Bildausschnitt: Wikimedia Commons

Exodus aus Elam am Persischen Golf – nicht aus Ägypten

Konrad Bauersachs behauptet: Das Volk Israel kam nicht vom Nil zum Jordan, sondern Nachkommen Abrahams, die als Nomaden östlich des Tigris lebten und im Land Elam Fronarbeiter wurden, flohen quer durch die Wüste Arabiens zu den Ebenen Moabs am Fluss Arnon. Offen bleibt aber die Frage, wie die Überlieferungen dieser Exodus-Familien in die Bibel gelangt sein sollen. <1>

Eine Landkarte des Nahen Ostens von Ägypten bis Elam
Diese Karte des Nahen Ostens im 13. Jahrhundert v. Chr. gibt einen Eindruck von den Schauplätzen des Buches von Konrad Bauersachs zwischen Elam und Kanaan (Karte: Sémhur, Middle_East_topographic_map-blank.svg, verändert durch: Zunkir, Moyen Orient 13e siècle, Ausschnitt, CC BY-SA 3.0)

Inhaltsverzeichnis

1. Einführung in ein Buch, das mich fand

1.1 Die Fachwelt sollte Konrad Bauersachs‘ Argumente prüfen

1.2 Zweifel der Fachwelt an der historischen Wirklichkeit des Exodus, der Wüstenwanderung und der Erzvätererzählungen

1.3 Von wundersamen Fügungen damals wie heute

1.4 Die historische Hintergrundgeschichte der biblischen Erzählungen von Abraham bis David komplett umschreiben

1.5 Eine seltsame Europareise auf dem falschen Kontinent

1.6 Indizienprozess mit Hilfe des Ockhamschen „Rasiermessers“

1.7. Ein Blick auf die biblische Weisheitsliteratur

1.7.1 Das Hohelied Salomos

1.7.2 Das Buch Hiob

2. Perspektivenwechsel: Babylonien und Elam statt Ägypten

2.1 Warum Ägypten historisch nicht in Frage kommt

2.1.1 In den Erzählungen vom Exodus kommen keine Katzen vor

2.1.2 In Ägypten gab es keinen privaten Landbesitz

2.1.3 Es ist abwegig, den Exodus mit den „Hyksos“ zu verbinden

2.1.4 Die Bibel berichtet nicht von der Arbeit in Steinbrüchen

2.2 Babyloniens geographische und klimatische Verhältnisse

2.3 Der Garten in Eden und seine vier Ströme in Mesopotamien

2.4 Geschichte Babyloniens und Assyriens

2.4.1 Hammurabi und sein Gesetzbuch

2.4.2 Kurzer Blick auf Assyrien

2.4.3 Die Aufrichtung der Herrschaft der Kassiten in Babylonien

2.4.4 Babylonische und assyrische Beziehungen zu Ägypten

2.4.5 Das biblische Goschen lag im Kassitenland

2.5 Geographie und Geschichte des Landes Elam

2.5.1 Geographie Elams, insbesondere der Susiana im Westen

2.5.2 Flüsse in Chuzistan (= Susiana = West-Elam)

2.5.3 Ältere Geschichte Elams und Inzest im Königshaus

2.5.4 Schwierigkeiten der Chronologie elamischer Dynastien

2.5.4.1 Der Kidinuide Tepti-Ahar = Hurpatila (West-Elam)

2.5.4.2 Die Igihalkiden Untaš-Napiriša (zunächst nur Ost-Elam) und Kidin-Hutran III.

3. Abraham und seine Sippe in Babylonien und Elam

3.1 Die biblischen Erzeltern sind nicht die Vorfahren des historischen Volkes Israel

3.2 Kleinviehnomadentum als Lebensform der Sippe Abrahams

3.3 Abrahams Lebenslauf mit dem historischen Festpunkt im Jahr 1332 v. Chr.

3.4 Abrahams Heimat in Jamutbal zwischen Seferani und der Hügellandschaft Kuh-e-Mish Dagh

3.5 Die Wanderungen Abrahams und seines Vaters Terach

3.5.1 War Ur Abrahams Heimat – und wenn ja, welches?

3.5.2 Harran in Jamutbal als erstes Ziel von Terachs Familie

3.5.3 Auch Chananeh = Kanaan findet sich im Jamutbal

3.5.4 Ist die elamische Stadt Susa das Sichem Abrahams und Elam sein verheißenes Gelobtes Land?

3.5.5 Bethel und Ai sind Badal und Hai – westlich und östlich des Bergrückens Kuh-e-Mish Dagh

3.6 Die Wanderungen Jakobs

3.6.1 In Jamutbal ist der Durchtrieb großer Viehherden leichter möglich als in Transjordanien

3.6.2 Jabbok und Penuël entsprechen den Flüssen Schabaich und Pelen im Jamutbal

3.6.3 Das Gebirge Gilead als Hügelland zwischen dem Jamutbal und dem Zagros-Gebirge

3.6.4 Jakobs Rastplatz bei Sukkot – aber nicht am Jordan

3.6.5 Blutrache für Dina bei Sichem = Saicha?

3.6.6 Esaus Heimat in Edom = Abu Edham

3.6.7 Abrahams Wohnsitz in Mamre bei Hebron

3.7 Abraham und Lot in „Ägypten“ und im Südland

3.7.1 Liegt Abrahams „Ägypten“ in der Susiana oder in Misan?

3.7.2 Ist Abrahams und Lots „Südland“ der Ort Anāfğe bei Ahvaz oder sind es die Wüstensteppen südwestlich der Susiana?

3.7.3. Lot trennt sich von Abraham und zieht in das wasserreiche Land der Susiana am Kuh-e-Kerit

3.8 Völker, mit denen Abraham außerdem zu tun hatte

3.8.1 Perisiter und Philister zur Zeit Abrahams – waren sie Perser?

3.8.2 Nur in Babylonien konnte es zur Zeit Abrahams bereits geschäftstüchtige Hethiter geben

3.9 Ein historischer Kriegsbericht mit Abraham und Lot als in Mitleidenschaft geratene Beteiligte

3.9.1 Zum Hintergrund des Kriegsberichts

3.9.2 Die vier Könige von Schinar, Elam, Ellasar und Gojim

3.9.3 Die fünf Könige von Sodom, Gomorrha, Adma, Zebojim und Bela/Zoar

3.9.4 Waren Refaiter, Susiter, Emiter, Horiter, Amalekiter und Amoriter am Krieg der 4 gegen 5 beteiligt – und wenn ja, wie?

3.9.5 Neue Sicht babylonisch-assyrisch-elamischer Geschichte

3.9.5.1 Kedor-Laomer = Kadašman-KUR.GAL regiert 12 Jahre über West-Elam (Susa)

3.9.5.2 Tepti-Ahar = Hurpatila vertreibt die Kassiten im 13. Jahr, indem er von blutigen Thronfolgewirren in Babylon profitiert

3.9.5.3 Kurigalzu II. entmachtet Tepti-Ahar = Hurpatila im 14. Jahr im Einverständnis mit Untaš-Napiriša von Ost-Elam (Anšan)

3.9.6 Geographische Verortung des Kriegsschauplatzes und der heldenhaften Befreiung Lots durch Abraham in 1. Mose 14

3.9.6.1 Das Tal Siddim bei den Asphaltgruben von Saddine

3.9.6.2 Die Verfolgung der Entführer Lots bis Hoda bei Andimašk

3.9.6.3 Ist in dem Priesterkönig Melchisedek eine Erinnerung an König Meli-Šihu aufbewahrt?

3.10 Welche Ursache ließ Sodom und Gomorrha untergehen?

3.10.1 Ein Vulkanausbruch scheidet aus

3.10.2 Ein Erdbeben allein reicht als Ursache nicht aus

3.10.3 Erdöl und Erdgas können einen Feuersturm erzeugen

3.10.4 Wo haben Sodom und Gomorrha tatsächlich gelegen?

3.11 Kann man weitere Vertreter von Abrahams Sippe mit Babylonien und Elam in Verbindung bringen?

3.11.1 Erzählkreis Mamre/Hebron (Hauptfiguren: Abram – Lot)

3.11.2 Erzählkreis Lachai-Roi (Hauptfiguren: Hagar – Isaak)

3.11.3 Erzählkreis Beerscheba und Gerar (Hauptfiguren: Isaak – Abimelech)

3.11.4 Erzählkreis Haran – Sichem – Bethel (Hauptfigur: Jakob)

3.11.5 Zwei weitere Erzählkreise um Josef und Mose sowie Erzählungen um einzelne Personen

4 Der Exodus und seine Vorgeschichte in Babylonien und Elam

4.1 Abraham, Josef und Mose als Hebräer = Ḫabiru

4.2 Josef und die babylonische Wirtschaftskrise im 13. Jhdt. v. Chr.

4.2.1 Eine Klimakatastrophe als Ursache einer Wirtschaftskrise

4.2.2 Selbstversklavung auf Grund von Überschuldung

4.2.3 Josefs „sieben fette Jahre“: Zwangsbevorratung unter König Šagarakti-Šuriaš

4.2.4 Josefs „sieben magere Jahre“: Selbstversklavung unter König Kaštiliaš IV.

4.2.5 Der König, „der Josef nicht mehr kannte“: Enlil-Nadin-Šumi von Babylonien und/oder Kidin-Hutran III. von Elam?

4.2.6 Josef und seine Hilfe für den Jakob-Clan im Jamutbal

4.3 Mose als zur Rebellion bereiter Ḫabiru in Chuzistan

4.3.1 Zum Stammbaum und zum Alter des biblischen Mose

4.3.2 Wurde Mose durch eine Pharaonentochter gerettet und am Hof des Pharao erzogen?

4.3.3 Hat Mose einen ägyptischen Sklavenaufseher erschlagen?

4.3.4 Mose und seine Beziehung zum Land Midian = Widyan

4.3.5 War Mose nur ein hauptberuflicher Karawanenführer?

4.3.6 Zur „romantischen“ Zusammenführung der Mose-Familie

4.4 Fronarbeit unter Untaš-Napiriša in Chuzistan/Susiana

4.4.1 Ziegelherstellung für Haft Tepe und Čoga Zanbil

4.4.2 Verwendung von Asphalt als Mörtel

4.4.3 Schilfmatten und -taue zur Stabilisierung von Ziegelbauten

4.5 Der Exodus aus Chuzistan unter „Pharao“ Kidin-Hutran III.

4.5.1 Gab es Verhandlungen zwischen Mose und dem „Pharao“?

4.5.2 Die ersten sechs „ägyptischen“ Plagen als Öko-Katastrophe und weitere vier als Naturereignisse

4.5.2.1 Wasser wird Blut (1. Plage)

4.5.2.2 Frösche (2. Plage)

4.5.2.3 Stechmücken (3. Plage)

4.5.2.4 Stechfliegen (4. Plage)

4.5.2.5 Viehpest (5. Plage)

4.5.2.6 Geschwüre (6. Plage)

4.5.2.7 Hagel (7. Plage)

4.5.2.8 Heuschrecken (8. Plage)

4.5.2.9 Finsternis und Tötung der „Erstgeburt“ (9. und 10. Plage)

4.5.3 Der Exodus durchs „Rote Meer“ am Persischen Golf

4.5.3.1 Ausgangsort des Exodus: Ramses in Ägypten oder Ramsije in Karun?

4.5.3.2 Aufbruch der Exodus-Gruppe nach Südwesten bis Etam

4.5.3.3 Das Rote Meer des Exodus: Der Persische Golf

4.5.3.4 Voraussetzungen für den Durchzug durch das „Rote Meer“

4.5.3.5 Ein Damm, den die Exodus-Gruppe durchqueren kann…

4.5.3.6 … und in dessen Schlamm Streitwagen stecken bleiben

4.5.3.7 Mauern aus Wasser beeindrucken die Exodus-Gruppe…

4.5.3.8 … und überfluten die Streitwagen Kidin-Hutrans III.

5 Die Wüstenwanderung der Exodus-Gruppe

5.1 Drei biblische Darstellungen der Wüstenwanderung

5.1.1 Die Wüstenwanderung nach dem 2. und 4. Buch Mose

5.1.1.1 Wüste Schur: kein Wasser

5.1.1.2 Mara – Elim – Wüste Sin: bitteres Wasser – viel Wasser

5.1.1.3 Wüste: Versorgung mit Wachteln und Manna

5.1.1.4 Refidim – Felsen am Horeb – Massa und Meriba

5.1.1.5 Refidim – Amalek – Gipfel des Hügels – JHWH NiSsiJ

5.1.1.6 Gottesberg (Horeb)

5.1.1.7 Wüste Sinai – Gottesberg (Sinai)

5.1.1.8 Gottesberg (Horeb)

5.1.1.9 Wüste Paran

5.1.1.10 Tabera – Kibrot-Hattaawa – Hazerot

5.1.1.11 Konflikt Moses mit Mirjam und Aaron

5.1.1.12 Wüste Paran und Zin – Kadesch – Horma (Kundschafter)

5.1.1.13 Untergang der Rotte Korach

5.1.1.14 Wüste Zin – Kadesch

5.1.1.15 Meriba – Haderwasser

5.1.1.16 Kadesch – Edom – Berg Hor

5.1.1.17 Atarim – Arad – Horma

5.1.1.18 Berg Hor – Schilfmeer

5.1.1.19 Zum Arnon und ins Land Moab

5.1.1.20 Amoriter: Jahaz – Heschbon – Jaser – Baschan – Edrei

5.1.1.21 Ebenen Moabs

5.1.1.22 Einschub der Balak-Bileam-Geschichte

5.1.1.23 Schittim und Midianiter

5.1.1.24 Ebenen Moabs

5.1.1.25 Gebirge Abarim

5.1.1.26 Midianiter

5.1.2 Liste der Lagerplätze Israels nach 4. Mose 33

5.1.3 Die Wüstenwanderung nach dem 5. Buch Mose

5.1.3.1 Gottesberg Horeb und Sinai

5.1.3.2 In elf Tagen vom Horeb bis Kadesch-Barnea

5.1.3.3 In 38 Jahren von Kadesch-Barnea bis zum Bach Sered

5.1.3.4 Einnahme von Gilead und Baschan, beider Amoriterländer

5.1.3.5 Verfehlungen Israels: Von Massa bis Kadesch-Barnea

5.1.3.6 Vom Tod Aarons auf dem Berg Moser / Berg Hor

5.1.3.7 Vom Tod Moses auf dem Berg Pisga / Nebo / Abarim

5.2 Die „falsche“ Wüstenwanderung nach Bauersachs

5.2.1 Wann wurde Kadesch erreicht und wo liegt dieser Ort?

5.2.2 Umwege nach Transjordanien

5.2.2.1 Edom

5.2.2.2 Die Königsstraße

5.2.2.3 Arad

5.2.2.4 Moab

5.2.3 Warum wurde die Wüstenwanderung falsch erinnert?

5.2.4 Kann die Wüstenwanderung 40 Jahre gedauert haben?

5.3 Eine rekonstruierte Wanderroute der Exodus-Gruppe

5.3.1. Etappe 1: Wüste Schur – vom „Schilfmeer“ bis zum Horeb

5.3.1.1 Aufbruch vom „Schilfmeer“

5.3.1.2 Amalek bei Refidim oder Bani Malik bei Rafidia?

5.3.1.3 Der Djebel Sanam als der Gottesberg Horeb

5.3.1.3.1 Gott offenbart sich „auf dem Felsen am Horeb“

5.3.1.3.2 Mose errichtet einen Altar mit dem Namen JHWH NiSsiJ

5.3.1.3.3 Der Priester Jitro besucht Mose am Gottesberg Horeb

5.3.1.3.4 Der Priester Jitro als Ratgeber der Exodus-Gruppe

5.3.1.3.5 Auf dem Djebel Sanam könnte Mose in einer Felsenhöhle stehen

5.3.1.3.6 Wie verhält sich der Gottesberg Horeb zum Sinai?

5.3.2 Etappe 2: Wüste Paran – vom Horeb bis nach Kadesch

5.3.2.1 Auskundschaftung des Gelobten Landes – in Palästina?

5.3.2.2 Wie kam die Exodus-Gruppe vom Horeb nach Kadesch?

5.3.2.3 Wurde das Landesinnere von Babylonien erkundet?

5.3.3 Etappe 3: Wüste Sin/Zin – von Kadesch-Qadisija bis Kadesch-Hubayb

5.3.3.1 Al Lasaf und As Ašuriya gehörten nicht zur Wanderroute

5.3.3.2 Durch das Wadi Hasb und Sha‘ib Hisb zum Faidat es Sin

5.3.3.3 Mara: Bitteres Wasser wird süß

5.3.3.4 Wasserstellen bei Elim / Refidim = eš Šabaka / Radifa?

5.3.3.5 Höhlen bei Habikah und der Untergang der Sippe Korach

5.3.3.6 Edom: Ein erzwungener Umweg bei Dumat-al-Ğandal?

5.3.3.7 Brunnengrabung bei Sakaka? Nein, hier lag Edom!

5.3.3.8 Mirjams Aussatz und Tod und die Haderwasser-Affäre

5.3.4 Etappe 4: Wüste Sinai – vom Berg Hor zum Berg Sinai

5.3.4.1 Das vulkanische Gebirge des Djebel Amud als der Sinai

5.3.4.2 Wurde der Berg Hor, wo Aaron starb, zum Gottesberg?

5.3.4.3 Giftige Schlangen auf dem Weg zum Schilfmeer

5.3.5 Etappe 5: Wadi Sirhan – von Tabera bis zum Schilfmeer

5.3.5.1 Feuer bei Tabera = Tabarjal

5.3.5.2 Wachteln bei Kibrot-Hattaawa

5.3.5.3 Gab es einen König von Arad = Ridifah im Wadi Sirhan?

5.3.5.4 Geschah die Kundschafteraussendung von Ghatti aus?

5.3.5.5 Hatte bereits die Exodus-Gruppe das „Gelobte Land“ als von Gott verheißenes Land vor Augen?

5.3.6 Etappe 6: Rund um die Wüste „vor Moab gegen Osten“

5.3.6.1 Durch die Wadis Adla und Ghadaf nach Obot = et-Tuba

5.3.6.2 Von Ije-Abarim zum Arnon bei Waheb in Sufa und zum Tal gegenüber dem Pisga

5.3.6.3 Welcher Berg bot Mose den Blick aufs „Gelobte Land“?

5.3.6.3.1 Welcher Djebel – Pisga, Nebo, Suwaqa oder Djauapijat?

5.3.6.3.2 Starb Mose vor Erreichen des Ziels oder kehrte er als Karawanenführer nach Hause zurück?

6 Von der „Landnahme“ bis zum Königreich Davids

6.1 Die „erste Landnahme“ in Transjordanien um 1200 v. Chr.

6.1.1 Seit wann gibt es Israel im nördlichen Palästina?

6.1.2 Die Wüstenwanderung endete nicht am Toten Meer…

6.1.3 … sondern in den „Ebenen Moabs“ in Moab

6.1.4 Erdbeben und Einwanderung von Seevölkern

6.1.5 Die Zerstörung von Jericho in Moab

6.1.6. Die Eroberung zweier Amoriter-Länder nach der Bibel

6.1.7 Geographie Ammons und der Königreiche Sihons und Ogs nach Bauersachs

6.1.7.1 Ammon

6.1.7.2 Sihon

6.1.7.3 Og

6.1.8 Friedliche Siedlung von Exodus-Flüchtlingen im Gebiet auch nördlich des Arnon

6.1.9 Waren die Ost- und Westjordan-Stämme eigentlich Süd- und Nordarnon-Stämme?

6.1.10 Gehörte der Stamm Gad auf der Mescha-Stele zu Moab oder zu Israel?

6.2 Geschichte der Exodus-Gruppe in den Jahrhunderten zwischen 1180 und 880 v. Chr. nach Bauersachs

6.3 Die „zweite Landnahme“ in Juda um 880 v. Chr.

6.3.1 Der Richter Jeftah und Israels Anspruch auf Gebiete Moabs

6.3.2 Der Prophet Bileam und die Mescha-Stele

6.3.2.1 Sollte Bileam einen Angriff Israels auf Moab ermöglichen?

6.3.2.2 Zur geographischen Verortung des biblischen Bileam

6.3.2.3 In welcher historischen Zeit gab es einen realen Bileam?

6.3.2.4 Die Bileam-Episode als Spiegelbild historischer Ereignisse in den Jahren 880 und 841 v. Chr.

6.3.3 Die „zweite Landnahme“ als Flucht aus Moab ins judäische Bergland im Jahr 880 v. Chr.

6.4 Spurensuche nach dem historischen König David

6.4.1 Streifzug durch die Königslisten Israels und Judas von Omri rückwärts bis zum angeblichen Großreich König Davids

6.4.2 Biblische Verbindungen von David mit Moab

6.4.3 Die Tel-Dan-Stele und Davids Geburt um 900 v. Chr.

6.4.4 Die doppelten Könige Joram und Ahasja in den Königslisten Israels und Judas

6.4.5 Alternative Königslisten für Israel und Juda

6.4.6 War David mit Joschafat von Juda identisch?

6.4.7 Salomo als idealisierter unhistorischer König

6.4.8 Gab es ein Mini-Reich König Sauls zur Zeit Omris?

6.4.9 Ein Schicksalsjahr für Israel, Moab und Juda: 841 v. Chr.

6.4.9.1 Aufkündigung des Bündnisses zwischen Israel und Aram nach der Ermordung des aramäischen Königs durch Hasaël

6.4.9.2 Beendigung der Besatzung Israels in Moab durch König Mescha

6.4.9.3 Kriegsgegner Jorams und Jehus in Ramot-Gilead: Hasaël von Aram oder Salmanassar III. von Assyrien?

6.4.9.4 Der historische Jehu als radikaler JHWH-Monotheist

6.4.9.5 Nahm ein religiös toleranter David desertierte JHWH-treue Soldaten Israels aus Moab in seine Truppe auf?

6.4.9.6 Hat Davids Streitmacht die Jehu zugeschriebene Liquidierung der Omriden und Baalspropheten in Samaria vollzogen?

6.4.10 David und die Kriege Israels gegen die Aramäer

6.5 Die Exodus-Gruppe und der JHWH-Glaube – wie beides nach Bauersachs in die biblische Niederschrift kam

6.5.1 Die Ablehnung eines erfundenen Exodus als Katastrophe für die Theologie

6.5.2 Zur Erfindung einer Geschichte Gesamt-Israels

6.5.3 Welche Überlieferungen flossen nach Bauersachs in der biblischen Niederschrift zusammen?

6.5.4 Stellt die Bibel Israel nur als böse und Juda nur als gut dar?

6.5.5 Widersprüchliche Einschätzung des JHWH-Glaubens

6.5.6 War JHWH den Nachfahren der Exodus-Gruppe um 841 v. Chr. noch nicht bekannt?

6.5.7 Welche religiöse Einstellung hatte die Exodus-Gruppe?

7 Wie gelangten die Überlieferungen der Exodus-Gruppe in die Bibel?

7.1 Könnte Mose den Gott JHWH am Djebel Sanam kennengelernt haben?

7.2 Konsequenzen aus dem Bild der seltsamen Europareise auf dem falschen Kontinent

7.3 Gibt es Spuren der Exodus-Gruppe im Ost- und Westjordanland?

7.3.1 Abram – Abraham – Isaak – Hagar

7.3.2 Jakob – Josef

7.3.3 Hebräer

7.3.4 Exodus-Tradition

7.4 Ein offenes Ende mit vielen losen Fäden…

8. Nachtrag – ein Jahr später

Anmerkungen

1. Einführung in ein Buch, das mich fand

Buchtitel "Natürlich hat die Bibel Recht" von Konrad Bauersachs, im Hintergrund der Berg Sinai
Das Titelbild des Buches, das Konrad Bauersachs mir schenkte und für das ich ihm herzlich danke! (Photo vom Berg Sinai: Prof. Michael T. Mortel)

Sieben einleitende Abschnitte stelle ich meiner Buchbesprechung voran (Angaben zur Zitierung, zur Quellenangabe von Bibelzitaten und zur Umschrift hebräischer Wörter finden Sie in Anmerkung <2>):

  1. über das Buch von Konrad Bauersachs, das die Fachwelt trotz ihres Titels ernstnehmen sollte,
  2. über die Diskussion in der Fachwelt der alttestamentlichen Wissenschaft, zu der das Buch einen wertvollen Beitrag leisten könnte,
  3. über die Art und Weise, wie nicht nur zu biblischen Zeiten rettende Ereignisse als Wunder gedeutet wurden, sondern auch heutzutage ein zufälliges Ereignis dazu führte, dass dieses Buch sozusagen mich finden konnte,
  4. über die Absicht des Buches, die historische Hintergrundgeschichte der biblischen Erzählungen von Abraham bis David komplett umzuschreiben,
  5. über eine seltsame Europareise auf dem falschen Kontinent als Analogie zu alttestamentlichen Entsprechungen,
  6. über die Vorgehensweise von Konrad Bauersachs, mit Hilfe des Ockhamschen „Rasiermessers“ und der „kontrollierten historischen Spekulation“ nach Herbert Donner einen Indizienprozess zur Auffindung historischer Wahrheit in biblischen Erzählungen zu führen und
  7. zu zwei einführenden Beispielen dieser Indiziensuche, die allerdings zum eigentlichen Thema seines Buches nach meiner Einschätzung noch nichts beitragen.

1.1 Die Fachwelt sollte Konrad Bauersachs‘ Argumente prüfen

Konrad Bauersachs war nicht als Theologe, sondern als Naturwissenschaftler, der sich als Autodidakt einen umfassenden Durchblick zur altorientalischen Geschichte Babyloniens und seiner Nachbarländer verschafft hatte, zu der wohlbegründeten Einsicht gelangt, dass viele Erzählungen der Bibel von Abraham über den Exodus und die Wüstenwanderung der Israeliten bis hin zu König David mit historisch nachweisbaren Örtlichkeiten und Ereignissen zusammenhängen – allerdings nicht dort, wo man sie bisher gesucht hat. Er selbst schreibt zu den Zielen seiner Arbeit (S. 1):

Der Inhalt handelt nicht von theologischen und auch nicht – in Konsequenz – von politischen Streitfragen. Ich stelle ausdrücklich nicht die Glaubensgrundlage des Juden- und Christentums in Frage, sondern befasse mich mit den historischen Hintergründen zu den biblischen Geschichten und zeige, dass diese biblischen Geschichten immer wieder reale Geschichte enthalten.

Aber Bauersachs musste feststellen (S. 2):

Leider sind die wenigsten Alttestamentler zu interdisziplinären Kontakten bereit, obwohl zahlreiche biblische Rätsel ganz natürlich erklärt werden könnten. Statt dessen werden diese Phänomene als theologische Botschaften begriffen und im Fach „Wunder“ abgelegt. Gespräche mit Naturwissenschaftlern <3> hätten Alttestamentler überzeugen können, die Schublade „Wunder“ zu leeren und vermeintliche Wunder in die Schublade „Realität“ umzuschichten.

So wirft er der theologischen Fachwelt vor, sich zu sehr innertheologisch um sich selbst zu drehen (S. 1):

Die mangelnde Bereitschaft zu interdisziplinären Kontakten führt dazu, dass bei der Analyse der biblischen Texte der Schwerpunkt auf die theologischen Botschaften des Alten Testaments gelegt wird.

Alles dreht sich um die Frage, welche Absicht ein Redaktor der Niederschrift beim „Verpacken“ einer Belehrung in eine Geschichte gehabt haben mag. Es wird kaum daran gedacht, dass die in Geschichten (nicht Geschichte!) verpackten Erzählungen des Alten Testaments vielfach einen nachprüfbaren historischen oder naturwissenschaftlich erklärbaren Kern besitzen…

Konkret und im einzelnen geht es Konrad Bauersachs um die folgenden klar umrissenen Themen (S. 6):

In diesem Buch befasse ich mich mit den historischen Inhalten der Erzählungen des Alten Testaments und konstruiere mit dokumentierten historischen Tatsachen einen völlig neuen Zeit- und Ortsrahmen für die biblischen Berichte. Ich beginne beim Patriarchen Abraham, daran schließt sich die sogenannte ägyptische Gefangenschaft an, gefolgt von Exodus, Wüstenwanderung und der sogenannten Landnahme.

Die anschließende Richterzeit leitet zur vereinten Monarchie über. Mit den Königen Saul und David endet meine Korrektur des geschichtlichen Umfelds. Ab Mitte des 9. Jhdts. gibt es zahlreiche außerbiblische Quellen, die im Kern die biblischen Darstellungen bestätigen.

Leider war der Titel, den Konrad Bauersachs für sein Buch auswählte, wohl nicht die beste Wahl, um von der theologischen Fachwelt überhaupt wahr-, geschweige denn ernstgenommen zu werden: Natürlich hat die Bibel Recht. Biblische Geschichte statt Geschichten von Abraham bis David, Rosenheim 2014.

Historisch-kritisch forschende Alttestamentler mochten denken, dass hier jemand an Werner Kellers Bestseller Und die Bibel hat doch recht. Forscher beweisen die Wahrheit des Alten Testaments, Düsseldorf 1955, anknüpfen wollte, das einer historischen Überprüfung vor allem im Licht neuerer archäologischer Erkenntnisse nicht standhält. <4> Und derjenige Teil der Fachwelt, der immer noch geneigt ist, größere Teile der biblischen Geschichte für historisch zu halten, wird nicht unbedingt mit der Art und Weise einverstanden sein, in der Bauersachs zwischen unhistorischen und historischen Inhalten der Bibel unterscheidet. Jedenfalls hat das Buch von Konrad Bauersachs bisher auch kaum größere Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit erregt.

Ob die Überschrift, die ich für diese Buchbesprechung gewählt habe, es zu erreichen vermag, dem Anliegen seines Buches offener gegenüberzutreten, lasse ich dahingestellt sein. Nach eingehender Prüfung seiner Argumente setze ich mich jedenfalls nachdrücklich dafür ein, dass auch die Fachwelt sie wenigstens zur Kenntnis nehmen und sich mit ihnen auseinandersetzen sollte.

1.2 Zweifel der Fachwelt an der historischen Wirklichkeit des Exodus, der Wüstenwanderung und der Erzvätererzählungen

Die historisch-kritische Erforschung der Bibel ist weitgehend zu dem Schluss gekommen, dass es den Auszug aus Ägypten und die Wüstenwanderung des Volkes Israel durch die Wüste so, wie sie in der Bibel dargestellt werden, historisch nicht gegeben haben kann. So stellt Niels Peter Lemche <5> im 1. Band der von Walter Dietrich und Wolfgang Stegemann herausgegebenen Biblischen Enzyklopädie zur „Vorgeschichte Israels“ (S. 59) die

Frage, ob die Berichte über den Exodus, den Aufenthalt am Sinai und den Aufenthalt in der Wüste auf historischem Grund gebaut sind. Diese Frage ist mit dem Nachweis bestimmter erzählerischer Stilisierungen keineswegs erledigt. Denn die Einzelelemente der Berichte sind offensichtlich wenigstens teilweise schon vorhanden gewesen, bevor sie in der Gesamterzählung zusammengestellt wurden.

Wenn, so Lemche, S. 60, „im 2. Jahrtausend v.Chr. eine massive Auswanderung von Asiaten, d.h. der Vorväter Israels, aus Ägypten“ nicht vorstellbar ist, muss man vielleicht von einem Exodus ausgehen, „der von ganz bescheidenem Ausmaß gewesen wäre“, oder annehmen,

daß von den biblischen Geschichtsschreibern gegenwärtige Erfahrungen mit den Ägyptern in die Geschichte des Volkes zurücktransponiert und so zu einem archetypischen Grundmuster für die späteren Verbindungen zwischen Israel und Ägypten wurden…

Auch zu den Berichten von der Wüstenwanderung fragt Lemche (S. 60f.),

ob sie sich als historisch zuverlässige Darstellung tatsächlich stattgefundener Wanderungen der Frühisraeliten verstehen lassen, oder ob sie anders zu verstehen sind. Problematisch erscheint bereits der Umstand, daß ein so großes Volk – nach den Volkszählungen, die besonders im Buch Numeri erwähnt sind, umfaßte es mehrere hunderttausend Menschen – sich während mindestens vierzig Jahren in der Wüste aufgehalten haben soll. Die alttestamentliche Beschreibung der Wanderungen der lsraeliten in der Wüste stimmt ohnehin kaum mit dem Bild überein, das wir von den in Wüstenlandschaften lebenden Völkerschaften gewinnen können; vielmehr gewinnt man aus der Bibel den Eindruck einer religiösen Prozession – wohlgemerkt: im Kulturland! Die Zahl der Beteiligten ist erstaunlich. Wie hätten so viele Menschen in der Wüste überleben können? Diese Frage ist bereits von den biblischen Erzählern als gewichtig empfunden worden – das sieht man daran, daß sie eine klare Antwort dazu vorgelegt haben: mit Gottes Hilfe, weil der Gott Israels sein Volk versorgt hat! Auf der Ebene der Erzählung ist eine solche Erklärung wohl möglich, aber aus historischer Sicht muß hier weiter gefragt werden, denn ein Historiker kann nicht mit Wundern rechnen.

Die historisch-kritische Sicht des Alten Testaments geht also davon aus, dass der Auszug aus Ägypten dann möglicherweise einen historischen Hintergrund haben könnte, wenn man von einer weitaus geringeren Anzahl von Flüchtlingen ausgeht.

Einen historischen Hintergrund für die Erzvätererzählungen der Bibel von Abraham bis Josef stellt Niels Peter Lemche noch nachdrücklicher in Frage (S. 29):

Als Argument zugunsten der Erzvätererzählungen als einer Quelle der Vor- oder Frühgeschichte der Israeliten dürfte nur gelten, wenn wir in diesen Überlieferungen historische Rudimente und Erinnerungen finden könten, die zu zeigen vermöchten, daß die Patriarchenzeit tatsächlich eine historische Epoche darstellt. Allerdings stoßen wir in den Erzählungen auf keine konkreten Nachrichten, die beweisen könnten, daß einmal solche Patriarchen wirklich gelebt haben.

1.3 Von wundersamen Fügungen damals wie heute

Unter den Argumenten, die gegen jede Historizität biblischer Geschichten sprechen, stechen besonders diejenigen hervor, die sich auf übernatürliche göttliche Wunder beziehen. Wie wir bereits von Lemche hörten (S. 61): „Ein Historiker kann nicht mit Wundern rechnen.“ Interessant finde ich dennoch, wie er die Wunder beschreibt, durch die nach den Verfassern der Bibel die „Probleme der Versorgung der Israeliten in der Wüste gelöst“ worden sein sollen:

Sie bedienen sich einer ganzen Reihe von Wundern, bei denen der Gott Israels selbst in den Gang der Geschichte eingreift. Da ist zunächst das Mannawunder, dann sind da die Wachteln, mit denen sich die Israeliten, solange sie in der Wüste bleiben, ernähren konnten. Die beiden Wunder weisen auf bekannte Phänomene der Sinaihalbinsel hin – das jedenfalls haben uns mehrere Entdeckungsreisende, welche die Halbinsel durchkreuzt haben, versichert. So könnte also durchaus etwas geschehen sein, wie es die biblischen Erzählungen bezeugen. Dennoch bleiben die Berichte mirakulös, denn die Naturphänomene, die die Reisenden erblickt zu haben glauben, wären kaum für die Versorgung eines ganzen Volkes ausreichend gewesen. … Um das Überleben der Israeliten in der Wüste glaubhaft zu machen, greifen sie nicht auf etwas Unbekanntes, gar Widersinniges zurück, sondem arbeiten mit bekannten Phänomenen, die den Erfahrungshorizont der damaligen Menschen prinzipiell nicht übersteigen. Nur werden diese Phänomene so übersteigert dargestellt, daß sie zwar nicht an sich, wohl aber durch ihre Größe Staunen wecken. … D.h. Gott hat für seine Zwecke nur das benutzt, was bereits vorhanden war. Er hat nicht wie ein Zauberer etwas Unbekanntes erfunden.

Unter einem göttlichen Wunder im Zusammenhang mit der Wüstenwanderung (oder auch dem Auszug aus Ägypten <6>) muss man sich also nicht unbedingt eine übernatürliche Außerkraftsetzung der Naturgesetze vorstellen, sondern die religiöse Deutung außergewöhnlicher rettender Ereignisse, die als göttliche Fügungen interpretiert werden.

Von diesem Gedanken möchte ich einen Bogen spannen zu der Art, wie ich auf das Buch von Konrad Bauersachs stieß. Als ich am Beginn der Corona-Kontaktsperre (Mitte März 2020) in meinem „Home-Office“ beim Verfassen eines Textes mit dem „Open Source“ Programm OpenOffice Probleme mit der Silbentrennung hatte, bat ich auf einer entsprechenden Mailingliste um Hilfe. Beim diesbezüglichen Austausch von Testdokumenten mit einem gewissen Konrad Bauer­sachs stellte sich nicht nur heraus, dass dieser sehr schnell mein Programm wieder korrekt zum Laufen bringen konnte, sondern dass wir uns – von unterschiedlichen Perspektiven aus – für ein gemeinsames Thema interessierten, nämlich das Alte Testament.

Als religiös musikalischer Mensch bin ich durchaus geneigt, diesen „Zufall“ <7> als eine wundersame Fügung zu begreifen, durch die ich ein außerordentlich aufschlussreiches Buch in die Hand bekam, auf das ich sonst vermutlich nie gestoßen wäre.

Und mit seinem Autor, Konrad Bauersachs, verbindet mich von Anfang an ein ausgesprochen fruchtbarer Gedankenaustausch in einer freundschaftlichen Atmosphäre, die es allerdings nicht ausschließt, in manchen Fragen unterschiedlicher Meinung zu sein und nicht jeder seiner Behauptungen ungeprüft zuzustimmen.

1.4 Die historische Hintergrundgeschichte der biblischen Erzählungen von Abraham bis David komplett umschreiben

Bevor ich nun im einzelnen auf den Inhalt des Buches von Konrad Bauersachs eingehe, halte ich noch einmal fest, dass er ausschließlich historische Interessen verfolgt. Wenn er also fordert (S. 6), dass „die alttestamentlichen Erzählungen komplett umgeschrieben werden“ müssen, bezieht sich das auf die historische Geschichte im Hintergrund der biblischen Endredaktion des TeNaK. <8> Der TeNaK selber behält als theologisch-politisch-soziale Deutung der Geschichte Israels inmitten der Völker und als Wegweisung Gottes durch Tora, Propheten und Schriften unabhängig von der umgeschriebenen Realgeschichte seinen eigenen Sinn und Wert. Es mag aber sein, dass nachweisbare oder zumindest mögliche realhistorische Hintergründe biblischer Erzählungen ihre Deutung beeinflussen können, indem Hinweise auf ihren ursprünglichen Sinn und Zusammenhang ernst genommen werden müssen.

Jetzt aber ran an das Vorhaben von Konrad Bauersachs, das er auf S. 6 nochmals folgendermaßen beschreibt:

Für eine Reihe der im Alten Testament geschilderten Berichte aus der Zeit Abrahams und seiner Nachkommen gibt es historisch belegte Vorfälle, die den Patriarchen und dem Exodus einen völlig neuen Zeit- und – was noch wichtiger ist – Ortsrahmen geben. Zusammen mit einem „anderen“ Ägypten, einer „anderen“ Knechtschaft, einem „anderen“ Exodus und konsequenterweise sowie einer „anderen“ Landnahme müssen die alttestamentlichen Erzählungen komplett umgeschrieben werden. Ich liefere im Folgenden eine Synthese der verfügbaren Daten und Fakten: Einerseits berücksichtige ich neueste archäologische Erkenntnisse zur Bibelforschung, andererseits erfasse ich auch reale historische Vorgänge, die Bibelforscher bis heute mit dem Alten Testament überhaupt nicht in einen Zusammenhang bringen, obwohl der biblische Text diese Ereignisse exakt schildert.

1.5 Eine seltsame Europareise auf dem falschen Kontinent

Mit Hilfe einer seltsamen Reiseroute (S. 10), die dennoch „in allen Details korrekt beschrieben“ ist, stimmt der Autor uns auf seine Beweisführung ein:

Skizze einer merkwürdigen Europareise, die im Text beschrieben wird
Eine merkwürdige Europareise (Karte: Konrad Bauersachs)

Ein Urlauber beginnt seine Autoreise in Hanover und fährt zunächst Richtung Südosten nach Frankfort und dann in östliche Richtung nach Paris; dabei legt er 60 Kilometer zurück. Anschließend fährt er von Paris weiter ins 330 km entfernte Leipsic, das exakt nördlich von Paris liegt.

Hier macht er Rast und fährt weiter in Richtung Norden nach Milan, das er in zwei Stunden erreicht.

Am nächsten Tag überquert er die Grenze und kommt nach 2 Stunden Fahrt in Dresden an, danach fährt er Richtung Nordosten weiter ins 80 km entfernte London. Von hier aus fährt er 80 km Richtung Osten nach Paris und setzt seinen Weg in Richtung Nordosten über das 20 km entfernte Cambridge zu seinem noch 200 km entferntem Reiseziel Cobourg fort.

Diese Wegbeschreibung scheint nur deshalb „ziemlich wirr“ und orthographisch ungenau, weil wir als Europäer

aufgrund der Ortsnamen automatisch davon aus{gehen}, dass der Ausflug in Europa stattgefunden haben muss. Wenn wir aber das Bezugssystem ändern und in Hanover im US-Bundesstaat Kentucky bei Lexington starten, können wir in Richtung Cincinnati weiterfahren. Wir kommen nach Detroit am Eriesee, und erreichen über Toronto schließlich Cobourg am Lake Ontario. Auf diesem zielgerichteten Weg haben wir alle im Reisebericht genannten Orte in der angegebenen Reihenfolge besucht und die korrekten Entfernungen (ca. 1100 km) und Richtungen beibehalten.

Hier stoßen wir auf ein Kernproblem des Alten Testaments, denn ein vergleichbarer Trugschluss ist Grund für die zahlreichen falschen oder missverstandenen Lokalisierungen! Deswegen wird niemand jemals in Ägypten einen Hinweis auf die geknechtete Großfamilie Jakobs oder auf der Halbinsel Sinai eine einzige Spur der geflohenen Exodus-Gruppe finden.

Die Karte zeigt die im Text beschriebene richtige Reiseroute in den USA
Europäische Namen wurden von Auswanderern in die USA und Kanada übertragen (Karte: Konrad Bauersachs)

Das heißt (S. 11), so wie nach Amerika ausgewanderte Europäer dort neugegründete Ortschaften „nach ihren Heimatstädten im alten Europa benannt haben“, können auch an einem realen Exodus beteiligte Menschen die Namen von Orten und Landschaften ihrer alten Heimat auf die neue Heimat „im heutigen Israel und seinen Nachbarländern (der ‚neuen Heimat‘ im Gelobten Land)“ übertragen haben. Seine Metapher der Europareise bezieht Bauersachs außerdem auf deren Weg in die neue Heimat:

Eine der verfremdeten „Europareise“ vergleichbare Reiseroute ist die biblische Wüstenwanderung nach dem Exodus. Sie wird von Alttestamentlern gewaltsam zwischen Ägypten und Palästina untergebracht, obwohl man keinen einzigen der zahlreichen Rastplätze namentlich identifizieren kann. Dass sich einige hundert Kilometer weiter östlich diese Stationen wie Perlen auf eine Schnur reihen lassen und heute noch die gleichen Namen wie im Alten Testament haben, interessiert nicht, denn: Nicht sein kann, was nicht sein darf!

Aber warum ist auf eine solche Idee bisher niemand gekommen?

Die direkte Nachbarschaft Palästinas und Ägyptens führt zwangsläufig dazu, dass gar nicht erst nach Alternativen zu Abrahams „Ägypten“ gesucht wurde.

So legt sich folgende Schlussfolgerung nahe:

Diese durchgehend „falsche“ Geographie hat gravierende Folgen, weil die reale Geschichte, die man im Alten Testament zu finden hofft, mit diesen „falschen“ Landschaften natürlich nicht übereinstimmen kann.

Ich werde nun die von Konrad Bauersachs vorgebrachten Indizien nach und nach eingehend durchgehen und prüfen, ob biblische Namen und Ereignisse wirklich so genau mit babylonischen und elamischen Daten übereinstimmen.

1.6 Indizienprozess mit Hilfe des Ockhamschen „Rasiermessers“

Unter der Überschrift (S. 15) „Fakten, Thesen, Spekulieren“ beschreibt Konrad Bauersachs seine Vorgehensweise:

Ich bin Naturwissenschaftler und gehe Problemlösungen anders an als Alttestamentler oder Theologen: Ich stellte mir die einfache Frage „Was wäre, wenn …“ und prüfte jede Antwort, ob sie in das historische und geographische Umfeld des Alten Testaments passt. Bei der Suche nach einem realen historischen Hintergrund des Alten Testaments führte mich dieser Weg anfangs gelegentlich in eine Sackgasse, manche Annahme erwies sich als trügerisch und musste überarbeitet werden. Dennoch wurde rasch die generelle Richtung für weitere Recherchen deutlich. Meine Analysen liegen vor Ihnen, sie liefern ein in sich geschlossenes historisch und geographisch nachprüfbares neues Bild. Ich habe die alttestamentlichen Erzählungen von den Patriarchen bis zum Beginn der Königszeit unter David umgeschrieben, ohne Spekulationen zu Hilfe zu nehmen.

Im einzelnen beruft sich der Autor zur „Beurteilung neuer Thesen“ auf das nach Wilhelm von Ockham (1285-1349) als Ockhamsches „Rasiermesser“ bezeichnete

Sparsamkeitsprinzip, das besagt, dass von mehreren Theorien, die den gleichen Sachverhalt erklären, die einfachste zu bevorzugen ist. Man soll also in Hypothesen nicht mehr Annahmen einführen, als tatsächlich benötigt werden, um einen bestimmten Sachverhalt zu erklären.

Das bedeutet zum Beispiel: Auf der Basis der Annahme, dass „der Exodus … nicht aus Ägypten, sondern nur aus dem Großraum Babylonien stattgefunden“ haben kann (S. 15f.),

lässt sich der historische Ablauf der biblischen Erzählungen ohne die Notwendigkeit weiterer Annahmen beschreiben.

So erklärt sich problemlos, dass in ägyptischen Annalen nichts über die Gefangenschaft und Flucht eines Volkes Israel zu finden ist. In babylonischen Texten wird dagegen wiederholt über die Flucht versklavter Arbeiter und ihrer Familien gesprochen. Als Konsequenz daraus lässt sich die Wüstenwanderung mit den einzelnen Stationen punktgenau nachvollziehen und ist kein zielloses Umherirren in der Wüste Sinai.

Für den Fall (S. 16), dass man mangels ausreichender Quellen „das Recht einer weiter gefassten ‚kontrollierten historischen Spekulation‘ in Anspruch“ nehmen möchte, will sich Bauersachs an die „Beschränkungen“ halten, denen sich diese Methode nach einem Standardwerk des Alttestamentlers Herbert Donner <9> „unterzuordnen hat“:

• Jedes einzelne der Elemente, aus denen sie sich zusammensetzt, muss so beschaffen sein, dass ihm keine deutlichen und gewichtigen historischen Argumente entgegenstehen.

• Die Verbindung der Elemente zu einem Ganzen muss sich ohne Widerstände in die geschichtlichen Rahmenverhältnisse der betreffenden Zeit und Weltgegend einzeichnen lassen.

• Den Elementen dürfen keine zu großen Lasten zugemutet werden.

• Und schließlich sind alle Leitgesichtspunkte peinlich zu vermeiden, die sich späteren und fremden geistesgeschichtlichen Konstellationen verdanken.

Bauersachs sträubt sich allerdings

gegen den Begriff Spekulation, der einen negativen Beigeschmack hat. Ich bezeichne die behandelten Fakten als Indizien, die ich in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung vergleichbar mit einem Indizienprozess zur Wahrheitsfindung einsetzen werde. Sie sind einzeln belegbar und begründbar und stimmen sowohl mit den historischen Zeugnissen und geographischen Angaben des Alten Testaments als auch mit außerbiblischen Chroniken auffallend überein.

Im Einzelfall könnten solche Analogien zufällig sein, die dokumentierte Häufung gleichgerichteter Hinweise spricht grundsätzlich gegen solche Zufälle. Trotzdem – oder gerade deswegen – werden sie in Fachkreisen heftigen Widerspruch hervorrufen, weil trotz jahrhundertelanger Forschung nie über vergleichbare Thesen nachgedacht wurde. Unabhängig von meiner Auffassung hat innerhalb der letzten Jahrzehnte die Archäologie bewiesen, dass traditionelle Ansichten zum Alten Testament grundsätzlich korrigiert, wenn nicht gar verworfen werden müssen. Gerade Wissenschaftler wie Finkelstein (Israel) und Silberman (USA) <10> haben gemeinsam mit ihren populären Sachbüchern „Keine Posaunen vor Jericho“ sowie „David und Salomo“ schwerwiegende Argumente gegen fundamentalistische Ansichten zusammengestellt.

1.7. Ein Blick auf die biblische Weisheitsliteratur

In seinem 2. Kapitel (S. 8ff.), in dem Konrad Bauersachs eingehend die „Grundlagen“ seines eben vorgestellten Indizienprozesses beschreibt, geht er auch schon auf Indizien in zwei Büchern der biblischen Weisheitsliteratur ein, die seine Theorie zwar nicht entscheidend grundlegen, sie aber stützen sollen.

1.7.1 Das Hohelied Salomos

So findet er (S. 23) im Hohenlied Salomos 4,14 einen „ersten Hinweis auf Babylonien“ in dem Namen des Gewürzes KaRKoM, das in der Übersetzung „Safran“ genannt wird, aber seines Erachtens „mit der Curcuma-Wurzel zu tun“ hat, „die der indischen Gewürzmischung Curry die charakteristische gelbe Farbe gibt“ und „ein heißes Klima und reichlich Wasser“ benötigt,

beides findet sie im südlichen Mesopotamien. Vielleicht haben ja die Sumerer aus ihrer Heimat (möglicherweise war das der Großraum Indien) diese wichtige Heil- und Gewürzpflanze mitgebracht; Curcuma wird auch als billiger Safranersatz verwendet.

Weiterhin vermutet Bauersachs,

dass es sich beim Hohelied um die hebräische Adaptation seit langem bekannter alter mesopotamischer, genauer kassitischer, <11> Texte handeln könnte. Hier werfe ich erneut den Wissenschaftlern das fehlende Interesse an interdisziplinären Kontakten vor:

In der kassitischen Literatur existieren Beschwörungen der Göttin Šumalija, die aber bereits aus dem 15. oder 14. Jahrhundert v. Chr. stammen müssen. Die Göttin Šumalija (daraus konnte im biblischen Hohelied durch gezielte Metathese <12> Salomo oder die Hirtin Sulamith geworden sein) gehörte zusammen mit dem Gott Šuqamuna zu den persönlichen Schutzgöttern der kassitischen Könige.

Außerdem verweist er auf die „Botschaft des Ludingira an seine Mutter“ aus uralter sumerischer Tradition, in der er „verblüffende Parallelen zum Hohelied Salomos“ entdeckt und die „auf vier babylonischen Tontafeln erhalten“ ist.

Da das Hohelied aber erst nach dem Untergang des Königreichs Juda und dem babylonischen Exil entstanden ist, haben evtl. Bezüge zum babylonischen Umfeld keinerlei Aussagekraft für die Zeit der Erzeltern Israels bzw. den Ausgangsort einer historischen Exodus-Gruppe.

1.7.2 Das Buch Hiob

Zum Buch Hiob erwähnt Bauersachs (S. 24) das babylonische Epos Ludlul bēl nēmeqi aus dem 14. Jahrhundert v.Chr., das „im südlichen Mesopotamien die identische Geschichte (bezogen auf den babylonischen Stadtgott Marduk)“ zu berichten weiß:

Ein hoher babylonischer Beamter schildert in einem 450 Verse umfassenden Selbstbericht Krankheiten und das schwere Leid, das ihm trotz seiner Anstrengungen um ein gottgefälliges Leben widerfährt. Trotzdem akzeptiert er im Eingangsvers („Ich will preisen den HERRN der Weisheit“) die göttlichen Weichenstellungen, auch wenn er sie offenbar nicht immer verstehen kann:

Wüsste ich doch, dass alles dem Gott gefällt! Was einem selber gut erscheint, ist vor Gott ein Frevel, was man für schlecht hält, könnte vor Gott gut sein! Wer durchschaut den Sinn der Götter im Himmel?<13>

In diesem Fall lässt Bauersachs selbst trotz einer zunächst jeden anderen Schluss ausschließenden Formulierung offen, ob die Einflüsse dieses babylonischen Werkes auf das Buch Hiob evtl. auch erst im babylonischen Exil wirksam geworden sein könnten:

Der Vergleich beider Inhalte lässt aufgrund der offenkundigen Übereinstimmungen keinen anderen Schluss zu, dass dem „Volk Israel“ bereits vor dem Exodus die babylonischen Werke bekannt gewesen sein müssen. Denkbar wäre auch, dass Teile des Volkes Israel im babylonischen Exil diese Texte kennengelernt und an die eigenen Bedürfnisse adaptiert haben. <14>

2. Perspektivenwechsel: Babylonien und Elam statt Ägypten

Bevor Konrad Bauersachs an die konkreten Indizien herangeht, die seine Theorie stützen, vermittelt er seinen Lesern einen Überblick über die Gegenden und Völkerschaften, in denen er die biblischen Erzählungen von Abraham bis David alternativ verortet. Ich fasse nur die Hauptlinien dieser Beschreibung zusammen, wie er sie in seinen Kapiteln 3, 4 und 8 ausführlich darlegt.

Zuvor benutze ich die folgende in Wikimedia Commons zugängliche Karte zum Land Elam mit seinen Nachbarländern, damit man sich einen ersten Eindruck von der entsprechenden Weltgegend machen kann:

Eine Landkarte von Elam und den umliegenden Ländern in der Antike
(Karte: Sémhur, Near East topographic map-blank.svg und Wkotwica, Elam-map-PL.svg, davon abgeleitet: Timk70, Elam Map-de, CC BY-SA 3.0)

Hier sieht man Elam, im Südwesten des heutigen Iran gelegen, mit den großen Städten Susa und Anschan, die zu der Zeit, um die es uns gehen wird, die Hauptstädte eines geteilten Landes darstellen: West-Elam (= Susiana, heute Chuzistan) und Ost-Elam.

Die Meder, Parther, Perser und Araber werden uns nicht interessieren. Wichtig sind neben der Susiana das Kernland der Assyrer und vor allem das Gebiet von Babylonien im südlichen Mesopotamien = Zweistromland zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Zu Babylonien gehört in der Zeit, die uns beschäftigt, auch das Gebiet, wo auf der Karte „Sumerer“ steht.

2.1 Warum Ägypten historisch nicht in Frage kommt

Zunächst allerdings stellt Bauersachs die Argumente zusammen, die dagegen sprechen, dass die Geschichten um Abraham und Lot, Josef und Mose in Ägypten stattfinden (S. 36):

Vor dem Exodus hatten die Nachfahren Abrahams keinerlei Kontakt zu Ägypten. Die Redaktoren der Niederschrift kannten nur noch das Nachbarland am Nil und verwechselten das Babylonien der mündlichen Überlieferungen mit Ägypten. Hier wie da sind die Länder von Flüssen abhängig, die Landschaften vergleichbar.

Was spricht nun dennoch „gegen die Einbindung von Ägypten in die Frühgeschichte des sogenannten ‚Volkes Israel‘“?

2.1.1 In den Erzählungen vom Exodus kommen keine Katzen vor

Da „in Ägypten … ab der XI. Dynastie des Mittleren Reiches (ca. 2100-1800 v. Chr.) die Katze als Haustier gehalten“, aber (S. 37) wegen der „Verehrung der Katze als ägyptische Gottheit … über Jahrhunderte“ kaum schon früh in andere Länder exportiert worden ist, hätte das „Volk Israel“ bei „einem lang dauernden Aufenthalt“ in Ägypten

zwangsläufig mit der Katzengöttin Bastet Bekanntschaft gemacht. Abrahams Urenkel Josef hatte ja als Vertrauter eines ägyptischen Pharao angeblich sämtliche Getreidespeicher des Landes unter seiner Kontrolle. … Nach Herodot (Her II.67) wurden die toten Katzen in die Stadt Bubastis gebracht, einbalsamiert und in heiligen Grabkammern beigesetzt. In der Tat hat man dort Millionen von Katzenskeletten gefunden, teilweise kunstvoll mumifiziert und in Holzsarkophage gebettet. Ganze Schiffsladungen dieser Knochen wurden nach England gebracht und als Knochenmehl zum Düngen verwendet. …

Wenn das „Volk Israel“ tatsächlich jahrhundertelang in Ägypten im Lande Goschen bei Bubastis gefangen gewesen wäre, müsste sich in den Mosebüchern des Alten Testaments irgendein Hinweis auf die Katze als Haustier oder als Gottheit finden lassen. Erst in der apokryphen Schrift Baruch (Baruch 6.22) wird ein einziges Mal in der ganzen Bibel die Katze erwähnt, weil sie ungestraft auf den Götzenbildern sitzen kann und diese Götter nicht in der Lage sind, sie zu vertreiben.

Diese „völlige Nichtbeachtung der Katze“ in den Erzählungen vom Exodus allein kann allerdings noch nicht beweisen, dass er nicht in Ägypten vor sich ging; Argumente „e silentio“ = „aus dem Stillschweigen“ heraus bedürfen auf jeden Fall weiterer Stützung.

2.1.2 In Ägypten gab es keinen privaten Landbesitz

Da in Ägypten das Land „Eigentum des Pharao und der Tempel“ war und „an Höflinge, Soldaten und Beamte zum Lehen verteilt“ wurde, kann nach Bauersachs (S. 38) der in 1. Mose 47,20 erwähnte „Kauf des ganzen Landes“ nicht in Ägypten stattgefunden haben. In Babylonien allerdings war das möglich (siehe Abschnitt 4.2).

2.1.3 Es ist abwegig, den Exodus mit den „Hyksos“ zu verbinden

Keinesfalls kann man nach Bauersachs die Herrschaft „der Hyksos in Ägypten (etwa 1650 bis 1550 v. Chr.)“ und ihre anschließende Vertreibung mit dem Exodus Israels aus Ägypten in Verbindung bringen. Dass „sich Nomaden wie Abraham an einem Eroberungsfeldzug beteiligen, widerspricht ihrem Naturell“, vor allem aber hat zur „Hyksos-Zeit … das biblische ‚Volk Israel‘ noch gar nicht existiert“ (vgl. Abschnitt 6.1.1).

Dem entspricht auch die Einschätzung des Alttestamentlers Niels Peter Lemche: <15>

Die ägyptischen Quellen beschreiben die Vertreibung von Asiaten aus Ägypten als Maßnahme der Ägypter gegen die Asiaten und eben nicht – wie im Alten Testament – als eine Reaktion der Asiaten auf ägyptische Maßnahmen. Nach Manetho haben die Pharaonen am Ende der Hyksosherrschaft die Hyksosleute aus Ägypten mit Gewalt vertrieben und keineswegs versucht, den Asiaten den Weg aus Ägypten zu verlegen, wie es im Exodusbuch beschrieben wird. Wenn die Ereignisse, die zur Vertreibung der Hyksos führten, tatsächlich den geschichtlichen Hintergrund für die Auswanderung der Israeliten aus Ägypten bildeten, dann wäre die Sache in der Bibel (oder von Manetho?) auf den Kopf gestellt worden. Weiter ist zu betonen, daß der Befreiungskrieg der Ägypter gegen die Hyksos bald zu einer Eroberung der Nachbargebiete führte. Diese Gebiete umfaßten nicht nur die Sinaihalbinsel, sondern auch Palästina und Syrien, und am Ende drangen die Armeen der Pharaonen bis zum Euphrat vor. Von diesen Folgeerscheinungen der Vertreibung des Hyksosvolkes schweigen die biblischen Erzählungen vollständig – und berichten statt dessen, die Israeliten hätten sich nach dem Wegzug aus Ägypten ihrerseits daran gemacht, Palästina zu erobern. Ein drittes Problem bildet die Chronologie: Der Krieg gegen die Hyksosleute erfolgte im 16. Jahrhundert, was weder mit den biblischen noch mit den wissenschaftlichen Zeitangaben in Einklang zu bringen ist. Nach der biblischen Chronologie fand der Exodus präzis 400 Jahre vor der Errichtung des Tempels durch Salomo in Jerusalem, also um 1350 v.Chr. statt. Die wissenschaftliche Chronologie sagt, daß die Israeliten kaum vor 1200 nach Palästina gelangt sein können. Dazu kommt, daß die wichtigsten Quellen aus dem Palästina des 2. Jahrtausends, die el-Amarna Briefe (Mitte des 14. Jahrhunderts), nichts von einer Anwesenheit von Israeliten in Palästina berichten. Wenn man nun behauptete, die Israeliten seien damals schon seit mehr als zweihundert Jahren im Lande ansässig gewesen, wäre das doch merkwürdig.

Auch wenn Lemche von ganz anderen Voraussetzungen ausgeht – er bestätigt jedenfalls, dass ein historischer Auszug Israels aus Ägypten nirgendwo zeitlich angesetzt werden könnte.

2.1.4 Die Bibel berichtet nicht von der Arbeit in Steinbrüchen

Weiter ist es nach Bauersachs verwunderlich (S. 38), dass „in den Jahren der angeblich ägyptischen Knechtschaft“ die Sklavenarbeit vor allem in der „Herstellung von Lehmziegeln“ bestanden haben soll, aber es wird (S. 39)

kein einziges Wort über das Steineziehen verloren, obwohl diese Arbeit doch wesentlich anstrengender als die geschilderte Ziegelherstellung gewesen wäre. Wenn ein ägyptischer „Pharao“ einen Teil der unterprivilegierten Bevölkerung (das biblische „Volk Israel“) gezielt hätte belasten wollen, wäre die Einteilung zum Steineziehen oder zur Arbeit in den Steinbrüchen wesentlich effektiver gewesen.

Dazu muss man wissen, dass in Ägypten (S. 38) „nur in einigen Fällen ein Palast oder ein Tempel aus Lehmziegeln errichtet“ wurde, wohl aber regelmäßig in Babylonien (S. 39):

Anders als in Ägypten gibt es im Schwemmland des Euphrat und Tigris keine Steine, die für Großbauten geeignet wären, so dass sämtliche Bauwerke dieser Region (auch der „Turm von Babel“) aus Lehmziegeln errichtet werden mussten.

2.2 Babyloniens geographische und klimatische Verhältnisse

Aus der Vielzahl von Informationen, die Konrad Bauersachs zur Geographie Babyloniens <16> zusammengetragen hat, bezieht sich die wichtigste auf die beiden größten Flüsse, die dem Zweistromland (= Mesopotamien) seinen Namen gaben (S. 41):

Babylonien ist der südliche Teil Mesopotamiens zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris. Gemeinsamkeiten mit Ägypten beschränken sich auf das Klima und die Abhängigkeit von Flüssen. Überschwemmungen waren in Babylonien – anders als in Ägypten – stets Bedrohung.

Auch die „Fruchtbarkeit des Zweistromlandes“ konnte zum Fluch werden, da sie „für die Bergbewohner“ (vor allem aus dem nordöstlichen Zagros-Gebirge) und für „Wüstennomaden“ (aus den Gebieten im Westen und Süden) „einen ständigen Anreiz zu Raubzügen“ bot:

Da natürliche Grenzen fehlen, war Babylonien stets Ziel von Einwanderern und Angriffen machthungriger Nachbarn.

Im Norden schließt sich an Babylonien „etwa ab Baghdad eine öde Wüsten- und Steppenlandschaft, die Djazireh (‚Insel‘) genannt wird“, an, und „zwischen Tigris und dem Gebirge im Nordosten“ (dem Zagros-Gebirge) gibt es (S. 46) eine klimatisch gemäßigte und regenreichere Gegend, in der Assyrien mit der Hauptstadt Assur (150 km südlich des heutigen Mossul) zur Großmacht heranwuchs. Nur hier, entlang „des Zagros-Gebirges ermöglichen ausreichende Niederschläge (200-400 mm jährlich) eine Landwirtschaft, die nicht unbedingt von einer Bewässerung abhängig ist.“ Weiter im Süden ist Regenfeldbau unmöglich, die „Landwirtschaft ist deshalb dringend auf das Wasser des Euphrat und Tigris zur Bewässerung angewiesen.“ Aber mit „der ständigen Bewässerung tritt langfristig“ das Problem der „Versalzung des Bodens“ auf, das „aus einer blühenden Landschaft innerhalb weniger Jahrzehnte eine öde Steppe machen“ kann. Damit (S. 47)

gingen natürlich auch die Flächenerträge zurück: Konnte man um 2400 v. Chr. immerhin ca. 2400 kg Getreide je Hektar ernten, waren es um 1700 noch 1000kg/ha und um 1100 v. Chr. nur noch 700kg/ha. Bei einer ständig wachsenden Bevölkerung in Babylonien hatte diese Entwicklung spürbare Folgen.

Beschleunigt wurde der Ernteausfall durch die beginnende großräumige Trockenheit um 1200 v. Chr. Allem Anschein nach hatte der Machtverfall in Babylonien und Assyrien sowie das Erstarken von Elam erst in zweiter Linie politische Hintergründe.

Aus gutem Grund geht Bauersachs gerade auf dieses Problem so ausführlich ein:

Wir finden hier die biblische Erzählung der Josefsgeschichte von sieben fetten und sieben mageren Jahren bestätigt. Die sieben fetten Jahre waren wohl die letzten ertragreichen Jahre nach einer flächendeckenden Überschwemmung, die dem Boden vorübergehend neue Kraft gegeben hat, danach wurde der Boden wieder ausgelaugt und die anhaltende Trockenheit beschleunigte die Versalzung.

Dazu später mehr. Hier soll noch erwähnt werden (S. 41), dass im

äußersten Südosten Mesopotamiens … jenseits des Tigris das Land Elam {liegt} <17>; heute die iranische Provinz Chuzistan mit den Flussebenen des Kerkhe und Karun. Die Salzmarschen entlang des Tigrisunterlaufs und um das Haur-al-Hammar waren die Heimat der Meerlanddynastien.

Vermutet wird (S. 44), dass im 3. Jahrtausend v. Chr. der Persische Golf vielleicht sogar bis zu diesem ausgedehnten „Sumpf- und Seengebiet“ im „Dreieck zwischen An Nasiriya, Qurna und Basra“ ins Inland hineinreichte. Nach „historischen Schilderungen und Darstellungen assyrischer und babylonischer Könige … {sollen} sich verfolgte Meerlandkönige nach Ihren Raubzügen immer wieder in die undurchdringlichen Schilfgebiete“ gerettet haben. Allerdings macht nach Bauersachs gerade das „Schilfwachstum … die Ausdehnung des extrem salzhaltigen Persischen Golfs bis nach Ur in der Nähe des modernen Nasiriya unwahrscheinlich.“

Die (S. 45) Bibellesern als „angebliche Heimat Abrahams“ bekannte

Stadt Ur … war zu ihrer Blütezeit Hafenstadt und lag „am Meer“, die Ruinen liegen heute rund 300 km vom Meer entfernt. Die alten Texte lassen reichlich Interpretationsmöglichkeiten, wie die Hafenstadt Ur vom Persischen Golf her zu erreichen war. Denkbar wäre für Ur am Euphrat eine vergleichbare Situation wie in Hamburg an der Elbe: Hamburgs Hafen ist über die Unterelbe mit der Nordsee verbunden.

2.3 Der Garten in Eden und seine vier Ströme in Mesopotamien

Im Zusammenhang mit der Betrachtung der Geographie Mesopotamiens macht Bauersachs (S. 47) auf „eine unscheinbare Textstelle des Alten Testaments“ aufmerksam, „in der das sumerische Wort ‚eden‘ vorkommt“ (1. Mose 2,8):

Und Gott der HERR pflanzte einen Garten in Eden im Osten …

Im Sumerischen bedeutet dieses Wort „eden“ aber

nicht wie im Alten Testament von Luther übersetzt „Garten“ oder „Paradies“, sondern Steppe oder Wüste. Das macht aber dann Sinn, wenn man die biblische Übersetzung statt „Garten Eden“ wie geschrieben als „Garten in Eden“, nämlich „Garten in der Wüste“ liest. Die beiden großen Flüsse Euphrat und Tigris fließen, bevor sie Babylonien erreichen, durch ausgedehnte Trockengebiete („Eden“) und bewässern dann die babylonischen bzw. „biblischen Gärten“. <18>

Immerhin hat sich (S. 365, Anm. 8) der assyrische König Sanherib (704-681) gerühmt,

um Ninive botanische Gärten mit allen Pflanzen der Welt angelegt und für die Bewässerung ein ausgedehntes Kanalsystem gegraben zu haben“. <19>

Auch eine merkwürdige Formulierung in 1. Mose 2,10 wird von der Geographie Mesopotamiens her verständlicher:

Und ein Strom geht von Eden aus, den Garten zu bewässern; und von dort aus teilt er sich und wird zu vier Armen.

Originalton Bauersachs (S. 49):

Beim heutigen Baghdad kommen sich Euphrat und Tigris so nahe, dass bei extremen Hochwassern ein kurzzeitiger Zusammenfluss denkbar ist. Der so entstandene See speist als vorübergehende „Quelle“ dann scheinbar vier Ströme, nämlich den zu- und abfließenden Euphrat sowie den zu- und abfließenden Tigris. Aufgrund der langsamen Fließgeschwindigkeit beider Flüsse kann beim Betrachter durchaus der Eindruck entstehen, dass die Flüsse aus einem Quellsee stammen und in vier Richtungen fließen.

Wenn das zutrifft, müssten allerdings auch die Namen der vier in 1. Mose 2 erwähnten Hauptströme – Pischon, Gihon, Tigris, Euphrat – jeweils entweder mit dem Ober- oder Unterlauf des Euphrat bzw. Tigris in Verbindung gebracht werden. Eine Grundvoraussetzung dafür wiederum wäre, für die ersten beiden Ströme, Pischon und Gihon (hebräisch PIŠON und GIḪON), an deren Identifizierung sich schon Generationen von Forschern die Zähne ausgebissen haben, sinnvolle Zuordnungen herauszufinden.

Der Pischon wird in 1. Mose 2,11-12 am genauesten beschrieben:

11 Der Name des ersten ist Pischon; der fließt um das ganze Land Hawila, wo das Gold ist;

12 und das Gold dieses Landes ist gut; dort gibt es Bedolach-Harz und den Schoham-Stein.

Nun schließt Konrad Bauersachs kategorisch aus, dass „in Mesopotamien oder in der unmittelbaren Umgebung Gold vorkommen soll“, und zwar aus folgendem Grund:

Die peinliche Bettelei babylonischer Herrscher um ägyptisches Gold und der von den Ägyptern geforderte und von Babyloniern akzeptierte Tausch gegen Prinzessinnen und Pferde ist in zahlreichen Urkunden belegt. An dieser Textstelle sollte man eher an die Ähnlichkeit des hebräischen Wortes ZaHaB = Gold mit den beiden Tigris-Nebenflüssen Zab (Oberer und Unterer Zab) denken, die beide in der Provinz Arbil des heutigen Irak entspringen.

Karte des Irak und der umgebenden Länder mit hervorgehobenen Flussläufen des Kleinen und Großen Zab
Maximilian Dörrbecker (Chumwa), Lagekarte Kleiner Zab und Großer Zab, CC BY-SA 3.0 DE

Dann wären also in 1. Mose 2,11 die Worte ˀAŠäR-ŠaM HaZZaHaB nicht mit „wo dort das Gold (ist)“ zu übersetzen, sondern mit „wo dort der Za(ha)b (ist)“. Auf der Lagekarte des Kleinen und Großen Zab ist zu sehen, dass diese beiden Flüsse östlich des Tigris ein großes Gebiet umschließen. Ob es sich hier um das geheimnisvolle Land ḪaWILaH handelt, das von den beiden Zab-Flüssen umflossen wird? <20> Die größte Stadt dieser Region mit dem Namen „Arbil (entspricht dem biblischen ḪaWILaH, sumerisch Urbilum, akkadisch Arbailu) … wird schon im 3. Jt. v. Chr. erwähnt“ und trägt heute nach Wikipedia als „Hauptstadt und zugleich auch der Sitz der Regierung der Autonomen Region Kurdistan im Irak“ den amtlichen kurdischen Namen Hewlêr! <21>

Konrad Bauersachs stützt dieses Argument zusätzlich durch die Überlegung, dass (49)

der Name des in 1. Mose 2.11 erwähnten Schoham-Steins (ŠoHaM) aus dem assyrischen Wort šamtu (vielleicht Malachit) abgeleitet sein {könnte}; im Gilgamesch-Epos ist von einem wertvollen abaschmu-Stein {Anm. 23: „dort 9. Tafel, Zeile 188“} die Rede, der möglicherweise das Gleiche meint.

Den in 1. Mose 2,13 erwähnten Fluss Gihon bringt die Bibel mit einem auf Hebräisch KUŠ genannten Land in Verbindung:

13 Und der Name des zweiten Flusses ist Gihon; der fließt um das ganze Land Kusch.

Nach Bauersachs könnte dieser Gihon

einer der zahlreichen Flussarme des Euphrat oder Tigris gewesen sein, die das alte Königreich Kisch (Kiš, hebr. aber KUŠ) in der Nähe Babylons umflossen. Dieses „Kusch“ des Alten Testaments wird von Alttestamentlern ebenfalls recht willkürlich mit Äthiopien verbunden; an dieser Textstelle scheint mir die Gleichsetzung Kusch = Kiš gerechtfertigt.

Eine Karte von Babylonien zur Zeit der Kassiten
MapMaster, Kassite Babylonia EN, CC BY-SA 4.0

In anderen Zusammenhängen (S. 55f. und 188f.) verbindet Bauersachs das Land Kusch mit der Herrschaft der Kaššiten (KUŠ = Kašš) über Babylonien; auch dann bezöge sich der Name dieses Landes auf Gebiete im Süden bzw. Südosten von Bagdad.

Gibt es nun eine Möglichkeit, die vier Ströme in 1. Mose 2,11-14 nach der Oberlauf-Unterlauf-von-Euphrat-und-Tigris-Theorie von Bauersachs einzuordnen? Ich versuche mal, eine zu skizzieren:

  1. Von der Gegend um das heutige Bagdad herum aus gesehen läge im Nordosten der Oberlauf des Tigris, genannt Pischon, der das Land Hawila umfließt, wo der Fluss Za(ha)b ist und wo man den Schoham-Stein findet.
  2. Im Südosten wäre der zweite Strom der Unterlauf des Tigris, der das Königreich Kiš oder das Land der Kaššiten umfließt.
  3. Dann müsste der dritte große Fluss im Nordwesten, auf Hebräisch HiDDäQäL, nicht der Tigris, sondern der Oberlauf des Euphrat sein, der von dem bereits beschriebenen östlich gelegenen Pischon her QiDMaTh AŠŠUR, wörtlich übersetzt „gegenüber von Assur“, liegen würde.
  4. Und der PhRaTh im Südwesten würde sich folgerichtig nur auf den Unterlauf des Euphrat beziehen.

Diese Lösung hat leider zwei Schönheitsfehler, die mit dem Tigris zusammenhängen. So ist es im Nordosten nicht der Tigris selbst, der das Land Arbil umfließt, sondern es sind die Flüsse Großer und Kleiner Zab. Vor allem aber entspricht der hebräische Name HiDDäQäL dem akkadischen Namen Idiglat oder der aramäischen Bezeichnung Deqlath für den Tigris zu genau, als dass er sich so einfach alternativ auf den Oberlauf des Euphrat statt auf den Tigris beziehen ließe.

Aber selbst wenn diese Lösung sich nicht halten lässt, müsste man schon sehr gute Gründe anführen, um die Verbindung etwa des Pischon mit Arbil oder des Gihon mit dem Königreich Kiš oder dem kaššitischen Babylonien zu bestreiten.

Möglicherweise sahen die Erzähler von 1. Mose 2 ja den Oberlauf des Euphrat als den Strom, der von „Eden“ ausgeht und auf irgendeine Weise sowohl den Pischon (= Zab) im Norden und den Gihon (= Nebenarm des Euphrat oder Tigris im Süden) als auch den Tigris und den eigenen Unterlauf mit Wasser versorgt.

2.4 Geschichte Babyloniens und Assyriens

Zur Geschichte Babyloniens konzentriert sich Konrad Bauersachs (S. 49) auf den „Zeitraum zwischen etwa 1500 v. Chr. und 1200 v. Chr.“, innerhalb dessen

im südlichen Mesopotamien und der angrenzenden Region Elam (mit dem heutigen Chuzistan) alle Ereignisse stattfinden, die bei den Patriarchen beginnen und mit dem Exodus des „Volkes Israel“ enden werden.

Für die (S. 50) „Jahresangaben“ will er sich dabei „an die sogenannte mittlere Chronologie“ halten, die nach Wikipedia „nicht nur der Datierung im engeren Sinne, sondern auch als praktische Konvention zur Verständigung über altorientalische historische Prozesse“ dient.

Auf Assyrien gehe ich in diesem Zusammenhang auch kurz ein, da es aus dem Großreich Hammurabis nach dem Niedergang seiner Dynastie als eigenständige Großmacht hervorging und in der Zeit, die uns besonders interessieren wird, in besonderer Weise Einfluss auf Babylonien nahm.

2.4.1 Hammurabi und sein Gesetzbuch

Bevor Bauersachs auf den eben genannten Zeitraum eingeht, beschäftigt er sich mit dem berühmten König Hammurabi, der nach der Mittleren Chronologie <22> von „1792-1750 v. Chr.“ regierte (S. 50):

Er festigte zunächst seine Position in der Hauptstadt Babylon und konzentrierte sich nach außen auf die Sicherung der Grenzen, innenpolitisch sorgte er für wirtschaftlichen Aufschwung. Er wurde bekannt als Herausgeber einer Gesetzessammlung, des Codex Hammurabi. Hammurabi schaffte es durch geschickte Diplomatie und militärische Überlegenheit, von der neuen Hauptstadt Babylon aus Assyrien mit Babylonien zu vereinigen. Er legte so die Grundlage für ein riesiges Reich, das Babylon als Zentrum hatte und vom Persischen Golf zeitweise bis zum Mittelmeer reichte.

Zum Codex Hammurabi merkt Bauersachs an (S. 50f.), dass der „bekannte Satz ‚Auge um Auge, Zahn um Zahn‘, den man gerne dem Alten Testament zuschreibt“ (2. Mose 21,24) „ursprünglich dem Codex Hammurabi <23> und nicht dem Alten Testament“ entstammt, ebenso das Verbot des Menschenraubes (5. Mose 21,16) oder (S. 50) der „Schutz von Unterprivilegierten“ wie „besonders der Witwen“. Zur Erklärung erwägt er (S. 51),

dass sich die spätere Exodus-Gruppe wesentlich länger im Anwendungsbereich dieses Codex Hammurabi aufgehalten hat, als man bisher annimmt.

Auch der „im Codex Hammurabi geschilderte Brauch, im Tor (des betreffenden Stadtviertels) die Rechtsangelegenheit eines Bürgers zu untersuchen“ ist „im Alten Testament an zahlreichen Stellen“ zu finden (z.B. 5. Mose 25,7; 2. Samuel 19,9; Ruth 4,11).

Nachdem (S. 50) die Hammurabi-Dynastie dem Land „rund 200 Jahre … eine Periode von Wohlstand und relativem Frieden“ bescherte,

zerfällt das Reich wieder und der Süden spaltet sich ab. Um 1595 v. Chr. wird Babylon von den Hethitern erobert, vom Osten her sickerten schon seit 2000 v. Chr. die Kassiten ein und beherrschten das Land für 350 Jahre, im Norden besetzen die Hurriter (bibl. „Horiter“) Assyrien.

