Bild: Helmut Schütz

Drei Romane von der Scheibenwelt

Zwei Regalbretter voll mit Terry-Pratchett-Büchern
Bücher von Terry Pratchett im Bücherregal

Wenn der Name der Bibelwelt sich schon einem von der Scheibenwelt Terry Pratchetts ausgesandten Inspirationspartikel verdankt, warum sollte ich dann nicht an dieser unauffälligen Stelle meiner Homepage auf den Inhalt einiger Scheibenwelt-Romane neugierig machen dürfen? Um die 30 sind mittlerweile erschienen, auch die frühen Bücher finde ich nach wie vor ausgesprochen lesenswert, zum Beispiel die folgenden drei:

Das Licht der Phantasie

Der Zauberhut

Eric

Das Licht der Phantasie

„Das Licht der Phantasie“ (LP) ist das erste Scheibenweltbuch mit einem durchgehenden roten Faden und fädelt nachträglich auch in den allerersten Roman, der auf der Scheibenwelt spielt, die „Farben der Magie“ (FM), einen solchen ein. Plötzlich wird nämlich deutlich, warum Rincewind zum Ende der Welt reisen und (fast) von der Scheibenwelt runterfallen muss: Weil die Antwort auf die am Anfang von FM gestellte Frage nach dem Ziel von Groß-A’Tuin beantwortet wird und dieses Ziel nur mit dem Aussprechen der acht Ur-Zaubersprüche aus dem Oktav nicht in einer Katastrophe endet. Und da der eine Zauberspruch sich in Rincewinds Kopf befindet, darf er natürlich nicht sterben… Womit endlich auch plausibel wird, warum Rincewind immer nur fast stirbt, was sogar dem Touristen Zweiblum aufgefallen ist.

Und der Zauberspruch ist nicht zufällig in Rincewinds Kopf. Denn ein zweiter Handlungsfaden wird in LP fast noch wichtiger: Zum ersten Mal erscheint als Gegenspieler von Rincewind nicht einfach diese oder jene Lebensgefahr, sondern ein Zauberer (Trymon), der eine besonders gefährliche Art von Magie verkörpert: Bürokratie, graue, verplante Betonwelt, „die schlimmer ist als das Böse an sich“ (256). Sie ist nach Pratchett nur eine Maskierung der Kreaturen aus den Kerkerdimensionen… (261) Hier wird Pratchetts Humor zur Satire. Nebenbei entwickelt Rincewind zum ersten Mal den besonderen Mut des Feiglings, wenn es darauf ankommt, etwas noch Schlimmeres abzuwenden als den Fall vom Rand der Welt, nämlich den Fall in den Abgrund der Seelenlosigkeit. Trymon scheint zwar Rincewind aus der Seele zu sprechen, wenn er ihn (258) auf seine Skepsis gegenüber der Zauberei anspricht. Aber seine Alternative zur Magie-Kratie ist nicht seelenloser Bürokratismus, sondern gesunder Menschenverstand, gesunde Eigenliebe und – wenn’s hart auf hart kommt – sogar Einsatz für eine ihm wichtige Sache. Rincewind darf die Welt sogar doppelt retten – vor dem Bürokratismus Trymons, durch den Schlimmeres als die abscheulichen Kerkerdimensionen in die Welt eindringen kann, und vor dem Zusammenstoß mit dem roten Stern.

Offen lässt Pratchett nur, worin eigentlich die Aufgabe der Zaubersprüche besteht – sorgen sie dafür, dass die Schildkröte sicher umkehrt? Sie scheinen so etwas wie Schutzengel oder göttliche Gedanken zu sein, sie sollen ja immerhin vom Schöpfer stammen, wobei die Pratchett‘schen Götter natürlich eher lächerliche Figuren darstellen – in der Art der biblischen Götzen oder der altgriechischen Götterwelt. Der vergessliche Schöpfer ist eher ein Strohmann der Zaubersprüche, die selber die Schöpfung in Gang gesetzt haben und jetzt auch erhalten.

