war das eine große Sache. Tore mussten höher gebaut werden, damit der König hindurchreiten konnte; bei einem zu niedrigen Tor würde er ja vom Pferd fallen, oder er müsste absteigen, und das wollte man einem so mächtigen Mann nicht zumuten. Türen mussten breiter gemacht werden, damit auch noch Pferdegespanne hindurchpassten. Nun, wir kennen heute Ähnliches, kommt ein hochgestellter Mensch zu Besuch, dann wird häufig noch ein Gebäude renoviert, oder im persönlichen Bereich machen wir es ja auch so: wenn wir Besuch bekommen, dann räumen wir schnell noch mal auf oder wir machen sogar einen großen Hausputz. Der Besuch soll es ja schön haben.

Wir Christen feiern jedes Jahr Advent. Wir fangen das Kirchenjahr damit an. Wir warten auch auf einen Besuch, auf sehr hohen Besuch, den höchsten, den es gibt. Gott selbst will zu Besuch kommen – und er will sogar bleiben. Wie bereiten wir uns richtig darauf vor? Müssen wir auch einen Hausputz machen in unserer Seele? Müssen wir auch aufräumen in unseren Gedanken? Muss unser Herz größer und weiter werden, weil es vielleicht arg eng geworden ist im Laufe unseres bisherigen Lebens? Das Lied, das wir im Advent immer singen, wie kann das wahr werden in unserer Seele: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit!“? Darf denn der, der da kommt, genau sehen, wie es in unserem Herzen aussieht?

Aufräumen in unserer Seele – wenn das heißen sollte, dass wir alles wegräumen, wofür wir uns schämen, wofür man uns schon einmal ausgelacht hat, was wir an uns selber überhaupt nicht leiden können – dann würden wir das Gegenteil von dem erreichen, was wir wollen. Denn dann sind wir ja nicht mehr echt – dann sperren wir einen wichtigen Teil von uns selbst weg, dann machen wir nicht die Türen und Tore unseres Herzens weit auf, sondern wir machen sie noch mehr zu.

Wenn wir allerdings aufmerksam werden auf die vielen fruchtlosen Grübeleien, die sich immer im Kreise drehen und uns den Schlaf rauben, auf Gedanken, mit denen wir uns das Leben schwermachen, wie zum Beispiel: „es wird sich nie etwas ändern“ oder „man bekommt im Leben nichts geschenkt“ – wäre es nicht schön, wenn wir damit aufräumen könnten? Das ist schwer, aber vielleicht können wir manches, was da an Müll in unserer Seele herumliegt, erst einmal zusammen in eine Kiste packen – und später wird dann gekuckt, was man vielleicht doch noch brauchen kann und was weggeworfen werden muss.

Ja, und wenn man aufgeräumt hat, kann man anfangen zu putzen. Aber so ein Hausputz in unserer Seele – wenn das heißen sollte, wir müssten uns bemühen, schöner, besser, größer, stärker auszusehen, als wir sind, dann passt das wieder nicht. Das hieße ja gerade: wir zeigen uns nicht so, wie wir sind, sondern wir verstecken uns. In unserer Seele sauber machen, das müsste gerade umgekehrt bedeuten: reinen Tisch machen, ehrlich nachschauen, was fühle ich wirklich, wie bin ich wirklich, wie verletzlich bin ich und wonach sehne ich mich wirklich? Also gerade die falsche Schminke wird abgewischt, die Maske, die wir meinen, nötig zu haben, wird abgenommen.