2.4.2 Kurzer Blick auf Assyrien

Bevor ich auf die Kassitenherrschaft in Babylonien eingehe, werfe ich einen Blick auf die eben erwähnten Assyrer. Die (S. 56) „Stadt Aššur als Zentrum eines Kleinstaates“ ist bereits seit „dem 2. Jahrtausend v. Chr. … am rechten Ufer des mittleren Tigris etwa 300 km nördlich von Baghdad“ nachweisbar. „Benannt war Aššur nach dem höchsten Gott, der auch der Gegend nördlich von Babylon ihren Namen gab.“

Um 1950 v. Chr. nutzte Aššur die Gunst der Stunde und machte sich von Babylon unabhängig, kam dann selbst unter fremde Herrschaft, bis Aššur-Uballit I. (1364- 1330) erneut die Eigenständigkeit gewann. Diesem Herrscher werden wir weiter unten wiederholt begegnen, er versuchte zunächst unblutig durch die Verheiratung seiner Tochter Einfluss auf die kassitische Politik zu nehmen. Dieser Versuch scheiterte gründlich…

Auf dieses Scheitern wird ausführlich eingegangen werden. Ebenso wird es später noch eine Rolle spielen, dass „die Assyrer durch ihre brutale Kriegsführung <24> und Deportation der unterworfenen Völker sowie durch barbarische Strafen für vergleichsweise geringe Vergehen“ gefürchtet waren. <25>

2.4.3 Die Aufrichtung der Herrschaft der Kassiten in Babylonien

Wie kam es in Babylonien zur Herrschaft der Kassiten? (S. 52:)

Die Kassiten kamen als friedliche Einwanderer nach Mesopotamien, wurden aber von den Herrschern zunehmend als Bedrohung empfunden.

Zu ihrer Herkunft hat man Erwägungen angestellt,

dass sie etwa über Kermanshah im heutigen Iran entlang des Flusses Diyala nach Mesopotamien gekommen sein müssen.

Dazu passt, dass etwa der „Sohn Hammurabis“, König Šamšu-iluna (1749-1712 v. Chr.) um das Jahr 1740 <26> „am Fluss Diyala die Grenzfestung Dur Samsuiluna gegen die Einwanderer“ errichtete.

Die Kassiten beeindruckte das nicht allzu sehr, sie umgingen einfach das Siedlungsgebiet in Richtung Westen und ließen sich zwischen Euphrat und dem heutigen Baghdad nieder. Von hier aus unternahmen sie während der Regierungszeit des Samsuiluna immer wieder Streifzüge in den Süden nach Babylon…

Die „Sprache der Kassiten“ kennt man nur aus einer Reihe von Lehnwörtern im Akkadischen sowie aus Urkunden, in denen Namen von Personen und Göttern „und – weil die Kassiten große Pferdezüchter waren – zahlreiche Pferdenamen“ überliefert waren. Das Kassitische ist weder „mit den indo-europäischen Sprachen“ noch „mit dem Sumerischen, Hurritischen oder Elamischen“ verwandt.

Kassiten finden wir später auch im westlichen Elam, dem heutigen Chuzistan, das seinen Namen wahrscheinlich vom griechischen „Kossaioi“ für Kassiten erhalten hat; auch der akkadische Name für die Kassiten, Kaššu, lebt hier weiter.

Erst als der „Hethiterkönig Muršili“ um 1595 v. Chr. die Stadt Babylon erobert und zerstört hat, wahrscheinlich nur um Beute zu machen und nicht um ein eigenes Regime zu errichten, „kommen die Kassiten in Babylonien leicht und dauerhaft an die Macht“ (S. 53):

Mit welchem König nach diesem hethitischen Eroberungszug die eigentliche Kassiten-Dynastie begann, ist unklar. Über die Reihenfolge und auch die Regierungszeiten der frühen Kassitenkönige weiß man wenig…

Um 1510 v. Chr. einigten sich der Kassitenkönig Burna-Buriaš I. und der assyrische König Puzur-Aššur III. auf eine gemeinsame Grenze. Mit dieser Sicherheit im Rücken eroberten Kaštiliaš III. (1490) und sein Sohn Agum III. (1465 v. Chr.) das Meerland und wurden Herrscher über gesamt Babylonien.

Für einen weiteren König, nämlich Kurigalzu I., gibt Bauersachs die Regierungszeit „1425– 1400 v. Chr.“ an; Wikipedia ordnet ihn mit den Daten „1390-1374 v. Chr.“ ins 14. Jahrhundert ein. Ich erwähne ihn nur, weil er „etwa 20 km westlich des heutigen Baghdad aus Lehmziegeln die Grenzfestung Dur-Kurigalzu (heute Aqarquf bzw. Tell Abiyad) errichtet“ und zur Hauptstadt des kassitischen Babylonien gemacht hat.

2.4.4 Babylonische und assyrische Beziehungen zu Ägypten

Bauersachs‘ Hinweis auf ein Treffen „des kassitischen Königs Kara’indaš mit Pharao Thutmosis III.“ in der Mitte des 15. Jahrhunderts, von welcher Zeit an „halbwegs verlässliche Namensregister von Herrschern“ zur Verfügung stehen, hat mich zunächst verwirrt, da diese beiden Herrscher von Wikipedia zeitlich anders eingeordnet werden (Thutmosis III. 1458-1426 und Kara’indaš 1415-1403). Allerdings klärt er diese Frage im folgenden Abschnitt (S. 54), in dem er sich auf eine Datierung von Leonhard Sassmannshausen bezieht:

Pharao Thutmosis hatte in siebzehn Feldzügen seine Macht in Palästina, Syrien und den angrenzenden Gebieten gefestigt; ihm lag viel daran, dass der babylonische König die ägyptische Vorherrschaft über Syrien und Palästina respektiert. Das Friedensabkommen zwischen dem ägyptischen Pharao Thutmosis III. (1479- 1425) und dem Kassitenkönig Kara’indaš (ca. 1450-1415 nach Sassmannshausen) wurde etwa im Jahr 1447 vereinbart und führte langfristig zu guten Beziehungen zwischen beiden Ländern.

Außerdem verweist Bauersachs selber darauf, dass solche königlichen (S. 53f.)

Namensregister … leider nur scheinbar verlässlich {sind}, denn ein in Assyrien herrschender König konnte in Babylon einen anderen Namen haben als zuhause und umgekehrt.

Die Wahl zwischen einem Regenten mit zwei unterschiedlichen Namen, oder zwei parallel oder zeitversetzt herrschenden Königen wird so nicht leichter und ist auch einer der Gründe für unterschiedliche und verwirrende Chronologien und auch für die Schwierigkeiten, in den biblischen Geschichten reale Geschichte zu erkennen.

In den ägyptisch-babylonischen Beziehungen dieser Zeit sieht Bauersachs (S. 54) eine mögliche

weitere Ursache für die biblische Verwechslung von Ägypten mit Babylonien sowie „Pharao“ mit „König“: Ägypten lieferte vor allem das begehrte Gold ins Zweistromland, die Kassiten im Gegenzug Pferde und Kampfwagen, zusätzlich legten die Ägypter großen Wert auf Blutauffrischung durch kassitische Prinzessinnen für den Harem des Pharao.

Da es zwischen „Assyrien und Babylonien … immer wieder Grenzstreitigkeiten“ gab, schloss „auch der assyrische König Aššur-Uballit I. (1365-1330) ein Abkommen mit Ägypten“, wahrscheinlich mit Amenophis IV. (= Echnaton 1353-1336).

Aššur-Uballit bezeichnete sich nach diesem Vertrag als „Bruder des Pharao“; hier hat die biblische Bezeichnung „Pharao“ für einen nicht-ägyptischen König ihren Ursprung. <27>

Dieser Vertrag mit Ägypten war für Assyrien die Eintrittskarte in die internationale Politik und für das kassitische Babylonien der Grund, sich mit der aufkommenden Großmacht an der Nordgrenze zähneknirschend zu arrangieren. Also musste im Zweistromland für den Frieden geheiratet werden: Die Ehe der assyrischen Prinzessin Muballidat-Serua (oder Muballit-Serua) mit dem Kassiten Burna-Buriaš, seinem Sohn oder seinem Bruder machte den ständigen Grenzstreitigkeiten ein Ende. <28>

Dieser Eheschließung, die langfristig keineswegs dem Frieden diente, sondern von der sich die Assyrer eine „Machtbeteiligung oder umfassenden Einfluss in Babylonien“ versprachen, folgte bald eine „hollywoodreife Familientragödie“, auf die ich im Zusammenhang mit dem Kriegsbericht in 1. Mose 14 eingehen werde. Vom Niedergang der kassitischen Herrschaft in Babylonien wird später im Zusammenhang mit Ereignissen die Rede sein, die mit der biblischen Josefsgeschichte in Verbindung stehen.

2.4.5 Das biblische Goschen lag im Kassitenland

Hier sei nur noch angemerkt, wo Bauersachs (S. 55) die in der Josefs- und Exodusgeschichte angeblich ägyptische Provinz Gosen oder Goschen (hebräisch GoŠäN, vgl. 1. Mose 45,10 und öfter) real-historisch verortet:

Die Kassiten regierten noch bis etwa 1200 v. Chr., dann wurde Babylon von Assyrien erobert, ein Teil des Landes im Südosten ging an Elam. Diese Region des Kassitenlands Kašš- hat wohl dem biblischen „Gosen“ oder „Goschen“ seinen Namen gegeben. Noch deutlicher wird der Zusammenhang mit Gosen-Goschen, wenn man zum Vergleich den griechischen Namen Kossäer für die Bewohner Chuzistans heranzieht. Nur hier im Grenzgebiet zwischen Elam und Babylonien kann das biblische „Ägypten“ und Goschen gelegen haben.

Bereits im Zusammenhang mit den vom Garten in Eden ausgehenden vier Strömen hatte Bauersachs dieses „Kašš/Chuz“ mit dem biblischen Land „Kusch“ in Verbindung gebracht,

das Alttestamentler wie selbstverständlich mit Äthiopien gleichsetzen. Die Ehefrau Moses soll eine „Kuschitin“ gewesen sein, Luther übersetzt das als „Mohrin“ <29>; meiner Ansicht nach war sie eine Kassitin oder eine Bewohnerin des kassitischen Babyloniens.

Dem Einwand, „aus einem kurzen ‚a‘ {könne} kein langes „u“ werden“, begegnet Bauersachs mit der überzeugenden Argumentation (S. 56):

Dies mag bei geschriebenen Texten ausgeschlossen sein, bei mündlich und mit großem Zeitabstand tradierten Berichten schleifen sich solche sprachlichen Feinheiten ab; außerdem nehmen die theologischen Zwänge der Niederschrift auf solche Details geringe Rücksicht. Es sollte zumindest im Zusammenhang mit dem passenden regionalen Umfeld erlaubt sein, darüber nachzudenken.

2.5 Geographie und Geschichte des Landes Elam

In seinem Buch geht Konrad Bauersachs nach seinem Überblick über Geographie und Geschichte des Zweistromlandes und insbesondere Babyloniens zunächst auf diejenigen Teile der Erzvätergeschichten ein, die er in diesem Land verortet. Erst danach betrachtet er das Land Elam genauer (S. 99), das „Abrahams Südland“ darstellte:

Ich erlaube mir, diese geographischen und geschichtlichen Hintergründe bereits hier anzusprechen.

Geographisch gehört Abrahams Mescha, <30> der reale Bergrücken Kuh-e-Mish Dagh, zur Susiana, dem Westteil des Königreichs Elam. Hier liegt das falsch verstandene biblische Ägypten, hier kann Abraham in Notzeiten Getreide kaufen, hier liegen Bethel und Ai, hier liegt der Ort Nafğe, den die Niederschrift mit dem biblischen Südland Negev verwechselt und hier findet Lot eine neue Heimat bei Sodom.

Nur hier lässt sich der Untergang von Sodom und Gomorrha plausibel erklären, nur in dieser Region ist der Krieg von vier gegen fünf Königen (1. Mose 14) historisch dokumentiert und nur in dieser Region sind Bauten erhalten, die während der biblischen Fronarbeit (Ziegelherstellung) errichtet worden sind.

Die wasserreichen Landschaften entlang des Euphrat und Tigris sowie in Chuzistan machen die Verwechslung mit Ägypten plausibel.

2.5.1 Geographie Elams, insbesondere der Susiana im Westen

Es ist gar nicht so leicht, das historische Elam geographisch abzugrenzen, denn es (S. 99)

war (anders als das heutige Chuzistan) ursprünglich kein deutlich begrenztes Territorium, sondern umfasste im Lauf einer wechselhaften Geschichte unterschiedlich große Regionen und schloss den Ost- und Südostteil des heutigen Iran ein. Das heutige Chuzistan (im Altertum die Susiana) im Südwesten Irans mit seiner Hauptstadt Susa war nur eines der Zentren. Die Grenzen änderten sich im Laufe der Jahrtausende ständig…

So umreißt Bauersachs die weiteste Ausdehnung Elams:

Zeitweise reichte das Einflussgebiet Elams im Westen über Luristan bis zum Fluss Diyala, der beim heutigen Baghdad in den Tigris mündet. Im zentralen iranischen Hochland lag die Stadt Anšan, heute Tal-i-Malyan; es gibt Hinweise auf kulturelle Gemeinsamkeiten bis nach Afghanistan und Pakistan. Im ersten Jahrtausend zwingt der Einwanderungsdruck indo-iranischer Gruppen schließlich die Elamer, die östlich gelegenen Gebiete nach und nach aufzugeben und sich ins Kerngebiet zwischen Anšan und Chuzistan zurückzuziehen. Die heutige Provinz Fars (das antike Anšan) wurde später zum Stammland der Perser, hier entstand Persepolis…

Gesamt-Elam
Chuzistan = Susiana = West-Elam liegt nördlich des Persischen Golfs (Karte: Konrad Bauersachs)

Hier soll nun im Besonderen die „antike Susiana, das heutige Chuzistan“ geographisch eingegrenzt werden. Es liegen

  • im Norden und Osten die hohen Berge des Zagros,
  • im Süden der Persische Golf,
  • im Südwesten „der Unterlauf des heutigen Šatt-al-Arab, … der gemeinsame Mündungsfluss des Euphrat und Tigris“
  • im Westen der Unterlauf des Tigris.

Das Gebiet der Susiana, also des westlichen Elam, zeichnet sich durch sehr unterschiedliche Landschaftsformen aus (S. 99):

Der Süden ist eine Mischung aus Wüstensteppen einerseits, da die weniger wasserreichen Gebirgsflüsse im Südosten vorher versickern. …

Andererseits finden sich auch umfangreiche Sumpfgebiete und Salzmarschen, weil das Tiefland nur einige Meter über dem Meeresspiegel liegt. Nach starken Regenfällen im Gebirge können im Süden Chuzistans weite Flächen des Lands lange Zeit unter Wasser stehen, weil das Wasser nur langsam abfließt.

Aber (S. 101f.) wegen der „sehr heißen und trockenen Sommer“ in Chuzistan – „die Durchschnittstemperatur Chuzistans beträgt im Juli 38 °C“ – können die Folgen „dramatisch sein“, wenn „im Winter die Niederschläge einmal ganz aus{bleiben}“. (S. 100f.:)

Der Westen und Nordwesten Chuzistans geht jenseits der Dehloran-Ebene mit der aufragenden Gebirgskette des Zagros in die Region Luristan über, die bis etwa zur heutigen iranischen Stadt Ilam reicht. …

Über die Dehloran-Ebene verlief im Altertum eine viel genutzte West-Ost Verbindung vom heutigen Baghdad über Der-Badra nach Susa. Die Route war sowohl Handelsweg, aber auch eine leicht zugängliche Einfallspforte für fremde Heere… Im Unterschied zum Weg in der Tigrisebene gab es hier längs der Berge auch im Sommer noch ausreichend Wasser.

Aus welchem Grund (S. 101) „die meisten Orte der Dehloran-Ebene etwa 1230 v. Chr. verlassen“ wurden, hat man bisher nicht eindeutig klären können. Gegen „die ständige politische Instabilität durch durchziehende Armeen“ als Ursache dafür spricht nach Bauersachs

die Tatsache der dauerhaften Besiedlung seit Jahrtausenden…; offenbar hatten sich die Bewohner mit den wiederkehrenden Überfällen abgefunden. Sie reagierten gelassen und zogen sich so lange in die Berge zurück, bis die Gefahr vorbei war.

Stattdessen sieht er die „Abwanderung in Dehloran“ in einem Zusammenhang

mit dem etwa gleichzeitig stattfindenden Zerfall zahlreicher Stadtstaaten im Nahen Osten und Mittelmeerraum: Um 1200 v. Chr. verschwanden ganze Reiche (z.B. Hethiter), gleichzeitig tauchen aus dem Nichts die sogenannten Seevölker auf. Die Ursachen für diese lokalen und großräumigen Umwälzungen liegen im Dunkeln, eine allgemein anerkannte Erklärung existiert nicht. Ich mache deshalb hier auf die Theorie des Prof. Nur aufmerksam, der eine Serie schwerer Erdbeben für den allgemeinen Niedergang um 1200 v. Chr. verantwortlich macht.

Und genau in „dieser unruhigen Zeit“ wird die Susiana ihm zufolge zu dem Schauplatz, in dem sich „die Vorgeschichte zum Exodus“ entwickelt.

2.5.2 Flüsse in Chuzistan (= Susiana = West-Elam)

Auf (101) „die Flüsse der Region“ geht Bauersachs sehr ausführlich ein, da im Blick auf sie „detaillierte Landschaftsbeschreibungen im Alten Testament … nur auf Chuzistan, aber nicht auf Ägypten zutreffen können“:

Einerseits versorgen sie das Flachland ausreichend mit Wasser, andererseits … bildeten sie deutliche Staatsgrenzen. Chuzistan bzw. die antike Susiana ist nicht auf einen einzigen Fluss angewiesen; Babylonien ist ausschließlich von Euphrat oder Tigris, Ägypten dagegen vom Nil abhängig. Die Flüsse der Susiana wurden aber genauso intensiv für die Bewässerung genutzt.

Die genaue Identifizierung der Flüsse war schon in der Antike nicht immer einfach (S. 102):

Das geringe Flussgefälle in der Susiana führte (wie in Babylonien) immer wieder zu Verlagerungen des Flussbetts. Da Flüsse über zahlreiche Bewässerungskanäle miteinander vernetzt waren, hatte das für die Wassernutzung meist keine so gravierende Bedeutung wie in Babylonien. Die wiederholten Verlagerungen nach Hochwassern richteten damals und noch heute ziemliche Verwirrung an, weil selbst den Einheimischen irgendwann nicht mehr klar ist, um welchen Fluss es sich eigentlich handelt…

Einzelne Flüsse listet Bauersachs nun von Nordwesten nach Südosten auf.

Skizze mit Flüssen in Nord-Chuzistan
Der Verlauf der Flüsse Kerkhe, Diz und Karun im Norden Chuzistans (Karte: Konrad Bauersachs)

Zum (S .103) Kerkhe (Anm. 12: „assyr. Uqnu = Lapislazuli; elamisch Ulai, griechisch Eulaius“) erwähnt er die Quelle „bei Kermanshah im nordwestlichen Zagros“, dass er „nördlich von Dizful das Flachland“ erreicht, „westlich an Susa vorbei nach Süden“ fließt und „sich bei Ahvaz durch die Antiklinale <31> {zwängt}, auf der Abrahams Mescha lag.“ Danach floss er in der Antike nicht wie heute nach Nordwesten, sondern nach Südwesten, und „zwischen den Orten Terach und Ahvaz“ gab es vielleicht

einmal eine (Kanal)-Verbindung zwischen dem Flusssystem des Kerkhe und des Karun, dies könnte auch die chaotischen Beschreibungen des antiken Flusssystems teilweise erklären.

Bauersachs hält (S. 104)

die Wasserstraße, die Susa über den Kerkhe und den Tigris letztendlich mit dem Meer verband, für den antiken Pasi­tigris.

Östlich an Susa vorbei fließt der „im iranischen Norden bei Hamadan“ entspringende Diz („die Elamer und Assyrer nannten ihn Idide, die Griechen Koprates“):

Er erreicht bei Dizful die Ebene… Etwa 50 km oberhalb von Ahvaz mündet der Diz bei Band-e-Qir in den Karun.

Der Karun „ist der wasserreichste Fluss des heutigen Iran“. Er „entspringt im östlichen Zagros-Gebirge bei Isfahan und windet sich über 400 km durch enge, unzugängliche Schluchten, bis er bei Šuštar das Flachland erreicht.“

Bei Šuštar wird ein Teil des Karun zur Bewässerung nach Osten abgeleitet; der Kanal heißt Abi-Gargar und wird gerne mit dem Karun selbst verwechselt, weil er breiter ist; er vereinigt sich weiter flussabwärts wieder mit dem Karun etwa beim Zusammenfluss mit dem Diz. Von dieser Stelle an lassen sich bei Hochwasser im Winter und nach der Schneeschmelze im Frühling die unterschiedlichen Wasserfärbungen über mehrere Kilometer stromabwärts verfolgen. Das Wasser des Diz ist durch mitgerissene Erde dunkel gefärbt, der Abe-Gargar milchig-weiß, weil er zahlreiche Schmelzwasserzuflüsse aus den Bergen hat, der Karun hat von den Hügeln aus rotem Sandstein, die er durchschneidet, eine charakteristische Rotfärbung. Diese Rotfärbung erwähnt auch das Alte Testament, sie wird von allen Übersetzern stets auf den ägyptischen Nil bezogen.

Dazu später im Zusammenhang mit dem Exodus mehr.

Eine Skizze von Chuzistan, auf der die meisten Flüsse erkennbar sind
Der Verlauf der Flüsse Karun, Marun (Unterlauf: Jarrahi) und Hendijan im Süden Chuzistans. Die Flüsse rund um Ramhormuz sind nicht benannt (Karte: Konrad Bauersachs)

Der (S. 105) Marun „entspringt im östlichen Zagros-Gebirge und erreicht bei Behbahan das südöstliche Chuzistan“:

 

Er folgt einem weiten Tal nach Nordwesten, wendet sich kurz vor Ramhormuz nach Südwesten und erreicht durch einen Einschnitt zwischen den Bergrücken des Kuh-e-Schere und des Kuh-e-Behreme bei Ramshir die Tiefebene. … Ähnlich wie der Karun ist der Marun im Frühjahr zur Zeit der Schneeschmelze ein reißender Fluss und bildete deshalb im Altertum eine natürliche Grenze zwischen Susiana und dem elamischen Hochland (später Persis).

Noch weiter südlich passiert der ebenfalls „aus dem östlichen Zagros-Gebirge“ kommende Hendijan

(auch Sarche genannt) … die Wasserscheide der Behbahan-Ebene im Süden, danach zwängt er sich wie der Marun durchs Randgebirge und fließt nach einem Schwenk Richtung Nordwesten schließlich in den Persischen Golf.

2.5.3 Ältere Geschichte Elams und Inzest im Königshaus

Zur ältesten elamischen Geschichte möchte ich nur erwähnen, dass (S. 107) bereits „um 4000 v. Chr. … die spätere elamische Residenzstadt Susa gegründet“ wurde und in

der Blütezeit … die elamischen Könige den Titel „König von Susa und Anšan“ {führten}, wobei Susa das Zentrum im Westen (das heutige Chuzistan) repräsentierte und Anšan den Ostteil in der heutigen Provinz Fars.

Die elamische Sprache „ist mit keiner der altorientalischen Sprachen (z.B. semitisch) verwandt“, es gab in Elam „schon vor der sumerischen Keilschrift die proto-elamische Schrift und eine Silbenschrift“. Auch wurden hier (S. 108)

bereits vor den Sumerern zum ersten Mal im Vorderen Orient überhaupt Stufentempel errichtet. Diese Zikkurats (das Wort stammt aus dem elamischen) sind bautechnisch vergleichbar mit der Stufenpyramide des ägyptischen Pharao Djoser von Sakkara (ca. 2650 v. Chr.).

Da das „Großreich Elam (Susiana mit Anšan) … für Babylonien ein interessanter Rohstofflieferant für Steine und Metalle, aber auch für Holz“ war, wurde es „regelmäßig geplündert.“ Aber (S. 109) um „2000 v. Chr. beendeten … die Hochland-Elamer gemeinsam mit der Bevölkerung der Susiana die Vorherrschaft von Ur“.

Verschiedene Umstände machen es für die elamische Geschichte außerordentlich schwierig, „die Nachfolgeregelungen innerhalb einer Königsfamilie“ zu durchschauen:

Wenn kein Erbe vorhanden war, folgte häufig ein Bruder des Königs auf dem Thron, manchmal war ein Thronfolger vorhanden, dennoch wurde ein anderer auf den Thron gesetzt.

Ein Weg, um die Nachfolge zu sichern oder bestimmte Angehörige zu bevorzugen und zu legitimieren, war Inzest im Königshaus, wobei je nach Verwandtschaftsverhältnis der Eltern das Kind einen anderen Rang einnehmen konnte: Den höchsten Rang nahm ein Kind König-Tochter ein, ein Kind König-Schwester hatte einen etwas niedrigeren Rang, ebenso ein Kind Bruder-Schwester. …

Solche für uns unnatürlichen familiären Beziehungen führen zu absonderlichen Verwandtschaftssystemen, deren Aufklärung im Detail mehr als 3000 Jahre später kaum möglich ist; jede Rekonstruktion einer exakten Königsliste wird dadurch verhindert oder massiv erschwert. Unter solchen Voraussetzungen kann keine eindeutige Zuordnung von Sohn-Bruder-Neffe-Mutter-Tochter zu einem Vater erfolgen, was für die tatsächliche Nachfolgeregelung unabdingbar wäre.

Die Bevölkerung hatte solche Freiheiten sicher nicht, allenfalls genossen die Kleinkönige der Region ähnliche Privilegien. Zweifellos waren diese Familienverhältnisse zumindest gerüchteweise jedem bekannt und sorgten für eine Mischung aus Neid, Ablehnung und Abscheu. Kein Wunder, dass das Alte Testament die Städte Sodom und Gomorrha in der Susiana als exemplarisches Beispiel für alles Widernatürliche und Abartige anführt. Auch das ist wieder ein Hinweis auf die biblischen Schauplätze vor dem Exodus.

2.5.4 Schwierigkeiten der Chronologie elamischer Dynastien

Da (S. 109) die Geschichte Elams eng verbunden ist mit der Geschichte Babyloniens und etwa ab „1400 v. Chr. … zahlreiche Heiraten zwischen kassitischen Prinzessinnen und elamischen Herrschern … dokumentiert“ sind, stellt sich auch die Frage nach der Synchronisation der entsprechenden Daten für die Königshäuser.

In diesem Zusammenhang weicht Bauersachs

von den offiziellen Jahreszahlen nach der Mittleren Chronologie etwas ab… (ca. minus 13 Jahre), um die elamische Geschichte mit der kassitisch-babylonischen Geschichte abzustimmen. Dies ist keine Willkür, sondern muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass in diesem Zeitabschnitt die eng mit Assyrien verknüpfte kassitische Geschichte äußerst unübersichtlich ist. Darüber hinaus ist nicht immer klar, ob unterschiedliche Namen einen einzigen Regenten meinen oder es sich in Wirklichkeit um zwei oder gar drei Herrscher handelt.

Bauersachs ist sich bewusst (S. 110), dass seine „an der Mittleren Chronologie für Babylonien orientierte Datierung“ elamischer Könige

heftigen Widerspruch auslösen {wird}, weil sie zu den Jahresangaben der bei Elamisten populären sehr Kurzen Chronologie bis zu 60 Jahre addiert. Grund für die Verwendung der sehr Kurzen Chronologie ist die scheinbar zeitliche Unvereinbarkeit der Kidinuiden- und Igihalkiden-Dynastie, denn gegen 1200 v. Chr. stimmen diese Jahreszahlen wieder mit der Mittleren Chronologie überein.

Wie ich zeigen werde, ist die Verwendung der zusätzlichen ultrakurzen Chronologie für Elam überhaupt nicht nötig. Den vermuteten direkten Übergang in der Art eines Staffelwechsels von Kidinuiden zu Igihalkiden hat es nie gegeben: Die Dynastien der Kidinuiden haben parallel zu den Igihalkiden regiert und nicht nacheinander! Die identische Situation finden wir in Deutschland: Ein Reich, das in zwei Teile zerfällt und nach vierzig Jahren wieder eine gemeinsame Geschichte hat. Unbestreitbar ermöglicht nur die Mittlere Chronologie für diesen Zeitabschnitt halbwegs korrekte Zuordnungen zwischen elamischen, kassitischen und assyrischen Regenten.

Die Gründe für eine solche Neuordnung der elamischen Chronologie nachzuvollziehen und zu beschreiben, halte ich für den schwierigsten Teil meiner Besprechung des vorliegenden Buches, da ich mich mit der elamischen Geschichte tatsächlich noch nie auseinandergesetzt habe und die Angelegenheit wahrhaftig sehr kompliziert ist.

Dazu müssen wir gemeinsam mit Konrad Bauersachs die beiden bereits genannten elamischen Königshäuser der Kidinuiden und Igihalkiden nun eingehender betrachten.

2.5.4.1 Der Kidinuide Tepti-Ahar = Hurpatila (West-Elam)

Die (S. 110) Dynastie der Kidinuiden trägt ihren Namen nach König Kidinu, der nach den Königen von „Awan und Simaš“ und den „Epartiden … um 1500 … eine neue Dynastie“ begründete. Von diesem Königshaus weiß man nicht sehr viel, nur sein letzter Vertreter ist in unserem Zusammenhang sehr interessant.

Dieser heißt Tepti-Ahar (oder Tempt-ahar), <32> „der zu Beginn seiner Amtszeit zunächst in Susa regierte und sich Mitte des 14. Jahrhunderts als Erbauer von Haft Tepe {dem antiken elamischen Kabnak 10 km südöstlich von Susa} einen Namen gemacht hat.“ Obwohl sich Tepti-Ahar „in alter Tradition König von Susa und Anšan“ nennt, geht Bauersachs davon aus, dass

seine Macht ausschließlich auf die Susiana und westlich davon gelegenen Gebiete beschränkt war. Nur so lässt sich der Übergang von den Kidinuiden zu den Igihalkiden logisch und historisch erklären. <33>

Zur (S. 111) Zerstörung des Ortes Haft Tepe erwägt Bauersachs als Ursache „ein Erdbeben mit nachfolgenden Bränden“:

Haft Tepe liegt auf der gleichen Antiklinale wie Čoga Zanbil, auch dort könnte ein Beben für die Aufgabe der Anlage gesorgt haben. Die Datierung dieses Ereignisses für Haft Tepe macht andererseits einen Zusammenhang mit der Rückeroberung der Susiana durch Kurigalzu II. denkbar: Vermutlich wurde die Stadt im Laufe einer kriegerischen Auseinandersetzung etwa am Ende des 14. Jh. v. Chr. zerstört.

Wenn (S. 112) die Darstellung eines Kopfes aus Haft Tepe, dessen „Gesichtsausdruck … die klassischen Züge eines Schlaganfallpatienten“ aufweist, <34> tatsächlich Tepti-Ahar zeigt,

könnte die massive politische Schwächung Susas auch mit seiner Erkrankung erklärt werden. Tepti-Ahar spielt eine merkwürdige politische Rolle in mehrerlei Hinsicht: Allenfalls zu Beginn seiner Regierungszeit um 1350 v. Chr. dürfte er tatsächlich unabhängiger König von Susa gewesen sein. Um 1344 v. Chr. haben die mächtigen Kassiten unter Burna-Buriaš II. die Susiana mit den angrenzenden Landesteilen annektiert, Tepti-Ahar wurde Gefangener im eigenen Land.

Er durfte wohl mit Billigung der Kassiten die Bauarbeiten an der Tempelanlage Haft Tepe auch nach der Besetzung fortführen, zu heikel und verhängnisvoll wäre ein Baustopp gewesen: Jeder rücksichtslose Umgang mit fremden Gottheiten – und sei es bei einem Tempelbau – hat stets zu Unruhen geführt.

Zur neuen Sicht von Konrad Bauersachs auf die Geschichte Elams gehört auch, dass er mit diesem König Tepti-Ahar einen anderen König identifiziert, nämlich Hurpatila, der in der elamischen Forschung „ein historisches Phantom“ darstellt. Dieser „Hurpatila des ausgehenden 14. Jahrhunderts“ muss gleichzeitig „mit Tepti-Ahar … in Elam (Susiana) … regiert haben“, aber wie soll man folgende Unstimmigkeiten erklären?

Er ist nur aus einer historischen babylonischen Chronik und einer assyrischen Quelle bekannt: Beide berichten über eine Auseinandersetzung, die Hurpatila gegen Kurigalzu II. provoziert hat. Aus Elam selbst, wo er regiert haben soll, ist über Hurpatila nichts verbürgt, außerdem hat er keinen elamischen, sondern einen hurritischen Namen. Allerdings lebten Mitte des 15. Jahrhunderts v. Chr. im Flachland der Susiana hurritische Volksgruppen; ein Großteil der in Haft Tepe gefundenen Siegelungen ist hurritisch-mitannisch. Haben wir es hier also mit zwei auf engstem Raum rivalisierenden Regenten zu tun, von denen einer, Tepti-Ahar, nach altbekanntem Muster alle verfügbaren Unterlagen über seinen Rivalen Hurpatila vernichtete?

Eine solche Umwidmung oder Löschung von Inschriften, die sich „in Steindenkmälern oder Felswänden“ nachweisen ließe, muss in Elam aber eine Vermutung bleiben, weil Texte hier nur „auf Lehmziegeln erhalten“ sind, „die sich einzeln mit neuer Beschriftung austauschen lassen.“

Leichter lassen sich viele sonst schwer verständliche Fakten erklären, wenn man tatsächlich davon ausgeht, dass „Tepti-Ahar und Hurpatila“ schlicht und einfach zwei Namen für dieselbe Person sind. Das erklärt, warum es „in Susa oder Haft Tepe keinerlei Inschriften oder Dokumente eines Regenten Hurpatila“ gibt, denn hier hieß er ja Tepti-Ahar. Dass „Tepti-Ahar im babylonischen und assyrischen ‚Ausland‘ den hurritischen Namen Hurpatila trägt, der seinen Ursprung in der hurritischen Bevölkerung um Haft Tepe hat“, kann ebenfalls einleuchten. Weitere Argumente für eine Identität beider Herrscher werden sich aus den Ergebnissen der Besprechung des Kriegsberichtes aus 1. Mose 14 ergeben.

2.5.4.2 Die Igihalkiden Untaš-Napiriša (zunächst nur Ost-Elam) und Kidin-Hutran III.

Nach traditioneller Sicht (S. 113) soll auf den letzten Vertreter der Kidinuiden-Dynastie die Dynastie der Igihalkiden gefolgt sein, aber nach Bauersachs „kann es keinen harmonischen Übergang gegeben haben“. Sein Originalton:

Die Details zum Machtwechsel zwischen den Kidinuiden und Igihalkiden und der gleichzeitigen Krise im kassitischen Babylon kläre ich im Zusammenhang mit dem biblischen „Kriegsbericht“ weiter unten. Die scheinbar unentwirrbare Zeitspanne in Elam zwischen 1340 und 1332 v. Chr. erhält ein gesichertes Fundament, weil historische Ereignisse in Babylon mit den parallelen Vorgängen in den Nachbarländern Elam und Susiana zu einem überzeugenden Gesamtbild zusammengefügt werden können.

Gegründet wurde „die mächtige Igihalkiden-Dynastie“ im Ostteil Elams mit der Hauptstadt Anšan unter König „Igi-Halki (1400 – 1380) parallel zu den Kidinuiden in Susa“. <35> Durch Inschriften ist belegt, dass er „sein Königtum auf göttlichem Beistand“ gründet,

eine Formulierung, die gerne verwendet wird, wenn ein Herrscher durch einen Staatsstreich an die Macht kommt und keine königlichen Vorfahren zu bieten hat.

Bauersachs vermutet, dass Igi-Halkis „Sohn Attar-Kittah um 1360 in Susa die letzten Kidinuiden“ zunächst nur vorübergehend entmachtete, da „Tepti-Ahar … um 1350 Susa wieder in sein Reich“ eingliederte. Möglicherweise gewann in dieser Zeit die Anlage von Dehno „in Sichtweite von Haft Tepe (25 km entfernt)“ als „langfristige Basis für künftige Unternehmungen“ der „Igihalkiden an Bedeutung“. Dann kommt Bauersachs (S. 114) auf den für unseren Zusammenhang wichtigsten Igihalkiden Untaš-Napiriša:

Igi-Halkis Nachfolger {und Enkel} Humban-Numena (1350-1335) und vor allem {dessen Sohn} Untaš-Napiriša (1335-1295) heben Gesamt-Elam wieder auf die internationale politische Bühne. Mit Untaš-Napiriša entspannte sich auch das Verhältnis zwischen Elam und Babylonien, zahlreiche Heiraten zwischen kassitischen Prinzessinnen und elamischen Herrschern sind nun dokumentiert.

Dieser Untaš-Napiriša war es, der 40 km südöstlich von Susa als neue Hauptstadt seines Reiches Dur-Untaš gründete, das heutige Weltkulturerbe Čoga Zanbil:

Als Untaš-Napiriša seine Herrschaft antrat, beschränkte sich seine Macht hauptsächlich auf Anšan, das elamische Kernland und reichte im Westen zumindest bis an den Gebirgsrand. Hier hatte er mit Dehno inmitten der Susiana sowie mit der Stadt Arjan am Fluss Marun beim heutigen Behbahan und mit Liyan direkt am Persischen Golf sozusagen einen Fuß in der Tür zur Susiana…

Der östliche Gebirgsrand der Susiana und die elamischen Flüsse Karun und Diz wären für das Reich Untaš-Napirišas die natürliche Westgrenze gewesen.

Sein Gegenspieler Tepti-Ahar regierte demgegenüber „in Susa nur über den westlichen Teil Elams“, das heißt, er beherrschte auf

der westlichen Seite der Flussebene … eine Region, die im Nordwesten über die Susiana hinaus die Dehloran-Ebene einbezog und weiter bis etwa Der (heute Badra) in Jamutbal reichte, nach Westen und Südwesten umfasste sie das Schwemmland des Tigris und damit auch Teile des sogenannten Meerlands… Dies waren seit jeher strittige Provinzen, die immer dann von den Kassiten beansprucht wurden, wenn sie stark genug waren, sich gegen Elam zu behaupten. …

Nicht bedacht hatte Tepti-Ahar, dass sich Untaš-Napiriša wie bereits sein Vorgänger Attar-Kittah angelegentlich für die Susiana interessierte. Im Moment wollte er aber einen direkten Angriff vermeiden, um keinen Konflikt mit dem Kassiten heraufzubeschwören. Die politischen Ambitionen und das Vorgehen des Taktikers Untaš-Napiriša gliedere ich aus diesem Kapitel aus und behandle dieses Thema im Zusammenhang mit dem Kriegsbericht…

Außerdem erwähnt Bauersachs (S. 115) noch den letzten Herrscher der Igihalkiden-Dynastie, Kidin-Hutran III.:

Er nutzte den Machtverfall Babylons durch die Wirtschaftskrise und griff, alten Familienbanden zum Trotz, erneut zum Schwert und überfiel wie in früheren Zeiten mehrfach die Kassiten. Zu ärgerlich war für Elam, dass sich gleichzeitig der assyrische König Tukulti-Ninurta I. im geschwächten Nachbarland bediente und Gebiete beanspruchte, auf die Elam schon lange ein Auge geworfen hatte. …

Dieser Kidin-Hutran III. (ca. 1245 – 1220) auf elamischer Seite hatte – anders als manche seiner Vorgänger – mit dem Errichten von Tempeln wenig im Sinn; wir wissen, dass er ein fleißiger Krieger war.

Seine Regierungszeit überschnitt kurz sich mit der des babylonischen Adad-Šuma-Usur, einem Sohn des Kaštiliaš IV., danach verschwand Kidin-Hutran III. völlig überraschend sang- und klanglos.

Warum Kidin-Hutran III. so ohne jede Nachricht von der historischen Bildfläche verschwunden zu sein scheint und (S. 116) „warum in Elam die Zeugnisse für die Zeit von etwa 1220 bis 1210 v. Chr. so dürftig sind“, dazu wird Konrad Bauersachs im Zusammenhang mit dem „Pharao“ des Exodus eine sehr interessante Theorie vorschlagen.

3. Abraham und seine Sippe in Babylonien und Elam

Nachdem nunmehr Babylonien und Elam als die wahren Schauplätze biblischer Erzählungen von der Patriarchenzeit bis zum biblischen Exodus beschrieben und auch wichtige historische Gestalten aus ihrer Zeit vorgestellt worden sind, kann der Vorhang sich heben, so dass wir prüfen können, ob sich auf dieser Bühne tatsächlich historische Ereignisse abgespielt haben, die in den zunächst lange Zeit mündlich weitergegebenen Traditionen der Bibel ihre Spuren hinterlassen haben, indem sie dort zu einem Drama in mehreren Akten zusammengefügt wurden.

3.1 Die biblischen Erzeltern sind nicht die Vorfahren des historischen Volkes Israel

Der erste Akt dieses Dramas (S. 59) betrifft die so genannten Erzväter des Volkes Israel, Abraham, Isaak und Jakob. Konrad Bauersachs stellt von vornherein klar, dass sich seine historische Theorie auf die Gestalt des Abraham konzentriert, der sich „durch seine Einbindung in den ‚Kriegsbericht‘ 1. Mose 14 ins ausgehende 14. Jahrhundert einordnen“ lässt. Demgegenüber hält er die „zwölf Söhne Jakobs und die daraus hergeleiteten zwölf Stämme Israels“ für „ein Produkt der Niederschrift“ des Alten Testaments:

Die Patriarchen haben mit Israel definitiv keine gemeinsamen Wurzeln; das Volk der Israeliten als Nachfahren Abrahams hat es nach biblischem Verständnis nie gegeben.

Die Formulierung „nach biblischem Verständnis“ klingt an dieser Stelle des zuletzt zitierten Halbsatzes ein wenig missverständlich, da die Bibel ja in 2. Mose 3,14-15 den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs mit JHWH gleichsetzt und im 1. Buch Mose das Werden des späteren Volkes Israel inmitten der Völker beschreibt. Tatsächlich meint Bauersachs, dass es das „nach biblischem Verständnis“ mit den „Nachfahren Abrahams“ identifizierte „Volk der Israeliten“ in Wirklichkeit historisch so niemals gegeben hat (S. 12):

Das „Volk Israel“, das von Abraham abstammen soll und angeblich aus ägyptischer Gefangenschaft in das Gelobte Land geflohen ist, hat nicht das Geringste mit dem historischen Volk Israel zu tun, das auf der historischen Merenptah-Stele <36> („Israel-Stele“) erwähnt wird.

Aus diesem Grund bezeichnet er

Abrahams Nachfahren bis zum Exodus stets als „Volk Israel“ (mit Gänsefüßchen) …, danach wird daraus die Exodus-Gruppe. Deren Mitglieder verteilen sich nach dem Erreichen des „Gelobten Lands“ in Transjordanien und werden Teil des moabitischen Volkes. Erst nach dem Zusammenbruch des Nordreiches Israel finden beide Volksgruppen zusammen…

Das heißt: Erst nachträglich (S. 62) wurde „eine Familiensaga“ der biblischen Patriarchen „aus mündlichen Überlieferungen und wichtigen historischen Ereignissen konstruiert“, wobei man „mit der geschichtlichen Realität und der Zuordnung zu einzelnen Persönlichkeiten sehr freizügig“ umging. Indem diese weiterhin mit den Exodus-Traditionen zusammen auf Israel bezogen wurden, entstand – erst nach dem Untergang des Nordreichs Israel – die biblische Vorstellung,

  • dass die Nachfahren Abrahams in „Ägypten“ zum erwählten Volk Israel heranwuchsen (nach 2. Mose 4,22 als Gottes „erstgeborener Sohn“),
  • aus dem nach Exodus, Wüstenwanderung und Richterzeit unter David ein Israel und Juda umfassendes Großreich in Palästina wurde,
  • das aber nach Salomo wieder in zwei Staaten, Israel und Juda, auseinanderfiel.

3.2 Kleinviehnomadentum als Lebensform der Sippe Abrahams

Es geht also Bauersachs nicht darum, alle biblischen Berichte als wortwörtlich wahr zu erweisen, sondern nur für bestimmte Erzählstränge einen historischen Hintergrund aufzuspüren. Er ist nicht einmal daran interessiert (S. 59), ob „es eine historische Person namens Abraham tatsächlich gegeben hat oder nicht“, sondern lediglich an der historischen Einordnung der mit Abraham verbundenen geographischen Gegebenheiten und historischen Ereignisse.

Eindeutig geht aus den biblischen Erzählungen hervor (S. 60), dass die Erzväter „Kleinviehnomaden“ waren, die „ihre Tagesetappen bei den Wanderungen mit Schaf- und Ziegenherden nach den vorhandenen Wasserstellen“ richteten:

Die Normalform solcher Wanderungen war der jahreszeitliche Weidewechsel, der regelmäßig zu Kontakten mit der sesshaften Bevölkerung führte; dabei wurde Käse, Felle und Wolle gegen Mehl und Haushaltsgegenstände getauscht. Neben dem saisonalen Weidewechsel waren Überweidung, Klimaveränderung und Wassermangel häufig Ursache für weiträumige Wanderungen, gelegentlich wurden schwächere Stämme durch stärkere verdrängt.

Schon „im jahreszeitlichen Rhythmus“ konnten „Entfernungen bis zu 1000 km zurückgelegt“ werden.

Diese Nomaden waren im Gegensatz zu Sesshaften „nie am Landerwerb interessiert.“ Sie „plünderten“ zwar gelegentlich die wohlhabenden Siedlungen, sahen sich aber lediglich aus Anlass von „Notzeiten gezwungen, sich als Arbeiter zu verdingen“ oder „als Söldner“ anwerben zu lassen „mit der Aussicht, ein Stück Land zu erhalten.“ Daraus folgt auch (S. 62):

Die fiktive Person Abraham und seine Nachkommen wurden sehr geschickt in reale Vorkommnisse eingearbeitet, in die sie wohl nie direkt verwickelt waren. Nomaden sind üblicherweise an Politik nicht sehr interessiert: Wenn ihnen etwas nicht passt, packen sie den Hausrat zusammen und ziehen mit ihren Herden weiter. Trotzdem waren ihnen zweifellos wichtige regionale Vorfälle bekannt oder sie wurden ungewollt in Ereignisse hineingezogen, die dann auch langfristig mündlich weitergegeben wurden. Solche Überlieferungen müssen natürlich mit großer Vorsicht interpretiert und auf den wahren Kern hin untersucht werden.

Zu den (S. 60) „gesellschaftlichen Strukturen“ der Nomadenstämme erwähnt Bauersachs, dass sie „patriarchalisch“ organisiert sind: „An der Spitze einer Großfamilie oder Stammes stand damals wie heute ein Scheich (arab. ‚Ältester‘).“ Da „Viehherden, der einzige Reichtum der Nomaden, … durch Trockenheit, Überfälle oder Raubtiere schnell verlorengehen“ können, „war die Ahnenreihe in der männlichen Linie so wichtig wie materieller Besitz. Familienbande wurden durch Eheschließungen“ – oft zwischen „Cousine und Cousins“ – „noch enger geknüpft, wobei vor allem auf Stand und Abstammung geachtet wurde. Daneben war bei Mädchen sehr wichtig, dass diese nicht in fremde Familien einheirateten.“ Es ist offensichtlich, dass im 1. Buch Mose gerade auf Abstammungslisten großer Wert gelegt wird und immer wieder von Heiraten im engeren Familienverband die Rede ist.

Auch wenn einzelne Familien sich zerstritten haben, helfen sie sich bei gemeinsamen Ahnen gegen jeden Feind. Als Beispiel des Alten Testaments mag der Einsatz Abrahams und seiner Knechte dienen, die Lot aus der Hand der Soldaten befreien (1. Mose 14,15), obwohl sich Abraham und Lot vorher wegen der Weidegründe ihrer Herden im Streit getrennt hatten.

3.3 Abrahams Lebenslauf mit dem historischen Festpunkt im Jahr 1332 v. Chr.

Die Bibel zählt den Erzvater Abraham (S. 59) gemäß der „Völkertafel“ in 1. Mose 11,10 zu den Semiten, die von Noahs Sohn Sem abstammen und zu denen „u.a. die Elamer (oder Elamiter), Assyrer, Babylonier und Aramäer“ zählen, deren „Siedlungsgebiet … von Westanatolien bis Persien und von Armenien bis zum Roten Meer“ reicht.

Ein Versuch von Konrad Bauersachs (S. 67), „Abrahams Lebensdaten“ annäherungsweise zusammenzustellen, geht davon aus (S. 63), dass sich „mit dem biblischen Abraham und seinen Nachfahren … mindestens zwei historisch dokumentierte Festpunkte eindeutig verknüpfen“ lassen, die „im Raum Babylon/Elam vorgefallen“ sind:

Das erste Ereignis ist der biblische „Kriegsbericht“ (1. Mose 14, 1), der sich mit einer Genauigkeit im Bereich von etwa 2-3 Jahren fixieren lässt.

In seiner Liste (S. 67) setzt er diesen Krieg im Jahr 1332 v. Chr. an.

Das zweite Ereignis betrifft (S. 64) die „realen Daten der Josefsgeschichte“, von denen ausgehend Bauersachs „einen Exodus um 1220 v. Chr.“ berechnet; aber dazu später (siehe Kapitel 4).

Im einzelnen verfolge ich die Rekonstruktion der Biographie Abrahams und seiner Nachkommen hier nicht nach, da ich es für müßig halte, aus den übersteigerten Altersangaben der Bibel belastbare Schlüsse zu ziehen – und zwar weder in der einen noch in der anderen Richtung. Dazu nur einige wenige Bemerkungen:

Dass Abraham und Sara erst in hohem Alter den von Gott verheißenen Träger seines Segens geschenkt bekommen, und zwar ausdrücklich, ohne dabei Abrahams Zeugungskraft ursächlich zu erwähnen, kann schon deswegen nicht als historische Aussage verstanden werden, weil die biblischen Autoren die Geburt des geliebten, erstgeborenen Sohnes als Inbegriff der Erwählung des Volkes Israel auf ein wunderbares Handeln JHWHs zurückführten, das menschlicher (insbesondere männlicher!) Verfügungsgewalt entzogen war. <37>

Mit einigem Recht will Bauersachs annehmen, dass Abraham zur Zeit des in 1. Mose 14 dokumentierten Krieges „um 1332 v. Chr.“ vielleicht an die 70 Jahre alt war, denn „er muss als Herr über 300 Knechte sehr wohlhabend gewesen sein, dazu braucht es ein reifes Alter“.

Die Schlussfolgerung, dass Mose keineswegs ein Nachkomme Abrahams gewesen sein kann, geht in meinen Augen zu weit, wenn sie ausschließlich auf den hohen Altersangaben und den genealogischen Angaben der Bibel aufgebaut wird (S. 66):

Das zentrale Problem des Lebenslaufs verursacht Abrahams Urenkel Levi, ein Sohn Jakobs: Aus dieser Linie stammt angeblich Mose, der als 80-jähriger die Exodus-Gruppe ins Gelobte Land geführt haben soll. Bei einem Exodus etwa 1220 v. Chr. hätte Moses Geburtsjahr um 1300 liegen müssen. Zu diesem Zeitpunkt war sein Großvater Levi noch gar nicht geboren, geschweige denn dessen Tochter Jochebed, die als Mutter Moses genannt wird. Für Aaron, den älteren Bruder Moses, gilt natürlich das Gleiche.

Natürlich hat diese biblische Konstruktion der Lebensläufe nichts mit einer historischen Aussageabsicht zu tun; stattdessen soll die Kontinuität der Abstammung des Volkes Israel über den nach 2. Mose 12,40 „vierhundertdreißig Jahre“ andauernden Zeitraum des Aufenthalts der „Israeliten in Ägypten“ gewährleistet werden. Und das ist gemäß 2. Mose 6,16-20 – wenn ich richtig gerechnet habe – nur dann vorstellbar, wenn Levi eben 137 Jahre alt wurde, sein Sohn Kehat 133 und sein Enkel Amram 137 – und wenn alle diese Männer erst im Alter von über 100 Jahren ihren ersten Sohn gezeugt hätten. Dabei wäre Levi über seinen Sohn Kehat sogar der Urgroßvater von Mose und Aaron gewesen und nur über seine Tochter Jochebed ihr Großvater. Da die Generationenfolge über Jochebed demzufolge sogar noch um ein Glied kürzer ausfällt, hätte sie bei Moses Geburt bereits 250 Jahre alt gewesen sein müssen. Eine solche Genealogie ist historisch also mit Sicherheit unzutreffend.

Umgekehrt aber kann dadurch auch nicht die völlige Unmöglichkeit der Abstammung einer historischen Gestalt des Mose von einem historischen Abraham bewiesen werden. Es lässt sich schlicht nichts Gewisses darüber aussagen.

Auch (S. 67) aus dem biblischen Alter von 110 Jahren, das in 1. Mose 50,22.26 für Josef angegeben wird, kann man keinesfalls irgendwelche historischen Schlüsse ziehen.

Auf die Wiedergabe der Tabelle von „Abrahams Lebensdaten“ verzichte ich daher, um nicht den Eindruck zu erwecken, es sei überhaupt möglich, auch nur annäherungsweise eine historische Biographie Abrahams zu erstellen. Auf belastbare historische Daten werde ich im Folgenden von Fall zu Fall zurückkommen.

3.4 Abrahams Heimat in Jamutbal zwischen Seferani und der Hügellandschaft Kuh-e-Mish Dagh

Zur (S. 68) Heimat der „Vorfahren Abrahams“ schreibt Konrad Bauersachs, dass sie „aus ihrer Gebirgsheimat nach Westen“ wanderten und sich „im Land Schinar, der Region Babylonien“, niederließen. Dazu verweist er auf den Vers 1. Mose 10,30 in der so genannten „Völkertafel“, der die Aufzählung der Nachkommen des Noah-Sohnes Sems, also der semitischen Völker, abschließt:

30 Und ihre Wohnsitze sind von Mescha bis nach Sefar hin, bis an das Gebirge des Ostens.

Zwar ist die Angabe, dass die Semiten sich „im Land Schinar“ niederließen, nicht korrekt; diese Angabe in der Völkertafel bezieht sich in 1. Mose 10,6-12 vielmehr auf den Hamiten Nimrod (der über seinen Vater Kusch auf den Noah-Sohn Ham zurückgeführt und als erster Gewaltherrscher „im Lande Schinar“ und in Assur bezeichnet wird). Ebenso ist nirgends in der Bibel von der Herkunft der Semiten aus einer „Gebirgsheimat“ die Rede. Woher die Vorfahren Abrahams kamen, können wir also nicht sagen.

Skizze des Jamutbal, in dem die Wanderungen Abrahams und Jakobs stattfanden
Der Jamutbal zwischen dem Tigris und dem Zagros-Gebirge (Karte: Konrad Bauersachs)

Dennoch halte ich es für durchaus begründet, die Ortsangaben in der eben genannten Stelle 1. Mose 10,30 auf die Landschaft zu beziehen, die zwischen dem Tigris im Westen und dem Zagros-Gebirge im Osten liegt und Jamutbal genannt wird (S. 69):

Das ebene südliche Zweistromland endet im Osten an der hohen Gebirgskette des Zagros-Gebirges.

Aus diesem Gebirge fließen zahlreiche Flüsse und Bäche, die den naheliegenden Tigris fast nie erreichen, meist versickern sie vorher. In diesem Gebiet finden sich wüstenähnliche Landschaften, Salzmarschen und Steppen, darin eingebettet auch zahlreiche Oasen und Wasserstellen. Die Region heißt Jamutbal und ist für den Weidebetrieb optimal geeignet; hier gibt es zahlreiche Brunnen, die kleinen Gruppen das Überleben in der kargen Umgebung ermöglichen.

Jamutbal war eine wichtige Grenzregion zwischen Babylonien im Westen, Assyrien im Norden sowie Elam im Osten. Sie profitierte einerseits vom Handel, litt aber andererseits regelmäßig unter den Auseinandersetzungen der Anrainerstaaten. In Kriegszeiten war Jamutbal stets Durchzugsgebiet der Heere, die die Bequemlichkeit der Karawanenstraße nutzten. Vom Ort Der Badra ausgehend führt heute noch eine Verbindung über die Dehloran-Ebene nach Dizful im Norden Chuzistans.

Diese Landschaft des Jamutbal wird nun nicht nur buchstäblich im Nordosten vom Zagros-Gebirge begrenzt, sondern zieht sich an diesem Gebirge entlang von der Gegend um Mandali (die Bauer­sachs mit dem biblischen Haran in Verbindung bringen wird) von Nordwesten nach Südosten bis hin zur „Hügellandschaft Kuh-e-Mish Dagh“, <38> in deren Namen man das biblische MeŠaˀ = Mescha wiedererkennen kann; auch in der Bezeichnung „der heutigen Provinz Maisan“ im „Grenzgebiet Jamutbal zwischen Irak und Iran“ könnte eine Erinnerung an Mescha erhalten sein.

Für die südöstliche Begrenzung der Heimat Abrahams gerade an dieser Stelle spricht der Umstand, dass die „weiter östlich gelegenen Flussebenen der Susiana … dicht besiedelt {waren} und … Kleinviehnomaden keine Heimat“ boten.

Die Heimat der Vorfahren Abrahams bleibt nach 1. Mose 10,30 aber auf die südöstliche Hälfte des Jamutbal beschränkt; die nordwestliche Grenze bildet der dort genannte Ort SɘPhaR = Sefar, der etwa 70 km östlich von der irakischen Stadt Badra aufzufinden ist und heute Seferani heißt.

Diese Lokalisierung wird nach Bauersachs dadurch gestützt (S. 70), dass man ausgerechnet „in Jamutbal und Elam, dem heutigen Chuzistan“ Ortschaften findet, deren Namen auf Ahnherren semitischer Völker in 1. Mose 10 und 11 verweisen:

Noch heute heißt eine Ortschaft am Südrand des Berges Kuh-e-Mish Dagh direkt am Fluss Kerkhe Terach, eine weitere Ortschaft am Nordrand der Hügel und am gleichen Fluss gelegen heißt Eber. Terach war der Vater Abrahams, Eber ist der biblische Ahnherr verschiedener semitischer Völker, wie die Ahnentafel zeigt.

Dass die Bevölkerung dieser Gegend als Moslems „auch einige der biblischen Figuren (z.B. Abraham und Mose)“ verehren, was sich „- besonders bei Mose – in zahlreichen Ortsnamen“ widerspiegelt, betrifft sicher „nicht die Vorväter wie Terach oder gar Eber“. Unwahrscheinlich erscheint es auch, dass „jüdisch-stämmige Exilanten aus Babylonien ihren unfreiwilligen Wohnorten Namen der Patriarchen Terach und Eber gegeben haben könnten“.

An der Völkertafel in 1. Mose 10 ist mir übrigens noch aufgefallen, dass für Japhet und Ham ein viel weiträumigerer Umkreis von Ländern aufgeführt wird, in denen die von ihnen abstammenden Völker leben. So ist Japhet nach Vers 5 unter anderem der Ahnherr der „Völker der Inseln“, die möglicherweise weit im Norden, vielleicht im Mittelmeer, zu suchen sind. Interessanter für unseren Zusammenhang sind aber die Hamiten. Dessen Enkel Nimrod ist nach den Versen 8 bis 12 der Begründer der babylonischen und assyrischen Reiche. Und Hams Sohn Kanaan ist nach Vers 15-19 der Stammvater derjenigen Völker, die nach der Bibel dem „Volk Israel“ später im Gelobten Land entgegenstehen werden. <39>

Demgegenüber fällt auf, dass für die Semiten lediglich ein eng begrenztes, für Kleinviehnomaden geeignetes Siedlungsgebiet am südöstlichen Rand Mesopotamiens genannt wird. Das könnte dafür sprechen, dass in diesem Vers 1. Mose 10,30 tatsächlich eine sehr alte Erinnerung nomadisch lebender Stämme aufbewahrt worden ist.

3.5 Die Wanderungen Abrahams und seines Vaters Terach

Um (S. 70) die Wanderungen Abrahams, die „relativ arm an geographischen Hinweisen“ beschrieben werden, richtig zu verorten, behandelt Konrad Bauersachs zugleich auch die Wanderungen seines Enkels Jakob, der nach „dem alttestamentlichen Text … im heutigen Israel die gleiche Region“ durchwandert,

die bereits Abraham erreicht haben soll. Hier erkennt der Leser das bereits erwähnte Rätsel der Europareise in den USA:

Die Bibel erzählt, dass Abraham zusammen mit seinem Vater Terach, seiner Frau Sara und seinem Neffen Lot aus Ur fortzieht, um nach Kanaan zu wandern. Dabei erreichen sie zunächst Haran (an der heutigen syrisch-türkischen Grenze), wo viele Karawanenstraßen zusammenlaufen. In Haran kommt Abraham zu großem Wohlstand und zieht auf Gottes Geheiß weiter über Damaskus nach Kanaan. Hier lebt er vorübergehend in Sichem, danach in der Gegend um Bethel und Ai und zieht dann weiter ins Südland. Eine Hungersnot treibt ihn nach Ägypten, wo er seine Frau Sara dem Pharao gegenüber als seine Schwester ausgibt. Abraham kehrt dann ins Südland zurück und trennt sich von Lot, der sich für das fruchtbare Jordantal bei Sodom und Gomorrha entscheidet; Abraham dagegen lässt sich in Mamre bei Hebron im judäischen Bergland nieder.

Abrahams Sohn Isaak heiratet später „Labans Schwester Rebekka…, die aus Haran stammt.“ Deren Sohn Jakob wiederum flieht nach seinem Betrug an „Esau um das Erstgeburtsrecht … vor Esaus Rache zu Laban nach Haran“, von wo aus er nach 20 Jahren nach einem Streit mit seinem Schwiegervater Laban „zurück in seine alte Heimat“ flieht.

Bauersachs begründet nun im einzelnen seine Behauptung:

Die Wanderungen Abrahams und auch die Flucht bzw. Wanderung Jakobs können sich nur in Jamutbal bzw. im angrenzenden Chuzistan zugetragen haben.

Betrachten wir zunächst die Wanderungen Abrahams und seiner Familie, die zu Beginn auch noch seinen Vater Terach einschließen.

3.5.1 War Ur Abrahams Heimat – und wenn ja, welches?

Aber spricht gegen die Verortung Abrahams in Jamutbal nicht die eindeutige Aussage der Bibel über seinen Vater Terach in 1. Mose 11,28, dass das „Land seiner Verwandtschaft in Ur der Chaldäer“ (so die Elberfelder Bibel 2006) zu finden ist?

Nach Bauersachs (S. 68) kann es sich dabei nur um einen Versuch handeln, „den Patriarchen Abraham … rückblickend mit Ur und seiner alten Kultur zu verbinden“:

Ur war damals selbst für heutige Verhältnisse eine Großstadt, die aber in unmittelbarer Umgebung einem Nomaden wie Abraham keine Heimat bot. Allerdings hatte Ur bereits zu Abrahams Lebzeiten (ab 1400 v. Chr.) jede Bedeutung verloren; Zweifel an der biblischen Schilderung kommen auch deswegen auf, weil „Ur in Chaldäa“ ein klassischer Anachronismus ist. Zu Abrahams Zeiten gab es diese griechisch-römische Bezeichnung für Babylon noch nicht, die Chaldäer als aramäische Volksgruppe erscheinen erst nach 900 v. Chr. in Babylonien und errichten um 626 v. Chr. das letzte babylonische Großreich. Trotzdem müssen nicht alle Fakten zum Zeitabschnitt zwischen Patriarchen und dem Königtum in Israel ebenso geschönt oder erfunden sein.

Vergleichsskizze: Abrahams Wanderungen von Ur nach Kanaan oder im Jamutbal
Wo fanden Abrahams Wanderungen wirklich statt? (Karte: Konrad Bauersachs)

Immerhin macht die Erwähnung von Ur deutlich, dass noch die spätere Niederschrift der Bibel die Herkunft Abrahams durchaus mit dem Süden Mesopotamien verbindet. Verwundert hatte mich allerdings schon immer die Vorstellung, dass nach 1. Mose 11,31 Abraham mit seinem Vater Terach schon, bevor er die Stimme Gottes hörte, eine über 1000 km weite Wanderung von Ur am Persischen Golf bis nach Haran an der Südgrenze der heutigen Türkei unternommen haben soll, und zwar ausdrücklich, um nach Kanaan zu ziehen, das wiederum nochmals mindestens 500 km weiter im Süden liegt. Ebenso fragt sich auch Bauersachs (S. 72):

Gesetzt … den Fall, Abraham hätte tatsächlich bei Ur im südlichen Mesopotamien gelebt und in der Not diese Heimat mit dem Ziel Kanaan verlassen müssen:

Warum sollte er einen beschwerlichen und gefahrvollen Umweg von rund 1000 km nach Haran auf sich nehmen? Er hätte doch auf den üblichen Karawanenwegen direkt nach Kanaan ins heutige Israel wandern können!

Und wenn Abraham etwa auf Grund einer Hungersnot aus Jamutbal zunächst „in die Umgebung der Großstadt Ur“ hätte ziehen wollen, dann hätte er sowohl den Tigris als auch den Euphrat überqueren müssen und sowohl „auf dieser riskanten Wanderung“ als auch durch „die hungernden Stadtbewohner“ sowohl um seine Tiere als auch „um sein Leben fürchten müssen.“

Ich möchte allerdings noch eine andere Möglichkeit zur Diskussion stellen. Am nördlichen Stadtrand der heutigen Stadt Bagdad gibt es – wenige Kilometer vom Tigris entfernt – ebenfalls einen Ort Ur, der vielleicht eher als Ursprungsort der Wanderungen der Familie Terachs in Frage kommt. Sich von hier aus zunächst etwa 100 km Luftlinie in Richtung Osten nach Harran (Mandali) im Nordwesten der Landschaft Jamutbal aufzumachen, um von dort aus später auf einem etwa 200 km langen Weg Kanaan (Chananeh) im südöstlichen Ende Jamutbals zu erreichen, erscheint mir jedenfalls nicht als eine völlig widersinnige Reiseplanung.

3.5.2 Harran in Jamutbal als erstes Ziel von Terachs Familie

Wie dem auch sei, dass Abraham mit seinem Vater Terach nach „Haran“ in der heutigen Türkei gezogen sein soll, schließt Bauer­sachs ebenso aus wie den Ausgangspunkt dieser Wanderung bei der Großstadt Ur, denn „Haran liegt inmitten einer sehr fruchtbaren Lößebene“, und die „große Fruchtbarkeit der Gegend spricht dagegen, dass sich der Nomade Abraham mit seinen Herden hier ungestört niedergelassen haben könnte.“

Darum sucht und findet Bauersachs das Haran Abrahams woanders. „Abrahams Sippe durchzog im Rahmen des regelmäßigen Weidewechsels über Jahrhunderte die Heimat Jamutbal im Osttigrisland“, und zwar bis hin zum Nordwesten dieser Region. Dort

verlässt der Fluss Harran das Zagros-Gebirge und erreicht die Tigrisebene. Dieser Fluss und seine Umgebung war das Ziel Abrahams, heute liegt der irakische Ort Mandali im Zentrum dieser Gegend; nach einer Stadt Harran oder deren Ruinen in dieser Region zu suchen wäre Aufgabe von Archäologen. Oberflächenuntersuchungen <40> im Umland von Mandali haben gezeigt, die Umgebung in prähistorischer Zeit dicht besiedelt war. Entlang der Zagros-Ausläufer bis nach Badra boten zahlreiche Flüsse der Landwirtschaft und Tierhaltung optimale Bedingungen.

Auch die Entfernung zum ursprünglichen Siedlungsgebiet zwischen Seferani und Mescha/Kuh-e-Mish Dagh macht dieses Harran glaubhaft…

Dem stimme ich zu – gebe aber, wie gesagt, zu bedenken, dass auch Ur bei Bagdad als Ausgangsort der Reise nach Harran vorstellbar ist.

Zusätzlich macht Bauersachs „in der unmittelbaren Umgebung“ von Harran auf „weitere Ortsbezeichnungen“ aufmerksam, „die im Alten Testament immer wieder vorkommen“. So denkt er bei der „Hügelregion um die heutige Stadt Čilat“ ca. 15 km nordöstlich von Ali Al-Gharbi an das „Gebirge Gilead (1. Mose 31,23)“ und beim heutigen Ortsnamen Mirzabad (bzw. Namen des Flusses Nahr Mirzabad) in der Nähe von Badra an den „Platz Mizpa“, wo „Laban und Jakob ein Steinmal errichten (1. Mose 31,49)“.

3.5.3 Auch Chananeh = Kanaan findet sich im Jamutbal

Nun macht sich ja nach 1. Mose 11,31 Terachs Familie von Ur aus auf, „um ins Land Kanaan zu ziehen“. Tatsächlich bleibt sie stattdessen zunächst in Harran, von wo aus sich nach 1. Mose 12,5 dann Abrahams Sippe wirklich nach Kanaan aufmacht.

Dagegen, dass die Leute Abrahams diese erneute Wanderung nicht wirklich vom türkischen Haran aus unternahmen, spricht nach Bauersachs auch (S. 75), dass die biblische Niederschrift auf den „rund 650 km Luftlinie“, die von „Haran/Türkei bis nach Bethel/Palästina“ zurückzulegen sind, „Abraham … kein einziges Abenteuer bestehen lässt: „Sie schreibt nichts von einer Euphratüberquerung, nichts über Wüstensteppen und Gebirge und nichts über den Fluss Jordan, das letzte ernsthafte Hindernis.“

Aber wo liegt das Kanaan, das Abraham zu erreichen sucht, wirklich, wenn er nicht das 1000 km weit im Westen liegende Kanaan in Palästina auf einem 2000 km weiten Umweg über das türkische Haran aufgesucht hat? Bauersachs weist dazu pauschal auf „Ortsnamen wie Harran, Kanan, Chanane, Saicha und Chanán … im Grenzgebiet des heutigen Irak/Iran“ hin.

Skizze von Abrahams Heimat am Bergrücken Kuh-e-Mish-Dagh = Mescha
Der Bergrücken Kuh-e-Mish-Dagh am östlichen Ende des Jamutbal, westlich von Chuzistan (Karte: Konrad Bauersachs)

Tatsächlich gibt es einen Ort Chananeh im Jamutbal, in dem man wohl am besten das biblische Kanaan (hebräisch: KɘNaˁAn) wiedererkennen kann, und zwar genau dort, im Norden des Kuh-e-Mish Dagh, wo diese Landschaft im Südosten endet. Chananeh liegt 30 km entfernt von Susa, der Hauptstadt Elams. <41>

Vorstellbar ist also, dass „Abraham auf der Suche nach geeigneten Weidegründen von Harran/Mandali durch die flache Steppenlandschaft Jamutbals nach Südosten“ gezogen ist, rund 300 km weit, wobei sich (S. 76) links „hinter einer Hügelkette das Zagros-Gebirge“ erhebt und rechts „die Tigrisebene“ liegt, bis er schließlich das andere Ende des Jamutbal bei Chananeh erreichte.

3.5.4 Ist die elamische Stadt Susa das Sichem Abrahams und Elam sein verheißenes Gelobtes Land?

Unmittelbar nachdem Abrahams Sippe in Kanaan angekommen ist, beschreibt die Bibel in 1. Mose 12,5-7, dass Abraham weitere Erkundungen in der Umgebung unternimmt:

5 … und sie kamen in das Land Kanaan.

6 Und Abram durchzog das Land bis zur Stätte von Sichem, bis zur Terebinthe More. Damals waren die Kanaaniter im Land.

7 Und der HERR erschien dem Abram und sprach: Deinen Nachkommen will ich dieses Land geben. Und er baute dort dem HERRN, der ihm erschienen war, einen Altar.

Wenn mit Kanaan tatsächlich der Ort Chananeh gemeint ist, dann könnte sich vielleicht hinter der Stadt Sichem die elamische Hauptstadt Susa (persisch Šuš) verbergen, die wenige Kilometer entfernt vom südöstlichen Ende der Jamutbal-Steppe in der fruchtbaren Schwemmlandebene lag und für die Kleinviehnomaden möglicherweise das (derzeit unerreichbare) Land ihrer Träume darstellte. Allerdings „weiß“ natürlich die Bibel (jedenfalls in ihren späten Büchern Esra, Nehemia, Ester und Daniel), dass Susa auf Hebräisch ŠUšaN heißt. Unmöglich ist es allerdings nicht, dass mündlich überlieferte Erzählungen aus der Exodus-Gruppe sich unter einem anders erinnerten Namen auf dieselbe Stadt bezogen haben können.

Diese Verse übergeht Konrad Bauersachs in seinem Buch, vielleicht deswegen, weil er Sichem später im Zusammenhang der Wanderungen Jakobs mit einem Ort Saicha bei Badra gleichsetzen wird, der sich in den Zusammenhang der Wanderung Abrahams an dieser Stelle nicht gut einfügen würde. Auch dazu gilt, dass die Niederschrift der Bibel durchaus zwei verschiedene, aberähnlich klingende Ortsnamen aus der mündlichen Überlieferung mit ein- und demselben Ort in Palästina verbunden haben könnte.

3.5.5 Bethel und Ai sind Badal und Hai – westlich und östlich des Bergrückens Kuh-e-Mish Dagh

Unmittelbar auf die von mir zitierten Verse folgt 1. Mose 12,8:

8 Und er {Abraham} brach von dort auf zu dem Gebirge östlich von Bethel und schlug sein Zelt auf, Bethel im Westen und Ai im Osten, und er baute dort dem HERRN einen Altar und rief den Namen des HERRN an.

9 Dann brach Abram auf und zog immer weiter nach Süden.

Wieder weigert sich Bauersachs (S. 75), die hier genannten Orte Bethel und Ai auf die „heutigen Orte Bethel und Ai in Palästina“ zu beziehen. Diese „sind zwar in eine Hügellandschaft eingebettet, ein Gebirge, das Bethel von Ai deutlich trennt, wie in 1. Mose 12,8 beschrieben, gibt es allerdings nicht.“

Skizze der Landschaft zwischen Badal und Ha'i
(Karte: Konrad Bauersachs)

Ein solches Gebirge liegt aber im Südosten des Jamutbal (S. 76), denn hier ragt der uns bereits bekannte

von SO nach NW verlaufende Bergrücken Kuh-e-Mish Dagh, 176 m hoch, … aus der Wüstensteppe empor… und {trennt} die Tigrisebene von Flachland der Susiana… Östlich des Berglands liegt heute noch am Fluss Kerkhe die Stadt al Ha’i.

Der Ort Bethel = BeJTh-ˀEL hätte dann auf der Westseite des Bergrückens Kuh-e-Mish Dagh gelegen und könnte entweder das heutige Badal östlich (15 km) von el Amara oder der Ort el Baida nördlich (40 km) von Qurna am Tigris sein. Die heutige Landschaft um diese beiden möglichen biblischen „Bethel“ in Jamutbal mit ausgedehnten Sümpfen und Süßwasserseen darf nicht dazu verleiten, die aktuellen Verhältnisse auf die Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr. zu übertragen; … dieses Gebiet {war} bis etwa 700 v. Chr. trockenes, steppenähnliches Weideland und ideal für Nomaden.

Indem Abraham weiter ins Südland zieht, lässt er anscheinend Chananeh hinter sich und die fruchtbaren Ebenen Elams links liegen und beschränkt seine Suche nach Weideplätzen auf die Gebiete der Wüstensteppen im Südwesten der Susiana. <42>

3.6 Die Wanderungen Jakobs

Da (S. 76) „die Wanderwege“ Abrahams und seines Enkels Jakob sich gleichen – „nur sind die Ortsangaben bei Jakobs Wanderungen ergiebiger“ -, beschäftigt sich Bauersachs nun zunächst mit Jakob, „der mit seiner Familie und seinen Herden auf seiner Flucht vor dem verärgerten Schwiegervater den Spuren Abrahams folgt“.

3.6.1 In Jamutbal ist der Durchtrieb großer Viehherden leichter möglich als in Transjordanien

Nach dem Text der Bibel verlässt Jakob „genau wie sein Großvater Abraham die Stadt Haran/Türkei“, um in

Transjordanien … mit seinem Bruder Esau zusammenzutreffen…, der in Edom zuhause ist. Jakob hofft dabei, seinen Bruder Esau, den er vor rund 20 Jahren um das Erstgeburtsrecht betrogen hatte, mit Geschenken zu versöhnen.

Gegen die Verortung dieser Fluchtroute in dem Gebiet (vom heutigen Israel aus gesehen) jenseits (also östlich) des Jordans spricht nach Bauersachs (S. 77) zunächst die Größe der von ihm bei seiner Flucht vor Laban mitgeführten Viehherden, ja allein schon der Herde mit den nach 1. Mose 32,15-16 <43> „für Esau bestimmten Tieren“:

15 Zweihundert Ziegen und zwanzig Böcke, zweihundert Mutterschafe und zwanzig Widder,

16 dreißig säugende Kamele mit ihren Fohlen, vierzig Kühe und zehn junge Stiere, zwanzig Eselinnen und zehn Eselhengste.

Natürlich ist die Angabe, dass „ein Kleinviehnomade der Patriarchenzeit auch Kühe und Kamele mit sich führt, … der rückblickenden Niederschrift“ zu verdanken, „die einen reichen Jakob im Sinn hatte.“ Aber dass Jakob im Blick auf mögliche Belastungen für sein Vieh nach 1. Mose 33,13 nur die eine Sorge umtreibt (übersetzt nach der Elberfelder Bibel 2006),

daß säugende Schafe und Kühe bei mir sind; wenn man sie nur einen Tag zu schnell triebe, so würde die ganze Herde sterben…,

ist „ein deutliches Indiz gegen eine Wanderung im Bergland von Gilead/Jordanien, weil Jakob Belastungen für Tiere und Menschen möglichst gering halten wollte“:

In Jamutbal können im übersichtlichen Flachland auch große Herden von wenigen Hirten leicht kontrolliert werden, Viehdiebstahl ist so schwer möglich. Im jordanischen Bergland ist die Beaufsichtigung großer Herden dagegen wesentlich schwieriger. Hier müssen sich die Hirten bei Wanderungen auf den schmalen Saumpfaden entlang steiler Hänge in diese Prozession einreihen. Für Raubtiere (in biblischen Zeiten gab es dort noch Löwen, Bären und Leoparden) und auch für die einheimische Bevölkerung wären die vorüberziehenden Tiere ein unwiderstehliches Angebot gewesen. Der biblische Text verliert kein Wort über solche Probleme…

3.6.2 Jabbok und Penuël entsprechen den Flüssen Schabaich und Pelen im Jamutbal

Nach 1. Mose 32,23-24 überquerte Jakob (S. 77) auf „dem weiteren Weg … den Fluss Jabbok“ mitten in der Nacht mit seinen Herden. Bei diesem Fluss kann es sich nicht um einen „Fluss Jabbok in Transjordanien“ handeln, der „von den Alttestamentlern mit dem heutigen Nahr as Zarqa identifiziert {wird und der} beim heutigen Ort el Damiya in den Jordan mündet“, denn:

Der Jabbok/Zarqa entwässert einen Teil Jordaniens und zerteilt durch seine tief eingeschnittene Schlucht die Region nordwestlich von Amman in zwei Landstriche. Die Flussufer des Jabbok/Zarqa fallen an vielen Stellen steil ab und sind teilweise unpassierbar, auch wenn es einige Furten gibt, die den Übergang ermöglichen. <44>

Diese geographischen Gegebenheiten in Jordanien schließen definitiv aus, dass Jakob mit seinen Herden diesen Fluss in der Nacht durchqueren kann; selbst bei Vollmond wäre die Passage für Mensch und Tier ein riskantes Unternehmen. Die nächtliche Wanderung Jakobs erklärt sich mit seiner eiligen Flucht vor Laban, und den üblichen nächtlichen Wanderungen der Nomaden, die so die große Tageshitze mieden.

