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„Ihr habt nach mir geschaut“

Trauerfeier für eine Frau, die in ihren letzten Lebensjahren auf intensive Pflege angewiesen war und sich über jeden Besuch gefreut hat. Ich denke an Worte der Bibel, in denen vom Besuch Gottes bei uns und vom Besuchsdienst der Menschen als Besuch bei Jesus oder Dienst für Gott die Rede ist.

"Ihr habt nach mir geschaut": Eine Patientin liegt in einem Krankenbett auf der Intensivstation
Eine Patientin auf der Intensivstation (Bild: ParentingupstreamPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauergemeinde, wenige Woche nach der Trauerfeier für ihren Ehemann sind wir hier versammelt, um von Frau R. Abschied zu nehmen, die im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist.

Wir denken an sie, an ihr Leben und an ihr langes Sterben.

Wir denken an uns selbst, was uns bewegt und wie es uns geht nach diesem Tod und mit der Erinnerung an die Verstorbene.

Und wir besinnen uns auf Gott, den Herrn über Leben und Tod, der innerhalb weniger Wochen das Ehepaar R. aus diesem Leben zu sich abgerufen hat.

Lasst uns beten mit Worten aus dem Psalm 31, einem alten Lied des Königs David:

2 HERR, auf dich traue ich, lass mich nimmermehr zuschanden werden, errette mich durch deine Gerechtigkeit!

3 Neige deine Ohren zu mir, hilf mir eilends! Sei mir ein starker Fels und eine Burg, dass du mir helfest!

4 Denn du bist mein Fels und meine Burg, und um deines Namens willen wollest du mich leiten und führen.

6 In deine Hände befehle ich meinen Geist; du hast mich erlöst, HERR, du treuer Gott.

8 Ich freue mich und bin fröhlich über deine Güte, dass du mein Elend ansiehst und nimmst dich meiner an in Not

9 und übergibst mich nicht in die Hände des Feindes; du stellst meine Füße auf weiten Raum.

10 HERR, sei mir gnädig, denn mir ist angst! Mein Auge ist trübe geworden vor Gram, matt meine Seele und mein Leib.

11 Denn mein Leben ist hingeschwunden in Kummer und meine Jahre in Seufzen. Meine Kraft ist verfallen durch meine Missetat, und meine Gebeine sind verschmachtet.

12 [Eine Last bin ich geworden meinen Nächsten.]

13 Ich bin vergessen in ihrem Herzen wie ein Toter; ich bin geworden wie ein zerbrochenes Gefäß.

15 Ich aber, HERR, hoffe auf dich und spreche: Du bist mein Gott!

16 Meine Zeit steht in deinen Händen.

17 Lass leuchten dein Antlitz über [mir]; hilf mir durch deine Güte!

18 HERR, lass mich nicht zuschanden werden; denn ich rufe dich an. Die Gottlosen sollen zuschanden werden und hinabfahren zu den Toten und schweigen.

20 Wie groß ist deine Güte, HERR, die du bewahrt hast denen, die dich fürchten, und erweisest vor den Leuten denen, die auf dich trauen!

21 Du birgst sie in deinem Schutz vor den Rotten der Leute, du deckst sie in der Hütte vor den zänkischen Zungen.

22 Gelobt sei der HERR; denn er hat seine wunderbare Güte mir erwiesen in einer festen Stadt.

23 Ich sprach wohl in meinem Zagen: Ich bin von deinen Augen verstoßen. Doch du hörtest die Stimme meines Flehens, als ich zu dir schrie.

24 Liebet den HERRN, alle seine Heiligen! Die Gläubigen behütet der HERR und vergilt reichlich dem, der Hochmut übt.

25 Seid getrost und unverzagt alle, die ihr [eure Hoffnung auf den HERRN setzt]!

Liebe Trauergemeinde,

nur wenige Wochen hat Frau R. ihren Mann überlebt. Und ich denke, wir werden wohl alle darin einig sein, dass ihr Tod für sie jetzt eine Erlösung war. „Du hast mich erlöst, Herr, du treuer Gott“, das können wir in dieser Stunde also mit Recht beten.