Ich glaube, jetzt wird erst deutlich, wie schwer es für unsere Seele ist, Tür und Tor groß und weit aufzumachen, statt dass wir verschlossen bleiben. Wer „zu“ ist, ist ja in gewisser Weise auch geschützt, jedenfalls vor Angriffen von außen. Allerdings ist er gefangen in sich selbst und hilflos ausgeliefert dem eigenen grübelnden Kreisen um sich selbst, den eigenen Selbstvorwürfen, den eigenen Minderwertigkeitsgefühlen. Nur – wer sagt uns, dass von außen nicht noch mehr Enttäuschungen drohen, nicht noch mehr Vorwürfe, nicht noch mehr Demütigung und Verletzung? Wie können wir uns öffnen und hoffen auf Liebe, die von außen kommt? Wie können wir Vertrauen fassen und unsere Angst überwinden, wie können wir zulassen, dass wir uns innen drin traurig und verletzt fühlen, weil wir bereits oft enttäuscht wurden und uns oft auch selber noch zusätzlich wehgetan haben? Und wie kann unsere Traurigkeit in Freude verwandelt werden?

Bevor ich mit Ihnen weiter darüber nachdenke, singen wir das Lied 13, in dem es um eine übergroße Freude geht:

Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem! Sieh, dein König kommt zu dir, ja er kommt, der Friedefürst. Tochter Zion, freue dich, jauchze laut, Jerusalem!

Hosianna, Davids Sohn, sei gesegnet deinem Volk! Gründe nun dein ewig Reich, Hosianna in der Höh! Hosianna, Davids Sohn, sei gesegnet deinem Volk!

Hosianna, Davids Sohn, sei gegrüßet, König mild! Ewig steht dein Friedensthron, du, des ewgen Vaters Kind. Hosianna, Davids Sohn, sei gegrüßet, König mild!

Ich hatte gefragt, liebe Gemeinde, wie wir uns Gott gegenüber so zeigen können, wie wir sind, wie wir die Tore und Türen unseren Herzens aufmachen können. Und nun haben wir ein anderes Adventslied gesungen, und da kommt ein anderes vertrautes Bild vor: Die Tochter Zion, die sich freuen soll oder freuen darf.

Und ich frage: Erstens, was ist überhaupt die Tochter Zion, zweitens, was hat sie mit uns zu tun, drittens, dürfen auch wir uns freuen? Ich will auf diese Fragen antworten, indem ich auf Worte der Bibel höre, nach denen das Lied „Tochter Zion“ gedichtet wurde. Sie stehen im Prophetenbuch Sacharja 9, 9-10:

9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze! Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

10 Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden. Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Also, erste Frage: wer ist das überhaupt, die Tochter Zion? Der Zion war ein Berg in Jerusalem, der Berg, auf dem der Tempel stand. Wenn jemand damals Zion sagte, dann meinte er damit die heilige Stadt Gottes. Und mit der Tochter Zion waren die Einwohner der Stadt gemeint, genau dasselbe also wie mit dem Ausdruck Tochter Jerusalems – die wurden aufgefordert, sich zu freuen, denen sagte der Prophet: Ihr habt Grund zur Freude! Hören wir diese Worte noch einmal:

9 Du, Tochter Zion, freue dich sehr, und du, Tochter Jerusalem, jauchze!

Zweite Frage: Was hat das mit uns zu tun? Auch für uns Christen ist die Tochter Zion ein Bild. Ein Bild für Menschen, die warten, die auf der Suche nach Gott sind, die sich danach sehnen, dass Gott in ihr Herz einkehrt, dass eine Geborgenheit in unsere Seele kommt, so dass wir ganz tief innen drin fühlen: Wir sind geliebte Menschen, wir sind gewollt, wie wir sind, wir dürfen Frieden finden und einen festen Halt im Glauben an den, der da kommt.

Aber wie ist die dritte Frage zu beantworten? Dürfen auch wir uns wirklich freuen? Warum hatte denn damals die Einwohnerschaft von Jerusalem Grund zur Freude? Sie bekam eine Verheißung:

Siehe, dein König kommt zu dir, ein Gerechter und ein Helfer, arm und reitet auf einem Esel, auf einem Füllen der Eselin.

Eine widersprüchliche Verheißung ist das. Da kommt ein König – aber arm soll er sein. Nicht auf einem stolzen Pferd reitet er, sondern auf einem Esel. Und es wird sogar erwähnt, dass der Esel noch gar nicht ganz ausgewachsen ist – das, was diesen König trägt, ist nicht eine nur erwachsene Stärke, sondern er klammert Kindliches nicht aus, ich meine damit seine Verletzlichkeit, sein Fühlen, seine Bedürftigkeit.