Köstlich sind außerdem die Handlungs-Nebenstränge:

  • Wie die Bäume im Wald von „Die Finger weg, du Blödmann“ eine eigene Religion ent- und jeden Vorbeikommenden in ein Gespräch ver-wickeln…
  • Wie der Opa-Held Cohen, der Barbar, sein Diamanten-Gebiss bekommt…
  • Wie die wider Willen gerettete Jungfrau den gealterten Helden einsalbt und heiratet…
  • Wie die schrecklichen Trolle ihre vorhergesagte Aufgabe erfüllen und Rincewind retten – wobei in letzter Minute auch das beinahe verspätete Scheibenweltlicht eine Nebenrolle spielt…
  • Wie Truhe auf der Suche nach ihrem Herrn Schamanen, Zauberer und Helden verwirrt, in Schrecken versetzt oder auffrisst…
  • Wie sich drei Theorien der magischen Läden als falsch erweisen…
  • Wie die Heldin Herrena letztendlich nicht durch den Helden Cohen, sondern durch die gerettete Jungfrau Bethan besiegt wird…
  • Wie der inoffiziell tote Zweiblum mit den apokalyptischen Reitern Bridge spielt und der ebenfalls inoffiziell tote Rincewind Tods Tochter Ysabell kennenlernt, die ihn nur durch Truhes Eingreifen nicht in den offiziellen Todeszustand versetzen kann…
  • Wie der Steinzeit-Computer-Service der Druiden und die druidische Welterklärungstheorie funktioniert…

Einige Charaktere werden schon mal eingeführt, um die sich später ganze Romane ranken werden: die mörderischen Elfen, die Zahnfee und als Vertreterin der Hexenzunft die von zwei jugendlichen Lümmeln vertriebene Knusperhaus-Hexe…

Wer es intelligente, philosophisch unterfüttert und zugleich aberwitzig mag, dürfte von diesem Roman also nicht enttäuscht werden.

Der Zauberhut

Auch im „Zauberhut“ geht es um zugleich witzige und spannende Handlungsstränge, bis hin zur Frage, ob am Ende die (Scheiben-)Welt gerettet werden kann. Beteiligt sind unter anderem:

  • Die apokalyptischen Reiter, die sich besaufen, ihre Pferde klauen lassen, sich noch mehr besaufen und die Apok(r)alypse warten lassen, weil sie ja „alle Zeit der Welt“ dafür haben, wobei dieser Ausdruck endlich mal wörtlich zu nehmen ist…
  • Der schmalbrüstige Held Nijel und die entgegengesetzt ausgestattete Tochter Cohens, die gemeinsam mit dem geschichtensüchtigen Serifen den Eisriesen entgegentreten…
  • Auch die Götter, die man zwar als überholten Aberglauben ansehen darf, aber nur so lange sie in der magischen Perle eingeschlossen bleiben…
  • Natürlich Truhe, die im entscheidenden Moment die Aufmerksamkeit des Zauberhutgesteuerten Großwesirs ablenkt…
  • Der Bibliothekar, der seine durch einen Zauberunfall bewirkte Gestalt als Orang-Utan nicht wieder aufgeben möchte und offenbar den größten Überblick bewahrt, die Bücher rettet und ihre Verwundungen heilt…
  • UND Rincewind mit dem Ziegelstein in der Socke, der im entscheidenden Moment trotz allem auf sein Gewissen hört und es schafft, im zauberstabgesteuerten Monster-Magus das Kind Münze anzusprechen…

An Super-Ideen im Zauberhut möchte ich nur aufzählen: das Konzept der Inspirationspartikel, die später auch immer wieder mal auftauchen, und die inneren Dialoge Rincewinds mit seinem eigenen Gewissen und seiner Libido, und natürlich die apokalyptischen Reiter, die auch im Rundwelt-Buch „Good Omens“, das auf unserer guten alten Erde spielt, in köstlicher Weise wieder vorkommen.

Eric

Dieser relativ kurze Roman parodiert eine Vielfalt von Motiven, die dem klassischen Bildungsbürger wohlbekannt sind, angefangen bei der Figur des Eric selbst, der Goethes Faust nachempfunden ist, über die griechischen Sagen von Troja, der schönen Helena, Odysseus, Sisyphus und dem Hades, bis hin zu Sartres „Eingeschlossenen“.

Viele neue Charaktere führt Pratchett ein:

  • den selbst in der Hölle noch unverbesserlichen Optimisten Ponce da Quirm mit seiner Suche nach dem Jungbrunnen, den er sogar findet, allerdings fatalerweise ohne das Wasser abzukochen…
  • den Ahnherrn von Rincewind, Lavaeolus, für den der legendäre listenreiche altgriechische Sagenheld Odysseus Pate stand („höööHHH? Wer’s’n’das?“) und den TP sich erdreistet, als „Helden der Feigheit“ darzustellen. Rincewind kuckt sich von ihm immerhin genügend strategisches Denken ab, um sich vom Urstrand des Scheibenwelt-Universums mittels umgekehrten magischen Zirkels stracks in die Hölle zu beamen…
  • außerdem den uralten Erzkanzler wider Willen Ezrolith Churn, der in „Scheibenwelt von A – Z“ zu erwähnen vergessen wird, aber schon wegen seiner vielbändigen Abhandlungen über die Umstände (zu effektiver Regenzauber) des langsamen Untergangs eines versunkenen Kontinents (à la Atlantis) einer Erwähnung wert ist…
  • schließlich den liebenswerten und etwas zerstreuten Kreator des Scheibenwelt-Universums, der das bereits in den drei bisherigen Rincewind-Romanen erwähnte Oktav mit den Schöpfungs-Zaubersprüchen irgendwo liegen gelassen hat…

Und bei den „alten“ Charakteren muss man in Eric nicht einmal auf den Bibliothekar und TOD verzichten, die beide ihre Nebenrolle erhalten.

