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„Out“ – draußen vor dem Tor

Sünde tötet Liebe, den Sohn Gottes, draußen vor dem Tor. Nicht der Vater selbst tötet den Sohn. Gottes Zorn schlägt die Sünde auf überraschende Weise: Er vergibt sie. Vergebung enthält beides – Zorn und Liebe. Sein Zorn zeigt der Sünde die rote Karte. Seine Liebe schenkt die Chance, vertrauen zu lernen.

Ein altes Schloss mit Klinke
Jesus ist „out“ – ausgeschlossen vom Leben (Bild: Georg HirmerPixabay)

direkt-predigtGottesdienst am Sonntag Judika, den 17. März 2002, um 10.00 Uhr in der Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

„Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“

Dieses Wort aus dem Evangelium nach Matthäus 20, 28 ist das Leitwort für die kommende Woche und auch für unseren heutigen Gottesdienst. Jesus, der sich selber den Menschensohn nennt, gibt sein Leben, um uns zu erlösen.

Herzlich danken wir unserem Kirchenchor, der den Gottesdienst musikalisch mitgestaltet!

Doch zu Beginn singen wir gemeinsam aus dem Lied 51 die Strophen 1, 3 und 5. Es steht im Gesangbuch zwar unter der Rubrik „Weihnachten“, ist aber kein typisches Weihnachtslied und passt gut zum Thema des heutigen Gottesdienstes:

Also liebt Gott die arge Welt
Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Gott liebt die Welt und gibt sich uns in seinem Sohn. Das klingt schön. Doch diese Liebe führt den Sohn ans Kreuz, in den Schmerz und in die Schande. Ist es noch schön, ihm dorthin nachzufolgen?

Wir beten mit dem Psalm 43. Er steht im Gesangbuch unter der Nummer 724.

Ich bitte die Frauen, die linksbündigen Verse zu lesen, und wir Männer lesen heute einmal die nach rechts eingerückten Verse:

Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten.

1 Gott, schaffe mir Recht und führe meine Sache wider das unheilige Volk und errette mich von den falschen und bösen Leuten!

2 Denn du bist der Gott meiner Stärke: Warum hast du mich verstoßen? Warum muss ich so traurig gehen, wenn mein Feind mich dränget?

3 Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten und bringen zu deinem heiligen Berg und zu deiner Wohnung,

4 dass ich hineingehe zum Altar Gottes, zu dem Gott, der meine Freude und Wonne ist, und dir, Gott, auf der Harfe danke, mein Gott.

5 Was betrübst du dich, meine Seele, und bist so unruhig in mir? Harre auf Gott; denn ich werde ihm noch danken, dass er meines Angesichts Hilfe und mein Gott ist.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Kirchenchor: Kanon 172

Sende dein Licht und deine Wahrheit, dass sie mich leiten … zu deiner Wohnung [und ich dir danke, dass du mir hilfst]. (Psalm 43, 3-5)

Gott, du wirst Mensch. Du kommst zur Welt in Jesus, der so lebt auf Erden, wie wir alle leben sollten, ein Abbild deiner Liebe, ein vollkommenes Ebenbild Gottes, ein neuer Adam.

Und wir? Wir leben als alter Adam und als alte Eva auf dieser Erde. Wir haben Angst, wenn wir zu viel abgeben, aufgeben und loslassen. Wir leiden, wenn wir unterlegen sind, aber wir pochen auf unser Recht und wehren uns notfalls mit Gewalt. Und manchmal setzen wir uns einfach durch, nur weil wir stärker sind. Gott, wie schwer ist es, den Spuren Jesu nachzufolgen! Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

„Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“ (Matthäus 20, 28)

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“

Gott, warum soll ein Lösegeld notwendig sein, um uns zu erlösen? Ein Leben als Lösegeld, das Leben deines Sohnes. Du brauchst doch ein solches Opfer nicht, um uns zu vergeben. Lehre uns begreifen, warum er sich hingab als Lösegeld auch für uns, dein Sohn, Jesus Christus, unser Herr. „Amen.“

Heute liest der Konfirmand … im Wechsel mit mir die Lesung aus dem Evangelium nach Markus 10, 35-45:

35 Da gingen zu ihm Jakobus und Johannes, die Söhne des Zebedäus, und sprachen: Meister, wir wollen, dass du für uns tust, um was wir dich bitten werden.