Russische Karte der Gegend um Badra
Dieser Ausschnitt einer russischen Landkarte zeigt bei Badra die Namen der Flüsse Schabaich (links in der Mitte) und Pelen (rechts oben) sowie zwei Orte mit dem Namensbestandteil Mirzabad (rot markiert). Der Ort Saicha, den Bauersachs mit Sichem identifiziert, ist (etwas undeutlich geschrieben) der mittlere von drei Orten südlich von Badra (Quelle: Generalstabskarte Kut-el-Amara, herausgegeben 1973, Autor M. I. Bartenev, Redakteur N. I. Uletov)

Aber welchen Fluss kann Jakob tatsächlich so leicht in der Nacht überquert haben?

Tatsächlich überquert Jakob auf seinem Weg von Harran in Richtung Süden einen Fluss Jabbok in Jamutbal; dieser Fluss heißt heute Schabaich und entspricht lautlich dem biblischen Jabbok. Der Fluss Schabaich liegt etwa 20 km westlich der archäologisch bedeutenden Stadt Der Badra (heute Badra). <45>

Mit derselben Nacht am Fluss Jabbok verbindet die Bibel in 1. Mose 32,25-33 Jakobs Ringen mit Gott, der ihn daraufhin in „Israel“ umbenennt; auf diese Weise wird nachträglich die Geschichte Jakobs mit der Geschichte des historischen Volkes Israel verknüpft. Jakob wiederum gibt dem Ort des Ringkampfs den Namen PɘNUˀEL = „Gesicht Gottes“. Allerdings scheitert nach Bauersachs (S. 79) der

Versuch, Jakobs Pnuel mit dem späteren Pnuel Gideons bzw. Jerobeams … gleichzusetzen, … an den örtlichen Verhältnissen in der jordanischen Zarqa-Schlucht. Die ISBE meint lakonisch dazu:

Die Schwierigkeit, Pnuel hier (Anm.: in der Zarqa-Schlucht) zu lokalisieren, besteht darin, dass die Ufer des Jabbok an dieser Stelle steil, ja fast unpassierbar sind.

Stattdessen findet man in „Jamutbal … östlich des Schabaich-Jabbok einen parallel verlaufenden Fluss, der heute Pelen heißt“; indem sie diesen Namen zu „Penu-El“ verdrehte, „brachte die Niederschrift … ganz bewusst Gott ins Spiel.“

3.6.3 Das Gebirge Gilead als Hügelland zwischen dem Jamutbal und dem Zagros-Gebirge

Nicht ganz korrekt beschreibt Bauersachs die Fortsetzung der Wegstrecke, die Jakob zurücklegt, indem er (S. 79) nach „der Jabbok-Überquerung … die biblische Landschaft Gilead {als} eine weitere Zwischenetappe“ benennt. Nach 1. Mose 31,21 war das „Gebirge Gilead“ aber bereits das erste Ziel Jakobs gewesen, nachdem er Haran auf der Flucht vor seinem Schwiegervater Laban „über den Strom“ (womit nach der Bibel der Euphrat gemeint ist) verlassen hatte. Erst sieben Tagereisen später soll ihn nach Vers 23 Laban, der ihm mit seinen Brüdern nachjagte, auf dem Gebirge Gilead eingeholt haben. Nun muss man davon ausgehen, dass eine ursprünglich anderswo lokalisierte Erzählung sicher der späteren Vorstellung angepasst wurde, dass zwischen dem türkischen Haran und dem ostjordanischen Gilead eben der Euphratstrom liegt und eine ganze Menge Tagereisen zu bewältigen sind. Auch muss ursprünglich von der Flucht aus Haran nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Begegnung der Brüder Jakob und Esau erzählt worden sein.

Wie dem auch sei: Dass sich die wilde Verfolgungsjagd Labans hinter einem Jakob her, der mit all seinen Herden vor ihm floh, tatsächlich im türkischen Haran begann und im Gebirge Gilead endete, ist schon deswegen völlig unmöglich, als diese Strecke von bestimmt 700 Kilometern kaum in sieben Tagen zu bewältigen wäre. Zudem ist die

Landschaft Gilead … eine von Wadis zerschnittene Hochfläche (hebr. Mischor) und wird intensiv landwirtschaftlich genutzt. In diesem Gebiet müssen sich Straßen und Pfade dem Gelände anpassen, immer wieder muss man in ein Tal hinabsteigen und gegenüber erneut Höhe gewinnen.

Aus Platzgründen muss auf solchen Saumpfaden ein Tier hinter dem anderen gehen. Die einzelnen Tiere der angeblich nach Tausenden zählenden Herde Jakobs winden sich dann vergleichbar einer Perlenkette die Bergpfade entlang. Allein die rund 600 Tiere, die als Geschenk für Esau vorgesehen sind, hätten eine rund 2 km lange Kolonne gebildet.

Für (S. 80) die „Region Jamutbal, in der Abraham und Jakob in Wirklichkeit unterwegs waren“ gelten diese Einwände nicht. Sie

ist Teil der ausgedehnten Tigrisebene und bietet keine solchen Hindernisse. Das Gebirge Gilead (1. Mose 31,23) war wohl die Hügelkette parallel zur Tigrisebene, der Name lebt im heutigen Städtchen Čilat an der irakisch-iranischen Grenze fort. Hier soll sich die Stätte befunden haben, an der Laban und Jakob Frieden schlossen und ein Steinmal errichteten (1. Mose 31,47); dieses Steinmal wurde von Jakob Gal-Ed genannt.

Zugleich wird dieser Name GaLˁED aber auch mit dem Wort Mits­PaH in Verbindung gebracht, das wörtlich „Aussichtspunkt“ oder „Spähort“ bedeutet, aber auch einen Ort in Palästina bezeichnet. Bauersachs vermutet einerseits einen Zusammenhang mit dem hebräischen Wort für „Steinmal“ oder „Zeugenstein“, nämlich MaTseBaH (Anm. 32):

Mazzeben sind unbehauene Steine, die als Vertragszeugen dienen; evt. wurde daraus Mizpa … 1. Mose 31,49 = Wachturm und daraus wiederum Mirza-…,

andererseits denkt er (S. 80):

Möglicherweise hat sich Mizpa im Ort Mirzabad bei Der Bedre erhalten. Beim Mizpa im heutigen Israel kann ich keinen Zusammenhang mit Jakobs Flucht erkennen. Denkbar ist, dass diese Gedenkstätte zunächst namensgebend für einen Ort war und später die gesamte Region GAL-Ed (daraus wurde Gilead) genannt wurde. Das ähnliche arabische Wort Ğilat steht für eine raue, felsige und wilde Gegend und beschreibt treffend die etwa 300 Meter hohe zerklüftete Hügelkette zwischen Tigrisebene und dem dahinterliegenden hier bis 2.800 m hohen Zagros-Gebirge.

3.6.4 Jakobs Rastplatz bei Sukkot – aber nicht am Jordan

Auch für Jakobs angeblichen Rastplatz Sukkot bezweifelt Bauer­sachs (S. 80), dass er im Jordantal zu lokalisieren ist, weil dieses

bereits in der Bronzezeit (ca. 2000–1150 v. Chr.) landwirtschaftlich genauso intensiv genutzt {wurde} wie heute. Ein Konflikt zwischen dem zugewanderten Herdenbesitzer Jakob und den ansässigen Bauern wäre also unvermeidlich gewesen; das Alte Testament verliert darüber aber keine Silbe.

Ebenso bereitet es ihm Schwierigkeiten (S. 82), „die Begegnung der Brüder Jakob und Esau am Jabbok/Zarqa im heutigen Jordanien logisch nachzuvollziehen“, da Esau „seinem Bruder Jakob aus dem weit im Süden liegenden Edom {Luftlinie 150 km} entgegengezogen sein“ soll.

Nach der Begegnung der Brüder ändert Jakob unvermittelt seine Absicht und zieht von Sukkot westwärts über den Jordan nach Sichem, ohne dass dies im biblischen Text begründet wird.

Hierzu muss ich allerdings sagen, dass zwischen den Zeilen überaus deutlich anklingt, dass Jakob zwar froh ist, von seinem Bruder nichts mehr befürchten zu müssen, aber von vornherein nicht vorhatte, ihm in seine eigenen Jagdgründe zu folgen. Die Absicht, seinem Bruder geradezu aus dem Wege zu gehen, würde es sogar verständlich machen, dass er den Jabbokfluss noch einmal in entgegengesetzter Richtung, also „von Süd nach Nord“, überquert, um dann bei Sukkot erst einmal auszuruhen. Das betrifft natürlich die redaktionelle Endfassung, die ohnehin davon ausgeht, dass Jakobs Heimat eben in Palästina liegt und die Stämme Edoms, die von Esau abstammen, südlich den Toten Meeres bei Seïr leben.

Stellt man sich die Wanderung Jakobs von Sukkot nach Sichem aber als tatsächliche Begebenheit vor, so ist es wirklich erstaunlich, dass „der Text des Alten Testaments … nichts von einem Fluss Jordan oder Jabbok-Zarqa quasi vor Jakobs Rastplatz“ weiß und „die mühevolle, für Herden schwierige Jordanüberquerung in Richtung Sichem“ einfach mit Schweigen übergeht.

Bauersachs zieht daraus den Schluss:

Folgt man Jakobs Wanderroute in Jamutbal, müsste das reale Sukkot zwischen dem Fluss Pelen und dem realen Sichem/Saicha im Großraum des heutigen Der-Badra gelegen haben. Der „Jordan“ wäre in Jamutbal der wasserreiche Fluss Gelal Badra (irakischer Name) bzw. der identische Fluss Gabi (iranischer Name).

Dieser Fluss trägt nach Google Maps den Namen Nahr Mirzabad; an dieser Stelle der ursprünglichen Erzählung eine Entsprechung für einen Fluss Jordan zu suchen, ist allerdings insofern gar nicht notwendig, als – wie eben gesagt – gar keine Jordan-Überquerung zwischen Sukkot und Sichem erwähnt wird.

3.6.5 Blutrache für Dina bei Sichem = Saicha?

Dass (S. 83) sich nun nach der Bibel „der Nomade Jakob unmittelbar bei einer bedeutenden Stadt wie Sichem niederlässt“, nämlich dem heutigen Nablus in Palästina, die „an einem bedeutenden Handelsweg“ lag und deren wasserreiche Umgebung „intensiv landwirtschaftlich genutzt“ wurde, ist unwahrscheinlich und entspricht der Absicht, Jakob wie seinen „Großvater Abraham…, der in der Umgebung von Haran zu großem Reichtum gekommen sein soll…, mit wichtigen kulturellen und wirtschaftlichen Zentren zu verbinden und ihnen zu großem Reichtum zu verhelfen.“

Dagegen spricht auch folgende Überlegung (S. 84):

Nördlich des Sees Genezareth verlief eine bedeutende West-Ost – Handelsroute vom Mittelmeer nach Syrien und weiter nach Mesopotamien.

Bei einem länger dauernden Aufenthalt in Haran wären alle Nachkommen Abrahams mit dieser Route vertraut gewesen und hätten nicht dem wirren Weg folgen müssen, wie Jakob es angeblich getan hat. Sie hätten den See Genezareth im Norden umgangen oder unmittelbar am Südufer des Sees den Jordan überquert und sich dann nach Süden gewendet.

Und schließlich hätten die „massiven Befestigungsanlagen“ der historischen Stadt Sichem in Palästina den Söhnen Jakobs Simeon und Levi „ein unbeobachtetes und ungehindertes Eindringen unmöglich“ gemacht, als sie die Vergewaltigung ihrer Schwester Dina rächen wollen. Unmöglich ist ohnehin, dass

zwei Nomaden so gut mit dem Schwert umgehen können und die Männer einer stark befestigten Stadt mit überregionaler Bedeutung niedermetzeln…

Nomaden ohne jede Kriegserfahrung greifen keine stark befestigte Stadt an, das ist ein Märchen. Märchenhaft und anachronistisch ist bei dieser Episode auch der Besitz von Waffen, Schwerter waren für Nomaden unerschwinglich. …

Bauersachs zieht zu Recht den Schluss (S. 85): „Wenn dieser Bibelepisode überhaupt ein reales Ereignis zugrunde liegt“, dann möglicherweise, dass die Brüder auf „die Vergewaltigung der Dina durch den Mann ‚Sichem‘ eines fremden Stammes … mit Blutrache“ reagieren; „die Stadt Sichem – Nablus hat damit nichts zu tun. … Jakobs Sichem in Jamutbal ist mit hoher Wahrscheinlichkeit der Ort Saicha etwa 5 km südlich von Der-Badra.“

3.6.6 Esaus Heimat in Edom = Abu Edham

Für die Verortung von Sichem in der Nähe von Badra spricht auch (S. 85), dass es

genau auf der Wanderroute Jakobs von Harran über Schabaich-Jabbok und Pelen-Penuel nach „Edom“ {liegt}, das heute Abu Edham heißt. So löst sich auch Jakobs absurde Fortsetzung der Wanderung über den Jordan nach Sichem in Palästina in Wohlgefallen auf, weil er dem biblischen Text entsprechend seinem Bruder Esau in Richtung Edom folgt.

Demgegenüber ist es „schon aus Gründen der Entfernungen (mehr als 150 km Luftlinie von Sukkot) und der landschaftlichen Gegebenheiten ausgeschlossen“ die Heimat Esaus „im Zusammenhang mit Jakobs Flucht vor Laban dort zu suchen, wo das Land Edom im heutigen Transjordanien lokalisiert wird“.

Archäologische Daten zu den Ausgrabungsstätten „Abu Edham“ (und dem 10 km entfernt liegenden „Abu Shubaicha“) <46>

sind ein Beleg dafür, dass die Region um Gojam und entlang des Flusses Meime-Tib über einen langen Zeitraum besiedelt war. Von diesem Edom aus gesehen liegt 100 km weiter südöstlich der Bergrücken Kuh-e-Mish Dagh (das Mescha aus 1. Mose 10,30) wo Abraham sich nach seiner Rückkehr von Haran an der Stätte Mamre niedergelassen hatte.

3.6.7 Abrahams Wohnsitz in Mamre bei Hebron

Hier füge ich eine Erwägung über den Wohnsitz Abrahams ein, die Bauersachs erst im Zusammenhang mit mit Sodom und Gomorrha ausführen wird (S. 147):

In Chuzistan finden sich in den Hügeln um die heutige Stadt Ahvaz zahlreiche Höhlen, die meine Lokalisation vom Abrahams Mescha-Mamre (auf dem Kuh-e-Mish Dagh) in dieser Region rechtfertigen.

Er bezieht sich dabei auf die in 1. Mose 49,30 erwähnte Beisetzung Abrahams, hätte aber auch schon an 1. Mose 23 denken können; dort beschreibt Vers 19 anlässlich von Saras Tod den Kauf eines Erbbegräbnisses

… in der Höhle des Feldes von Machpela, gegenüber von Mamre, das ist Hebron, im Lande Kanaan.

Ob sich dieses Hebron möglicherweise hinter dem Ort Chebseh-ye Kuchek, 40 km nördlich von Ahvaz, verbirgt, das unmittelbar südöstlich des Bergrückens Kuh-e-Mish Dagh liegt?

In 1. Mose 35,27 wird Hebron außerdem mit Kirjat-Arba (wörtlich = Vierstadt) gleichgesetzt, „wo Abraham und Isaak als Fremdlinge gelebt hatten“; damit könnte angedeutet sein, dass dieser Ort vielleicht nicht zu den eigentlichen Weidegründen der Nomaden gehörte, sondern eben zu einem Gebiet am Rande des von Sesshaften bewohnten Chuzistans.

3.7 Abraham und Lot in „Ägypten“ und im Südland

Nun bewegen wir uns aus Jakobs Zeit wieder zurück in die Tage Abrahams, den wir (1. Mose 12,9) auf seinem Weg ins Südland verlassen hatten. Von hier aus bricht Abraham (1. Mose 12,10) aus Anlass einer Hungersnot „nach Ägypten“ auf.

3.7.1 Liegt Abrahams „Ägypten“ in der Susiana oder in Misan?

Wie bereits im Kapitel 2.1 gesagt (S. 85), kann „das biblische Ägypten Abrahams bis zum Exodus nicht das Geringste mit dem Ägypten am Nil zu tun haben“. Weiterhin ist „Abraham im Großraum Jamutbal und Chuzistan unterwegs … und eben nicht in Ägypten“. So schreibt Bauersachs (S. 86) einleitend zu Abrahams „ägyptischen“ Wanderungen:

das von zahlreichen Flüssen durchzogene Flachland der Susiana (das heutige Chuzistan) mit den Hügelzügen ist das Ägypten des Alten Testaments.

Dass Abraham „wegen einer Dürreperiode nach ‚Ägypten‘ ziehen“ muss, entspricht „einer Notsituation, wie sie auch heute denkbar ist“, und zwar zieht er nach 1. Mose 12.10 „hinab“, was, „bezogen auf Abrahams wirkliche Heimat in der Hügelregion Kuh-e-Mish Dagh in Chuzistan … insofern Sinn“ macht, „weil Abrahams Ziel, die wasserreiche Susiana, gut 100 Meter tiefer liegt.“

Zur Begründung führt Bauersachs (S. 87) sprachliche Überlegungen zum „unvokalisierten hebräischen Namen für Ägypten“ (MiTsRaJiM msrm)“ an. Nimmt man es mit der Schärfe des S-Lautes, der dem deutschen Z entspricht, nicht so genau,

lassen sich ebenso korrekt andere Länderbezeichnungen wie Masr, Merisan, Maisan, Al Masri, Musri und ähnliche herleiten, die mit dem heutigen Ägypten gar nichts gemeinsam haben…

Allerdings argumentiert Bauersachs hier nicht ganz exakt im Sinne seiner These, dass Abrahams Ägypten in Chuzistan liegt, denn seine folgenden Belege beziehen sich alle auf die von Euphrat und Tigris umschlossene Landschaft Babyloniens:

Östlich der irakischen Stadt An Nağaf gibt es ein Qasr Marsuk, aus dem man mit etwas Mühe (unvokalisiert msr) ein „Ägypten“ konstruieren kann, bei Kut am Tigris gibt es gleich zwei Orte namens Masr el Raschid, östlich von Amara gibt nahe der irakisch-iranischen Grenze ein Sumpf- und Seengebiet Haur-el-Murais. <47>

Etwas weiter nach Osten rückt seine Vermutung, dass mit

msrm für „Ägypten“ könnte auch Maisan gemeint sein {könnte}, eine Provinz im Osten des Irak. Maisan liegt an der iranischen Grenze westlich von Chuzistan und wird vom Unterlauf des Tigris ausreichend mit Wasser versorgt. Maisan ist der südöstliche Abschnitt der Region Jamutbal, die sich zwischen Zagros-Gebirge und Tigris hinzieht. Da es sich um ein Tiefland handelt, macht die Angabe „nach msrym hinab“ auch Sinn, weil man aus einer Hügelregion im Sinn des Wortes hinabsteigt. Die Landschaft entlang des nahegelegenen Tigris bietet in Trockenzeiten noch Weideland, um Nomaden mit ihren Herden das Überleben zu sichern.

Die Regierungsbezirke des Irak
Rafy; User:NordNordWest, Iraqi Governorates, CC BY-SA 3.0

Die Karte mit den irakischen Provinzen zeigt aber, dass die Provinz Misan (von Bauersachs als „Maisan“ aufgeführt) das westlich des Kuh-e-Mish Dagh gelegene Gebiet bis hin zu dem von ihm als Wohngegend Esaus identifizierten Abu Edham umfasst. Auch dorthin geht es „hinab“, allerdings nicht in Richtung Chuzistan, sondern in die entgegengesetzte Richtung.

Nun müssen natürlich die biblischen Patriarchen-Erzählungen, in denen MiTsRaJiM erwähnt wird, nicht alle von demselben Land handeln, zumal umgekehrt manche Geschichten durchaus auch mit unterschiedlichen Ländern verbunden werden konnten.

Gerade die Geschichte von Abraham und Sara in „Ägypten“ stellt eine von drei Versionen dar, in denen von der „Gefährdung der Ahnfrau“ erzählt wird, die jedoch ursprünglich nicht mit Abraham und Sara, sondern mit Isaak und Abimelech in Gerar verbunden war. <48>

Das ist wohl auch ursächlich dafür, dass Abrahams und Saras Reise nicht so realistisch geschildert wird wie ein entsprechendes Unternehmen während einer Hungersnot in der späteren Josefsgeschichte, denn nach 1. Mose 42,2f. schickt „Jakob zehn seiner Söhne mit Trageseln nach Ägypten zum Getreidekauf“, während es „unsinnig und riskant“ wäre (S. 89), sich „bei diesem Einkauf mit seiner gesamten Habe und Familie sowie den Herden“ auf den Weg zu machen:

Kein Landwirt hat es gerne, wenn fremde Nomaden mit ihren Herden während einer Trockenzeit seine eigenen Äcker und Weiden heimsuchen.

Um die bisherigen Erkenntnisse zusammenzufassen: Noch ist mir auf Grund der bisherigen Argumentation von Konrad Bauersachs nicht deutlich geworden, dass Abraham tatsächlich während einer Hungersnot nach Chuzistan gegangen sein muss. „Sein Ägypten“ kann sich durchaus westlich von Chuzistan in der heutigen irakischen Provinz Misan befunden haben, wenn sein Aufenthalt in „Ägypten“ nicht ohnehin nur eine nachträgliche Übertragung der Erzählung von der „Gefährdung der Ahnfrau“ von Isaak und Rebekka auf Abraham und Sara gewesen ist.

Um sehr deutlich zu machen, worum es mir geht: Gerade eine nachvollziehbare und gut zu begründende Theorie sollte man nicht mit falschen Argumenten zu stützen versuchen; damit setzte man sie fahrlässig dem Verdacht aus, im Ganzen undurchdacht und abwegig zu sein.

3.7.2 Ist Abrahams und Lots „Südland“ der Ort Anāfğe bei Ahvaz oder sind es die Wüstensteppen südwestlich der Susiana?

Wie bereits oben gesagt, kann ich mir weiterhin gut vorstellen, dass Abraham, der sich ja nach 1. Mose 12,4 gemeinsam mit Lot aus Haran = Mandali am Fluss Harran nach Kanaan = Chananeh auf dem Bergrücken Kuh-e-Mish Dash aufgemacht hatte, nach seinem Aufenthalt zwischen Bethel = Badal und Ai = Ha‘i nun auch mit Lot weiter nach Süden gezogen ist, wobei er zunächst die fruchtbaren Ebenen Elams links liegen lässt und stattdessen die Gebiete der Wüstensteppen im Südwesten der Susiana durchstreift.

Damit wende ich mich gegen die Argumentation von Bauersachs (S. 89), dass das hebräische Wort NäGäB ursprünglich unbedingt einen Ort in Chuzistan meinte, wenn ich ihm auch beipflichte (S. 88), dass die „Wüste Negev“, die „vom heutigen Israel aus gesehen im Süden“ liegt, „ihren Namen nachträglich erhielt und nicht schon vor dem Exodus Negev – Südland hieß.“

Gegen (S. 89) seine Identifikation des Ortes Anāfğe „etwa 30 km nördlich von Ahvaz in Chuzistan“ mit NäGäB spricht vor allem, dass Abraham in 1. Mose 12,8 schon „ins Südland“ zieht, bevor von der „Hungersnot“ die Rede ist, die ihn dazu veranlasst, „hinab nach Ägypten“ zu ziehen. Dann gibt es, wie gesagt, drei Möglichkeiten:

  1. Er zieht hinab nach Misan – westlich vom Kuh-e-Mish Dagh und nordwestlich vom Südland.
  2. Er zieht hinab nach Chuzistan – östlich vom Kuh-e-Mish Dagh und nordöstlich vom Südland.
  3. Er zieht gar nicht nach „Ägypten“, weil die Abraham-Sara-Erzählung nichts mit einer ursprünglichen Abraham-Lot-Wanderung zu tun hatte. Außerdem ist es ausgeschlossen, dass ein „ägyptischer Pharao“ einen Bittsteller wegen einer Hungersnot mit einem wie in 1. Mose 12,16 beschriebenen Reichtum ausgestattet haben soll.

Wenn nun – was ich für am wahrscheinlichsten halte – nach der Erwähnung von Abrahams Zug „in den Süden“ (1. Mose 12,9) die „Ägypten“-Erzählung nur eingeschoben ist, ist es übrigens auch nicht verwunderlich, dass bei der erneuten Erwähnung dieses „Südlands“ (1. Mose 13,1) sein Neffe Lot wieder mit dabei ist; zum Personal der „Ahnfrauen“-Geschichte hatte er ja sowieso nie dazu gehört. Lot muss somit auch nicht „gleichermaßen von Saras Betrug profitiert“ haben, wenn die beiden Geschichten ursprünglich gar nichts miteinander zu tun gehabt haben.

3.7.3. Lot trennt sich von Abraham und zieht in das wasserreiche Land der Susiana am Kuh-e-Kerit

Wie dem auch sei – die Fortsetzung der Abraham-Lot-Erzählung in 1. Mose 13,5-7 geht davon aus (S. 89), dass beide miteinander wegen ihrer „umfangreichen Herden“ in Konflikt miteinander geraten. Damit stellen sich erneut „die altbekannten Fragen nach der Geographie der Gegend…, in der diese Wanderung stattgefunden haben soll.“ Auf Bauersachs‘ Argumente gegen die Verortung in Israel gehe ich nicht näher ein <49>; dass die „Rinderhaltung“ der beiden Kleinviehnomaden eine spätere Ergänzung der Erzählung sein muss, da sie „im Wesentlichen Sesshaften vorbehalten“ bleibt, versteht sich von selbst.

Als Austragungsort des Konflikts der beiden Herdenbesitzer wird nun die Gegend genannt, von wo aus Abraham ursprünglich ins Südland gezogen war, nämlich „zwischen Bethel und Ai“:

3 Und er ging auf seinen Tagesmärschen vom Süden bis nach Bethel, bis zu der Stätte, wo im Anfang sein Zelt gewesen war, zwischen Bethel und Ai,

4 zu der Stätte des Altars, den er vorher dort gemacht hatte.

Die Lage dieser Orte ist oben im Abschnitt 3.5.5 bereits besprochen worden. Von einem Ort westlich von Al Ha‘i auf dem Kuh-e-Mish Dagh ist es möglich, das wasserreiche Land der Susiana im Osten zu überblicken (S. 92):

Anders als im heutigen Israel reicht in Abrahams Siedlungsraum Chuzistan der Blick vom Hügel Kuh-e-Mish Dagh (Mescha), wo Abraham sein Lager aufgeschlagen hat, weit nach Osten.

Dieser Ausblick passt sehr gut zu der Bibelstelle 1. Mose 13,10-12, ganz im Gegensatz (S. 91) zu dem „Raum um Hebron/Mamre im judäischen Bergland, der für die Heimat Abrahams gehalten wird“: <50>

10 Da erhob Lot seine Augen und sah die ganze Ebene des Jordan, daß sie ganz bewässert war – bevor der HERR Sodom und Gomorra zerstört hatte – wie der Garten des HERRN, wie das Land Ägypten, bis nach Zoar hin.

Dass hier „von Wasserreichtum und gutem Weideland auch um Zoar herum die Rede“ ist, passt nicht zu Palästina, da (S. 92) der „wasserreiche Jordan am Nordende ins Tote Meer fließt“, aber (S. 91) nach

allgemeiner Auffassung … das biblische Zoar am Südende des Toten Meers {liegt}, Sodom wird ebenfalls am Südende gesucht, wo es nur karge Salzmarschen gibt. Bei einer korrekten Landschaftsbeschreibung der Gegend hätte im Alten Testament das lebensfeindliche Tote Meer erwähnt werden müssen.

Skizze der Landschaft um den Bergrücken Kuh-e-Kerit
(Karte: Konrad Bauersachs)

Aber was könnte ursprünglich mit dem Ausdruck KaL-KiKaR HaJaRDeN gemeint sein, wörtlich übersetzt „ganze Runde des Jordan“? Dieser Ausdruck (S. 92) kommt „ausschließlich an diesen beiden Bibelstellen“ (außer in 1. Mose 13,10 nur noch im folgenden Vers 11) vor, und zwar wird damit, so Bauersachs,

eine „ganze Ebene“ beschrieben und als Wiederholung und Verstärkung von der „ganzen bewässerten Ebene“ des „Jordan“ gesprochen. Es muss sich also um ein ausgedehntes und – da bewässert – intensiv landwirtschaftlich genutztes Gebiet gehandelt haben.

Daher kann es durchaus sein, dass das Wort JaRDeN erst nachträglich auf den palästinischen Fluss Jordan bezogen worden ist. Ursprünglich ist (S. 91) ein Zusammenhang mit den Flüssen „in der Region Chuzistan“ möglich; diese

werden entweder – wenn sie größer sind – als „Nahr“ unvokalisiert „nhr“ oder als „Rud“ – oder „Rudkhāneh“ bezeichnet: Aus dem unvokalisierten rdhn entstand in Unkenntnis der „Jordan“.

Das hebräische Wort KiKaR, das – wie eben gesagt – das ganze Rund der wasserreichen Ebene Chuzistans meinen könnte, bringt Bauersachs (S. 92) in seiner unvokalisierten Form „kkr“ außerdem in eine Verbindung mit dem „Hügelnamen Kuh-e-Kerit aus dem Raum Chuzistan“, der von Abrahams und Lots Aussichtspunkt auf dem Kuh-e-Mish Dagh gesehen werden konnte:

Jenseits der Flussebene müssen am Nordrand des Kuh-e-Kerit oder des benachbarten Kuh-e-Schere die Städte Sodom und Gomorrha gelegen haben.

Später fügt Bauersachs noch hinzu (S. 150):

Der Kuh-e-Kerit (max. 110 m hoch) und die kleine Ortschaft Kerit an Fuße des Hügels liegt etwa 10 km südöstlich der Stadt Ahvaz und damit in Sichtweite rund 40 km von Abrahams Wohnort Mamre entfernt.

Dafür, dass das Wort KiKaR etwas mit dem Hügel Kuh-e-Kerit zu tun haben könnte, spricht übrigens, dass es schon in Vers 12 und später an vier weiteren Stellen in 1. Mose 19,17.25.28.29 OHNE die Verbindung mit HaJaRDeN gebraucht wird (die Elberfelder Übersetzung ergänzt lediglich die Worte des Jordan in kursiver Schrift, da sie von der Lokalisierung am Toten Meer ausgeht). Dann müsste man sich allerdings entscheiden, ob man dieses Wort nach seiner hebräischen Grundbedeutung „rund“ mit „Gegend“ oder „Ebene“ übersetzen möchte oder eben mit „Kerit“ bzw. „Kuh-e-Kerit“.

Die Trennung der Blutsverwandten Abraham und Lot läuft also nach 1. Mose 13,11-12 darauf hinaus, dass Lot nach Chuzistan zieht und Abraham in der Gegend des Kuh-e-Mish Dagh um Chananeh herum bleibt:

11 Da wählte sich Lot die ganze Ebene des Jordan und Lot brauch auf nach Osten; so trennten sie sich voneinander.

12 Abram wohnte im Land Kanaan, und Lot wohnte in den Städten der Ebene des Jordan und schlug seine Zelte auf bis nach Sodom.

Zwei Umstände findet Bauersachs (S. 90f.) dabei „rätselhaft“:

Eben noch hat Lot große Herden, danach wohnt er als Städter in oder bei Sodom. Abraham ist der klügere oder nachgiebigere der beiden, Lot darf als erster seinen neuen Aufenthaltsort aussuchen und wählt das Flachland… Solcher Großmut ist für patriarchalische Gesellschaften eher untypisch, denn Lot ist „nur“ Abrahams Neffe.

Da es nach meinen eben angestellten Überlegungen aber in Vers 12 eigentlich heißen müsste: „Lot siedelte sich bei den Städten des Kuh-e-Kerit an und schlug seine Zelt auf bis hin nach Sodom“, wird deutlich, dass er zumindest zunächst weiterhin als Nomade lebt, und zwar vielleicht sogar auf der Anhöhe des Kuh-e-Kerit und nur in der Nähe des bewässerten Kulturlandes. Als Lot es evtl. doch darauf anlegt, in Sodom selbst sesshaft zu werden, wird er – wie 1. Mose 19,9 zeigt – von den Einwohnern Sodoms als Fremdling nicht gerade besonders willkommen geheißen.

Und die Stilisierung Abrahams als eines großzügigen Patriarchen muss man nicht einmal psychologisierend darauf zurückführen (S. 91), dass er „in Lot einen ‚Ersatzsohn‘ gesehen“ haben mag; sie dürfte der späteren Niederschrift zu verdanken sein, für die Abraham das Urbild eines Menschen war, der aus seinem Gottvertrauen heraus selbstlos sein konnte.

3.8 Völker, mit denen Abraham außerdem zu tun hatte

Schließlich betrachtet Konrad Bauersachs noch einige in der Bibel im Zusammenhang mit Abraham erwähnte Völker, die ihm ebenfalls dabei helfen, Abraham historisch in der Gegend zwischen dem südlichen Babylonien und dem westlichen Elam zu verorten.

3.8.1 Perisiter und Philister zur Zeit Abrahams – waren sie Perser?

Ein kleines Sätzchen im Zusammenhang des Abraham-Lot-Konflikts erwähnt (S. 93) weitere „Rivalen um Abrahams Weidegründe (1. Mose 13,7)“, nämlich WɘHaKɘNaˁANiJ WɘHaPɘRiZiJ = Kanaaniter und Perisiter.

Letztere werden zwar weder, wie Bauersachs meint, „üblicherweise mit „Philister“ übersetzt“ noch überhaupt (S. 94) „gemeinsam mit den Philistern“ genannt, allerdings wird Abraham in 1. Mose 21,34 anachronistisch auch mit dem „Land der Philister“ in Verbindung gebracht. Beide Völker sind aber zu unterscheiden:

  • Die Perisiter gehören zu einem der als Todfeinde Israels stilisierten sieben Völker Kanaans, die im Gelobten Land Platz machen müssen, um die Tora (= Wegweisung) JHWHs zu verwirklichen, vgl. etwa 5. Mose 7,1: „die Hetiter, Girgaschiter, Amoriter, Kanaaniter, Perisiter, Hiwiter und Jebusiter, sieben Völker, die größer und stärker sind als du“. <51>
  • Die Philister dagegen sind nach Wikipedia ein reales Volk im südwestlichen Palästina (ein Name, der übrigens auf eben die Philister zurückgeführt werden kann), das im 12. Jahrhundert aus Europa eingewandert sein soll und dort später von einem Fünfstädtebund aus (Gaza, Aschkalon, Aschdod, Ekron, Gath) die Umgebung beherrschte.

Zu den Perisitern erlaubt sich Bauersachs eine „spekulative Überlegung“ (S. 95), <52> dass die Anfang des 6. Jahrhunderts v. Chr. nach Babylonien verschleppten Bewohner des Königreichs Juda vielleicht auch deswegen nach der Eroberung Babylons durch die Perser „die Rückkehr nach Jerusalem und den Neubau des Tempels“ erlaubt bekamen, weil man sich noch an sehr alte „Familienbeziehungen aus der Zeit Abrahams in Chuzistan vor dem Exodus um 1200 v. Chr.“ erinnern konnte:

Das heutige Šuš (die ehemalige elamische und später persische Residenzstadt Susa), liegt im Siedlungsgebiet der Nachkommen Abrahams.

Persönliche und verwandtschaftliche Beziehungen des Hauses Abraham zu späteren Regenten oder einflussreichen Persönlichkeiten auch aus der Zeit weit vor dem Exil sind deshalb nicht auszuschließen. Die etwa ab 700 v. Chr. von Assyrern und Babyloniern aus Israel umgesiedelten, vor allem in Elam lebenden, Exilanten hatten jedenfalls ausgiebig Kontakt zu den späteren Persern.

Die Erwähnung der PɘRiZiJ = Perisiter in 1. Mose 13,7 möchte Bauersachs daher „mit der Volksgruppe der Perser gleichsetzen“. <53> Denn er nimmt an:

Bei der Niederschrift wussten die Schreiber offenbar durch Rückkehrer aus dem Exil, dass es sich bei Persern teilweise um Nachfahren der Weidekonkurrenten (Elamer) Abrahams in Chuzistan gehandelt hat. Denkbar, dass auch späte Nachfahren Abrahams darunter waren, die mit ihren Familien in Chuzistan geblieben sind.

Dass die davon unabhängig zu betrachtenden und nur in 1. Mose 21,32.34 im Zusammenhang mit Abraham erwähnten PɘLišThiJ = Philister etwas mit der später vom „Assyrerkönig Sanherib (704-681 v. Chr.) <54>“ eroberten elamischen Stadt „Pillatu … im Großraum Basra – Ahvaz – Qurna“ zu tun haben sollen, halte ich aber für sehr unwahrscheinlich. Wenn das doch der Fall sein sollte, dann wären diese jedenfalls nicht mit Chuzistan bzw. Persien in Verbindung zu bringen, da sich die Begegnung zwischen Abraham und Abimelech in 1. Mose 21,22ff. gerade nicht in einem wasserreichen Gebiet wie der Susiana abspielen kann, sondern in einer Wüstensteppe bei einen Ort namens Beerscheba (= „Sieben Brunnen“), wo Brunnenbohrungen für Konflikte sorgten.

3.8.2 Nur in Babylonien konnte es zur Zeit Abrahams bereits geschäftstüchtige Hethiter geben

Die (S. 96) „in der Familiengeschichte Abrahams“ erwähnten Hethiter und insbesondere der Kauf eines Grundstücks für ein Erbbegräbnis von dem Hethiter Efron in 1. Mose 23 können nach Bauersachs nichts mit dem „heutigen Israel“ zu tun gehabt haben. Da nämlich „das Hethiterreich seine größte Ausdehnung nach Süden (etwa bis Damaskus)“ erst „um 1300 v. Chr. erreichte“ und (S. 97) Auseinandersetzungen „zwischen Ägypten und den Hethitern … um 1269 v. Chr. mit einen Friedensvertrag zwischen Ramses II. und dem Hethiterkönig Hattušili III. beendet“ wurden, würde erst

nach diesem Vertrag des Jahres 1269 v. Chr. … der Landbesitz für einzelne Hethiter in Palästina wirklich Sinn machen. Zu diesem Zeitpunkt war Abraham längst nicht mehr am Leben, selbst wenn man das biblische Alter Abrahams von 135 Jahren wörtlich nimmt. Außerdem hätte sich vor Abschluss dieses Friedensabkommens kein Hethiter in Palästina, dem unmittelbaren Einflussgebiet des Erzfeindes Ägypten, niedergelassen.

Daher ist (S. 96) „dieses Grundstückgeschäft mit Efron … ebenfalls ein Hinweis darauf, dass das Feld Machpela nur in Babylonien gelegen haben kann“, denn die „Anwesenheit von Hethitern in Babylonien erklärt sich“, wie bereits in meinem Abschnitt 2.4.3 erwähnt, „unkompliziert durch deren Feldzug gegen Babylon bereits um 1595“:

Die Häufigkeit, mit der Hethiter genannt werden beweist, dass es sich nicht nur um einzelne, versprengte Personen gehandelt haben kann. Vermutlich sind nach der Eroberung Babylons durch Muršili geschäftstüchtige Hethiter im Land geblieben.

3.9 Ein historischer Kriegsbericht mit Abraham und Lot als in Mitleidenschaft geratene Beteiligte

Bereits die bisher angeführten Indizien legen meines Erachtens die Annahme von Konrad Bauersachs nahe (S. 93), dass „der Patriarch Abraham, seine Familie und auch seine Nachfahren bis zum Exodus als Nomaden“ im Jamutbal und in der angrenzenden Landschaft Susiana umherstreiften. Der in 1. Mose 14 enthaltene von ihm so genannte „Kriegsbericht“ fügt nun weitere überzeugende Argumente nicht nur für diese Lokalisierung, sondern auch für die sehr genaue Datierung der Überlieferungen einer solchen Nomadensippe hinzu. Es liegt nämlich der seltene Fall vor, dass sich reale große Politik in einem biblischen Bericht deutlich widerspiegelt (S. 93):

Normalerweise gehen Hirten unbehelligt von Obrigkeiten ihrem Alltag nach, bis sie sich – wie Lot – urplötzlich und schuldlos in einen überregionalen Konflikt verwickelt sehen. Ich halte zwar eine direkte Beteiligung Lots und Abrahams für unwahrscheinlich, der biblische Bericht bietet so viele Details, dass der berichtete Vorfall unmittelbar miterlebt und korrekt weitergegeben worden sein muss.

Darum soll nun die „Strafexpedition von vier Königen (angeführt in 1. Mose 14, 1) gegen fünf Aufrührer (1.M. 14,2), die etwa 1332 v. Chr. wirklich stattgefunden hat und dokumentiert ist, nur eben nicht im Raum Palästina“, ausführlich besprochen werden (S. 117):

Der „Kriegsbericht“ des Alten Testaments – so nenne ich das Kapitel 1. Mose 14 – beschreibt ein historisches Ereignis und bietet die einzigartige Gelegenheit, Abraham zeitlich einzuordnen (egal ob wir ihn als reale oder fiktive Person sehen wollen). Das Alte Testament integriert Abraham in den realen Feldzug des Kassiten Kurigalzu II. gegen Elam (genauer: Susiana) um 1332 und schildert landschaftliche Besonderheiten und Ortsnamen, die nur auf die Susiana zutreffen. Daneben werden zahlreiche historisch dokumentierte Einzelheiten über die Auseinandersetzung erwähnt. …

Die Erinnerung an diesen Zwischenfall war offensichtlich so einprägsam, dass sie über Jahrhunderte mit zahlreichen scheinbar überflüssigen Details weitergegeben wurde. Dies könnte man als Hinweis auf eine bekannte Persönlichkeit interpretieren, die – rückblickend Abraham genannt – wirklich in diesen Zwischenfall verwickelt gewesen sein muss. …

Der biblische „Kriegsbericht“ in den Versen 1. Mose 14,4 und 14,5 beschreibt genau die Machtkonstellation in Babylonien und dem benachbarten „Elam“ (gemeint ist hier stets die Susiana und NICHT Gesamt – Elam) nach dem Tod des Kassiten Burna-Buriaš II. und der darauf folgenden Attacke des Tepti-Ahar um 1332 v. Chr.!

3.9.1 Zum Hintergrund des Kriegsberichts

Die Verse 8 und 9 des Kapitels 1. Mose 14 benennen (S. 118) „fünf benachbarte Städte (Vers 14,8), darunter die später zerstörten Orte Sodom und Gomorrha“, die sich „gegen Kedor-Laomer, den König von Elam empörten“, und dieser konnte sich, „so scheint es der Text zu erzählen, der Hilfe starker Verbündeter (Vers 14,9) sicher sein“:

8 Und es zogen aus der König von Sodom und der König von Gomorra und der König von Adma und der König von Zebojim und der König von Bela, das ist Zoar; und sie ordneten sich zur Schlacht gegen sie im Tal Siddim:

9 gegen Kedor-Laomer, den König von Elam, und Tidal, den König von Gojim, und Amrafel, den König von Schinar, und Arjoch, den König von Ellasar, vier Könige gegen die fünf.

Völlig „ausgeschlossen“ ist es nach Bauersachs, dass sich eine „Koalition von angeblich fünf im Raum Palästina herrschenden Kleinkönigen gegen vier mächtige Gegner“ aufgemacht hat, „die etwa 1200 Kilometer Luftlinie entfernt regieren“. Und für die Gegenseite der am Krieg Beteiligten gilt:

Elam war nie Großmacht und hatte nur dann kriegerische Ambitionen, wenn eine Schwächung der Machtverhältnisse im benachbarten südlichen Mesopotamien zum Eingreifen einlud.

Allerdings scheint ein

Bündnis zwischen den zwei langjährigen Intimfeinden Elam und Babylonien … auf den ersten Blick paradox und fördert nicht gerade das Vertrauen in die wahrheitsgetreue Darstellung dieser biblischen Episode. Auf keinen Fall wäre Elam, richtiger müsste es Susa heißen, beim Kampf gegen fünf Kleinkönige in der unmittelbaren Nachbarschaft auf die Hilfe Babylons (= Schinar) angewiesen gewesen oder hätte diese in Anspruch genommen.

Im Gegenteil macht die reale Geschichte deutlich: Sobald einer der beiden traditionellen Kontrahenten Babylon oder Elam erkennbare Schwächen zeigte, nutzte dies der Gegner als Einladung zu einem Feldzug.

Welche Ausgangsbedingungen stehen also im Hintergrund der politischen Lage in Elam und Umgebung zur Zeit des Kriegsberichts?

Zunächst ist zu bedenken (S. 119), dass zum „Herrschaftsgebiet Gesamt-Elam (Susa und Anšan) … in starken Regierungsjahren im Nordwesten des Landes ein Teil des Osttigrislands mit der Region Jamutbal sowie das heutige Chuzistan mit dem nach Norden und Osten anschließenden Bergland“ gehörte.

Allerdings war zur Zeit „des biblischen Vorfalls … Elam keine Einheit und wurde im Westen von Susa aus (unter Tepti-Ahar) regiert, im Osten (Anšan) herrschte Untaš-Napiriša.

Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden,

dass dieser Kriegsbericht ursprünglich von Nomaden überliefert wurde, die seit jeher ein gespanntes bis gestörtes Verhältnis zu jeder Art von Obrigkeit haben und im Allgemeinen unbehelligt ihrem Alltag nachgehen konnten. … Dem Nomaden war Freiheit und Unabhängigkeit das wichtigste Gut… Aus diesem Freiheitsdrang heraus war das Interesse an den jeweiligen politischen Gegebenheiten eher gering, solange man nicht direkt betroffen war. Der Nomade … baut seine Zelte ab und sucht neue Weideplätze, wenn ihm etwas nicht passt. Die überlieferten Königsnamen dürfen deshalb nicht wörtlich genommen werden. Nomaden haben wohl einen geläufigen Königsnamen für alle Zeit mit dem betreffenden Regierungssitz verbunden. Der Nachfolger eines babylonischen Königs, den sie namentlich nicht kannten, wurde wohl der Einfachheit halber ebenfalls als Amrafel bezeichnet. Amrafel von Schinar könnte dem Lautwert nach Hammurabi von Babylon gewesen sein, er hat aber rund 400 Jahre vor diesem Ereignis regiert.

Bauersachs hätte eine „korrekte Schilderung der Geschichte Babylons oder Elams sowie wechselnder militärischer Bündnisse und Regenten durch schreibunkundige Nomaden“ für ebenso „wenig glaubwürdig“ gehalten, als wenn „heute ein Bewohner des Südschwarzwaldes … alleine aus der Erinnerung die Staats- und Regierungspräsidenten Deutschlands und der angrenzenden Länder Frankreich und Schweiz der letzten 50 friedlichen Jahre in der jeweils richtigen zeitlichen Reihenfolge zu benennen“ wüsste.

3.9.2 Die vier Könige von Schinar, Elam, Ellasar und Gojim

Welche Königreiche und Könige sollen nun an dem in 1. Mose 14 beschriebenen Krieg beteiligt gewesen sein? Die erste Kriegspartei der vier Könige wird in Vers 1 aufgelistet:

1 Und es geschah in den Tagen Amrafels, des Königs von Schinar, Arjochs, des Königs von Ellasar, Kedor-Laomers, des Königs von Elam, und Tidals, des Königs von Gojim,

2 dass sie Krieg führten …

Bauersachs schickt voraus, dass die „vier Königreiche Schinar, Ellasar, Elam und Gojim des biblischen Berichts … zur Zeit Kurigalzus II. um 1332 v. Chr. ein zusammenhängendes Gebilde im Süden Mesopotamiens“ umfassten.

Schinar meint Babylonien, Elam hier „historisch-korrekt“ nur den westlichen Teil, nämlich die „Susiana“, diesseits der „Flüsse Diz und Karun“, und Ellasar identifiziert Bauersachs mit Larsa „in Babylonien“ (Anm. 9), „nördlich des Haur-al-Hammar“ gelegen, das zwar „zu diesem Zeitpunkt längst ohne politische Bedeutung“ war, mit dem aber „die Erinnerung an das sogenannte Meerland verbunden“ sein konnte, „das zeitweise bis nach Der-Badra reichte und Gebiete beanspruchte, die mittlerweile zu West-Elam gehörten.“

Aber (S. 121) was ist mit Gojim? Dieses hebräische Wort lässt sich zwar mit „Völker“ oder „Heiden“ übersetzen, aber innerhalb einer Aufzählung von konkret benannten Ländern oder Städten macht das wenig Sinn. Da es „noch heute … in der Region Jamutbal am Rand des {Zagros-}Gebirges einen Ort namens Gojam“ gibt, „der zu Abrahams Zeiten Regierungssitz gewesen sein könnte“, mag ein Land Gojim sich hier zwischen dem flachen „Schwemmland des Tigris“ und einer „Hügelkette“ im Norden befunden haben, jenseits derer (S. 122) die „fruchtbare Dehloran-Ebene“ liegt, die „stets als Durchzugsgebiet von Truppen in Mitleidenschaft gezogen“ wurde, „wenn Assyrien oder Babylonien mit Elam Krieg führten, wie auch im vorliegenden Fall.“

Was die Regenten dieser vier Gebiete betrifft, müssen wir (S. 120)

nach Königen suchen, die zu den geschilderten Ereignisse passen und lautähnliche Namen haben. Zudem darf man die Bezeichnung „König“ nicht gar zu eng sehen, da sich neben Regenten über große Gebiete auch Stadtfürsten und Nomadenscheichs mit diesem Titel schmücken konnten. Auch ein Bürgermeister oder Landrat des 21. Jahrhunderts hätte sich damals König („melek“) titulieren dürfen; noch heute trägt jeder Dorfbürgermeister in Kurdistan den Titel „melek“.

Letzten Endes geht Konrad Bauersachs davon aus, dass sich hinter den Königen der vier genannten Reiche mehrere Namen kassitisch-babylonischer Könige verbergen, die innerhalb ultrakurzer Zeit regierten (S. 121):

Der kassitische „König von Schinar“ von 1332 v. Chr. war aus biblischer Sicht Amrafel, historisch ist es Burna-Buriaš II. gewesen, auf ihn folgten Kadašman-Muraš, Nazi-Bugaš und schließlich nach beider Ermordung Kurigalzu II. …

Bei vier historischen Herrschern mit sechs Namen innerhalb von zwei Jahren kann man schon die Übersicht verlieren! Die Redaktoren der Niederschrift lassen diese vier Könige gleichzeitig regieren; so wird aus einem einzigen Beteiligten des biblischen „Kriegsberichts“ eine Koalition aus vier Regenten.

Dass der babylonische König hier völlig anachronistisch den Namen Amrafel = Hammurabi trägt, hat einen leicht nachvollziehbaren Grund:

Der bekannte König Hammurabi musste offenbar immer dann als Namensgeber herhalten, wenn die Situation so unübersichtlich war wie nach dem Tod des Burna-Buriaš II. und Teile der Bevölkerung die Namen der schnell wechselnden Könige nicht kannten.

Als „König von Elam“ wird der Sohn von König Burna-Buriaš II. genannt, nämlich „Kara-Hardaš bzw. Kadašman-Muraš bzw. Kadašman-KUR.GAL“. Den biblischen Erzählern war Kadašman-Muraš unter dem Namen Kedor-Laomer bekannt, der „tatsächlich gut elamisch klingt und sich von Kutir-Lagamar (‚die Göttin Lagamar beschützt‘) herleiten könnte“. <55> Und dieser regierte nicht nur als Nachfolger seines Vaters Burna-Buriaš in Babylon (S. 120), sondern als Prinzregent im Auftrag seines Vaters zuvor bereits zwölf Jahre lang

als Besatzer nach einem Sieg in Susa …; im biblischen Bericht sollte deshalb wohl zutreffender „König über Elam“ als „König von Elam“ stehen. Letzteres legt nahe, dass der König ein Einheimischer ist, die Formulierung „über Elam“ signalisiert, dass ein Fremder nach einem militärischen Erfolg über Elam herrscht.

Tatsächlich steht im hebräischen Text keine Präposition zwischen den Worten MäLäK = „König“ und ˁEJLaM = „Elam“; wäre aus­drücklich eine Fremdherrschaft gemeint, so hätte wohl die Präposition ˁAL verwendet werden müssen. Allerdings war es aus der Sicht eines nomadischen Erzählers wohl ziemlich gleichgültig, ob auf dem Thron von Elam ein einheimischer oder babylonischer Herrscher saß. Außerdem merkt Bauersachs zu Recht an (S. 121):

Heute erkennen selbst Historiker nicht die Zusammenhänge zwischen dem kassitischen Babylonien und der Herrschaft des Tepti-Ahar in Susa und übersehen die Beteiligung von Elam. Wir dürfen also Nomaden wie Abrahams Nachfahren den fehlenden Überblick nicht vorwerfen.

Dass als König von Gojim ein König Tidal genannt wird, könnte an einen der „historisch belegten Hethiterkönige“ erinnern, die den Namen „Tudalhija“ trugen. „Tudalhija I. regierte um 1730 v. Chr.“ auch über „die Region Jamutbal…, die sich zwischen der Tigris­ebene und dem Gebirge hinzog“ und in der die oben erwähnte Stadt Gojam liegt; daher könnten „auch folgende Herrscher über dieses Gebiet als ‚Tidal‘ bezeichnet worden sein“.

König Arjoch, der über Ellasar geherrscht haben soll, kann nach Bauersachs (S. 122) historisch nicht einer von den Herrschern Assyriens gewesen sein, „die die Silbe Arik – … im Namen führten, z.B. Arik-den-ilu (1319-1308 v. Chr.), da er die „Beteiligung eines assyrischen Königs am Feldzug seines Erzfeindes Babylon … mit Sicherheit“ ausschließt. Er erwägt zwei andere Möglichkeiten, von woher die Bibel den Namen hier eingetragen haben könnte, nämlich einerseits die hurritische Sprache, andererseits einen altpersischen Zusammenhang. <56>

Allerdings sind nach Bauersachs sowohl Tidal als auch Arjoch im Kriegsbericht letztlich nicht unabhängige Könige anderer Länder als Babylons oder West-Elams, sondern sie repräsentieren ihm zufolge in der unübersichtlichen Lage im babylonischen Königshaus die beiden Nachfolger des Kadašman-Muraš = Kedor-Laomer, die tatsächlich Nazi-Bugaš und Kurigalzu II. hießen. Aber warum sollte es sich nicht vielleicht doch um verbündete Nachbarn oder auch um Generäle der Babylonier gehandelt haben? <57>

An dieser Stelle muss ich eine Einschätzung einschieben, die bei Bauersachs erst am Ende seiner Ausführungen über den Kriegsbericht zu lesen ist (S. 140): Da den Verfassern der biblischen Niederschrift, die Bauersachs für die Zeit um 700 annimmt, „die Zeit der assyrischen Herrschaft ab ca. 750 v. Chr.“ noch in frischer Erinnerung war, hielten sie es wohl einfach

für unmöglich, dass ein Konflikt zwischen zwei Kriegsparteien ohne die Hilfe befreundeter Staaten ausgetragen werden könne. Um 720 v. Chr. war Assyrien der alles dominierende Angreifer und Bündnisse gegen diesen Feind waren überlebenswichtig, das hat die Darstellung des „Kriegsberichts“ entscheidend beeinflusst. Außerdem sorgte die Vielzahl gleichzeitig regierender Könige für Verwirrung. Im „Kriegsbericht“ stellt die Niederschrift dem als Amrafel benannten Kassiten Kurigalzu II. bekannte Könige zur Seite, die vormals in Babylonien regiert haben. Auf der Gegenseite wurde Hurpatila bzw. Tepti-Ahar von vier „Königen“ unterstützt. Dazu kam sicher auch noch die „Viel Feind, viel Ehr“ – Mentalität: Ein Krieg mit neun beteiligten Herrschern ist bedeutender als einer mit nur zweien.

Das heißt: Nicht alle Ungereimtheiten des Kriegsberichts sind auf die ursprünglichen nomadischen Erzähler zurückzuführen; wie alle biblischen Überlieferungen ist auch er überarbeitet worden.

3.9.3 Die fünf Könige von Sodom, Gomorrha, Adma, Zebojim und Bela/Zoar

Die zweite Kriegspartei umfasst nach 1. Mose 14,2 folgende fünf Könige von Stadtstaaten:

2 … sie {führten} Krieg … mit Bera, dem König von Sodom, und mit Birscha, dem König von Gomorra, Schinab, dem König von Adma, und Schemeber, dem König von Zebojim, und mit dem König von Bela, das ist Zoar.

Wie soll man nun (S. 124) „die Lage einer nicht mehr existierenden Stadt“ wie Sodom oder Gomorrha auch nur „annähernd … bestimmen“? Nach Bauersachs

muss man nicht gleich zu Pickel und Schaufel greifen. Die Platzwahl für eine Stadtgründung erfolgt selten spontan, sondern beruht auf strategischen Überlegungen, außerdem muss eine Reihe von natürlichen Voraussetzungen erfüllt sein. So kann man von den natürlichen Gegebenheiten Rückschlüsse auf die Entscheidungen früherer Stadtgründer ziehen:

In einem heißen Gebiet wie Chuzistan ist ausreichend Wasser wichtig, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung muss aus der unmittelbaren Umgebung möglich sein, dazu sollte ein Hügel oder Berg mit einer Fluchtburg den Bewohnern Sicherheit gewähren. Zusätzlichen Wohlstand bringt die Kontrolle über Handelswege ins bergige Hinterland, etwa wenn die Straße durch ein enges Tal führt und so leicht zu kontrollieren ist.

Aus solchen Erwägungen heraus findet Bauersachs (S. 125) in Chuzistan „entlang des Gebirgsrandes eine Reihe von Stellen, die für eine Niederlassung geeignet scheinen“, und er kommt zu dem Schluss, dass „im Dreieck Dizful – Ramhormuz – Ahvaz … die Städte der mit Susa verbündeten Rebellen gelegen haben“ dürften.

Auf die beiden Städte Sodom und Gomorrha wird später im Zusammenhang mit ihrem Untergang noch näher eingegangen werden; hier nur so viel, dass sie „in Chuzistan jenseits der Hauptflüsse Kerkhe und Karun knapp östlich des heutigen Ahvaz und westlich von Ramhormuz gelegen haben“ müssen. Die Namen der entsprechenden Könige, Bera und Birscha,

sind wohl fiktiv und wurden gezielt konstruiert: Aus ihnen lassen sich hebräische Wesensbestimmungen herauslesen wie „im Bösen“ und „im Frevel“. <58>

Die Stadt Adma – der hebräische Name ˀADMaH (Anm. 30) „steht für ‚Rote Erde‘“ – identifiziert Bauersachs mit der

Stadt Omidije … am Gebirgsrand im südöstlichen Chuzistan etwa 70 km vom Persischen Golf entfernt. Wandert man von Omidije in Richtung Nordwest, trifft man ständig auf unfruchtbare Flächen aus „Roter Erde“ (Sanddünen), besonders dicht gedrängt zwischen Ahvaz und Ramhormuz. Selbst auf Satellitenaufnahmen sind diese rötlichen Flächen deutlich zu erkennen; in der Region um das Tote Meer finden sich solche deutlich gefärbten Areale nicht. Warum sollte also im Großraum des heutigen Israel eine Stadt nach nicht vorhandener rot gefärbter Erde benannt sein?

Dabei ist die „Lautverschiebung“ einschließlich „Metathese“ von „ursprünglich Adma (eigentlich Odimije)“ zu „Amda (heute Omidije)“ mit dem „Wechsel vom früheren ‚a‘ zum heutigen ‚o‘ … eine normale Sprachentwicklung“. <59>

Schinab, den Namen des Königs von Adma, weiß Bauersachs ebensowenig zu erklären wie den Namen Schemeber von Zebojim. Er hat allerdings zwei Ideen zur Lokalisierung der Stadt Zebojim:

Der biblische Ort Zebojim lässt sich in Chuzistan nicht genau lokalisieren. Es könnte sich vom Lautwert her entweder um die Stadt Tobeik etwa 30 km westlich oder den Ort Subeit 20 km nordwestlich von Ramhormuz handeln: Tobeik liegt oberhalb eines Flusses unmittelbar an einer dieser charakterisch roten Flächen, Subeit liegt auf einer Erhebung westlich der wasserreichen Ebene um Ramhormuz.

Zur genaueren Bestimmung dieser Örtlichkeit zieht er 5. Mose 29,22 heran, wo TsɘBOJiM nochmals erwähnt wird (S. 126):

22 … Schwefel und Salz, eine Brandstätte ist sein ganzes Land; es wird nicht besät und lässt nichts sprossen, und keinerlei Kraut kommt darin auf wie nach der Umkehrung von Sodom und Gomorra, von Adma und Zebojim, …

Danach wäre aufgrund der heute eher kargen Umgebung das heutige Tobeik am ehesten mit dem biblischen Zebojim gleichzusetzen, ein weiteres Indiz für diese Lage sind Schwefelquellen und umfangreiche Ölvorkommen in unmittelbarer Nähe.

Nun fehlt als letzter der fünf Könige nur noch der König von Bela und Zoar. Er hat „keinen Eigennamen, dafür aber, wie es scheint, gleich zwei Heimatstädte.“ Wieder macht es keinen Sinn, die „Stadt Zoar am Südende des Toten Meeres“ für „mächtig genug“ zu halten, dass sie „eine Bedrohung Babylons“ hätte darstellen können. Bauersachs meint:

Wir müssen also anderswo suchen: Das biblische Zoar könnte der heutige Ort Tschul östlich von Ahvaz in Chuzistan sein.

Bei der Ortsbezeichnung „Bela“ könnte es sich um einen Doppelnamen handeln: In der Region Chuzistan gibt es zahlreiche Orte mit solchen zusammengesetzten Namen, die …-Bala (z.B. Omidije Bala, Gergeri Bala) heißen.

In mehreren indo-europäischen Sprachen hat dieses Bela-Bala die Bedeutung über, hoch, oberhalb <60> und findet sich vergleichbar auch in deutschen Ortsnamen wie Über-lingen, Hohen-ried, Ober-Hohen-ried.

Weiterhin hat Bauersachs herausgefunden, dass nach assyrischen Urkunden König Sanherib (705-680)

den Ort Bela erobert, zerstört und niedergebrannt hat. <61> Die Nennung dieses Ortes bedeutet aber, das Bela aus mehr als nur ein paar Hütten bestanden haben muss, einen „König“ von Bela hätte es also zur Zeit des „Kriegsberichts“ {um 1332 v. Chr.} durchaus geben können.

Damit wird deutlich, dass alle fünf Könige tatsächlich mit Städten in Chuzistan in Verbindung gebracht werden können, die östlich von Susa und Ahvaz liegen, während ihre Kriegsgegner aus dem von Babylonien beherrschten Gebiet zwischen Babylon, Larsa und Gojam bis hin zum elamischen Susa kommen.

3.9.4 Waren Refaiter, Susiter, Emiter, Horiter, Amalekiter und Amoriter am Krieg der 4 gegen 5 beteiligt – und wenn ja, wie?

Im Kriegsbericht werden in 1. Mose 14,5-7 außerdem (S. 123)

einige Volksgruppen genannt, die im Raum Chuzistan zuhause gewesen sein müssen, wenn ihre Beteiligung zutreffend wiedergegeben wird. … Wo die genannten Stämme in Chuzistan gelebt haben, lässt sich derzeit nicht überprüfen, zu viele Ruinenhügel warten in Chuzistan noch auf Ausgräber. Die biblischen Ortsbezeichnungen sind bei der Suche wieder einmal nicht hilfreich, weil sie rückblickend verteilt wurden und aus Palästina und Transjordanien stammen.

In meinen Augen ist die Erwähnung dieser Volksgruppen ohnehin nachträglich in die Darstellung des in den Versen 1-4 sowie 8-9 beschriebenen Krieges der vier gegen fünf Könige eingeschoben worden, so dass die hier aufgeführten Namen nicht unbedingt einer ursprünglich in Chuzistan angesiedelten Erzählung angehört haben müssen. Denn es erscheint schon merkwürdig, dass die vier Könige, die nach Vers 4 eigentlich eine Empörung der fünf Könige niederschlagen wollen, sich zunächst, so Vers 5-6, damit aufhalten, vier weitere Völker zu besiegen, und dann sogar noch einmal „umkehren“ (hebräisch: ŠUB), um gegen zwei weitere Völker zu Felde zu ziehen, wie in Vers 7 vermerkt wird:

7 Dann wandten sie sich und kamen nach En-Mischpat, das ist Kadesch; und sie schlugen das ganze Gebiet der Amalekiter und auch die Amoriter, die zu Hazezon-Tamar wohnten.

Der Feldzug gegen die hier genannten Amalekiter und Amoriter, auf die Bauersachs an dieser Stelle gar nicht eingeht, muss auf jeden Fall ein Einschub sein; andernorts bringt er selber sie mit ganz anderen Gegenden in Verbindung. <62>

Auch mit der Lokalisierung der meisten in den beiden vorherigen Versen aufgeführten Völker in Chuzistan tut sich Bauersachs schwer:

5 … {sie} schlugen die Refaïter bei Aschterot-Karnajim und die Susiter bei Ham und die Emiter in der Ebene von Kirjatajim

6 und die Horiter auf ihrem Gebirge Seïr bis El-Paran, das an der Wüste liegt.

Die Refaiter nennt er „ein legendäres Volk oder Geschlecht…, das schon vor der sogenannten Landnahme in Palästina gelebt“ haben soll; mit Chuzistan bringt er sie nicht in Verbindung.

Auch im Blick auf die Emiter (S. 124) verzichtet Bauersachs auf eine Verortung in der Susiana und beschränkt sich darauf, die „offensichtlichen Ungereimtheiten“ ihrer historischen Platzierung in „das historische Moab“ zu beschreiben.

Das „biblische Volk“ der Horiter hält Bauersachs jedoch eindeutig für „identisch mit den historischen Hurritern <63>“:

Gruppen dieser realen Hurriter lebten südlich von Susa und sind uns schon aus der elamischen Geschichte bekannt: Der merkwürdige König Hurpatila trägt einen eindeutig hurritischen Namen, zudem wurden in der Tempelanlage Haft Tepe zahlreiche hurritische Siegelungen gefunden; diese Zuordnung ist also eindeutig.

Der „Zusammenhang mit einem Gebirge Seir und einer Wüste El Paran in Palästina oder im Sinai“ ist ihm zufolge allerdings eine nachträgliche Konstruktion der biblischen Redaktoren:

Sie kannten die Landschaften der historischen Abläufe nicht mehr und suchten sie passend zu den überlieferten Ortsnamen in Palästina und Transjordanien.

Die Susiter schließlich identifiziert Bauersachs als „die Bewohner der Stadt oder des Gebiets um Susa“. Dagegen könnte sprechen, dass die Susiter auf Hebräisch ZUZIM heißen – mit zwei Mal dem gleichen weichen S-Laut „Zayin“ -, während die Stadt Susa auf Hebräisch ŠUŠaN – mit dem Sch-Laut „Schin“ – geschrieben wird.

Nimmt man allerdings an, dass sich hinter den vier zusätzlich erwähnten „Völkern“ der Refaiter, Susiter, Emiter und Horiter die unmittelbar von der babylonischen Besatzung Susas betroffene Stadtbevölkerung einschließlich weiterer Volksgruppen wie der hurritischen verbergen könnte, mag es sich hier doch um eine historische Erinnerung handeln. Erst später las man aus ihnen einen maßlos übertriebenen Siegeszug über ganze Völker im weiten Umkreis von Palästina heraus.

3.9.5 Neue Sicht babylonisch-assyrisch-elamischer Geschichte

Nun werfe ich einen Blick auf die durch Konrad Bauersachs neu geschriebene Geschichte der babylonisch-assyrisch-elamischen Beziehungen in den Jahren zwischen 1360-1332 v. Chr.

Obwohl (S. 127) der Kriegsbericht in 1. Mose 14 die genauen Einzelheiten der historischen „Verknüpfung der elamischen mit der kassitischen Geschichte“ nicht durchschauen konnte, macht Bauersachs doch deutlich, „wie verblüffend exakt der biblische Text die historische Wahrheit über diesem Krieg darstellt“. Das heißt, er entnimmt dem Kriegsbericht sogar wesentliche Bausteine, die seine Neukonstruktion der Geschichte erst möglich machen.

Beteiligt sind an diesem historischen Drama insgesamt vier große Akteure:

  1. das kassitische Babylonien mit seinen Königen Burna-Buriaš II., Kara-Hardaš (identisch mit Kadašman-KUR.GAL {sein Name als Prinzregent in West-Elam} und Kadašman-Muraš {sein assyrischer Name als König Babyloniens} und dem biblischen Kedor-Laomer), Nazi-Bugaš und Kurigalzu II.;
  2. das westliche Elam (Susiana) mit seinen Königen der Kidinuiden-Dynastie Šalla und Tepti-Ahar (= Hurpatila);
  3. im Hintergrund auf der einen Seite Assyrien im Norden Mesopotamiens mit seinem König Aššur-Uballit I., der massiv in die Thronfolge der Kassiten in Babylonien eingreift;
  4. im Hintergrund auf der anderen Seite das östliche Elam (Anšan) mit seinen igihalkidischen Königen Attar-Kittah und Untaš-Napiriša, die Anspruch auch auf West-Elam erheben.
3.9.5.1 Kedor-Laomer = Kadašman-KUR.GAL regiert 12 Jahre über West-Elam (Susa)

Das Drama begann um das Jahr 1360, als der in West-Elam (Susa) regierende König der Kidinuiden-Dynastie namens Šalla durch Attar-Kittah, einen Abkömmling aus der Igihalkiden-Dynastie von Ost-Elam (Anšan), gestürzt wurde.

Als König Tepti-Ahar, der letzte Vertreter der Kidinuiden, nach zehn Jahren stark genug war, wiederum Attar-Kittah zu vertreiben, setzte er sich wieder auf den Thron West-Elams und begann (S. 132) „um 1350 mit dem Bau von Haft Tepe“, einer Tempelanlage südöstlich von Susa.

Möglicherweise erlitt Tepti-Ahar in den folgenden Jahren einen Schlaganfall, der (S. 128) eine „politische Schwächung Susas“ erklären könnte (die Hervorhebungen auch innerhalb von Zitaten in diesem Abschnitt stammen von mir); jedenfalls war unter

dem Kassitenkönig Burna-Buriaš II. (1359 – 1333) … Babylon so stark und gleichzeitig Susa unter Tepti-Ahar so schwach, dass sich Burna-Buriaš II. ungestraft die stets strittigen Gebiete nordöstlich des Tigris {Jamutbal, Dehloran-Ebene, Teile des Meerlands} und schließlich die Susiana selbst einverleiben konnte. Burna-Buriaš II. setzte nach seinem Sieg über Tepti- Ahar seinen Sohn Kadašman-KUR.GAL in Susa auf den Thron, dies geschah um 1344 v. Chr.

Hinter diesem Kadašman-KUR.GAL verbirgt sich der biblische Kedor-Laomer; er herrschte zwölf Jahre lang bis 1333

als Prinzregent über Susa und wurde wohl als „König“ tituliert, führte aber keinen kassitischen Königstitel. Nach dem Tod seines Vaters musste Kadašman-KUR.GAL eilig die Susiana verlassen, um in Babylon als historischer Kara-Hardaš (kassitischer Name) bzw. Kadašman-Muraš (assyrischer Name) die Regierungsgeschäfte zu übernehmen. Der anschließende Aufstand Tepti-Ahars richtete sich gegen die kassitischen Besatzer, die bislang von Kadašman- KUR.GAL befehligt wurden.

In diesem Zusammenhang begründet Bauersachs seine Auffassung, dass es sich „bei dem erwähnten Regenten Kadašman-KUR.GAL“ NICHT „um den König Kadašman Enlil I. gehandelt <64>“ haben kann, der von 1374-1360 regierte, denn

  • einerseits „endet die Regierungszeit des Kadašman Enlil I. bereits um 1360, erst danach übernahm sein Sohn Burna-Buriaš II. die Regierungsgeschäfte. Tepti-Ahar kann deshalb nicht gleichzeitig mit Kadašman Enlil I. aktiv gewesen sein.“
  • Außerdem gibt es einen „Verwaltungstext aus Haft Tepe“, der „ins Jahr, ‚als der König den Kadašman KUR-Gal vertrieb‘, datiert“ ist und in dem „die Bezeichnung ‚König‘“ für Kadašman-KUR.GAL fehlt <65>; das kann gut darauf zurückgeführt werden, dass er während seiner Regierungszeit in Susa eben noch nicht kassitischer König war.
3.9.5.2 Tepti-Ahar = Hurpatila vertreibt die Kassiten im 13. Jahr, indem er von blutigen Thronfolgewirren in Babylon profitiert

Was kann nun der biblische Text in 1. Mose 14 zur Erhellung der historischen Verwicklungen um Kadašman-KUR.GAL = Kara-Hardaš = Kadašman-Muraš = Kedor-Laomer beitragen? Bauersachs schreibt dazu (S. 127:)

Im biblischen Text beklagen sich fünf benachbarte Könige, sie wären 12 Jahre lang von diesem Kedor-Laomer unterdrückt worden. Im dreizehnten Jahr hätten sie gegen Kedor-Laomer einen Aufstand angezettelt und als Reaktion darauf seien im 14. Jahr (Vers 14,5) die vier mit Kedor-Laomer verbündeten Könige (aus Vers 1. Mose 14,1) gekommen und hätten die aufrührerischen fünf Könige geschlagen:

4 Zwölf Jahre hatten sie Kedor-Laomer gedient, im dreizehnten Jahr aber empörten sie sich.

Diese Angaben kann man so verstehen (S. 129), dass „die Besetzung der Susiana durch die Kassiten unter Kadašman-KUR.GAL zwölf Jahre (etwa von 1344 bis 1333)“ andauerte,

genauso lange war Tepti-Ahar im eigenen Land weitestgehend entmachtet. Die offizielle Hauptstadt blieb weiterhin Susa, der besiegte Tepti-Ahar arbeitete mit Billigung der Kassiten weiter an dem teilweise fertiggestellten Tempelanlage Haft Tepe, wo er im eigenen Land im Exil lebte.

Dann ändert sich durch den Tod des babylonischen Königs alles (S. 130):

Nach zwölf Jahren Besatzungszeit („biblisch: … im dreizehnten Jahr“) profitierten Tepti-Ahar und seine vier Verbündeten nach dem Tod des Burna-Buriaš II. vom Weggang des Thronfolgers Kadašman-KUR.GAL bzw. Kadašman-Muraš. Sie nutzten die Gelegenheit (biblisch „… sie empörten sich“), die verhasste kassitische Oberherrschaft erfolgreich abzuschütteln. Tepti-Ahar hatte sogar Muße, seinen Sieg über Kadašman-KUR.GAL im besagten elamischen Verwaltungstext ausführlich zu dokumentieren.

In diesem Augenblick kamen am babylonischen Königshof die Beziehungen zum assyrischen Königreich als entscheidendes Element ins historische Drama hinein (S. 129):

Der neue kassitische König Kara-Hardaš war durch seine Mutter Enkel des assyrischen Königs Aššur-Uballit; er wird 1332 nach nur 18 Monaten Regierung von unzufriedenen Kassiten ermordet. Sie setzen den „echten“ Kassiten Nazi-Bugaš auf den Thron, den im Gegenzug unmittelbar danach {nur 2-3 Monate später} Aššur-Uballit ermorden ließ. Aššur-Uballit setzte den vermeintlich assyrientreuen Kurigalzu II. auf den Thron, wohl einen jüngeren Bruder des Burna-Buriaš II. Nach meinen Überlegungen dürfte das um 1332 v. Chr. gewesen sein…

3.9.5.3 Kurigalzu II. entmachtet Tepti-Ahar = Hurpatila im 14. Jahr im Einverständnis mit Untaš-Napiriša von Ost-Elam (Anšan)

Da (S. 130) dieses „politische Durcheinander im kassitischen Babylon … nach den zwei politischen Morden nicht wesentlich länger als 20 Monate gedauert“ hat, „konnten sich Tepti-Ahar und seine vier treuen Freunde <66> allerdings nur kurze Zeit über den ‚Sieg‘ nach ihrem Aufstand freuen“, was die Bibel so beschreibt:

5 Und im vierzehnten Jahr kamen Kedor-Laomer und die Könige, die mit ihm waren, und schlugen …

Das heißt: Auf „die Demütigung durch den Aufrührer Tepti-Ahar … im dreizehnten Jahr“ musste

im 14. Jahr des biblischen Berichts der neue kassitische König Kurigalzu II. ein Exempel statuieren und Tepti-Ahar bzw. Hurpatila zeigen …, wer der wahre Herr im Haus ist…

Dabei ist klar, dass das „Alte Testament“ weder „von der Ermordung des Kadašman-Muraš“ weiß noch „davon, dass jetzt Kurigalzu II. und eben nicht mehr Kedor-Laomer der Angreifer ist.“

Dass Kurigalzu II. mit dieser Strafaktion so lange wartete, führt Bauersachs auf zwei Gründe zurück. Erstens konnte er „natürlich erst nach seiner Inthronisation reagieren.“ Zweitens musste er (S. 131) „bei seinen Rache- und Angriffsplänen gegen Tepti-Ahar Verstimmungen mit seinem mächtigen Nachbarn Elam vermeiden, der die Susiana wieder in sein Reich eingliedern wollte“. In beiderseitigem Interesse von Kurigalzu II. und Untaš-Napiriša lag es also, dass der Letztere einer

neobabylonischen Urkunde nach … eine Tochter des Burna-Buriaš II. {heiratete} …

Untaš-Napiriša besiegelte dadurch mit Kurigalzu II. eine Stillhaltevereinbarung für die bevorstehende Konfrontation zwischen Kurigalzu II. und dem gemeinsamen Widersacher Tepti-Ahar. Dieser erfuhr zweifelsohne von der Eheschließung und fühlte sich wie beabsichtigt umklammert:

Im Osten interessierte sich Untaš-Napiriša angelegentlich für sein Reich, im Westen und Südwesten musste er einen Angriff durch Kurigalzu II. fürchten. Nach dem Motto ‚Angriff ist die beste Verteidigung‘ ist es denkbar, dass Tepti-Ahar den vermeintlich noch geschwächten Kurigalzu II. herausgefordert hat.

Darin sieht Bauersachs (S. 132) „die einzig mögliche Erklärung“ für die Auffassung der traditionellen Geschichtsschreibung, dass der ansonsten unbekannte elamische König „Hurpatila den Kurigalzu II. aktiv angegriffen haben soll“; diesen Hurpatila identifiziert Bauersachs, wie gesagt, mit Tepti-Ahar. <67> Vielleicht gab es auch gar keinen weiteren Angriff Hurpatilas = Tepti-Ahars gegen Kurigalzu II., sondern durch diesen wurde sein „Übermut“ bei der Empörung im Jahr zuvor „wenn auch verspätet, so doch unnachsichtig bestraft“.

