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Die Todesnacht kennt ein Morgen

Die Augen nicht zu verschließen, auch wenn ein plötzlicher Tod grausam in unser Leben hereingebrochen ist, dazu ermutigt ein Gleichnis Jesu aus dem Markusevangelium, denn es geht davon aus, dass unser Leben nicht einfach endgültig im Tod versinkt.

Die Todesnacht kennt ein Morgen: Morgendämmerung in den Bergen mit einem Kreuz an der Seite
Die Todesnacht kennt ein Morgen (Bild: Dominik & Frederike SchneiderPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir halten die Trauerfeier aus Anlass den Todes von Herrn U., der im Alter von [über 70] Jahren plötzlich gestorben ist. Uns, die wir deshalb hier zusammen sind, gilt die christliche Botschaft (Psalm 68, 20-21):

Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch. Wir haben einen Gott, der da hilft, und den HERRN, der vom Tode errettet.

Wir beten mit Worten aus dem Psalm 39:

5 »HERR, lehre mich doch, dass es ein Ende mit mir haben muss und mein Leben ein Ziel hat und ich davon muss.

6 Siehe, meine Tage sind eine Handbreit bei dir, und mein Leben ist wie nichts vor dir. Wie gar nichts sind alle Menschen, die doch so sicher leben!

8 Nun, Herr, wessen soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich.

9 Errette mich aus aller meiner Sünde und lass mich nicht den Narren zum Spott werden.

10 Ich will schweigen und meinen Mund nicht auftun; denn du hast es getan.

13 Höre mein Gebet, HERR, und vernimm mein Schreien, schweige nicht zu meinen Tränen; denn ich bin ein Gast bei dir, ein Fremdling wie alle meine Väter.

14 Lass ab von mir, dass ich mich erquicke, ehe ich dahinfahre und nicht mehr bin.

Ich lese noch ein Wort der Bibel aus dem Evangelium nach Markus 13. Jesus Christus spricht:

31 Himmel und Erde werden vergehen; meine Worte aber werden nicht vergehen.

32 Von dem Tage aber und der Stunde weiß niemand, auch die Engel im Himmel nicht, auch der Sohn nicht, sondern allein der Vater.

33 Seht euch vor, wachet! denn ihr wisst nicht, wann die Zeit da ist.

34 Wie bei einem Menschen, der über Land zog und verließ sein Haus und gab seinen Knechten Vollmacht, einem jeden seine Arbeit, und gebot dem Türhüter, er solle wachen:

35 so wacht nun; denn ihr wisst nicht, wann der Herr des Hauses kommt, ob am Abend oder zu Mitternacht oder um den Hahnenschrei oder am Morgen,

36 damit er euch nicht schlafend finde, wenn er plötzlich kommt.

37 Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

Liebe Frau U., liebe Angehörigen des Verstorbenen, liebe Trauergemeinde!

Wir können es noch nicht begreifen, dass wir von Herrn U. Abschied nehmen müssen. Vor drei Tagen um diese Zeit hätte niemand gedacht, dass wir heute zu diesem Anlass hier versammelt sein würden. Schockartig wurden wir darauf gestoßen, dass wir die Zeit unsere Lebens nicht selbst in der Hand haben, sondern dass Gott den Zeitpunkt bestimmt, wann wir aus diesem Leben abberufen werden und uns dann direkt vor ihm verantworten müssen. Unser Bibeltext sprach davon, dass niemand weiß, wann der Herr der Welt wiederkommen wird, wann – wie wir auch sagen – der Jüngste Tag anbrechen wird. Für jeden von uns ist unser Jüngster Tag der Tag unseres Todes, und auch diesen Tag wissen wir nicht im Voraus; das vergessen wir manchmal, wenn wir meinen, in Sicherheit zu leben.