36 Jesus sprach zu ihnen: Was wollt ihr, dass ich für euch tue?

37 Sie sprachen zu ihm: Gib uns, dass wir sitzen einer zu deiner Rechten und einer zu deiner Linken in deiner Herrlichkeit.

38 Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr wisst nicht, was ihr bittet. Könnt ihr den Kelch trinken, den ich trinke, oder euch taufen lassen mit der Taufe, mit der ich getauft werde?

39 Sie sprachen zu ihm: Ja, das können wir. Jesus aber sprach zu ihnen: Ihr werdet zwar den Kelch trinken, den ich trinke, und getauft werden mit der Taufe, mit der ich getauft werde;

40 zu sitzen aber zu meiner Rechten oder zu meiner Linken, das steht mir nicht zu, euch zu geben, sondern das wird denen zuteil, für die es bestimmt ist.

41 Und als das die Zehn anderen Jünger hörten, wurden sie unwillig über Jakobus und Johannes.

42 Da rief Jesus alle zwölf Jünger zu sich und sprach zu ihnen: Ihr wisst, die als Herrscher gelten, halten ihre Völker nieder, und ihre Mächtigen tun ihnen Gewalt an.

43 Aber so ist es unter euch nicht; sondern wer groß sein will unter euch, der soll euer Diener sein;

44 und wer unter euch der Erste sein will, der soll der Knecht von allen sein.

45 Denn auch der Menschensohn ist nicht gekommen, dass er sich dienen lasse, sondern dass er diene und sein Leben gebe als Lösegeld für viele.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Amen. „Amen.“

Wir bekennen den Glauben an den Vater Jesu Christi, an den Sohn, der uns dient, und an den Geist, der uns stark macht zum Dienen:

Glaubensbekenntnis

Wir singen aus dem Lied 87 die Strophen 1 bis 3:

1) Du großer Schmerzensmann, vom Vater so geschlagen, Herr Jesu, dir sei Dank für alle deine Plagen: für deine Seelenangst, für deine Band und Not, für deine Geißelung, für deinen bittern Tod.

2) Ach das hat unsre Sünd und Missetat verschuldet, was du an unsrer Statt, was du für uns erduldet. Ach unsre Sünde bringt dich an das Kreuz hinan; o unbeflecktes Lamm, was hast du sonst getan?

3) Dein Kampf ist unser Sieg, dein Tod ist unser Leben; in deinen Banden ist die Freiheit uns gegeben. Dein Kreuz ist unser Trost, die Wunden unser Heil, dein Blut das Lösegeld, der armen Sünder Teil.

Zur Predigt hören wir aus dem Brief an die Hebräer 13, 11-14:

11 Die Leiber der Tiere, deren Blut durch den Hohenpriester als Sündopfer in das Heilige getragen wird, werden außerhalb des Lagers verbrannt.

12 Darum hat auch Jesus, damit er das Volk heilige durch sein eigenes Blut, gelitten draußen vor dem Tor.

13 So lasst uns nun zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.

14 Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.

Gott, gib uns ein Herz für dieses Wort und lass dies ein Wort sein für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde!

Außerhalb von der Predigt hat Herr Klimas den Text zur Predigt vorgelesen. Außerhalb ist für diesen Text ein Schlüsselwort. Außerhalb des Lagers der Israeliten wurden die Kadaver der Tiere verbrannt, die man Gott darbrachte, als das Volk Israel noch seinen Tempel hatte. Draußen vor dem Tor von Jerusalem lag auch der Ort, an dem Jesus gekreuzigt wurde.

Jesus ist draußen, raus aus der Stadt, raus aus dem Leben, er ist – neudeutsch – „out“. Und das, wo wir so gern „in“ sein, dazu gehören, am Leben bleiben möchten.

