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„Sei getreu!“

Wenn der Tod nicht das letzte Wort hat, dann müssen und dürfen wir auch nicht schweigen, wo Tod unter uns Menschen bereitet wird. Vom Rufmord im kleinen Kreis bis zur Zerstörung der Natur; von den alltäglichen Sticheleien bis zur Duldung der Massenvernichtungsmittel, die uns sichern sollen.

Zwei einander ansehende Gesichter im Streit, wie farbig glühend
Streit und tödliche Gewalt überwinden, wie geht das? (Bild: Gerd AltmannPixabay)

direkt-predigtGottesdienst am Volkstrauertag, Sonntag, 14. November 1982, um 9.30 Uhr in Reichelsheim und um 10.30 Uhr in Heuchelheim
Orgelvorspiel

Zum Gottesdienst am Volkstrauertag, dem vorletzten Sonntag im Kirchenjahr, begrüße ich Sie herzlich in unserer Kirche! Nachher auf dem Friedhof, wo ich auch zu reden habe, werden mehr Leute da sein als hier im Gottesdienst – und doch ist es im Grunde wichtiger, uns im Hören auf Gottes Wort, im Feiern und Singen und Beten an den zu halten, der allein uns in unserer Trauer und Angst tragen und aus unserer Unsicherheit und Mutlosigkeit herausholen kann: an Jesus Christus, unseren Herrn.

Wir singen das Lied 212, Christe, du Beistand deiner Kreuzgemeine, und zwar nach der Melodie „Herzliebster Jesu, was hast du verbrochen“. Dabei fällt die Wiederholung der letzten Zeile jeder Strophe weg.
Lied EKG 212, 1-4 (nicht im EG):

1. Christe, du Beistand deiner Kreuzgemeine, eile, mit Hilf und Rettung uns erscheine. Steure den Feinden, ihre Blutgedichte mache zunichte.

2. Streite doch selber für uns arme Kinder, wehre dem Teufel, seine Macht verhinder; alles, was kämpfet wider deine Glieder, stürze darnieder.

3. Frieden bei Kirch und Schule uns beschere, Frieden zugleich der Obrigkeit gewähre. Frieden dem Herzen, Frieden dem Gewissen gib zu genießen.

4. Also wird zeitlich deine Güt erhoben, also wird ewig und ohn Ende loben dich, o du Wächter deiner armen Herde, Himmel und Erde.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat! (1. Johannes 5, 4b)

Herr, wir bekennen dir, unserem Richter, dass wir zu wenig für den Frieden gebetet, nachgedacht, geredet und getan haben. Wir schwiegen ängstlich, ließen uns beschwichtigen, oder wir waren hektisch. Wir haben böse Worte nicht ernst genug genommen oder sind untätig und lustlos geblieben, wenn es um den Frieden ging. Wir brauchen den neuen Anfang, der von dir herkommt, Herr. Sprich du nur ein Wort, so wird unsere Seele gesund! Amen.

Schriftlesung: Jesaja 57, 14-21

14 Und er spricht: Machet Bahn, machet Bahn! Bereitet den Weg, räumt die Anstöße aus dem Weg meines Volks!

15 Denn so spricht der Hohe und Erhabene, der ewig wohnt, dessen Name heilig ist: Ich wohne in der Höhe und im Heiligtum und bei denen, die zerschlagenen und demütigen Geistes sind, auf dass ich erquicke den Geist der Gedemütigten und das Herz der Zerschlagenen.

16 Denn ich will nicht immerdar hadern und nicht ewiglich zürnen; sonst würde ihr Geist vor mir verschmachten und der Lebensodem, den ich geschaffen habe.

17 Ich war zornig über die Sünde ihrer Habgier und schlug sie, verbarg mich und zürnte. Aber sie gingen treulos die Wege ihres Herzens.

18 Ihre Wege habe ich gesehen, aber ich will sie heilen und sie leiten und ihnen wieder Trost geben; und denen, die da Leid tragen,

19 will ich Frucht der Lippen schaffen. Friede, Friede denen in der Ferne und denen in der Nähe, spricht der HERR; ich will sie heilen.

20 Aber die Gottlosen sind wie das ungestüme Meer, das nicht still sein kann und dessen Wellen Schlamm und Unrat auswerfen.

21 Die Gottlosen haben keinen Frieden, spricht mein Gott.

Lied EKG 288, 1-2 (EG 398):

1. In dir ist Freude in allem Leide, o du süßer Jesu Christ! Durch dich wir haben himmlische Gaben, du der wahre Heiland bist; hilfest von Schanden, rettest von Banden. Wer dir vertrauet, hat wohl gebauet, wird ewig bleiben. Halleluja. Zu deiner Güte steht unser G’müte, an dir wir kleben im Tod und Leben; nichts kann uns scheiden. Halleluja.

2. Wenn wir dich haben, kann uns nicht schaden Teufel, Welt, Sünd oder Tod; du hast’s in Händen, kannst alles wenden, wie nur heißen mag die Not. Drum wir dich ehren, dein Lob vermehren mit hellem Schalle, freuen uns alle zu dieser Stunde. Halleluja. Wir jubilieren und triumphieren, lieben und loben dein Macht dort droben mit Herz und Munde. Halleluja.