Es handelt sich wieder um eine mehr-strangige Handlung:

  1. Eric will seine Wünsche erfüllt kriegen, bekommt sie auch mit unerwartetem Resultat, was ihn eigentlich zum Opfer der höllischen Mächte (sprich Astfgl) machen soll. Am Schluss wird aber doch noch alles gut, weil Handlungsstrang 2 und 3 dazwischenfunken.
  2. Rincewind will mit seiner Chance von 1:1000000 aus den Kerkerdimensionen wieder nach Hause und schafft das natürlich, diesmal, weil er – wie üblich ohne sein Wissen – eine Rolle in Handlungsstrang 3 übernehmen und einen Umweg über Quirm, Klatsch, den Anfang der Welt und die Hölle machen muss. Truhe muss sogar noch einen ihren Zorn steigernden weiteren Umweg zum Ende der Welt in Kauf nehmen.
  3. Und in der Hölle tobt ein Machtkampf zwischen dem bürokratischen Effizienz-Reformer Astfgl und dem Traditionalisten Vassenego. Ersterer will Erics jugendlich-menschliche Kapazitäten für eine Höllisierung der Hölle anzapfen, letzterer nutzt Rincewind für seine Zwecke der Kaltstellung Astfgls im Business der Verdammnis.

Hintergründige Themen finden sich in „Eric“ en masse:

  • die pazifistische Art der Kriegsführung des Lavaeolus…
  • die Erkenntnis, dass man durch Zeitreisen Evolution und Geschichte nicht verändern, sondern höchstens ihren sowieso eintreten werdenden Ablauf erleichtern kann – zum Beispiel durch Truhe als zweites trojanisches Pferd oder durch ein versehentlich von Rincewind verursachtes Feuer in Troja-Tsort oder ein weggeschmissenes Ei-Kresse-Sandwich am Uranfang der Zeit…
  • die feinsinnige Unterscheidung verschiedener Sorten von Langeweile (auch Rincewind schätzt sie nur wegen ihres bisherigen Seltenheitswerts in seinem Leben)…
  • die Philosophie der Rolle von Büroklammern und Ei-Kressebroten in den Plänen der Materie und der Evolution…
  • die theologischen Meditationen über die Weltschöpfung und über die Frage, wer in die Hölle kommt (nur die von – einer gewissen Sorte von – Missionaren über die Hölle aufgeklärten? – dann sind Missionare wirklich gefährlich!) und wie die Höllenqualen aussehen (hier übrigens auch noch Anspielungen auf Sartres Drama „Die Eingeschlossenen“ – „Die Hölle – das sind die anderen“) – mit der wirklich leider allzu wahren Schlussfolgerung, dass wenn die Teufel von den Menschen lernen, die Hölle wirklich zur Hölle wird…
  • die theologisch eindrückliche Erwägung, was passieren würde, wenn ein „Gott“ (hinter dem unerkannt schon immer ein Teufel steckte) sich einmal wirklich manifestieren würde – wenn dann die Dimensionen nicht stimmen und zufällig noch Truhe dazwischenfunkt…
  • das Konzept eines pessimistischen Volkes, das auf den Weltherrscher wartet, um ihm zu huldigen und anschließend wegen seiner Verantwortung für alle Übel der Welt hinzurichten…
  • und das Konzept eines aufgeklärten Atheismus im Volk der „Neck-dich-Menschen“, der „Tease-you-Men“, bei dem man zum Leute-Umbringen nicht so früh aufstehen muss…

Hintergründiger, philosophischer, theologischer und letzten Endes ernster trotz aller umwerfenden Komik geht es eigentlich nicht mehr (höchstens doch noch in „Einfach göttlich“). Das Buch in seiner kompakten Kürze ist dicht mit Story vollgepackt, wobei Truhe den Spitzenwert unerwarteter Wendungen des geschichtlichen Verlaufs maßgeblich bestimmt – sei es, dass sie einen Gott-Götzen-Dämon zu Mus quetscht, als trojanisches Pferd auftritt oder in der Hölle den ideenreichen Lavaeolus zur Erfindung des Kriegswagens mit Rädern inspiriert…