Warum lässt sich Jesus herausdrängen aus unserer Welt, an das Kreuz der Schande, an den römischen Galgen draußen vor dem Tor? Warum ist Jesus diesen Weg nach draußen ans Kreuz so konsequent gegangen, obwohl er das Leben geliebt hat?

Wir haben in diesem Gottesdienst schon mehrfach ein Stichwort gehört, das auf diese Frage Antwort zu geben versucht – Lösegeld: „Der Menschensohn ist nicht gekommen, um sich dienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele.“

Als ich im GoDiTreff mit Konfirmanden diesen Gottesdienst vorbereitete, da fiel den Jungs zum Wort Lösegeld eine Geiselnahme ein. Die Geiselnehmer verlangen ein Lösegeld, vielleicht eine Million Euro, damit die Geisel freigelassen wird. Das Lösegeld ist also ein großer Geldbetrag, der an Verbrecher gezahlt wird, um einen unschuldigen Menschen vor dem Tod zu retten.

Nun kommt eine Geiselnahme nicht sehr häufig vor. Zur Zeit Jesu aber gab es sehr viele, für die ein Lösegeld das ganze Leben veränderte, nämlich für die Sklaven. Sie konnten sich durch ein hohes Lösegeld von ihrem Herrn freikaufen.

Wie ist es bei Jesus? Was setzt er ein? Er setzt nicht Geld ein, um ein unschuldiges oder ausgebeutetes Leben zu retten. Er setzt sein eigenes Leben ein, um das Leben sündiger und schuldig gewordener Menschen zu retten.

Aber an wen muss er dieses Lösegeld zahlen? Welche Macht hält uns grausamer gefangen als ein Sklavenhalter oder Geiselnehmer? Diese Macht heißt in der Bibel Sünde. Damit meine ich nicht das, was der sogenannte Parksünder tut, wenn er sein Auto falsch abstellt, und auch nicht das, was der Zuckerkranke tut, wenn er sich gegen ärztlichen Rat doch einmal ein Stück Kuchen gönnt.

Sünde ist die Haltung der beiden Söhne des Zebedäus, als sie sich bei Jesus im Himmel die besten Plätze sichern wollen. „Wir dürfen doch neben dir sitzen und mit dir regieren!“ Natürlich gehen da die anderen zehn Jünger auf sie los: „Was fällt euch ein, euch vorzudrängeln? Die besten Plätze wollen wir!“

Sünde fängt in der Bibel an, wo Eva dem guten Gott unterstellt: „Du meinst es nicht gut mit uns, du gönnst uns nicht einmal die Frucht vom Baum des Lebens!“

Sünde geht grausam weiter, wo Kain in seiner Eifersucht auf Abel sogar Gott unterstellt, dass er den Bruder bevorzugt. Wir wissen, wie es ausgeht: Er verkriecht sich beleidigt in sein Schneckenhaus, bis er den Bruder totschlägt im Affekt.

Sogar die besten Bemühungen der Menschen können zur Sünde werden. Religiöser Glaube ohne Barmherzigkeit kann umschlagen in Fanatismus, Inquisition oder Terrorismus. Und wer als aufgeklärter Humanist deshalb nicht mehr an den autoritären Herrgott im Himmel glauben wollte, sondern lieber an den menschlichen Fortschritt? Der musste im 20. Jahrhundert entsetzt feststellen, dass scheinwissenschaftliche Systeme wie der Nationalsozialismus oder der Kommunismus im Namen des Herrenmenschen oder des neuen sozialistischen Menschen zu den größten Völkermorden der Geschichte fähig waren.

Sünde gewinnt Gewalt über uns, wo wir das Vertrauen zu Gott verlieren, wo wir aufhören, an die Liebe zu glauben, wo wir nichts mehr von Gott erwarten, wo wir ihn nicht einmal mehr anklagen. Dann müssen wir unser Leben anders meistern, koste es, was es wolle. Auf wessen Kosten geht das? Auf Kosten anderer Menschen. Auf Kosten der eigenen Menschlichkeit. Auf Kosten des eigenen Lebens. Erfülltes Leben gewinnen wir so nicht.