Auf einem Standbild, das Kurigalzu II. „nach seinem Sieg über Hurpatila in Susa zur Erinnerung“ errichtete, behauptete er „typisch orientalisch“ übertreibend, dass er „Susa und Elam geschlagen und Marhaši vernichtet hat <68>“, obwohl er ja mit (Ost-)Elam sogar gemeinsame Sache machte. Die Stadt Marhaši sucht Bauersachs denn auch nicht „im Osten Elams“, sondern „nördlich oder nordwestlich der Susiana“ oder „im Raum Jamutbal“. <69> Dass Kurigalzu II. hier und in Susa Beute machen konnte, war für „Untaš-Napiriša … offenbar ein angemessener Preis für die unblutige Wiedereingliederung der Susiana in sein Reich.“

Im Zuge meiner Korrespondenz mit Konrad Bauersachs über sein Buch kam er zur Identifizierung von Marhaši auf noch eine andere Idee: „Könnte in Ramhormuz vielleicht Marhaši = Baraḫsĕ drinstecken?“ Diese Annahme kommt mir plausibler vor als eine Lokalisierung von Marhaši im Jamutbal, was ja noch im eigenen Einflussbereich von Kurigalzu gelegen hätte. Zudem behauptet Kurigalzu in seiner Siegesbotschaft, Susa und Elam geschlagen und Marhaši vernichtet zu haben; Ramhormuz könnte dann der östlichste Punkt der Susiana sein, den er noch eingenommen hätte, um das gesamte Gebiet der Susiana nach einem Raubzug seinem Bündnispartner Untaš-Napiriša zu überlassen.

Ein kleiner Schönheitsfehler bei dieser Neuschreibung der Geschichte ist der Umstand, dass unter den fünf Königen, die Kedor-Laomer (inzwischen = Kurigalzu II.) besiegt, der eigentliche Haupt-Protagonist Tepti-Ahar = Hurpatila in Susa gar nicht erwähnt wird, es sei denn, man deutet die Susiter in 1. Mose 14,5 in diese Richtung. Bauersachs spekuliert später noch über das Schicksal seiner fünf Verbündeten (S. 158):

Ob die Könige von Sodom und Gomorrha und ihre drei Kollegen nach der verlorenen Schlacht noch in Amt und Würden bleiben durften, ist fraglich. Untaš-Napiriša, der Verbündete des Kurigalzu II., war durch die gewonnene Schlacht mit Kurigalzus II. Hilfe Herrscher über Gesamt-Elam geworden. Dass er großmütig genug war, die fünf Aufrührer weiter in ihren Positionen zu belassen, glaube ich nicht; Untaš-Napiriša konnte sich in seiner eigenen Familie mit geeignetem Personal bedienen.

3.9.6 Geographische Verortung des Kriegsschauplatzes und der heldenhaften Befreiung Lots durch Abraham in 1. Mose 14

Von (S. 134) all den mühsam erschlossenen „Zusammenhängen der überregionalen Politik“ weiß das Alte Testament „natürlich nichts“. Nur weil „Abrahams Stamm … offensichtlich von den Kriegshandlungen unmittelbar betroffen“ war, hat man einige Erinnerungen daran aufbewahrt und als „Stoff für eine Heldengeschichte“ weitererzählt.

3.9.6.1 Das Tal Siddim bei den Asphaltgruben von Saddine

Dabei werden (S.134) von der „Schlacht gegen Kedor-Laomer (den historischen Kurigalzu II.)“ nur zwei Einzelheiten überliefert: Erstens der Ort der Schlacht „im Tal Siddim“ und zweitens „die Flucht der unterlegenen fünf Könige“ nach verlorener Schlacht, die für die einen „beschämend in einer der zahlreichen Asphaltgruben“ und für die anderen im „Gebirge“ endet:

8 … sie ordneten sich zur Schlacht gegen sie im Tal Siddim…

10 Im Tal Siddim aber war Asphaltgrube neben Asphaltgrube; und die Könige von Sodom und Gomorrha flohen und fielen dort hinein, die übrigen aber flohen ins Gebirge.

Skizze mit Saddine und Andimask
Hinter Saddine und Andimask können sich das biblische Siddim und Damaskus aus 1. Mose 14 verbergen (Karte: Konrad Bauersachs)

Vielleicht führte schlichte Panik dazu, dass die „Könige von Sodom und Gomorrha … wortwörtlich in die eigene Grube“ fielen, oder es

haben die kassitischen Soldaten auch nachgeholfen und die fliehenden Könige hineingeworfen als milde Variante der assyrischen Bestrafung von Delinquenten durch Übergießen mit heißem Asphalt.

Jedenfalls ist dieser Asphalt ein wertvolles Indiz für die geographische Verortung der Erzählung. Die (S. 135) „Verwendung von Asphalt, auch mit Erdharz oder Pech übersetzt“ – „sowohl beim Bauen als Mörtel oder als Dichtungsmaterial“ – wird nämlich im „Alten Testament sowie beim Historiker Herodot“ schon für die Antike bezeugt; „auch dies ist ein eindeutiger Hinweis auf Babylonien und Chuzistan.“

Im biblischen Palästina finden sich in der Region südlich des Toten Meeres, in der Sodom und Gomorrha angeblich gelegen haben sollen, keinerlei ergiebige Asphaltvorkommen, somit konnten die Könige von Sodom und Gomorrha auf der Flucht auch in keine Asphaltgruben fallen.

Wohl aber (S. 136) bezeugt die Bibel in 1. Mose 11,3 „die Verwendung von Erdharz oder Asphalt in Babylonien“ beim Turmbau zu Babel:

3 Und sie sagten einer zum anderen: Auf, lasst uns Ziegel streichen und hart brennen! Und der Ziegel diente ihnen als Stein, und der Asphalt diente ihnen als Mörtel.

Und der antike Geschichtsschreiber Herodot berichtet „aus der Zeit des Perserkönig Dareios/Darius I., der in Chuzistan einen seiner Landsitze hatte“, über „einfache Methoden, neben Asphalt das Erdöl zu gewinnen“ <70>. Noch heute gibt es im

Osten von Chuzistan … entlang der Antiklinalen <71> zahllose Erdölvorkommen, das biblische Tal Siddim (1. Mose 14,3 SsiDDIM) dürfte in der unmittelbaren Umgebung des heutigen Orts Saddine etwa 10 km östlich von Ahvaz gelegen haben.

Hier und nicht am Toten Meer müssen wir den Schauplatz der kriegerischen Auseinandersetzung suchen. In Chuzistan reiht sich bei Saddine eine Ölförderstation an die nächste und setzt sich entlang und auf dem Kuh-e-Kerit (110 m hoch) sowie dem Kuh-e-Schere (255m hoch) nach Osten fort:

1. Mose 14,10: Im Tal Siddim aber war Asphaltgrube neben Asphaltgrube; und die Könige von Sodom und Gomorrha flohen und fielen dort hinein, die übrigen aber flohen ins Gebirge.

Hier hat das Alte Testament gleich doppelt Recht: Im Raum Saddine/Siddim gibt es reichlich Ölquellen („Asphaltgruben“), unmittelbar daneben erheben sich die Hügelzüge (biblisch „Gebirge“) Kuh-e-Kerit und Kuh-e-Schere, wo nach der Zerstörung von Sodom und Gomorrha Lot und seine beiden Töchter in einer der zahlreichen Höhlen Zuflucht gefunden haben.

3.9.6.2 Die Verfolgung der Entführer Lots bis Hoda bei Andimašk

Nun endlich kommen wir zur Verstrickung der Sippe Abrahams in den Kriegszug, den Kurigalzu II. gegen Tepti-Ahar führte (S. 136):

Unter der Kriegsbeute der kassitischen Soldaten befand sich angeblich auch Abrahams Neffe Lot. Abraham erfährt dies, eilt den abziehenden Soldaten hinterher, stellt sie in einem nächtlichen Kampf und folgt ihnen noch bis „Hoba, das links (nördlich) von Damaskus liegt“.

11 Da nahmen sie alle Habe von Sodom und Gomorra und all ihre Nahrungsmittel und zogen davon.

12 Und sie nahmen Lot mit, den Sohn von Abrams Bruder, und seine Habe und zogen davon; denn er wohnte in Sodom.

13 Und es kam ein Entkommener und berichtete es Abram, dem Hebräer; er wohnte aber unter den Terebinthen Mamres, des Amoriters, des Bruders von Eschkol und des Bruders von Aner; die waren Abrams Bundesgenossen.

14 Und als Abram hörte, daß sein Bruder gefangen weggeführt war, ließ er seine bewährten Männer, seine Hausgeborenen, ausrücken, 318 Mann, und jagte ihnen nach bis nach Dan.

15 Und nachts teilte er sich und fiel über sie her, er und seine Knechte, und schlug sie und jagte ihnen nach bis nach Hoba, das links von Damaskus liegt.

Dass in diesen Versen (S. 135) eine Heldentat „Abrahams … zu einem Sieg über die Koalition der vier Könige hochstilisiert“ wird,

darf man sicher nicht zu streng bewerten. Glaubt man dem biblischen Bericht, so schafft Abraham es immerhin mit seinen Männern, Lot zu befreien und einen Teil der Kriegsbeute sicherzustellen. Wahrscheinlich gelang dies nur deswegen, weil die Truppen nach getaner Arbeit sowieso abzogen.

Möglich ist allerdings auch folgendes Szenario:

Der unerwartete nächtliche Überfall, eine damals für ausgebildete Soldaten ungewohnte Kampfesweise, ermöglichte es auch schlecht ausgerüsteten Nomaden, überlegene Gegner erfolgreich anzugreifen: Durch den nächtlichen Überraschungseffekt war die zahlenmäßige Unterlegenheit des Gegners nicht zu erkennen.

Aber wie konnte die Verfolgung sich bis hinter die Stadt Damaskus erstrecken? Bauersachs stellt fest (S. 137), dass im „heutigen Palästina … von Abrahams Lager im heutigen Israel bei Hebron … etwa 250 km Luftlinie nach Aram-Damaskus im heutigen Syrien zurückzulegen“ wären, ich füge hinzu: Vom Südrand des Toten Meers, wo Sodom gelegen haben soll, sogar über 400 km. In der „Amarna-Zeit (ab Mitte des 14. Jahrhunderts v. Chr.)“ wurde das aramäische Damaskus noch „Upe genannt, aus dem das alttestamentliche Hoba verballhornt wurde.“ Aber warum „erwähnt das Alte Testament“, wenn Damaskus mit Hoba identisch ist, noch „zusätzlich ein Hoba, das bei Damaskus liegen soll?“ Nun gibt es in

Chuzistan … noch heute etwa 30 km nördlich der Stadt Andimašk (daraus wurde das biblische „Damaskus“) einen Ort Hoda, wo die Verfolgung nach dem biblischen Bericht endete.

Allerdings lagen auch in Chuzistan zwischen dem Kuh-e-Mish Dagh, Abrahams Heimat, und dem Ort Hoda weit über 100 km und zwischen dem Schlachtfeld Siddine in der Nähe des biblischen Sodom und Hoda sogar über 250 km. Dennoch ist die Lokalisierung der Geschichte hier in Chuzistan weitaus glaubwürdiger als in Palästina und Syrien. <72> Wie viel davon nicht letzten Endes doch einem heldenhaftem „Hirtenvolkslatein“ zuzuschreiben ist, wird natürlich niemals zu erweisen sein. Auch kann „Damaskus“ als Endpunkt der Verfolgung nachträglich eingefügt worden sein.

3.9.6.3 Ist in dem Priesterkönig Melchisedek eine Erinnerung an König Meli-Šihu aufbewahrt?

Maßlos übertrieben ist natürlich (S. 137), dass

Abrahams Sieg über die abziehenden Truppen und die Rückeroberung der Beute nebst Lots Befreiung … als Gesamtsieg über Kedor-Laomer gepriesen {wird}. Der unterlegene König von Sodom hat seinen Sturz in die Asphaltgruben offenbar unbeschadet überstanden und will sich bei Abraham bedanken {1. Mose 14,16-18}:

16 Und er brachte die ganze Habe zurück; und auch Lot, seinen Neffen, und dessen Habe brachte er zurück und auch die Frauen und das Volk.

17 Und als er zurückkehrte, nachdem er Kedor-Laomer und die Könige, die mit ihm gewesen, geschlagen hatte, zog der König von Sodom aus, ihm entgegen, in das Tal Schawe, das ist das Königstal.

18 Und Melchisedek, König von Salem, brachte Brot und Wein heraus; und er war Priester Gottes, des Höchsten.

Auf die in den abschließenden Versen 21-24 erzählte Weigerung Abrahams, aus den Händen des Königs von Sodom (nicht „des König Melchisedek“, wie Bauersachs irrtümlich schreibt), „eine Belohnung anzunehmen“, gehe ich hier nicht weiter ein, auch nicht auf „die ‚freiwillige‘ Übergabe des Zehenten“ an Melchisedek in Vers 20, „wohl um retrospektiv die Versorgung der Leviten im mosaischen Gesetz zu begründen.“

Zum Königstal Schawe meint Bauersachs (S. 138), dass sich sein Name im „Ort Schawe (iran. Shabaibi) etwa 60 km östlich von Ahvaz erhalten“ hat.

Bei der Suche nach einem „biblischen“ Salem in Chuzistan finden wir nahe bei den Asphaltgruben von Siddim (40 km entfernt) und dem Königstal Schawe (20 km entfernt) den Ort Salmana.

In der „Personalunion zwischen König und Hohepriester … an dieser Stelle“ erblickt Bauersachs einen weiteren

Hinweis auf Babylonien. Hier gab es an Neujahr die Heilige Hochzeit zwischen der höchsten Priesterin und dem Stadtfürsten bzw. König. Die Priesterin verkörperte bei dieser Feier die Göttin und vereinigte sich mit dem König, der den Gott der Fruchtbarkeit vertrat, im Hochtempel auf dem Gipfel einer Zikkurat.

Dieses Ritual wurde von der Bevölkerung mit einem Volksfest begangen; die später im Alten Testament immer wieder geächtete Tempelprostitution hat ihre Wurzeln wohl in diesem Fest:

Jeremia 2,20: Denn auf jedem hohen Hügel und unter jedem grünen Baum hast du dich hingelegt als Hure.

Bauersachs hält es auch für möglich, dass

dieser mysteriöse biblische König und angebliche Hohepriester Melchisedek sogar ein reales Vorbild im Kassitenkönig Meli-Šihu <73> (auch Meli-Šipak genannt). Lange nach dessen Tod ging sein Schwiegersohn Šutruk-Nahhunte II. um 1158 v. Chr. wieder einmal einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nach und überfiel das kassitische Babylonien. Er beendete so die Kassitenherrschaft und schleppte Unmengen von Stelen und Monumenten nach Susa; darunter war auch die Stele mit dem Codex Hammurabi, die heute im Louvre aufbewahrt wird.

Dass Abraham den Kassitenkönig Meli-Šihu namentlich gekannt haben könnte, ihm gar persönlich gegenübergetreten ist, ist unmöglich: Zwischen dem Exodus und diesem König liegen rund 50 reale Jahre, bis zu Abraham sind es unüberbrückbar rund 200 zusätzliche Jahre.

Denkbar wäre durch die engen Bande zwischen Babylonien und Elam, dass sich die Erinnerung an diesen ausgesprochen friedliebenden Herrscher bis in die elamische Exilzeit der Juden erhalten und durch Rückkehrer den Weg in die Niederschrift gefunden hat.

Abschließend betont Bauersachs (S. 139) noch einmal, dass für ihn der „Kriegsbericht 1. Mose 14 eine der Schlüsselstellen bei der Suche nach historischen Inhalten der Bibel“ ist:

Offensichtlich gab es zum belegten Ablauf umfangreiche Überlieferungen, die schließlich durch die Redaktoren, wie z.B. die Melchisedek-Episode (1. Mose 14,18) mit der Festschreibung des Zehenten, zweckdienlich ausgeschmückt wurden.

Ich muss sagen, dass ich seinen Indizienprozess gerade in diesem Zusammenhang ausgesprochen überzeugend finde.

3.10 Welche Ursache ließ Sodom und Gomorrha untergehen?

Zu den Erzählungen, die sich um Abraham und Lot ranken (S. 142), gehört schließlich auch noch diejenige über den „spektakulären Untergang von Sodom und Gomorrha“, denn der im Rahmen des Kriegsbericht durch Abraham gerettete „Lot war in oder bei Sodom zuhause und wurde dort gefangengenommen“:

Dass Sodom und Gomorrha … in Chuzistan gelegen haben müssen, zeigte die Beteiligung der beiden Könige am Krieg 1. Mose 14. Außerdem lässt sich nur in Chuzistan ein Untergangsszenario ausarbeiten, das lokale geologische Besonderheiten berücksichtigt und die biblische Schilderung realistisch wirken lässt.

Abraham ist mit dieser Geschichte insofern verbunden, als er, der soeben (1. Mose 18,10) als 99-Jähriger die Geburt eines Sohnes verheißen bekommen hat, mit JHWH (1. Mose 18,17-33) „über die Schonung der Stadt zu verhandeln“ versucht, „um die göttliche Strafe doch noch abzuwenden“. Daraufhin bekommt Lot immerhin (S. 144)

genug Zeit, sich und seine Familie vor dem drohenden Untergang zu retten. Wie bekannt erstarrt Lots ungehorsames Weib auf der Flucht zur Salzsäule, er selbst und seine Töchter retten sich nach Zoar und hausen dort in einer Höhle.

Traditionell lokalisiert man Sodom und Zoar „am Toten Meer“, wo es noch heute eine „Stadt Tsoar“ und „den Berg Sedom“ gibt, „der sich mühelos von ‚Sodom‘ herleiten lässt.“ Allerdings:

Dass auf den Ebenen am Südende des Toten Meers nur anspruchslose Pflanzen wachsen, liegt ausschließlich an den salzhaltigen Böden und hat nichts mit dem biblischen Schwefel- und Feuerregen zu tun.

Und da (S. 145) das Tote Meer heute weitaus tiefer „unter dem Meeresspiegel liegt“ als früher, „das Wasser … also gesunken“ ist, müssten die Ruinen von Sodom und Gomorrha längst aufgetaucht sein, wenn diese Städte denn hier gelegen hätten.

3.10.1 Ein Vulkanausbruch scheidet aus

Aber (S. 151) „welches Ereignis“ könnte überhaupt „zur Vernichtung dieser Städte geführt haben“?

Nur noch selten wird als Erklärung ein Vulkanausbruch bemüht, der mit Lava und Asche die Städte dem Erdboden gleichmacht.

Diese Theorie scheitert daran, dass es im heutigen Israel weit und breit keinen in geologisch jüngster Zeit aktiven Vulkan gibt …

3.10.2 Ein Erdbeben allein reicht als Ursache nicht aus

Ein „Erdbeben“ als Ursache wäre grundsätzlich möglich, denn:

Das Tote Meer ist in ein geologisch aktives Grabensystem (Great Rift Valley) eingebettet, das sich von Syrien im Norden über das Jordantal, das Tote Meer, das Wadi Araba und das Rote Meer bis nach Afrika fortsetzt.

Erdbeben im Großraum Israel waren und sind auch heute keine Seltenheit…

Gegen ein solches Szenario in Israel spricht allerdings einiges:

Bei einem Beben wären nicht nur Sodom und Gomorrha betroffen gewesen, sondern gleichzeitig sämtliche Städte entlang des Grabenbruchs, wie etwa Jericho und Zoar, wohin sich Lot mit seinen Töchtern geflüchtet haben soll.

Auch (S. 153:) „ein gelegentliches Vorkommen von reinem Schwefel“ in der Nähe von ausgegrabenen Ruinen am Toten Meer kann nach Bauersachs <74> nicht „als Beweis dafür gelten, dass hier das biblische Sodom und Gomorrha gelegen haben muss: Dieser reine Schwefel hätte beim katastrophalen Untergang verbrennen müssen.“

Querschnitt zur Gebirgsbildung - eine Antiklinale und Synklinale (Berg und Tal)
Erdöl und Erdgas als Zeitbombe unter Sodom und Gomorrha (Skizze: Konrad Bauersachs)

Wenden wir uns also wieder einmal den Umständen in der Region Chuzistan zu, die ebenfalls „früher wie heute immer wieder von Erdbeben heimgesucht wird.“ In einem ausführlichen „Exkurs zur Geologie“ geht Bauersachs auf „die Vorgänge bei Erdbeben und Gebirgsbildung“ ein, die „eine plausible Erklärung für den Untergang von Sodom und Gomorrha“ liefern:

Die Erdkruste besteht aus zahlreichen Platten, die quasi auf dem flüssigen Erdinneren schwimmen und sich horizontal und vertikal gegeneinander verschieben können. Diese Bewegungen laufen leider nicht gleichmäßig ab: Die Platten verhaken sich an den Grenzen ineinander, eine Platte verschiebt sich gegen die andere und plötzlich baut die sich Spannung in einem Beben ab. Das Schwemmland der Mesopotamischen Tiefebene und die Arabische Halbinsel sind Teil einer Platte, die sich stetig (bis zu 27 mm jährlich) nach Nordosten bewegt. Diese Bewegung hat im Laufe von Jahrmillionen die Gebirgssysteme des Taurus (Türkei) und des Zagros (Iran) aufgefaltet und setzt sich über Griechenland bis zum Balkan fort.

Der Druckausgleich beim Zusammenstoß der Platten erfolgt in Chuzistan nach oben (Antiklinale = Gebirgsbildung <75>); hier schiebt sich die afrikanische Platte (mit Saudi-Arabien) gegen die eurasische Platte (Iran, Türkei). Gerade zwischen Ahvaz und Dizful lässt sich die Gebirgsentstehung gut verfolgen: Aus der Flussebene Chuzistans ragen parallele Bergrücken, die im Verlauf der letzten 1700 Jahre um stellenweise fast 20 Meter angehoben wurden.

Nordwestlich von Ahvaz ist die Hügelregion um den Kuh-e-Mish Dagh (245m; Abrahams Mescha) ein Paradebeispiel für eine Antiklinale. Wie aktiv die Region ist zeigen südöstlich von Ahvaz der Kuh-e-Kerit (143m) und der Kuh-e-Schere (255m), parallel dazu verlaufen weiter nördlich zwei weitere im Abstand von etwa 12 km:

Die Shaur-Antiklinale trennt – bis zu 70 m hoch – das Flusssystem des Kerkhe vom Diz, die nächste Antiklinale liegt weiter nördlich zwischen Diz und Karun und ist derzeit stellenweise 80 – 90 m hoch. Der Shaur-Rücken zeigt beispielhaft die schnelle Aufwärtsbewegung in geschichtlicher Zeit…

Aber, wie gesagt, ein Erdbeben allein würde nicht alle in der Bibel beschriebenen Umstände der Zerstörung von Sodom und Gomorrha erklären. Denn in 1. Mose 19,28 heißt es ausdrücklich:

Und er (Anm.: Abraham) blickte hinab auf die Fläche von Sodom und Gomorrha und auf die ganze Fläche des Landes des KiKaR {= Kuh-e-Kerit?}, und er sah: und siehe, Rauch stieg vom Land auf, wie der Rauch eines Schmelzofens.

Dazu schreibt Bauersachs (S. 156):

Bei Erdbeben entstehen immer wieder größere Brände, diese werden aber sekundär durch z.B. Herdfeuer verursacht, die beim Einsturz des Hauses das Holz des Dachstuhls in Brand setzen. Ein Flächenbrand als unmittelbare Folge eines Bebens, wie im biblischen Bericht erwähnt, ist ausgeschlossen.

3.10.3 Erdöl und Erdgas können einen Feuersturm erzeugen

Nun kommen in Chuzistan aber weitere Umstände hinzu, nämlich (S. 156), dass die genannten „zahlreichen Antiklinalen… sozusagen den Deckel auf den umfangreichen Öl- und Gasvorkommen“ bilden und … bei schweren Beben beschädigt werden“ können.

Bereits 2006 fand man bei Ahvaz mehrere ergiebige Öl- und Gasfelder, eines liegt bei Abe-Taimar ca. 25 km westlich an der Bahnstrecke nach Khorramshar, ein weiteres etwa 60 km südöstlich bei Khami. Der Fund in Khami <76> ist im Hinblick auf den Untergang von Sodom und Gomorrha besonders interessant: Dieses Gasvorkommen zählt zu den Gaslagerstätten mit dem höchsten Druck weltweit. Im Erdöl sind stets Gase gelöst, die die unterirdischen Lagerstätten unter Druck setzen und das mechanische Hochpumpen unnötig machen, aber auch extrem gefährlich sein können.

Abgesehen von der Erdbebenfrühwarnung an Lot und seine Familie durch die Engel in 1. Mose 19,15 lässt sich „das Unglück über Sodom und Gomorrha“ nun nachvollziehen (1. Mose 19,24-25):

Da ließ der HERR auf Sodom und auf Gomorrha Schwefel und Feuer regnen von dem HERRN aus dem Himmel und er kehrte diese Städte um und die ganze Ebene des Jordan und alle Bewohner der Städte und das Gewächs des Erdbodens.

Bauersachs (S. 157) führt dazu aus:

Der viermal wiederkehrende Begriff des „Umkehrens“ {1. Mose 19,21.25.29 und 5. Mose 29,22} kann im wörtlichen Sinn nur bedeuten, dass durch ein heftiges Erdbeben das unterste nach oben gekehrt wird und danach durch ein verheerendes Feuer ein ganzer Landstrich dem Erdboden gleichgemacht wird. Wie soll man aber erklären, dass es „Schwefel und Feuer“ regnete? Die Lösung für all diese Fragen können wir nicht im heutigen Israel finden, sondern nur in Chuzistan, dem Lebensraum Abrahams. Aus dem biblischen Bericht ist bekannt, dass es in der Umgebung von Sodom und Gomorrha zahlreiche Asphaltgruben gegeben hat:

1. Mose 14,10 Im Tal Siddim aber war Asphaltgrube neben Asphaltgrube; und die Könige von Sodom und Gomorrha flohen und fielen dort hinein, die übrigen aber flohen ins Gebirge.

Noch heute stehen im

Raum Ahvaz … die Erdölförderanlagen dicht an dicht und zahlreiche Pipelines transportieren den wichtigsten Exportartikel des Iran zu den Raffinerien und den Ladestationen im Persischen Golf. … Neben dem bekannten Abfackeln von Erdgas-Erdölmischungen unter starker Rußbildung wird versehentlich austretendes Rohöl oberflächlich in Sandgruben aufgefangen und ebenfalls verbrannt. Der Boden ist dadurch im weiten Umkreis für die Landwirtschaft nicht mehr nutzbar.

Genau das ist es, was die Bibel in 5. Mose 29,22 schildert:

5. Mose 29,22 … Schwefel und Salz, eine Brandstätte ist sein ganzes Land; es wird nicht besät und lässt nichts sprossen, und keinerlei Kraut kommt darin auf wie nach der Umkehrung von Sodom und Gomorrha …

Nun können wir nachvollziehen, was „beim Untergang von Sodom und Gomorrha tatsächlich geschehen“ ist:

Durch ein heftiges Erdbeben werden einige der zahlreichen Erdöllagerstätten beschädigt, bildlich gesprochen werden die Erdtanks geöffnet und das Gemisch aus Gas und Öl sprüht haushoch in den Morgenhimmel. Es braucht nicht viel Phantasie, sich die Folgen auszumalen: Zuerst entzündet sich das explosive Gemisch der Fontänen an einem Herdfeuer, Feuersäulen entstehen und verteilen das brennende Öl weiträumig. Durch die Hitze der zahlreichen Brände schießt heiße Luft nach oben, es entsteht ein Feuersturm, der die brennenden Fontänen in einen feinen Nebel zerstäubt und am Boden die Vernichtung perfekt macht. Beim Betrachter entsteht so der Eindruck, das Feuer falle vom Himmel.

Zu dem Einwand, „dass das iranische Öl schwefelarm ist, warum sollte es also Schwefel regnen?“, verweist Bauersachs auf „die rückblickende Geschichtsschreibung“, die von den sehr schwefelhaltigen „Asphaltvorkommen im Toten Meer“ scheinbar „logisch, aber falsch“ kombinierte: „Schwefel im Asphalt des Toten Meeres, Sodom am Toten Meer, also muss beim Brand beider Städte Schwefel vom Himmel gefallen sein.“

Um zu zeigen (S. 158), dass „das geschilderte Szenario keineswegs utopisch ist“, erinnert Bauersachs daran, dass „im Golfkrieg 1991 (Aktion ‚Wüstensturm‘) … die abziehenden irakischen Truppen … mehr als 700 Öllager und Ölquellen in Brand“ setzten, so dass „täglich … 5% des Welttagesbedarfs an Öl“ verbrannten. „Bis sämtliche Brände gelöscht werden konnten, vergingen Wochen.“

Für die Zeit Abrahams und Lots malt Bauersachs die Folgen des Untergangs von Sodom und Gomorrha folgendermaßen aus:

Die ehemals landwirtschaftlich intensiv genutzte Region um Sodom und Gomorrha hat sich von dieser Katastrophe nie mehr erholt. Nicht verbranntes Öl und giftige Rückstände machen den Boden lange Zeit für jede Art der Bewirtschaftung nutzlos.

Als (S.150) A. H. Layard <77> im Jahr 1846 „über seine abenteuerlichen Reisen durch Chuzistan“ berichtet, „beschreibt er eine Landschaft, wie sie unmittelbar nach dem Untergang von Sodom und Gomorrha ausgesehen haben muss“:

In diesen Hügeln finden sich nur wenige Frischwasserquellen, dafür reichlich Tümpel mit Erdöl oder Petroleum, Asphalt sowie schwefel- oder salzhaltigem Wasser. Häufig haben sie, wie die Naphthaquellen bei Ramhormuz, ein verbranntes und vulkanisches Aussehen.

3.10.4 Wo haben Sodom und Gomorrha tatsächlich gelegen?

Eine (S. 158) „exakte Ortsangabe mit Längen- und Breitengrad“ bietet Konrad Bauersachs „für Sodom und Gomorrha“ nicht an.

Allerdings weisen die bereits behandelten Details des biblischen Kriegsbericht aus der Zeit kurz vor dem Untergang Sodom und Gomorrhas eindeutig in die Region zwischen Ahvaz und Ramhormuz. Nur hier finden wir reale und biblische Asphaltgruben in der Nachbarschaft realer und biblischer Orte wie Siddim-Saddine, dem Königstal Schawe, Salem-Salmana {Salem bzw. Salmana ist nur 15 km vom Erdgasfeld Khami entfernt}, den Regierungssitz Melchisedeks und das vom Himmel fallende Feuer. Die Städte Sodom und Gomorrha müssen in der näheren Umgebung des Kuh-e-Kerit und Kuh-e-Schere mit den ergiebigen Öl- und Gasvorkommen gelegen haben. Die häufig dramatischen Erdbeben und weitere Auffaltungen der Antiklinalen in Chuzistan sind ebenfalls ein unübersehbarer Hinweis auf diese Region. Im heutigen Israel lässt sich dagegen dieses Szenario nicht nachvollziehen.

Bei allen Vorbehalten könnte man das biblische Sodom in der Umgebung von Siddim-Saddine lokalisieren (der Name legt das nahe), das biblische Gomorrha etwa bei Ramshir am Kuh-e-Schere. Das Alte Testament erzählt, dass nur die beiden Könige von Sodom und Gomorrha nach der Schlacht gegen Kurigalzu II. auf ihrer Flucht in die Asphaltgruben bei Siddim gefallen sein sollen. Siddim liegt nördlich des Kuh-e-Kerit und des Kuh-e-Schere. Man könnte das so interpretieren, dass auch Sodom und Gomorrha nördlich des Kuh-e-Kerit oder des Kuh-e-Schere gelegen haben müssen, weil die fliehenden Könige ihre Heimatstädte wohl auf kürzestem Weg erreichen wollten.

Zur Identifizierung von Gomorrha merke ich an, dass der hebräische Urtext ˁAMoRaH lautet; das G im Anlaut stammt erst aus der griechischen Sepuaginta.

Zum weiteren Schicksal von Lot und seiner Familie schreibt Bauersachs (S. 148):

Nach der Zerstörung von Sodom und Gomorrha haust Lot mit seinen Töchtern in einer Berghöhle vermutlich am Kuh-e-Schere oberhalb von „Zoar/Tsoar“, dies könnte das heutige Tschul etwa 30 km südöstlich von Ahvaz sein…

Aber wird die Gegend von Sodom und Gomorrha nicht durch eine Randbemerkung im Kriegsbericht 1. Mose 14,3 doch mit dem Toten Meer in Verbindung gebracht? Dort heißt es:

Alle diese verbündeten sich und kamen in das Tal Siddim, das ist das Salzmeer.

Auch (S. 149) für diese „nachhinkende Ergänzung ‚… das ist das Salzmeer‘“ sieht Bauersachs den Ursprung

in der rückblickenden Niederschrift und der Verlegung der Ereignisse von Chuzistan ans Tote Meer im heutigen Israel. Im Raum Chuzistan gab es zu allen Zeiten durch die starke Verdunstung Salzkrusten auf dem Boden, die nach Regenfällen Tümpel mit Salzwasser bilden konnten; ein „Meer“ gab es hier (abgesehen vom Persischen Golf) nie, allenfalls ausgedehnte Überschwemmungen nach starken Regenfällen oder zur Zeit der Schneeschmelze. Zeitweilig konnte bei starkem Südwind ein „Salzmeer“ entstehen, wenn Meerwasser fast bis Ahvaz reichte und weit in die Flussmündungen eindrang.

3.11 Kann man weitere Vertreter von Abrahams Sippe mit Babylonien und Elam in Verbindung bringen?

Nachdem Konrad Bauersachs ausführlich und überzeugend die Sippe Abrahams mit Babylonien und Elam in Verbindung gebracht hat, möchte ich ergänzend die Frage stellen, ob nicht auch noch andere Vertreter seines Familienverbandes in diese Betrachtungsweise einbezogen werden könnten.

Insbesondere frage ich mich, ob man bestimmte Erzählstoffe, die mit verschiedenen Personen- und Ortsnamen verknüpft sind, auch auf verschiedene Regionen der nomadischen Weidegründe im Jamutbal oder in Chuzistan und Umgebung beziehen könnte. Genaue Antworten vermag ich darauf aber nicht zu geben.

Dabei ist mir natürlich bewusst, dass die Erzählungen in einem langen Überlieferungsprozess vielfach verändert, in neue Zusammenhänge eingepasst, ergänzt und verändert worden sind. Hier geht es mir nur darum, ob man vielleicht doch einen ursprünglichen Anknüpfungspunkt an historische Gegebenheiten aufspüren kann, und verbinde vier Erzählkreise mit hervorgehobenen Ortsnamen (in Klammern gebe ich jeweils die Kapitel im 1. Buch Mose an, in denen die jeweiligen Erzählungen überliefert sind).

3.11.1 Erzählkreis Mamre/Hebron (Hauptfiguren: Abram – Lot)

Die meisten der mit den Namen Abram und Lot verbundenen Erzählungen betreffen Abrams und Lots Wanderungen, ausgehend von (10) der Heimat der Semiten zwischen Sefar und Mescha bzw. (11) Terachs Heimat Ur in Chaldäa.

Sie spielen sich ab zwischen (12) Haran und Kanaan, führen an der Terebinthe More bei Sichem vorbei zur Gegend zwischen Bethel und Ai, dann ins Südland und evtl. nach „Ägypten“.

Vom (13) Südland geht es zurück in die Gegend zwischen Bethel und Ai, von wo aus sich die Wege Abrams und Lots trennen: Lot geht nach KiKaR, <78> die Gegend von Sodom und Zoar, Abram bleibt in Kanaan bei den Terebinthen Mamres in der Nähe von Hebron.

In diesem geographischen Zusammenhang (14) spielt sich das Drama des Kriegsberichts zwischen Siddim, Sodom und „Damaskus“ ab und ebenso (18) Abra(ha)ms Eintreten für Sodom bei JHWH, (19) der Untergang Sodoms und die Flucht Lots und seiner Töchter nach Zoar und in eine Gebirgshöhle.

Auch (23) den Erwerb der Höhle Machpela gegenüber von Mamre bei Kirjat-Arba = Hebron durch Abraham als Erbbegräbnis zunächst für Sara würde ich in diesen Erzählkreis einbeziehen.

Dass allerdings später (25) auch Abraham durch seine Söhne Isaak und Ismael, schließlich (35) Isaak durch seine Söhne Esau und Jakob und am Ende (50) Jakob durch seine Söhne hier bestattet werden, ist bereits auf eine Verschmelzung von Traditionen zurückzuführen.

Durch die Erwähnung (15) von Ur und Damaskus nur lose mit dem ersten Erzählkreis verknüpft wurde vermutlich die Verheißung an Abram, dass nicht sein Diener Elieser von Damaskus sein Erbe sein wird, sondern dass seine Nachkommen das ganze Land zwischen Ägypten und dem Euphrat beherrschen werden, insgesamt zehn kanaanäische Völker.

Schließlich ist wohl auch (17) Abrams Umbenennung in Abraham und (18) die Verheißung des Sohnes Isaak an Abraham und Sara bei den Terebinthen Mamres später hinzugefügt worden.

Ich habe diesen Erzählkreis bewusst nach Mamre bei Hebron benannt, weil dieser Ort einen Fluchtpunkt bedeutet, von dem Abram immer wieder aufbricht, auf den das Leben Abrams und seiner Sippe aber auch immer wieder zusteuert, spätestens im Tod. Zu bedenken ist allerdings, dass der Bericht über eine Beisetzung in der Höhle bei Machpela für Isaak und Jakob sicher nachträglich hinzugefügt worden ist, um ihre Erzählkreise mit dem von Abraham zu verknüpfen.

Thematisch scheint es ursprünglich hauptsächlich um die Bedingungen des Überlebens einer Sippe von Kleinviehnomaden gegangen zu sein, und zwar immer wieder auf der Suche nach geeigneten Weidegründen zwischen der Steppe und den bewässerten Gebieten der Sesshaften und zeitweise sogar beeinflusst durch die Wirren der zeitgenössischen großen Politik und durch Naturkatastrophen im Gebiet der Asphaltgruben in West-Elam.

3.11.2 Erzählkreis Lachai-Roi (Hauptfiguren: Hagar – Isaak)

Die Figuren eines zweiten Erzählkreises werden in meinen Augen zusammengehalten durch den „Brunnen des Lebendigen, der mich sieht“, Lachai-Roi. Mit ihm haben nicht nur Hagar und ihr Sohn Ismael, sondern auch Isaak, der Sohn Saras, zu tun.

Die Geschichte in Kapitel 16 handelt vom Konflikt zwischen der kinderlosen Frau Abrams und ihrer ägyptischen Sklavin Hagar. Sarai selbst setzt sie als Leihmutter für einen Sohn ihres Mannes ein; ihre gleichzeitige Eifersucht aber treibt Hagar auf die Flucht in die Wüste, wo sie auf dem Weg nach Schur zwischen Kadesch und Bered einen Brunnen findet, den sie Lachai-Roi nennt. <79>

Zum zweiten Mal (24) taucht der Brunnen Lachai-Roi in der Nähe von Isaaks Wohnort im Land des Südens auf, wo Abrahams Knecht dem Isaak seine Frau Rebekka zuführt, die er aus der Heimat Nahors und Labans geholt hat, die hier aber nicht Haran, sondern Aram-Nacharajim heißt. Von Rebekkas Ursprungsfamilie war in Kapitel 22 erzählt worden.

Und ein drittes Mal ist vom Brunnen Lachai-Roi in Kapitel 25 die Rede, wiederum als Wohnort Isaaks, und zwar im Zusammenhang mit der Beisetzung Abrahams. Kurz darauf wird erwähnt, dass Isaaks Frau Rebekka, die Tochter des Aramäers Betuel aus Paddan-Aram, vorübergehend unfruchtbar war. Das bringt mich auf die Idee, ob nicht die Leihmutterschaft Hagars und ihre Flucht in die Wüste zwischen Kadesch und Bered ursprünglich im Zusammenhang mit Isaak und Rebekka erzählt worden sein könnte.

Das heißt: das zentrale Thema der wunderbaren Empfängnis des auserwählten Sohnes, der später das Gottesvolk Israel repräsentiert, könnte erst nachträglich von Isaak und Rebekka auch auf den Erzählkreis von Abraham und Sara übertragen worden sein.

In welcher Wüstengegend genau ein Brunnen Lachai-Roi gelegen haben könnte – „auf dem Weg nach Schur zwischen Kadesch und Bered“ – dazu habe ich keine konkrete Idee.

3.11.3 Erzählkreis Beerscheba und Gerar (Hauptfiguren: Isaak – Abimelech)

Figuren und Handlung eines dritten Erzählkreises überschneiden sich mit dem zweiten; er ist geprägt durch den Brunnen Beerscheba, der wörtlich „Brunnen der Sieben“ heißt (was auf die sieben Lämmer von 1. Mose 21,28-30 bezogen wird) oder auch in verschiedener Weise als „Schwurbrunnen“ gedeutet wird; teilweise kommt auch im Zusammenhang mit König Abimelech der Ort Gerar ins Spiel.

Nach Kapitel 26 bringt Isaak seine Frau Rebekka im Land Gerar bei König Abimelech, dem König der Philister, in die Gefahr, verführt zu werden; hier liegen auch Beerscheba und verschiedene andere Brunnen; auch Abimelechs Freund Ahusat und sein Heerführer Pichol spielen eine Rolle. Die Rolle der Philister deutet darauf hin, dass diese Geschichten wohl doch eher in Palästina anzusiedeln sind und nicht im Jamutbal oder in Chuzistan.

Das Kapitel 20 hatte die Geschichte von der Gefährdung der Ahnfrau durch König Abimelech in Gerar auf Abraham und Sara bezogen, wohin er als Fremder vom Südland zwischen Kadesch und Schur aus hingekommen war.

Ein drittes Mal war von der Gefährdung der Ahnfrau bereits in Kapitel 12 erzählt worden, dort in Bezug auf den Pharao in Ägypten, was mit Sicherheit so nicht ursprünglich in den ersten Erzählkreis hineingehört hatte.

Der mit Abimelech und Pichol verbundene zweite Teil der in 26 erzählten Geschichte wird, auf Abraham bezogen, in Kapitel 21 fortgesetzt, der in Beerscheba eine Tamariske pflanzt.

Dasselbe Kapitel 21 erzählt, eingeschoben zwischen die Teile der eben erwähnten Doppelgeschichte, ein weiteres Mal von der Rettung Hagars und in diesem Fall auch ihres Sohnes Ismaels, die dieses Mal in der Wüste von Beerscheba ausgesetzt werden. Ismael wird in diesem Zusammenhang als zukünftiger Wüstenbewohner identifiziert, und zwar in der Wüste Paran.

Auch (22) die Erzählung von Abrahams Versuchung auf dem Berg Morija mit dem Ort JHWH JiRˀÄH = „der HERR wird ersehen“ wird in einen Zusammenhang mit Beerscheba gestellt.

Es spricht viel dafür, die ursprüngliche Erzählung von der Gefährdung der Ahnfrau und von Konflikten um Brunnenbohrungen in der Wüste mit den Orten Gerar und Beerscheba zu verbinden. <80>

Dabei frage ich mich, ob der Name der wüstenhaften oder versteppten Gegend um den Ort Gerar möglicherweise im heutigen Gorgor im südwestlichen Chuzistan, 30 km östlich von Shadegan, erhalten geblieben ist.

3.11.4 Erzählkreis Haran – Sichem – Bethel (Hauptfigur: Jakob)

Der vierte Erzählkreis handelt hauptsächlich von Jakob, der (25) durch die Herkunft seiner Mutter Rebekka von Geburt an mit Paddan-Aram = Haran verbunden ist und (27) nach seinem Betrug an seinem Bruder Esau (28) von Beerscheba über Bethel dorthin flieht (wobei der Ortsname Beerscheba ihn wohl nachträglich mit den anderen Erzvätern verbinden sollte).

In (29-30) Haran, das hier (wohl aus späterer Sicht von Israel aus) das „Land der Söhne des Ostens“ heißt, werden von Lea, Bilha, Silpa und Rahel alle elf Söhne Jakobs außer Benjamin und seine Tochter Dina geboren.

Nach (31) einem Konflikt mit seinem Schwiegervater Laban flieht Jakob aus Paddan-Aram nach Gilead (= Gal-Ed / Jegar-Sahaduta) und Mizpa, wo er Frieden mit Laban schließt.

Anschließend (32) bereitet er sich bei Mahanajim und am Fluss Jabbok bei Pnuel auf die Begegnung mit seinem Bruder Esau vor, der im Gebiet Edom im Land Seir wohnt.

Nach (33) der Versöhnung zeltet Jakob bei Sukkot und lässt sich bei Sichem nieder, wo er für 100 Kesita ein Feldstück kauft, auf dem später (Josua 24,32) sein Sohn Josef begraben wird.

Da es (34) hier in Sichem aber zur Vergewaltigung Dinas und der Blutrache durch Simeon und Levi kommt (35), zieht Jakob von der Terebinthe bei Sichem weg in Richtung Bethel; dort stirbt Rebekkas Amme Debora und wird unter der Eiche Allon Bachut begraben. Am Weg nach Efrata stirbt Rahel bei der Geburt Benjamins; Jakob wohnt schließlich jenseits von Migdal-Eder.

Am Ende (35) gelangt Jakob zu seinem Vater Isaak nach Mamre = Kirjat-Arba = Hebron; auf diese Weise werden sowohl dieser Erzählkreis als auch die mit Isaak verbundenen Erzählkreise mit dem zuerst erwähnten Erzählkreis Abrams verbunden.

Alle Erzählungen um Jakob, Esau und Laban drehen sich um das Thema von Betrug und Verrat, aber auch um Versöhnung, hinzu kommen die von Eifersucht geprägten Kämpfe zwischen Rahel und Lea um die Liebe ihres Mannes.

3.11.5 Zwei weitere Erzählkreise um Josef und Mose sowie Erzählungen um einzelne Personen

Auf zwei weitere ausgedehnte Erzählkreise, die in 1. Mose 37.39-50 mit Josef und in 2. Mose 1ff. mit Mose zu tun haben, werde ich erst im folgenden Kapitel eingehen.

Außerdem drehen sich einzelne Geschichten im 1. Buch Mose

  • (25) um eine dritte Frau Abrahams, Ketura, und ihre Kinder; sie werden weggeschickt, und zwar „nach Osten in das Land des Ostens“,
  • (25) um Ismael, dessen Nachkommen „von Hawila an bis nach Schur, das vor Ägypten liegt, nach Assur hin“ wohnen,
  • (26) um Esaus hethitische Frauen Jehudit und Basemat,
  • (36) um Esaus Nachkommen, die auf dem Gebirge Seir wohnen und mit Edom gleichgesetzt werden,
  • (38) um Jakobs Sohn Juda, von dem seine Schwiegertochter Tamar mit den Zwillingen Perez und Serach schwanger wird, der in Adullam wohnt und mit den Orten Timna und Enajim zu tun hat.

4 Der Exodus und seine Vorgeschichte in Babylonien und Elam

Der biblische Erzählkreis um Josef, der im 1. Buch Mose den größten Raum einnimmt (insgesamt 13 von 50 Kapiteln, also über ein Viertel des Buches), läuft darauf hinaus, dass Josef seinen Vater Jakob = Israel und alle seine Brüder aus Anlass einer Hungersnot in Ägypten ansiedelt, wo sie „Hebräer“ genannt werden und nach Josefs Tod in Fronarbeit und Sklaverei geraten. Bereits 1. Mose 47,13-26 lässt aber erkennen, dass Josef selbst für Maßnahmen der Selbstversklavung in Ägypten verantwortlich ist.

Nach dem 2. Buch Mose wachsen die Nachkommen Abrahams, Isaaks und Jakobs in Ägypten zum „Volk Israel“ heran, das dann durch Mose als ihren Anführer aus Ägypten herausgeführt wird, nachdem Gott die Ägypter mit zehn Plagen hart gestraft hat.

Im Abschnitt 3.1 wurden bereits gute Gründe dafür angeführt, dass dieses „Ägypten“ nicht mit dem realen Ägypten am Nil identisch gewesen sein kann. Aber wo liegt das „Ägypten“ der Fronarbeit und Sklaverei, aus dem nach der Bibel der Exodus des „Volkes Israel“ erfolgte, tatsächlich?

Konrad Bauersachs unterscheidet dazu sogar zwei verschiedene „Ägypten“ (S. 159):

Das Alte Testament macht aus zwei historisch dokumentierten, räumlich und zeitlich aber unabhängigen Ereignissen (Ziegelherstellung und Selbstversklavung) eine gemeinsame Leidensgeschichte des „Volkes Israel“ und verlegt sie nach Ägypten.

Die Ziegelherstellung findet in Chuzistan/Susiana unter Untaš-Napiriša statt, die Ziegelbauten sind heute noch als Ruinen (Čoga Zanbil) sichtbar. Die Selbstversklavung ist in der biblischen Josefsgeschichte beschrieben und im kassitischen Babylonien historisch dokumentiert.

Dieser Themenkomplex gestaltet sich wohl deswegen so kompliziert, weil hier mehrere Erzählkreise der Bibel eine Rolle spielen, von denen auf den ersten Blick nicht klar ist, ob sie überhaupt miteinander zu tun haben, und wenn ja, auf welche Weise.

Mit dem Erzählkreis um Josef sind in der Bibel sowohl die Jakobgeschichten verbunden, vor allem, indem Josef als ägyptischer Aufsteiger seine Familie vor dem Hungertod rettet, als auch die Mose- bzw. Exodusgeschichte, indem Josef den Jakobs-Clan nach Ägypten bringt, wo er zum „Volk Israel“ heranwächst und einer Fronarbeit unterworfen wird, bei dem es vor allem um Ziegelherstellung geht. Zur Geschichte von Josefs Aufstieg in Ägypten gehört aber auch, dass er während der Hungersnot selbst Maßnahmen einleitet, die zur Überschuldung und Selbstversklavung des Volkes führen.

Bauersachs geht nun davon aus, dass die Gestalt des Josef zwar mit einer Selbstversklavung im Babylonien der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts zu tun hat, aber nichts mit der Ziegelherstellung, die bereits zur Zeit Abrahams 100 Jahre zuvor in Chuzistan begonnen hatte und dort auf irgendeine Weise bis zur Zeit Kidin-Hutrans III. andauerte. Daraus folgt für ihn anscheinend auch, der Verbindung Josefs mit Jakob wenig Beachtung zu schenken, weil er Jakob ja gemeinsam mit dem Abrahams-Clan im Jamutbal und in Chuzistan verortet und nicht im zentralen Babylonien.

Den Exodus wiederum sieht Bauersachs wiederum nicht im Zusammenhang mit einem historischen Mose, den er nur mit der Wüstenwanderung ab Kadesch-Qadisiya in Verbindung bringt. Genau genommen unterscheidet er zwischen einem „Mose“ in Anführungsstrichen, der die Exodus-Gruppe in Chuzistan vor dem Pharao vertreten haben könnte und beim Exodus selbst dabei gewesen sein soll, und einem Karawanenführer Mose, der diese Gruppe sicher durch die Wüste zwischen Babylonien und Transjordanien geführt hat.

Ich dagegen denke, dass eine familiäre Verbindung von Josef und Jakob vorstellbar ist, allerdings ohne dass eine direkte Ahnenreihe von Abraham über Isaak zu Jakob und seinen Söhnen führen muss. Außerdem ist mir eine Verbindung aufgefallen, die zwischen Abraham, Josef und Mose besteht, auf die Bauersachs nur ganz am Rande in einem Fremdzitat indirekt aufmerksam macht.

4.1 Abraham, Josef und Mose als Hebräer = Ḫabiru

Es gibt eine einzige Stelle im Erzählkreis Abrahams, und zwar ausgerechnet in 1. Mose 14,13 im Zusammenhang des Kriegsberichts, an der er als HaˁIBRiJ = „der Hebräer“ bezeichnet wird. Das könnte man als nachträgliche Hinzufügung abtun, aber aus welchem Grund hätte man das tun sollen?

Josef gehört zu den wenigen biblischen Gestalten, die mehrmals als Angehörige eines Volks der ˁIBRiJ = „Hebräer“ auftreten. Als die Frau des Potiphar Josef wegen angeblicher Vergewaltigung anzeigt, nennt sie ihn (1. Mose 39,14.17) einen „hebräischen Mann“ bzw. „Sklaven“; dem königlichen Mundschenk gegenüber, der mit Josef im Gefängnis sitzt, gibt er seine Herkunft (40,15) „aus dem Land der Hebräer“ an, und in 41,10 sagt der Mundschenk dem Pharao, dass es „ein junger Hebräer“ war, der ihm seinen Traum richtig gedeutet hatte.

Schließlich deutet die Stelle 43,32 einen Gegensatz an, der zwischen „Ägyptern“ einerseits und „Hebräern“ andererseits besteht und zu dem es eine interessante Parallele in 1. Mose 46,34 gibt:

32 … die Ägypter können nicht mit den Hebräern essen, denn ein Greuel ist das für Ägypter.

34 … denn alle Schafhirten sind den Ägyptern ein Greuel.

Zwar meint das hebräische Wort ThOˁEBaH in der Regel die schwerwiegende Verletzung eines religiösen Tabus, aber der letztere Vers zeigt an, dass es beim Gegensatz Ägypter-Hebräer wohl weniger um einen religiösen Gegensatz ging als um einen der sozialen Abstufung – der sesshaften Bevölkerung gefiel es nicht, wenn sich nomadisches Gesindel in ihrer Umgebung breit machte – vergleichbar mit den Vorurteilen gegenüber den so genannten „Zigeunern“, die ich aus meiner Kindheit kenne.

Schließlich ist am Beginn der Exodus-Erzählungen (2. Mose 1,15.16.19) im Zusammenhang mit der Entbindung von männlichen Kindern der Fronarbeiter drei Mal von der eindrucksvollen Stärke der „Hebräerinnen“ und vom Widerstandswillen ihrer Hebammen die Rede.

Auch Mose und seine Mutter werden (2. Mose 1,6.7) ausdrücklich den „Hebräern“ zugerechnet, und in 2.11.13 sind es „hebräische“ Männer, für die Mose sich durch den Totschlag an einem „Ägypter“ einsetzt und die ihn gleichwohl nicht als einen der ihren anerkennen. Und als Mose und Aaron später dem „Pharao“ gegenübertreten, berufen sie sich nach 2. Mose 3,18; 5,3; 7,16; 9,1.13; 10,3 sechs Mal auf „den Gott der Hebräer“.

Diese vielen Erwähnungen der „Hebräer“ besonders im Zusammenhang mit Josef und Mose sind um so bemerkenswerter, als der Begriff ˁIBRiJ im Alten Testament ansonsten überhaupt nur noch an 14 weiteren Stellen verwendet wird. <81>

Interessant ist nun, dass Konrad Bauersachs im Zusammenhang mit der Flucht von Frondienstleistenden am Rande auch eine Volksgruppe erwähnt, die unter dem Namen Ḫabiru bekannt ist und zu denen er folgendes Zitat aus der Fischer Weltgeschichte, S. 1612, anführt (S. 173):

„Die Flucht ganzer Familien … war allerdings eine Erscheinung, die sich während dieser ganzen Zeit oft zeigte und auch schon früher häufig eingetreten war. Wir stoßen auf die Ḫabiru, eine aus Akkade, das heißt Babylonien, stammende Volksgruppe, die sich gegen die Mitte des 15. Jahrhundert in Nuzi befanden und dort als freiwillige Sklaven lebten.“

Nach Detlef Jericke <82> kann man über diese „soziale Gruppe“ Folgendes sagen:

„Keilschriftliche, keilalphabetische (ugaritische) und ägyptische Texte des 2. Jahrtausends v. Chr. erwähnen Hapiru / Habiru in verschiedenen Zusammenhängen (Zusammenstellung der Belege bei Greenberg; Bottéro 1954 und 1975). Aufgrund der in den genannten Texten verbreiteten Determination von Nomina ist erwiesen, dass es sich um eine Gruppe von Menschen handelt. Die ältesten Textbelege stammen aus dem 19./18. Jh. v. Chr., die jüngsten aus dem 12./11. Jh. v. Chr. Im 1. Jahrtausend v. Chr. sind die Hapiru / Habiru nicht mehr nachgewiesen. Geographisch verteilen sich die Belege über den gesamten Alten Vorderen Orient, von Anatolien im Norden, dem iranischen Bergland im Osten bis nach Ägypten im Süden. Zentren des Auftretens der Hapiru / Habiru waren das nördliche Zweistromland und Syrien / Palästina.

Der Ausdruck Hapiru / Habiru ist nicht als Ethnikon, sondern durchgehend appellativisch <83> zu verstehen. Er bezeichnet eine soziale Gruppe der bronzezeitlichen Klassengesellschaft. Die Hapiru / Habiru sind fast durchgehend Migranten, Landesfremde. Aufgrund dieser Situation sind sie recht- und schutzlos und stehen in der sozialen Rangordnung noch unter den Sklaven. So bezeugen Dokumente aus der nordmesopotamischen Stadt → Nuzi, dass sich Hapiru / Habiru durch Dienstverhältnisse in Palästen und Tempeln oder auch als Sklaven zumindest minimale Rechte erwarben. Die Gründe für das Auftreten von Hapiru / Habiru im 2. Jahrtausend v. Chr. sind den Texten selbst nicht zu entnehmen. In der Forschung wird vermutet, dass es sich um Menschen handelte, die der verbreiteten Schuldsklaverei durch Migration entgehen wollten (Liverani; Lemche). Ein anderes Deutungsmodell geht davon aus, dass die bronzezeitlichen Gesellschaften durch eine enge wirtschaftliche und rechtliche Verflechtung von städtischen Zentren, landwirtschaftlich genutztem Hinterland und nomadischen Gruppen geprägt waren. Infolge des wirtschaftlichen Niedergangs oder der kriegerischen Zerstörung einer Stadt konnten die von ihr abhängigen Bauern und Nomaden recht- und schutzlos werden und daher gezwungen sein, eine gewisse Zeit als Hapiru / Habiru zu leben, bevor sie wieder in ein neues geregeltes Rechts- und Schutzverhältnis gelangen konnten (Rowton). Daher hat sich der englische Ausdruck „outlaws“ als Beschreibung der Menschen durchgesetzt, die in den alten Texten Hapiru / Habiru genannt werden.“

Aus diesen Ausführungen darf man durchaus den Schluss ziehen, dass auch Nachkommen Abrahams oder Jakobs sich zeitweise dazu gezwungen gesehen haben könnten, als Ḫabiru zu leben, und zwar unabhängig davon, zu welcher Familie sie gehörten oder wo genau sie sich niedergelassen hatten, sei es im babylonischen Jamutbal oder in Chuzistan.

Wenn es solchen Ḫabiru in Nuzi gelang, sich durch Dienste in Palästen Rechte zu erwerben, mag es nicht unmöglich sein, auch in einem Mann wie Josef am Hof des babylonischen Königs den Sonderfall eines freiwilligen Sklaven zu erblicken, der es schaffte, gesellschaftlich aufzusteigen und durch seine Privilegien auch seiner Familie zu helfen.

Auch ein Mann wie Mose kann dieser sozialen Randgruppe der Ḫabiru angehört haben, die im alten Orient immer wieder für sozialen Zündstoff gesorgt hat. Dabei nehme ich an, dass er nicht dem gleichen Typus wie Josef angehörte, sondern aus seiner Rand­existenz heraus eher zum Rebellentum neigte und zum Anführer einer Gruppe von Aufständischen wie geboren schien.

Mit all dem will ich darauf hinaus, dass eine Existenz am Rande der Gesellschaft, wie sie die Ḫabiru unabhängig von ihrer ethnischen Zugehörigkeit geführt haben, das verbindende Element von Menschen wie Abraham, Josef und Mose gewesen sein kann, und zwar auch ohne dass sie ethnisch gesehen dem gleichen Volk oder gar derselben Familie angehört haben.

Das heißt auch, dass die Josefsgeschichte nicht ursprünglich mit den Exodus-Erzählungen zusammengehangen haben muss. Vielleicht haben sich aber unter den Ḫabiru in Chuzistan durchaus auch Geschichten aus Babylonien verbreitet, die von einem aus ihren Kreisen aufgestiegenen Josef und seinen Heldentaten zu berichten wussten.

Um genau diesen Ḫabiru Josef und seine Verstrickung in eine Wirtschaftskrise in Babylonien geht es im folgenden Abschnitt 4.2.

Im Anschluss daran beschäftige ich mich in Abschnitt 4.3 zunächst mit der möglichen Biographie eines Ḫabiru Mose, in dem ich im Gegensatz zu Bauersachs den Anführer der Exodus-Gruppe bereits von Anfang an erkenne.

Sodann blende ich im Abschnitt 4.4 in die Zeit des Ḫabiru Abraham zurück, als die Fronarbeiten in Haft Tepe und Čoga Zanbil begannen, die in Chuzistan noch 100 Jahre später sowohl erinnert werden als auch bis zu König Kidin-Hutran III. weiterhin andauern.

Auf diesem Hintergrund können dann in Abschnitt 4.5 sowohl die „ägyptischen“ Plagen als auch der Exodus behandelt werden.

4.2 Josef und die babylonische Wirtschaftskrise im 13. Jhdt. v. Chr.

Anders als Konrad Bauersachs (der die Ziegelherstellung in Chuzistan zuerst behandelt) möchte ich nun zunächst auf die Situation in Babylonien etwa 100 Jahre nach der Zeit des Kriegsberichts eingehen, die er in einen engen Zusammenhang mit der biblischen Josefsgeschichte bringt.

4.2.1 Eine Klimakatastrophe als Ursache einer Wirtschaftskrise

Nach Bauersachs (S. 170) war es eine „ab Mitte des 13. Jhd. v. Chr.“ anhaltende Trockenheit, die hauptsächlich den Niedergang Babyloniens verursachte. Wie bereits oben im Abschnitt 2.2 beschrieben, ist „Babylonien .. ohne die Bewässerung der Felder nicht lebensfähig, weil im Schwemmland zwischen Euphrat und Tigris kaum Regen fällt“. Je weniger „Niederschläge im Einzuggebiet des Euphrat und Tigris“ aber über Jahre hin fallen, desto mehr „versalzen die bewässerten Flächen durch die starke Verdunstung.“ Während (S. 171) im nördlichen Teil des Zweistromlandes, in Assyrien, immer noch „entlang des Zagros-Gebirges Regenfeldbau möglich“ ist, gehen (S. 170) im Süden, in Babylonien, „die landwirtschaftlichen Erträge spürbar zurück“ (S. 171):

Am wenigsten betroffen sind zunächst Nomaden, deren Herden auch auf den mageren Böden ausreichend Futter finden. Nomaden sind aber auf Getreide angewiesen, das sie im Normalfall gegen Milchprodukte sowie Fleisch und Felle tauschen können. In schlechten Zeiten müssen auch sie wie Stadtbewohner Wertgegenstände gegen Lebensmittel eintauschen, die Herden sind ihr einziges Kapital und damit unveräußerlich.

Die Versorgungsprobleme im südlichen Mesopotamien müssen Mitte des 13. Jhd. gravierend gewesen sein. Ehemals florierende Städte verödeten, weil die Stadtbewohner aufs Land ziehen und sich selbst versorgen mussten; die Bevölkerungszahl im südlichen Mesopotamien ging in dieser Zeit stark zurück.

Da (S. 172) im „benachbarten Elam … das Einzugsgebiet der Flüsse in einer anderen Wetterküche“ liegt, waren „die Folgen der Klimaänderung … hier nicht so gravierend wie in Babylonien.“ Darum werden „die Truppen des Kidin-Hutran III.“ bei ihrem „Angriff auf Babylon … um 1226 … zu Recht mit ausgehungerten und geschwächten Gegnern“ rechnen können, bei zugleich eigenen „gut gefüllten Speicher{n} der Susiana“. Da um das Jahr 1226 „auch Assyrien unter Tukulti Ninurta I.“ Babylonien angreifen wird, sind zu dieser Zeit „auch entlang des oberen Tigris noch ausreichende Ernten“ anzunehmen.

Das bedeutet aber, dass sich Babylonien zur Zeit der kassitischen Herrscher Kudur-Enlil I. (1255-1246), Šagarakti-Šuriaš (1245-1232) und Kaštiliaš IV. (1232-1226) in einer sich ständig verschärfenden Wirtschaftskrise und Hungersnot befindet.

4.2.2 Selbstversklavung auf Grund von Überschuldung

Jetzt kommen wir (S. 172) zu den Folgen der babylonischen Wirtschaftskrise in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts (S. 172), die in der biblischen Josefsgeschichte detailliert beschrieben und durch „außerbiblische Belege“ bestätigt werden:

In Babylonien werden die Lebensmitteln immer knapper, wir schreiben etwa das Jahr 1235 v. Chr. und finden uns mitten in den Geschichten des Alten Testaments:

1. Mose 47,19 Warum sollen wir vor deinen Augen sterben, sowohl wir als auch unser Land? Kaufe uns und unser Land für Brot, dann wollen wir und unser Land dem Pharao fronpflichtig sein; und gib Samen, dass wir leben und nicht sterben und das Land nicht verödet daliegt!

Dazu passt ein „Urkundentext aus der Zeit Kudur-Enlils (1253-1245)“, aus dem hervorgeht, dass die „Abwärtsspirale der Verschuldung … meist mit Bürgschaften“ begann, deren überhöhte Zinsen unbezahlbar waren. Weiter schreibt Bauersachs (S. 173):

Entsprechendes finden wir in Texten aus Nippur und Dur-Kurigalzu, die außerordentlich hohe Zahl von Anleihen zeigt die schwierige finanzielle Situation der Bevölkerung. Die Jahrzehnte dauernde Wirtschaftskrise führte dazu, dass sich die Bevölkerung immer weiter verschulden musste und es zu zahlreichen Inhaftierungen kam, weil Schulden nicht zurückgezahlt werden konnten. Dass Banken die Hauptprofiteure von Wirtschaftskrisen sind, ist also nichts Neues.

Nach Fischer Weltgeschichte, S. 1611, zitiert von Bauersachs, erreichte eine „Bankiersfamilie“, deren „Archive … teilweise erhalten“ sind, gerade um 1250 v. Chr. „ihre größte Blüte“:

„Die große Zahl von Anleihen, die uns durch diese Archive bezeugt werden, zeigt, dass der Aufschwung dieser Familie vielleicht in Zusammenhang mit einer schwierigen Wirtschaftslage dieses Landes stand. Die zahlreichen Fälle von Inhaftierungen, auf Grund von Schulden, die man in dieser Epoche beobachtet, scheinen in die gleiche Richtung zu weisen. Von wirtschaftlichen Schwierigkeiten zeugt auch die große Zahl von Personen, die wegen ihrer Schulden oder einfach von der Notwendigkeit des Weiterlebens getrieben in gewisse Formen der Selbstverknechtung einwilligten, die einer Versklavung nahekamen.“

Um zu überleben verpflichteten sich ganze Familien zur Zwangsarbeit, sie hatten keine Wahl und wurden nach den Erfordernissen umgesiedelt. Auch dies ist in der Josefsgeschichte erwähnt:

1. Mose 47,21 Und das Volk, das versetzte er {Anm.: Josef} in die verschiedenen Städte, von einem Ende der Grenze Ägyptens {Anm.: tatsächlich ist Babylonien gemeint} bis zu ihrem anderen Ende.

Ein Beamter vor Ort beaufsichtigte diesen Umzug und wurde für die Arbeitsunfähigkeit und die mögliche Flucht der Leibeigenen verantwortlich gemacht. Außerdem musste er für das Erreichen des Arbeitssolls der Frondienstleistenden geradestehen und war bei gelungenen Fluchtversuchen schadensersatzpflichtig, dazu sorgte er auch für das Eintreiben von Steuern. Die Betroffenen wollten mit diesen Umständen nicht auf die Dauer leben, deshalb flohen immer wieder ganze Gruppen in wirtschaftlich besser gestellte Gebiete außerhalb des babylonischen Einflussbereichs, vergleichbar mit dem Exodus um 1220…

Solche Fluchtversuche hatte es in vergleichbaren Situationen auch schon zuvor gegeben; so berichten „zahlreiche Urkunden“, die in „Dur-Kurigalzu“ gefunden wurden,

bereits aus der Zeit um 1340 v. Chr. … über geflohene Dienstverpflichtete … und dass es auch Flüchtlinge aus der Susiana gegeben hat. … Diese Berichte stammen etwa aus der Zeit des biblischen ‚Kriegsberichts‘ und zeigen, dass für Flüchtlinge damals selbst Strecken von mehreren hundert Kilometern keine Hürde darstellten.

Schon jetzt können wir mit Bauersachs zu Recht den Schluss ziehen (S. 174):

Die geschilderte Fronarbeit in Babylonien mit Selbstversklavung ab Mitte des 13. Jahrhunderts spiegelt exakt die Lage wider, in der wir das biblische „Volk Israel“ in der Zeit der sogenannten „ägyptischen“ Gefangenschaft vorfinden. In Ägypten am Nil haben vergleichbar schlechte Verhältnisse zur Zeit des Exodus (um 1220 v. Chr.) nie geherrscht, im Gegenteil: Unter Sethos I. (um 1290-1279), Ramses II. (1279-1213) und Merenptah (1213-1204) erlebte Ägypten eine wirtschaftliche und kulturelle Blütezeit. Einer dieser drei Herrscher müsse, so die irrige alttestamentliche Überzeugung, der Pharao des Exodus gewesen sein.

Einen ersten Grund für die völlig andere Situation in den Ländern Babylonien und Ägypten des 13. Jahrhunderts v. Chr. sieht Bauersachs (S. 172), wie gesagt, in der mesopotamischen Klimakatastrophe:

Ägypten ist von dieser Klimaänderung nicht betroffen, der Nil mit seinem weit im Süden liegenden riesigen Einzugsgebiet ist Garant für reiche Ernten.

Aber auch die Selbstversklavung auf Grund von Überschuldung passt nach Bauersachs nicht zur Situation in Ägypten, sondern haargenau zu Babylonien (S. 174):

In Babylonien hat diese Zwangsarbeit jahrhundertelange Tradition, weil die arbeitende Landbevölkerung nie in der Lage war, die gewollt überhöhten Steuern zu bezahlen.

Das belegt Bauersachs auch mit Schuldenerlassen verschiedener babylonischer Könige, die bereits im 20. und 17. Jahrhundert v. Chr. notwendig gewesen waren, „um die Wirtschaft wieder ins Laufen zu bringen“ und soziale Gegensätze auszugleichen.

4.2.3 Josefs „sieben fette Jahre“: Zwangsbevorratung unter König Šagarakti-Šuriaš

Um nun (S. 174) zu zeigen, wie „die Josefsgeschichte des Alten Testaments perfekt“ in „den Rahmen der kassitischen Wirtschaftskrise“ hineinpasst, beruft sich Bauersachs zunächst auf „die Erzählung … von den sieben fetten und sieben mageren Jahren“, in der Josef dem „Pharao“ auf der Basis einer Traumdeutung folgende Ernte- und Wirtschaftsprognose samt Lösungsvorschlägen liefert (1. Mose 41,29-36):

29 Siehe, sieben Jahre kommen, großer Überfluß wird herrschen im ganzen Land Ägypten.

30 Nach ihnen aber werden sieben Jahre der Hungersnot aufkommen, und aller Überfluß wird im Land Ägypten vergessen sein, und die Hungersnot wird das Land erschöpfen.

31 Und man wird nichts mehr von dem Überfluß im Land erkennen angesichts dieser Hungersnot danach, denn sie wird sehr schwer sein. …

33 Und nun sehe der Pharao nach einem verständigen und weisen Mann und setze ihn über das Land Ägypten.

34 Dies tue der Pharao, daß er Aufseher über das Land bestelle und den Fünften vom Land Ägypten erhebe in den sieben Jahren des Überflusses.

35 Und sie sollen alle Nahrungsmittel dieser kommenden guten Jahre einsammeln und unter der Obhut des Pharao Getreide aufspeichern als Nahrungsmittel in den Städten und es dort aufbewahren.

36 So soll die eingesammelte Nahrung zum Vorrat für das Land dienen für die sieben Jahre der Hungersnot, die im Land Ägypten sein werden, damit das Land durch die Hungersnot nicht zugrunde geht.

Als ersten (S. 175) der beiden babylonischen „Pharaonen“, mit denen ein biblischer Josef zu tun gehabt haben könnte, benennt Bauersachs König Šagarakti-Šuriaš (1245–1232), in dessen

letzten sieben (den biblisch fetten) Regierungsjahren … die Wirtschaftskrise für die Bevölkerung allmählich spürbar {wird}, von Missernten bleibt das Land noch verschont.

Er könnte (S. 174) einen Mann wie Josef „zum Aufseher über das ganze Land“ bestellt haben, der daraufhin „in den folgenden Jahren … in allen Städten Getreidevorräte für die bevorstehenden schlechten Jahre“ anlegte. Dabei glaubt Bauersachs nicht, dass „es tatsächlich sieben fette Jahre gegeben hat“, denn die „Vorräte des ersten fetten Jahres hätten dann für sieben Jahre gelagert werden müssen, um im ersten mageren Jahr abgegeben zu werden“. <84> Ihm erscheinen „zwei oder drei fette Jahre … realistischer“, innerhalb derer das vorsorgliche Krisenmanagement anlaufen kann:

Josefs Sammelaktion läuft in diesen etwa drei Jahren parallel neben der bereits andauernden Fronarbeit mit Selbstversklavung her, für die Zwangsbevorratung muss die Bevölkerung zusätzliche Abgaben leisten.

Noch realistischer erscheint es mir allerdings, für Josefs biblische Zwangsbevorratung nur recht allgemein den historischen Hintergrund der babylonischen Wirtschaftskrise anzunehmen und sich weder auf eine genaue Zahl von fetten Jahren noch auf ihre Datierung innerhalb der Regierungszeit eines Königs festzulegen.

4.2.4 Josefs „sieben magere Jahre“: Selbstversklavung unter König Kaštiliaš IV.

Mit (S. 175) der kompletten siebenjährigen Regierungszeit von König „Kaštiliaš IV. (1232-1226)“, der als Nachfolger seines Vaters die Königswürde übernimmt, identifiziert Bauersachs die „sieben mageren Jahre“ der Bibel:

Unter Kaštiliaš IV. verschlimmert sich die Versorgungslage… <85> Als die Missernten einsetzen, startet Josef den Verkauf der Vorräte.

Dieser König ist es, mit dem Bauersachs alle Maßnahmen in Verbindung bringt, die Josef nach 1. Mose 47,13-26 ergreift und durch die am Ende die gesamte Bevölkerung (außer der Priesterschaft) gezwungen ist, sich dem Pharao als Sklaven (ˁABaDIM) zu unterwerfen:

13 Und es gab kein Brot im ganzen Land, denn die Hungersnot war sehr schwer; und das Land Ägypten und das Land Kanaan verschmachteten vor Hunger.

14 Und Joseph brachte alles Geld zusammen, das sich im Land Ägypten und im Land Kanaan vorfand, für das Getreide, das man kaufte. Und Joseph brachte das Geld in das Haus des Pharao.

15 Und als das Geld im Land Ägypten und im Land Kanaan ausging, da kamen alle Ägypter zu Joseph und sagten: Bring uns Brot her! Warum sollen wir denn vor dir sterben? Denn das Geld ist zu Ende.

16 Da sagte Joseph: Bringt euer Vieh her! Dann gebe ich euch Brot für euer Vieh, wenn das Geld zu Ende ist.

17 Da brachten sie ihr Vieh zu Joseph, und Joseph gab ihnen Brot für die Pferde und für die Schafherden und für die Rinderherden und für die Esel; und so versorgte er sie mit Brot für all ihr Vieh in jenem Jahr.

18 Als jenes Jahr zu Ende war, da kamen sie im zweiten Jahr zu ihm und sagten zu ihm: Wir wollen es meinem Herrn nicht verschweigen, daß das Geld ausgegangen ist, und die Viehherden sind bei meinem Herrn. Nichts ist vor meinem Herrn übriggeblieben als nur unser Leib und unser Land.

19 Warum sollen wir vor deinen Augen sterben, sowohl wir als auch unser Land? Kaufe uns und unser Land für Brot, dann wollen wir und unser Land dem Pharao fronpflichtig sein; und gib Samen, daß wir leben und nicht sterben und das Land nicht verödet daliegt!

20 Da kaufte Joseph das ganze Land Ägypten für den Pharao; denn die Ägypter verkauften jeder sein Feld, weil die Hungersnot schwer auf ihnen lag. Und so kam das Land an den Pharao.

21 Und das Volk, das versetzte er in die verschiedenen Städte, von einem Ende der Grenze Ägyptens bis zu ihrem anderen Ende.

22 Nur das Land der Priester kaufte er nicht, denn die Priester hatten ein festgesetztes Einkommen vom Pharao, und sie lebten von ihrem festgesetzten Einkommen, das der Pharao ihnen gab; deshalb verkauften sie ihr Land nicht.

23 Und Joseph sagte zum Volk: Siehe, ich habe euch und euer Land heute für den Pharao gekauft. Da habt ihr Samen! Besät nun das Land!

24 Und es soll beim Ernten geschehen, daß ihr den Fünften dem Pharao gebt; die vier Teile aber sollen für euch sein zum Besäen des Feldes und zur Nahrung für euch und für die, die in euren Häusern sind, und zu Nahrung für eure Kinder.

25 Da sagten sie: Du hast uns am Leben erhalten; finden wir Gunst in den Augen meines Herrn, dann wollen wir Knechte des Pharao sein.

26 Und Joseph legte es dem Land Ägypten bis zu diesem Tag als Ordnung auf, daß dem Pharao der Fünfte gehöre. Nur das Land der Priester allein kam nicht an den Pharao.

Nach Bauersachs (S. 175) bestätigt „die biblische Erzählung … erneut die reale Geschichte“, indem im Babylonien von Kaštiliaš IV. „von der Krise wieder einmal die Regierenden zu Lasten der notleidenden Bevölkerung“ profitieren:

Schon bald war das Volk finanziell ausgeblutet und sah keine andere Möglichkeit des Überlebens, als sich selbst, sein Vieh und die eigenen Grundstücke an den „Pharao“ zu verkaufen…

Mit Kaštiliaš IV. verbindet er diese Verbindung von Verarmung und Versklavung der Bevölkerung einerseits und Bereicherung der Eliten des Landes andererseits auf Grund des folgenden Zitats aus der Fischer Weltgeschichte, S. 1615:

„Nun wissen wir aber, dass sich während der ersten fünf Jahre (Anm.: des Kaštiliaš IV.) im Palast von Dūr-Kurigalzu eine normale Tätigkeit entfaltet hat. Davon zeugen die Mengen von Gold und Halbedelsteinen, die den Handwerkern zur Herstellung wertvoller Gegenstände ausgehändigt worden sind.“

Dadurch scheint zwar „oberflächlich betrachtet jede Krise“ ausgeschlossen zu sein, aber bereits im Abschnitt 5.3.2 war von Banken die Rede, die gerade von einer Krise profitieren, und der eben zitierte biblische Text bestätigt genau diese Umverteilung des erwirtschafteten Reichtums von unten nach oben. Zu 1. Mose 47,14 merkt Bauersachs (S. 176) an:

Dass mit Geld bezahlt worden sein soll …, ist natürlich ein Anachronismus, die Mengen von Gold und Halbedelsteinen, die in Dur-Kurigalzu abgeliefert wurden, waren allemal geldwerter Ausgleich.

Nochmals betont Bauersachs, dass sich der biblische Text, der von der Selbstversklavung handelt, nicht auf das reale Ägypten beziehen kann, denn:

Dass in Ägypten die hungernden Bauern ihre Grundstücke an einen Pharao verkaufen, ist Unsinn: Bauern hatten in Ägypten nie Landeigentum; ein unübersehbarer Hinweis, dass hier nicht Ägypten und kein ägyptischer Pharao gemeint sein kann!