Damit will ich aber nicht sagen, dass Frau R. in ihren letzten Lebensjahren und -monaten nicht noch ein sinnvolles Leben geführt hätte. Es war schwer, zuletzt vollkommen angewiesen zu sein auf die intensive Betreuung in einer Pflegeeinrichtung, aber sie war dort in guten Händen, und ihr Leben war doch auch dort erfüllt mit Liebe, mit Begegnungen, mit Lachen und Weinen.

Als mir Herr R. im Herbst letzten Jahres sein Anliegen ans Herz legte, ich möchte doch seine Frau auch einmal besuchen, da spürte ich, wie viel ihr die Besuche derer bedeuteten, die regelmäßig bei ihr waren, und auch derer, die nur ein paar Mal zu ihr kamen, wie zum Beispiel ich als ihr Gemeindepfarrer.

Sie konnte schon lange nicht mehr sprechen, aber eine Zeitlang war es ihr noch möglich, mit dem Finger in die Hand des Besuchers schreiben, um sich zu verständigen. Wenn ich mit ihr ein Vaterunser oder ein Lied betete oder sie segnete, reagierte sie darauf sehr intensiv.

Lassen wir unsere Gedanken von ihrem Lebensende zurückgehen an den Anfang ihres Lebens. Schon von Anfang an ist ihr Leben nicht leicht gewesen.

Erinnerungen an das Leben der Verstorbenen

So viel oder so wenig kann ich von ihr erzählen; Sie werden Ihre eigenen Erinnerungen in sich tragen, die Sie mit Frau R. verbinden. Ich selber habe sie erst kennengelernt, als ich ihren Mann und sie vor einigen Jahren zum Geburtstag besuchte. Das einzige, woran ich mich aus einem damaligen Gespräch mit ihr erinnern kann, war, dass Sie sich nach einem Konzert erkundigte, das damals stattfinden sollte: Harfe, Violine und Gesang, das gefiel ihr.

Und wie gesagt, zuletzt bin ich ihr dann noch einige Male auf ihrer Pflegestation begegnet. Seit Jahren war sie schwer krank. Zum Schluss konnte sie ohne Beatmung und Flüssignahrung nicht überleben.

Nachdem ich das letzte Mal bei ihr war, kurz nach dem Tod ihres Mannes, sprach ich anschließend noch mit einer der Krankenschwestern, die sie betreuten. Ich sagte ihr, wie wichtig ich die Arbeit finde, die die Pflegekräfte dort leisten, und welche Hochachtung ich vor ihnen habe.

Die Pflegerin erzählte mir, warum sie diese Aufgabe als ihre Herzensangelegenheit empfindet; weil sie nämlich einige Jahre zuvor im eigenen Bekanntenkreis erlebt hatte, wie rasch ein Leben zu Ende gehen und wie rasch ein Mensch all seiner Kräfte beraubt sein kann. Und doch behält jeder Mensch seine Würde und hat ein Anrecht darauf, dass man ihn wie einen Menschen behandelt und nicht wie einem Tier den Gnadenstoß versetzt.

Das hat mir sehr zu denken gegeben. Ich musste an das Gleichnis denken, das Jesus vom Weltgericht erzählt (Matthäus 25, 31-46). Er erzählt es Menschen, die annehmen, sie würden auf jeden Fall in den Himmel kommen. Aber am Ende sind einige überrascht, weil Jesus sie vor den Kopf stößt. „Ihr habt mir nicht geholfen, als ich in Not war“, sagt er, „ich kenne euch nicht“. Da wundern sie sich, und er sagt: „Ich begegne euch in jedem Menschen, der Hilfe nötig hat.“

Andere denken: „In den Himmel komme ich wahrscheinlich nicht, ich habe Schwierigkeiten mit dem Glauben, ins Gotteshaus gehe ich kaum, und mit Jesus hatte ich nichts zu tun.“ Aber einigen von ihnen sagt Jesus: „Doch, euch kenne ich.“ Und als sie fragen: „Warum denn, woher denn?“, da sagt Jesus unter anderem diesen einen Satz (Matthäus 25, 36):

Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besucht.