Was wir dann Leben nennen, zerrinnt uns zwischen den Fingern, und am Ende steht der ewige Tod. Nur wer lieben kann, ist wirklich Mensch und wirklich frei. Wer sich aber von Gott löst und glaubt, frei zu sein, ist in Wirklichkeit ein Sklave der Sünde und gräbt sich sein eigenes Grab. Und er reißt andere Menschen mit in den Tod.

Dieses Bild steht also im Hintergrund des Wortes vom Lösegeld, das Jesus zahlen muss. Er zahlt es nicht an Gott im Himmel, sonst wäre Gott der Geiselnehmer oder der Sklavenhalter, der die Menschen in der Gefangenschaft der Sünde festhält. An die Sünde selbst zahlt Jesus sein Leben als Lösegeld.

Gott sieht glasklar: Ohne seine Hilfe kommen die Menschen von der Sklaverei der Sünde nicht frei. Darum schickt er den einen Menschen in die Welt, der sich vollkommen von seinem Geist leiten lässt, den Menschensohn, der als erster wirklich als Ebenbild Gottes auf Erden lebt. Und dieser eine Mensch, voller Vertrauen und ohne Sünde, voller Liebe und ohne Schuld, der nimmt die Folgen der Sünde auf sich. Er lebt als Ebenbild Gottes auf Erden und zeigt uns beides: Wozu die Liebe fähig ist in seinem eigenen Verhalten und wozu die Sünde fähig ist im Verhalten derer, die ihn draußen vor dem Tor hinrichten oder zu viel Angst davor haben, ihn dorthin zu begleiten. Als Sünder töten wir sogar die Liebe selbst, lassen den wahren Gottessohn im Stich, überlassen ihn dem Verderben durch die Sünde, in die wir alle verstrickt sind. Das meinen die Passionslieder, wenn sie betonen: „Meine Sünden haben dich geschlagen.“ – „Unsre Sünde bringt dich an das Kreuz hinan.“

Aber macht es überhaupt Sinn, wenn Jesus sich der Sünde freiwillig als Lösegeld preisgibt? Hat dann die Sünde nicht endgültig gewonnen, wenn die Liebe besiegt, die Menschlichkeit getötet ist? Kann man erwarten, dass die Sünde freiwillig ihre Macht über uns Menschen aufgibt? Endet nicht alles in Verzweiflung, Tod und Sinnlosigkeit, wenn sogar der beste Mensch auf Erden gewaltsam sterben muss?

Ich unterbreche hier die Predigt für ein Lied, das wir im Kirchenchor dreistimmig singen. Es ist das Lied 76, und es enthält Antworten auf diese Fragen. Sie können den Text im Gesangbuch mitverfolgen.
Kirchenchor: Lied 76

1) O Mensch, bewein dein Sünde groß, darum Christus seins Vaters Schoß äußert und kam auf Erden; von einer Jungfrau rein und zart für uns er hier geboren ward, er wollt der Mittler werden. Den Toten er das Leben gab und tat dabei all Krankheit ab, bis sich die Zeit herdrange, dass er für uns geopfert würd, trüg unsrer Sünden schwere Bürd wohl an dem Kreuze lange.

2) So lasst uns nun ihm dankbar sein, dass er für uns litt solche Pein, nach seinem Willen leben. Auch lasst uns sein der Sünde feind, weil uns Gotts Wort so helle scheint, Tag, Nacht danach tun streben, die Lieb erzeigen jedermann, die Christus hat an uns getan mit seinem Leiden, Sterben. O Menschenkind, betracht das recht, wie Gottes Zorn die Sünde schlägt, tu dich davor bewahren!

Liebe Gemeinde, noch einmal die Frage: Kann man erwarten, dass die Sünde freiwillig ihre Macht über uns Menschen aufgibt? Nützt es etwas, wenn Jesus sein Leben der Sünde als Lösegeld opfert?

Ich finde eine Antwort in dem Satz, den wir eben gesungen haben: „O Menschenkind, betracht das recht, wie Gottes Zorn die Sünde schlägt“. Das Wort „wie“ fand der Komponist unseres Chorsatzes, Albert Thate, offenbar so wichtig, dass wir es in der Männerstimme ganz lang und breit aussingen mussten: „Wie Gottes Zorn die Sünde schlägt…“ – ja wie sieht denn der entscheidende Schlag Gottes gegen die Sünde aus?