Da ich mich in der altägyptischen Geschichte nicht auskenne, kann ich dieses Argument nicht wirklich beurteilen. Zu bedenken gebe ich allerdings: Selbst wenn diese Annahme stimmt, ist damit immer noch nicht bewiesen, dass sich die Bibelstelle tatsächlich auf ein anderes Land beziehen MUSS. Möglich und sogar wahrscheinlich ist ja auch, wovon etwa Ton Veerkamp <86> ausgeht, dass der Bibeltext neben den Gebieten in Babylonien, in die „die Menschen aus Jerusalem und Judäa verschleppt worden waren“, den anderen „Schicksalsort Israels“ beschreibt, nämlich

Ägypten, wohin sich der Rest der Eliten Jehudas und Jerusalems freiwillig begab. Es war das Land, in das Ja‘aqob, seine Kinder und Kindeskinder freiwillig zogen (Gen 46). Es war ein Sklavenhaus, Gen 47.23f:

Ich {Joseph} habe euch {Ägypter} und euer Land für den Pharao aufgekauft.

Bringt nun Saat aus auf eurem Boden.

Es wird geschehen:

Was eure Einkünfte betrifft, seien eure Abgaben ein Fünftel für den Pharao,

vier Teile für die Aussaat eures Feldes,

für das Essen für euch, eure Hausgenossen und für eure kleinen Kinder.

Sie sagten:

Du hast uns am Leben gelassen und wir haben Gunst in den Augen meines Herrn gefunden.

Wir werden zu Sklaven des Pharaos werden.

Der Text beschreibt die tatsächlichen Verhältnisse im Ägypten des 6. Jahrhunderts v.u.Z. Die ganze ägyptische Bevölkerung hatte den Status von halbfreien Pächtern und die Ausbeutungsrate betrug 20 %. {Anm. 60: Diese Rate ist moderat verglichen mit den Ausbeutungsraten in der hellenistischen Zeit.} Das meint die Tora mit bet ‘avadim, Sklavenhaus. Auch hier erhält die Erzählung über die Befreiung aus Ägypten eine neue Aktualität. Die Politik der letzten Könige Jerusalems, die sich in ihrer Innen- und Außenpolitik an Ägypten orientieren mussten, sowie die Abwanderung der Resteliten nach Ägypten, die eine latente Bedrohung für die im Land Verbliebenen darstellten, rückten dieses Land ins Zentrum der prophetischen Politik. Ein radikaler Neuanfang setzte die Befreiung von Ägypten, von ägyptischer Politik und von ägyptischen Verhältnissen zwingend voraus. Man muss Gen 47 und dann auch das Buch Exodus vor dem Hintergrund von Jer 42-44 lesen. An die, die aus dem Land verschleppt wurden, und an die, die das Land freiwillig gegen ein Sklavenhaus eintauschten, geht der Aufruf: Geht weg, zieht hinaus, lasst euch befreien, damit ihr „zurückkehrt zu eurem Boden“. Deswegen muss das Buch Genesis die Große Erzählung Israels eröffnen, weniger als Buch über vergangene Geschichte als vielmehr als politische Zukunftsmusik für die Menschen im babylonischen bzw. ägyptischen Exil. Das Buch Genesis und der erste Teil des Buches Exodus (1.1-15.21) ist als Aufruf an die Emigranten zu lesen, sich am großen Experiment des politischen und sozialen Neuanfangs und so an der konsequenten Beseitigung aller Ausbeutungsverhältnisse zu beteiligen.

Im Blick auf die Absicht der biblischen Endgestalt gebe ich Ton Veerkamp uneingeschränkt Recht. Allerdings halte ich es dennoch für möglich, dass sich eine ursprüngliche Josefserzählung durchaus auf die Anhäufung von Reichtümern durch Kaštiliaš IV. (oder auch seine Vorgänger) während einer Wirtschaftskrise bezogen haben kann. Konrad Bauersachs dagegen wagt zu diesem König ein sehr vollmundiges Fazit (S. 176):

In Babylonien hat Kaštiliaš IV. fünf reale Jahre lang Reichtümer aufgehäuft und anschließend, wie es die biblische Geschichte schildert, für sein Getreide auch noch Vieh, Land und Menschen in Zahlung genommen. In der Summe sind das die sieben (fünf plus zwei) mageren Jahre der Bibel, genauso lange hat die Regierungszeit des Kaštiliaš IV. (1232-1226) gedauert.

4.2.5 Der König, „der Josef nicht mehr kannte“: Enlil-Nadin-Šumi von Babylonien und/oder Kidin-Hutran III. von Elam?

Anschließend meint Bauersachs (S. 176):

Es darf spekuliert werden, ob Kaštiliaš IV. ein anderes Ende genommen hätte, wäre er nicht so gierig gewesen.

Er überlegt nämlich, ob der König nicht „seine Schatzkammer“ hätte öffnen können, „um für die hungernden Untertanen Getreide … im Nachbarland Elam“ zu kaufen. Stattdessen sieht er es als „verdiente Strafe“ an, dass der

assyrische König Tukulti-Ninurta I. … 1226 ins heruntergewirtschaftete Kassitenland ein{fiel}. Er zerstörte Babylon gründlich, tötete zahlreiche Einwohner und siedelte scharenweise Kassiten nach Assyrien um. Die babylonische Bevölkerung sollte auf diese Weise ausgedünnt und die Ansiedlung von Assyrern erleichtert werden. Die meisten Kassiten wurden nach Kalḫu (heute Nimrūd) in Assyrien umgesiedelt {es folgen zwei Zitate aus Fischer Weltgeschichte, S. 1727 und 1616}:

„Wir wissen, dass die Sterblichkeit unter ihnen aus Mangel an Lebensmitteln sehr hoch war.“

Den besiegten Kaštiliaš IV. zerrte Tukulti-Ninurta in Ketten nach Aššur und verewigte seinen Sieg in einem Heldenepos:

„Mitten im Handgemenge konnte ich mit meiner eigenen Hand Kaštiliaš, den König der Kassiten, fassen. Auf seinen adligen Nacken trat ich mit meinen Füßen wie auf einen Schemel.“

In Babylonien (S. 179) bringt „Tukulti-Ninurta“ nach „Kaštiliaš IV. … den assyrischen Statthalter Enlil-Nadin-Šumi (1226-1220)“ auf den Thron, was nach Bauersachs der assyrische Name des mit ihm identischen „Adad-Šuma-Iddina“ ist; dieser „unbekannte neue assyrische ‚König‘ Enlil- Nadin-Šumi“ ist nach Bauersachs zugleich der in 2. Mose 1,8 erwähnte neue „ägyptische“ Herrscher der Josefsgeschichte (unter dem es zum Exodus kommt):

Da trat ein neuer König die Herrschaft über Ägypten an, der Josef nicht mehr kannte.

Dass dieser „biblische Regierungswechsel“ den historischen Übergang „vom krisengebeutelten ‚Pharao‘ Kaštiliaš IV hin zu einem König … von Assyriens Gnaden“ widerspiegelt, begründet Bauer­sachs folgendermaßen (S. 179f.):

In Ägypten hätte jeder Pharao vergleichbare Verdienste eines hohen Beamten (des ägyptischen Josef) durch vererbbare Landschenkung, Steuerbefreiung und hohe Ämter gewürdigt. Bei der Beständigkeit der politischen Verhältnisse in Ägypten werden vergleichbare Leistungen auch nach mehreren Generationen nicht vergessen. Ganz anders in Babylonien: Die kassitentreue Verwaltung in Babylonien wird durch den neuen König Enlil-Nadin-Šumi von Assyriens Gnaden mit eigenen Leuten ersetzt. Der biblische Josef mit seinen Verdiensten interessiert den neuen „Pharao“ ebenso wenig wie seine Familie, die angeblich jahrelang von den Babyloniern bevorzugt wurde, so schildert es zumindest das Alte Testament.

Zwingend ist diese Beweisführung allerdings schon insofern nicht, als nach 2. Mose 1,6-8 der Herrschaftsantritt des Königs, „der Josef nicht mehr kannte“, ja erst lange nach Josefs Tod geschehen sein soll.

Hinzu kommt (S. 180), dass Bauersachs selbst bereits wenige Absätze später noch einen zweiten Kandidaten für die Position „Pharao des Exodus“ nominiert, nämlich Kidin-Hutran III. von Elam:

Während in Elam Kidin-Hutran II. noch interessiert zusah, wie sich im Kassitenland die Lage zunehmend verschlechterte, war für seinen Nachfolger Kidin-Hutran III. (1245 – 1220?) das Eingreifen des verhassten assyrischen Königs Tukulti Ninurta I. der willkommene Anlass, seinerseits (um 1225) im Nachbarland einzufallen. Die Ausrede für sein Eingreifen lieferten die langjährigen dynastischen Ehen zwischen Elam und den kassitischen Königen. Kidin-Hutran III. besiegt die Kassiten unter dem assyrischen Günstling Adad-Šuma-Iddina (1226 – 1220) bzw. Enlil-Nadin-Šumi. Die assyrische Reaktion blieb aus, das ermutigte Kidin-Hutran III. etwa vier Jahre später zu einem weiteren Angriff. <87>

Ist demzufolge also doch nicht Enlil-Nadin-Šumi, sondern sein Angreifer Kidin-Hutran III. aus Elam der König, „der Josef nicht mehr kannte“?

Auf jeden Fall geht Bauersachs offenbar nur von indirekten Auswirkungen des Regierungswechsels in Babylonien auf „Abrahams Kindeskinder im benachbarten Chuzistan“ aus. Für sie

war die Spannung wegen der geänderten politischen Situation in Babylonien und ihre Auswirkungen auf Elam spürbar. Das übliche Desinteresse an der Politik durften Nomaden sich in dieser Situation nicht leisten, zu frisch war die Verwicklung Abrahams in den Krieg des Buches 1.Mose 14. Sie konnten sehr wohl zwischen einem abgesetzten „Pharao“ Kaštiliaš IV. und dem neuen babylonischen König Enlil-Nadin-Šumi sowie dem in Elam weiter regierenden elamischen „König“ Kidin-Hutran III. unterscheiden.

An dieser Stelle zieht Bauersachs allerdings eine in meinen Augen unzulässige Schlussfolgerung, wenn er der Niederschrift vorwirft, „die beiden Begriffe König und Pharao … munter durcheinander“ zu werfen und „nicht zwischen Babylonien (2. Mose 1,8) und Elam/Chuzistan (2. Mose 1,18; 19)“ zu unterscheiden:

8 Da trat ein neuer König die Herrschaft über Ägypten an …

18 Da rief der König von Ägypten die Hebammen …

19 Die Hebammen antworteten dem Pharao …

Bauersachs will darauf hinaus, dass die „biblische Bezeichnung ‚Pharao‘ für den König Babyloniens … wohl auf den assyrischen König Aššur-Uballit I. (1365-1330) zurück“ geht, „der sich nach einem Abkommen mit dem realen Pharao Amenophis IV. ‚Bruder des Pharao‘ nannte“, und meint wohl, die unterschiedlichen Bezeichnungen des „ägyptischen“ Herrschers in 2. Mose 1 müssten sich einerseits auf den durch Assyrien eingesetzten babylonischen „Pharao“ und andererseits auf den elamischen „König“ Kidin-Hutran III. beziehen. Dieses Argument ist aber nicht überzeugend, da zum Beispiel bereits in 1. Mose 41,46 – dort geht es nach Bauersachs noch um den babylonischen König Šagarakti-Šuriaš und um keinen elamischen König – die Bezeichnung „Pharao“ einfach als ägyptisches Wort für den König Ägyptens erklärt wird.

Wie dem auch sei – den biblischen Exodus wird Bauersachs (siehe unten meinen Abschnitt 4.5) mit dem genannten elamischen König in seinem Schicksalsjahr 1220 verbinden (S. 181):

Um 1220 verschwindet Kidin-Hutran III. nach einem erneuten Angriff auf Babylonien sang- und klanglos oder stirbt kurz danach. Über dieses spurlose Verschwinden und die folgenden zehn turbulenten Jahre in Elam rätseln derzeit Historiker, die naheliegende Erklärung liefere ich in den folgenden Kapiteln. Sie beweist erneut die historische Genauigkeit der biblischen Erzählung, wenn man in der richtigen Region sucht.

4.2.6 Josef und seine Hilfe für den Jakob-Clan im Jamutbal

Den biblischen Josef bringt Konrad Bauersachs, wie wir gesehen haben, ausschließlich mit dem Vorgang der Überschuldung und Selbstversklavung der babylonischen Bevölkerung zur Zeit von Šagarakti-Šuriaš und Kaštiliaš IV. in Verbindung, von denen Letzterer nach sieben Regierungsjahren, den biblischen sieben mageren Jahren, durch einen neuen König von assyrischen Gnaden abgelöst wird.

Ob Josef außerdem auch in einer Verbindung mit den Nachkommen Abrahams gestanden haben kann, darüber macht sich Bauersachs keine Gedanken, obwohl Josef nach der Bibel durch seine vorausschauende Politik ja auch das Überleben seiner Familie gesichert haben soll. Bauersachs lässt das, wie gesagt, wahrscheinlich außer Acht, weil Josef seine Familie zu diesem Zweck nach Babylonien hätte holen müssen, während die von ihm so genannte Exodus-Gruppe in Chuzistan ansässig war.

Leider hält sich Bauersachs (S. 160) bereits zu Beginn seines Kapitels über die Zeit vor dem Exodus mit einigen verwirrenden Argumentationen zu Josefs Alter auf, die sich allein aus der rückblickenden Geschichtsschreibung der Bibel ergeben. Obwohl er weiß, dass es nicht das Hauptanliegen der Bibel war, historisch korrekte Daten zu liefern, versucht er doch, eine überhöhte Altersangabe wie die für Josef in 1. Mose 50,26, er sei „110 Jahre alt geworden“, versuchsweise in eine Biographie der Sippe Abrahams einzubeziehen. Ich dagegen würde Josef weder mit Abraham noch auch mit Mose in eine verwandtschaftliche Beziehung bringen wollen. Anders sieht das allerdings möglicherweise mit Jakob aus.

Darum möchte ich den fünften großen Erzählkreis des 1. Buchs Mose, der sich mit Josef beschäftigt, noch auf weitere mögliche historische Erinnerungen hin abklopfen. Immerhin ist dieser mit über 400 Bibelversen (Kapitel 37 und 39-50) der allergrößte dieser Erzählkomplexe.

Bevor Josef nach „Ägypten“ verkauft wird, macht er sich nach 1. Mose 37,14 von Hebron aus auf den Weg zu seinen Brüdern, die bei Sichem weiden; falls dieser Erzählung aber irgendeine historische Erinnerung zu Grunde liegt, wird sich die Geschichte von vornherein in der Umgebung von Sichem abgespielt haben, wo Jakob immerhin ein Feldstück besitzt (dass Jakob in Hebron wohnt, ist ein nachträglicher Versuch, seinen Erzählkreis mit denjenigen von Abraham und Isaak zu verknüpfen, wie 35,27 zeigt).

Weiter wird (37,17) ein Ort Dotan erwähnt, den ich nicht lokalisieren kann; eine Karawane (37,25), die Josef nach „Ägypten“ bringt, soll von Gilead gekommen sein. Wenn wirklich Sichem mit Saicha bei Badra und Gilead mit Čilat etwa 100 km weiter südöstlich identisch ist, hätte der Weg einer Karawane tatsächlich in die Gegend der damaligen Hauptstadt Babyloniens, Dur-Kurigalzu, 20 km westlich vom heutigen Bagdad, führen können, wo Josef auf verschlungenen Pfaden – Sklavendienst – Gefängnisaufenthalt – Traumdeutung – in den Dienst des Königs getreten sein soll.

Dass auch Bauersachs sich nicht jeder Spekulation über die persönlichen Verhältnisse Josefs enthält, zeigt folgende – allerdings durch nichts belegte – Aussage über den Getreideverkauf in der Zeit von Kaštiliaš IV. (S. 175):

Zu diesem Zeitpunkt lebt er mit seiner Frau Asenath und seinen Söhnen Ephraim und Manasse vermutlich in der Nähe des zentral gelegenen Babylon, von hier aus konnte er Verkauf und Verteilung der Getreidevorräte leichter koordinieren.

Ich selber könnte nichts darüber sagen, wo in Babylonien der Wohnort oder Tempel (1. Mose 41,45.50) von Josefs Schwiegervater Potifera, des Priester von On, zu lokalisieren wäre.

Dass weiterhin (1. Mose 42-45) Josefs Brüder von der Anhöhe des Jamutbal aus in das Kernland Babyloniens „hinab“ gegangen sein können, um in einer Hungersnot Getreide zu kaufen, klingt plausibel.

Die in 1. Mose 46 erwähnte Ansiedlung von Jakobs Familie in Goschen hatte Bauersachs an anderer Stelle (siehe meinen Abschnitt 2.4.5) entweder allgemein auf das Land der Kaššiten (die zu dieser Zeit Babylonien beherrschten) oder speziell der Kossäer im Bereich zwischen Babylonien und Chuzistan bezogen. Könnte Josef seine Familie vielleicht sogar (S. 49) „in der Nähe Babylons“ untergebracht haben, wo „das alte Königreich Kisch (Kiš, hebr. aber KUŠ)“ gelegen hatte?

Wenn das so war, könnten Josefs Brüder nach der Beisetzung ihres Vaters Jakob dann auch wieder im Jamutbal geblieben sein, statt – wie in 1. Mose 50,14 berichtet – wieder nach „Ägypten“ (= in diesem Fall Babylonien) zurückzukehren. Das gleiche wäre für Josef in der Zeit vorstellbar, als der Pharao an die Macht kam, „der Josef nicht mehr kannte“. Das würde bedeuten, dass die Erzählkreise von Josef und Jakob erst nachträglich mit den Exodus-Erzählungen verbunden worden sind.

Eine sehr interessante Frage ist nun aber, wo Jakob und sein Sohn Josef überhaupt bestattet worden sind. Bauersachs unterläuft diesbezüglich der Irrtum (S. 160), man hätte der biblischen Niederschrift zufolge „beim Exodus … Jakobs mumifizierten Leichnam ins Gelobte Land mitgenommen“:

Da Jakob der Enkel Abrahams war, durfte man seine Mumie natürlich nicht in Ägypten lassen. Allerdings hätte ein schwerer Sarkophag die Exodus-Gruppe bei der Flucht sehr behindert und vor unlösbare Probleme gestellt, denn ohne einen Wagen ließe sich der Transport nicht bewältigen. Über Jakobs Mumie wird aber während der Wüstenwanderung kein einziges Wort verloren, obwohl sie doch immer präsent hätte sein müssen.

Ein Blick in die Bibel vermag diesen Irrtum aufzuklären: Denn in 1. Mose 50,1-14 wird ausführlich geschildert, wie Jakob nach seinem Tod 40 Tage lang einbalsamiert wird, sodann eine ehrenvolle Trauerfeier bei Goren-Atad bzw. Abel-Mizrajim „jenseits des Jordan“ in Anwesenheit ägyptischer Honoratioren erhält und schließlich von seinen Söhnen in der Höhle Machpela bei Mamre beigesetzt wird. Von einem Sarkophag Jakobs, der beim Exodus hätte mitgenommen werden müssen, ist also keine Rede.

Ob sich (1. Mose 50,10-11) die Angaben zur Trauerfeier Jakobs in Goren-Atad = Abel-Mizrajim (jenseits des Jordan) irgendeinem Ort in Babylonien zuordnen lassen, lasse ich dahingestellt sein. Die Beisetzung (50,12-13) „in der Höhle des Feldes Machpela“ gegenüber Mamre ist aber sicher nicht historisch, da diese Angabe dazu dient, die Erzählkreise von Jakob/Josef mit dem Erzählkreis von Abraham zusammenzubinden. Wahrscheinlicher dürfte es sein, dass diese Beisetzung auf genau dem Feldstück stattfindet, das Jakob nach 1. Mose 33,19 dort von den Söhnen Hamors gekauft hatte, zumal genau dort nach Josua 24,32 später auch (aus der Sicht der biblischen Niederschrift nach dem Exodus natürlich in Palästina) die Gebeine Josefs bestattet worden sein sollen.

In diesem Zusammenhang irrt sich Bauersachs übrigens noch ein zweites Mal, indem er sich fragt (S. 160), warum „Josef mit seinen Verdiensten nach dem Tode nicht ebenfalls“ eine so ehrenvolle Behandlung wie sein Vater erfuhr. Aber gerade Josef soll man, als er selber starb, nach 1. Mose 50,26 durchaus seinen Verdiensten entsprechend einbalsamiert und „in einen Sarg in Ägypten“ gelegt haben. Beim Exodus setzt die Bibel nun zwar nicht voraus, dass man diesen Sarkophag die ganze Zeit durch die Wüste mitschleppte, wohl aber (2. Mose 13,19), dass lediglich „die Gebeine Josefs“ mitgenommen wurden, wie es Josef selber (1. Mose 50,25) bestimmt hatte.

Da aber, wie eben gesagt, Josef nun ausgerechnet in einem Grab beigesetzt wird, das Jakob in Sichem gekauft hat, halte ich es für wahrscheinlicher, dass Josef mit dem Exodus gar nichts zu tun hat (auch ein Mitschleppen von Gebeinen auf einer Flucht, die Hals über Kopf durch eine Katastrophe ausgelöst wird, wie wir später sehen werden, wäre ja kaum glaubhaft), sondern in Babylonien bzw. im Jamutbal bleibt, so dass sich auch seine Bestattung nach seinem Tod in eben dieser väterlichen Grabstätte in Sichem = Saicha als folgerichtig ergibt.

4.3 Mose als zur Rebellion bereiter Ḫabiru in Chuzistan

Da ich auf die Fronarbeiten in Chuzistan erst im Abschnitt 4.4 unmittelbar vor dem Exodus aus Chuzistan eingehe, möchte ich zuvor einige grundlegende Fragen zur biblischen Gestalt des Mose klären.

Konrad Bauersachs (S. 182) verweist darauf, dass diese heutzutage „von Wissenschaftlern kritisch beurteilt“ wird und „mittlerweile ein eigenständiges Forschungsthema geworden“ ist; „als Autor der fünf biblischen Mosebücher kommt er definitiv nicht in Betracht“. Auch erwähnt er die Annahme der theologischen Wissenschaft, dass viele der „ursprünglich unverbunden überlieferten Einzelthemen des Alten Testaments (Erzväter, Ägypten, Exodus, Sinai) … erst nach dem Exil (6. Jahrhundert v. Chr.) durch Überarbeitung verbunden worden“ seien. Darauf geht er allerdings nicht weiter ein.

Er selbst hat sich im Blick auf Mose leider in eine ganz besondere eigene fixe Idee verbissen, die es ihm unmöglich macht, andere Interpretationsmöglichkeiten auch nur in Erwägung zu ziehen. Dazu kommen wir allerdings erst im Abschnitt 4.3.5 zu sprechen.

4.3.1 Zum Stammbaum und zum Alter des biblischen Mose

Bereits bevor Konrad Bauersachs auf Josef zu sprechen gekommen war, hatte er (S. 159) zum wiederholten Male darauf hingewiesen, dass „Mose … kein Nachfahre Abrahams gewesen sein“ kann; vielmehr wurde er „bei der Niederschrift erfunden, um das ‚Volk Israel‘ aus der Knechtschaft ins Gelobte Land zu führen“, denn die „Beteiligung Abrahams an den Kriegswirren um 1332 v. Chr. macht den biblischen Stammbaum Moses, wie er bei der Niederschrift konstruiert worden ist, völlig unmöglich.“

Diese Argumentation zieht aber von einem richtigen Ausgangspunkt aus eine falsche Schlussfolgerung: Richtig ist natürlich, dass gerade die in die Erzväterzeit hineinreichenden biblischen Stammbäume nachträglich konstruiert worden sind. Das beweist aber keineswegs, dass die Gestalt des Mose unbedingt erfunden worden sein muss. Mose könnte auch ohne irgendeine verwandtschaftliche Beziehung zur Sippe Abrahams als Anführer der Exodus-Leute gewirkt haben, zumal er ausdrücklich als „Hebräer“ bezeichnet wird, also der sozialen Randgruppe der Ḫabiru gehört haben kann.

Nebenbei bemerkt (S. 183) wird Mose von der biblischen Niederschrift „rückblickend“ nicht nur „mütterlicherseits … dem Stamm Levi zugerechnet, der später die Priester stellt“, sondern er gehört nach 2. Mose 2,1 und 6,16-20 sowie 4. Mose 26,58-59 sogar auch väterlicherseits zum Stamm Levi.

Uneingeschränkt Recht hat Bauersachs mit seiner Einschätzung, dass „Lebensdaten und Ahnenreihe Moses … mit äußerster Vorsicht zu betrachten“ sind. Dass Mose „zum Zeitpunkt des Exodus und der folgenden Wüstenwanderung … 80 Jahre alt“ gewesen sein soll, hat mit dem symbolischen Wert der in diesem Fall verdoppelten Zahl Vierzig zu tun, die in der Bibel oft mit der Vollendung einer Zeit des Wartens oder der Reifung oder auch der Regierungszeit von als vollkommen angesehenen Königen zu tun hat.

Im Neuen Testament deutet Lukas in seiner Apostelgeschichte (Kapitel 7) die Lebenszeit des Mose sogar als eine Abfolge von drei Mal vierzig Jahren: Mit vierzig Jahren (Verse 23ff.) setzt er sich für seine unterdrückten Brüder ein und erschlägt den Ägypter, nach weiteren vierzig Jahren (Verse 30ff.) führt er die Israeliten aus Ägypten heraus und noch einmal vierzig Jahre lang (Verse 36ff.) bis zu seinem Tod geleitet er sie durch die Wüste bis zum Gelobten Land.

4.3.2 Wurde Mose durch eine Pharaonentochter gerettet und am Hof des Pharao erzogen?

Über die Kindheit des Mose weiß man historisch wohl genau so viel wie etwa über Jesus: nämlich nichts! Jedenfalls nichts Beweiskräftiges. Kindheitsgeschichten werden häufig im Nachhinein so erzählt, dass in ihnen bereits etwas von der Größe und Bedeutsamkeit der erwachsenen Person zum Ausdruck kommen soll. Zur (S. 184) „Biographie Moses, beginnend bei der Geschichte von Aussetzung und Fund des Säuglings Mose im Binsenkörbchen (2. Mose 2,1ff.)“ merkt Bauersachs mit Recht an,

dass die gleiche Kindheitsgeschichte auch vom mesopotamischen König Sargon von Akkade (um 2300 v. Chr.) als Ich-Bericht existiert:

„Kol. 1 5 Meine Mutter, eine Hohepriesterin, wurde mit mir schwanger. Insgeheim gebar sie mich.

Kol. 1 6 Sie legte mich in ein Schilfkästchen. Mit Bitumen dichtete sie meine Behausung ab. <88>

Die Rettung eines Neugeborenen in einem auf dem Nil ausgesetzten Körbchen hält Bauersachs ohnehin für unwahrscheinlich, da es für „die Tochter des ‚Pharao‘ … sehr ungesund gewesen wäre, neben Krokodilen am Nil zu baden.“ Dagegen wächst im „Lebensraum Chuzistan und Babylonien … das Baumaterial für Schilfkörbchen so reichlich wie in Ägypten, Krokodile gibt es dagegen nicht.“

Der „Pharao“ in 2.Mose 2,5 kann deshalb nicht für einen Pharao Ägyptens stehen, sondern beschreibt einen Regenten der Region Mesopotamien.

Da es in der mesopotamischen Geschichte durchaus einen assyrischen König „Aššur-Uballit (1364-1330 v. Chr.)“ gab, „der sich ‚Bruder des Pharao‘ nannte“ und dessen Tochter „Muballidat-Serua (oder Muballit-Serua) … mit dem Kassitenkönig Burna-Buriaš verheiratet“ wurde, könnte man in dieser Prinzessin eventuell sogar „ein Vorbild für die biblische Pharaonentochter sehen“. Das war aber etwa 100 Jahre vor Moses Zeit, daher kann sie „mit Sicherheit Mose nicht aus dem Wasser gezogen haben“. Trotzdem nimmt Bauersachs (S. 185)

einerseits den biblischen Hinweis auf eine „Tochter des Pharao“ historisch im Kern ernst …, {stellt aber} andererseits die phantasievolle Biographie Moses und die Zeitrechnung komplett in Frage …

Auch dass nach Apostelgeschichte 7,22 „Pharaonen … Kinder besiegter Könige oder Fürsten als Geiseln nach Ägypten“ verschleppten, um sie umzuerziehen, so dass sie „nach ihrer Rückkehr natürlich Politik im Sinn der ägyptischen Pharaonen machen“, hält Bauersachs für eine historisch korrekt dargestellte „gängige Praxis“, die auf Mose allerdings erst nachträglich übertragen worden ist.

4.3.3 Hat Mose einen ägyptischen Sklavenaufseher erschlagen?

Eine entscheidende Frage zur Biographie des Mose stellt sich für mich im Zusammenhang der Bibelstelle 2. Mose 2,11-15. Ist es wahrscheinlich, dass ein historischer Mose tatsächlich einen ägyptischen Sklavenaufseher erschlagen hat?

11 Und es geschah in jenen Tagen, als Mose groß geworden war, da ging er zu seinen Brüdern hinaus und sah bei ihren Lastarbeiten zu. Da sah er, wie ein ägyptischer Mann einen hebräischen Mann, einen von seinen Brüdern, schlug.

12 Und er wandte sich hierhin und dorthin, und als er sah, dass niemand in der Nähe war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand.

13 Als er aber am Tag darauf wieder hinausging, siehe, da rauften sich zwei hebräische Männer, und er sagte zu dem Schuldigen: Warum schlägst du deinen Nächsten?

14 Der aber antwortete: Wer hat dich zum Aufseher und Richter über uns gesetzt? Gedenkst du etwa, mich umzubringen, wie du den Ägypter umgebracht hast? Da fürchtete sich Mose und sagte sich: Also ist die Sache doch bekannt geworden!

15 Und der Pharao hörte diese Sache und suchte, Mose umzubringen. Mose aber floh vor dem Pharao und hielt sich im Land Midian auf.

Eine solche Geschichte passt sehr gut zu einem Mose, der selber ein Ḫabiru war oder sich ihnen verbunden fühlte und sich daher tatkräftig für unterdrückte Fronarbeiter eingesetzt und eine Gruppe entrechteter Nomaden zum Aufstand gegen ihre Unterdrücker angestachelt haben könnte.

Auch Bauersachs nimmt ja für die Situation in Babylonien an (S. 173), dass es durchaus vereinzelte „lokale Unruhen unter den Versklavten gegeben haben“ mag. Um so unverständlicher ist es, dass es es so vehement ablehnt, in Moses Verbrüderung „mit anderen Geknechteten“, die in 2. Mose 11-12 geschildert wird, eine Widerspiegelung historischer Ereignisse zu sehen.

Welchem Interesse der späteren Niederschrift hätte es denn dienen sollen, demselben Mose, der die Zehn Gebote vom Berg Sinai herabbrachte, eine erfundene Darstellung von „Mose als Totschläger“ anzudichten? Eine der wichtigsten Regeln der Bibelauslegung besagt ja, dass im Zweifel die „lectior difficilior“ = „die schwierigere Lesart“ einer Textvariante zu bevorzugen ist. Naheliegender wäre es doch, das Bild des Mose als des wichtigsten Repräsentanten der jüdischen Religion nachträglich eher mit lobenswerten Zügen auszustatten. Genau das hat man ja durchaus getan (S. 184), als man eine der Bedeutung des Mose angemessene „Kindheitsgeschichte … vom mesopotamischen König Sargon von Akkade (um 2300 v. Chr.)“ auf Mose übertragen hat.

Und (S. 173) gerade die im angeführten Bibeltext erwähnten „hebräischen Brüder“ des Mose, die Bauersachs als unhistorisch aus dem Text ausscheiden will, passen historisch sehr gut in die Situation der Fronarbeit in Chuzistan, wenn man diese Bruderschaft eben nicht als leibliche Verwandtschaft, sondern als eine Gruppe sozial Entrechteter im Sinne der Ḫabiru begreift.

Bauersachs wiederum (S. 186) weiß selber, dass die „dunkle Seite in Moses Biographie (Totschlag oder gar Mord) … unter dem Aspekt der späteren göttlichen Berufung nicht so recht zu passen“ scheint. Er nimmt aber an, dass „die Episode … als Sinnbild für Moses spätere Rolle als Streiter für die gerechte Gottessache verstanden werden“ könnte und „wahrscheinlich… eingefügt wurde, um durch die notwendige Flucht nach dieser Tat den Kontakt zu Jithro, dem midianitischen Priester, zu erklären.“ Eine solche Flucht hätte aber auch viel unverfänglicher dadurch erklärt werden können, dass Mose schon damals zur Befreiung aus der Sklaverei aufgerufen hätte, ohne deswegen jemanden umzubringen.

Amüsant ist übrigens ein ausgesprochen widersprüchliches Argument, das Bauersachs (S. 184) zusätzlich „gegen die ihm zugeschriebene hitzköpfige Reaktion auf die Tat des ‚ägyptischen‘ Aufsehers“ anführt, „mit der Mose in die Exodus-Geschichte eingeführt wird“. Da die Söhne des Mose bei der Begegnung mit Jithro in der Wüste „offenbar – da unselbständig – noch jugendlich und wohl nicht viel älter als etwa 10 Jahre“ alt waren, müsste Mose ja „dann (um zu diesem Zeitpunkt 80 Jahre alt zu sein) bei der Familiengründung ungefähr 70 Jahre alt gewesen“ sein. Im selben Atemzug aber meint Bauersachs, dass „Mose .. wohl etwa 30 Jahre alt“ war, „als er angeblich (wenn überhaupt) den Ägypter erschlagen hat und deswegen in die Wüste geflohen sein soll, wo er dann seine künftige Frau Zippora kennenlernte.“ Dann aber fällt – mit gutem Grund – das eben geäußerte Argument der mangelnden Hitzköpfigkeit eines Siebzigjährigen gegen den Totschlag des Ägypters schon wieder in sich zusammen.

Wenn Bauersachs übrigens sowohl die biblischen Altersangaben wortwörtlich nehmen als auch an einem Alter von 10 Jahren für seine Söhne bei der Begegnung mit Jithro in der Wüste festhalten wollte, müsste Mose zu diesem Zeitpunkt bereits 128 Jahre alt gewesen sein (und die Söhne mit 117 Jahren gezeugt haben), denn zur Wüstenwanderung brach Mose von Kadesch-Qadisija aus erst auf, als die Exodus-Gruppe dort ca. 38 Jahre verbracht hatte. Allerdings war auch nach der Bibel (Apostelgeschichte 7,23.29) Mose erst 40 Jahre alt, als er den Ägypter erschlug und seine beiden ersten Söhne zeugte; zur Zeit der Wüstenwanderung müssten sie daher beide längst erwachsen gewesen sein.

Die letzten Überlegungen sollen nur verdeutlichen, zu welchen Absurditäten es führen kann, wenn man alle Angaben der Bibel wortwörtlich für wahr halten will.

4.3.4 Mose und seine Beziehung zum Land Midian = Widyan

Auch wenn Bauersachs (S. 185) den Totschlag eines „Ägypters“ durch Mose anzweifelt, geht er doch davon aus, dass Mose seine Familie in einem Land namens „Midian“ gründet, wo er „auf den Priester Jithro“ trifft und „dessen Tochter Zippora“ heiratet.

Aber wo liegt diese „Landschaft Midian“?

Midian ist ein geographisches Chamäleon, mindestens dreimal muss es den Beschreibungen nach dieses Midian geben…

Für den Zusammenhang, in dem Bauersachs Mose historisch verortet, schließt er sowohl das Midian aus, das „östlich des Golfes von Aqaba in der arabischen Wüste“ liegt, „rund 350 km Luftlinie von Ägypten entfernt“, als auch ein Midian, das „in der Bileam-Episode genannt wird“, „in Transjordanien“ liegt und „angeblich im Zuge der ‚Landnahme‘ durch einen Teil des Volkes Israel beansprucht“ wird (S. 185f.):

Als weiteres Midian bietet sich die die lautverwandte Steppenlandschaft al Widyan in Babylonien an, die den Euphrat von Norden nach Süden begleitet. Sie bildet den Übergang zwischen der fruchtbaren Flussebene des Euphrat im Osten und der arabischen Wüste im Westen.

Am südlichen Ende schließt unmittelbar daran die Gegend um Kadesch-Qadisija am Euphrat an, wo die Exodus-Gruppe über mehrere Jahre verweilen wird.

Dass (S. 186) der „spätere Schwiegervater Moses“ in der Bibel unter drei verschiedenen Namen auftaucht – „(an zehn Stellen) Jithro, dann wieder Reguel und ebenso Hobab“ – erklärt sich nach Bauersachs entweder dadurch, dass „Eigennamen aus unterschiedlichen Quellen im Laufe der Überlieferung“ verwechselt worden sein können, oder „dass Mose mit mehreren Frauen eine Familie gegründet haben könnte… Die Texte des Alten Testaments verlieren darüber aber kein Wort“.

Allerdings wird Mose in 4. Mose 12,1 von seinen Geschwistern Mirjam und Aaron dafür kritisiert, dass er „eine kuschitische Frau“ genommen hatte. Bei dieser Frau könnte es sich durchaus um eine andere Frau als Zippora gehandelt haben. Andernfalls ist es etwas eigenartig, dass man Mose erst irgendwann auf der Wüstenwanderung wegen einer Frau Vorwürfe macht, die er bereits Jahre zuvor in Midian geheiratet hatte.

Bauersachs geht allerdings davon aus, dass Zippora selbst als Kuschitin bezeichnet wird. Und er sieht darin einen Beweis (S. 188), dass „Mose … zweifelsfrei … am westlichen Wüstenrand Babyloniens zuhause“ war.

Aber so unwiderleglich ist diese Beweisführung keineswegs. Zwar stimmt es, dass „Babylon … zur Zeit des Exodus um 1220 von Kassiten regiert“ wurde; zwar mag die „Frau Moses, die nach allgemeiner Lesart ‚kuschitisch‘ war“, dementsprechend auch keine „Äthiopierin“, sondern „eine ‚Kassitin‘ (KuŠITh; Vorsilbe Kašš …)“ gewesen sein, „also eine Frau entweder aus dem kassitischen Babylonien oder eine Kassitin der Herkunft nach“. Aber als Bauersachs (S. 55) bereits ein anderes Mal auf die Heimat dieser Ehefrau des Mose eingegangen war (siehe Abschnitt 2.4.5), hatte er betont, dass nur „im Grenzgebiet zwischen Elam und Babylonien … das biblische ‚Ägypten‘ und Goschen gelegen haben“ kann. Damit könnte also viel eher belegt werden, dass Zipporas Heimat Chuzistan war und nicht ein Gebiet westlich des Euphrat.

Dafür spricht außerdem, dass es auch in den Wüstensteppen Chuzistans durchaus „Widyan“ gibt, was wörtlich übersetzt die arabische Pluralform von „Wadi“ darstellt, also Flüsse, deren Wasser in der Trockenzeit versickern kann. Könnte die Heimat Zipporas nicht sogar irgendwo in der Nähe des Flusses Marun gelegen haben, dessen Konsonanten lautlich sehr ähnlich wie Midian klingen (zumal im Hebräischen das D und das R leicht verwechselt werden kann)?

Auch ist schließlich anzunehmen, dass ein historischer Mose nach dem Totschlag eines „ägyptischen“ Sklavenaufsehers in Chuzistan eher einen solchen nahe gelegenen Zufluchtsort aufsuchte, statt sich in die 400 km entfernte Gegend westlich des Euphrat aufzumachen. <89> Von einem solchen vielleicht am Wüstenrand von Chuzistan gelegenen „Midian“ aus könnte Mose in die Hauptstadt Čoga Zanbil zurückgekehrt sein, um dort als Anführer der Exodus-Gruppe mit Beamten des elamischen „Pharao“ Kidin-Hutran III. zu verhandeln und für die „Hebräer“ einzutreten, wie es in 2. Mose 4 berichtet wird.

4.3.5 War Mose nur ein hauptberuflicher Karawanenführer?

Dass ein historischer Mose aber eine solche Rolle als Verhandlungsführer und Anführer der unterdrückten Exodus-Gruppe übernommen haben könnte, wird von Konrad Bauersachs rigoros ausgeschlossen. Ich unterstreiche nochmals, dass ich viele seiner Erwägungen über mögliche historische Hintergründe der Erzväter- und Exoduserzählungen für durchaus nachvollziehbar halte. Um so mehr schmerzt es mich, dass seine hauptsächliche Einschätzung im Blick auf Mose in eine völlig abwegige Richtung geht.

Er hält nämlich „den realen Mose für“ nichts anderes als „einen professionellen Reisebegleiter für Karawanen“, der von der aus der Unterdrückung geflohenen Exodus-Gruppe erst für die Durchquerung der Wüste engagiert wurde und zuvor nichts mit ihr zu tun gehabt hatte. Die Verhandlungen (S. 189) mit dem „Pharao“ der Fronarbeit und Versklavung hätte somit „in Wirklichkeit ein anderer Vertreter der Unterdrückten“ geführt, und auch als Anführer des eigentlichen Exodus aus „Ägypten“ kommt Mose in seinen Augen nicht in Betracht (S. 187):

Die Schreiber der Niederschrift haben mit Mose und Aaron zwei Fremde wegen ihrer Bedeutung bei der Wüstenwanderung in die Geschichte des Volkes Israel „hineingeschrieben“ und als Nachfahren Abrahams vereinnahmt. Ich halte Mose und Aaron für professionelle Führer aus der Umgebung von Kadesch-Qadisija am Euphrat, die aufgrund ihrer Kenntnisse der Wüste Karawanen sicher an ihr Ziel bringen konnten.

Durch eine Reihe von Schlussfolgerungen, die mit dieser Idee in Verbindung stehen, bringt Bauersachs seine gesamte Theorie in die Gefahr, der Lächerlichkeit preisgegeben zu werden.

So nimmt er beispielsweise an, dass sowohl Aaron als auch Mose nicht wirklich „vor Erreichen des Ziels“ der Wüstenwanderung gestorben sind, wie es in 4. Mose 33,39 und 5. Mose 34,5 berichtet wird; vielmehr hatte Aaron

seine Aufgabe im Wesentlichen erfüllt und nahm die Gelegenheit wahr, sich einer vorbeiziehenden Karawane in seine Heimat anzuschließen. Eine solch phantasielose Erklärung konnten die Redaktoren bei der Niederschrift natürlich nicht verwenden.

Mose, der zweite Führer, war pflichtbewusster: Er erfüllte seine Aufgabe zuverlässig und blieb bis zum Schluss bei der Gruppe. So hatte er Gelegenheit, von den moabitischen Bergen einen Blick auf das „Gelobte Land“ jenseits des „Jordan“ zu werfen, das der Exodus-Gruppe von JAHWE versprochen war.

Diese psychologisierenden Spekulationen über ein mehr oder weniger großes Pflichtbewusstsein von Aaron und Mose als Karawanenführer entbehren jeglicher bestätigender Indizien. Die folgende Argumentation unterstellt zudem entweder den Erzählern der mündlichen Überlieferung oder den Verfassern der biblischen Niederschrift die Absicht einer bewussten Täuschung über den tatsächlichen Hergang der Ereignisse, bei denen es sich in Wirklichkeit nur um reichlich banale Vorgänge gehandelt hätte (S. 188):

Hätten sie schreiben sollen, dass Mose und Aaron mit Erreichen Transjordaniens ihre Aufgabe erledigt hatten? Dass sie ihren Lohn erhielten und wieder zu ihren Familien zurück nach Kadesch-Qadisija gezogen sind? Die Dramaturgie des gesamten Handlungsaufbaus der Exodus-Erzählung vom Schilfkörbchen über die Verhandlungen mit dem „Pharao“ bis zur Sinai-Episode mit den Gesetzestafeln wäre damit zunichte gemacht worden.

Selbst wenn Aaron und Mose tatsächlich nur als Karawanenführer engagiert worden wären, würde ich es für stimmiger halten, dass Erzählungen über diese Personen in gutem Glauben auf Grund eines Missverständnisses sozusagen mit einer überhöhten religiösen Bedeutung „aufgeladen“ wurden. In dem, was Bauer­sachs hier formuliert (später kommen ähnliche Argumentationen in dieselbe Richtung hinzu), klingt eine antireligiöse Verschwörungstheorie an, die davon ausgeht, dass einem durchaus historischen Exodus und einer ebensolchen historischen Wüstenwanderung alle religiösen bzw. befreiungstheologischen Züge – ich wiederhole: in bewusster Täuschungsabsicht! – erst nachträglich angedichtet worden sind.

Nun sind aber auch die Begründungen für die angebliche bloße professionelle Karawanenführerschaft des Mose und Aaron, die Bauersachs anführt, in meinen Augen alles andere als überzeugend.

So erwähnt er (S. 186) einen gewissen Hobab, der in 4. Mose 10,29-32 als der Sohn von Moses Schwiegervater Reguel bezeichnet wird „und als Kenner der Wüste bezeichnet“ wird:

29 Und Mose sagte zu Hobab, dem Sohn Reguels, des Midianiters, des Schwiegervaters Moses: Wir brechen auf zu dem Ort, von dem der HERR gesagt hat: „Ich will ihn euch geben“. Komm mit uns! Dann werden wir dir Gutes tun; denn der HERR hat Gutes über Israel geredet.

30 Doch er sagte zu ihm: Ich will nicht mitkommen, sondern in mein Land und zu meiner Verwandtschaft will ich gehen.

31 Er aber sagte: Verlaß uns doch nicht! Denn du weißt doch, wo wir in der Wüste lagern können; und du sollst unser Auge sein.

32 Und es soll geschehen, wenn du mit uns kommst und jenes Gute geschieht, das der HERR an uns tun will, dann werden wir dir auch Gutes tun.

Zu diesem Hobab behauptet Bauersachs:

Seltsam ist, dass Hobab auf der weiteren Wüstenwanderung nicht mehr in Erscheinung tritt. Das ist ein Hinweis, dass Mose auch ohne fremde Hilfe gut zurechtkommt und er von Beruf Reisebegleiter ist.

Aber genau das Gegenteil ist doch der Fall! Warum sollte Mose den Hobab wegen seiner Kenntnisse der Lagerplätze in der Wüste um seine Begleitung bitten, wenn er selbst ein erfahrener Karawanenführer wäre? Insofern beweist die Bibelstelle geradezu, dass diese Annahme von Bauersachs nicht stimmen kann. Und warum sollte man ständig erwähnen, auf welche Weise ein Mann wie Hobab der Karawane seine fachkundige Hilfe zuteil werden lässt? Der Bibeltext läuft jedenfalls nicht zwangsläufig darauf hinaus, dass Hobab nach seiner anfänglichen Weigerung tatsächlich die Exodus-Gruppe verlassen hat.

Mit keinem Wort geht Bauersachs auch auf die Frage ein, ob es nicht zwischen einem Anführer, dem die Exodus-Gruppe aus Chuzistan bis nach Kadesch-Qadisiya gefolgt ist, und einem Karawanenführer Mose auf dem weiteren Weg durch die Wüste zu Konflikten gekommen sein müsste. Nirgends ist auch nur andeutungsweise etwas von einer Übergabe eines „Staffelstabes“ im Blick auf die Führung der Gruppe die Rede.

4.3.6 Zur „romantischen“ Zusammenführung der Mose-Familie

Letztlich gibt es nur ein Argument, das in den Augen von Konrad Bauersachs den Beruf des Mose als Karawanenführer zwingend erweist, nämlich die Beziehung zu seinem Schwiegervater Jithro, der in der Nähe des Gottesberges Horeb <90> seinen Wohnsitz hat. Indem er (S. 188) auf „Moses zunächst seltsam anmutende Familienverhältnisse“ <91> eingeht, beruft er sich auf die beiden Bibelstellen 2. Mose 4,20 und 18,2 (S. 186):

Eigenartig an Moses Familienleben war dagegen, dass er zunächst seine Frau und seine Söhne mit sich nach „Ägypten“ nahm … und dass er später seine gesamte Familie aus „Ägypten“ zum Schwiegervater in ihre alte Heimat zurück schickte:

4,20 Da nahm Mose seine Frau und seine Söhne {Gerschom und Elieser} mit sich, ließ sie auf dem Esel reiten und kehrte in das Land Ägypten zurück.

18, 2 Da nahm Jithro, der Schwiegervater des Mose, Zippora, die Frau des Mose mit sich, nachdem dieser sie zurückgeschickt hatte, mit ihren beiden Söhnen.

In seinen Augen (S. 188) gibt es für

das scheinbar komplizierte Hin und Her, also zunächst Trennung und dann doch romantische Wiedervereinigung der Mose-Familie durch Jithro beim scheinbar zufälligen Zusammentreffen mit der Exodus-Gruppe … eine einfache und überzeugende Erklärung…

Diese Erklärung basiert nun darauf, dass Mose seiner Ansicht nach auf jeden Fall „mit seiner Familie im Raum Kadesch-Qadisija am Euphrat“ lebte, denn

„hier konnte er sicher sein, dass seine Füh­rerdienste in Anspruch genommen werden; der Wohnort seines Schwiegervaters lag zu weit ab, um Kontakte mit reisebereiten Karawanen zu bekommen.“

Auf diesen „Wohnort seines Schwiegervaters“ kommt Bauersachs wiederum erst auf S. 228 im Zusammenhang mit einer Station der Wüstenwanderung zu sprechen, und zwar benennt er ihn dort ohne jede Begründung:

Die Heimat des Priesters Jithro war das biblische Alusch ˀALUŠ, wohl der heutige Ort Al Lašaf. Al Lašaf liegt im Wadi Hirr an einer Karawanenstraße von Kadesch-Qadisija Richtung Süden und bietet heute wie damals auch größeren Herden eine ausreichende Wasserversorgung.

Abgesehen davon, dass also die genaue Verortung der Wohnorte Moses und seines Schwiegervaters (etwa 120 km voneinander entfernt) auf reinen Vermutungen beruht, geht bei seinen darauf aufgebauten Schlussfolgerungen die Phantasie vollends mit Konrad Bauersachs durch (S. 188):

Als Mose in Kadesch-Qadisija den Auftrag annahm, die Exodus-Gruppe ins Gelobte Land zu führen, musste er sich um die Reisevorbereitungen und Ausrüstung kümmern: Vorräte mussten besorgt, Wasserschläuche erneuert sowie Packsättel und Gurte hergestellt werden. Mose hatte die Aufgabe, die ihm Anvertrauten sicher ans Ziel zu bringen, dies war nach heutigem Sprachgebrauch ein Full-Time-Job und der wirkliche Grund, seine Frau und die beiden Söhne vorübergehend seinem Schwiegervater Jithro in Obhut zu geben…

In 2. Mose 18,2 ist allerdings lediglich die Rede davon, dass Jithro die zuvor „zurückgeschickte“ Frau Moses mit ihren Kindern wieder zu Mose bringt. Wann und aus welchem Grund Mose seine Familie zu Jithro zurückgeschickt hatte, wird aber mit keinem Wort angedeutet. Wenn man schon spekulieren will, könnte er das auch wegen der anhaltenden katastrophalen Zustände während der „ägyptischen Plagen“ getan haben – von den Beschwerlichkeiten eines Full-Time-Jobs als Reiseführer ist jedenfalls absolut nichts zu lesen oder zu erschließen!

In diesem Zusammenhang beruht übrigens bereits folgende Formulierung von Bauersachs auf einem Irrtum:

Nach der Abreise aus Kadesch-Qadisija am Euphrat kommt Mose auf dem Weg ins Gelobte Land mit der Exodus-Gruppe bei Jithro vorbei und trifft bei dieser Gelegenheit natürlich auch seine Frau und seine beiden Söhne…

Nein, nach dem Bibeltext kommt nicht Mose bei Jithro vorbei, sondern Jithro kommt zu Mose an den Gottesberg – von welchem Ort aus, wird mit keinem Wort gesagt. Ob man das als eine „romantische Wiedervereinigung der Mose-Familie“ interpretieren sollte, lasse ich dahingestellt sein. Dass allerdings die Familie während der gesamten Wüstenwanderung bei Mose bleibt (nach 2. Mose 18,27 zieht nur Jithro wieder in sein Land), spricht in meinem Augen eher dagegen, dass Mose lediglich ein Karawanenführer war. In diesem Fall wäre es doch sogar plausibler gewesen, wenn Jithro die Familie des Mose vor seiner beruflich bedingten Reise von ihm abgeholt statt zu ihm gebracht hätte.

Auf ein anderes Argument, das immerhin die biblische Namensgebung für den zweiten Sohn des Mose als nachträgliche Konstruktion erweist, geht Bauersachs gar nicht ein: Eliesers Name wird nämlich, obwohl er nach 2. Mose 4,20 bereits vor dem Exodus geboren ist, in 2. Mose 18,4 folgendermaßen gedeutet:

Der andere aber hieß Elieser, denn er hatte gesagt: Der Gott meines Vaters ist meine Hilfe gewesen und hat mich vom Schwert des Pharao errettet.

Umgekehrt macht eine Überlegung von Bauersachs zur Namensgebung von Mose selbst wenig Sinn, wenn man nicht doch ihn selbst als den Anführer sehen wollte, der in eigener Person die Exodus-Gruppe aus der Versklavung in Ägypten herausgeführt hatte (S. 182). Ihm zufolge steht nämlich hinter dem Namen MoŠäH sehr wahrscheinlich

der hebräische Ausdruck MOŠIAˁ <92>, der für „Retter” in der Not steht. Denkbar ist für mich auch der Zusammenhang mit MaŠIaCh (Messias); in beiden Fällen wurde der ursprünglich hebräische Beiname durch die Wunschinterpretation gewaltsam „ägyptisiert“.

Aber warum hätte man einen bloßen Karawanenführer als Retter oder Befreier oder gar als gesalbten König bezeichnen sollen?

4.4 Fronarbeit unter Untaš-Napiriša in Chuzistan/Susiana

Die Selbstversklavung, die unter Josef in Babylonien vor sich ging und in Abschnitt 4.2 besprochen wurde, hatte – wie gesagt – nur mittelbar mit dem ungefähr zu gleichen Zeit geschehenen Exodus zu tun, vielleicht dadurch, dass Ḫabiru in Chuzistan und im westlicheren Jamutbal miteinander im Kontakt standen, so dass man Geschichten vom Aufstieg Josefs und seinem segensreichen Wirken für Babylonien und seine Familie weiterzuerzählen wusste.

Um herauszufinden, in welcher Gegend die Nachkommen Abrahams selbst in Fronarbeit und Sklaverei hineingeraten sein könnten, muss man die Bibelstelle 2. Mose 1,13-14 betrachten:

13 Da zwangen die Ägypter die Söhne Israel mit Gewalt zur Arbeit

14 und machten ihnen das Leben bitter durch harte Arbeit an Lehm und an Ziegeln, und durch allerlei Arbeit auf dem Feld, mit all ihrer Arbeit, zu der sie sie mit Gewalt zwangen.

4.4.1 Ziegelherstellung für Haft Tepe und Čoga Zanbil

In Abschnitt 2.1 wurde bereits gesagt, dass es im realen Ägypten nicht notwendig gewesen wäre, Tempel, Paläste, Vorratsstädte oder Pyramiden mit Lehmziegeln zu bauen; vielmehr hätte man die Fronarbeiter zur viel härteren Arbeit in den Steinbrüchen oder zum Steineziehen herangezogen. In Babylonien oder Elam aber musste aus Mangel an Steinen jedes Bauwerk mit Hilfe von eigens hergestellten Ziegeln errichtet werden.

Eine (S. 159) solche „Ziegelherstellung“ in gewaltigem Ausmaß, die die Bibel in die Zeit nach Josefs Tod verlegt, spielte historisch bereits in der Zeit „eines realen Abraham“, der „in die Auseinandersetzung von 1332 v. Chr.“ verwickelt war, eine Rolle. Denn damals muss „mit dem Bau von Haft Tepe bereits die biblische Fronarbeit der Ziegelherstellung begonnen haben“, auch wenn sie ausdrücklich im biblischen Kriegsbericht noch nicht erwähnt wird.

Genau genommen sind es zwei große Bauprojekte, die zur Zeit Abrahams in der Susiana in Angriff genommen wurden (S. 160 – die Hervorhebungen stammen von mir): „nach dem Friedensschluss zwischen Babylonien und Elam um 1332 v. Chr.“ begann

der neue elamische König Untaš-Napiriša … sofort mit der Errichtung des riesigen Heiligtums Čoga Zanbil (UNESCO- Weltkulturerbe)… Parallel dazu durfte Hurpatila/Tepti-Ahar nach der Niederlage gegen Kurigalzu II. bis zu seinem Tod an der Anlage Haft Tepe weiterbauen. Für die Fronarbeiter setzte sich die Ziegelproduktion nahtlos fort. Vermutlich haben auch die Nachfolger Untaš-Napirišas die Verehrung der heimischen Götter mit dem Bau weiterer Tempel oder der Ausbesserung bestehender Anlagen demonstriert und beim Bau ebenfalls ein Heer von Zwangsarbeitern geschunden.

Zu diesen Zwangsarbeitern können „auch Mitglieder der Sippe Abrahams“ gehört haben;

dokumentierte Zahlen zu diesen Arbeiten gibt es leider nicht. Ob alle Bevölkerungsgruppen für die Bauarbeiten verpflichtet wurden, oder ob es Kriegsgefangene oder unterprivilegierte Schichten waren, ist auch nicht bekannt. Am wenigsten hatten wegen ihrer Mobilität wohl Nomaden zu leiden, allenfalls in Hungerzeiten wäre eine vorübergehende freiwillige Selbstverpflichtung im Sinne Tausch von Arbeitsleistung gegen Getreide denkbar.

In diesem Zusammenhang erinnert Bauersachs an die „mehrfachen Wanderungen des biblischen Abraham und seiner Nachkommen zum Getreidekauf nach ‚Ägypten‘“, die „durchaus einen realen Hintergrund gehabt haben“ können.

Dazu passt auch die Bemerkung im Zusammenhang des Kriegsberichts (1. Mose 14,13), dass Abraham ein „Hebräer“ = Ḫabiru war; so nannte man ja recht- und schutzlose Nomaden, die sich gezwungen sahen, sich für ihren Lebensunterhalt in die Abhängigkeit sesshafter Bevölkerungskreise zu begeben.

Entscheidend ist nun (S. 164), dass im realen Ägypten „kein ägyptischer Pharao Interesse“ an primitiven Ziegelbauten hätte haben können; nur die „Häuser der ‚normalen‘ ägyptischen Stadtbewohner oder Bauern entstanden damals traditionell in Lehmbauweise“:

Repräsentative Gebäude in Ägypten wurden stets aus Natursteinen errichtet…

Die Fronarbeit für den ägyptischen Pharao wäre deshalb nicht die Ziegelherstellung gewesen, sondern vor allem das Bearbeiten der Steine in den fernen Steinbrüchen oder der Transport von dort zu den Schiffen und weiter von der Anlegestelle zu den Bauplätzen. Diese Knochenarbeiten sind in ägyptischen Quellen textlich und bildlich gut dokumentiert und konnten wirklich Zwangsarbeit genannt werden. …

Im Alten Testament wird kein einziges Wort über das Steineziehen verloren, obwohl diese Arbeit doch wesentlich anstrengender wäre als die geschilderte Ziegelherstellung. Wenn ein „Pharao“ einen Teil der unterprivilegierten Bevölkerung (das biblische „Volk Israel“) gezielt hätte belasten wollen, wäre die Einteilung zum Steineziehen wesentlich effektiver gewesen.

Das heißt also (S. 165):

In Ägypten wurden nur in wenigen Fällen Tempel aus Lehmziegeln errichtet, in Babylonien und Chuzistan war das die Regel. Anders als in Ägypten gibt es im Schwemmland des Euphrat und Tigris und der Susiana keine Steine…,

so dass (S. 164) in Elam für „die Bauten Tepti-Ahars und Untaš-Napirišas … millionenfach Ziegel benötigt“ wurden (S. 165):

Allein für die Zikkurat der Tempelanlage Čoga Zanbil waren – sehr zurückhaltend geschätzt – rund 42 Mio. Normziegel (30-10-15) oder 12 Mio. Großziegel (40-40-10) nötig {ausgehend von den wahrscheinlichen Abmessungen 105x105x50 Meter}. Der Turm von Babel soll um 2000 v. Chr. nach Schätzungen aus 80 Mio. Ziegeln erbaut worden sein. Zum Vergleich: Eine moderne automatisierte Großziegelei des 21. Jhds produziert mit 30 Mitarbeitern jährlich etwa 100 Mio. Normziegel. …

4.4.2 Verwendung von Asphalt als Mörtel

Eine weitere in 1. Mose 11,3 erwähnte Einzelheit deutet zusätzlich auf die Erstellung von Ziegelbauten in Elam hin:

Und sie sagten einer zum anderen: Wohlan, lasst uns Ziegel streichen und hart brennen! Und der Ziegel diente ihnen als Stein, und der Asphalt diente ihnen als Mörtel.

Bauersachs schreibt dazu (S. 165):

Zusätzlich mussten für die eigentlichen Maurerarbeiten große Mengen an Kalk- oder Bitumenmörtel hergestellt werden. Die umfangreichen Asphaltvorkommen in der Region machen die Verwendung von Bitumenmörtel wahrscheinlich, der zu etwa 40% aus dem reichlich vorhandenen Bitumen bestand, das mit Sand oder Lehm versetzt wurde…

4.4.3 Schilfmatten und -taue zur Stabilisierung von Ziegelbauten

Ein anderes Verfahren, um den Einsturz hoher aus Ziegeln bestehender Bauwerke zu verhindern, bediente sich in Babylonien, etwa beim Bau der in Abschnitt 3.4.3 erwähnten (S. 53) „Grenzfestung Dur-Kurigalzu“, (S. 166)

ebenfalls der natürlichen Ressourcen: Jeweils zwischen 5 bis 8 Lagen Ziegel wurden geflochtene Schilfmatten gelegt, die den Druck der einzelnen Ziegellagen verteilten und für Zusammenhalt sorgten. Zusätzlich wurden die gegenüberliegenden Außenwände durch fest verankerte Schilftaue miteinander verbunden, das Auseinanderdriften senkrechter Wände wurde so verhindert.

In diesem Zusammenhang verweist Bauersachs (S. 167) auf eine eigenartige Formulierung in 2. Mose 5,12:

Darauf zerstreute sich das Volk im ganzen Land Ägypten, um Strohstoppeln für Häcksel zu sammeln.

Der Nebensatz LɘQoŠeŠ QaŠ LaThäBäN enthält zwei verschiedene Wörter für Häcksel bzw. Strohstoppeln. Das Wort ThäBäN heißt eigentlich Stroh und wird in 1. Mose 5,7-18 neun Mal für das gehäckselte Material verwendet, dass die Israeliten auf Anordnung des Pharao zur Ziegelherstellung selber sammeln sollen. In Vers 12 wird zusätzlich das Wort QaŠ eingeschoben, das für sich bereits „Stoppeln, Spreu, Häcksel“ bedeutet. Nimmt man hinzu, dass das mit „sammeln“ übersetzte Verb genau denselben Wortstamm wie QaŠ hat, so wäre der Satz wörtlich eigentlich so zu übersetzen: „um zu stoppeln Stoppeln für Häcksel“.

Damit könnte naheliegenderweise gemeint sein,

dass aus den Strohstoppeln … durch Zerkleinern Häcksel hergestellt werden sollen. Heute schneiden Erntemaschinen das Getreide knapp über dem Boden ab, damals blieben die mit Sicheln abgeernteten Halme kniehoch auf dem Feld stehen. Aus diesem Stroh lässt sich natürlich reichlich Häcksel gewinnen.

Bauersachs erwägt jedoch, ob nicht „möglicherweise von einem ganz anderem Material die Rede“ ist, wozu ich ihn außerordentlich ausführlich zitieren möchte:

In jeder Sprache finden sich bei wichtigen Tätigkeiten Verknüpfungen zwischen Verben, Substantiven und Berufen, wie etwa bei den Begriffen mauern, Mauer und Maurer. Ich bin deshalb der Meinung, dass die Übersetzung von QaŠ; mit „Stoppeln“ irreführt, und sich deshalb das Verb QaŠaŠ = sammeln an dieser Stelle nicht von QaŠ = „Stoppeln“ herleiten lässt, weil es nicht die Tätigkeit des „Stoppeln“ sammelns bezeichnet. Wiederholt findet sich im Alten Testament zusammenhängend mit der Fronarbeit in „Ägypten“ je nach Übersetzung sowohl die Verwendung von Häcksel ThäBäN, (hebr. Stroh) als auch Stroh oder Strohstoppeln QaŠ (hebr. „Stoppeln“) zur Ziegelherstellung.

Für das Sammeln von „Stoppeln“ existiert scheinbar sogar eine eigene Bezeichnung (QaŠaŠ = sammeln, auflesen), die sich vom Wort Stoppeln herleiten lässt. Den Begriff „Stoppeln“ setze ich bewusst in Anführungszeichen, da er hier für etwas ganz anderes steht. Das Wort qash bzw. qashash hat wohl eine ganz andere Bedeutung: Entlang der Unterläufe von Euphrat und Tigris sowie entlang des Kerkhe und Karun in Chuzistan gibt es damals wie heute ausgedehnte Seen- und Sumpflandschaften, in denen sich Süßwasserpflanzen prächtig entwickeln können: Hier hat der Begriff des biblischen „Schilfmeers“ seinen Ursprung, der die riesigen schilfbedeckten Flächen treffend beschreibt. Dieser Begriff stellt das Schilf in den Vordergrund und vergleicht die endlose Ausdehnung mit dem Meer, genauso wie fernab jeden Wassers die Wüste mit einem Sandmeer verglichen wird.

Besonders gut gedeiht das Schilfrohr (botan. Phragmites communis), das bis zu 8 Meter hoch werden kann. Dieses Schilfrohr wird heute noch als alleiniges Baumaterial für Schilfhäuser verwendet. Ich verwende hier ausdrücklich den Begriff „Häuser“ und nicht „Hütten“, denn es handelt sich bei den fertigen Gebäuden um kunstvolle und stabile Hauskonstruktionen. …

Dieses Schilf, das heute noch wie im Altertum als Baumaterial genutzt wird, heißt arabisch Qasab, die Wortverwandschaft zum biblischen Qash ist offensichtlich. Die Bedeutung dieses Baumaterials rechtfertigt eine eigene Bezeichnung für das Sammeln oder Ernten des Schilfrohrs, während des Sammeln von Stoppeln eine solche Wertschätzung sicher nicht verdiente. Wenn man dann noch das arabische Wort Qashesh für Gras im weiteren Sinn (auch Schilf ist ja ein Gras) – entweder geschnitten und getrocknet oder noch grün auf dem Halm stehend – mit dem hebräischen QaŠaŠ für „Sammeln“ vergleicht, kommen erhebliche Zweifel am kollektiven Stoppel-Sammeln der Fronarbeiter, wie es traditionell dargestellt wird.

Daraus schließt Bauersachs für die „Arbeiten in der geschilderten Episode des Alten Testaments“ (S. 169):

Ein Teil der Fronarbeiter ist tatsächlich mit der Herstellung der Ziegel und dem Sammeln von Häcksel beschäftigt, ein anderer Teil hatte die Aufgabe, Schilf zu schneiden und aus dem Schilfrohr Seile oder Matten zu flechten; diese Tätigkeit dürfte mit QaŠaŠ gemeint sein. Die Bedeutung der Schilfmatten und Seile für den Bau mit Lehmziegeln rechtfertigt ein eigenes Wort für diese Tätigkeit. Die Herstellung von Schilfprodukten war sicher nicht allein auf Matten und Seile beschränkt, auch Tragekörbe für das Baumaterial lassen sich so einfach und billig herstellen.

Gerade (S. 166) beim Bau der erwähnten Anlage „von Čoga Zanbil“ scheint man allerdings „auf die Verwendung von Schilfmatten verzichtet und statt dessen versucht“ zu haben, „die Ziegellagen mit Palmholz und Seilen zu stabilisieren <93>“ (S. 167):

Der Vergleich zwischen der heute noch beeindruckenden Ruine von Dur-Kurigalzu (mit Matten errichtet) und dem unscheinbaren Hügel, unter dem sich Čoga Zanbil verbarg, zeigt, dass die elamischen Baumeister durch das Weglassen der Schilfmatten in einem Erdbebengebiet offenbar einfachste statische Prinzipien missachtet haben.

Gleichwohl mögen in den Wörtern QaŠ und QaŠaŠ uralte Erinnerungen an das Schilfsammeln im Zusammenhang mit Fronarbeiten in Babylonien oder Elam aufbewahrt worden sein.

4.5 Der Exodus aus Chuzistan unter „Pharao“ Kidin-Hutran III.

Die im Abschnitt 4.4 beschriebenen Erinnerungen an eine Fronarbeit der Ziegelherstellung beziehen sich auf einen Zeitraum etwa 100 Jahre vor der Zeit des Exodus, wie ihn Konrad Bauersachs ansetzt.

Verlassen wir also die Zeit von Untaš-Napiriša in Elam und Kurigalzu II. in Babylonien und betrachten wir die Situation in der Mitte des 13. Jahrhunderts v. Chr., etwa 60 Jahre nach „dem Bau von Čoga Zanbil“.

In „Chuzistan, wo die Nachfahren Abrahams leben, regiert mittlerweile Kidin-Hutran III. (ca. 1245-1220)“; allerdings fehlen ausgerechnet „in seiner Heimat Elam … Aufzeichnungen über ihn“. Während dieser kriegerische König „in den Chroniken“ von Babylonien „einen nachhaltigen Eindruck“ hinterließ, war er doch „am Beutemachen“ in diesem „schwächelnden“ Land außerordentlich interessiert. Ihn identifiziert Bauersachs als „Pharao“ des biblischen Exodus, da er im Jahr 1220 plötzlich von der Bildfläche verschwand, ohne dass darüber irgendeine Nachricht in den elamischen oder babylonischen Annalen zu finden wäre.

Die (S. 189) angeblichen Verhandlungen des Mose „mit dem biblischen ‚Pharao‘“, die die Bibel „in allen Einzelheiten“ beschreibt, können jedenfalls nach Bauersachs „nur in Chuzistan geführt worden sein, nur hier war die Ziegelherstellung immer noch Teil der Fronarbeiten“ (2. Mose 5,18):

18 Und jetzt geht, arbeitet! Häcksel wird euch nicht gegeben, aber die bestimmte Anzahl Ziegel sollt ihr abliefern!

Diese Annahme von Bauersachs verwundert mich etwas, da er zuvor erwähnt hatte (S. 169), dass beide baulichen Großprojekte in „Haft Tepe … und Čoga Zanbil“ – vermutlich durch Erdbeben – schon bald zerstört wurden und „nicht mehr … daran weitergebaut worden ist“. Auch (S. 170) weitere „vergleichbare Großprojekte“ soll es ihm zufolge seit „dem Bau von Čoga Zanbil“ nicht mehr gegeben haben, so dass (S. 172) die „biblische Fronarbeit der Ziegelherstellung … in Chuzistan um 1250 längst abgeschlossen“ war und „mit der Fronarbeit durch Selbstversklavung in Babylonien nichts gemeinsam“ hatte.

Aber wie dem auch sei, unmöglich ist es nicht (S. 203), dass trotzdem „Nachkommen Abrahams“, die hier „in Chuzistan lebten“, auch ein Jahrhundert später noch immer „als Zwangsarbeiter eingesetzt“ wurden. Vielleicht waren ja in die Angaben zur Ziegelherstellung, insbesondere ihre Verschärfung durch den Zwang, die dafür notwendigen Rohstoffe (sei es Häcksel oder Schilf für zusätzlich erforderliche Matten oder Seile) selbst herbeizuschaffen, auch alte Erinnerungen eingeflossen.

4.5.1 Gab es Verhandlungen zwischen Mose und dem „Pharao“?

Unhistorisch sind nach Bauersachs (S. 189) die „wiederholten Unterredungen zwischen Fronarbeitern und dem König oder seinen Repräsentanten“, denn „kein Regent lässt sich von Sklaven so auf der Nase herumtanzen“ (S. 203):

Der unermüdliche Krieger Kidin-Hutran III. war sicher kein Herrscher, der Probleme durch zeitraubende Verhandlungen gelöst hat. So gesehen passt das ständige Hin und Her bei den Verhandlungen zwischen Mose und dem „Pharao“ auch nicht zu Kidin-Hutran III. und ist eindeutig der Niederschrift zuzurechnen.

An anderer Stelle kann sich Bauersachs (S. 189) allerdings auch ein „Wechselspiel“ vorstellen zwischen einem „Bauaufseher“, der „der erste Ansprechpartner für die geknechteten Arbeiter“ war und möglicherweise „den Verhandlungsführern des ‚Volkes Israel‘ Zugeständnisse“ machte, und dem „Pharao“, der „dann, weil er die Lage vor Ort nicht erkannte oder keinen Präzedenzfall schaffen wollte, den Entscheidungen seines Beauftragten doch nicht“ zustimmte. „Diese Situation könnte das dauernde Hin und Her bei den ständig widerrufenen Entscheidungen des ‚Pharao‘ erklären“.

Ob Mose tatsächlich einen älteren Bruder Aaron hatte, der sprachgewandter war als er und ihn deswegen bei den Verhandlungen mit den für die Fronarbeit verantwortlichen Behörden begleitete, tut in diesem Zusammenhang wenig zur Sache und lasse ich deswegen dahingestellt sein.

Inhaltlich (S. 190) soll es in den Verhandlungen um „den frommen Wunsch des ‚Volkes Israel‘“ gegangen sein,

drei Tagesreisen weit in die Wüste zu ziehen, um ihrem Gott zu Ehren ein Fest zu feiern… In dieser Zeit hätten sie dem „Pharao“ natürlich nicht als Arbeitskraft zur Verfügung stehen können, die Bitte wird daher abgelehnt; als Strafe für ihr Ansinnen bürdet ihnen der „Pharao“ noch mehr Arbeit auf. Nun folgt ein ständiges Wechselspiel zwischen erneutem Bitten, Ablehnung und Androhung göttlicher Strafen. Jede der Strafen (die „ägyptischen Plagen“) beeindruckt den „Pharao“ zunächst, er gibt vor, das Volk ziehen lassen zu wollen. Sobald die Plagen zu Ende sind, nimmt er jedes Mal seine Zusagen wieder zurück.

Wie gesagt, da solche Verhandlungen historisch eher unwahrscheinlich sind, erwägt Bauersachs (S. 203) noch ein anderes Szenario:

Irgendwann war die Leidensfähigkeit der Geplagten erschöpft und es kam zum Widerstand {2. Mose 2,12}:

12 Und er {Mose} wandte sich hierhin und dorthin, und als er sah, dass niemand in der Nähe war, erschlug er den Ägypter und verscharrte ihn im Sand.

Auch mir erscheint das, wie im Abschnitt 4.3.3 bereits ausgeführt, als wahrscheinlich, einschließlich seines Rückzugs nach „Midian“. Und der folgenden Einschätzung von Konrad Bauersachs kann ich ebenfalls voll und ganz zustimmen (S. 203):

Eine groß angelegte Revolte der Drangsalierten gegen diesen energischen „Pharao“ Kidin-Hutran III. mit seiner gut ausgebildeten Armee hätte in einem Blutvergießen geendet, also hofften die Unterdrückten auf günstige Umstände für eine Flucht. Die Gelegenheit dazu ergibt sich mit der 10. ägyptischen Plage, als ein Erdbeben das Land ins Chaos stürzt und jeder sich selbst der Nächste war.

4.5.2 Die ersten sechs „ägyptischen“ Plagen als Öko-Katastrophe und weitere vier als Naturereignisse

Die Darstellung der so genannten zehn ägyptischen Plagen ist Bauersachs zufolge (S. 190) nun aber nicht nur „ein literarischer Kunstgriff“, sondern hatte „auch einen ganz realen Hintergrund“. Er stimmt nämlich nicht den Alttestamentlern zu, die der Ansicht sind, „dass die Reihung der Plagen doch ziemlich künstlich und sekundär erfolgt ist“ <94>, sondern weist nach, dass die „Plagen 1 – 6 … exakt in dieser Reihenfolge reproduzierbar eng zusammen“ gehörten und tatsächlich eine „Öko-Katastrophe“ darstellten (S. 191):

Dass das „Volk Israel“ von den meisten Plagen verschont wird, sehen Alttestamentler als göttliches Eingreifen, ohne über einen realen Hintergrund nachzudenken. Auch dieser Umstand lässt sich einleuchtend erklären.

Auch die weiteren vier Plagen deutet er als Natur-Katastrophen, wovon die letzten beiden unmittelbar den Exodus verursachen.

4.5.2.1 Wasser wird Blut (1. Plage)

Die erste Plage wird in 2. Mose 7,17-21 folgendermaßen auf dramatische Weise beschrieben:

17 … so spricht der HERR: Daran sollst du {der Pharao} erkennen, daß ich der HERR bin: Siehe, ich {Mose} will mit dem Stab, der in meiner Hand ist, auf das Wasser im Nil schlagen, und es wird sich in Blut verwandeln.

18 Dann werden die Fische im Nil sterben, und der Nil wird stinken, so daß es die Ägypter ekeln wird, Wasser aus dem Nil zu trinken.

19 Und der HERR sprach zu Mose: Sage zu Aaron: Nimm deinen Stab und strecke deine Hand aus über die Gewässer Ägyptens, über seine Flüsse, Nilarme, Sümpfe und all seine Wasserstellen, so daß sie zu Blut werden! Und im ganzen Land Ägypten wird Blut sein, selbst in Gefäßen aus Holz und Stein.

20 Da taten Mose und Aaron, wie der HERR geboten hatte; und er erhob den Stab und schlug vor den Augen des Pharao und vor den Augen seiner Hofbeamten auf das Wasser im Nil. Da wurde alles Wasser, das im Nil war, in Blut verwandelt.

21 Die Fische im Nil starben, und der Nil wurde stinkend, und die Ägypter konnten das Wasser aus dem Nil nicht trinken; und das Blut war im ganzen Land Ägypten.

Dazu schreibt Bauersachs (S. 192):

Die Verwandlung Wasser zu Blut lässt sich auf den ersten Blick leicht durch eine Verfärbung des Wassers erklären…

In diesem Zusammenhang weist er zu Recht darauf hin, „dass das hebräische Original“ gar nicht wie die meisten Übersetzungen den Namen des „Nil“ enthält, „sondern mit JɘˀOR (yehor) nur ganz allgemein von einem Fluss“ spricht. In seinen Augen bezieht sich die Rotfärbung des Wassers auf den elamischen Karun:

Die einzige Gemeinsamkeit Nil-Karun ist die Verfärbung beider Flüsse: In Ägypten waren das durch die mitgerissene Muttererde vor allem Brauntöne, während die charakteristische Rotfärbung des Karun bis heute zu beobachten ist.

Bauersachs nimmt „zwei Ursachen für diese Verfärbung und die dramatischen Folgen“ an (S. 193):

Die erste Möglichkeit hängt mit der Jahreszeit des Exodus zusammen: Er begann im Monat Abib (2. Mose 13,4; Mitte März bis Mitte April). Wenn einerseits Regen ausbleibt und sich andererseits die Schneeschmelze im Zagros-Gebirge etwas verzögert oder im Gebirge mehrere Flüsse z.B. durch Hangrutsche nach Erdbeben blockiert sind, führen die Flüsse im Flachland der Susiana Niedrigstwasser: Das Wasser steht mehr als es fließt, in den verbliebenen Tümpeln drängen sich die überlebenden Fische. Die Temperaturen steigen in diesem Monat im langjährigen Mittel von 25 °C auf 32 °C und verursachen einerseits das Fischsterben, andererseits entwickeln sich bei diesen Bedingungen in der kleinsten Pfütze die Kaulquappen schnell zu Fröschen, weil die natürlichen Fressfeinde weitgehend fehlen. Im stehenden oder kaum fließenden Wasser, auch in den Bewässerungskanälen, konzentrieren sich durch die starke Verdunstung die natürlichen Farbstoffe (roter Sandstein im Karun), so entsteht leicht der Eindruck von „Blut statt Wasser“. Dass „Blut im ganzen Land“ war, erklärt sich einfach aus der intensiven Bewässerung: Vom Karun zweigen auch heute noch hunderte Bewässerungskanäle ab.