Mit zwei Worten wird dieser König, der da einzieht, näher beschrieben. Luther übersetzt diese Worte so: „ein Gerechter und ein Helfer“. So stand es in der griechischen Übersetzung des hebräisch geschriebenen Alten Testaments, die Luther bei seiner Bibelübersetzung auch benutzte. Aber das Wort „Helfer“ war schon in der griechischen Bibel nicht ganz richtig übersetzt gewesen – im hebräischen Text steht nämlich eine Form des Wortes „helfen“, die wörtlich so übersetzt werden muss: „ein Geretteter“ „einer, der Hilfe erfahren hat“. Und ich finde, dieses Wort passt hier viel besser hinein als das Wort „Helfer“. Gerade weil dieser König selber einer ist, der Hilfe braucht und Hilfe erfahren hat, gerade darum kann er uns ein Helfer sein, und gerade darum ist er ein Gerechter. Gerecht ist er darum, weil er einen über sich weiß, der ihn einfach so annimmt, wie er ist, in seiner Armut, in seinen Schwächen und Stärken. Er ist gerecht, weil Gott ihn liebhat, weil er Gott recht ist.

Wir Christen beziehen das Bild dieses Königs auf Jesus. Wir sehen in Jesus den Sohn Gottes, der nicht in übermenschlicher Pracht, sondern in menschlicher Armut bei uns einzieht. Wir haben vorhin gehört, wie im Evangelium Jesu Einzug in Jerusalem geschildert wird – in der Tat auf einem Esel, bejubelt wahrscheinlich von gar nicht so vielen Menschen, vielleicht vor allem von Kindern. Und so können wir uns auch vorstellen, wie Gott in unser Herz einziehen will – nicht in überwältigender Pracht, sondern in menschlicher Einfachheit. Nicht nur groß, sondern auch klein. Nicht nur gerecht, sondern auch auf Hilfe angewiesen. Nicht hoch zu Ross, sondern auf einem jungen, vielleicht sogar störrischen Esel, mit dem man nicht viel Eindruck machen kann. Der schämt sich nicht, so bei uns Einzug zu halten – warum sollten wir uns dann dafür schämen, dass auch wir einfach nur so sind, wie wir eben sind? Es gibt doch so viele Dinge, für die wir gar nichts können.

An dieser Stelle singen wir noch einmal ein Lied, diesmal das neue Adventslied Nr. 18:
Seht, die gute Zeit ist nah, Gott kommt auf die Erde

Liebe Gemeinde, im zweiten Vers unseres Predigttextes wird nun beschrieben, was der König, der zu uns kommen will, tut: Er will Frieden schaffen, und er tut das, indem er die Kriegswagen und die Pferde der Soldaten aus der Stadt entfernt und indem er Kriegswaffen zerbricht:

10 Denn ich will die Wagen wegtun aus Ephraim und die Rosse aus Jerusalem, und der Kriegsbogen soll zerbrochen werden.

Wenn wir das übersetzen in die Sprache unserer Seele, dann können wir das auch so verstehen: dieser König, dieser Jesus, dieser göttliche Mensch, der uns in unserem Herzen besuchen will, der hilft uns sozusagen beim Aufräumen in unserer Seele. Vorhin hatte ich ja gesagt: Mit dunklen Gedanken, mit all diesen Grübeleien, die in unserem Kopf umherkreisen, damit können wir nur schwer aufräumen. Das höchste, was wir schaffen, ist vielleicht, sie in eine Kiste zu packen. Aber hier ist nun einer, der uns hilft, den alten Schrott loszuwerden. Ein Satz wie: „Ich bin ja sowieso nichts wert!“ – der gehört auf den Müll. Und wenn jemand immer wieder das Gefühl hat: „Keiner hat mich lieb!“ – dann darf dieses Gefühl getrost verabschiedet werden – denn dieser König, der da kommt, der hat jeden Menschen lieb, auch mich und dich. Und wenn das so ist, dann dürfen wir auch Mut haben, untereinander, unter uns Menschen nach Liebe und Vertrauen Ausschau zu halten. Dann erfahren wir vielleicht doch hier und da ein Stück Halt und Geborgenheit, ein Stück Gewissheit: Ich bin ja ein kostbarer Mensch, mein Leben ist es wert, gelebt zu werden, ich darf mich meines Lebens freuen!