Wenn wir das ernstnehmen, dass jeder seine bestimmte Lebenszeit hat, deren Länge er nicht selbst bestimmt, auch nicht bestimmen soll, dann werden wir auch hören, dass Jesus mit dieser Lebenszeit bestimmte Aufgaben verknüpft sieht, die für jeden Menschen mit seinen Fähigkeiten und Begabungen verschieden sind. Im Gleichnis spricht er von den Hausherrn, der „einem jeden seine Arbeit“ gibt. Besonders geht er auf den Türhüter ein, der in der Nacht das Haus bewachen soll – er erfüllt seine Aufgabe nicht, wenn der Herr des Hauses plötzlich mitten in der Nacht zurückkehrt und sein Wächter schläft und lässt sein Haus ohne Schutz.

Ich kannte Herrn U. nicht, doch nach dem, was ich nun von ihm erfahren habe, war er ein Mann, der seine Aufgabe immer erfüllt hat, auch wenn ihm durch die Umstände Steine in den Weg gelegt wurden. Er stammte aus einer Familie, in der man gewohnt war, sein Brot hart zu verdienen und Verantwortung für seine Familie zu übernehmen. Er schaffte es, trotz der schweren Zeit, in der kaum Arbeit zu finden war, in der das Arbeitslosengeld nicht reichte, in der man denen, die Löhne und Preise diktierten, schutzlos ausgeliefert war.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen in Kriegs- und Friedenszeiten

Arbeit hat das Leben von Herrn U. sehr stark geprägt, trotzdem sollte man wohl nicht sagen, er hätte nur für die Arbeit gelebt: Ziel all seiner oft unsäglich schweren Arbeit war ja, für seine Familie zu sorgen und ein guter Ehemann und Vater zu sein. Und in der letzten Zeit wuchs er in eine weitere Rolle hinein: er wurde ein Großvater, der den Enkeln ein guter Zuhörer war, wenn sie mit Problemen zu ihm kamen, oder der ihnen die Fahrräder reparierte.

Wenn wir darauf heute zurückblicken, macht es uns traurig, dass es nun alles so plötzlich vorbei ist, abgebrochen, eine schmerzliche Lücke hinterlassend. Wir erkennen, wie dankbar wir sein können für das, was gewesen ist; und zugleich müssen wir erkennen, dass wir durch alle unsere Anstrengungen und durch alle Arbeit unser Leben doch nicht selbst in der Hand haben. Wir leben nicht aus unserer Leistung heraus, sondern aus dem, was Gott uns schenkt. Auch unsere Fähigkeiten, unsere Energie, mit der wir Probleme meistern, das sind alles Gaben Gottes an uns, die uns auf eine bestimmte Zeit anvertraut sind.

Die größte Gabe Gottes ist es, wenn wir spüren, dass er sich uns selbst schenkt, dass er uns nahe ist in guten und schweren Zeiten, dass er uns nicht allein lässt, auch wenn wir traurig oder ängstlich oder zornig sind. Denn wenn wir das spüren, dass Gott uns lieb hat – auch wenn er manchmal scheinbar grausam oder unverständlich an uns handelt – dann geht es uns ganz von selbst so, dass wir diese Liebe Gottes in unseren alltäglichen Lebensbereich weiter hineintragen und im Sinne der Liebe verantwortlich handeln, auch wenn es nicht leicht ist.

Gott verlangt nichts von uns, wenn er nicht uns zuvor reich beschenkt hat; nur: oft erkennen wir gar nicht so dankbar an, was er uns eigentlich an Begabungen und Möglichkeiten gegeben hat. In manchen Situationen gibt es auch keine andere Möglichkeit mehr, als sich in seiner Niedergeschlagenheit und tiefen Schwachheit einfach fallen zu lassen und zu erfahren: Ich falle nicht tiefer als in die Hände Gottes, der gesagt hat (2. Korinther 12, 9):

Lass dir an meiner Gnade genügen; denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.

Vor Gott und vor ganz vertrauten Menschen ist es nicht nötig, sich zu verstellen, um stärker zu erscheinen, als man ist. Tränen wollen manchmal geweint sein, damit Trauer sich nicht festfrisst und Seele und Leib zerstört.