Der zweite denkbare Auslöser sind Schadstoffe, die ebenfalls durch ein katastrophales Ereignis (Erdbeben, Erdrutsche nach Regen oder Schneeschmelze) auf einen Schlag in den Fluss Karun oder seine Nebenflüsse gelangen. Im Einzugsgebiet des Karun liegen ergiebige Kupfervorkommen (z.B. Sar Cheshmeh), außerdem finden sich hier Blei und Zink (z.B. Mahdi Abad) sowie Eisenerze (z.B. Gol Gohar).

Natürlich vorkommende lösliche Kupferverbindungen (z.B. Kupfersulfat) sind schon in geringen Konzentrationen vor allem für Fische hoch toxisch. Nach dem Bibeltext war das Wasser sieben Tage lang ungenießbar; bei einer Fließgeschwindigkeit des Karun von ca. 3 km/h im Tiefland wäre die Ursache für eine Vergiftung etwa 500 km flussaufwärts am Oberlauf des Karun zu suchen. Sie hat aber nichts mit der roten Grundfärbung des Flusses zu tun; diese entsteht erst im Unterlauf durch den Sandstein.

Eine dritte Möglichkeit, „die Rotfärbung und das Fischsterben“ auf die „Algenart Pfiesteria piscicida“ zurückzuführen, „die in manchen Entwicklungsstadien giftig sein kann“, schließt Bauer­sachs aus, weil ihr Vorkommen

auf Meeresküsten und Flussmündungen mit Brackwasser beschränkt {ist} <95>. Die Alge aus der Gruppe der Dinoflagellaten kann daher nicht für die „ägyptische“ Plage im Binnenland der Susiana verantwortlich gemacht werden.

Der Zoologe und Tierschriftsteller Vitus B. Dröscher <96> hat allerdings hervorgehoben (S. 20f.), dass einige Arten der Dinoflagellaten oder Panzergeißler, die eine solche

plötzliche Rotfärbung des Wassers, die sogenannte „Rote Tide“ oder „Wasserblüte“… durch eine explosionsartige Massenvermehrung {hervorrufen} …, auch in Flüssen und Seen {leben}.

Bevölkern 200 000 bis 500 000 dieser Wesen einen Liter Wasser, setzt für das menschliche Auge eine schwache Rotfärbung ein. Jedoch verdoppeln diese Mikroben ihre Zahl alle drei Tage durch Teilung. Schon nach zehn Tagen haben sie sich auf ihr Maximum von sechs Millionen Exemplaren pro Liter Wasser vermehrt und färben es blutrot.

Diese Panzergeißler dienen winzigen Krebstieren als Nahrung, die beide „Abwehrwaffen“ dieser „algenähnlichen Einzeller“ überwinden können, indem sie ihren „Panzer aus unverdaulicher Zellulose“ knacken und immun sind gegen ihr „selbsterzeugtes Nervengift“. Dadurch wieder sterben Fische, die diese Krebschen mit dem in ihnen angereicherten Gift fressen.

Sogar für die biblische Aussage (2. Mose 7,19), dass das Blut auch in Gefäßen aus „Holz und Stein“ sein wird, liefert Dröscher eine Erklärung (S. 23):

Wenn ein starker Wind aufkommt und auf dem Nil <97> Wellen mit Schaumkronen schlägt, verwehen Massen von Panzergeißlern ans Ufer. Dort sterben sie jedoch nicht in der Sonnenglut, sondern trocknen nur aus, schrumpfen stark zusammen und werden leicht wie Staub. Abermals erfaßt sie der Wind und trägt die „Sporen“ überallhin, sogar in den kleinsten Wassereimer. Dort erwacht das Wesen sogleich zu neuem Leben – abermals ein Wunder der Schöpfung!

4.5.2.2 Frösche (2. Plage)

Mit Recht erkennt Bauersachs (S. 193) in den

nächsten fünf Plagen … eine natürliche Folge der ersten Plage: Sie sind die genau beobachtete Schilderung einer ökologischen Katastrophe.

Als zweite Plage wird in 2. Mose 7,28 eine Massenvermehrung von Fröschen angekündigt:

28 Und der Nil wird von Fröschen wimmeln, und sie werden heraufsteigen und in dein Haus kommen, in dein Schlafzimmer und auf dein Bett, in die Häuser deiner Hofbeamten und unter dein Volk, in deine Backöfen und in deine Backtröge.

Vitus B. Dröscher erklärt diese Plage folgendermaßen (S. 25):

Zu jenen Wesen, die von den Panzergeißlern der „Roten Tide“ nicht vergiftet werden, gehören auch Froschlarven, also Kaulquappen. Im Gegenteil, sie fressen diese Mikro-Lebewesen, ohne Schaden zu leiden. In Zeiten der Rotfärbung des Wassers steht ihnen also eine unerschöpfliche Nahrungsquelle zur Verfügung. Außerdem sind alle Raubfische und anderen Feinde, die Kaulquappen sonst massenweise zu fressen pflegen, vergiftet.

Ich verzichte auf Einzelheiten, zitiere nur sein Fazit (S. 27):

Treten die Frösche in großen Massen auf, unternehmen sie aus reiner Verzweiflung schließlich etwas, das sie sonst nicht tun: Sie hüpfen ins Innere der Häuser, krabbeln nachts zu den schlafenden Menschen in die Betten und fangen sich unfreiwillig auch in den Backtrögen…

Doch wie bei jeder Massenvermehrung, so folgt auch hier das Massensterben unerbittlich nach. Bald sind alle Nahrungsinsekten aufgezehrt, und es geschieht, was die Bibel beschreibt {2. Mose 8,9-10}:

9 Und der HERR tat nach dem Wort des Mose, und die Frösche starben weg aus den Häusern, aus den Gehöften und von den Feldern.

10 Und man schüttete sie haufenweise zusammen, so daß das Land davon stank.

4.5.2.3 Stechmücken (3. Plage)

Aber wie sollen bei der 3. Plage Mücken aus dem Staub der Erde hervorgebracht worden sein können, die in 2. Mose 8,12-13 beschrieben wird?

12 Und der HERR sprach zu Mose: Sage zu Aaron: Strecke deinen Stab aus und schlage den Staub auf der Erde! Dann wird er im ganzen Land Ägypten zu Mücken werden.

13 Sie machten es so: Aaron streckte seine Hand mit seinem Stab aus und schlug den Staub auf der Erde. Da kamen die Mücken über die Menschen und über das Vieh; aller Staub der Erde wurde zu Mücken im ganzen Land Ägypten.

14 Die Wahrsagepriester aber machten es ebenso mit ihren Zauberkünsten, um die Mücken hervorzubringen; aber sie konnten es nicht. Und die Mücken kamen über die Menschen und über das Vieh.

Vitus B. Dröscher beschreibt (S. 33f.) eingehend verschiedene Mückenarten, die sich vom Blut der Frösche ernährt haben können und die sich in Zeiten der Trockenheit und Hitze einige Zentimeter tief im Staub der Erde verkriechen, wo sie lange verharren können, bis sie durch eine Erschütterung wahrnehmen, dass ein Tier oder ein Mensch als „Blutspender“ vorbeikommt. Wer zur rechten Zeit morgens früh mit einem Stab auf den Boden schlägt, kann also tatsächlich aus dem Staub Mückenmassen hervorbringen. Den Zauberern des Pharao, die dasselbe in der Mittagshitze tun wollten, gelingt das nicht.

4.5.2.4 Stechfliegen (4. Plage)

Auf die Mückenplage folgen die Stechfliegen (2. Mose 8,17-18), von denen im Gegensatz zu den Mücken nur die „Ägypter“ und nicht das „Volk Israel“ betroffen sein sollen:

17 … wenn du mein Volk nicht ziehen läßt, siehe, so werde ich die Stechfliegen ziehen lassen über dich, deine Hofbeamten, dein Volk und deine Häuser. Und die Häuser der Ägypter werden voll von Stechfliegen sein, ja sogar der Erdboden, auf dem sie stehen.

18 Ich werde aber an jenem Tag das Land Goschen, in dem sich mein Volk aufhält, besonders behandeln, so daß dort keine Stechfliegen sein werden, damit du erkennst, daß ich, der HERR, mitten im Land bin.

Dazu fragt sich Dröscher zunächst (S. 35),

wie denn ein Dichter die zehn Plagen Ägyptens bearbeitet hätte.

Auf die Stechmücken hätte er sicherlich nicht sofort die Stechfliegen folgen lassen, und zwar aus künstlerischen Gründen: zum einen nicht, weil die thematische Ähnlichkeit zu groß ist, und zum anderen nicht, weil dadurch die allgemeine Vorstellung der Menschen vom Bedrohlichen keine Steigerung erfährt, eher sogar eine Abschwächung. Wahrscheinlich hätte ein Dichter, wenn überhaupt, erst die Fliegen und dann die Mücken kommen lassen.

In diesem Zusammenhang ist es bezeichnend, dass Bauersachs (S. 194) in der Überschrift zu den Plagen 3 und 4, die er zusammenfassend betrachtet, von „Fliegen und Stechmücken“ in genau diesem Sinne die biblische Reihenfolge umkehrt.

Dröscher wiederum erklärt (S. 35f.), dass Stechfliegen oder Bremsen sich von Mückenlarven ernähren, die gerne in morastigen Gegenden abgelegt werden. Und dort reift nun massenhaft die Brut der Stechfliegen heran.

Wenn nun die israelitischen Fremdarbeiter in einem Gebiet leben, das eher im Bereich der Wüste liegt als in einem gut bewässerten Gebiet, sind sie dort vor den Stechfliegen sicher, die nur in Feuchtgebieten gedeihen. Dröscher hält in diesem Zusammenhang (S. 37) das biblische „Land Gosen“ für

eine Art Fremdarbeitersiedlung oder Ur-Getto im östlichen Außenbezirk der Hauptstadt Tanis, wahrscheinlich im Wadi Tumilat gelegen, also an einem nur selten Wasser führenden Fluß. Es lag bereits auf Wüstengebiet.

Für die von Bauersachs in Elam verortete Exodus-Gruppe, deren Mitglieder sich ja als ursprüngliche Kleinviehnomaden ohnehin eher im Gebiet der trockenen Wüstensteppen aufhielten, könnte dieses Szenario ebenso zutreffen wie für die von Dröscher beschriebene Region.

4.5.2.5 Viehpest (5. Plage)

Auch von der 5. Plage, einer Viehpest, sollen nach 2. Mose 9,3-4 – so Bauersachs, S. 194) – „die Tiere des Volkes Israel … verschont geblieben sein“:

3 … siehe, dann wird die Hand des HERRN über dein Vieh kommen, das auf dem Feld ist, über die Pferde, über die Esel, über die Kamele, über die Rinder und über die Schafe – eine sehr schwere Pest.

4 Aber der HERR wird einen Unterschied machen zwischen dem Vieh Israels und dem Vieh der Ägypter, so dass von allem, was den Söhnen Israel gehört, nicht ein Stück sterben wird.

Nach Bauersachs lässt sich

auch dies … ganz einfach und natürlich erklären, ohne Wunder strapazieren zu müssen: Schaf- und Ziegenherden der Nomaden weiden in den unbewässerten Hügelregionen des Landes, während die Herden der „Ägypter“ auf den fliegenverseuchten flussnahen Weiden grasten oder das giftige Flusswasser zu trinken bekamen.

Dröscher ergänzt (S. 41), dass sich dort, wo „es keine Stechfliegen gegeben hatte, … sich … auch keine Viehpest“ ausbreiten konnte, wenn man die Stechfliegen als Krankheitsüberträger annimmt.

4.5.2.6 Geschwüre (6. Plage)

Worum es sich bei der 6. Plage gehandelt hat, ist nach Dröscher (S. 41) „schwerer zu deuten“. Lesen wir 2. Mose 9,6-11:

8 Da sprach der HERR zu Mose und Aaron: Nehmt euch beide Hände voll Ofenruß, und Mose soll ihn vor den Augen des Pharao gegen den Himmel streuen.

9 Dann wird er über dem ganzen Land Ägypten zu Staub werden, und es werden daraus an den Menschen und am Vieh im ganzen Land Ägypten Geschwüre entstehen, die in Blasen aufbrechen.

10 Und sie nahmen den Ofenruß und traten vor den Pharao, und Mose streute ihn gegen den Himmel; so wurde er zu Geschwüren von Blasen, die an den Menschen und am Vieh aufbrachen.

11 Die Wahrsagepriester aber konnten wegen der Geschwüre nicht vor Mose treten; denn die Geschwüre waren an den Wahrsagepriestern wie an allen Ägyptern.

Wo die Elberfelder Bibel hier recht wörtlich mit „Geschwüren, die in Blasen aufbrechen“, übersetzt, ist in der Lutherbibel von „bösen Blattern“ die Rede; allerdings geht Dröscher davon aus (s. 42), dass es sich nicht „um die Schwarzen Blattern“, also um die gefährlichste Form der Pocken, die fast immer tödlich endet“, gehandelt haben kann, denn Todesfälle werden in diesem Zusammenhang mit keinem Wort erwähnt.

Folglich kann es sich nur um eine harmlose, gutartig verlaufende Form der Pocken gehandelt haben…

In Frage kommen könnten die Sanaga- oder Kaffernpocken sowie die Variolois. Hierbei entstehen zwar auch überall auf der Haut verunstaltende Pusteln, „so daß die Zauberer nicht vor Mose treten konnten…“. …

Der Erreger dieser Krankheit ist ein Virus von außergewöhnlicher Widerstandsfähigkeit gegenüber der Austrockung. Er kann tatsächlich zu Staub werden, mit diesem zusammen verwehen und Menschen wie Vieh (Kuhpocken) infizieren, die ihn einatmen.

Nicht genau vermag Dröscher die Frage zu beantworten, ob auch diese (S. 42f.)

Pockenplage ursächlich mit der ökologischen Katastrophe zusammen{hängt}, die durch die „Rote Tide“ ausgelöst wurde und die offenkundig die ungeheure Vermehrung der Frösche wie der Stechmücken und Stechfliegen zur Folge hatte…

Sollten die Stechmücken etwas damit zu tun gehabt haben, dann erscheint die Reihenfolge der Plagen durchaus logisch: Die fünfte, die Rinderpest, hat eine Inkubationszeit von vier bis sieben Tagen, die sechste, die milden Blattern, eine von etwa zehn Tagen.

Das würde erklären, warum die Pockenbläschen erst einige Tage nach der Viehpest aufgetreten sind.

4.5.2.7 Hagel (7. Plage)

Die 7. Plage, Gewitter und Hagel, wird in 2. Mose 9,23-26 folgendermaßen beschrieben:

23 Da streckte Mose seinen Stab gegen den Himmel aus, und der HERR sandte Donner und Hagel; und Feuer fuhr zur Erde nieder. So ließ der HERR Hagel auf das Land Ägypten regnen.

24 Und mit dem Hagel kam Feuer, das mitten im Hagel hin und her zuckte; und der Hagel war sehr schwer, wie es im ganzen Land Ägypten noch keinen gegeben hat, seitdem dieses Land eine Nation geworden ist.

25 Und der Hagel schlug im ganzen Land Ägypten alles, was auf dem Feld war, vom Menschen bis zum Vieh; auch alles Gewächs des Feldes zerschlug der Hagel, und alle Bäume des Feldes zerbrach er.

26 Nur im Land Goschen, wo die Söhne Israel waren, fiel kein Hagel.

Nach Bauersachs (S. 194f.) kann sich ein solches

katastrophales Gewitter mit einem vernichtenden Hagelschlag … nicht in Ägypten abgespielt haben…

Ein Gewitter entsteht nur bei hochreichend feucht-labiler Schichtung der Atmosphäre; Grundbedingung ist ein hoher Wasserdampfgehalt der Luft. Auslöser für ein Gewitter ist entweder der Durchzug einer Kaltfront oder beim bekannten Wärmegewitter eine lokale Überhitzung am Boden. Im Allgemeinen nimmt vom Äquator nach Norden die Gewitterhäufigkeit ab, im Landesinneren gibt es Gewitter häufiger als an der Küste, entlang von Gebirgen sind die Voraussetzungen optimal.

Keine dieser Bedingungen ist in Ägypten erfüllt: Zwar ist die Luft über dem Nildelta ausreichend feucht, die für ein Gewitter notwendige labile Schichtung wird nie erreicht. Über den östlich und westlich gelegenen Wüstengebieten steigt heiße und trockene Luft auf und sorgt ständig für einen Luftmassenausgleich mit der feuchten Luft, so dass nie eine der charakteristischen Gewitterwolken entstehen kann (jährlicher Niederschlag in Ägypten 340 mm).

Ganz anders in Chuzistan, wo das Flachland fast unvermittelt in Gebirge übergeht; die Berge erreichen hier beachtliche Höhen bis 3900 Metern und bilden optimale Voraussetzungen für die Entstehung thermischer Aufwinde. Entlang einer Bergkette können sich aus zunächst mehreren kleinräumigen Gewittern große Komplexe bilden, die 1.000 km² oder mehr Fläche überdecken.“

Und warum wurde hier „in Chuzistan … das ‚Volk Israel‘ erneut verschont“? Ganz einfach: „weil es in den trockenen Zonen weit genug vom Zentrum des Geschehens entfernt lebte.“

4.5.2.8 Heuschrecken (8. Plage)

Von Heuschreckenplagen, wie sie in 2. Mose 10,13-15 beschrieben werden, wird auch heute noch berichtet:

13 Und Mose streckte seinen Stab über das Land Ägypten aus; da trieb der HERR jenen ganzen Tag und die ganze Nacht einen Ostwind ins Land; und als es Morgen geworden war, hatte der Ostwind die Heuschrecken herbeigetragen.

14 So kamen die Heuschrecken über das ganze Land Ägypten herauf und ließen sich im ganzen Gebiet Ägyptens in gewaltiger Menge nieder. Vor ihnen hat es keinen solchen Heuschreckenschwarm wie diesen gegeben, und nach ihnen wird es keinen solchen mehr geben.

15 Und sie bedeckten die Oberfläche des ganzen Landes, so daß es finster im Land wurde; und sie fraßen alles Gewächs des Landes und alle Früchte der Bäume, die der Hagel übriggelassen hatte. So blieb im ganzen Land Ägypten an den Bäumen und Gewächsen des Feldes nichts Grünes übrig.

Bauersachs läst dahingestellt sein (S. 195), ob „die biblische Heuschreckenplage innerhalb der ägyptischen Plagen tatsächlich auftrat oder später bei der Niederschrift ergänzt wurde, um die magische ‚Zehn‘ zu komplettieren“.

Aus den sehr ins Einzelne gehenden Ausführungen von Dröscher zur Heuschreckenplage, die sehr spannend zu lesen sind, greife ich nur zwei Abschnitte heraus (S. 48):

Eine Heuschrecke frißt pro Tag ihr Eigengewicht, also zwei Gramm, an Pflanzennahrung. Für den ganzen Schwarm {von bis zu 50 Milliarden Tieren} summiert sich das auf 100 000 Tonnen Grünzeug. Fällt er in eine Oase ein, wird binnen weniger Minuten die gesamte Vegetation zerschnitzelt und in einen Kotteppich verwandelt.

Ausgerechnet (S. 49f.) „mitten in der Wüste“ erwächst das „milliardenfache Leben der Wanderheuschrecken“, da

diese Insekten ihr Leben inmitten der Sahara oder der Arabischen oder Persischen Wüste gegen glühende Hitze, grimmige Kälte, Hunger und Durst mit zahlreichen kleinen Naturwundern zu erhalten {wissen}.

Zum Beispiel brauchen sie kein Wasser zu trinken. Sie haben nämlich ihr eigenes „Wasserwerk“ in sich. Sie verbrennen Zuckeranteile in strohtrockener Nahrung, wodurch im Inneren des Körpers immer Wasser entsteht.

Und im Gegensatz zum Menschen vermag eine Wüstenheuschrecke dieses „Atmungswasser“ in ihrem Leib zu speichern.

4.5.2.9 Finsternis und Tötung der „Erstgeburt“ (9. und 10. Plage)

Nach Bauersachs (S. 196) geben „die letzten beiden ägyptischen Plagen … die schwierigsten Rätsel auf, weil es scheinbar keine vernünftige natürliche Erklärung für diese Ereignisse gibt“. Auch von der 9. Plage sollen nur die „Ägypter“ und nicht das „Volk Israel“ betroffen gewesen sein (2. Mose 10, 22-23):

22 Und Mose streckte seine Hand gegen den Himmel aus: Da entstand im ganzen Land Ägypten eine dichte Finsternis drei Tage lang.

23 Man konnte einander nicht sehen, und niemand stand von seinem Platz auf drei Tage lang; aber alle Söhne Israel hatten Licht in ihren Wohnsitzen.

Dasselbe gilt für die 20. Plage, die folgendermaßen angekündigt wird (2. Mose 11,4-7):

4 Mose nun sagte zum Pharao: So spricht der HERR: Um Mitternacht will ich ausgehen und mitten durch Ägypten schreiten.

5 Dann wird alle Erstgeburt im Land Ägypten sterben, von dem Erstgeborenen des Pharao, der auf seinem Thron sitzt, bis zum Erstgeborenen der Sklavin hinter der Handmühle, sowie alle Erstgeburt des Viehs.

6 Da wird es ein großes Jammergeschrei im ganzen Land Ägypten geben, wie es noch keines gegeben hat und es auch keines mehr geben wird.

7 Aber gegen keinen von den Söhnen Israel wird auch nur ein Hund seine Zunge spitzen, vom Menschen bis zum Vieh, damit ihr erkennt, daß der HERR einen Unterschied macht zwischen den Ägyptern und den Israeliten.

Für beide Plagen gibt es nach Bauersachs (S. 196)

eine gemeinsame natürliche Erklärung, die sich … in Ägypten nicht nachvollziehen lässt, sondern wieder auf den Raum Chuzistan hinweist. Ich behandle deshalb beide Plagen gemeinsam; zur Erklärung wird ein Zeitsprung von diesmal rund 3.200 Jahren in den Februar 1991 n. Chr. nötig…

Sodann beschreibt Bauersachs die Situation , als die

irakischen Truppen Saddam Husseins … unter dem Druck der alliierten Streitkräfte aus dem besetzten Kuwait ab{ziehen} und … beim Verlassen des Landes sämtliche erreichbaren Öllager und Ölquellen in Brand {setzen}.

In seinem Buch zeigt Bauersachs (S. 197f.) am Tag aufgenommene Fotos, die von der einen Perspektive aus einen tiefschwarzen Himmel zeigen, von der entgegengesetzten Seite her aber ein bis hoch in den Himmel hinauf loderndes Feuer:

Von Wind angefacht brennt das Öl-Gasgemisch luvseitig (dem Wind zugewandt) als hell lodernde Flamme. Auf der windabgewandten Seite lagerten die Ägypter, hier bilden Rußpartikel schon unmittelbar am Brandherd eine undurchdringliche tiefschwarze Wolke. Der Lagerplatz des „Volkes Israel“ auf der Luvseite dagegen wurde vom Feuer des gleichen Brandes beleuchtet. Je großflächiger der Brandherd ist, desto beeindruckender ist die Verdunkelung auf der Leeseite des Feuers.

Für die biblischen „Ägypter“ im Bereich der Rußwolke war die Finsternis undurchdringlich und zum Greifen im Sinne des Wortes, den Feuerschein konnten sie nicht wahrnehmen. Eine Sonnenfinsternis reicht als alternative Erklärung nicht aus, sie dauert nur etwa 7 Minuten, eine globale Finsternis wäre nicht nur im Alten Testament, sondern auch in anderen Texten weltweit festgehalten worden.

Da Bauersachs (S. 196) dazu auf 2. Mose 14,20 verweist, geht er unausgesprochen davon aus, dass die Finsternis sich bereits auf eine Situation bezieht, in der sich die Exodus-Gruppe auf der Flucht befindet. Alle anderen Plagen können im Nachhinein als Vorboten der Katastrophe gedeutet worden sein, die jetzt stattfindet und den unterdrückten Fronarbeitern das Entkommen ermöglicht:

20 So kam sie {die Wolkensäule} zwischen das Heer der Ägypter und das Heer Israels, und sie wurde dort Gewölk und Finsternis und erleuchtete hier die Nacht, so kam jenes Heer diesem die ganze Nacht nicht näher.

Bauersachs fragt sich hier zunächst, ob hier

die natürliche Nacht gemeint ist, oder ob die dichten Rauchwolken der Großbrände den Tag zur Nacht machten und so das „Volk Israel“ vor der unmittelbaren Verfolgung durch die Soldaten des „Pharao“ retteten. Dass „normale“ Nacht war, lässt die anschließenden Textstelle vermuten: Sie berichtet vom aufkommenden Sturm in dieser Nacht, der das Meer teilt {2. Mose 14,21}:

21 Und Mose streckte seine Hand über das Meer aus, und der HERR ließ das Meer die ganze Nacht durch einen starken Ostwind zurückweichen und machte so das Meer zum trockenen Land, und die Wasser teilten sich.

Dazu weiter Konrad Bauersachs (S. 199):

Ursache für diese verheerenden Brände ist die geologische Besonderheit der Region: Erdöl- und Gasvorkommen dicht unter der Erdoberfläche, verbunden mit der geologischen Aktivität der Arabischen Platte, die sich nach Nordosten gegen die Iranische Platte <98> schiebt. Ein schweres Erdbeben war einerseits Ursache für die 9. Plage „Finsternis“ und löst gleichzeitig auch die 10. Plage Tötung der „Erstgeburt“ aus {2. Mose 12,29-30}:

29 Und es geschah um Mitternacht, da erschlug der HERR alle Erstgeburt im Land Ägypten vom Erstgeborenen des Pharao, der auf seinem Thron saß, bis zum Erstgeborenen des Gefangenen im Kerker, auch alle Erstgeburt des Viehs.

30 Da stand der Pharao nachts auf, er und alle seine Hofbeamten und alle Ägypter, und es entstand ein großes Jammergeschrei in Ägypten, denn es gab kein Haus, in dem nicht ein Toter war.

Aber warum blieb „das ‚Volk Israel‘ gänzlich verschont“, als „ein oder mehrere verheerende Erdbeben die Region“ heimsuchten? Dazu bietet nach Bauersachs die unterschiedliche Lebensweise der sesshaften Bevölkerung Elams und der zur Fronarbeit gezwungenen Kleinviehnomaden eine einleuchtende Erklärung:

Häuser stürzten ein und begruben die Bewohner unter sich…

Während die „Ägypter“ in gemauerten Häusern aus Lehmziegeln wohnten, lebten die Nomaden in Zelten oder schilfgedeckten Lehmhütten, so dass die Gefahr, in den „eigenen vier Wänden“ von herabfallenden Steinen getroffen zu werden, gering war.

Sicherlich fielen bei dem Beben zahllose Zelte in sich zusammen und begruben die Bewohner unter sich. Dies löste wohl kurzzeitig Panik aus, hatte aber keine lebensgefährlichen Folgen. Gefahr ging eher von herabfallenden Schilfdächern aus, die sich an offenen Feuern entzünden konnten. Das Vieh des „Volkes Israel“ hatte keine gemauerten Stallungen und wurde deshalb nicht von einstürzenden massiven Decken getötet, wie Vieh in fest gemauerten Ställen.

Gerade die Bauweise mit Lehmziegeln trug entscheidend dazu bei, dass zahlreiche „Ägypter“ in ihren Häusern von den Mauerziegeln erschlagen wurden: Beim Herabfallen kleiner Steine bilden sich keine Hohlräume, in denen man überleben könnte. Wenn (wie in Ägypten am Nil) Gebäude von hochgestellten Beamten aus großen Steinblöcken errichten werden, verkanten sich diese beim Einstürzen und bieten denen, die Glück haben, eine Überlebenschance in den entstandenen Nischen.

Für Bauersachs (S. 200) ist das „wohl schwierigste Problem der ägyptischen Plagen … die rätselhafte Tötung der ‚Erstgeburt‘“:

Dass bei einem Naturereignis nur die „ägyptischen Erstgeborenen“ sterben sollen, ist unmöglich; einstürzende Häuser begraben ohne Ansehen der Person jeden unter sich.

Zur Erklärung beruft sich Bauersachs auf eine hebräische Textanalyse von Immanuel Velikovsky, <99> der auf die Ähnlichkeit des in 2. Mose 12,29 vier Mal vorkommenden Wortes BɘKOR (wobei das K weich ausgesprochen wird, wie ein Ch) mit den hebräischen Wurzeln BaḪUR = „junger Mann“ (oft auch mit „die Besten“ übersetzt) und BaḪaR = „auserwählen“ hinweist. Ein Erdbeben muss also nicht allein die „erstgeborenen“ Söhne der „Ägypter“ getroffen haben, sondern es können ihre „Auserwählten“ oder „Vornehmen“ gemeint sein oder, wie Velikovsky es formuliert: „die ganze Blüte Ägyptens“ oder „die ganze Kraft Ägyptens“. Er weist zusätzlich darauf hin, dass nach der Überlieferung der späteren jüdischen Haggada „nach der zehnten Plage nicht nur die Erstgeborenen, sondern die Mehrzahl der ägyptischen Bevölkerung getötet“ wurde.

Bauersachs schlägt also folgende „korrigierte Übersetzung“ von 2. Mose 12,29 vor (S. 200):

29 Und es geschah um Mitternacht, da erschlug der HERR alle Auserwählten im Land Ägypten vom Auserwählten des Pharao, der auf seinem Thron saß, bis zum Auserwählten des Gefangenen im Kerker, auch alle Auserwählten des Viehs {Hervorhebung durch Bauersachs}

Nach dieser korrigierten Version sterben bei dem Erdbeben also vor allem die „Auserwählten“ oder „Vornehmen“, weil sie in massiven Häusern wohnen und von umstürzenden Mauern oder Zimmerdecken erschlagen werden. Dass auch Gefangene als „Auserwählte“ tituliert werden, mutet seltsam an; vielleicht ist hier an hochgestellte politische Gefangene zu denken. Die „Auserwählten“ des Viehs könnten wertvolle Zuchttiere gewesen sein, die in besonderen Ställen gehalten wurden und die Nacht nicht im Freien verbringen sollten.

Auf die im Zusammenhang mit der Nacht des Exodus ausführlich geschilderten Rituale des Passahfestes geht Bauersachs nur am Rande ein. Sie sind auch sicherlich erst nachträglich in dieser Form mit einem möglicherweise historischen Geschehen verknüpft worden. Von daher halte ich auch einige Bemerkungen von Bauersachs für irrelevant, zum Beispiel seine Vermutung (S. 201), dass die Fliehenden „klugerweise ihren Reiseproviant schon zuhause“ verspeisten, „unterwegs würden sie keine Gelegenheit für eine Rast haben“, oder dass von „den Speisen“ deswegen „nichts zurückbleiben“ darf,

damit das fliehende „Volk Israel“ nicht zusätzlich zum Hausrat durch Verpflegung belastet wird, außerdem sollten überlebende „Ägypter“ nicht ihren Hunger an den zurückgelassenen Speiseresten stillen können.

Folgendes kann allerdings auf eine reale Erinnerung zurückgehen:

Die außergewöhnlichen Umstände haben sicherlich den Festablauf für alle Zukunft grundlegend beeinflusst: Die Reisevorbereitungen mussten in großer Eile getroffen werden, für unterwegs wurde Brotteig vorbereitet, der in der Kürze der Zeit nicht säuern konnte {2. Mose 12,34}:

34 Das Volk nun hob seinen Teig auf, ehe er gesäuert war; ihre Backschüsseln trugen sie, in ihre Kleidung gewickelt, auf ihren Schultern.

Auch die Bemerkung in 2. Mose 36:

36 … So plünderten sie die Ägypter aus…

nach der wohl nachträglich eingeschobenen „Korrektur des tatsächlichen Ablaufs“, dass „die ‚Ägypter‘ den Fliehenden freiwillig ihre Schmucksachen“ angeboten hätten, könnte nach Bauersachs durchaus auf eine echte Erinnerung zurückgehen:

Niemand, der jahrelang ausgebeutet wird, kann einer solchen Versuchung widerstehen und wird sich das aneignen, was ihm seiner Meinung nach als Lohn vorenthalten wurde…

Abschließend zieht Bauersachs zum Ablauf der zehn Plagen wohl zu Recht das Fazit:

Dass sämtliche ägyptischen Plagen unmittelbar in den Exodus mündeten, scheint mir eher unwahrscheinlich. Hier haben sich die Redaktoren der Niederschrift allzu viele Mühe gegeben, die Vorgeschichte zu dramatisieren und mit dem Passah den Höhepunkt zu erreichen. Die Plagen Hagel und Heuschrecken passen meiner Auffassung überhaupt nicht in das Umfeld und wurden wohl ergänzt, um die „magische Zehn“ zu erreichen, mit der das Merken durch Abzählen mit den Fingern leichter wird. Die letzten beiden Plagen Finsternis und Tötung der Erstgeburt leiten allerdings überzeugend in den Exodus über…

… oder, wie man auch sagen könnte, sie stellen bereits den 1. Akt dieses dramatischen Geschehens dar.

4.5.3 Der Exodus durchs „Rote Meer“ am Persischen Golf

Zunächst legt Bauersachs (S. 202) überzeugend dar, dass „der Exodus aus Ägypten“ nicht „an der Landenge von Suez begonnen haben“ kann:

Für Alttestamentler sind die Ballah-Seen, der Große und Kleine Bittersee sowie der Timsah-See („Krokodilsee“) Kandidaten für den Durchzug durch ein „Rotes Meer“. Der Krokodil­see dürfte für eine Durchquerung aus naheliegenden Gründen ausscheiden; die dort lebenden Krokodile waren beim jährlichen Nilhochwasser durch das überflutete Wadi Tumilat in den sonst abgeschnittenen See gelangt. Abgesehen von den kleinen Ballah-Seen sind die anderen Gewässer heute Teile des Suezkanals. Östlich des Nildeltas erstreckt sich über ca. 80 km der Sirboni-See, ein Flachwassergebiet, das durch eine schmale Landzunge vom Mittelmeer getrennt ist.; vergleichbares findet man bei der Kurischen und Frischen Nehrung an der litauisch-russischen und polnischen Ostseeküste.

Am Sirboni-See scheint ein Fluchtweg über die Landzunge oder bei starkem Ostwind über das ausgetrocknete Haff möglich. Die ägyptischen Verfolger hätten aufgrund ihrer Ortskenntnisse ganz einfach die Fliehenden mit ihren Streitwagen umfahren und sie auf der anderen Seite gebührend in Empfang genommen. Eine Verfolgung sozusagen auf dem Fuß, wie sie das Alte Testament erzählt, wäre im ägyptischen Grenzgebiet nicht nötig gewesen, auch wieder ein Hinweis auf ein anderes „Ägypten“. Hält man aber nicht an Ägypten fest, sondern akzeptiert den Exodus aus Chuzistan bzw. dem südöstlichen Babylonien, lässt sich der Durchzug durchs Meer in allen Einzelheiten befriedigend erklären und nachvollziehen.

Nochmals erwähnt Bauersachs, dass – angeblich aus „zeitlichen Gründen“ – „die Teilnahme Moses an den Vorbereitungen und am Exodus unmöglich“ ist; in meinen Augen spricht immer noch nichts dagegen, dass Mose von Anfang an der Anführer der Exodus-Gruppe ist. Als „zum Zeitpunkt des Exodus um 1220 v. Chr. anachronistisch“ beurteile aber auch ich die „Erwähnung“ der „Philister (2. Mose 13,17)“.

4.5.3.1 Ausgangsort des Exodus: Ramses in Ägypten oder Ramsije in Karun?

Der Aufbruch der „Nachkommen Abrahams (das ‚Volk Israel‘) und zahlreiche{r} Leidensgenossen (ich nenne die Gesamtheit der Flüchtlinge von diesem Zeitpunkt an Exodus-Gruppe)“ wird in 2. Mose 12,37-38 folgendermaßen geschildert:

37 Nun brachen die Söhne Israel auf und zogen von Ramses nach Sukkot, etwa 600000 Mann zu Fuß, die Männer ohne die Kinder.

38 Es zog aber auch viel Mischvolk mit ihnen hinauf, dazu Schafe und Rinder, sehr viel Vieh.

Die Zahl der Fliehenden ist mit Sicherheit um mindestens den Faktor 1000 übertrieben <100>; es waren also höchstens ein paar Hundert Fronarbeiter, die „das allgemeine Durcheinander nach den Erdbeben in Chuzistan“ nutzen und „fluchtartig … das Land zu verlassen“ suchen.

Als Ausgangsort des Exodus nennt die Bibel die Stadt Ramses. Dies nehme ich zum Anlass, noch einmal auf beide in 2. Mose 1,11 genannte Städtenamen einzugehen, die in der Bibel einen klaren Bezug zum realen Ägypten herzustellen scheinen:

11 Und es {das Volk der Söhne Israel} baute für den Pharao Vorratsstädte: Pitom und Ramses.

Bauersachs hatte dazu andernorts (S. 162) geschrieben:

Der ägyptische Ort ‚Pithom‘ wird auf einer Statue aus der 22. Dynastie (begründet von Pharao Scheschonk I. 935–919 v. Chr.) erwähnt, die „Pithomstele“ aus der Zeit Ptolemaios‘ II. (279-264 v. Chr.) enthält diesen Namen ebenfalls. Die korrekte Lage des ägyptischen Pithom ist aber immer noch strittig: Weder das Pithom des Scheschonk (rund 300 Jahre zu spät) noch das ptolemäische (rund 1000 Jahre zu spät) lassen sich mit der Vorgeschichte eines Exodus aus Ägypten um 1220 v. Chr. verbinden.

Auch historisch-kritische Alttestamentler wie Niels Peter Lemche <101> sind sehr skeptisch gegenüber der Auffassung, dass eine Bibelstelle wie 2. Mose 1,11 einer historischen Wirklichkeit entspricht (S. 63):

In Ex 1,11 sind die beiden Städte Pitom und Ramses als gleichrangig dargestellt. Historisch bereitet das jedoch Schwierigkeiten, da Pitom als Stadt kaum mit den Verhältnissen des ausgehenden 2. Jahrtausends in Einklang zu bringen ist. Der Name Pitom wurde nämlich erst in der saitischen Epoche (d.h. nicht vor dem 7. Jahrhundert) als Stadtname gebraucht. … Zudem haben neue Ausgrabungen nachgewiesen, daß die Stadt Pitom, die auf dem Ruinenhügel Tell el-Maschkuta zu suchen ist, nicht von Ramses II. oder einem anderen Pharao der 19. oder 20. Dynastie, sondem vom Pharao Necho aus der 26. Dynastie zwischen 609 und 606 v.Chr. gegründet worden ist. Darum sehen wir uns veranlaßt, die Auskunft in Ex 1,11 über die Fronarbeit der Israeliten an Pitom als unhistorisch einzustufen.

Ist es nun aber möglich (S. 162), „die scheinbar ‚ägyptischen‘ Städte ‚Ramses‘ und ‚Pithom‘ ins antike Elam“ zu lokalisieren?

In Chuzistan gibt es am Fluss Karun südwestlich von Ahvaz die Orte Ab-e-Tamar und OmmTemir sowie einige Kilometer weiter Ramsije, 70 km östlich noch mal zwei Orte Ramshir. Diese drei Orte entsprechen unvokalisiert den biblischen Städten in „Ägypten“: Tamar oder Temir wäre ägyptisiert Pi-Tamar p-t-m bzw. Ramshir r-m-s.

Allerdings gibt Bauersachs selber zu, dass diese Indizien für eine solche Verortung ziemlich schwach sind, denn diese

Städte hatten in Elam um 1220 v. Chr. nach archäologischem Kenntnisstand keinerlei Bedeutung; hier Getreidespeicher zu bauen scheint unsinnig. Tamar, Temir und Ramsije liegen zwischen dem Fluss Kerkhe und dem Karun; vielleicht hatten sie für die Wasserversorgung Bedeutung. Denkbar ist auch, dass die Erinnerung an diese Ortsnamen von Rückkehrern aus dem babylonisch-elamischen Exil (bis Mitte des 6. Jdhts. v. Chr.) stammt und in die Niederschrift eingeflossen ist.

Die letztere Überlegung finde ich allerdings unlogisch. Entweder spiegelt sich in „Ramses“ tatsächlich eine historische Erinnerung etwa an einen Ort „Ramsije“ am Karun wider, in dem Teile der Exodus-Gruppe gewohnt haben könnten, oder die Namen Ramses und wohl auch Sukkot sind nachträglich in die Schilderung eingetragen worden, als man von einem Auszug aus dem realen Ägypten ausging. So führt etwa Lemche (S. 64) „die Notiz in Ex 1,11“ als „Beispiel dafür“ an,

wie die alttestamentlichen Geschichtsschreiber ,historische‘ Informationen hergestellt haben: Sie projizierten Umstände und Begebenheiten einer späteren Zeit in die Frühgeschichte zurück, um der Darstellung des Anfangs der israelitischen Geschichte markante Konturen und besondere Überzeugungskraft zu verleihen.

Dagegen würde es überhaupt keinen Sinn machen, die Eintragung eines elamischen Ortes in die Exodusgeschichte erst nach der späteren Exilszeit anzunehmen, da doch zu dieser Zeit niemand mehr wusste, dass der Exodus tatsächlich genau dort vonstatten gegangen war.

4.5.3.2 Aufbruch der Exodus-Gruppe nach Südwesten bis Etam

Von wo genau auch immer die Flüchtlinge also aufgebrochen sind, in welche Richtung fliehen sie? Im biblischen Text will Gott die Israeliten (2. Mose 13,17) „nicht den Weg durch das Land der Philister“ führen, damit sie, „wenn sie Kampf vor sich sehen, … nicht nach Ägypten zurückkehren.“ Entsprechend hätten sich die Flüchtlinge im Chuzistan des Jahres 1220 v. Chr. sicher nicht auf einen Weg gemacht, der direkt nach Babylonien geführt hätte. In der Richtung nach Nordwesten hätten sie auf der Ebene des ihnen gut vertrauten Jamutbal allzu leicht verfolgt werden können. Verständlich ist also (S. 203f.), dass „die Fronarbeiter“, so Bauersachs (S. 203f.), von

ihren ungeliebten Arbeitsplätzen … zunächst Richtung Südwesten in die Wüstensteppe {hasten} und … damit das belebte und für sie gefährliche Flussgebiet des Karun {verlassen}.

Ursprünglich hatten sie wohl die Absicht, auf diesem „Wüstenweg zum Schilfmeer“ das unübersichtliche Meerland zu erreichen, wo sie sich vor Verfolgern sicher wähnten. Wie sich aber zeigt, verfolgt „Pharao“ Kidin-Hutran III. die Flüchtlinge mit seinen Streitwagen, um ein Exempel zu statuieren {2. Mose 14,3.6}:

3 Der Pharao aber wird von den Söhnen Israel denken: Sie irren ziellos im Land umher, die Wüste hat sie eingeschlossen …

6 So ließ er denn seine Streitwagen anspannen und nahm sein Kriegsvolk mit sich.

Im Südwesten erreicht die Exodus-Gruppe das Ende der Wüste ungefähr dort, wo gegenüber dem Šatt-al-Arab, also dem Zusammenfluss aus Euphrat und Tigris, das heutige Basra liegt. Die Bibel gibt in dieser Gegend vier Ortsnamen an (2. Mose 13,20 und 14,2):

20 Und sie brachen auf von Sukkot und lagerten sich in Etam, am Rande der Wüste.

2 … {und sie sollten} sich … wenden und vor Pi-Hachirot … lagern, zwischen Migdol und dem Meer. Vor Baal-Zefon, diesem gegenüber, … am Meer …!

Bauersachs lokalisiert zumindest (S. 204)

zwei dieser Orte … mit hoher Wahrscheinlichkeit bei Basra am Nordufer des vereinigten Euphrat und Tigris… Beim Ort Etam könnte es sich um das heutige et Tanuma am Šatt-al-Arab handeln, Migdol könnte sich im heutigen Maqal {manche Karten zeigen Maqal bzw. Ma’qil als Ortsteil Basras auf dem gegenüberliegenden südlichen Ufer} etwa 10 km nordwestlich von Tanuma erhalten haben. Wahrscheinlich verdanken wir aber die Einbindung von Migdol den Redaktoren: Bei der Niederschrift war dieser Platz im östlichen Nildelta bekannt und passte perfekt zum vermeintlichen Exodus aus Ägypten.

Bei den Ortsangaben dieser Textstellen sehen wir erneut das Problem der rückblickenden Geschichtsschreibung durch die Niederschrift; sie lässt die Reiseroute in Ägypten beginnen. Deshalb werden in den biblischen Bericht zusätzlich bekannte ägyptische Orte aufgenommen, die mit dem Exodus nichts zu tun haben; andere erwähnte Orte können in Ägypten nicht gefunden werden, weil sie im eigentlichen Land des Exodus (Chuzistan) liegen und man dort nicht nach ihnen sucht.

Mit dem Ort Tanuma oder At Tannumah = Etam haben wir einen guten Anhaltspunkt, wo ungefähr die Exodus-Gruppe „die seichten und etwa 20 km breiten Mündungsbereiche des Euphrat und Tigris mit Sandbänken und tieferen Prielen“ erreicht haben kann. Da das Wasser den Ausweg nach vorn versperrt, befindet sie „sich in einer gefährlichen Situation“, denn „von hinten nähern sich die Streitwagen des ‚Pharao‘.“ Aber vor ihnen liegt in der besonderen Nacht ihres Aufbruchs tatsächlich das Wasser des „Roten Meeres“, nämlich des „Persischen Golfs“!

4.5.3.3 Das Rote Meer des Exodus: Der Persische Golf

Bauersachs weist nach (S. 191), dass das Meer, das wir heute als das „Rote Meer“ bezeichnen, schon deswegen nicht das biblische Meer des Exodus gewesen sein kann, weil seine

mittlere Tiefe 538 m, die größte Tiefe sogar 2604 m {beträgt}; schon diese Wassertiefe steht dem im Alten Testament geschilderten Durchzug durchs Meer entgegen. Die Farbe des Wassers ist tiefblau, der Name „Rotes Meer“ kommt von einem Cyanobakterium mit roten Pigmenten und von roten Korallen.

Interessant ist, dass „Herodot (ca. 490-425 v. Chr.)“, der „als Vater der Geschichtsschreibung“ gilt, einige Male davon spricht, dass Euphrat und Tigris ins Rote Meer münden. <102> Wenn man nicht voraussetzen will, dass er sich mehrmals in so krasser Weise geirrt hat, sollten wir für die Annahme offen sein, dass das „Rote Meer, für das wir uns interessieren müssen, … also eindeutig der heutige Persische Golf“ ist.

Für diese Schlussfolgerung spricht zudem, dass am Persischen Golf sogar buchstäblich „eine ausgedehnte Rotfärbung sogar von großen Meeresbuchten nichts Ungewöhnliches ist“ (S. 192):

Namensgeber und Farblieferant für dieses „Rote Meer“ ist der Fluss Karun, mit 850 km Länge der wasserreichste Fluss des Iran. Im Tiefland färbt er sich auch heute noch durch den unterliegenden Sandstein rot. Das je nach Niederschlagsmenge mehr oder weniger intensiv rot gefärbte Flusswasser gelangt schließlich in den Persischen Golf und sorgte so für die Namensgebung „Rotes Meer“… <103>

Hinzu kommt (S. 191), dass der „Persische Golf“ ein sehr „flaches Nebenmeer des Indischen Ozeans“ ist (S. 192):

Auf einer aktuellen Seekarte des Persischen Golfs {Anm. 25: Britische Seekarte Mündung Šatt-al-Arab BA 2884} findet sich östlich des Mündungsbereichs des Šatt-al-Arab ein extrem flaches Gebiet (max. 2 m Wassertiefe), das heute wiederholt trockenfällt. Unter den besonderen Bedingungen während des Exodus (Sturm aus Osten) könnte man hier in Küstennähe fast trockenen Fußes kilometerweit über den Meeresboden wandern.

Dieses Beispiel zeigt aber, wie zwingend die Identifizierung des biblischen Roten Meeres mit dem Persischen Golf ist. Im Golf von Suez wäre das nicht möglich.

Außerdem meint Bauersachs, dass der „hohe Salzgehalt des Persischen Golfs“, der auf die „geringe mittlere Tiefe von 25 m“ zurückzuführen ist (wegen der „extrem hohen Wassertemperaturen … und damit … einer außergewöhnlichen Wasserverdunstung“) „zur biblischen Bezeichnung ‚Salzmeer‘“ führte, „die im Alten Testament immer wieder genannt wird.“ Gegen die (S. 192) „hartnäckige Gleichsetzung von ‚Salzmeer‘ und ‚Totes Meer‘“ hatte Bauersachs ja schon im Zusammenhang mit dem Untergang von Sodom und Gomorrha auf die Unterschiede in „den geographischen Verhältnissen“ und „Landschaftsbeschreibungen“ hingewiesen. Allerdings wird die Bezeichnung JaM HaMälaḪ = Salzmeer in der Bibel fast nur im Zusammenhang mit den auf Palästina bezogenen Grenzen Israels verwendet und niemals bezüglich des Durchzugs durch das Meer des Exodus. <104>

Obwohl aber insofern diese Argumentation hier nicht weiterzuführen scheint, macht es aber im Blick auf die komplexen Bedingungen am Persischen Golf durchaus Sinn, zwischen Salzmeer und Schilfmeer zu unterscheiden:

Der Begriff „Salzmeer“ diente ursprünglich einzig und allein der Unterscheidung von Salzwasser (dem Persischen Golf) und den großen Süßwasserseen in Babylonien. Diese flachen und warmen Süßwasserseen bieten Wasserpflanzen ideale Wachstumsbedingungen, kein Wunder, dass immer wieder (elfmal) vom „Schilfmeer“ gesprochen wird. Schilf verträgt aber kein Salzwasser, es macht also keinen Sinn, den Golf von Aqaba mit dem biblischen „Schilfmeer“ zu identifizieren, wie es zahlreiche Autoren tun.

In diesem Zusammenhang muss ich eine Randbemerkung richtigstellen, die ich oben bei der Besprechung der ersten Plage beiseitegelassen hatte. Dort meinte Bauersachs nämlich (S. 192), dass „die Verwandlung des Wasser im ‚Nil‘ zu Blut … zur biblischen Bezeichnung „Rotes Meer“ für den Persischen Golf“ führte. Das ist aber eindeutig ein Irrtum, denn nirgends im hebräischen Text der Bibel wird auch nur an einer einzigen Stelle das beim Exodus durchzogene Meer als „Rotes Meer“ bezeichnet. Erst in der griechischen Übersetzung der hebräischen Bibel, der Septuaginta, also nicht vor 250 v. Chr., wird dieses Schilfmeer ganz selbstverständlich mit dem zwischen Ägypten und Palästina liegenden Meer gleichgesetzt und mit thalassa erythra = „Rotes Meer“ übersetzt. Auf Hebräisch dagegen heißt dieses Meer im ursprünglichen Text immer JaM SUPh = „Schilfmeer“.

Nun denke ich aber, dass es sicher nicht die Absicht der Flüchtlinge war, das Rote Meer, also den Persischen Golf selbst, anzusteuern. Wenn ihr Ziel das Meerland war (S. 44), also „die undurchdringlichen Schilfgebiete“ im Süden Babyloniens, in die sich nach „historischen Schilderungen und Darstellungen assyrischer und babylonischer Könige … verfolgte Meerlandkönige nach Ihren Raubzügen immer wieder“ gerettet haben sollen, wie oben im Abschnitt 2.2 erwähnt, dann liegt die Vermutung nahe, dass die katastrophalen Bedingungen dieser Nacht – Erdbeben, brennende Ölfelder, ein Orkan, der das Wasser des Persischen Golfs die Euphrat-und-Tigris-Ebene hinauftreibt <105> – auch ihre Orientierung beeinträchtigt haben, so dass sie nicht unbedingt absichtlich nun vor einem unabsehbaren Meer stehen, das sie aber vielleicht – wegen ihres ursprünglichen Ziels – trotzdem „Schilfmeer“ nennen.

4.5.3.4 Voraussetzungen für den Durchzug durch das „Rote Meer“

Nach Bauersachs (S. 204f.) erlauben es jedenfalls „die landschaftlichen Gegebenheiten“ im „Mündungsbereich von Euphrat und Tigris, der sich zu Moses Zeiten grundlegend von der heutigen Situation unterschied“, den „Exodus aus der Region Chuzistan … mit allen im Alten Testament erwähnten Details nach{zu}vollziehen“:

Zur Zeit des Exodus begleitete ein Sumpf- und Seengebiet den Unterlauf des Euphrat. Es bedeckte etwa das Dreieck zwischen den Städten Nasiriya am Euphrat, Qurna am Tigris und Basra. Bei Hochwasser flossen hier gelegentlich Euphrat und Tigris zusammen, zurück blieb das Haur-al-Hammar.

Auf Satellitenaufnahmen war der alte Verlauf des Euphrat deutlich auf dem Seeboden des Haur-al-Hammar sichtbar, das lässt vermuten, dass Euphrat und Tigris zur Zeit des Exodus getrennt in den Persischen Golf mündeten.

Getrennte Mündungen heißt, dass Euphrat und Tigris beim heutigen Basra etwa parallel verliefen und die Mündungen beider Flüsse einen Abstand von rund 10 km hatten.

Skizze des Durchzugsortes durch das Rote Meer am Persischen Golf
(Karte: Konrad Bauersachs)

Es sind (S. 205) diese „lokalen Voraussetzungen“, ohne die „der spektakuläre Durchzug durchs Rote Meer nicht {hätte} stattfinden können {2. Mose 14,21}“:

21 Und Mose streckte seine Hand über das Meer aus, und der HERR ließ das Meer die ganze Nacht durch einen starken Ostwind zurückweichen und machte so das Meer zum trockenen Land, und die Wasser teilten sich.

Was hier geschieht, beschreibt Bauersachs folgendermaßen:

Stundenlang treibt der Orkan das Oberflächenwasser des Persischen Golfs von der iranischen Küste zunächst nach Westen an die arabische Küste, die Brandungswellen waren nach rund 300 km Anlauf meterhoch. Die Küste verläuft etwa von Südosten nach Nordwesten, so entsteht durch den Ostwind eine starke Strömung parallel zum Ufer in Richtung Nordwesten auf die Mündungen des Euphrat und Tigris zu.

Mit dieser Strömung transportiert das aufgewühlte Wasser riesige Mengen von Sand und Schlick, zusätzlich wirbelt das am Meeresboden nach Osten zurückströmende Tiefenwasser wegen der geringen Tiefe des Persischen Golfs auch fern der Küste die Sedimente auf, so dass nach zwölf Stunden Orkan der Persische Golf ein von Sand, Schlick und Erde braun gefärbter Brei geworden ist.

Skizze des Persischen Golfs bei einem tagelangen Orkan
(Karte: Konrad Bauersachs)

Es geht also (S. 206) „keineswegs um die phantasievolle Ausschmückung der Passage einer harmlosen Furt“ und „auch nicht um die problemlose und dramatisierte Überquerung eines flachen Gewässers wie der Seenkette beim heutigen Suez“, sondern um einen Orkan, der

mit den Wassermassen riesige Mengen Feststoffe vom Persischen Golf ins Mündungsgebiet von Euphrat und Tigris und noch weiter flussaufwärts transportierte. …

Meinen Überlegungen lege ich eine windbedingte Strömung von 10 km/h Richtung Nordwesten zugrunde. … Die Gesamtfläche des Persischen Golf beträgt rund 240.000 km², für meine Überlegungen halbiere ich die Fläche etwa und berücksichtige nur den nordwestlichen Bereich des Golfes von der Mündung des Šatt-al-Arab bis etwa zur Halbinsel Al Qatar. Trotz 12 Stunden Sturm aus Osten und einer Anlaufstrecke von ca. 300 km von der Ost- bis zur Westküste des Persischen Golfs gehe ich bewusst von einem geringen Meerespegelanstieg von nur 2 Metern an der Westküste aus; tatsächlich dürften die Wellen mindestens drei bis vier Meter hoch gewesen sein.

Von diesen Voraussetzungen her (S. 207) „entwickelt sich“ in

diesen zwölf Sturmstunden … entlang der Küste ein 2 Meter hoher und 120 km langer Wasserberg, der bis zur Mitte des Persischen Golfs reicht. An der Ostküste fehlt dieses Wasser, hier liegen Boote auf dem Trockenen und lange Umwege an Meeresbuchten entlang verkürzen sich vorübergehend durch den direkten Weg über den Meeresgrund. <106>

Weiterhin setzt Bauersachs voraus, dass jeder „Liter Wasser des Persischen Golfes“ etwa „100 g Schlamm und Sand“ enthält, wobei sich „bei bewegtem Wasser … nur die schwereren Partikel (z.B. Steinchen, Muschelschalen)“ schnell wieder absetzen. Er rechnet aus, dass

die Wassermenge von 18 km³ entlang der arabischen Küste dann 1.8 Mrd. Tonnen Sand und Erde“ mit sich geführt haben muss. Diese Menge scheint unvorstellbar, dennoch ist sie realistisch: Der Orkan hat ein Gebiet von etwa 20.000 km² überflutet; verteilen wir das gesamte feste Material gleichmäßig auf dieser Fläche, können wir übersichtlicher mit 90 kg Sediment je Quadratmeter rechnen.

Auf Grund einer solchen weiträumigen Überflutung müsste eine „abgelagerte nasse Schicht“, die etwa „etwa 6-7 Zentimeter“ hoch gewesen wäre, zurückgeblieben sein; „nach dem Trocknen sind das 4-5cm“. Er geht daher davon aus, dass der durch einen solchen Orkan hervorgerufener Damm, der „die getrennten Mündungen von Euphrat und Tigris kurzzeitig komplett vom Persischer Golf“ abschnitt und durch den sich erst „nach dem Sturm … das zurücklaufende Wasser beider Flüsse den Rückweg“ bahnte, „deutliche Spuren in den Sedimenten hinterlassen haben und … in Bohrkernen eindeutig nachzuweisen“ sein muss; „man muss nur gezielt danach suchen“ (S. 207f.):

In solchen Proben muss eine auffällige Schicht von Salzwassermuscheln und Sand (aus dem Persischen Golf) zwischen Süßwassermuscheln und Flusssedimenten (des Euphrat und Tigris) zu finden sein. Die Anwesenheit einer Schicht von Sand und zerbrochenen Muschelschalen aus dem Persischen Golf lässt sich nur durch einen kurzzeitigen und massiven Einstrom von stark verwirbeltem Meerwasser erklären.

Anhand organischer Bestandteile in dieser Schicht wäre eine ausreichend genaue Radiocarbon – 14 C-Datierung (± 20 Jahre) dieses Ereignisses möglich. Zusätzliche Beweiskraft haben auch Sandsteinspuren ausschließlich in dieser Schicht; diese können nur vom Fluss Karun stammen, der in den Persischen Golf mündet. Sie müssen auf dem Umweg über das aufgewühlte Meer hierher gelangt sein.

4.5.3.5 Ein Damm, den die Exodus-Gruppe durchqueren kann…

Dadurch, dass die in „Richtung Nordwesten“ strömenden „Wassermassen … etwa beim heutigen Abadan auf den seichten Mündungsbereichs von Euphrat und Tigris“ treffen, wo „sich nach und nach das anfangs 50 km weite Delta“ verengt und „beim heutigen Basra in einem nur noch 20 km breiten Engpass“ endet, staut sich „das Wasser … vor dem Flaschenhals beim heutigen Basra.“ Da der Orkan stundenlang anhält, fließt „das eingedrungene Wasser aus dem Persischen Golf“ nicht wie gewohnt sofort wieder zurück, sondern es wird „weiter flussaufwärts nach Nordwesten gedrückt“. Da weiterhin „Euphrat und Tigris“ zwar „sehr breite Flüsse, aber für die Aufnahme solcher Wassermassen nicht tief genug“ sind (S. 209), wird das

eindringende Wasser .. gebremst und fließt langsamer, die ständig nachdrängenden Fluten bilden schließlich eine Wasserwand ähnlich einer Springflut. So schiebt sich eine mächtige Wasserwalze flussaufwärts und verlässt die Flussbetten; je mehr sie eingeengt wird, umso höher wird sie.

Alles im Weg Stehende rasiert die Welle ab, sie entwurzelt Dattelpalmen in den Plantagen und zerstört sämtliche Häuser, mitgerissene Holzbalken und Palmenstämme verstärken noch die Zerstörungskraft des Wassers. An den Ufern und im flachen Wasser verhaken sich mitgerissene Stämme mit den noch fest verwurzelten Pflanzen und bremsen an diesen Stellen die Strömung etwas, so wird in diesem Geflecht Sand und Schlick festgehalten.

Im Laufe der Nacht verringert sich auch bei anhaltendem Sturm die nachdrückende Wassermenge, weil der Wind nicht mehr genug Kraft hat, das nach Osten (iranische Küste) zurückströmende Tiefenwasser des Persischen Golf aufzuhalten. Im flachen Mündungsdelta des Euphrat und Tigris haben sich beim heutigen Abadan gröbere Bestandteile abgelagert und bilden bremsende Sandbänke.

Im Laufe der Orkannacht entstehen durch die nachlassende Strömung zunächst in Ufernähe vereinzelt kleine Inseln aus verkeilten Palmenstämmen, Pflanzenresten und Sand, kleine Inseln verbinden sich zu größeren und stehen der Strömung im Weg, die Lücken zwischen den Inseln werden nach und nach auf die gleiche Weise durch labile Dämme aus Stämmen und Sand geschlossen.

Am Morgen ist eine Kette von kleinen Inseln entstanden, die eine Verbindung über die beiden Flussbetten bis zum gegenüberliegenden Festland bildet {2. Mose 14,21}:

21 Und Mose streckte seine Hand über das Meer aus, und der HERR ließ das Meer die ganze Nacht durch einen starken Ostwind zurückweichen und machte so das Meer zum trockenen Land, und die Wasser teilten sich.

Skizze der Überflutung des Gebietes zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris
(Skizze: Konrad Bauersachs)

Da es hier um die wahrhaft zentralen Argumente zur Untermauerung der Theorie von Konrad Bauersachs geht, habe ich mir erlaubt, seine Ausführungen über die Entstehung des Damms, der das Gebiet zwischen Euphrat und Tigris einschließlich ihrer Flussbetten begehbar macht, vollständig zu zitieren. Mir erscheint das von ihm beschriebene Szenario als vollkommen einleuchtend und überzeugend begründet (S. 210):

Eine Zeitlang wird diese Barriere noch gelegentlich von den auslaufenden Wellen der Brecher überspült, durch die Blockade der flussaufwärts gerichteten Strömung lagert sich schon vor der Barriere Sand ab. Die Wassertiefe wird so weiter verringert und Wellen brechen früher, der Damm ist nun vor der Brandung sicher. Dieser gut 20 km lange „biblische“ Damm ist zwar kein Festland, aber stabil genug, ihn zu Fuß und mit Schaf- und Ziegenherden zu begehen. Die Dammkrone ragte kaum über die Wasseroberfläche und war stellenweise wohl nur einige Meter breit und von Wasserlachen unterbrochen, die Fliehenden mussten sich im Gänsemarsch und Zickzack über diese schwankende Brücke bewegen.

4.5.3.6 … und in dessen Schlamm Streitwagen stecken bleiben

Obwohl „der wundersam über Nacht entstandene Damm“ der Exodus-Gruppe einen „einzig möglichen Fluchtweg“ verschafft hat, ist sie jedoch weiterhin in Gefahr, denn „von hinten nähern sich Streitwagen und Truppen des wütenden Kidin-Hutran III.“ {2. Mose 14,23}:

23 Die Ägypter aber jagten ihnen nach und kamen hinter ihnen her, alle Pferde des Pharao, seine Streitwagen und Reiter, mitten ins Meer hinein.

Solche „Streitwagen“ waren nach Bauersachs „bei den Akkadern schon lange bekannt“ und „wurden erst durch die Kassiten perfektioniert.“ Und gerade für „die Pferdezucht“ sind die Kassiten bekannt:

Zuchtpferde zählten wie der Harem, die Prinzessinnen oder die Offiziere zu den Palastbewohnern; wir kennen heute fast mehr Namen von Pferden als von geschichtlichen Persönlichkeiten aus dieser Zeit.

Der Einsatz solcher Streitwagen war stets auf die trockene Jahreszeit und weitgehend ebenes Gelände beschränkt, die Gespanne konnten ihre Schnelligkeit nur auf festem und ebenem Untergrund ausspielen. Die Überlegenheit beruhte auch darauf, dass die Kampfwagenbesatzungen geübte Berufssoldaten waren, gegen die eine zusammengewürfelte Truppe aus Landarbeitern und Hirten keine Chance haben konnte.

Die Schnelligkeit der Streitwagen beruhte normalerweise vor allem darauf, dass ihre „zwei Räder … im Unterschied zu den massiven Scheibenrädern der Transportkarren aus Ringen“ bestanden, „die von vier oder sechs Speichen zusammengehalten wurden.“ Gezogen wurden sie „von zwei, gelegentlich vier Pferden“; besetzt waren sie „neben dem Fahrer mit zwei oder drei Bogenschützen“. Allerdings kehrten sich diese Vorteile bei der Verfolgung der Exodus-Gruppe vollkommen ins Gegenteil um:

Auf dem sandigen und feuchten Untergrund des Dammes kamen die Verfolger der Exodus-Gruppe aber kaum von der Stelle: Zu schwer sind die Pferde, zu schmal die Reifen der Streitwagen, die in diesem weichen Untergrund einsinken.

Die Bibel beschreibt diese Schwierigkeiten folgendermaßen (2. Mose 14,24-25:

24 Und es geschah: In der Zeit der Morgenwache, da schaute der HERR … auf das Heer der Ägypter herab und brachte das Heer der Ägypter in Verwirrung.

25 Dann stieß er die Räder von ihren Wagen ab und ließ sie nur mühsam vorankommen. Da sagten die Ägypter: Laßt uns vor Israel fliehen, denn der HERR kämpft für sie gegen die Ägypter!

Das hier beschriebene „Abstoßen der Räder“ kann dadurch verursacht worden sein, „dass ein Rad von der Achse rutscht oder bricht, weil die beiden Räder unterschiedlich weit im Boden einsinken“.

4.5.3.7 Mauern aus Wasser beeindrucken die Exodus-Gruppe…

Der Zug der Exodus-Gruppe auf dem Schlamm-Damm zur selben Stunde wird von der Bibel folgendermaßen beschrieben (2. Mose 14,22):

22 Dann gingen die Söhne Israel auf trockenem Land mitten in das Meer hinein, und die Wasser waren ihnen eine Mauer zur Rechten und zur Linken.

Bauersachs stellt sich vor, dass die Exodus-Leute als Nomaden, die sie waren, „wohl zum ersten und einzigen Mal im Leben mannshohe Wellen“ sahen, „die ihnen tatsächlich wie Mauern erscheinen müssen“ (S. 211):

Diese beeindruckende Naturerscheinung und die dramatischen Begleitumstände hinterlassen einen unauslöschlichen Eindruck und wurden bei der Niederschrift im Wesentlichen unverfälscht wiedergegeben.

Bei einem Blick zurück von „diesem Damm durchs Meer … dem Wind entgegen nach Osten“ sehen die Flüchtlinge halbrechts „meterhohe Wellen (‚Mauern aus Wasser‘)“, die auf sie zurollen und „in sicherem Abstand“ brechen, während auf „der windabgewandten Seite … der Wind das Wasser des Euphrat und Tigris komplett weggefegt und stellenweise das Flussbett freigelegt“ hat. Am „windstillen Morgen nach dem Sturm“ rollen im „Südosten … immer noch Wellen auf den Damm zu, gegenüber fließen die weggewehten Wassermassen aus dem Haur-al-Hammar als Springflut zurück an ihren alten Platz“ {2. Mose 14,27}:

27 Da streckte Mose seine Hand über das Meer aus, und das Meer kehrte beim Anbruch des Morgens zu seiner Strömung zurück.

4.5.3.8 … und überfluten die Streitwagen Kidin-Hutrans III.

Aber auch dieses

Zurückfluten ist kein sanftes Ereignis, sondern ähnelt einem Tsunami: Innerhalb kürzester Zeit steigt der Wasserpegel auf seine alte Höhe.

Die im biblischen Text verwendete Beschreibung „Wassermauer zur Rechten und Linken“ entspricht den beschriebenen tatsächlichen Verhältnissen in dem Moment, als der Sturm vorüber ist.

Während die Flüchtenden mit Mühe und Not das gegenüber liegende sichere Festland erreichen, können ihre „Verfolger“ den „Wassermassen, die der Sturm weggeblasen hat“ und die „jetzt aus Nordwesten, dem Haur-al-Hammar, … auf den Damm zu“ zurückrollen, nicht mehr entfliehen. Denn die Streitwagen

haben sicherlich bereits eine gute Strecke auf dem zuerst entstandenen ufernahen und daher relativ festen Damm zurückgelegt, als die Räder der ersten Wagen einsinken.

Die unmittelbar folgenden Wagen sind zu schnell, um den unvermittelt anhaltenden Wagen ausweichen zu können, so dass die Wagen umstürzen und sich verkeilen, die Pferde sinken ein und erschlagen in Panik die von den Wagen gesprungenen Kämpfer. Die Besatzungen der Wagen, die gerade noch rechtzeitig anhalten konnten, kommen ihren Kameraden zu Hilfe, andere versuchen, auf der schmalen Dammkrone zu wenden, um schnell das rettende Festland hinter ihnen zu erreichen.

Da die „Leeseite des Dammes, auf den die Wasserwand jetzt trifft“, steil abfällt und „dem Wasser eine große Angriffsfläche“ bietet, wird sie „vom schnell strömenden und ansteigenden Wasser unterspült“; zugleich wälzt sich (S. 211f.)

die zurückkommende Flut … am Damm entlang auf das Festland ‚Ägypten‘ zu und überholt dabei die Streitwagenarmee.

Die V–förmige Verengung und das nachdrängende Wasser lässt den Wasserspiegel schnell über die Deichkrone ansteigen, den Verfolgern (dem ‚ägyptischen‘ Heer) wird so der rettende Fluchtweg zum Festland abgeschnitten. Sobald die reißende Strömung den Damm überflutet hat, ist die erste Schwachstelle geschaffen und nach und nach bricht das ganze instabile System zusammen.

Einzelne größere Inseln bleiben noch etwas länger bestehen und sind vorübergehend für einige Soldaten rettender Boden, bis auch die starke Strömung diese wegspült. Die meisten Soldaten sind – damals die Regel – des Schwimmens unkundig und ertrinken.

Auf diese Weise (S. 212) „lässt sich die Schilderung des Alten Testaments sowie die Ortsangabe des Schilfmeers wörtlich bis ins kleinste Detail nachvollziehen“ {2. Mose 14,27-28 und 15,4}:

27 Und die Ägypter flohen ihm {dem Meer} entgegen. Der HERR aber trieb die Ägypter mitten ins Meer.

28 So kehrten die Wasser zurück und bedeckten die Wagen und Reiter der ganzen Heeresmacht des Pharao, die ihnen ins Meer nachgekommen waren; es blieb auch nicht einer von ihnen übrig.

15, 4 Die Wagen des Pharao und seine Streitmacht warf er ins Meer, die Auslese seiner Wagenkämpfer versank im Schilfmeer.

Dieses überzeugend rekonstruierte Katastrophenszenario kann nach Bauersachs (S. 212) ein wenig Licht in den „unübersichtlichen und rätselhaften Zeitabschnitt“ der elamischen Geschichte „zwischen 1220 v. Chr. und 1210“ bringen:

Der letzte Igehalkiden-König Kidin-Hutran III ist urplötzlich sang- und klanglos von der Bildfläche verschwunden, mit seinem Nachfolger Hallutuš-Inšušinak beginnt die Šutrukiden-Dynastie. Wie, wo oder warum Kiten-Hutran III. zu Tode gekommen ist, wissen wir bisher nicht. Manche Wissenschaftler vermuten sogar, er habe gar nicht existiert. Allerdings bezeugen babylonische Chroniken (Chronik P) mehrere Attacken Kiten-Hutrans III. auf Babylonien (um 1224 und 1222), so dass wir ihn als historische Figur akzeptieren müssen.

Ist aber Kidin-Hutran III. tatsächlich identisch mit dem König, der „nach dem Erdbeben mit seinen Truppen und Streitwagen“ die fliehende Exodus-Gruppe verfolgte, die „die turbulente Zeit zur Flucht nützte“, dann ist verständlich, dass

er das gleiche Schicksal erlitt wie die übrigen Wagenkämpfer und im ‚Roten Meer‘ ertrank. Wenn wir bis heute keine schriftlichen Zeugnisse über seinen Untergang gefunden haben, liegt das an den chaotischen Verhältnissen nach dem Erdbeben, dem wohl auch zahlreiche Nachbeben folgten: Rettung von Menschenleben und Wiederaufbau waren wichtiger, als eine gründlich misslungene Kriegshandlung für die Nachwelt zu dokumentieren.

Die von ihm verfolgte Exodus-Gruppe, die „nach den aufregenden Ereignissen das Westufer erreicht“ hat, ist nun in Freiheit, muss sich aber schon bald „gegen ‚Amalek‘ wehren“ und zieht „Richtung Nordwesten den Euphrat entlang nach Kadesch-Qadisija“, wo „unter Moses Führung die Wüstenwanderung ins ‚Gelobte Land‘ begonnen“ haben soll. Aber das soll erst in einem neuen Kapitel ausführlich besprochen werden.

5 Die Wüstenwanderung der Exodus-Gruppe

Die Wanderung des Volkes Israel – oder, wie wir die Flüchtlinge aus Chuzistan lieber nennen wollen, der Exodus-Gruppe – durch die Wüste zu verfolgen, ist recht schwierig. Nach Bauersachs (S. 214) beginnt dem Alten Testament zufolge nach

der Durchquerung des Roten Meers … eine völlig wirre „falsche“ Wüstenwanderung: Aus Sicht der Niederschrift soll das „Volk Israel“ Ägypten verlassen haben; von dort ausgehend musste eine scheinbar passende Wanderroute erfunden werden: Sie sollte mit den Überlieferungen zusammenpassen, nach denen die Exodus-Gruppe von Osten her nach Transjordanien gelangte.

Die dazu nötigen mysteriösen Umwege sind einfach zu erklären: Die Niederschrift wusste nichts mehr von einem Exodus aus Chuzistan und versuchte, überlieferte Ortsnamen der „richtigen“ Wüstenwanderung im Raum zwischen Ägypten und Palästina unterzubringen, wo die Exodus-Gruppe nie unterwegs gewesen ist.

5.1 Drei biblische Darstellungen der Wüstenwanderung

Nachdem ich selber genauer unter die Lupe genommen habe, was die Bibel zu diesem Thema zu sagen weiß, finde ich: Erschwerend kommt hinzu, dass es drei verschiedene biblische Darstellungen der Wüstenwanderung gibt:

  1. eine fortlaufende Erzählung im 2. und 4. Buch Mose, unterbrochen bzw. ergänzt durch eine Vielzahl von Gesetzestexten, die in dieser Zusammenstellung als Tora = befreiende und Recht schaffende Wegweisung Gottes zu verstehen sind,
  2. eine Auflistung der Lagerplätze in 4. Mose 33,
  3. ein als Rede des Mose stilisierter Rückblick im 5. Buch Mose, in der ebenfalls die Wegweisung Gottes, aus etwas anderer Perspektive dargestellt, das zentrale Anliegen darstellt.

Der Vergleich der Erzählung mit der Liste ergibt zwar eine Menge Übereinstimmungen, aber auch viele Unterschiede und Widersprüche; dasselbe gilt für den Rückblick, der noch klarer als die Erzählung eine theologische Deutung der Wüstenwanderung aus der Perspektive des in Palästina ansässigen Volkes Israel darstellt.

5.1.1 Die Wüstenwanderung nach dem 2. und 4. Buch Mose

In dem großen biblischen Erzählkreis zwischen 2. Mose 15,1 und 4. Mose 36,13 wird die Wüstenwanderung einigermaßen fortlaufend erzählt, allerdings immer wieder unterbrochen durch mehr oder weniger lange Bestimmungen der Wegweisung Gottes, die Mose am Gottesberg Horeb und/oder Sinai erhält oder auch zwischendurch im Zelt der Begegnung mit Gott.

Hinzu kommen außerdem Brüche in der Erzählung, die darauf hindeuten, dass die Reihenfolge der Wüstenwanderungsstationen nicht einer möglicherweise historischen Reiseroute entspricht. Ich skizziere die angegebene Reiseroute und mache dabei sowohl auf ziemlich sicher zusammenhängende Stationen und Erzählungen aufmerksam als auch auf wahrscheinliche Brüche oder Einschübe.

5.1.1.1 Wüste Schur: kein Wasser

Nach 2. Mose 15,22 gelangt die Exodus-Gruppe von dem Meer, das sie soeben durchzogen hat und das hier wie bereits in 15,4 „Schilfmeer“ genannt wird (obwohl es, wie gesagt, ein Salz- oder Brackwassermeer gewesen ist) zuerst in die Wüste Schur und findet kein Wasser.

5.1.1.2 Mara – Elim – Wüste Sin: bitteres Wasser – viel Wasser

Dass im nächsten Vers 15,23 in anderer Weise vom Wasser die Rede ist, nämlich, dass es zwar Wasser gibt, dieses aber bitter ist und von Mose durch „ein Stück Holz“ süß gemacht wird, deutet darauf hin, dass diese Geschichte, die bei Mara spielt, eigentlich an eine andere Stelle gehört.

Eng verbunden ist Mara sodann mit der nächsten Station (15,27) bei Elim, wo es auf einmal übergenug Wasser gibt, nämlich „zwölf Wasserquellen und siebzig Palmbäume“.

Nach 2. Mose 16,1 soll es zwischen Elim und Sinai bereits eine weitere Wüste geben, nämlich die Wüste Sin, die genau „am fünf­zehnten Tag des zweiten Monats nach ihrem Auszug aus dem Land Ägypten“ erreicht wird, also einen Monat nach dem Exodus. Solche Zahlen sind allerdings mit Sicherheit nachträglich in die Erzählung eingearbeitet, man sollte sie nicht wörtlich nehmen.

5.1.1.3 Wüste: Versorgung mit Wachteln und Manna

Da der nächste Vers 16,2 erneut eine Ortsangabe enthält, wenn auch völlig unbestimmt, nämlich „in der Wüste“, gehe ich davon aus, dass die Murrgeschichte über fehlende Nahrung, die sich hier abspielt, zwar auf eine historische Erinnerung zurückgehen mag, an dieser Stelle aber eingeschoben ist, weil es natürlich erstens sinnvoll ist, bereits am Anfang der Wüstenwanderung das Ernährungsproblem zu lösen, indem Gott (16,13) für Wachteln und (16,31) Manna sorgt, das (16,35) „die Söhne Israel … vierzig Jahre“ essen, „bis sie in bewohntes Land…, an die Grenze des Landes Kanaan kamen.“ Die Zeitangabe über den 40 Jahre langen Aufenthalt ist natürlich der späteren Niederschrift geschuldet.

5.1.1.4 Refidim – Felsen am Horeb – Massa und Meriba

Jetzt verlässt (2. Mose 17,1) die Exodus-Gruppe die Wüste Sin und bei Refidim gibt es „kein Wasser zum Trinken für das Volk“. Daraufhin (17,5) soll Mose zusammen mit einigen Ältesten Israels vorausgehen, und (17,6) dort will Gott auf den Felsen am Horeb (ˁAL HaTsUR BɘḪoReB) treten, und wenn Mose auf den Felsen schlägt, „wird Wasser aus ihm hervorströmen“. Dieser Ort wird (17,7) daraufhin Massa und Meriba genannt.