Und wenn die Waffen weggeschafft sind, mit denen wir uns selber innerlich wehtun und mit denen wir auch andere verletzen, dann kann Friede einkehren in unser Herz. Friede – nicht mehr kämpfen müssen um Liebe, erst recht nicht mehr kämpfen müssen gegen die Nähe und Liebe eines anderen. Friede – eine Geborgenheit, die aus echter Liebe erwächst.

So unscheinbar und machtlos kommt uns diese Liebe in der Welt vor! Und doch ist diese Liebe die einzige Rettung für die ganze Welt. Und der Prophet Sacharja sieht mit seinem inneren Auge, wie irgendwann in der Zukunft alle Völker und die ganze Menschheit vom Frieden Gottes erfüllt sein wird – weil Gottes Schwachheit stärker ist als die Stärke der Menschen.

Denn er wird Frieden gebieten den Völkern, und seine Herrschaft wird sein von einem Meer bis zum andern und vom Strom bis an die Enden der Erde.

Unser Text schließt mit drei weiteren Bildern, die deutlich machen, welchen inneren Frieden Gott uns schenken will, wenn uns für ihn öffnen:

11 Auch lasse ich deine Gefangenen frei aus der Grube, in der kein Wasser ist;

12 so kehrt heim zur festen Stadt, die ihr auf Hoffnung gefangen liegt.

Wir sollen befreit werden aus der Gefangenschaft unserer Grübeleien, aus der Verschlossenheit unseres Herzens, aus unseren trüben Gedanken, in die wir uns selber eingesperrt haben – befreit „aus der Grube, in der kein Wasser ist“, in der unser Durst nach Leben und nach Liebe nicht gestillt werden kann.

Statt dass wir uns in einer dunklen Grube verkriechen wie in einem Schneckenhaus, werden wir nun aufgefordert, „heimzukehren – zur festen Stadt“. Wir haben eine Heimat, es gibt eine feste Stadt, eine Zuflucht, wo wir hingehören, wo unser Durst gestillt wird und unsere Sehnsucht erfüllt wird. Wir haben auf dieser Erde einen Platz, wo wir hingehören, überall da, wo wir ein Stück von dieser Liebe erfahren, die der himmlische Vater uns schenkt. Es ist nicht leicht, sich auf dieses Gefühl einzulassen, wenn man immer wieder vermittelt bekommen hat: „Du gehörst nicht dazu“, wenn man immer wieder verstoßen wurde, wenn man niemals einfach so liebgehabt wurde, wie man ist. Und doch ist Hoffnung da – „wir sind auf Hoffnung gefangen“ – und können anfangen, so zu leben, als ob es wirklich wahr wäre: Gott kommt zu uns, Gott nimmt uns wichtig, Gott hat uns lieb. Dass wir uns gefangen fühlen und es uns so schwer fühlt, unsere inneren Türen und Tore zu öffnen, das muss nicht das letzte Wort bleiben; mehr und mehr dürfen wir es wagen, Vertrauen zu üben, und heimkehren zur festen Stadt, die Jesus baut aus Steinen der Liebe. Amen.

Und der Friede Gottes, der viel größer ist, als unser Denken und Fühlen erfassen kann, der bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.

Wir singen das Lied 14, 1-4:

Dein König kommt in niedern Hüllen, ihn trägt der lastbarn Es’lin Füllen, empfang ihn froh, Jerusalem! Trag ihm entgegen Friedenspalmen, bestreu den Pfad mit grünen Halmen, so ist’s dem Herren angenehm.