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Liebe Gemeinde!

Es gibt zwei Sorten von Gemeindebriefen. Die eine Sorte kennen Sie gut, bei uns heißt das „Kirchenblättchen“, und das bekommen Sie so alle zwei Monate ins Haus. Aber es gibt auch Briefe, die sind an die ganze Gemeinde gerichtet, da ist die Gemeinde mit ihrem Pfarrer Empfänger und nicht Schreiber. Z. B. in Birmingham, da gibt es einen Briefkasten an einer Gemeinde, da können Menschen Sorgenbriefe einwerfen, und jeden Mittag sammelt sich ein Kreis und nimmt, wenn Briefe da sind, deren Anliegen in ihre Fürbitte auf. Im Neuen Testament gibt es auch solche Briefe an eine ganze Gemeinde, in der letzten Schrift der Bibel, der Offenbarung des Johannes, gleich sieben Stück. Wir nennen sie Sendschreiben. Heute hören wir davon das zweite, und zwar an die Gemeinde in Smyrna. Der Angeredete ist Johannes, der eine Stimme, die Stimme eines Engels oder Gottes, wie in einem Traumbild erfährt:

Offenbarung 2, 8-11:

8 Und dem Engel der Gemeinde in Smyrna schreibe: Das sagt der Erste und der Letzte, der tot war und ist lebendig geworden:

9 Ich kenne deine Bedrängnis und deine Armut – du bist aber reich – und die Lästerung von denen, die sagen, sie seien Juden, und sind’s nicht, sondern sind die Synagoge des Satans.

10 Fürchte dich nicht vor dem, was du leiden wirst! Siehe, der Teufel wird einige von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr versucht werdet, und ihr werdet in Bedrängnis sein zehn Tage. Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben.

11 Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! Wer überwindet, dem soll kein Leid geschehen von dem zweiten Tode.

So weit der Text.

Ja, liebe Gemeinde, all das, was die Gemeinde von Smyrna zu hören bekommt, trifft auf uns wohl nicht zu. Wir werden nicht verfolgt, wir sind nicht arm. Ob wir in Wirklichkeit reich sind, reich an dem, worauf es vor Gott ankommt, muss sich zeigen. Üble Nachreden kennen wir wohl, aber nicht in Bezug auf unser Christsein. Ins Gefängnis wird auch keiner von uns kommen, nur weil er Christ ist, und wenn es uns mit dem Glauben ernst ist, gehören wir zwar zu einer nur sehr kleinen Schar von Menschen, aber das Leben kostet es uns nicht. „Sei getreu bin an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben“, so heißt dieser Vers in Luthers Übersetzung, übrigens mein Konfirmationsspruch, wie auch für viele andere. Wo können wir das bewähren?

Obwohl es bei uns ganz anders ist als in Smyrna, obwohl wir keine Verfolgungen erleiden, weder Bedrängnis noch Gefängnis – trotzdem leiden wir unter Ängsten, unter Hoffnungslosigkeit, leben gleichgültig oder unter dem Diktat unserer Termine vor uns hin. Uns bedroht nicht Feindseligkeit und Verfolgung von außen, uns bedroht in unserem Glauben Gleichgültigkeit von außen und Resignation im Inneren.

Es ist also gar nicht so einfach, in einer Zeit wie der unseren „getreu zu sein“, getreu bis an den Tod. Man will vielleicht gern öfter in die Kirche. Aber der Sonntagmorgen ist der einzige Tag zum Ausschlafen, und man kann ja seinen Glauben auch anders leben, und so entwöhnen sich viele ihrem Christsein. Ich will nicht sagen, dass sie nicht in ihrem Herzen ein Stück von ihrem Glauben bewahren, dass sie nicht auch ein Stück weit im Sinne der christlichen Liebe handeln. Aber es ist doch schade, wie viel Energie der christlichen Gemeinde als Ganzer, als Gemeinschaft, verloren geht, weil jeder sein Christentum für sich allein leben will. Ich wage es schon fast nicht mehr, noch zur Friedensgruppe aufzurufen, weil wir nach wie vor eine Handvoll Leute sind, und sonst niemand Interesse zu haben scheint. Es ist schade, dass viele Leute zur Kirche offenbar eine solche Beziehung haben: man geht mal vorbei oder lässt es bleiben; es kostet ja nichts. Man hat ja einmal bezahlt, und dann nimmt man in Anspruch, in Ruhe gelassen zu werden.

Was ich gesagt habe, will ich eigentlich nicht so stehen lassen. Weil ich nicht in das Gejammer so vieler Verantwortlicher in der Kirche einstimmen möchte, das ja auch so viele Kräfte raubt. Und weil ich den Druck, unter dem viele stehen, und der viele dazu führt, bei der Kirche weniger aktiv zu sein, durchaus verstehen kann. Ich möchte auch niemanden nötigen, bei uns mitzumachen; Aktivität in der Kirche ist eine freiwillige Sache.