Das sage ich nun in der Situation Ihrer Trauer, die Sie in den nächsten Tagen und Wochen, wenn Sie wieder allein sind, erst ganz spüren werden. Man kann nicht immer stark und selbstbeherrscht sein und muss es auch nicht; man kann sich dem Schmerz der Traurigkeit und dem Gefühl des allzu plötzlichen Abbruchs einer lebendigen Beziehung bewusst stellen – wenn man nicht allein bleibt dabei, wenn man weiß, es kann neues Leben geben hinter der Trauer, wenn ein Mensch da ist, der auch viele Tränen erträgt, wenn man sich selbst überwinden kann und einen anderen um Hilfe, um Begleitung oder einfach seine Nähe bittet.

In diesem Augenblick ist es noch einmal gut, sich an unseren Bibeltext zu erinnern. Dort hat des Gleichnis Jesu noch eine allgemeinere Bedeutung, wenn er sagt (Markus 13, 37):

Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!

Jesu fordert uns auf: Macht eure Augen auf! Gerade wenn wir anfangen wollen, unsere Augen vor dem Schrecklichen, vor dem, was so weh tut, zu verschließen, sagt er uns: Bleibt wach! Warum tut er das? Weil die Welt nicht wie ein Tag ist, der zwar vorübergehend helle und freundliche Tageszeiten kennt, aber unwiderruflich auf die kalte und endgültig alles sinnlos machende Todesnacht zuläuft. Weil die Welt nicht ein trostloses auswegloses Jammertal ist.

Die Bibel kennt zwar unsere Welt als eine oft dunkle Welt, kennt uns in unserer Lieblosigkeit, in unseren Sorgen und unserem Schmerz, auch in unseren Problemen und Schwierigkeiten miteinander. Aber diese Nacht kennt ein Morgen, kennt den Anbruch des Reiches Gottes, kennt eine Auferstehung der Toten, kennt den Stern der Gnade Gottes, kennt eine Zukunft, die von der Liebe und dem starken Trost Gottes bestimmt ist und die mit dem Leben Jesu in unserer Welt schon angefangen hat. Wer da noch so tut, als käme die Nacht unserer Welt erst noch, wer nun noch meint, er bräuchte den Spuren Jesu nicht zu folgen, diesen Hoffnungsspuren einer kommenden Zeit, der bringt sich um die Erfahrung dessen, was wirklich erfülltes Leben heißt.

So wächst neues Leben oft mitten heraus aus der Trostlosigkeit, unvermutet, unerwartet. Dabei bleibt jeder immer darauf angewiesen, eine Hilfe an anderen Menschen zu haben und einen Halt an dem Gott zu haben, dessen Worte nicht vergehen, auch wenn Himmel und Erde vergehen (Markus 13, 31). Solche Worte, die nicht vergehen, sind Worte der Liebe, wie sie ein Vater oder eine Mutter ihren Kindern tröstend oder ermutigend, zurechtweisend und dabei doch annehmend sagen. Deshalb möchte ich mit einer Liedstrophe schließen, die ein Gebet zu Gott als unserem Vater enthält (EG 325):

10. Weil denn weder Ziel noch Ende sich in Gottes Liebe find’t, ei so heb ich meine Hände zu dir, Vater, als dein Kind, bitte, wollst mir Gnade geben, dich aus aller meiner Macht zu umfangen Tag und Nacht hier in meinem ganzen Leben, bis ich dich nach dieser Zeit lob und lieb in Ewigkeit.

Wir beten: Herr, unser Gott, wir haben einen Menschen verloren, den wir Iieb hatten. Unser Leben ist leerer, ärmer geworden. Das tut weh. Wir bitten dich: Sei du uns nahe in unserem Schmerz, lass uns nicht allein in unserer Trauer. Lass uns deine Liebe und deine Nähe erfahren. Hilf uns auf, damit die Trauer uns nicht überwältigt und wir wieder Kraft und Mut finden für unser Leben. Amen.

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