O mächt’ger Herrscher ohne Heere, gewalt’ger Kämpfer ohne Speere, o Friedefürst von großer Macht! Es wollen dir der Erde Herren den Weg zu deinem Throne sperren, doch du gewinnst ihn ohne Schlacht.

Dein Reich ist nicht von dieser Erden, doch aller Erde Reiche werden dem, das du gründest, untertan. Bewaffnet mit des Glaubens Worten zieht deine Schar nach allen Orten der Welt hinaus und macht dir Bahn.

Und wo du kommst herangezogen, da ebnen sich des Meeres Wogen, es schweigt der Sturm, von dir bedroht. Du kommst, dass auf empörter Erde der neue Bund gestiftet werde, und schlägst in Fessel Sünd und Tod.

Und nun feiern wir das heilige Abendmahl miteinander – mit Brot und Traubensaft. Wer daran teilnehmen will, kommt nach vorn, wenn es so weit ist, die anderen mögen auf ihrem Platz bleiben und gehören auch zu uns dazu. Nach den Einsetzungsworten singen wir das Lied 190.2.

Großer Gott, du kommst auf uns zu. Du klopfst an an der Tür unserer Seele. Du machst dich auf, Mensch zu werden, klein zu werden, arm zu werden. Auf Hilfe angewiesen liegst du in der Krippe, als Wanderprediger hast du kein festes Obdach, du rettest die Welt – indem du hilflos am Kreuz hängst. Und auf wunderbare Weise bist gerade du die Hilfe für uns: In deiner Verletzbarkeit und Bedürftigkeit zeigst du uns, dass auch wir verletzbar und bedürftig sein dürfen. Mit deiner scheinbar ohnmächtigen Liebe schenktest du vielen Menschen neuen Lebensmut und das Gefühl, erwünscht zu sein. Selbst die, die dich vernichten wollten, konnten deine Liebe nicht töten, sogar ihnen vergabst du.

Darum bitten wir dich: Nimm uns die Angst vor Gefühlen der Nähe und des Vertrauens und vor Gefühlen, die weh tun, aber wichtig sind. Mach die Türen und Tore unseres Herzens hoch und weit und öffne uns für deine Liebe! Lass uns satt werden durch das Brot deines Leibes und durch den Kelch deines Blutes. Amen.

Einsetzungsworte und Abendmahl

Danke, Gott, für alles, was du uns schenkst! Danke, dass wir offen sein dürfen für dich und für andere Menschen, für das, was wir fühlen, und auch für das, was andere Menschen bewegt. Danke, Gott, für Freude und für Traurigkeiten, für Menschen, die unser Glück teilen und uns in der Not beistehen. Für die Adventszeit bitten wir dich um besinnliche Stunden, um Menschen, die sich ein wenig Zeit füreinander nehmen, um die Einsicht, wozu Weihnachten wirklich da ist. Lass uns nicht in wehmütigen Gedanken an vergangene Zeiten versinken, sondern auf Menschen zugehen, die heute in unserer Nähe sind. Amen.

Wir beten mit den Worten, die uns Jesus gelehrt hat:

Vater unser

Zum Schluss singen wir noch die Strophen 4 und 5 aus dem Lied 1:

Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, eu’r Herz zum Tempel zubereit‘. Die Zweiglein der Gottseligkeit steckt auf mit Andacht, Lust und Freud; so kommt der König auch zu euch, ja, Heil und Leben mit zugleich. Gelobet sei mein Gott, voll Rat, voll Tat, voll Gnad.

Komm, o mein Heiland Jesu Christ, meins Herzens Tür dir offen ist. Ach zieh mit deiner Gnade ein; dein Freundlichkeit auch uns erschein. Dein Heilger Geist uns führ und leit den Weg zur ewgen Seligkeit. Dem Namen dein, o Herr, sei ewig Preis und Ehr.

Abkündigungen

Und nun lasst uns mit Gottes Segen in den Sonntag und in das neue Kirchenjahr hineingehen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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