Dieser Satz muss in der Tat, recht betrachtet werden. Denn es ist einfach, ihn falsch zu betrachten. Ich habe mich an diesem Satz immer wieder gestoßen, weil ich ihn so zu verstehen gelernt habe: Gott schlägt die Sünde, indem Gott Jesus straft. Jesus ist zwar unschuldig, nimmt aber unsere Sünde auf sich; also muss Gott nur an Jesus ein Exempel statuieren und ihn grausam strafen, während wir verschont bleiben.

Aber betrachten wir so Gottes Zorn wirklich richtig? Ich denke, nein. Zwar ist Gott in der Tat zornig auf die Sünde. Er hält sie nicht für harmlos. Er nimmt sie so ernst, dass er uns in aller Deutlichkeit vor Augen stellt, wohin Sünde führt: Sünde tötet Liebe, bringt den Sohn Gottes um, wie den verachtenswertesten Verbrecher, draußen vor dem Tor.

Aber es ist nicht Gott selbst, der den Sohn tötet. Gottes Zorn schlägt die Sünde, die an seinem Sohn geschieht und die er zulässt, auf andere, völlig überraschende Weise: Er vergibt sie. So und nicht anders gebietet er der Sünde Einhalt. Während Jesus am Kreuz hängt, bittet er sterbend den Vater um Vergebung für die, die ihm das angetan haben. Die Antwort des Zornes Gottes auf die Sünde ist also die Vergebung. So bricht er die Macht der Sünde, und zwar endgültig.

Die Vergebung enthält also beides – Gottes Zorn und Gottes Liebe. Sein Zorn zeigt der Sünde die rote Karte und warnt uns Sünder: Schluss damit, rennt nicht weiter ins Unglück, indem ihr der Sünde folgt – „tut euch davor bewahren!“ Seine Liebe schenkt den Sündern einen neuen Anfang: Ihr habt die Chance, der Sünde zu entkommen, vertrauen und lieben zu lernen.

Dieser Weg zum erfüllten liebevollen Leben mit Gott ist allerdings nicht leicht. Wer der Sünde entkommen will, dem steht nach dem Hebräerbrief nur der Weg in Abseits offen, in das man Jesus abdrängt, draußen vor dem Tor. Wer Jesus nachfolgt, läuft Gefahr, ebenfalls „out“ zu sein: „So lasst uns zu ihm hinausgehen aus dem Lager und seine Schmach tragen.“

Trotzdem ist dieser Weg der einzige Weg zum wahren Glück, zum ewigen Leben. Denn Gott weckt Jesus vom Tode auf, schenkt ihm, der sein Leben als Lösegeld eingesetzt hat, neues, ewiges Leben zurück. Er, den wir als Sünder immer wieder töten, mit unserer Bitterkeit und Hartherzigkeit, mit Gleichgültigkeit und Trägheit, mit unserem Hochmut und unseren Lebenslügen, er wird auferweckt, und mit ihm sind auch wir erlöst von den Folgen aller Sünden. Wir sind erlöst vom ewigen Tod.

Das heißt – so lange wir hier auf Erden leben, sind wir Bürger zweier Welten. Wir wohnen zwar im irdischen Jerusalem, das von Zerrissenheit und Vergänglichkeit geprägt ist und in dem wir immer wieder neu auch als Sünder handeln. Wir suchen jedoch zugleich das himmlische Jerusalem des ewigen Friedens und erbitten die Kraft, die Liebe zu leben.

Martin Luther hat das so ausgedrückt: Wir sind zugleich Sünder und gerecht. Insofern wir uns allein durchs Leben zu wursteln versuchen, sind wir der alte Adam und die alte Eva. Wenn wir es aber immer wieder neu mit dem Vertrauen auf Gott wagen, gehen wir schon ein bisschen in Jesu Fußstapfen, kindlich wie er und erwachsen zugleich, getröstet und geborgen, mit viel Mut zur Verantwortung.