Und trotzdem bin ich enttäuscht. Trotzdem spüre ich ein Gefühl des Versagens, wenn die Kirche oft sehr schlecht besucht ist, auch wenn man mir nie sagt, dass ich schlecht predige. Und ich frage mich, ob ich‛s falsch anpacke, ob ich die Leute zu wenig begeistern kann, ob ich Begeisterung für die falschen Inhalte wecken will, ob ich zu wenig danach frage, was meine Zuhörer wirklich brauchen.

Und wenn ich mich das alles frage, dann kommt mir der Gedanke, dass diese Art, zu fragen und zu grübeln, vielleicht schon dem zweiten Tode gleichkommt, der schrecklicher ist als der erste, der biologische Tod.

„Lass die Toten ihre Toten begraben!“

– hat Jesus einmal sehr hart einem Mann gesagt, der ihm nachfolgen wollte (Matthäus 8, 22 / Lukas 9, 60), und dann aber doch noch so lange warten wollte, bis er zu Hause seinen Pflichten als Sohn bis zum Begräbnis seines Vaters genügt hätte. Jesus kennt einen Tod, der schlimmer ist als der biologische und der schon vorher beginnt, mitten in unserem Leben. Es ist der Tod der Lieblosigkeit, des Misstrauens gegen Gott, der Hoffnungslosigkeit trotz der Verheißungen Gottes, der Gleichgültigkeit trotz des Auftrags, den Gott jedem von uns gibt. Es ist der Tod, der spürbar wird, wenn wir uns fragen: was nützt uns unser Christentum? Was bringt‛s? Wie viele machen da noch mit? Welche Erfolge werden sichtbar? Hat die Sache Zukunft? Kann ich das terminlich noch irgendwie einschieben?

Im Bibeltext wird auf andere Weise gefragt: Was bringt‛s? Wer getreu ist bis an den Tod, wird die Krone des Lebens bekommen. Wer durchhält, auch wenn es ihn etwas kostet, der wird als Siegespreis ewiges Leben bekommen. Der verfällt schon hier nicht dem zweiten Tod. Was bedeutet das? Ewiges Leben hier ist ein erfülltes Leben, obwohl man nicht nur Freude, sondern auch Traurigkeit, Angst und Angriffe erlebt. Ewiges Leben hier heißt: sich Ziele setzen, auch wenn man damit oft einsam oder nur mit einer kleinen Schar vereint ist. Ewiges Leben hier heißt: offen bleiben für andere, auch wenn sie einen enttäuscht haben.

Wenn der Tod nicht das letzte Wort hat, dann müssen wir auch nicht schweigen und dürfen wir auch nicht schweigen, wo Tod unter uns Menschen bereitet wird. Vom Rufmord im kleinen Kreis bis zur Zerstörung der Natur; von den alltäglichen Sticheleien bis zur Duldung der Massenvernichtungsmittel, die uns sichern sollen.

Wir müssen nicht stumm bleiben, wenn es unter uns Streit gibt, wenn einer einen anderen herabgesetzt oder verletzt hat. Wir können uns dafür einsetzen, dass wir wieder miteinander sprechen, dass wir unsere Meinung einander ins Gesicht sagen, statt uns voneinander abzuwenden.

Wir müssen nicht stumm bleiben, wenn ABC-Waffen die gesamte Schöpfung Gottes bedrohen. Auch die Erklärung des Reformierten Bundes über „Das Bekenntnis zu Jesus Christus und die Friedensverantwortung der Kirche“, mit dem wir uns in der Friedensgruppe beschäftigen, ist eine Art Brief an alle Gemeinden in unserem Land, ein Brief, mit dem wir uns auseinandersetzen können.

Sind wir überfordert? Herr, dann lass uns unseren Schmerz darüber spüren, und lass uns dennoch zusammen kommen. Hilf uns, wenigstens nicht im Gebet aufzuhören für den Frieden. Hilf uns, treu zu sein bis an den Tod, du der du uns zu allen Zeiten treu zur Seite stehst. Amen.

Lied EKG 202, 5-6 (nicht im EG): Lobt Gott, ihr frommen Christen
(Melodie: Lass mich dein sein und bleiben)

5. Gottes geliebte Ritter, seid männlich in dem Streit! Das grausam Ungewitter währt nur eine kleine Zeit. Tut nur beständig bleiben, seid treu bis in den Tod; lasst euch zurück nicht treiben, vertrauet unserm Gott!

6. Amen, es wird geschehen. In einem Augenblick wird Gottes Macht man sehen wider der Welten Tück. Wir werden bei ihm erben die herrlich Kron und Freud, Sieg und Triumph erwerben durch ihn in Ewigkeit.

Fürbitten, Vater unser, Abkündigungen und Segen
Lied EKG 226, 9 (EG 318):

9. O Gott, nimm an zu Lob und Dank, was wir einfältig singen, und gib dein Wort mit freiem Klang, lass’s durch die Herzen dringen. O hilf, dass wir mit deiner Kraft durch recht geistliche Ritterschaft des Lebens Kron erringen.

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