5.1.1.5 Refidim – Amalek – Gipfel des Hügels – JHWH NiSsiJ

Unmittelbar danach geschieht hier (17,8) in Refidim auch der Angriff von Amalek, der (17,13) durch Josua abgewehrt wird, während (17,10) Mose, Aaron und Hur auf dem „Gipfel des Hügels“ stehen und einen Altar mit dem Namen (17,15) „Der HERR ist mein Feldzeichen“ bauen.

5.1.1.6 Gottesberg (Horeb)

Ohne Unterbrechung des Erzählfadens heißt es unmittelbar danach (2. Mose 18,1-4), dass der Priester Jitro, der vom Exodus erfahren hatte, seine Tochter Zippora und ihre Söhne Gerschom und Elieser zu Mose zurück an den Gottesberg bringt, bei dem es sich um den Horeb handeln muss, der in 2. Mose 3,1 in der Nähe der Weidegründe seines Schwiegervaters Jitro verortet wird. Bevor Jitro wieder in sein Land zieht (ohne dass er Zippora und ihre Söhne wieder mit sich nimmt), gibt er Mose noch Ratschläge für die Rechtsprechung auf der Wüstenwanderung.

5.1.1.7 Wüste Sinai – Gottesberg (Sinai)

Nach 2. Mose 19,1-2 kommt die Exodus-Gruppe genau zwei Wochen nach der Ankunft in der Wüste Sin in die Wüste Sinai, wo sie sich dem Gottesberg Sinai gegenüber lagert. Würde man die Reihenfolge der bisher geschilderten Stationen wörtlich nehmen, so wären zwei Wochen ein viel zu kurzer Zeitraum für die Versorgung mit Wachteln und Manna sowie mit Wasser bei Massa und Meriba, für den Krieg gegen Amalek und das Treffen mit Jitro am Horeb.

Aber es ist ohnehin klar, dass die Sinai-Geschichte nicht ursprüng­lich an diese Stelle gehört, denn in 19,2 heißt es, dass die Exodus-Gruppe von Refidim aus in die Wüste Sinai gekommen ist, obwohl sie doch bereits zuvor von Refidim aus zum Felsen am Horeb aufgebrochen war. Und dass sich zwei Gottesberge in solcher Nähe zueinander befinden sollten, ist ebenfalls auszuschließen.

Die folgenden Kapitel des 2. Buchs Mose, das gesamte 3. Buch Mose und die ersten Kapitel des 4. Buchs Mose sind nun vom Aufenthalt am Berg Sinai geprägt, auf dem Mose von Gott die Wegweisung (= Tora) erhält. Vom Berg Sinai ist während dieser Zeit ausdrücklich in 2. Mose 19,11.18.20.23; 24,16; 31,18; 34,2.4.29.32; 3. Mose 7,38; 25,1; 26,46; 27,34; 4. Mose 1,1.19; 3,1.4.14; 9,1.5 die Rede. Gemäß 9,5 wird hier genau ein Jahr nach dem Exodus zur Erinnerung das erste Passahfest gefeiert (und zwar zwei Wochen nach der Errichtung eines Zeltheiligtums, wie in 2. Mose 40,17 berichtet). Dass die Erzählung selbst nicht völlig chronologisch vorgeht, belegt die Tatsache, dass bereits in 4. Mose 1,1 von einer Zählung des Volkes Israel die Rede war, die am Sinai zwei Wochen nach diesem Passahfest stattfindet.

5.1.1.8 Gottesberg (Horeb)

Merkwürdigerweise kommt nun der Name Horeb für den Gottesberg noch einmal in 2. Mose 33,6 vor, wo sich die Exodus-Gruppe eigentlich schon lange am Sinai befindet. Das könnte eine bloße Verwechslung sein, deutet aber darauf hin, dass es eine große Unsicherheit darüber gab, ob Horeb und Sinai wirklich zwei Gottesberge darstellten oder miteinander identisch sind.

Auffällig ist außerdem, dass Mose auf den Berg Sinai immer allein hinaufgeht. Nur in 2. Mose 24,1-11 ist davon die Rede, dass Mose und „siebzig von den Ältesten Israels“ gemeinsam auf den Berg Gottes steigen, der an dieser Stelle aber nicht Sinai genannt wird. Da bereits in 2. Mose 17,5 Mose mit einigen „Ältesten Israels“ voraus zum Horeb gehen sollte, könnte hier eine ältere mit dem Horeb verbundene Geschichte in Erinnerung geblieben sein.

5.1.1.9 Wüste Paran

In 4. Mose 9,17-23 wird eine erste Erklärung geliefert, warum die Wanderung so lange dauert: Weitergewandert wird nur, wenn die Wolke Gottes sich vom Lager erhebt. Bei allen Zahlenangaben zur Länge der Wanderung handelt es sich um rein theologische Konstruktionen, sie dürfen nicht für eine historische Datierung in Anspruch genommen werden.

Nach 4. Mose 10,12 bricht die Exodus-Gruppe ein Jahr und sieben Wochen nach dem Exodus aus der Wüste Sinai auf und zieht in die Wüste Paran. Bei diesem Aufbruch bittet Mose seinen Schwager Hobab, der Gruppe als Karawanenführer zu dienen, und es wird nicht erwähnt, dass er tatsächlich zurückbleibt. Bis Paran sollen nach 4. Mose 10,33 drei Tagereisen zurückgelegt worden sein.

5.1.1.10 Tabera – Kibrot-Hattaawa – Hazerot

Dann ist unvermittelt in 4. Mose 11,1-3 von einem Feuer im Lager die Rede, weswegen sie dem Ort den Namen Tabera geben. Das (11,4) mitgekommene Mischvolk beschwert sich, weil es kein Fleisch zu essen gibt, daraufhin beschwert sich (11,11-15) Mose bei Gott, dass er mit dem Volk allein nicht fertig wird (was unlogisch ist, weil Jitro das eigentlich schon geklärt hatte). Gott wiederum (11,19-20) will dem Volk einen ganzen Monat lang Fleisch geben, bis es ihnen „zur Nase herauskommt“. Es gibt dann tatsächlich (11,31) reichlich Wachteln, die „vom Meer herbei“ getrieben werden. Aber (11,33) die Leute werden krank davon, und zwar (11,34) an dem Ort Kibrot-Hattaawa = „Lustgräber“, „weil man dort das Volk begrub, das gierig gewesen war“.

Die beiden Verse 11,35 und 12,16, die nicht Teil der folgenden Geschichte sind, sondern sie nur einrahmen, erzählen vom Aufbruch der Gruppe von Kibrot-Hattaawa zunächst nach Hazerot, dann zu einem Lager in der Wüste Paran. Das spricht dafür, dass die Tabera-Kibrot-Hattaawa-Geschichte hier eingeschoben wurde bzw. zusammen mit dem zuvor erzählten Sinai-Komplex an eine spätere Stelle gehört.

5.1.1.11 Konflikt Moses mit Mirjam und Aaron

Eine Beschwerde (4. Mose 12,1) der Geschwister des Mose, Mirjam und Aaron, wegen Moses kuschitischer Frau führt dazu (12,10-15), dass Mirjam eine Woche lang aussätzig wird.

5.1.1.12 Wüste Paran und Zin – Kadesch – Horma (Kundschafter)

Nach 4. Mose 13,1-3 soll nun das Land Kanaan ausgekundschaftet werden. Die meisten Ortsangaben in diesem Zusammenhang sind sicher nachträglich von der Situation in Palästina her hier eingetragen worden, vielleicht mit Ausnahme der in 13,21.23-24 genannten Orte Rehob, Hamat und Eschkol, auf die ich noch eingehen werde.

Es herrscht insofern eine gewisse Überfrachtung mit verschiedenen Wüsten, als die Erkundung nach Vers 3 von der Wüste Paran ausgehen soll, nach Vers 21 aber von der Wüste Zin. Nach der Rückkehr befinden sich (13,26) die Kundschafter dann wieder in der Wüste Paran, und zwar bei Kadesch. Dieser Ort kommt im Zusammenhang mit der Wüstenwanderung hier zum ersten Mal überhaupt vor.

Auf Grund (4. Mose 14,4) des Berichts der Kundschafter meutert die Exodus-Gruppe gegen Mose und will nach „Ägypten“ zurück­ziehen. Das wiederum verursacht von Gott her (14,34) die Strafe, dass die Wanderung 40 Jahre dauern soll und dass (14,30.38) außer Josua und Kaleb niemand von den Erwachsenen in das Gelobte Land hineinkommen soll (was natürlich eine nachträg­liche Deutung darstellt).

Als die Exodus-Gruppe sich auch dagegen wiederum auflehnt, nicht (4. Mose 14,25) zur Wüste in der Richtung zum Schilfmeer aufbrechen will, sondern (14,40) auf eigene Faust nun doch versuchen, „auf die Höhe des Gebirges hinaufzuziehen“, um das Land einzunehmen, werden sie (14,45) von den Amalekitern und Kanaanitern, „die auf jenem Gebirge wohnten“, geschlagen und bis nach Horma versprengt (ein Ort, der übrigens erst in 21,3 so benannt werden wird).

5.1.1.13 Untergang der Rotte Korach

Nach der Einfügung mehrerer Gesetzestexte (4. Mose 16,1-2) ist unvermittelt und ohne Ortsangabe vom Aufstand der Korachiten die Rede, die (16,31-32) vom Erdboden verschlungen werden. Weitere Mitglieder der Gruppe (16,35), die Räucherwerk dargebracht haben, werden durch ein Feuer verbrannt, und (17,14) im Zuge weiteren Aufbegehrens gegen Mose und Aaron sterben 14700 Menschen an einer nicht näher bezeichneten Plage.

5.1.1.14 Wüste Zin – Kadesch

Als nächste Station (4. Mose 20,1) wird noch einmal die Wüste Zin genannt, dieses Mal im Zusammenhang mit dem Ort Kadesch. Hier soll Moses Schwester Mirjam gestorben und begraben worden sein.

5.1.1.15 Meriba – Haderwasser

Wieder einmal schließt sich (4. Mose 20,2ff.) eine Geschichte mit fehlendem Wasser an; da die Ortsangabe Kadesch zuvor und danach nicht zur Passage selbst gehört, könnte sie eingeschoben sein. Der Ort des Geschehens wird in 20,13 mit Meriba benannt und als „Haderwasser“ erklärt. Nach 4. Mose 27,14 ist das Haderwasser allerdings fest mit Kadesch und der Wüste Zin verknüpft.

5.1.1.16 Kadesch – Edom – Berg Hor

Von (4. Mose 20,14) Kadesch aus will die Exodus-Gruppe durch das Gebiet des Königs von Edom ziehen, und zwar (20,17) auf der Königsstraße. Als Edom das verwehrt, biegt Israel ab (20,22), von Kadesch zum Berg Hor, wo (20,28) Moses Bruder Aaron stirbt.

5.1.1.17 Atarim – Arad – Horma

Da die Gruppe gleich erst vom Berg Hor aufbrechen wird, könnte es auch einen Einschub darstellen, dass sich auf dem Weg (4. Mose 21,1) nach Atarim stellt sich der kanaanitische König von Arad Israel entgegenstellt; daraufhin (21,2-3) kann Israel Arad vernichten, und der Ort wird Horma genannt.

5.1.1.18 Berg Hor – Schilfmeer

Weiter geht es (4. Mose 21,4) vom Berg Hor aus, um das Land Edom zu umgehen, wieder zum Schilfmeer. Da auf diesem Weg das Volk Israel wieder einmal murrt, wird es (21,6) von giftigen Schlangen gebissen.

5.1.1.19 Zum Arnon und ins Land Moab

Im nächsten Abschnitt werden die Ortsbeschreibungen zahlreicher und detaillierter, vielleicht weil die Gegend in der Nähe des Ziels der Wüstenwanderung liegt, wo sich die Nachkommen der dort Angekommenen später noch besser ausgekannt haben. Diese Passage zitiere ich wörtlich (4. Mose 21,10-20):

10 Und die Söhne Israel brachen auf und lagerten sich in Obot.

11 Und sie brachen auf von Obot und lagerten sich in Ije-Abarim in der Wüste, die vor Moab gegen Osten ist.

12 Von dort brachen sie auf und lagerten sich am Bach Sered.

13 Von dort brachen sie auf und lagerten sich auf der andern Seite des Arnon, der in der Wüste ist, der aus dem Gebiet der Amoriter hervorkommt. Denn der Arnon ist die Grenze von Moab, zwischen Moab und den Amoritern.

14 Darum heißt es in dem Buch der Kämpfe des HERRN: Das Waheb in Sufa und die Bäche des Arnon;

15 und der Abfluß der Bäche, der sich erstreckt nach dem Wohnsitz von Ar und sich anlehnt an das Gebiet von Moab.

16 Und von dort zogen sie nach Beer; das ist der Brunnen, von dem der HERR zu Mose sprach: Versammle das Volk! Und ich will ihnen Wasser geben.

17 Damals sang Israel dieses Lied: Steige herauf, Brunnen! Singt ihm zu!

18 Brunnen, den Oberste gegraben, den die Edlen des Volkes gehöhlt haben mit dem Zepter, mit ihren Stäben! Und aus der Wüste zogen sie nach Mattana;

19 und von Mattana nach Nahaliel; und von Nahaliel nach Bamot;

20 und von Bamot in das Tal, das im Gebiet von Moab ist, bei dem Gipfel des Pisga, der hinunterblickt über die Fläche der Wildnis.

5.1.1.20 Amoriter: Jahaz – Heschbon – Jaser – Baschan – Edrei

An diese Wegbeschreibung schließt sich eine Erzählung an, die an den durch Edom versperrten Weg erinnert (6.1.1.15). Dieses Mal (4. Mose 21,21-22) ist es Sihon, der König der Amoriter, der es Israel nicht erlaubt, auf der Königsstraße entlangzuziehen. Anders als bei Edom (21,23-25) kann Israel aber Sihon bei Jahaz schlagen und alles Land „vom Arnon bis an den Jabbok, bis zu den Söhnen Ammon“ einnehmen; nur „die Grenze der Söhne Ammon war fest.“ So wohnt Israel „in allen Städten der Amoriter, in Heschbon und in allen seinen Tochterstädten.“ In 21,26 und den folgenden Versen 28-31 wird erklärt, dass Sihon das Land zuvor von Moab erobert hatte.

Dann werden noch zwei weitere Städte bzw. Länder eingenommen (21,32), erstens Jaser mit seinen Tochterstädten, aus denen die dortigen Amoriter ausgetrieben werden, und zweitens (21,33-35) Baschan, dessen König Og bei Edrei besiegt wird.

5.1.1.21 Ebenen Moabs

Der Vers 4. Mose 22,1 klingt nach einem gewissen Abschluss der Wüstenwanderung, denn die „Söhne Israels“ lagern sich „in den Ebenen Moabs, jenseits des Jordan bei Jericho“. Eigentlich könnte sich jetzt die Geschichte der Landnahme Palästinas anschließen.

5.1.1.22 Einschub der Balak-Bileam-Geschichte

Von 4. Mose 22,2 bis 24,25 folgt nun ein langer Einschub, in der (22,4) Balak als König von Moab eingeführt wird, aber als solcher „zu den Ältesten von Midian“ spricht:

4 Jetzt wird dieser Haufe unser ganzes Land ringsum abfressen, wie das Rind das Grüne des Feldes abfrißt.“

Daher soll (22,5) der Prophet Bileam aus Petor am Strom die Israeliten verfluchen, den (22,36) Balak bei Ar am Arnon in Moab trifft und (22,39) mit dem er nach Kirjat-Huzot geht. Er verflucht Israel aber nicht, sondern segnet es, weder (22,41) von den Höhen des Baal aus noch (23,14) vom „Feld der Späher“ auf dem „Gipfel des Pisga“ aus noch (23,28) vom „Gipfel des Peor“ aus, „der hinunterblickt über die Fläche der Wildnis.“ Stattdessen (4. Mose 24) segnet er Israel und verflucht seine Feinde.

5.1.1.23 Schittim und Midianiter

In 4. Mose 25,1 „bleibt“ Israel in Schittim und treibt dort „Unzucht … mit den Töchtern Moabs“ und (25,3) „hängte sich an den Baal-Peor“. Daraufhin (25,6-9) tötet Pinhas eine Midianiterin mit ihrem Liebhaber, und 24000 sterben an einer Plage. Wegen (25,17-18) dieser midianitischen Fürstentochter Kosbi sollen die Midianiter geschlagen werden.

5.1.1.24 Ebenen Moabs

Direkt an 4. Mose 22,1 schließt sich die nach 25,3.63 „in den Ebenen von Moab, am Jordan bei Jericho“ lokalisierte Volkszählung an, die ergibt, dass kein in der Wüste Sinai gemusterter Mann außer Kaleb und Josua mehr am Leben ist. Das beruht auf der Vor­aussetzung der Niederschrift der Bibel, dass die Volkszählung am Sinai sofort am Anfang der 40 Jahre geschehen ist (datiert wurde diese in 4. Mose 1,1 genau ein Jahr und zwei Wochen nach dem Exodus) und auch der Berg Sinai somit auf jeden Fall bereits am Anfang der Wüstenwanderung erreicht worden sein müsste.

5.1.1.25 Gebirge Abarim

Nach 4. Mose 27,12-14 soll Mose auf das Gebirge Abarim steigen und nach einem Blick auf das Gelobte Land dort sterben (wegen seiner Verfehlung am Haderwasser von Kadesch in der Wüste Zin.

Von diesem Tod wird dann allerdings doch nicht berichtet, weil die Niederschrift ja davon ausgeht, dass das gesamte 5. Buch Mose eine Rede des Mose darstellt, die er vor seinem Tod hält.

5.1.1.26 Midianiter

Noch einmal ist in 4. Mose 31,2-3 davon die Rede, dass Mose sterben soll, aber vorher soll er noch einen Rachefeldzug gegen die Midianiter anführen, wobei (31,8) fünf Könige und Bileam getötet werden und (31,12) alles Geraubte „in die Ebenen von Moab, die am Jordan von Jericho sind“, gebracht wird.

Die anschließende Landverteilung im Ostjordanland an die Stämme Ruben, Gad und den halben Stamm Manasse lasse ich hier außer Acht, da sie schon zum Thema der Landnahme gehört.

5.1.2 Liste der Lagerplätze Israels nach 4. Mose 33

Nach Ludwig Schmidt <107> ist von

wenigen Ausnahmen wie z.B. →Kadesch (‘Ēn el-Qudērāt) abgesehen … eine Lokalisierung der Angaben über den Aufenthalt der Israeliten in der Wüste umstritten oder nicht möglich. Das gilt auch für das Stationenverzeichnis in Num 33,1-49, das nicht vor der Pentateuchredaktion angesetzt werden kann. In ihm wurden Angaben der Wüstenüberlieferung mit Itineraren verbunden, die vermutlich Handelswege von Ägypten (?) zu dem Hafen Ezjon-Geber am Nordende des Golfs von Aqaba und von dort durch die Araba nachTransjordanien beschrieben.

Aus der Liste der Lagerplätze in 4. Mose 33 würde sich demzufolge kaum eine historische Erinnerung an den tatsächlichen Verlauf der Wüstenwanderung entnehmen lassen. Ich führe die Lagerplätze trotzdem hier auf:

  1. Ramses
  2. Sukkot
  3. Etam am Rand der Wüste
  4. Pi-Hahirot, Baal-Zefon gegenüber, vor Migdol
  5. mitten durchs Meer in die Wüste, drei Tagereisen in der Wüste Etam bis Mara
  6. Elim: zwölf Wasserquellen und siebzig Palmbäume
  7. Schilfmeer
  8. Wüste Sin
  9. Dofka
  10. Alusch
  11. Refidim (kein Wasser)
  12. Wüste Sinai
  13. Kibrot-Hattaawa
  14. Hazerot
  15. Ritma
  16. Rimmon-Perez
  17. Libna
  18. Rissa
  19. Kehelata
  20. Berg Schefer
  21. Harada
  22. Makhelot
  23. Tahat
  24. Tarach
  25. Mitka
  26. Haschmona
  27. Moserot
  28. Bene-Jaakan
  29. Hor-Gidgad
  30. Jotbata
  31. Abrona
  32. Ezjon-Geber
  33. Wüste Zin, das ist Kadesch
  34. Berg Hor, am Rand des Landes Edom (Tod Aarons)
  35. Arad
  36. (Berg Hor) Zalmona
  37. Punon
  38. Obot
  39. Ije-Abarim, im Gebiet von Moab
  40. (Ijim) Dibon-Gad
  41. Almon-Diblatajim
  42. Gebirge Abarim östlich von Nebo
  43. Steppen von Moab, am Jordan gegenüber von Jericho
  44. Jordan von Bet-Jeschimot bis Abel-Schittim in den Steppen von Moab
5.1.3 Die Wüstenwanderung nach dem 5. Buch Mose

Nach 5. Mose 1,1 ist das gesamte 5. Buch Mose eine einzige Rede des Mose jenseits des Jordan (von Palästina aus gesehen).

5.1.3.1 Gottesberg Horeb und Sinai

Auffällig ist, dass das 5. Buch Mose den Gottesberg immer Horeb nennt und den Berg Sinai nur im letzten Kapitel erwähnt, und zwar im hymnenartig formulierten Segen Moses (5. Mose 33,2):

2 Der HERR kam vom Sinai und leuchtete ihnen auf von Seir. Er strahlte hervor vom Berg Paran und kam von heiligen Myriaden.

Aber obwohl nur ein Gottesberg vorausgesetzt wird, ist ziemlich am Ende des Buches in 5. Mose 28,69 dann doch auf einmal von einem zweiten Bund mit Gott die Rede, den Mose mit den Söhnen Israels im Land Moab schließen und der neben dem Bund vom Horeb gelten soll. Deutet diese Bemerkung darauf hin, dass es doch in dieser Gegend den Sinai als zweiten Gottesberg gab?

5.1.3.2 In elf Tagen vom Horeb bis Kadesch-Barnea

Von der Wüstenwanderung erwähnt das 5. Buch Mose gleich im 2. Vers (5. Mose 1,2) den Weg vom Horeb bis Kadesch-Barnea:

2 Elf Tage sind es vom Horeb, auf dem Weg zum Gebirge Seir, bis Kadesch-Barnea.

Nachdem (1,6) Gott zu Israel am Horeb geredet hatte und (1,9-18) Mose das Volk allein nicht tragen konnte, sollte es (1,7)

zum Gebirge der Amoriter und zu allen ihren Nachbarn in der Ebene, auf dem Gebirge, in der Niederung und im Süden und an der Küste des Meeres, in das Land der Kanaaniter und zum Libanon, bis an den großen Strom, den Euphratstrom {ziehen}.

Nach 1,19 brachen sie „auf vom Horeb und zogen durch diese ganze große und schreckliche Wüste“ bis „zum Gebirge der Amoriter“, und sie „kamen bis Kadesch-Barnea“. Dieses Kadesch-Barnea ist ein Ort, von dem aus man das Gelobte Land hätte erobern können. Wie in der anderen Erzählung (1,24) ziehen Kundschafter „ins Gebirge hinauf … bis zum Tal Eschkol“, aber Israel wagt es nicht, das Land einzunehmen und wird daraufhin mit der Verzögerung der Landnahme bestraft. Nach 1,44 jagen daraufhin die Amoriter „euch entgegen und … euch nach, wie es die Bienen tun, und zersprengten euch in Seir bis nach Horma“. Daraufhin blieb das Volk (1,46) „in Kadesch viele Tage, eben die Zeit, die ihr bliebet“. Erst im 5. Buch Mose wird die Zeit in Kadesch-Barnea also ausgedehnt; zuvor war davon nicht die Rede gewesen. Genau wird hier allerdings doch nicht gesagt, wie lange diese Zeit dauert; in 5. Mose 2,1 wendet sich das Volk zur Wüste, zum Schilfmeer, und sie „umzogen das Gebirge Seir viele Tage“.

5.1.3.3 In 38 Jahren von Kadesch-Barnea bis zum Bach Sered

Als es (2,3) „genug“ ist, soll sich das Volk nach Norden wenden, durch (2,4) das Gebiet der „Söhne Esau“ ziehen, die in Seir wohnen, (2,12) wo vorher die Horiter gewohnt haben, und dieses Gebiet soll auch weiterhin Esau gehören. Hier in 5. Mose 2,7 ist beiläufig davon die Rede, dass die Wanderung 40 Jahre gedauert hat. Es fällt auf, dass das 5. Buch Mose nichts davon weiß, dass auch Edom = Esau dem Volk Israel den Weg versperrt hätte.

Klar ist, dass das 5. Buch Mose die späteren um ein aus zwölf Stämmen bestehendes Israel herum ansässigen Völkerschaften voraussetzt. Ein pauschales Urteil über diese Völker enthält das Kapitel 23. Nach 5. Mose 23,8-9 soll Israel weder die Edomiter noch die Ägypter verabscheuen, da Esau Israels (= Jakobs) Bruder ist und Israel als Fremder in Ägypten leben durfte. Den Ammonitern und Moabitern dagegen wird es in 5. Mose 23,4-6 verboten, in die Versammlung Israels zu kommen, weil sie Israel nicht willkommen geheißen haben und weil Bileam im Auftrag Balaks Israel verfluchen wollte (was nicht so ganz im Einklang mit der anderen Erzählung steht). Weiterhin sind nach 5. Mose 25,17-19 die Amalekiter der absolute Erbfeind Israels, weil Amalek Israel beim Exodus „auf dem Weg entgegentrat und deine Nachzügler schlug“. Diese Verse könnten durchaus einer historischen Erinnerung entsprechen; dazu unten mehr.

Ausdrücklich wird dementsprechend bei der Beschreibung des weiteren Weges von Edom aus (2. Mose 2,8-10) – „weg von der Arabastraße, von Elat und von Ezjon-Geber … zur Wüste Moabs“ betont, dass auch Moab nicht zum Besitz von Israel gehören soll; stattdessen gehört Ar (Moab) den Söhnen Lots. Weiter geht es (2,13) über den Bach Sered und (2,18) durch „das Gebiet von Moab, von Ar“ bis (2,19-22) zur Grenze von Ammon, das auch den Söhnen Lot gehört (20-23).

Erst im Zusammenhang mit der Überquerung des Baches Sered wird die genaue Dauer der Strecke zwischen Kadesch-Barnea und dem Bach Sered mit 38 Jahren angegeben – ein eindrucksvoller Gegensatz zu den elf Tagen, die die Wanderung zwischen dem Berg Horeb und Kadesch-Barnea gedauert haben soll.

5.1.3.4 Einnahme von Gilead und Baschan, beider Amoriterländer

Im Gegensatz zu den Gebieten von Edom, Moab und Ammon, die nicht eingenommen werden, ist (2,24) nach dem Überschreiten des Flusses Arnon ausführlich vom Sieg über die beiden Könige der Amoriter, Sihon und Og, die Rede, deren Länder anschließend den Stämmen Ruben, Gad und halb-Manasse übergeben werden. Beide Länder der Amoriter sollen sich nach 5. Mose 3,8-10 vom Arnon bis zum Berg Hermon erstrecken, also über „alle Städte der Ebene und das ganze Gilead und das ganze Baschan bis nach Salcha und Edrei“.

5.1.3.5 Verfehlungen Israels: Von Massa bis Kadesch-Barnea

Auf andere Orte der Wüstenwanderung wird im 5. Buch Mose nur im Zusammenhang mit der Erinnerung an Verfehlungen Israels beiläufig Bezug genommen: In 6,16 wird erwähnt, dass Israel Gott bei Massa verbotenerweise auf die Probe gestellt hat, in 32,51 ist dagegen vom Wasser von Meriba-Kadesch in der Wüste Zin die Rede. Nach 9,8 hat Israel am Horeb Gott erzürnt hat, dasselbe ist nach 9,22 bei Tabera und Massa und Kibrot-Hattaawa geschehen; schließlich ist in 9,23 noch einmal von der Widerspenstigkeit bei Kadesch-Barnea die Rede.

5.1.3.6 Vom Tod Aarons auf dem Berg Moser / Berg Hor

Im Widerspruch zur Angabe, dass der Weg vom Berg Horeb nach Kadesch-Barnea nur elf Tage beansprucht habe, ist (5. Mose 10,1-5) nach dem Abstieg des Mose vom Berg Horeb mit den zweiten, von ihm selbst gehauenen Tafeln der Zehn Gebote (10,6-9) vom Aufbruch Israels von Beerot-Bene-Jaakan nach Moser die Rede, wo Aaron stirbt und von seinem Sohn Eleasar als Priester abgelöst wird. Anschließend geht es weiter nach Gudgoda und „Jotbata, einem Land mit Wasserbächen“, wo der Stamm Levi dazu ausgesondert wird, die Bundeslade mit den eben erhaltenen Gesetzestafeln zu tragen. Dann aber (10,10) steht Mose wieder vierzig Tage auf dem Horeb. Die Verse 6-9 mögen also wegen des Transportproblems der Bundeslade eingeschoben worden sein. Sie stehen zudem im Widerspruch zu 5. Mose 32,50, wo es – wie in 4. Mose 20,28 – heißt, dass Aaron auf dem Berg Hor gestorben ist.

5.1.3.7 Vom Tod Moses auf dem Berg Pisga / Nebo / Abarim

Nach 4. Mose 27,12-14 hatte Mose ja als Strafe für eine Verfehlung auf das Gebirge Abarim steigen, von dort aus das Gelobte Land sehen, aber es nicht betreten dürfen.

Im 5. Buch Mose gibt es mehrere widersprüchliche Angaben über den Ort, wo er seine Rede hält, von wo aus er das Gelobte Land sehen darf und wo er stirbt:

  • Der Standort seiner Rede liegt nach 5. Mose 1,1 „jenseits des Jordan, in der Wüste, in der Ebene, Suf gegenüber, zwischen Paran und Tofel, Laban, Hazerot und Di-Sahab“.
  • Nach 3,27 darf Mose das Land vom Gipfel des Pisga aus sehen, während (3,29) das Volk im Tal bleibt, Bet-Peor gegenüber.
  • In 5. Mose 32,49-50 wiederum heißt es wie in der anderen Erzählung, dass Mose auf das Gebirge Abarim steigen soll, allerdings ergänzt durch die zusätzliche Angabe: „auf den Berg Nebo im Land Moab…, Jericho gegenüber, wo er das Land sehen wird und sterben soll.
  • Schließlich wird in 5. Mose 34,1.5 beschrieben, wie Mose „von den Ebenen Moabs auf den Berg Nebo“ steigt, „den Gipfel des Pisga, der Jericho gegenüberliegt“, und dort stirbt.
  • Außerdem gibt es in dem Segen des Mose im Kapitel 33 noch die Bemerkung (33,5), dass Mose „König in Jeschurun“ wurde, wobei „Jeschurun“ ein Ausdruck für Israel ist, der nur noch in 5. Mose 32,15 und Jesaja 44,2 vorkommt.

Sind Sie verwirrt? Das wäre nicht verwunderlich. Meine Zusammenfassung der Ortsangaben zur Wüstenwanderung sollte deutlich machen, wie unübersichtlich die Angaben in der Bibel sind.

5.2 Die „falsche“ Wüstenwanderung nach Bauersachs

Konrad Bauersachs greift bei seiner Beschreibung der falsch rekonstruierten Wüstenwanderung durch die biblischen Autoren nur auf einen Teil ihrer Angaben zurück, von denen er nachweist, dass sie einer realen Reiseroute zwischen Ägypten und Transjordanien nicht entsprechen können.

5.2.1 Wann wurde Kadesch erreicht und wo liegt dieser Ort?

Die Aussage von Bauersachs (S. 215), dass die Exodus-Gruppe nach „der Flucht … zunächst die Oase Kadesch-Barnea“ erreicht und „sich hier über einen langen Zeitraum“ aufhält, ist in dieser Eindeutigkeit nicht ganz richtig.

Nach der Liste der Lagerplätze in 4. Mose 33 erreicht die Exodus-Gruppe Kadesch keineswegs gleich am Anfang, sondern erst als 29. Station (vom Durchzug durch das Meer an gerechnet), danach folgen nur noch 11 weitere Stationen bis zu den Steppen von Moab.

Die Erzählung in 2. und 4. Buch Mose verzeichnet Kadesch zwar bereits nach ungefähr 11 Stationen, danach kommen aber auch nur noch etwa 15 Stationen bis zu den Ebenen von Moab.

Ein langer Zeitraum wird zwar in 5. Mose 1,46 erwähnt („viele Tage“), aber unmittelbar im Anschluss daran ist von der Umkehr Israels zum Schilfmeer die Rede und dass sie „das Gebirge Seir viele Tage“ lang umzogen. Daraus lässt sich historisch überhaupt nichts entnehmen; diese Aussagen haben nur mit der späteren Deutung einer 40-jährigen Wüstenwanderung als Strafe Gottes zu tun, und zwar geographisch südlich von Palästina verortet. <108>

Sodann versucht Bauersachs den Ort Kadesch zu lokalisieren, der „alleine in den Mosebüchern 21 mal erwähnt“ wird, aber das ist nicht einfach. Die alttestamentliche Wissenschaft identifiziert ihn „hartnäckig mit Kadesch-Barnea … an der heutigen Grenze zwischen Israel und Ägypten“. Dagegen spricht aber nach Bauersachs (S. 216) eine Reihe von Gründen:

  • Wenn sich „die gesamte Exodus-Gruppe … mit ihren Herden … über Monate oder Jahre“ in der Oase Kadesch-Barnea aufgehalten hätte,

hätte es um das hier vorhandene lebenswichtige Wasser Auseinandersetzungen mit den Einheimischen geben müssen. Das Alte Testament weiß aber nichts von Versorgungsproblemen oder Konflikten mit der einheimischen Bevölkerung.

  • Da Kadesch-Barnea „nur etwa 50 Kilometer Luftlinie vom Mittelmeer entfernt“ ist, also ganz in der Nähe der Küstenstraße, die Ägypten mit Palästina verband und „als wichtige Handelsstraße entsprechend weiträumig militärisch gesichert“ war, ist es unwahrscheinlich, dass die Ägypter „es unterlassen haben sollten, regelmäßig eine große Oase wie Kadesch-Barnea zu kontrollieren“:

Kein Volk, das Hals über Kopf flieht, wird als Fluchtweg eine Marschroute wählen, die von genau den Truppen kontrolliert wird, mit denen man auf keinen Fall nochmal Kontakt haben möchte.

  • Schließlich (S. 217) kann die Archäologie für die Zeit „zwischen 1220 v. Chr. und 1180 v. Chr.“, in der die Wüstenwanderung nach Bauersachs stattgefunden hat, in „Kadesch-Barnea im Süden des heutigen Israel … keine Hinterlassenschaften finden“:

Ruinen eines Festungsbaus (etwa aus dem 7. Jahrhundert v. Chr.) im Raum Kadesch-Barnea ohne jeglichen Hinweis auf frühere bronzezeitliche Besiedlung dienen Finkelstein/ Silberman als Beweis, der Exodus habe nicht stattgefunden, bei der Exodus-Gruppe handle es sich um „Geisterwanderer“ <109>.

Auf der anderen Seite (S. 215)

kommt niemand auf den Gedanken, woanders als im heutigen Israel und der unmittelbaren Umgebung nach einem passenderen biblischen Kadesch zu suchen. Dass im Raum Mesopotamien zahlreiche Orte namens Kadesch – Qadisija existieren, wird gar nicht zur Kenntnis genommen, weil man hier nicht danach sucht.

Später wird Bauersachs genau dort einen eigenen Vorschlag der Lokalisierung unterbreiten.

5.2.2 Umwege nach Transjordanien

Weiterhin (S. 214) wundert sich Bauersachs darüber, dass „die Exodus-Gruppe am Ende einer langen und wirren Wüstenwanderung durch den Sinai angeblich nördlich des Golfes von Aqaba die Grenze Edoms“ erreicht und nun „dem bequemen Weg der Königsstraße nach Norden folgen“ will. Erstens fragt er sich, warum sie das bereits „von Kadesch-Barnea aus längst erkundet{e}“ Land überhaupt auf dem Umweg „über Transjordanien“ erreichen will, und zweitens, warum sich „die Exodus-Gruppe mit angeblich etwa drei Millionen Menschen von der Durchquerung Edoms abhalten lässt“, denn der (ihm zufolge ohnehin) „erfundene König von Edom hätte einer solchen Menschenmenge nicht den geringsten Widerstand entgegensetzen können.“

Vom Standpunkt der biblischen Autoren aus gesehen ist eine solche Rekonstruktion der Geschichte allerdings durchaus sinnvoll. Sie blickten ja entweder vom späteren Königreich Juda aus zurück (oder sogar erst aus der Zeit, als auch dieses Geschichte war, also aus der Zeit des babylonischen Exils oder sogar der anschließenden Perserzeit), und es lag ihnen nach der Vernichtung des Nordreichs Israel durch Assyrien daran, sich gemeinsam mit den Flüchtlingen aus dem Nordreich als Nachfahren eines großen Zwölfstämmevolkes Israel zu verstehen, dem einstmals von Gott das ganze Land Kanaan einschließlich weiterer Gebiete im Ostjordanland zugesprochen worden war. Alles, was im Zuge der Wüstenwanderungsgeschichte also von Edom, Moab, Ammon, Kanaan und anderen Völkern erzählt wird, soll also erklären, warum diese Völker entweder eingenommen werden mussten oder nicht durften. Diese Teile der rückblickenden Niederschrift sind also für die Aufspürung historischer Erinnerungen sicher auszuschließen.

Einen Umweg über Transjordanien musste die Niederschrift aber wohl genau deshalb voraussetzen, weil es alte Überlieferungen gab, die eben unwiderleglich aus diesem Gebiet stammten. Als Begründung für den Umweg bot sich eine Bestrafung durch Gott an (siehe Anm. 108).

5.2.2.1 Edom

Konrad Bauersachs hat also Recht, wenn er (S. 214) schreibt, dass die „rückblickende Geschichtsschreibung … einen edomitischen König“ erfand,

den es um 1200 v. Chr. definitiv noch nicht gegeben haben konnte und der aus Sicht der Niederschrift den Durchzug verweigern musste. Nur so konnte die Ankunft der Exodus–Gruppe in Moab tatsächlich von Osten her erfolgen; anders wäre die Route von Ägypten durch den Sinai zum Ziel Transjordanien nicht möglich gewesen.

Das heißt (S. 218), das spätere „Edom im Süden Transjordaniens“, das „sich etwa vom Südende des Toten Meers bis zum Nordende des Golfes von Aqaba“ erstreckte, wurde von der biblischen Niederschrift bereits in der Zeit der Wüstenwanderung vorausgesetzt <110>; unter Berufung (219) auf Israel Finkelstein ist sich Bauersachs

ganz sicher: Edom ist zum Zeitpunkt, als die Exodus-Gruppe angeblich auf der Königsstraße durchziehen wollte (um 1200 v. Chr.), kein Königreich gewesen und war nur von Nomaden besiedelt:

„Sie {die Ausgrabungen} beweisen, dass sich vor dem 10. Jhdt in Edom kein Staat entwickelt hat“. <111>

Zur tatsächlichen Lokalisierung eines im Zusammenhang mit der Wüstenwanderung erwähnten „Edom“ erwägt Bauersachs andere Möglichkeiten (S. 218), etwa „südlich von Amman … einen Ort Amad, einer Metathese von Edom“; er wird später

zeigen, dass die Exodus-Gruppe auf der „richtigen“ Route der Wüstenwanderung am Eingang zum Wadi Sirhan Kontakt mit dem historischen Stamm Adumutu hatte und eben nicht mit „Edom“. Diese Region war sowohl den Assyrern als auch den Ägyptern bekannt, weil sie auf einem Ost-West-„Königsweg“ an der kürzesten Strecke zwischen Babylonien und Transjordanien lag.

Skizze der biblischen Königsstraße
Verlief die biblische Königsstraße in südnördlicher oder ostwestlicher Richtung? (Karte: Konrad Bauersachs)
5.2.2.2 Die Königsstraße

Das heißt, Bauersachs (S. 217) geht davon aus, dass auch die biblische Erwähnung (4. Mose 20,17 und 21,22) der „Königsstraße, auf der Mose und die Exodus-Gruppe durch Edom und Moab ins Gelobte Land ziehen wollen“ und die „von Eilat am Golf von Aqaba entlang des Wadi Araba und des Jordangrabens über Amman bis nach Damaskus und Palmyra im Norden“ verlief, einer Angleichung an den später vorausgesetzten Wüstenwanderungsweg von Süd nach Nord entspricht.

Ursprünglich war (S. 219) aber „die Exodus-Gruppe durch das Wadi Sirhan herangezogen…, also von Südost (Babylonien) nach Nordwest (Transjordanien) unterwegs“ gewesen. Diese (S. 217) „Ost-West Strecke“, die „von Mesopotamien durch das Wadi Sirhan nach Amman in Transjordanien und weiter durch das Jordantal über Sichem zum Mittelmeer“ führte, war ein Weg (S. 218),

auf dem Händler und auch Truppen von Babylonien sicher und schnell das Mittelmeer erreichen konnten. Diese Verbindung hätte tatsächlich die Bezeichnung Königsstraße verdient.

5.2.2.3 Arad

Genau auf diesem Weg (S. 220), nämlich „auf der ‚richtigen‘ Route nach ihrem Umweg, den ein realer ‚König von Edom‘ erzwungen hat“, befindet sich auch ein „Ort Ridifa oder Radifa im Wadi Sirhan“, den Bauersachs mit der biblischen (4. Mose 21,1 und 33,40) Ortsangabe „Arad“ identifiziert.

Um (S. 219) „gegen einen kanaanäischen König von Arad“ kämpfen zu können, muss die spätere rückblickende Darstellung der Bibel allerdings voraussetzen (S. 219), dass „sich die Exodus-Gruppe auf ihrem Umweg um Edom herum“, der ja nach Osten führen müsste, plötzlich „wieder 80 km westlich im judäischen Bergland“ befindet.

5.2.2.4 Moab

Auch im Zusammenhang mit Moab geht Bauersachs auf zahlreiche Widersprüchlichkeiten ein (S. 220):

Moab ist Edoms nördlicher Nachbar und wäre ohne den konstruierten Umweg nach Arad das nächste Land gewesen, das die Exodus-Gruppe hätte passieren müssen. Nachdem die Exodus- Gruppe mit JAHWEs Hilfe die Kanaaniter von Arad westlich des Toten Meers besiegt hat, brechen sie auf und erreichen erneut auf einem rätselhaften Umweg über Obot endlich den Ostrand Moabs.

Der anschließend berichtete Sieg über „die beiden Amoriterkönige Og und Sihon“, die „es definitiv nie als selbständige Könige gegeben“ hat, ist „eine Erfindung der Niederschrift“:

Nach den Siegen über diese fiktiven Regenten nimmt die Exodus-Gruppe angeblich auch das ganze Land nördlich des Arnon bis nach Edrei im heutigen Syrien (Dera’a) in Besitz. Wieder einmal wurden bei der Niederschrift die historischen Zeitabläufe und die geographische Realität gründlich verdreht und die Alttestamentler folgen willig. Ich identifiziere das biblische Edrei mit dem jordanischen Aruda am Westrand der Madaba-Hochebene.

Unvermittelt kehrt die Exodus-Gruppe aus dem heutigen Syrien zu den Ebenen Moabs zurück und will um 1180 v. Chr. auch noch Moab angreifen; das 4. Buch Mose erzählt hier die Geschichte um den Seher Bileam und den moabitischen König Balak. Hinter dieser Erzählung versteckt sich erneut ein historisches Ereignis, das aber wesentlich später stattgefunden hat (um 880 v. Chr.). Ich behandle es deshalb weiter unten im Zusammenhang mit den dazu zeitgleichen Vorfällen.

An dieser Stelle beginnt Bauersachs sein Kapitel über die „richtige“ Wüstenwanderung, das er allerdings mit weiteren Erwägungen über die „falsche“ Wüstenwanderung einleitet.

5.2.3 Warum wurde die Wüstenwanderung falsch erinnert?

Warum (S. 222) „man bisher vergebens nach der richtigen Reiseroute“ der biblischen Wüstenwanderung sucht, das liegt nach Bauersachs zunächst „ganz einfach an der Verknüpfung des Exodus mit Ägypten: Die Wüstenwanderung wird traditionell in den Sinai verlegt und kann dort nie stattgefunden haben.“ Dem kann ich voll und ganz zustimmen.

Auch dass man die Erinnerungen an die „Wüstenwanderung mit den mündlich überlieferten Lagerplätzen und den zugeordneten Begebenheiten … erst hunderte Jahre danach niedergeschrieben“ hat und auf „diese Weise … durch Hör- und Schreibfehler wesentliche Informationen verloren“ gegangen sind, „egal ob nun Ortsnamen verfälscht oder die zeitliche Reihenfolge der Ereignisse umgestellt worden ist“, kann ich mir gut vorstellen.

Schließlich ist es für die Zeit, als die „Geschichte des Volkes Israel“ niedergeschrieben wurde, und zwar frühestens „nach 700 v. Chr.“, auch nachvollziehbar, dass

der Auszug aus dem mesopotamischen „Ägypten“ in der kollektiven Erinnerung längst zu einem Auszug aus dem realen Ägypten geworden {war}. Zu nahe ist das heutige Ägypten und zu ähnlich sind die geographischen Verhältnisse, als dass es schließlich bei den Schreibern Zweifel am eigentlichen Land des Exodus hätte geben können.

Wenn Bauersachs allerdings meint, als „größte Fehlerquelle“ annehmen zu müssen, „dass nur wenige Erwachsene den kompletten Exodus samt Vorgeschichte miterlebt und schließlich das Gelobte Land erreicht haben“, beruft er sich auf die unglaubwürdige und sicher nicht historische Angabe der Bibel (siehe Anm. 108), dass die Wüstenwanderung 40 Jahre gedauert hätte. Seine Spekulationen darüber (S. 223), wie die „sechs- bis zehnjährigen Kinder … den Exodus noch furchtsam-staunend selbst“ erlebten, „in den Jahren bis zur ‚Landnahme‘ selbst fast zu Großeltern“ heranwuchsen und „ihre Geschichte als Mischung aus dem eigenem kindlichen Erleben und Erzählungen ihrer Eltern“ weitergaben, haben daher keinerlei überzeugende Basis.

5.2.4 Kann die Wüstenwanderung 40 Jahre gedauert haben?

Dass Bauersachs eine 40 Jahre dauernde Wüstenwanderung nicht von vornherein ausschließt, ist übrigens schon deswegen verwunderlich, weil er ja selber weiß, dass eine „40 Jahre dauernde Wanderung von rund 3 Millionen Menschen mit ihren Herden durch eine wüstenähnliche Landschaft“, wie sie die Bibel mit ihren „phantastisch hohen Zahlen“ voraussetzt, völlig unmöglich ist:

Wenn man die heutige Einwohnerzahl Israels von rund 6 Mio. in Relation zu den tradierten biblischen Zahlen setzt, wird offensichtlich, dass die wortgetreuen Übersetzungen der Zahlenangaben des Alten Testaments falsch sein müssen. Finkelstein schätzt die sesshafte Bevölkerung des westlichen Palästinas zur Richterzeit (der Übergangsphase zwischen biblischer „Landnahme“ und Königtum) auf rund 60.000 Menschen <112>.

Für ihn stellt „die Exodus-Gruppe“ als „der ‚harte Kern‘ aller Flüchtlinge, die den Exodus mitgemacht“ und „Transjordanien erreicht hat“, nicht „ein Volk im heutigen Sinne“, sondern „mehrere verwandte Nomadenstämme mit nicht wesentlich mehr als 600 Mitgliedern“ dar.

Obwohl Bauersachs (S. 226) „die 40 biblischen Jahre als Gesamtdauer der Wüstenwanderung“ also nicht unbedingt „ernst nehmen will“, übernimmt er inkonsequenterweise aber dann doch (S. 227) „wider besseres Wissen … pro forma diesen Zeitrahmen“, indem er einen viele Jahre umfassenden Aufenthalt bei der Oase Al Quadisija am Euphrat voraussetzt, mit der er (siehe unten) das biblische Kadesch-Barnea identifizieren wird. Davon ausgehend berechnet er die gesamte Länge der Wüstenwanderung folgendermaßen:

Von Kadesch-Barnea sind es, mit dem seltsamen Umweg über Edom und Moab, etwa 300 km bis zur Jordanüberquerung; zwei Jahre Reisezeit sind dafür viel zu lange. Selbst wenn man die zusätzliche Entfernung von 200 km bis Ägypten einrechnet, sollten sechs bis sieben Monate ausreichen. Beim Aufenthalt in Kadesch-Qadisija muss die erheblich größere Distanz von 1300 km für die Wüstenwanderung ins Gelobte Land berücksichtigt werden, dazu kommen 350 km Wegstrecke seit der Durchquerung des „Roten Meeres“ bei Basra.

Meiner Rechnung liegen kurze durchschnittliche Tagesetappen mit 3 Kilometer zugrunde, der eigentliche Aufenthalt in Kadesch-Qadisija hätte also 37½ Jahre dauern sollen. Hier die Berechnung zur Übersicht: Für 1650 km Strecke brauchen die Wanderer bei täglich zurückgelegten 3 Kilometern 1 ½ Jahre, dazu 11 Monate Rast am Sinai ergeben rund 2½ Jahre für die Wanderung. Die Unterbrechung der Wanderung am Sinai für fast ein Jahr (Mai bis April) habe ich berücksichtigt, obwohl mir die Pause unsinnig scheint. Sie ist wohl der Niederschrift zu verdanken und kann mit der Bedeutung des Berges Sinai erklärt werden.

Wie bereits mehrfach angedeutet, kann ich diese Berechnung allenfalls insofern nachvollziehen, als auch ich 1½ bis 2 Jahre als Zeitdauer für eine solche Wanderung von Kleinviehnomaden mit ihren Herden für möglich halte.

Ein Aufenthalt von mehreren Jahren bei Al Qadisija oder einem knappen Jahr an einem Gottesberg Sinai (oder auch Horeb) ist historisch aber durch nichts zu begründen. Auszuschließen sind längere Aufenthalte natürlich ebensowenig, zumal ich davon ausgehe, dass die Exodus-Gruppe nicht unbedingt von Anfang an ein klares Ziel vor Augen hatte.

5.3 Eine rekonstruierte Wanderroute der Exodus-Gruppe

Beginnen wir nun also (S. 224), die „Wanderroute der Exodus-Gruppe“ zu rekonstruieren, das heißt, ihre in der Bibel angegebenen Lagerplätze geographisch möglichst korrekt zu lokalisieren. Nach Bauersachs sind die

Voraussetzungen dafür … günstig: Ich kenne den Ort des Exodus und das Ziel der Wanderung. Das „Gelobte Land“ des Alten Testaments war ursprünglich allerdings Transjordanien und nicht Israel, wie ich unten zeigen werde!

Weiterhin kann Bauersachs davon ausgehen, dass sich „Nomaden mit ihren Herden … unbedingt an Wasserstellen halten“ und deshalb „den Karawanenstraßen“ folgen mussten, „die sich seit damals nicht wesentlich geändert haben“.

Ansonsten stützt sich Bauersachs weitgehend auf Namensähnlichkeiten heute auf Landkarten angegebener Orte, Berge oder Landschaften mit entsprechenden Namen der biblischen Überlieferung, die aber oft eine nur sehr vage Übereinstimmung bieten und daher nicht sehr zuverlässige Schlussfolgerungen erlauben.

Mir ist der Gedanke gekommen, die Wüstenwanderung in größere Streckenabschnitte aufzuteilen, indem ich sie zunächst einmal den Namen der Wüsten zuordne, von denen es in der biblischen Erzählung nur so wimmelt. Mindestens sechs Wüsten werden namentlich genannt, weitere mit klaren Landschaftsangaben verbunden. Dass in der biblischen Niederschrift manche Gegenden mit unterschiedlichen Wüsten geradezu überfüllt sind, ist nicht verwunderlich, wenn man bedenkt, dass es zwischen dem realen Ägypten und Transjordanien bei weitem nicht so viel Platz gibt, um so viele verschiedene Wüsten unterzubringen, wie es sie aller Wahrscheinlichkeit auf einer zwischen Chuzistan und Transjordanien gelegenen Strecke gegeben hat.

Gegen meine Idee spricht, dass es nur in einem einzigen Fall in der jeweiligen Gegend eine Entsprechung für den von mir erwogenen Wüstennamen gibt; um so mehr andere Erwägungen gleichen dieses Argumentationsdefizit aber meines Erachtens aus.

Auf die Wüste Etam, die nur in 4. Mose 33,8 erwähnt wird und sich sicher auf die Wüste nördlich des Tigris bezieht, durch die die Exodus-Gruppe in Richtung auf das Meer des Durchzugs geflohen sind, gehe ich nicht weiter ein.

Skizze der Wüstenwanderung vom Durchzug durchs Meer bis Kadesch-Quadisija
Die ersten Etappen der Wüstenwanderung: die Wüsten Etam, Schur und Paran (Karte: Konrad Bauersachs)

Sechs Wüstenwanderungsetappen unterscheide ich, indem ich mein Augenmerk auf die Wüste Schur, die Wüste Paran, die Wüsten Sin und Zin, die Wüste Sinai sowie nach der Wanderung durch das Wadi Sirhan die Wüste „vor Moab gegen Osten“ richte.

5.3.1. Etappe 1: Wüste Schur – vom „Schilfmeer“ bis zum Horeb

Als erste Wüste nach dem Durchzug durch das „Schilfmeer“, das in Wirklichkeit das vom Wasser des Persischen Golfs überflutete Flusstal von Euphrat und Tigris gewesen ist, erreicht die Exodus-Gruppe gemäß 2. Mose 15,22 die Wüste Schur (vgl. 5.1.1.1).

Dafür, dass eine solche Wüste tatsächlich in der Gegend südlich von Zubair gelegen haben kann, spricht der oben behandelte Erzählkreis um Isaak und Hagar, denn die in 1. Mose 16,6 erwähnte Wasserquelle befindet sich „auf dem Weg nach Schur“, das also nicht sehr weit weg im Westen gelegen haben kann.

Auch in einer der Erzählungen von der Gefährdung der Ahnfrau, die in 1. Mose 20,1 mit Abraham „im Land des Südens“ verbunden wird, wohnt Abraham „zwischen Kadesch und Schur“. Zwar ist diese Erzählung sicher erst später auf Abraham übertragen worden, aber die Verbindung von „Schur“ mit einer von der Heimat Abrahams im Kuh-e-Mish Dagh aus gesehen im Süden liegenden Gegend legt nahe, dass sich die Bezeichnung „Schur“ vielleicht sogar auf die gesamte Ebene beiderseits des Unterlaufs von Euphrat und Tigris bezogen hat. Oder doch wenigstens auf die Gebiete südlich davon, die uns hier interessieren.

Mit dieser Verortung gerate ich aber in einen schweren Konflikt mit Konrad Bauersachs. Er setzt nämlich (S. 230) die in 2. Mose 15,22 erwähnte Wüste Schur mit der „Umgebung des heutigen Ortes As Ašuriya“ gleich,

in dem auch „Assyrien“ anklingt. Der Ort liegt rund 50 km südlich von al Lašaf auf dem Weg der Exodus-Gruppe. Die beiden Orte al Lašaf und As Ašuriya sind heute durch eine Piste verbunden, von As Ašuriya führt die Straße weiter nach Radifa, wo zahlreiche Wasserstellen liegen.

Die „Wüste“ Schur sollte also diese beiden rund 60 km voneinander entfernten Orte trennen; eigenartigerweise verzeichnen auch Detailkarten in dieser Gegend keinen Platz mit dem Namen „Schur“, so dass wohl der Ort As Ašuriya namensgebend für die Region „Schur“ ist.

Mit der Bezeichnung „Wüste“ assoziieren wir heute lebensfeindliche Verhältnisse, der hebräische Begriff MiDBaR steht aber ebenso für Wildnis, Weideland oder unbewohntes Land und beschreibt so exakt die Verhältnisse auf dem Weg von Lašaf nach Ašuriya.

Diese Argumentation überzeugt mich nicht. Da Bauersachs später (S. 231f.) ganz in der Nähe einen nachvollziehbaren Vorschlag zur Identifikation der Wüste Sin machen wird, leuchtet mir nicht ein, warum in nur 25 km Entfernung ein weiterer Ort zum Namensträger der Wüste Schur werden soll. Wenn das stimmen würde, müssten die so bezeichneten Gebiete recht klein sein; das entspricht aber nicht dem Eindruck, den sämtliche Erwähnungen der verschiedenen Wüsten in der biblischen Erzählung machen, dass sie sich nämlich auf eine größere Wüstengegend beziehen, in denen jeweils eine Vielzahl von Orten anzutreffen ist.

Hinzu kommt, dass die Namensähnlichkeit zwischen Ašuriya und Schur auf einem bloßen Zufall beruhen kann und dass ich nachher sowohl die Identifikation von Alusch mit Al Lašaf als auch die von Bauersachs angenommene parallele Wanderroute einer „Nordgruppe“ der Exodus-Leute in Frage stellen werde.

Dass er den Ort Aš Ašuriya auch mit Assyrien assoziiert, hat damit zu tun, dass er in der Bibel „ein weiteres Schur in 1. Mose 25,18“ findet, das „vor Ägypten“ liegen soll (1. Mose 25,18):

18 Und sie {Nachkommen Ismaels} wohnten von Hawila {das ist das heutige Arbil} an bis nach Schur, das vor Ägypten liegt, nach Assur hin…

Dazu weist Bauersachs darauf hin, dass die Ergänzung „nach Assur hin“ diese Lokalisierung als unglaubwürdig erweist, denn

Ägypten liegt von Israel aus gesehen im Südwesten, Aššur liegt mehr als 1200 km Luftlinie vom Sinai entfernt im Nordosten, also genau entgegengesetzt im Rücken des Betrachters. Die beiden Orte Schur können also nicht identisch sein.

Allerdings übersieht Bauersachs, dass es noch zwei weitere Bibelstellen gibt, in denen dasselbe „Schur“ erwähnt wird wie in 1. Mose 25,18. Auch nach 1. Samuel 15,7 und 27,8 soll es „vor Ägypten“ liegen bzw. sich „bis zum Land Ägypten“ erstrecken, und zwar beide Male im Zusammenhang mit einem Kampf Sauls bzw. Davids gegen die Amalekiter.

Genau das aber ist ein weiteres Argument für die Verortung der Wüste Schur gleich am Anfang der Wüstenwanderung, denn hier stellt sich Amalek der Exodus-Gruppe in den Weg.

5.3.1.1 Aufbruch vom „Schilfmeer“

Bevor ich mich mit den Ereignissen in der Wüste Schur beschäftige, muss ich noch einmal auf den Ausgangspunkt der Wüstenwanderung zurückkommen. An späterer Stelle (S. 229) schreibt Bauersachs, dass die Exodus-Leute von Al Qadisija aus (in dem er, wie gesagt, das biblische Kadesch-Barnea wiedererkennt) zur etwa 150 km weiter westlich liegenden Wüste Schur „erneut von einem ‚Schilfmeer‘ aufbrechen“, was er mit „der schilfreichen Umgebung von Kadesch-Qadisija am Euphrat“ begründet und was mit „dem alttestamentlichen ‚Schilfmeer‘ Golf von Aqaba … nicht das geringste zu tun“ hat. Dazu beruft sich Bauersachs auf 2. Mose 15,22:

2. Mose 15,22 Und Mose ließ Israel vom Schilfmeer aufbrechen, und sie zogen hinaus in die Wüste Schur und wanderten drei Tage in der Wüste und fanden kein Wasser.

In diesem Vers ist allerdings keineswegs davon die Rede, dass die Exodus-Gruppe „erneut“ aufbricht. Vielmehr schließt die zitierte Stelle unmittelbar an das Loblied Moses, Mirjams und der „Söhne Israels“ an, die Gott für ihre Errettung danken. In diesem Lied ist auch davon die Rede (2. Mose 15,4), dass der „Wagen des Pharao und seine Streitmacht … im Schilfmeer“ versank. Bereits oben war das ein kleiner Stolperstein für die Auslegung gewesen, da das Meer des Durchzugs ja definitiv aus dem Brackwasser der mit Flusswasser vermischten Fluten des Persischen Golfs bestand und kein Schilfmeer war; dennoch wurde es (zumindest nachträglich) an dieser Stelle so genannt. Wenn nun genau im daran anschließenden Vers der allererste Aufbruch vom Schilfmeer geschildert wird, bezieht sich dieses Schilfmeer eindeutig zurück auf das eben noch besungene Meer des Durchzugs.

Es besteht also gar kein Grund, ein solches Schilfmeer in der Gegend der modernen Oasenstadt Al Qadisija zu suchen. Der antike Ort Al-Qādisiyyah lag im Gegensatz zur heutigen gleichnamigen Stadt anscheinend sowieso ziemlich weit draußen in der Steppe, so dass auch dort ein Schilfmeer kaum zu finden sein dürfte. <113>

Dabei geht es mir, wohl gemerkt, nur um den Ort des Aufbruchs und nicht um die Zielangaben in 2. Mose 15,22 bis 16,36. Was dort von den Orten Mara und Elim sowie von der Wüste Sin erzählt wird, wurde wahrscheinlich hier eingeschoben, um zunächst über die Sicherstellung der Versorgung der Exodus-Gruppe mit Wasser und Nahrung zu berichten. Ich werde auf die Abschnitte 5.1.1.2 und 5.1.1.3 der Wüstenerzählung später eingehen.

5.3.1.2 Amalek bei Refidim oder Bani Malik bei Rafidia?

Als (S. 224) „erste Bewährungsprobe … nach dem Durchzug durchs Rote Meer“ steht der Exodus-Gruppe nach Bauersachs „die Auseinandersetzung mit ‚Amalek‘ bevor.“ <114> Ein „Volk Amalek“, das nach dem biblischen Exodusbericht „zu Zeiten der ‚Landnahme‘ zwischen Ägypten und Südpalästina“ zu Hause gewesen sein soll, hat es dort aber „nie gegeben“:

Ein Amalek finden wir aber unweit des heutigen Basra: Im Stadtteil Bani Malik Al Shamaliya liegt die archäologische Stätte Anas Ibn Malik, die lautlich an das biblische Amalek erinnert, aber aus einer späteren Zeit stammt <115>.

Die namensgebende Stammesbezeichnung Bani Malik kann aber schon erheblich älter sein; die Untergruppe der Al-Ismail führt sich auf Ismael, den Sohn Abrahams zurück.

Es ist nachvollziehbar, dass die „Ankunft der Exodus-Flüchtlinge mit den Herden … von diesem Volk ‚Amalek‘ … als Bedrohung empfunden“ worden sein könnte. Ob es allerdings einen „heldenhaften Kampf gegen diesen Feind“ gegeben hat, dürfte zu bezweifeln sein.

Ich nehme allerdings auch nicht wie Bauersachs an, dass „die Exodus-Gruppe“ einfach „das Gebiet der ‚Amalekiter‘ in einem großen Bogen umgangen“ hat, denn mich hat schon immer beschäftigt, warum in der Bibel gerade von Amalek mit einem derartigen Hass die Rede ist wie von keinem anderen Volk. So heißt es etwa in 2. Mose 17,14 im Zusammenhang mit dem angeblich soeben errungenen Sieg über die Amalekiter:

14 Danach sprach der HERR zu Mose: Schreib dies zum Gedächtnis in ein Buch und lege in die Ohren Josuas, daß ich die Erinnerung an Amalek vollständig unter dem Himmel auslöschen werde!

An einer ganz anderen Stelle finde ich eine Erklärung für diesen glühenden Hass, nämlich in 5. Mose 25,17-19:

17 Denk daran, was Amalek dir getan hat auf dem Weg, als ihr aus Ägypten zogt,

18 wie er dir auf dem Weg entgegentrat und deine Nachzügler schlug, alle Schwachen hinter dir, als du erschöpft und müde warst, und daß er Gott nicht fürchtete.

19 Und wenn der HERR, dein Gott, dir Ruhe verschafft hat vor allen deinen Feinden ringsum in dem Land, das der HERR, dein Gott, dir als Erbteil gibt, es in Besitz zu nehmen, dann sollst du die Erinnerung an Amalek unter dem Himmel auslöschen. Vergiß es nicht!

Ist es nicht denkbar, dass in diesen Versen 17-18 eine Erinnerung an etwas aufbewahrt ist, was bereits kurz nach dem Entrinnen aus der Verfolgung der Streitwagen des Kidin-Hutran und der Wassermassen des Orkans geschehen sein kann: Dass nämlich Angehörige des Stammes der Bani Malik sich tatsächlich an Nachzüglern der Flüchtlinge und ihrer Herden, an vor Erschöpfung geschwächten Menschen und Tieren, vergriffen haben? Gerade wenn man nicht in der Lage war, sich gegen einen solchen Übergriff zu wehren, ist es verständlich, wenn sich ein niemals zu stillender Rachedurst mit einem solchen Erlebnis verbindet.

Verbunden wird (2. Mose 17,8) der Angriff der Amalekiter auf die Exodus-Gruppe mit dem Ort Refidim. Dazu Bauersachs (S. 225):

Etwa bei Zubair haben die Flüchtlinge nach dem Durchzug durchs „Rote Meer“ das höher gelegene Festland erreicht. Rund 10 km südlich davon liegt heute die kleine Stadt Rafidia, hier ist die Verbindung zum biblischen Refidim offensichtlich.

Da nun die Bibel den Kampf gegen Amalek mit der Erzählung verknüpft, wie Mose diesen Kampf allein durch sein Gebet zu JHWH mit erhobenen Armen entscheidet, das er ˁAL RoˀŠ HaGiBˁAH = „auf dem Gipfel des Hügels“ vollzieht, ist es für Bauersachs naheliegend, dass „der 145 m hohe Hügel Djebel Sanam“ <116>, der „südwestlich (30 km) von Refidim-Rafidia … bei Safwan … die weite Ebene“ überragt, genau diesen „Feldherrnhügel“ darstellt, „von dem aus Mose und seine Begleiter einen vollständigen Überblick über die Kämpfenden hatten“.

Allerdings ist Bauersachs nicht nur skeptisch, was das berichtete Wunder angeht, sondern auch hinsichtlich der Frage, ob es die „kampfeslustigen Amalekiter … überhaupt gegeben hat“. Daher bleibt letztlich doch wieder die Frage offen, ob dieser Hügel überhaupt im Zusammenhang mit den Amalekitern von Bedeutung ist.

Russische Karte, die die Gegend zwischen Basra und dem Djebel Sanam zeigt
Ausschnitt einer russischen Landkarte, die unten links nahe der heutigen Grenze zu Kuwait westlich von Safwan den Djebel Sanam zeigt, rechts oben Basra und in dem Kreis in der Mitte den Ort Rafidia (Quelle: Generalstabskarte Basra, herausgegeben 1975, Autor M. I. Bartenev, Redakteur N. I. Uletov)
5.3.1.3 Der Djebel Sanam als der Gottesberg Horeb

Ich erlaube mir allerdings, darüber nachzudenken, ob dieser „Djebel Sanam“, der tatsächlich „die einzige natürliche Erhebung im weiten Umkreis“ ist, nicht eine viel wichtigere Rolle für die Exodus-Gruppe gespielt hat. Bauersachs selbst hält es für wahrscheinlich, dass er wohl eine „Opferstätte für das Volk ‚Amalek‘“ gewesen ist;

der Name Sanam könnte könnte auf das babylonische sinu für Mondgott zurückzuführen sein. Mit der respektlosen Wahl dieses heiligen Platzes als Feldherrnhügel hätte Moses fraglos den Grundstein des Sieges über das Volk Amalek gelegt, falls es diesen Kampf tatsächlich gegeben hat.

Er erinnert weiter daran (S. 226), dass die

zahlreichen Tempelhochbauten (Turmbau zu Babel, Dur Kurigalzu, Čoga Zanbil) im völlig ebenen Zweistromland … Ersatz für die fehlenden Berge {waren}, die andernorts den Menschen als Opferplätze gedient haben. Der Turm zu Babel war sicher nicht, wie im Alten Testament geschildert, als Herausforderung Gottes gebaut worden, im Gegenteil: Die Absicht war, dem Gott näherkommen zu können und dem Stadtgott Marduk eine Treppe herab zur Erde anzubieten.

Mit einem biblischen Gottesberg will Bauersachs den Sanam allerdings nicht in Verbindung bringen, obwohl das eben genannte Argument doch eindeutig dafür spricht:

Der biblische Sinai als Berg der Verkündung war dieser Hügel sicher nicht; die Schilderung des Alten Testaments weist auf einen tätigen Vulkan hin. Der nächstgelegene in erdgeschichtlich jüngster Zeit (zu „Menschengedenken“) tätige Vulkan Djebel Amud liegt etwa 100 km westlich der arabischen Stadt Ar’ar auf dem Wüstenweg von Kadesch-Qadisija ins Gelobte Land; mit diesem Berg werde ich mich später noch ausführlich auseinandersetzen.

Hier stellt sich nun aber Bauersachs in seiner Argumentation selbst ein Bein. Warum sollte man nicht die biblische Erzählung insofern ernst nehmen, als es auch schlicht und einfach zwei verschiedene Gottesberge gegeben haben könnte – nämlich den Horeb UND den Sinai? <117> In meinen Augen ist der Djebel Sanam ein idealer Kandidat für den biblischen Horeb, während man in dem Djebel Amud ein Gegenstück des biblischen Sinai erblicken kann.

Für die Identifikation des Horeb mit dem Sanam spricht sogar noch eine ganze Reihe anderer Gründe.

5.3.1.3.1 Gott offenbart sich „auf dem Felsen am Horeb“

Zum ersten war war Bauersachs in seiner Besprechung der Ortschaft Rafidia auf eine Einzelheit gar nicht eingegangen, nämlich, dass es dort (2. Mose 17,1) bei Refidim zunächst einmal „kein Wasser zum Trinken für das Volk“ gibt. Die Leute beschweren sich bei Mose, der wiederum auf sein Schreien zu Gott hin die Anweisung bekommt (17,5-6), er solle zusammen mit einigen der „Ältesten Israels“, also der Verantwortlichen seiner Gruppe, vorausgehen. Und was Gott dann wörtlich sagt, kann meines Erachtens nur auf eine einzige Art und Weise ausgelegt werden:

6 Siehe, ich will dort vor dich auf den Felsen am Horeb treten. Dann sollst du auf den Felsen schlagen, und es wird Wasser aus ihm hervorströmen, so daß das Volk zu trinken hat. Und Mose machte es so vor den Augen der Ältesten Israels.

Gott offenbart sich also dem Mose und den anderen Verantwortlichen der Exodus-Gruppe, indem er ˁAL HaTsUR BɘḪoReB = „auf den Felsen am Horeb“ tritt. Das heißt, hier wird vorausgesetzt, dass der Horeb unmittelbar in der Nähe ist – welcher Berg sollte das aber so nahe bei Rafidia sein, wenn nicht der Djebel Sanam?!

5.3.1.3.2 Mose errichtet einen Altar mit dem Namen JHWH NiSsiJ

Zweitens bezweifle ich zwar, dass die Begegnung mit Amalek genau wie in der Bibel beschrieben vor sich gegangen ist, sie kann aber ebenfalls in der Nähe des Djebel Sanam vor sich gegangen sein. Und vielleicht wurde hier tatsächlich zum Dank für die Errettung aus der Gefahr (trotz möglicherweise einiger Opfer unter den Schwachen und Nachzüglern) ein Altar errichtet, dem der Name JHWH NiSsiJ gegeben wurde, wobei das Wort NiSsiJ sogar auch (metathetisch!) zu dem Namen Sanam passen würde.

5.3.1.3.3 Der Priester Jitro besucht Mose am Gottesberg Horeb

Noch mehr passt aber drittens dazu, dass unmittelbar danach (2. Mose 18,1-4) der Priester Jitro, der vom Exodus erfahren hatte, seine Tochter Zippora und ihre Söhne Gerschom und Elieser zu Mose an den Gottesberg bringt (der eben noch Horeb genannt wurde). Beides spricht sowohl dafür, dass das „Midian“, wo Jitro wohnt, nicht weit entfernt vom Ort des Durchzugs durch das „Meer“ liegt, als auch dafür, dass Mose seine Familie zuvor durchaus von Chuzistan aus zu seinem Schwiegervater zurückgeschickt haben kann.

Bestätigt wird hier auch, dass Mose keineswegs nur ein Karawanenführer ist, der erst ca. 300 km weiter nordwestlich und ca. 40 Jahre später in Kadesch-Qadisija von der Exodus-Gruppe engagiert werden wird, sondern eben der von mir als Ḫabiru beschriebene Rebell gegen die Fronarbeit in Chuzistan, der nach seinem Totschlag an einem Sklavenaufseher in eine Gegend geflohen war, die gar nicht weit von diesem Djebel Sanam gelegen hat.

Auch nach 2. Mose 3 soll ja das „Midian“, wohin Mose seine Zuflucht gefunden hatte, in der Nähe des Gottesberges Horeb gelegen haben. Ob sich das Widyan-Gebiet westlich des Euphrat so weit nach Süden zieht, kann ich allerdings nicht sagen, wenn ja, würde das nicht einmal der Lokalisierung von „Midian“ widersprechen, die Bauersachs auf Seite 185 vorgenommen hat.

5.3.1.3.4 Der Priester Jitro als Ratgeber der Exodus-Gruppe

Wenn der Priester Jitro bereits am Anfang der Wüstenwanderung die Exodus-Gruppe am Djebel Sanam besucht, kann man viertens auch den zweiten Teil des Kapitels 2. Mose 18 gut erklären: Einem in Sachen Menschenführung noch unerfahrenen Mose gibt Jitro als erfahrener Priester gute Ratschläge.

Zugleich könnte (2. Mose 18,10-11) in dem Bekenntnis Jitros zu dem Gott, der die Exodus-Flüchtlinge befreit hat, ein erster Grundstein für die spätere Verbindung des Glaubens an den Einen Gott Israels und des mosaischen Gesetzes mit der Verkündung auf oder an einem Gottesberg gelegt worden sein:

10 Und Jitro sagte: Gepriesen sei der HERR, der euch errettet hat aus der Hand der Ägypter und aus der Hand des Pharao, der das Volk errettet hat unter der Hand der Ägypter hinweg!

11 Nun habe ich erkannt, daß der HERR größer ist als alle Götter; denn worin sie vermessen handelten, das kam über sie.

Damit ist natürlich nicht gesagt, dass der hier gepriesene Gott schon mit dem Namen JHWH verbunden gewesen ist; denn dieser Name stammt ja aus dem Nordreich Israel, mit dem die Exodus-Gruppe erst viel später zu tun bekommen sollte.

Aber es erscheint plausibel, dass ein Priester mit einer Gruppe, die gerade eine wundersame Befreiung erfahren hat, einen Dankgottesdienst feiert und ihr außerdem lehrreiche, mahnende und ermutigende Worte mit auf den Weg gibt.

5.3.1.3.5 Auf dem Djebel Sanam könnte Mose in einer Felsenhöhle stehen

Als Gegenargument würde ich es gelten lassen, wenn Bauersachs für den Gottesberg Horeb eine überzeugendere Identifikation bereitstellen würde. Das tut er allerdings nicht. Wie bereits gesagt, gibt er später (S. 228) als die „Heimat des Priesters Jithro … das biblische Alusch“ an, den er mit dem heutigen „Ort Al Lašaf“ gleichsetzt. Letzteres muss nicht unbedingt falsch sein, ist allerdings auch nicht gerade überzeugend begründet (mehr dazu im Abschnitt 5.3.3.1). Mit Jitro bringt Bauersachs diesen Ort aber wirklich nur deswegen in Verbindung, weil er unbedingt hier die „romantische Wiedervereinigung von Mose und seiner Familie“ ansiedeln will. Und deswegen muss natürlich auch der Gottesberg Horeb in der Nähe von Al Lašaf zu suchen sein. Er hat dafür gleich zwei mögliche Kandidaten:

Westlich von Al Lašaf steigt das Gelände langsam an und erreicht beim Berg el Ghurabiya eine Höhe von 350 Meter, im Namen dieses Bergs könnte der biblische Horeb weiterleben. Dass arabische Namen bei der Niederschrift verballhornt werden, habe ich schon mehrmals erwähnt; als aktuelles Beispiel lässt sich das am ähnlichen ägyptischen Urlaubsort Hurghada am Roten Meer zeigen, der eigentlich Al Ghardaqa heißt.

Etwas weiter nördlich von Lašaf gibt es, ebenfalls am Wadi Hirr gelegen, einen Hügel Gur el Habari, der sprachlich (Metathese) ebenfalls gut mit dem biblischen Horeb übereinstimmt.

Außer der flüchtigen Namensähnlichkeit spricht rein gar nichts dafür, dass einer dieser Berge der Gottesberg Horeb ist. Auf Google Earth ist keine so eindrückliche Erhebung aus der Ebene zu erkennen wie beim Djebel Sanam.

Das heißt: Anders als beim Djebel Sanam, auf dem sich Mose, wie in 2. Mose 33,21-23 berichtet, in eine Felsenhöhle stellt, um Gott „von hinten sehen“ zu dürfen, handelt es sich in der Nähe von Al Lašaf um eine Gegend, in der es viele mehr oder weniger sanft ansteigende und wieder abfallende Bodenerhebungen gibt, aber keine erkennbar aufragenden Felsformationen.

5.3.1.3.6 Wie verhält sich der Gottesberg Horeb zum Sinai?

Wo aber ist nun der Gottesberg Sinai zu lokalisieren? Gab es ihn überhaupt bzw. ist er mit dem Horeb identisch? Oder ist er ein zweiter Gottesberg? Was ist von diesen Möglichkeiten zu halten?

  1. Entweder ist der Horeb der einzige Gottesberg der Wüstenwanderung, und die gesamte mosaische Gesetzgebung hat sich später an diese Horebgeschichte angelagert. Dabei wäre der Sinai in die Geschichte erst reingekommen, als man ihn später auf der Sinai-Halbinsel lokalisiert hat. Dafür spricht, dass in 2. Mose 33,6 die Exodus-Gruppe immer noch am Berg Horeb ist, während sie nach 2. Mose 19,1-2 einen Monat nach dem Treffen mit Jitro in die Wüste Sinai gelangt sein soll, wo sie sich dem Gottesberg Sinai gegenüber lagert.
  2. Oder die Exodus-Gruppe macht eine zweite Gottesberg-Erfahrung, allerdings nicht, wie in 2. Mose 19,1 berichtet, bereits einen Monat später. Vielmehr wäre der Sinai, nämlich der Vulkan Djebel Amud, dann erst viel später, auf einer der letzten Etappen vor der Ankunft in Transjordanien, erreicht worden (siehe unten). Verständlich ist, dass man beide Gottesberge später miteinander identifiziert bzw. am Anfang der Wüstenwanderung ganz nahe zusammengerückt, denn es ist natürlich sinnvoller, für eine Reise gleich am Anfang Regelungen zu bekommen und nicht erst kurz vor Schluss.

Auch die biblische Darstellung entscheidet sich übrigens nicht klar für eine der beiden Möglichkeiten. Einerseits ist in 2. Mose 17,1 vom Aufbruch aus der Wüste Sin nach Refidim die Rede, von wo aus man (Vers 6) zum Felsen am Horeb kommt; in 19,2 wird nochmals von Refidim in die Wüste Sinai aufgebrochen, um zum Gottesberg Sinai zu kommen. In 2. Mose 33,6 wird der Berg, wo sich die „Söhne Israels“ befinden, wieder Horeb genannt. Die Lagerplatzliste in 4. Mose 33 erwähnt nur die Wüste Sinai und nennt ausdrücklich keinen der beiden Gottesberge, während im 5. Buch Mose bis auf eine einzige Stelle nur vom Gottesberg Horeb die Rede ist.