Bürger zweier Welten sind wir: „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Wir sind auf Erden Gast und leben in der Erwartung der himmlischen Welt. Jesus leidet draußen vor dem Tor und schließt uns gerade so die Tür zum Himmel auf. Damit sind wir nun aber nicht zur Weltflucht aufgerufen, als ob diese Welt nichts wert wäre und als ob wir uns so schnell wie möglich aus dem Staub machen sollten. Wir sind aufgerufen, in dieser Welt genauer hinzusehen, wo der Himmel schon hier zu finden ist.

Zwar gibt es den Himmel, den Jesus für uns aufschließt, nirgends vollkommen auf Erden, aber er beginnt dennoch schon hier, mitten im irdischen Leben.

Wo denn zum Beispiel? Da gelingt in einer Ehe lebenslange Treue, weil Belastungen und Konflikte nicht zur Trennung führen, sondern durch Gespräch und Vergebung gemeinsam bewältigt werden.

Da merkt ein Konfirmand, es ist zwar schön, zur Konfirmation Geld zu bekommen, aber eigentlich geht es bei der Konfirmation um viel mehr – was zählt wirklich in meinem Leben? Manche begreifen es allerdings erst sehr viel später.

Da wird Politikern und Wählern bewusst, dass Gewalt allein den Terrorismus nicht eindämmen kann. Sie setzen sich ein für eine weltweite Anti-Armuts-Allianz, um dem Hass zwischen den Kulturen einen Nährboden zu entziehen.

Da ist einer verzweifelt über den Tod eines geliebten Menschen und findet neu zum Glauben, obwohl er Gottes Weg nicht begreift. Er verschließt sich nicht in Bitterkeit, sondern sucht Menschen, bei denen er sich anlehnen und auch einmal aussprechen kann.

Überall kann ein Stück Himmel auf Erden verborgen sein, vielleicht gerade, wo wir es nicht vermuten, an den Rändern dieses Lebens, dort wo wir zweifeln, dort wo unsere leeren Hände gefüllt werden, dort wo wir verzweifelten Menschen nahe sind, draußen vor dem Tor. „Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Was uns hier sicher erscheint, kann rasch vergehen. In Gottes Liebe bleiben wir jedoch bewahrt in Ewigkeit, sogar im Tod. Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen das Lied 94. Ich schlage vor, in der letzten Strophe zu singen: „Als Gottes Kinder sind wir frei.“

Das Kreuz ist aufgerichtet, der große Streit geschlichtet

Gott, wir danken dir, dass du Verständnis für uns hast – dass du weißt: Allein können wir uns nicht aus der Macht der Sünde befreien. Wir danken dir dafür, dass dein Zorn über die Sünde einen heilsamen Weg gefunden hat, um sie zur Strecke zu bringen: Du nimmst in deinem Sohn Jesus Christus die Folgen der Sünde auf dich, du zahlst an sie das Lösegeld, das sie fordert, du entmachtest sie, indem du den Kreislauf des Bösen unterbrichst – durch Vergebung, durch deine allmächtige Liebe.

Wir bitten dich nun: schenke uns den Mut, dir auf diesem Weg der Liebe zu folgen. Wenn wir verzweifelt sind, lass uns nicht vergessen, dass du eine Adresse für unsere Klagen bist. Wenn es uns gut geht, lass uns die Menschen nicht vergessen, die es nicht gut haben.

Insbesondere beten wir heute für zwei verstorbene Gemeindeglieder: … . Gott, du bist der Herr über Leben und Tod, deinen barmherzigen Händen vertrauen wir die Menschen an, die wir geliebt haben. Und wir bitten dich auch für die Angehörigen, dass sie den Weg der Trauer nicht allein gehen müssen. Begleite sie, auch wenn ihr Weg durch finstere Täler führt, und gib ihnen Kraft für die Aufgaben, die in der Zukunft zu bewältigen sind. Amen.

Was wir außerdem auf dem Herzen haben, bringen wir in der Stille vor dich, unser Gott.

Stille und Vater unser
Kirchenchor – Lied 98: Korn, das in die Erde, in den Tod versinkt
Abkündigungen

Geht mit Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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