Wörtlich steht da: „Ihr habt nach mir geschaut“, und dieses Wort „episkopein“, „schauen“, ist später die Dienstbezeichnung der Bischöfe geworden, die nach ihren Gemeinden schauen, sie beaufsichtigen und leiten. Jesus meint mit dem „Schauen“ aber keine Führungsaufgabe, die mit äußerlicher Machtausübung einhergeht, keine Aufsicht von oben nach unten, sondern eben das tatsächliche „Sich-Kümmern“, ein Dienen von Mensch zu Mensch. Wenn wir also nach Menschen schauen, die krank sind, wenn wir sie besuchen und sie umsorgen, dann tun wir Jesus selbst etwas Gutes. Anders gesagt: Es ist ein Gottesdienst.

Davon schreibt in der Bibel auch Jakobus, der Bruder Jesu in seinem Brief (Jakobus 1, 27):

Ein reiner … Gottesdienst vor Gott, dem Vater, ist der: die Waisen und Witwen in ihrer Trübsal besuchen.

Gottesdienste in der Kirche oder hier auf dem Friedhof haben eigentlich nur den Sinn, uns daran zu erinnern, was Gott für uns tut und was wir für ihn tun können. Er beschenkt uns mit Liebe, mit vielen Talenten und Gaben. Und diese Gaben gibt er uns, damit wir sie auch als Aufgaben verstehen: Wir können mit unseren Kräften und Talenten anderen etwas weitergeben, dafür sorgen, dass denen geholfen wird, die Hilfe brauchen, dass jemand Trost erfährt, der in Trauer versinkt, dass jemand Besuch bekommt, der sonst alleine wäre.

Von Gott selber heißt es in der Bibel (Lukas 1, 78), dass er uns besucht, dass er nach uns schaut. Er tut das immer wieder, indem er Propheten Worte eingibt, die den Menschen weitergesagt werden, indem er uns hilfreiche Engel zur Seite stellt oder indem er in Jesus selber als Mensch zur Welt kommt und unser Schicksal mit uns teilt. Gott besucht uns, wir sind ihm wichtig, er traut uns zu, dass wir unser Leben ebenfalls so führen, dass uns andere Menschen wichtig sind, dass wir uns um sie kümmern, dass wir nach ihnen schauen, dass wir zuhören, wenn jemand ein offenes Ohr braucht.

Frau R. ist gestorben, sie braucht uns hier auf Erden nicht mehr; wir können nur noch für sie beten, dass Gott sie aufnimmt in seinen Himmel, in seine gnädigen Arme. Wir lassen sie los und befehlen sie der Liebe Gottes an, der versprochen hat, uns am Ende mit Ehren aufzunehmen. Amen.

Gott, im Vertrauen auf dich, der du uns liebst, nehmen wir heute Abschied von Frau R. Wir vertrauen sie deiner Liebe an. Nimm sie auf in deinem Himmel und schenke ihr, wonach sie sich von Herzen gesehnt hat.

Wir danken dir für alles, was anderen Menschen mit ihrem Leben geschenkt war, und auch für das, was sie an Liebe und Hilfe empfangen konnte. Wir dürfen dich auch um Vergebung bitten, wenn wir einander etwas schuldig geblieben sind und wenn uns das von Herzen leid tut.

Uns, die wir zurückbleiben, schenke die Kraft, um zu bewältigen, was uns belastet. Manchmal brauchen wir Mut dazu, um uns Gedanken und Gefühlen zu stellen, die tief in uns vergraben sind. Hilf uns, dass wir gemischte Gefühle zulassen.

Begleite uns auf dem Weg der Trauer und hilf uns, unser eigenes Leben zu meistern. Hilf uns klarzukommen mit den Gedanken an den Tod und lass uns nicht vergessen, wie kostbar das uns geschenkte Leben ist. Mach uns bewusst, dass wir von dir geschaffen sind, um auf dieser Erde Liebe zu empfangen und zu geben. Amen.

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