5.3.2 Etappe 2: Wüste Paran – vom Horeb bis nach Kadesch

Dass ich die zweite Etappe der Wüstenwanderung mit der biblischen Wüste Paran verbinde, für die ich in der heutigen Geographie keine Namensentsprechung finde und die Konrad Bauer­sachs mit keinem Wort erwähnt, verlangt eine eingehende Begründung, denn sie liegt auf den ersten Blick nicht auf der Hand.

Zunächst einmal würde dafür sprechen, dass die Exodus-Gruppe (4. Mose 10,12) nach dem Aufbruch vom Gottesberg Sinai durch die Wüste Paran zieht (siehe Abschnitt 5.1.1.9), wenn sich hinter diesem Berg tatsächlich der Horeb = Djebel Sanam versteckt.

Dass die Wüste Paran demzufolge in der Nachbarschaft der Wüste Schur liegt, wird dadurch unterstützt, dass Hagar, die nach 1. Mose 16,7 mit der Wüste Schur zu tun hat, einen Sohn Ismael bekommt, der nach 1. Mose 21,21 in der Wüste Paran wohnt.

Da der biblische Erzählkomplex (4. Mose 11,1 bis 12,16), den ich in Abschnitt 5.1.1.10 behandelt habe, mit Sicherheit an einer anderen Stelle der Wüstenwanderung zu verorten ist und die Exodus-Gruppe sich in 4. Mose 12,16 immer noch in der Wüste Paran befindet, gibt es nur eine einzige Erzählung, die wirklich untrennbar mit dieser Wüste verbunden ist, nämlich (4. Mose 13,3) die von hier aus erfolgende Erkundung des Gelobten Landes.

5.3.2.1 Auskundschaftung des Gelobten Landes – in Palästina?

Nun steht und fällt meine folgende Argumentation mit den beiden Fragen, ob es eine solche Auskundschaftung des Gelobten Landes erstens tatsächlich gegeben und zweitens wo sie stattgefunden hat. Die spätere Niederschrift lässt diese Erkundung ja von Kadesch-Barnea ausgehen und bezieht sie auf die Geographie Palästinas.

Bauersachs beschäftigt sich mit diesen Fragen erst im Zusammenhang mit den letzten Etappen der Wüstenwanderung, indem er feststellt (S. 246):

Moses Aufgabe war jetzt so gut wie erfüllt, seine letzte Amtshandlung war – so das Alte Testament – die Aussendung von Kundschaftern, um auf den letzten Etappen unliebsamen Überraschungen aus dem Weg zu gehen {4. Mose 13,1-2.17-18}:

1 Und der HERR redete zu Mose und sprach:

2 Sende dir Männer aus, dass sie das Land Kanaan auskundschaften, das ich den Söhnen Israel gebe!

17 Und Mose sandte sie, das Land Kanaan auszukundschaften…,

18 und seht das Land an, wie es beschaffen ist; und das Volk, das darin wohnt, ob es stark oder schwach … ist …

Bauersachs weist nach (S. 246f.), dass sich eine solche Erkundung nicht real auf die geographischen Verhältnisse Palästinas beziehen kann; so wäre zum Beispiel (S. 247) „der Ort Rehob“ als „der nördlichste Punkt, den die Spione erreicht haben wollen“ und der „nördlich des heutigen Israel am Libanon-Gebirge gesucht“ wird und „an der Bekaa-Ebene am ‚Eingang nach Hamat‘ gelegen haben“ soll, von Kadesch-Barnea aus über 400 km entfernt und innerhalb von 40 Tagen bei ständiger Angst vor Entdeckung kaum zu erreichen gewesen:

Die Wegstrecke der Kundschafter ist also eindeutig ein Produkt der rückblickenden Geschichtsschreibung.

Der lange Zeitabstand zwischen dieser ungewöhnlichen Erkundung und der Niederschrift hat die Landesgrenzen, die zur Zeit der Niederschrift bestanden, in die Zeit der „Landnahme“ zurückverlegt. So wurden nachträglich scheinbar seit Urzeiten bestehende Gebietsansprüche des Volkes Israel bis in den Raum Damaskus festgeschrieben.

Wenn eine solche „Expedition … am Ende der Wüstenwanderung überhaupt wie beschrieben stattgefunden“ hätte, dann

wäre sie ganz anders abgelaufen: Das wichtigste Interesse der Kundschafter hätte der Suche nach einer geeigneten Reiseroute vom Wadi Sirhan nach Westen gegolten, um die Menschen und Herden unbeschadet das letzte Stück Wüstensteppe bis nach Moab oder Edom zu führen. Geeignet heißt, es müssen genügend Wasserstellen vorhanden sein, außerdem wollte man Konflikte vermeiden und besiedelte Gebiete umgehen.

Insofern erwägt Bauersachs (S. 248), dass von der letzten Etappe der Wüstenwanderung im Wadi Sirhan aus, das „wasserreich“ ist und „zahlreiche Rastmöglichkeiten“ bietet, eine längere „Expedition von Kundschaftern“ tatsächlich durchgeführt worden sein könnte, wobei er als „Stützpunkt ‚Kadesch‘ in dieser Region“ den (S. 249) heutigen Ort „Ghatti … bei An Nabk rund 50 km von der arabisch- jordanischen Grenze entfernt“ erwägt.

Allerdings stimmt es gar nicht, wie Bauersachs schreibt (S. 246), dass Mose nach der Bibel diese Auskundschaftung als seine letzte Amtshandlung vornimmt. Sie findet ja ausdrücklich bereits am Anfang der Wüstenwanderung statt (nach 4. Mose 10,12 erfolgt der Aufbruch aus der Wüste Sinai in den ersten Wochen des zweiten Jahres, und erst nach der Weigerung des Volkes Israel, das Land einzunehmen, wird die Strafe der jahrelangen Verzögerung der Landnahme verhängt). Insofern könnte eine solche Landeserkundung auch viel früher erfolgt sein – es fragt sich nur, wo?

5.3.2.2 Wie kam die Exodus-Gruppe vom Horeb nach Kadesch?

Bevor ich einen eigenen Vorschlag zur Lokalisierung der Kundschaftergeschichte unterbreite, möchte ich meiner Verwunderung Ausdruck verleihen, dass Bauersachs nach der Episode am Djebel Sanam den Reiseweg der Exodus-Gruppe (S. 227) westlich des Haur Hammar und dann des Euphrats bis zur heutigen Stadt Al Qadisija in der Nähe von Nağaf lediglich ohne weitere Erläuterungen auf seiner Kartenskizze 17.1.4.1 darstellt und dann bereits über ihren dortigen angeblich Jahre langen Aufenthalt nachdenkt. Von da aus soll dann nach Bauersachs die eigentliche Wüstenwanderung unter der Führung eines Karawanenführers Mose erst begonnen haben.

Allerdings beträgt die Entfernung vom Djebel Sanam bis nach Al Qadisija mindestens 350 km, die für eine Gruppen von Nomaden mit ihrem Kleinvieh auch erst einmal zu überwinden war. Wenn man bedenkt, dass die von mir als dritte Etappe der Wüstenwanderung eingeschätzte Strecke zwischen Al Qadisija und dem Ort Kadesch = Hudayb in der Luftlinie nur gut 400 km lang ist, dann wäre es erstaunlich, wenn auf dem fast gleich langen vorherigen zweiten Abschnitt der Wanderung ganz und gar nichts Berichtenswertes geschehen wäre.

Eine Erklärung dafür könnte allerdings darin bestehen, dass diese Steppe, die sich in der ganzen Ebene westlich des Haur Hammar und des Euphrat von Südosten nach Nordwesten entlang zieht (von Bauersachs an anderer Stelle, S. 185, al Widyan genannt), eine für Kleinviehnomaden vertraute Landschaftsformation darstellte, durch die sie ohne besondere Vorkommnisse vom Djebel Sanam bis in die Gegend von Al Qadisiya ziehen konnten.

5.3.2.3 Wurde das Landesinnere von Babylonien erkundet?

Für mich ist vorstellbar, dass die Exodus-Gruppe sich zunächst am Rande des babylonischen Kulturlandes entlang bewegt, und zwar mit dem Ziel, dort irgendwo Fuß zu fassen. Es ist ja bis jetzt überhaupt nicht gesagt, dass diese Menschen bereits damals einer göttlichen Verheißung in ein Gelobtes Land folgen. Gesichert scheint nach den bisherigen Indizien lediglich, dass eine Gruppe von unterdrückten Kleinviehnomaden auf wunderbare Weise ihrer Fronarbeit hat entfliehen können, und zwar wahrscheinlich erst einmal mit einem ungewissen Ziel.

Im Kapitel über die Aussendung und Rückkehr der Kundschafter in 4. Mose 13 fällt nun auf, dass die Auskundschaftung des Gelobten Landes erstens irgendwie mit dem Ort Kadesch in Verbindung steht und zweitens mit einem anschließenden Wechsel der Wanderungsrichtung. Diese ist gemäß der Bibel darin begründet, dass das Volk zunächst zögert, das ausgekundschaftete Land einzunehmen und wegen dieses mangelnden Gottvertrauens das Land erst 40 Jahre später in die Hand bekommen soll. Ein darauf erfolgender eigenmächtiger Vorstoß in das Land scheitert schmählich, so dass die Wüstenwanderer zunächst auf der Stelle treten bzw. umkehren müssen.

Die jahrelange Verzögerung ist sicher der späteren Deutung zuzuschreiben. Aber könnte hinter einigen Ortsangaben der Kundschaftererzählung nicht doch ein historischer Kern stecken? Wie wäre es denn, wenn die Exodus-Gruppe von der Wüstensteppe westlich des Euphrat aus irgendwann wirklich einzelne Kundschafter ins fruchtbare Land zwischen Euphrat und Tigris ausgesandt hätte, wie es in 4. Mose 13,21.23-24 beschrieben wird?

21 Und sie zogen hinauf und kundschafteten das Land aus, von der Wüste Zin bis Rehob, von wo man nach Hamat geht.

23 Und sie kamen bis in das Tal Eschkol und schnitten dort eine Weinranke mit nur einer Traube ab und trugen sie zu zweit an einer Stange, auch Granatäpfel und Feigen.

24 Diesen Ort nannte man Tal Eschkol wegen der Traube, die die Söhne Israel dort abgeschnitten hatten.

Zwar mit Müh und Not, aber doch nicht unendlich weit hergeholt, könnte man hinter den Namen Rehob, Hamat und Eschkol die babylonischen Orte Rumaythah, Hamzah und Saqlawia wiedererkennen, die im Inneren des Landes auf einer Strecke von etwa 250 km Luftlinie vom Süden (etwa 60 km östlich von al Qadisija) bis zum Norden (ca. 50 km westlich der Hauptstadt Dur Kurigalzu) aufgereiht liegen. Einzelne Kundschafter könnten zu Fuß in wenigen Wochen eine solche Strecke zurückgelegt haben, um sich einen Überblick über das babylonische Landesinnere zu verschaffen, zumal die Rückkehr von Saqlawia aus wieder durch die Steppe hätte erfolgen können.

Weiterhin wäre es durchaus möglich, dass die Exodus-Gruppe an irgendeiner Stelle einen Ansiedlungsversuch unternommen hat, der von der sesshaften Bevölkerung mit einer schroffen Zurückweisung beantwortet worden ist. Das wiederum könnte dazu geführt haben, dass die Exodus-Gruppe, die sich gerade bei Al-Qadisija aufhielt, den Versuch aufgab, sich in Babylonien niederzulassen, und sich in eine ganz andere Richtung wendete, nämlich weg vom Kulturland der Sesshaften und weiter hinein in das Gebiet der heutigen Arabischen Wüste.

Ein solches Szenario vorausgesetzt, muss man sich nicht lange mit der Frage aufhalten, wie lange die Exodus-Gruppe bei Al Qadisija tatsächlich geblieben ist. Außer nachträglich konstruierten theologischen Gründen gibt es keinerlei erkennbare Veranlassung für einen Aufenthalt, der mehrere Jahre umfasst haben sollte.

Das sieht Konrad Bauersachs völlig anders. Er geht davon aus (S. 226), dass der Lagerplatz bei Al Qadisija

nicht nur vorübergehend benützt wurde: Die Exodus-Gruppe hat an diesem Ort oder in der Umgebung, so die allgemeine Ansicht der Alttestamentler, den größten Teil der sogenannten Wüstenwanderung verbracht. Trotzdem finden wir in den biblischen Erzählungen für diesen Zeitabschnitt keine verwertbaren Hinweise. Vielleicht sind ja Erlebnisse aus Kadesch-Qadisija und der Umgebung in die Schilderung der Wüstenwanderung eingeflossen.

Er hatte bereits zuvor den von der biblischen Überlieferung zwischen Ägypten und Palästina verorteten „vermeintlichen Lagerplatz Kadesch-Barnea … vorgestellt und deutlich gemacht, dass die Exodus-Gruppe nie hier gelagert haben kann“:

Das „richtige“ biblische „Kadesch“ liegt etwa 180 km südlich von Baghdad am Euphrat, ich nenne es Kadesch-Qadisija zur deutlichen Unterscheidung von Kadesch-Barnea. Entlang des Euphrats und seiner Seitenarme erstreckt sich hier über 40 km von Nord nach Süd und rund 20 km von Ost nach West eine ausgedehnte Oase mit der heutigen Pilgerstadt Nağaf im Zentrum. Im Westen und Südwesten sind ist der eigentlichen arabischen Wüste ein breiter Steppengürtel mit zahlreichen Wasserstellen und Oasen vorgelagert.

Hier haben Nomaden ein sicheres Auskommen, ein Konflikt zwischen den zugewanderten Nomaden und den ortsansässigen Ackerbauern ist ausgeschlossen, in Ägypten hätte es dagegen zwangsläufig Reibereien gegeben, weil auf das bewässerte Kulturland nahezu übergangslos die Wüste folgt {1. Mose 46,34}:

34 … denn alle Schafhirten sind den Ägyptern ein Gräuel.

Bauersachs vermutet nun weiter, dass sich in diesem Gebiet

die Familien der Exodus- Gruppe mit ihren Herden weiträumig verteilt haben.

Auf diese Weise hatte jede Sippe eine eigene Geschichte des Aufenthaltes, die spätere redaktionelle Bearbeitung machte dann aus gleichzeitigen Begebenheiten am gleichen Ort nacheinander erlebte Episoden an mehreren Orten gleichen Namens.

Unmöglich ist das zwar alles ebensowenig wie meine oben angestellten Überlegungen. Aber wenn auch den sesshaften Babyloniern die zugewanderten Nomaden „ein Greuel“ waren, ist ein Konflikt mit ihnen als Anlass für die Änderung der Wanderungsrichtung der Exodus-Gruppe nach Westen durchaus denkbar.

Hinzu mag gekommen sein (S. 228), dass „Händler und Reisende … den Nomaden immer wieder Wunderdinge über Transjordanien erzählt“ haben, so dass sie deswegen die Richtung nach Westen einschlagen. Solche Wunschträume könnten die Grundlage für die Verheißung sein, die vielleicht schon den Fronarbeitern von Gott zugesagt worden war (zum Beispiel 2. Mose 3,17):

17 Ich will euch … hinaufführen … in ein Land, das von Milch und Honig überfließt.

Ich bleibe also dabei, dass in Kadesch-Qadisija nicht unbedingt ein längerer Aufenthalt anzunehmen ist, sondern einfach eine Änderung der Wanderungsrichtung aus den erwähnten ein bis zwei Gründen.

Außerdem gibt es in meinen Augen nicht den geringsten biblischen Anhaltspunkt dafür, dass erst in Al Qadisija sozusagen ein zweiter Mose als Karawanenführer zur Gruppe hinzustoßen sollte.

5.3.3 Etappe 3: Wüste Sin/Zin – von Kadesch-Qadisija bis Kadesch-Hubayb

Den Streckenabschnitt zwischen Al-Qādisiyya und Sakaka, also von der Wüstensteppe westlich des Euphrat bis kurz vor dem Eingang des Wadi Sirhan, sehe ich in Verbindung mit den beiden Wüsten, die in der Bibel den ähnlichen Namen SIN = „Sin“ und TsiN = „Zin“ tragen und vielleicht sogar miteinander identisch sind (oder verschiedene Bereiche derselben Wüste bezeichnen).

Für Bauersachs muss die im Zusammenhang mit „der Erkundung des Gelobten Lands (4. Mose 13,21)“ erwähnte „Wüste Zin“ nur deswegen in einer anderen Gegend als die Wüste Sin liegen, weil er diese Auskundschaftung nicht mit Babylonien, sondern mit Palästina oder dem Ostjordanland in Verbindung bringt. In meinen Augen könnte die Wüste Zin, gerade weil sie wie die Wüste Paran mit der Kundschaftergeschichte und auch (33,36) mit dem Ort Kadesch zusammenhängt, durchaus westlich von Al Qadisija zu verorten sein.

Allerdings sind mit dieser Wüste Zin auch die Erzählungen (20,1) von Mirjams Tod (der Schwester des Mose) und (27,14) die Haderwasser-Affäre bei Meriba sehr eng verbunden. Da diese Ereignisse nicht zur Gegend von Al Qadisija passen, sondern zur Umgebung eines anderen Kadesch, das ich mit Hudayb gleichsetzen werde (siehe unten), schlage ich vor, die Wüste Zin landschaftlich eher in der zweiten Hälfte dieser dritten Wüstenwanderungsetappe zu suchen.

Die Wüste Sin wiederum ist nach der biblischen Erzählung gleich am Anfang (siehe Abschnitt 5.1.1.2), zwischen der Durchquerung der Wüste Schur und der Ankunft am Horeb bzw. Sinai der Ort, in dem die Exodus-Gruppe mit Wachteln und Manna versorgt worden sein soll. Diese Geschichte ist allerdings sicher unhistorisch, weil sie an die Inhalte der Erzählung von Kibrot-Hattaawa (siehe unten) anknüpft und sie idealtypisch im Sinne der wunderbaren Versorgung durch Gott in der Wüste erweitert. Dass im selben Zusammenhang bei Mara von bitterem Wasser und bei Elim von gleich zwölf Wasserquellen die Rede ist, passt auf jeden Fall viel besser zu den widersprüchlichen Lebensbedingungen auf der nun folgenden dritten Wüstenetappe zwischen Trockenheit, versalztem Wasser und einem stellenweisen Reichtum an Oasen.

Den Namen der Wüste Sin erkennt Bauersachs (S. 230) in einer Ortsbezeichnung „Faidat es Sin“ wieder, <118> und zwar etwa 100 km südwestlich von Al Qadisija auf einem Weg, der quer durch die arabische Wüste Richtung Transjordanien führt (S. 231):

Der arabische Begriff Faidat bezeichnet flächige, z.T. sandgefüllte Senken, in denen sich jahreszeitabhängig Sümpfe oder kleine Seen mit einem meist hohen Salzanteil bilden können; solche Landschaften verdienen – vor allem aus Sicht der Nomaden – im trockenen Sommer durchaus die Bezeichnung Wüste. Diese Faidats liegen nicht mehr im Steppengürtel, der an das landwirtschaftlich genutzten Land entlang des Euphrat anschließt, sondern bieten dem Exodus-Gruppe schon einen Vorgeschmack auf bevorstehende Schwierigkeiten.

Somit wage ich mit großer Vorsicht anzunehmen, dass der Weg der Exodus-Gruppe von Kadesch-Qadisija nach Kadesch-Hubayb durch die beiden Wüsten Sin und Zin geführt haben könnte.

5.3.3.1 Al Lasaf und As Ašuriya gehörten nicht zur Wanderroute

„Eigenartig“ findet es nun Bauersachs (S. 231),

dass die Wüste Sin erwähnt wird, obwohl sie nicht auf dem direkten Weg von Lašaf nach Radifa liegt. Eine mögliche Erklärung wäre, dass wir es anfangs mit zwei getrennten Reisegruppen zu tun haben: Eine von Mose geführte „nördlichere“ Gruppe (bezogen auf den Aufenthalt bei Kadesch-Qadisija), für die der Weg über Lašaf der kürzere war und von Mose bevorzugt wurde, der dort nochmal seine Familie sehen wollte. Dazu gab es eine zweite „südlichere“ Gruppe, die von Moses Bruder Aaron geleitet wurde und die den direkteren Weg von Kadesch-Qadisija nach Sabaka über die Faidat es Sin genommen haben könnte.

Das hier angesprochene Problem ist aber nur ein Scheinproblem, das durch einen Lieblingsgedanken von Konrad Bauersachs entsteht, demzufolge Mose ein Karawanenführer war, der von der Exodus-Gruppe in Al Qadisija engagiert wurde.

Diesem Gedanken zuliebe musste Moses Schwiegervater Jitro in dem „etwa 100 km von Nağaf“ entfernten „Ort al Lašaf“ leben, in dem Bauersachs (S. 228) den biblischen Namen Alusch wiedererkennt <119> und wo angeblich ein romantisch verklärtes Familientreffen des Wanderführers Mose mit Frau und Kindern vor seiner Abreise stattfand.

Verschiedene Routen durch die Wüste
Ist eine nördliche Alternativroute notwendig? (Karte: Konrad Bauersachs)

Wenn aber

  • Mose kein Karawanenführer aus Al Qadisija war,
  • die Heimat Midian des Priesters Jitro nicht in Al Lasaf, sondern in der Nähe des Djebel Sanam lag,
  • dort auch die tatsächliche Familienzusammenführung mit Moses Familie stattfand,
  • schließlich auch der zweite auf der Wegstrecke der angeblichen „Nordgruppe“ liegende Ort As Ašuriya nicht, wie oben gezeigt, mit der Wüste Schur identisch ist
  • und auch die schwachen Belege für zwei mögliche in der Nähe von Al Lasaf liegende Horeb-Berge wegfallen,

dann kann man auch das Postulat einer in Abbildung 17.1.6.2 eingezeichneten „Nordgruppe“, die den Weg (S. 227) durch „das Wadi Hirr“ über Al Lašaf und As Ašuriya eingeschlagen haben soll, schlicht unter den Tisch fallen lassen. Ich erinnere in diesem Zusammenhang an das Prinzip des Ockhamschen Rasiermessers, demzufolge komplizierte Zusatzannahmen, die eine gewagte Theorie „retten“ sollen, tunlichst zu vermeiden sind.

5.3.3.2 Durch das Wadi Hasb und Sha‘ib Hisb zum Faidat es Sin

In der Konsequenz stellt sich der Beginn der dritten Wüstenwanderungsetappe viel einfacher und folgerichtiger dar, nämlich dass die Exodus-Gruppe (S. 227) vom „Steppengürtel Widyan mit zahlreichen Wadis“ westlich des Euphrat bei Al Qadisija ohne Umweg sofort durch das Wadi Hasb und Sha‘ib Hisb nach Westen in „die Wüstensteppe“ gelangt und hier die Wüste Sin/Zin erreicht, wofür der Name Faidat es Sin (vgl. dazu die übernächste Karte weiter unten) ein stützendes Indiz darstellen kann.

Skizze der Landschaft zwischen dem Euphrat in Babylonien und der Arabischen Wüste
Die Wanderroute muss nicht dem Wadi Hirr durch Al-Lasaf folgen, sondern konnte weiter südlich verlaufen (Karte: Konrad Bauersachs)

Für diese Wüstensteppe in der „Zeit des Exodus“ nimmt Bauer­sachs „durch die andauernde Trockenheit“ kaum andere klimatische Verhältnisse als heute an, wohl aber eine bessere

Versorgung mit Frischwasser aus Quellen und Brunnen, denn tief unter der arabischen Wüste liegen heute noch ausgedehnte Speicher an fossilem Wasser.

Gerade die Tatsache, dass es sowohl in der Nähe des Djebel Sanam als auch in der Nähe von Faidat es Sin zwei verschiedene Orte gab, die biblisch wohl beide mit dem Namen Refidim bezeichnet wurden, nämlich Rafidia und Radifa, hat möglicherweise dazu beigetragen, dass man eine tatsächlich bei Refidim = Radifa gelegene Wüste Sin nachträglich mit dem anderen Refidim = Rafidia in Verbindung brachte und deshalb auch ein in der Nähe von Rafida geschehenes „Wasserwunder“ bereits in der Gegend von Rafidia in der Wüste Schur verortete (siehe oben).

5.3.3.3 Mara: Bitteres Wasser wird süß

Eine erste Station auf der dritten Wüstenwanderungsetappe kann also durchaus der Ort Mara gewesen sein, denn es ist durchaus plausibel (S. 231), dass unter den Exodus-Leuten „bei Wasserknappheit“ schon nach wenigen „Tagen Unzufriedenheit, wenn nicht gar Angst ums Überleben aufkommt“ (2. Mose 15,23):

23 Da kamen sie nach Mara, aber sie konnten das Wasser von Mara nicht trinken, denn es war bitter. Darum gab man dem Ort den Namen Mara.

Bauersachs erklärt dazu, dass die „Wüste Sin … wie auch andere ‚Wüsten‘ auf dem Weg der Exodus-Gruppe … keine Sandwüste mit großen Dünen“ war, wo „jeder Niederschlag sofort“ versickerte, sondern dass es sich um „felsige Trockengebiete mit sparsamer Vegetation und vereinzelten sogar sehr ergiebigen Quellen“ handelte:

Diese oberflächlichen Wasserstellen werden zum Teil aus Regenwasser gespeist, zum Teil handelt es sich um sog. artesische Brunnen, bei denen in Mulden reines Tiefenwasser durch den eigenen Druck nach oben gepresst wird.

An manchen Wasserstellen ist das Wasser bitter (MaRaH) und damit fast ungenießbar (aber nicht giftig!); das liegt an den lokalen Gegebenheiten. Diese oberflächlichen Wasserstellen werden zum Teil aus Regenwasser gespeist, zum Teil handelt es sich auch um sog. artesische Brunnen, bei denen in Mulden reines Tiefenwasser durch den eigenen Druck nach oben gepresst wird.

Wenn sich Regenwasser in Senken sammelt und nach und nach in der Hitze verdunstet, entstehen kleine Salzseen, im Endstadium ist dieses Wasser nicht mehr genießbar. Der Genuss kann aber auch bei genügend Wasser beeinträchtigt sein, weil dieses Konzentrat bitter schmeckende Mineralsalze (z.B. Magnesiumsulfat, in der Apotheke als Bittersalz zu kaufen) enthält. Gesundheitlich bedenklich sind diese Zusätze sicher nicht, abgesehen von einer konzentrationsabhängigen Abführwirkung. Wie sich zeigt, kann man das Wasser durchaus trinken, wenn der bittere Geschmack überdeckt wird. Heute könnte man dies mit einem Süßstoff wie Saccharin oder Cyclamat erreichen, Mose verwendete für diesen Zweck ein Stück Holz {2. Mose 15,25}:

25 Da schrie er zum HERRN, und der HERR zeigte ihm ein Stück Holz; das warf er ins Wasser, und das Wasser wurde süß.

Das heißt:

Mose hat den bitteren Geschmack des Wasser mit einem Süß-Holz überdeckt; dieses Süßholz heißt tatsächlich so und trägt den botanischen Namen Glyzyrrhiza glabra (Schmetterlingsblütler, botan. Fabaceae bzw. Papilionaceae). Die holzige Wurzel („Holz“) dieser Pflanze enthält das sehr stark süß schmeckendes Glykosid Glyzyrrhizin, bekannt ist das Genussmittel Lakritz, das ebenfalls aus dieser Wurzel hergestellt wird.

5.3.3.4 Wasserstellen bei Elim / Refidim = eš Šabaka / Radifa?

Eine Wüstenwanderungsstation (S. 232), deren biblischer Name sehr klar mit einem realen Ort in Verbindung gebracht werden kann, ist das zweite Refidim, von dem bereits die Rede war. Dabei „handelt es sich um die ausgedehnte Ebene Radifa, an deren Nordende bei der heutigen Stadt es Šabaka mehrere ergiebige Wasserstellen liegen“. Mit diesen Umständen stimmt der von Bauersachs zitierte Bibelvers 4. Mose 33,14 allerdings gar nicht überein:

14 Und sie brachen auf von Alusch und lagerten in Refidim; und das Volk hatte dort kein Wasser zu trinken.

Ebenso ist auch in 2. Mose 17,1 davon die Rede, dass es in Refidim gerade kein Wasser gibt:

1 Und die ganze Gemeinde der Söhne Israel brach nach ihrer Aufbruchsordnung aus der Wüste Sin auf nach dem Befehl des HERRN, und sie lagerten sich in Refidim. Aber da war kein Wasser zum Trinken für das Volk.

Zuvor allerdings wird in 2. Mose 15,25 zwischen den Stationen Mara und der Wüste Sin ein wasserreicher Ort Elim erwähnt:

27 Dann kamen sie nach Elim, und dort waren zwölf Wasserquellen und siebzig Palmbäume; und sie lagerten sich dort am Wasser.

Russischer Landkartenausschnitt Wüste Zin-Sin
Diesem Ausschnitt einer russischen Landkarte entnimmt Konrad Bauersachs (von dem die roten Bezeichnungen stammen) die Namen Faidat es-Sin = Wüste Sin, Esch-Schibka = Schabaka und Radifa = Refidim (Quelle: Generalstabskarte En-Nadschaf, publiziert 1986,87, Zustand des Geländes 1980-84)

Vielleicht könnte man ja dieses Elim mit der „Stadt eš Šabaka“ oder „eš Šibğa“ mit ihren Wasserstellen gleichsetzen – oder auch eine der zahlreichen Wasserstellen, die Bauersachs für die weitere Reiseroute erwähnen wird.

Bauersachs allerdings verbindet gerade mit dem Ort „Radifa/Refidim eine erste Zwischenstation“ der Wüstenwanderung, wo die „Bedingungen … für eine Erholungspause von Tier und Mensch ideal“ sind,

obwohl das Alte Testament von Wassermangel spricht. Die Wasserversorgung ist gesichert und die Exodus-Gruppe kann sich in Ruhe auf die nächste Etappe vorbereiten, denn vor ihnen liegt eine schwierige Wegstrecke. Nomaden sind mit ihren Viehherden auf regelmäßige Wasserstellen angewiesen, da die Tiere kaum längere Zeit ohne Wasser auskommen können, allerdings kann Grünfutter einen Teil des notwendigen Wassers liefern.

Deshalb müssen sie immer wieder kleine Schlenker und Pausen machen, wenn unterwegs Weidegründe am Weg liegen; darauf basiert auch meine Schätzung für Tagesetappen von 3 – 4 km.

5.3.3.5 Höhlen bei Habikah und der Untergang der Sippe Korach

Nicht ganz sicher bin ich mir auf Anhieb, worauf Bauersachs (S. 232) seine Einschätzung der weiteren Reiseroute gründet. Als „das nächste große Etappenziel“, das man von „Radifa aus … auf den Karawanenwegen“ in „Richtung ‚Gelobtes Land‘“ erreichen kann, nennt er

die Region al Jauf und Sakaka am östlichen Eingang zum wasserreichen Wadi Sirhan, von dort an gibt es keine versorgungsbedingten Schwierigkeiten beim Weiterkommen. Auf dem Wüstenweg zwischen Radifa und Sakaka passieren die Wanderer die heutige Grenze zwischen Irak und Saudi-Arabien, überqueren etwa bei Uwayquila auf halber Strecke zwischen den Städten Ar‘ar und Rafha die heutige Hauptstraße zwischen Kuwait und Amman und ziehen dann weiter in Richtung Südwest.

Mag dieser Abschnitt der Wüstenwanderung auch beschwerlich sein, Wasser ist hier erstaunlicherweise doch immer wieder zu finden. So schreibt Bauersachs (S. 233):

Der überraschende Wasserreichtum in der Wüstenlandschaft bei Habikah scheint paradox; Ursache ist die geologische Beschaffenheit Saudi-Arabiens: Auf dem alten Festlandsockel liegt ein (nach geologischer Zeitrechnung jüngeres) Schichtstufenland aus durchlässigen Sedimenten. Neben dem oberflächennahen Wasservorräten, die aus geringen Niederschlägen gespeist werden, sind in den Sand- und Kalksteinformationen, die der eigentlichen arabischen Platte aufliegen, große Mengen an Grundwasser gespeichert, die schon Jahrtausende alt sind und keinen Nachschub haben.

Da dieses „Grundwasser“ nun auch „den hier vorherrschenden Kalkstein lösen“ und „Höhlensysteme“ entstehen lassen kann, bietet sich in dieser Gegend auch eine Erklärung des in 4. Mose 16 geschilderten dramatischen Untergangs der Rotte Korachs an, die wegen eines Aufstands gegen Mose und Aaron nach den Versen 31-33 von der Erde verschlungen wird und „lebendig in den Scheol“, also die Unterwelt hinabfährt. Bei dem „Einsturz des ‚Daches‘ eines solchen Hohlraums“ kann ein Teil der Exodus-Gruppe buchstäblich in eine solche Höhle geraten und in ihr getötet und begraben worden sein. So haben

Höhlenforscher (u.a. John Pint in 2001) … bei Habikah ein fast 500 Meter langes Höhlensystem entdeckt, der Zugang zu diesem System erfolgt durch einen für Karstregionen charakteristischen Einbruch, in Arabien Dahl (in Europa Dolinen) genannt.

Diese Öffnungen können so klein sein, dass sich mit Mühe eine Person durchzwängen kann oder 30 Meter Durchmesser haben und der Lichtschacht eines riesigen Hohlraums sein, dessen Boden 50 Meter unter der Oberfläche liegt.

Dass Bauersachs Spekulationen darüber anstellt (S. 236), ob Mose die bevorstehenden Anzeichen eines solchen Höhleneinbruchs erkannt und absichtlich mit „dem Wissen um die geologische Besonderheit des Standorts … den Untergang der Rotte Korach ausgelöst oder zumindest billigend in Kauf genommen“ haben kann, finde ich insofern abwegig, als eine solche Handlungsweise nicht zu der von ihm angenommenen Professionalität eines von der Karawane angestellten Wüstenführers passen würde – und ebensowenig zu der von mir vorausgesetzten Integrität Moses als eines dem Wohl der ganzen Gruppe verpflichteten Anführers.

Zusätzlich widerspricht sich Bauersachs auch noch selbst (S. 233), indem er nicht nur bemerkt, dass „die Exodus-Gruppe“ auf „dem Weg durch die Wüste“ nicht nur „immer wieder Grund“ hatte,

gegen die schlechten Reisebedingungen (vor allem Wassermangel) zu klagen; daneben war auch stets der gottgewollte Führungsanspruch Moses und das Festhalten am Ziel „Gelobtes Land“ ein Anlass für Auseinandersetzungen.

Damit vermischt Bauersachs spätere Deutungen der biblischen Niederschrift mit einem möglicherweise hier erinnerten historischen Geschehen. Mose muss sich keineswegs bereits als von Gott eingesetzter religiöser Führer der Exodus-Gruppe verstanden haben, und zu einem bloßen Karawanenführer würde ein solcher Anspruch schon gar nicht passen.

Eine andere Erklärung für ein derartiges Unglück liegt meines Erachtens viel näher. Gerade weil Mose, der die Gruppe von Anfang an aus Chuzistan angeführt hatte, eben zu wenig Erfahrung mit den Unbilden dieser Wüstenregion hatte, kann ein Teil der von ihm geführten Gruppe unversehens in eine Höhle gestürzt und getötet worden sein.

Dass vielleicht schon andere Gruppenmitglieder dieses Geschehen später als Strafe für ein vorheriges Aufbegehren gegen Moses Führung gedeutet haben, halte ich für möglich. Allerdings ist erst viel später der Untergang der Rotte Korach in größere Zusammenhänge einer religiösen und vielleicht sogar politisch-sozialökonomischen Geschichtsschreibung eingeordnet worden. <120>

Ob es gelingen könnte (S. 236), auf Grund heute noch auffindbarer Knochen „von Menschen, die beim Einsturz des ‚Daches‘ in die Tiefe gerissen wurden“, eine „Radiocarbonbestimmung“ durchzuführen und damit evtl. „Skelettknochen der verschütteten biblischen Sippe Korach“ aus der Zeit „der Wüstenwanderung um 1180 v. Chr.“ zu identifizieren, lasse ich dahingestellt sein.

5.3.3.6 Edom: Ein erzwungener Umweg bei Dumat-al-Ğandal?

Im Zusammenhang mit der „Korach-Episode“ stellt Bauersachs (S. 236) schließlich noch Spekulationen über die Identität eines gewissen „Datan oder auch Dathan“ an, den er mit einem „Edom“ in Verbindung bringt, das gleich noch eine Rolle spielen wird:

Der Eigenname Datan könnte seinen Ursprung im akkadischen datnu = stark haben oder vielleicht auf die Zugehörigkeit des Datan zum Volk Adumatu oder Adummutu hindeuten. Diesen Namen haben die Assyrer den Einwohnern der Region mit der Königsresidenz al Jauf, heute Sakaka {bei den Ägyptern hieß die Region Udumu}, gegeben. Die Niederschrift machte in Unkenntnis daraus ein weiteres „Edom“ und die Bewohner zu „Edomitern“.

Skizze der Wüstenwanderung zwischen Sakaka und Moab
Die Wüstenwanderroute ab Ende der Etappe 3 bis Etappe 6 (Karte: Konrad Bauersachs)

Ich habe nichts dagegen, die Region Adumatu oder Udumu mit dem an dieser Stelle der Bibel erwähnten Edom gleichzusetzen. Aber für Datan anzunehmen, dass er „mit seiner Sippe … vielleicht in der Gegenrichtung unterwegs auf dem Weg nach Babylonien {war} und … die Sippe Korach zum Aufstand gegen Mose an{stachelte}, weil diese aus Unzufriedenheit wieder zurück nach ‚Ägypten‘ wollte“, das halte ich für allzu weit hergeholt und durch nichts belegt – außer einer blühenden Phantasie. Meines Erachtens spricht nichts dagegen, dass dieser Datan zur Exodus-Gruppe gehörte und einfach das Pech hatte, bei dem Unglück ums Leben zu kommen.

 

Beschäftigen wir uns stattdessen (S. 237) mit dem heutigen Dumat-al-Ğandal „am Eingang zum Wadi Sirhan“, mit dem Bauer­sachs das in 4. Mose 20,14-21 erwähnte Edom identifiziert. Er begründet folgendermaßen, warum gerade dieser „König von Edom“ der Exodus-Gruppe den weiteren Weg versperrt:

Die Region um Dumat-al-Ğandal liegt auf dem kürzesten Weg zwischen dem südlichen Mesopotamien und dem Mittelmeer. Sie hat eine handelspolitisch und auch militärisch günstige Lage und bietet den Reisenden durch reichlich vorhandenes Wasser beste Rastmöglichkeiten. Schon vor 3000 Jahren haben die realen Adumatu erkannt, dass sich diese Lage als Dienstleistung teuer verkaufen lässt, heute würde man Mautgebühr verlangen.

Die heranziehende zusammengewürfelte Exodus-Gruppe mit ihren Herden war für den „König von Edom“ nicht die ideale Zielgruppe, auch wenn sie angeblich bereit war, einen Obolus zu entrichten; offenbar war sie nicht „zahlungskräftig“ genug (Geld gab es damals noch nicht)… {und so} … wiesen die Adummatu die Exodus-Gruppe ab, sie wich freiwillig aus, weil sie jede Konfrontation vermeiden wollte {4. Mose 20,19.21}:

19 Und die Söhne Israel sagten zu ihm {dem König von Edom}: … und wenn wir von deinem Wasser trinken, ich und mein Vieh, dann will ich den Preis dafür bezahlen.

21 Und so weigerte sich Edom, Israel zu gestatten, durch sein Gebiet zu ziehen; und Israel bog ab.

Ganz sicher bin ich mir allerdings nicht, wie ich die Ausweichroute beurteilen soll, zu der sich die Exodus-Gruppe nach Bauersachs genötigt sieht:

Der erzwungene Schlenker um das Gebiet der Adumatu herum führte die Exodus-Gruppe in einem Bogen gegen den Uhrzeigersinn erst nach Norden, dann über NW und W zurück ins Wadi Sirhan. Das Gelände unterwegs ist zwar bergig und unbequem, es gibt aber ausreichend Wasserstellen.

Bauersachs beschreibt diese Umleitung, ohne irgendwelche Besonderheiten zu notieren. Aber auf seiner Abbildung 17.1.13.2.1 ist zu sehen, dass dieser Abstecher in Richtung Norden genau auf den Djebel Amud zu führt, mit dem Bauersachs später den Berg Sinai identifizieren wird. Heißt das: Ohne den Zwangsumweg hätte die Exodus-Gruppe niemals den zweiten Gottesberg Sinai erreicht?

Bei einem Blick auf die geographischen Gegebenheiten irritieren mich allerdings zwei Umstände:

  1. Um die Stadt Dumat-al-Ğandal zu erreichen, hätte die Exodus-Gruppe zuvor die große Stadt Sakaka durchqueren müssen; von ihr ist aber bisher keine Rede gewesen.
  2. Von Dumat-al-Ğandal führt der Weg nach Norden, soweit ich es beurteilen kann, durch relativ unwegsames Gelände; können Nomaden mit ihren Herden tatsächlich von hier aus diese Richtung eingeschlagen haben?
5.3.3.7 Brunnengrabung bei Sakaka? Nein, hier lag Edom!

Was meine erste eben gestellte Frage angeht, scheint Bauersachs sogleich eine Antwort anzubieten, denn auch er beschäftigt sich (S. 238) mit der Stadt Sakaka, in deren Nähe (nur „etwa 50 km Kilometer nördlich“) „die älteste menschliche Niederlassung in Arabien“ liegt, nämlich

das Dorf aš Shuwayhitiyah, in dessen Umgebung ein Areal von siebzehn Siedlungsplätzen mit zahlreichen Steinwerkzeugen entdeckt wurden, die in die Altsteinzeit datiert werden (ca. 1 Mio. Jahre alt).

Um (S. 237) die „Region um Sakaka“ in die Reiseroute der Exodus-Gruppe einzubinden, greift Bauersachs auf die eigentümlichen Verse 4. Mose 21, 17-20 zurück, die in der Bibel erst „unmittelbar vor der ‚Landnahme‘ zu finden“ sind:

17 Damals sang Israel dieses Lied: Steige herauf, Brunnen! Singt ihm zu!

18 Brunnen, den Oberste gegraben, den die Edlen des Volkes gehöhlt haben mit dem Zepter mit ihren Stäben! Und aus der Wüste zogen sie nach Mattana;

19 und von Mattana nach Nahaliel; und von Nahaliel nach Bamot;

20 und von Bamot in das Tal, das im Gebiet von Moab ist, bei dem Gipfel des Pisga, der hinunterblickt über die Fläche der Wildnis.

Zunächst fragt sich Bauersachs, warum hier „Oberste und Edle des Volkes Israel … mit Zepter und Stäben einen Brunnen“ graben sollten, zumal (S. 238) Mose als Anführer der Exodus-Gruppe doch „nicht wie spätere Könige auf Machtinsignien wie ein Zepter angewiesen“ war. Er erwägt zwar, dass es sich bei „den als Grabwerkzeug verwendeten Stäben … ganz naheliegend um die Stäbe der Hirten … gehandelt haben“ könnte, verwirft diesen Gedanken aber sofort wieder, denn:

Mit dem verbreiterten Ende („Paddel“) eines solchen Stabs einen richtigen Brunnen zu graben, ist indessen ein mühseliges Unterfangen, sie dienten lediglich dazu, bis zum Grundwasser zu graben, um die Tiere zu versorgen zu können.

Um die „Textstelle … ganz anders“ auszulegen, führt er „die hebräischen Wörter mit ihren scheinbar richtig übersetzten … Bedeutungen“ in einer Liste auf, um sie anschließend auf seine Weise zu korrigieren. Er geht dann allerdings doch nur auf drei der acht von ihm angegebenen hebräischen Wörter ein:

  • Zum Wort MaThaNaH = „Geschenk (im Sinne Wasserstelle in der Wüste)“, das im Bibeltext als „Ort der Wanderung“ genannt wird, meint er, dass es „sich um die Verfremdung des Ortsnamen Badana handeln“ könnte, obwohl dieser Ort „beim heutigen Ar’ar“ viel zu weit von der Wüstenwanderungsstrecke entfernt liegt und somit außer Acht bleiben kann.
  • Das Wort KaRaH = „graben (einer Zisterne oder Brunnen)“ bezieht er auf „das Städtchen El Kara (auch Qara geschrieben)“, das „einige Kilometer weiter südlich“ von Sakaka liegt, obwohl es „wohl ebenso nichts mit KaRaH = graben zu tun hat“. Im Bibeltext steht allerdings nicht die Grundform KaRaH dieses Wortes, sondern die Form KaRUaH, die sich auf den von den Edlen „gegrabenen“ Brunnen bezieht. Überdies kann das Wort im Zusammenhang des Satzes überhaupt nicht als eine Ortsbezeichnung gelesen werden.
  • Schließlich will Bauersachs in dem Wort ḪaQaQ = „Gesetzgeber“ die „verballhornte Stadt Sakaka“ selbst wiedererkennen. Wahrscheinlich greift er deswegen auf die Übersetzung „Gesetzgeber“ zurück, die die Elberfelder Bibel von 1905 in Vers 18 an Stelle von „Zepter“ bietet, weil auf diese Weise der Text, so wie er in der Bibel steht, noch seltsamer klingt, übrigens auch in der Lutherbibel von 1545: „die Edlen im Volk haben {den Brunnen} gegraben durch den Lehrer und ihre Stäbe“ (meine Hervorhebung). Auch hier steht nicht die Grundform ḪaQaQ, sondern die Form BiMɘḪoQeQ. <121>

Wenn man allerdings den ersten Buchstaben Bɘ- dieser Form und auch des folgenden Wortes BɘMiŠˁANoThäM = „mit ihren Stäben“ als Präposition „bei“ begreift und bedenkt, dass die Vokalisation dieser Wörter nicht originalgetreu überliefert worden sein muss, wäre es immerhin denkbar, den Satz folgendermaßen zu lesen: „Brunnen, den Anführer gegraben haben, den die Sippenoberhäupter gegraben haben bei MaḪaQaQ, bei MaŠaˁANaThaM und der Wüste MaThaNaH.“ Allerdings ist das Wort MaḪaQaQ dem Namen „Sakaka“ wirklich nicht sehr ähnlich, und ob die beiden anderen Wörter als Ortsnamen in der Umgebung nachweisbar sein könnten, kann ich nicht sagen.

Die eingehende Wortuntersuchung, die Bauersachs zu den Ortsnamen Sakaka und Kara anstellt, überzeugt mich also nicht wirklich davon, dass in 4. Mose 21,18 von diesen Städten die Rede ist, zumal überhaupt keine Notwendigkeit besteht, ausgerechnet hier nach Brunnen zu graben, denn:

Im Umkreis dieser beiden Städte, die unmittelbar am direkten Weg vom mesopotamischen Kadesch-Qadisija nach Palästina liegen, gibt es ausreichend Wasserstellen (al Jauf-Distrikt) um durchziehenden Karawanen und Nomaden mit ihren Herden nach einer längeren Durststrecke Gelegenheit zur Regeneration zu geben.

Wieder greife ich auf das Ockhamsche Rasiermesser zurück, indem ich weit hergeholte Spekulationen von Bauersachs verwerfe und eine viel einfachere Lösung vorschlage, auf Grund derer ich der Stadt Sakaka eine viel wichtigere Rolle auf der Wüstenwanderung zuspreche, auch ohne dass ihr Name ausdrücklich erwähnt wird.

Oben hatte Bauersachs (S. 236) im Zusammenhang mit seinen Erwägungen zu Datan erwähnt, dass „die Assyrer den Einwohnern der Region mit der Königsresidenz al Jauf, heute Sakaka“ den Namen „Adumatu oder Adummutu“ gegeben haben. Wenn das aber so ist, dann wurde der Exodus-Gruppe durch den „König vom Edom“ vielleicht gar nicht erst in Dumat-al-Ğandal, sondern bereits 50 km zuvor der weitere Durchzug verwehrt, als sie nach ihrem langen Marsch durch die arabische Wüste in den Einzugsbereich der großen Stadt Sakaka gelangten.

Und da Mose nach 4. Mose 20,14 zunächst „von Kadesch aus“ Boten „an den König von Edom“ mit der Bitte um eine Durchzugsgenehmigung sendet, könnte man dieses Kadesch (unterschieden von dem Kadesch-Qadisija am Beginn dieser dritten Wanderungsetappe) evtl. sogar in dem Ort Hudayb oder Hedeb wiedererkennen, das einige Kilometer vor Sakaka die erste große Ansiedlung nach der Durchquerung der arabischen Wüste darstellt.

Die dritte Etappe der Wüstenwanderung endet also nicht erst bei Dumat-al-Ğandal, sondern bereits vorzeitig vor den Toren von Sakaka – vielleicht bei einem biblischen Kadesch names Hudayb. Und von hier führt ein Umweg nach Norden direkt in die relativ ebene Gegend am östlichen Hang des Gebirges Djebel Amud, die für Kleinviehnomaden gut zu bewältigen sein müsste.

5.3.3.8 Mirjams Aussatz und Tod und die Haderwasser-Affäre

Bevor ich allerdings auf die 4. Wüstenwanderungsetappe eingehen kann, muss ich noch einmal zurückblenden. Ich hatte zu Beginn der Besprechung der dritten Etappe davon gesprochen, dass die Bibel (4. Mose 20,1) auch Mirjams Tod in der Wüste Zin lokalisiert, und zwar in unmittelbarem Zusammenhang (20,2-13) mit der Erzählung vom Haderwasser. An diese wiederum schließt sich (20,14) lückenlos die bereits besprochene Entsendung der Boten zum „König von Edom“ an, die von Kadesch-Hubayb aus erfolgt.

Dieser Zusammenhang der Wüste Zin mit dem „Haderwasser von Kadesch“ bzw. mit dem „Wasser von Meriba-Kadesch“ wird zudem sowohl in 4. Mose 27,14 als auch in 5. Mose 51 bestätigt. Und die Liste der Lagerplätze setzt in 4. Mose 33,36 sogar die Wüste Zin mit Kadesch gleich, von wo aus im folgenden Vers 37 zum „Berg Hor, am Rand des Landes Edom“ aufgebrochen wird.

Diese vielen Belege lassen mich annehmen, dass nach dem Unglück des Höhleneinsturzes gegen Ende der dritten Etappe tatsächlich auch noch Mirjams Tod zu beklagen war und es in dieser Wüstenregion noch einmal ein schwerwiegendes Problem mit der Wasserversorgung zu bewältigen gab.

Zu letzterem ist zu sagen, dass die Bibel ja bereits im Zusammenhang mit der ersten Etappe (2. Mose 17,1) bei Refidim = Rafidia ein ähnliches Wasserproblem geschildert hatte. Dort war es dadurch gelöst worden (17,6), dass Mose beim Felsen am Horeb auf den Felsen schlug, und schon dort war der Ort (17,7) „(Massa und) Meriba“ genannt worden. Jetzt erweist es sich, dass dieses Wasserwunder dort sicher eingeschoben worden war (wie schon die Doppelung des Namens „Meriba“ zeigt); wegen der Verbindung mit der Wüste Zin und dem Kadesch-Hudayb an der Grenze von Edom ist sein eigentlicher Platz definitiv hier am Ende der dritten Etappe.

Bauersachs erwägt (S. 189) im Zusammenhang mit der Frage von Mose und Aaron in 4. Mose 20,10: „Werden wir für euch Wasser aus diesem Felsen hervorbringen?“, ob sie zwar wussten, dass es sich bei „diesem ‚Felsen‘ … um einen Mini-Staudamm aus Lehm gehandelt“ hatte, „der eine Felsspalte verschließt, damit sich nach Regenfällen Wasser sammeln kann“, sich aber „unsicher“ waren, „ob der Speicher voll ist.“ Eine dementsprechende Prüfung ist möglich, indem man

den Verschlussstein entfernt, mit dem Hieb seines Stabes den Damm zerstört oder hochklettert, um von oben einen prüfenden Blick auf den Stausee zu werfen. Diese Unsicherheit wird ihm und auch Aaron von JAHWE zum Vorwurf gemacht, er darf angeblich deshalb nicht des Gelobte Land betreten (siehe 4. M 20,12).

Auf diese Weise wäre erklärbar, wie aus einem Felsen Wasser hervorquellen kann. Und wenn kurz darauf wirklich Aaron beim Berg Hor (siehe unten) gestorben ist, mag man schon bald nachgegrübelt haben, wofür er damit möglicherweise von Gott bestraft worden sein könnte.

Aber kann so kurz vor ihrem Bruder auch Mirjam gestorben sein? Ich wüsste nicht, warum man ein solches Ereignis erfunden haben sollte. Eine mögliche Ursache ihres Todes wird in 4. Mose 12,1-15 angedeutet, dass nämlich Mirjam wegen ihrer Kritik an Mose zur Strafe an Aussatz erkrankt. Zwar wird von ihrer Heilung berichtet, aber sie könnte tatsächlich an einer bösartigen Hautkrankheit gelitten haben, die zu ihrem Tode führte (wobei die Deutung der Krankheit als Strafe selbstredend erst nachträglich erfolgte).

Im Text der Bibel wird von Aaron und Mirjams Kritik an Mose erst im Anschluss an das Wachtelwunder bei Kibrot-Hattaawa erzählt, umschlossen von zwei Ortsangaben, die sich auf Hazerot beziehen (was ebenfalls an den Ortsnamen Khabrat Hazawza erinnert), aber falls sowohl Mirjam in der Wüste Zin als auch Aaron am Berg Hor, also kurz vor und kurz nach dem bei „Edom“ erzwungenen Umweg, versterben, kann diese Episode nicht erst dort einzuordnen sein. Wann also Mirjam zum ersten Mal erkrankt sein könnte, ist nicht zu sagen, weil die Erzählung keine sonstigen Hinweise zur örtlichen oder zeitlichen Einordnung bietet. Vielleicht wurde ja Mose wegen seiner Frau Zippora schon sehr früh kritisiert, da er sie ja nicht erst während der Reise heiratete.

Aber nun weiter auf dem erzwungen Umweg um „Edom“ herum!

5.3.4 Etappe 4: Wüste Sinai – vom Berg Hor zum Berg Sinai <122>

Die Gründe dafür, warum ich die Gegend, durch die der Umweg der Exodus-Gruppe von Hudayb aus führt, mit der biblischen Wüste Sinai identifiziere, werden sich erst erschließen, wenn ich mich in den beiden nächsten Abschnitten mit dem biblischen Gottesberg Sinai und dem Berg Hor, auf dem Aaron gestorben sein soll, beschäftigt habe. Klar ist auf jeden Fall: Die Wüste Sinai hat ihren Namen von dem Gottesberg erhalten, den das Volk Israel in dieser Wüste erreicht hat. Die Frage wird aber sein: Wie hieß dieser Gottesberg ursprünglich?

Vorhin hatte ich begründet, warum ich den Djebel Sanam mit dem biblischen Horeb gleichsetze. Da Mose am Horeb einen Altar mit dem Namen JHWH NiSsiJ = „JHWH mein Feldzeichen!“ errichtet, könnte dieser erste Gottesberg bei den ursprünglichen Erzählern unter dem Namen NissiJ bekannt gewesen sein, woraus sich durch Metathese der Name SsINaJ = „Sinai“ entwickelt haben kann. Aber wie kam es dann dazu, dass dieser Name sich später mit dem zweiten Gottesberg verknüpfte, den die Exodus-Gruppe erst auf der vierten Etappe ihrer Wanderung erreicht? Das hoffe ich am Ende des übernächsten Abschnitts geklärt zu haben.

5.3.4.1 Das vulkanische Gebirge des Djebel Amud als der Sinai

Zum Berg Sinai (S. 238) behauptet die Bibel (2. Mose 19,1-2), dass dieser „Berg der Zehn Gebote etwa drei Monate nach dem Durchzug durchs Rote Meer erreicht worden“ ist:

1 Im dritten Monat nach dem Auszug der Söhne Israel aus dem Land Ägypten, an eben diesem Tag kamen sie in die Wüste Sinai.

2 Sie brachen auf von Refidim und kamen in die Wüste Sinai und lagerten sich in der Wüste; und Israel lagerte sich dort dem Berg gegenüber.

Einen (S. 239) „nennenswerten Berg oder gar einen Vulkan (denn darauf deuten alle Schilderungen hin…)“ kann nach Bauersachs jedoch „die Exodus-Gruppe nach diesen drei Monaten … weder von Ägypten aus noch von Kadesch-Qadisija aus erreicht haben“.

Zwar habe ich im Gegensatz zu Bauersachs den Djebel Sanam als den Gottesberg Horeb identifiziert, der bereits am Anfang der Wüstenwanderung erreicht wird, allerdings stimme ich ihm zu, dass ein Berg, der dem Profil des biblischen Sinai entspricht, auf den bisherigen drei Etappen nicht aufzufinden war.

Seine Einschätzung, dass auf Grund der „Zeitangaben des Alten Testaments“, nämlich „dass die Exodus-Gruppe von Ende Mai bis April des darauffolgenden Jahres in der Nähe des Berges Sinai campiert haben soll“ in der Nähe des Sinai „ausreichende Weideflächen und eine gesicherte Wasserversorgung“ vorausgesetzt sein muss, teile ich dagegen nicht, da alle Angaben über längere Aufenthalte in der Wüste oder an einem Gottesberg sicher auf die spätere biblische Niederschrift zurückgehen.

Auf der Suche nach dem Sinai will Bauersachs also „nach einem Berg Ausschau … halten, der diesen Namen auch verdient“, der also in erheblichem Maße „die Umgebung überragt“ und bei dem „vulkanische Aktivitäten in der jüngsten Vergangenheit“ nachzuweisen sind.

In der Nähe von Sakaka

erreicht die Exodus-Gruppe erstmals … eine Gegend, die mit Recht als bergig bezeichnet werden darf und die durch den Wasserreichtum auch ein längeres Verweilen ermöglicht. Der heutige Ort Sakaka liegt etwa 600 Meter hoch…, weiter nördlich (130 km) findet man das Massiv des Djebel Amud, dessen Hauptgipfel (1181 Meter) eine vorgelagerte Ebene um 350 Meter überragt. Dieser Djebel Amud ist eindeutig vulkanischen Ursprungs. Zusammen mit seinen Hauptkratern finden sich auf einer Karte im Maßstab 1:500.000 sechzehn Krater, eine genaue topographische Karte zeigt sicherlich noch mehr.

Die Lava in Saudi-Arabien ist dünnflüssig, dramatische Vulkanausbrüche wie beim Vesuv oder Krakatau kommen deshalb nicht vor. Die Situation am Djebel Amud ist ähnlich wie am Ätna, der nicht „gefährlich“ im Sinn von explosiv ist, sondern bei häufigen kleinen Eruptionen Druck abbauen kann.

Zum Djebel Amud passt daher durchaus die Darstellung des Sinai in 2. Mose 19,18:

18 Und der ganze Berg Sinai rauchte, weil der HERR im Feuer auf ihn herabkam. Und sein Rauch stieg auf wie der Rauch eines Schmelzofens, und der ganze Berg erbebte heftig.

Nach Bauersachs (S. 241) „hatte die Exodus-Gruppe“ auf „dem erzwungenen Umweg um ‚Edom‘-Adumu … bei guten Bedingungen Sichtkontakt zum Djebel Amud (ca. 110 km Luftlinie)“. Dass jedoch Mose „als Führer mit der Gegend vertraut“ war und „offenbar Vorzeichen eines bevorstehenden Vulkanausbruchs“ erkennt, ist wiederum nur auf die in meinen Augen falsche Annahme zurückzuführen, Mose sei ein bloßer Karawanenführer gewesen. Erst recht halte ich es für abwegig, darüber zu spekulieren, ob Mose aus „reine{r} Neugier…, einen Vulkanausbruch aus der Nähe zu erleben“, möglicherweise „die Exodus-Gruppe … einen weiteren Umweg zu diesem Gottesberg Sinai hat machen lassen“:

Die beeindruckenden Begleiterscheinungen des Vulkanausbruchs wie Erdbeben, Donnergrollen, Rauchwolke und Feuerschein in der Nacht haben sich jedenfalls tief ins Gedächtnis der Wanderer eingeprägt.

Aber wo könnte sich „die Exodus-Gruppe … in respektvollem Abstand vom Berg der Zehn Gebote“ niedergelassen haben, wie es in 2. Mose 19,2 („dem Berg gegenüber“) beschrieben wird? Dazu hat Bauersachs die folgende Idee:

Mitten in der Ebene, aus der Berg emporsteigt, befindet sich im Osten auf dem Weg von El Djalamid (bei Ar‘ar) nach Sakaka eine ergiebige Wasserstelle mit dem Namen Ruhali, von der es etwa noch 30 km zum Fuß des Bergmassivs sind.

Hier könnte sich, wenn überhaupt, die Exodus-Gruppe mit ihren Herden gelagert haben. Diese Entfernung gäbe einerseits weitgehend Sicherheit vor den Gefahren eines hier relativ unspektakulär verlaufenden Vulkanausbruchs, zum anderen befände sich die Exodus-Gruppe hier sozusagen auf einem Logenplatz und hätte das im Alten Testament geschilderte Szenario miterleben können.

Das gesamte „Massiv des Djebel Amud“ erstreckt sich „etwa 100 km in N-S-Richtung und etwa 50 km von Ost nach West“. Nach Ansicht von Bauersachs (S. 242) „könnte (wenn überhaupt) einer der im Süden des Massivs gelegenen Vulkane der biblische Sinai gewesen sein. In diesem Bereich ist die Wasserstelle Machfur zu finden“, die Mose einen „längeren Aufenthalt am Gottesberg ermöglicht“ haben könnte.

Skizze des Weges durch das Wadi Sirhan und dann in Richtung Moab
Etappen 5 und 6 der Wüstenwanderung (Karte: Konrad Bauersachs)

Wie viel von den am Sinai berichteten Ereignissen tatsächlich auf historische Erinnerungen zurückgeht, kann nicht gesagt werden. Es ist ja nicht einmal klar, ob die Exodus-Gruppe überhaupt diesen Abstecher zum Djebel Amud gemacht hat. Ein zusätzliches Indiz dafür wird sich allerdings im nächsten Abschnitt ergeben.

Wenn nämlich außergewöhnliche Umstände, möglicherweise im Zusammenhang mit einem Vulkanausbruch, der die Exodus-Gruppe nachhaltig beeindruckte, einen längeren Aufenthalt in diesem Gebiet zur Folge hatten, dann kann ihnen wirklich hier eine Offenbarung Gottes zuteil geworden sein, zumal, wie Bauersachs (S. 240) schreibt, es „zur damaligen Zeit nicht ungewöhnlich“ war, dass „ein Gott durch Naturereignisse zu Menschen spricht“.

Mose wiederum könnte als Rebell gegen Unterdrückung und Unrecht auch eine prophetische Gabe gehabt haben und tatsächlich an diesem Djebel Amud die Erfahrungen der Befreiung aus der Fronarbeit und der wechselvollen Ereignisse der Wüstenwanderung mit spirituellen Eingebungen verknüpft und der Exodus-Gruppe als Botschaft eines Gottes verkündet haben, der in die Freiheit führt und zu einer Disziplin der Freiheit verpflichtet.

5.3.4.2 Wurde der Berg Hor, wo Aaron starb, zum Gottesberg?

Was sich bisher der Identifikation des Djebel Amud mit dem Berg Sinai entgegenstellt, ist die Tatsache, dass er im Zusammenhang mit dieser Etappe der Wüstenwanderung überhaupt nicht erwähnt wird. Stattdessen ist aber in 4. Mose 20,21-22 durchaus die Rede von einem anderen Berg, und zwar unmittelbar mit dem durch „Edom“ erzwungenen Umweg:

21 Und so weigerte sich Edom, Israel zu gestatten, durch sein Gebiet zu ziehen; und Israel bog ab.

22 Und sie brachen auf von Kadesch; und die Söhne Israel, die ganze Gemeinde, kamen an den Berg Hor.

Das heißt: Von Kadesch = Hudayb bricht die Exodus-Gruppe unmittelbar zum Berg Hor auf. Und bei diesem Berg handelt es sich nach Vers 23 wörtlich um den HoR HaHaR ˁAL-GɘBUL ˀÄRäTs-ˀÄDOM = „Hor, den Berg an der Grenze des Landes Edom“. Mit diesem Berg kann also sehr gut das Bergmassiv des Djebel Amud nördlich von Dumat-al-Ğandal und Sakaka, das wir mit „Edom“ identifiziert haben, gemeint sein.

Interessant ist, dass die hebräischen Konsonanten des Namens „Hor“ identisch sind mit denen von dem Wort „Berg“. Es kann also sein, dass die Exodus-Leute diesen Gottesberg ursprünglich einfach als „den“ Berg bezeichneten, woraus dann später der Berg Hor wurde.

Was geschieht nun auf diesem Berg Hor? Schauen wir in den Text 4. Mose 20,23-28:

23 Und der HERR redete zu Mose und zu Aaron am Berge Hor, an der Grenze des Landes Edom, und sprach:

24 Aaron soll zu seinen Völkern versammelt werden; denn er soll nicht in das Land kommen, das ich den Söhnen Israel gegeben habe, weil ihr gegen meinen Befehl widerspenstig gewesen seid bei dem Wasser von Meriba.

25 Nimm Aaron und seinen Sohn Eleasar und laß sie hinaufsteigen auf den Berg Hor;

26 und ziehe Aaron seine Kleider aus und lege sie seinem Sohn Eleasar an! Und Aaron soll zu seinen Vätern versammelt werden und dort sterben.

27 Und Mose tat, wie es der HERR befohlen hatte. Sie stiegen auf den Berg Hor vor den Augen der ganzen Gemeinde.

28 Und Mose zog dem Aaron seine Kleider aus und legte sie seinem Sohn Eleasar an. Und Aaron starb dort auf dem Gipfel des Berges. Und Mose und Eleasar stiegen von dem Berg herab.

Einer historischen Erinnerung könnte es meines Erachtens entsprechen, dass Aaron tatsächlich während des Aufenthalts am Djebel Amud gestorben ist. Über die Todesursache wissen wir nichts; man könnte über einen Vulkanausbruch oder einen Zwischenfall auf einer Erkundungstour im Gebirge spekulieren. Als Strafe Gottes hat man diesen Tod sicher erst später gedeutet. Jedenfalls schließe ich aus, dass die Exodus-Gruppe diesen Todesfall als solchen erfunden hat, auch wenn Bauersachs, wie oben in Abschnitt 4.3.5 dargestellt, genau das annimmt, indem er den Erzählern unterstellt, sie wollten auf diese Weise die vorzeitige Rückkehr des pflichtvergessenen Karawanenführers Aaron in seine Heimat vertuschen.

Besonders interessant ist nun der nächste Vers 4. Mose 20,29:

29 Und als die ganze Gemeinde sah, daß Aaron verschieden war, beweinte das ganze Haus Israel den Aaron dreißig Tage lang.

Wenn wirklich Aaron auf oder in der Nähe des Berges Hor gestorben ist, macht es auch Sinn, das die Exodus-Gruppe tatsächlich eine solche Trauerzeit einhält und sich für eine etwas längere Zeit (nicht unbedingt ein ganzes Jahr, aber doch einige Wochen) an diesem Berg aufhält. Meine Vermutung ist nun, dass es genau diese Zeit gewesen sein könnte, auf die ihre Erinnerungen an die Gottesoffenbarung auf den Sinai zurückgehen.

Es gibt noch eine zweite Bibelstelle, die meine Argumentation unterstützt. Das 5. Buch Mose stellt nämlich Aarons Tod in einen engen Zusammenhang mit der Offenbarung der Zehn Gebote auf dem Gottesberg. Nach 5. Mose 10,5-6 bricht Israel unmittelbar nach dem Empfang der Steintafeln mit den Zehn Geboten vom dort Horeb genannten Gottesberg auf, um über Beerot-Bene-Jaakan nach Moser zu gelangen, wo Aaron stirbt:

5 Und ich {Mose} wandte mich und stieg vom Berg herab. Und ich legte die Tafeln in die Lade, die ich gemacht hatte; und dort blieben sie, wie der HERR mir geboten hatte.

6 Und die Söhne Israel brachen auf von Beerot-Bene-Jaakan nach Moser. Dort starb Aaron, und dort wurde er begraben.

Ich schlage vor, das biblische Durcheinander dieser drei Berge Hor, Horeb und Sinai überlieferungsgeschichtlich folgendermaßen auseinanderzudröseln:

  1. Ursprünglich hat die Exodus-Gruppe den Djebel Sanam als ersten Gottesberg erlebt und wegen des dort erbauten Altars als NiSsiJ = SsINaJ = Sinai erinnert. Nachdem Aaron am Djebel Amud gestorben war und bei einem mehrere Wochen umfassenden Aufenthalt an diesem Berg weitere Erfahrungen mit ihrem Gott gemacht hatte, nannte man diesen Berg zunächst einfach HaHaR = „den Berg“, woraus später der Name HoR = Hor wurde. Und daraus kann sich noch später der Name ḪOReB entwickelt haben.
  2. Da man später den Gottesberg auf der Halbinsel Sinai zwischen Ägypten und Palästina zu finden meinte, musste der Eindruck entstehen, dass beide Berge bereits am Anfang der Wüstenwanderung erreicht wurden. Mit den zahlreichen Traditionen und Erzählungen, die sich inzwischen an den Aufenthalt am Gottesberg angelagert hatten, war zugleich aber nicht mehr vereinbar, dass Aaron bereits hier gestorben sein könnte. Darum musste doch wieder zwischen mindestens zwei Bergen unterschieden werden: einem Gottesberg und einem Berg, auf dem Aaron gestorben war.
  3. Die Erzählung im 2. und 4. Buch Mose löst dieses Problem so, dass der Berg Hor an der historisch korrekten Stelle mit Aaron verbunden bleibt, aber die mit diesem Berg außerdem verbundenen Traditionen in eine Wüste Sinai verlegt werden, die einen Monat nach dem Berg Horeb erreicht wird. Man weiß also noch von zwei verschiedenen Gottesbergen; im Erzählablauf verschmelzen aber beide so stark miteinander, dass der erste Berg zwar mit dem Altar NiSsiJ = Sinai in Verbindung steht, aber dennoch Horeb genannt wird, während der zweite Berg überwiegend den Namen SsINaJ = Sinai trägt, aber in 2. Mose 33,6 dann doch auch einmal Horeb genannt wird. So ist der Bäumchen-wechsel-dich-Tausch der beiden Gottesberg-Namen erklärbar.
  4. Die Überlieferung im 5. Buch Mose geht einen anderen Weg. Für sie behält der Gottesberg den Namen Horeb, ja, er bleibt sogar mit dem Tod Aarons verbunden, und zwar obwohl das aus der Sicht der Bibel insgesamt chronologisch unlogisch ist, denn dann müsste Aaron bereits ganz am Anfang der Wüstenwanderung gestorben sein, was aber ansonsten nirgends bezeugt ist. Weil auf jeden Fall aber auch für diese Tradition der Tod Aarons nicht auf oder am Gottesberg selbst geschehen sein kann, kann der Berg, auf dem Aaron stirbt, nun nicht mehr den Namen Hor tragen; das erklärt die alternative Angabe in 5. Mose 10,6, er sei in MOSseRaH = Moser gestorben.

Diese Erwägungen machen es meines Erachtens noch wahrscheinlicher, dass der Djebel Amud wirklich sowohl mit dem biblischen Sinai als auch mit dem Berg Hor identisch ist (wobei man überlegen könnte, ob es sich um unterschiedliche Berge desselben Gebirgsmassivs handelt) und dass Aaron tatsächlich die vierte Wüstenwanderungsetappe in der Gegend zwischen Sakaka und dem Djebel Amud nicht überlebt hat.

5.3.4.3 Giftige Schlangen auf dem Weg zum Schilfmeer

Wie gelangt die Exodus-Gruppe von ihrer Umwegstrecke her aber dann doch noch in das Wadi Sirhan, das die nächste Etappe ihrer Wanderung darstellen wird? Bauersachs schreibt dazu (S. 242):

Glaubt man der Niederschrift, so verlässt die Exodus-Gruppe nach dem Empfang der Zehn Gebote und 11 Monaten Aufenthalt die Region um Sakaka und kommt auf dem erzwungenen Umweg um „Edom“ herum im Wadi Sirhan wieder in der Realität an.

Falls die Wanderer sich tatsächlich östlich des Djebel Amud aufgehalten haben, müssen sie einen Weg südlich des Gebirges, aber nördlich der Städte Sakaka und Dumat-al-Ğandal wählen, um etwa bei der Stadt Tubarjal, dem biblischen Tabera, das Wadi Sirhan zu erreichen.

Die Bibel gibt in 4. Mose 21,4 nach dem Aufbruch vom Berg Hor als Wanderziel zunächst den „Weg zum Schilfmeer, um das Land Edom zu umgehen“ an. Auch diese Angabe stützt meine Lokalisierung des Berges Hor (S. 243), führt doch das Wadi Sirhan wirklich schnurstracks zum jordanischen „Feuchtgebiet Azraq“, das in „der Antike … eine ausgedehnte Sumpf- und Seenlandschaft mitten in der Wüste“ darstellte.

Dass wiederum der Djebel Amud mit dem Gottesberg Sinai identisch ist, wird dadurch bestätigt, dass sich an den Aufbruch der Exodus-Gruppe aus der Wüste Sinai in 4. Mose 10,12 (abgesehen von der mit der Wüste Paran verbundenen Kundschaftererzählung) nahtlos die Ereignisse anschließen, die sich nach 4. Mose 11 in Tabera und Kibrot-Hattaawa abspielen und haargenau zu den Gegebenheiten im Wadi Sirhan passen. Im Nachhinein wird also deutlich, dass dieses Kapitel dort nicht für sich allein, sondern im Zusammenhang mit der vorherigen Sinai-Überlieferung vor der „Etappe 2: Paran“ eingeschoben worden ist.

Bevor aber noch das Wadi Sirhan erreicht ist, erzählt die Bibel in 4. Mose 21,5-9 von einer Erfahrung mit giftigen Schlangen, der ein Teil der Exodus-Leute zum Opfer fällt. Ob sich dieser Vorfall in der Gegend südlich vom Djebel Amud und nördlich der Städte Sakaka und Dumat-al-Ğandal abgespielt hat, ist natürlich nicht zu beweisen. Unmöglich ist es nicht, wie der folgende Reiseführerbeitrag belegt:

Wer zu Fuß durch die Wüstenlandschaft wandert, kann auf einige giftige Tiere treffen. Darunter zählen giftige Schlangen wie die Arabische Sandrasselotter (Echis coloratus) und die Hornviper. In Jordanien sind sowohl die Arabische Hornviper (Cerastes gasperettii mendelssohni) als auch die Afrikanische Hornviper (Cerastes cerastes) beheimatet.

5.3.5 Etappe 5: Wadi Sirhan – von Tabera bis zum Schilfmeer

Mit der Ankunft im Wadi Sirhan (S. 242) liegen die

schwierigen Abschnitte der Reise … hinter den Wanderern, der bevorstehende Weg ins Gelobte Land ist geradezu ein Spaziergang, hier reiht sich eine Wasserstelle an die andere. …

Die Exodus-Gruppe soll das Gelobte Land von Osten her erreicht haben, von Ägypten aus musste die Niederschrift eine schwer verständliche Irrfahrt konstruieren. Dagegen führt der Weg von Kadesch-Qadisija am Euphrat durch das Wadi Sirhan auf kürzestem Weg direkt ins Gelobte Land. Durch die Sirhan-Senke verläuft eine antike „Autobahn“, die Babylonien auf dem kürzesten Weg mit Palästina und dem Mittelmeer verbindet.

Es ist dieses „Wadi Sirhan“ (S. 243), durch das nach Bauersachs „die eigentliche Königsstraße“ verlief, die aber „das Alte Testament von Nord nach Süd durch Transjordanien verlaufen lässt“. Dass es außer Nomaden und Kaufleuten auch „ Wasservögeln als Zugstraße“ dient, wird noch von Bedeutung sein und ebenso, dass es „etwa 50 km östlich der heutigen jordanischen Hauptstadt Amman in einer weiten Ebene“ endet, deren Zentrum „das mittlerweile renaturierte Feuchtgebiet Azraq“, also das eben erwähnte biblische „Schilfmeer“ bildet:

Obwohl die heutigen Verhältnisse nicht mit denen zu Mose Zeiten vergleichbar sind, vermitteln sie doch eine Vorstellung, welche Umweltbedingungen damals geherrscht haben müssen. Hier wurden in den letzten Jahren z.B. Oryx-Antilopen (Weltbestand 1960 nur 50 Tiere) nachgezüchtet, außerdem wurden der als ausgestorben geltende Wildesel (Onager) und der arabische Strauß wieder heimisch gemacht. Vor allem im Winter rasten bis zu 100.000 durchziehende Wasservögel in diesem Sumpfgebiet.

5.3.5.1 Feuer bei Tabera = Tabarjal

Obwohl die Exodus-Gruppe also eine weniger beschwerliche Wanderroute vor sich hat, scheint es nicht weniger schwerwiegende Probleme zu geben. Die Bibel berichtet jedenfalls in 4. Mose 11,1-3 von Klagen, in denen sich das Volk erging, woraufhin es im Lager ein Feuer gab:

1 Und es geschah, als das Volk sich in Klagen erging, da war es böse in den Ohren des HERRN. Und als der HERR es hörte, da erglühte sein Zorn, und ein Feuer des HERRN brannte unter ihnen und fraß am Rand des Lagers.

2 Und das Volk schrie zu Mose; und Mose betete zu dem HERRN, da legte sich das Feuer.

3 Und man gab diesem Ort den Namen Tabera, weil ein Feuer des HERRN unter ihnen gebrannt hatte.

Da die Exodus-Gruppe sich immer noch in der Nähe des Djebel Amud befindet und (S. 245, Anm. 36) „das Wadi Sirhan … nicht durch Erosion (wie ein Flusstal), sondern durch tektonische Ereignisse entstanden“ ist, lässt sich (S. 245) dieses Feuer leicht aus dem Zusammenhang „mit den Erdbeben und dem Vulkanausbruch des Djebel Amud“ erklären:

Durch die tektonischen Aktivitäten werden bei kleinen Nachbeben brennbare Gase wie Methan freigesetzt, die sich an offenen Feuern entzünden können.

Die Bibel gibt auf Grund dieser Episode dem Ort des Geschehens von der Wortwurzel BaˁAR = „brennen“ her den Namen ThaBˁE­RaH = Tabera, der sich noch heute in dem Ort „Tabarjal … etwa auf halber Strecke zwischen Sakaka und der jordanisch-arabischen Grenze“ wiederfinden lässt.

5.3.5.2 Wachteln bei Kibrot-Hattaawa

Während (S. 245) das Feuer „offenbar keinen Schaden“ anrichtet, kommt es nur 30 km von Tabarjal entfernt im Ort „Khabrat Hazaw­za“, den Bauersachs mit dem biblischen QiBROTh-HaThaˀAWaH = Kibrot-Hattaawa gleichsetzt, zu einer unglückseligen Entwicklung.

Khabrat ist die arabische Bezeichnung für eine Senke, in der sich nach Regenfällen Wasser sammeln kann und so vorübergehend ein Sumpfgebiet entstehen lässt <123>. Das Wasser in solchen Tümpeln verdunstet im Sommer schnell wieder, es ist salzhaltig und nur bei hohem Wasserstand halbwegs genießbar.

Die Bibel erklärt den Ortsnamen allerdings (4. Mose 11,34) als „Lustgräber“, „weil man dort das Volk begrub, das gierig gewesen war“. Welches dramatische Geschehen verbirgt sich dahinter?

Die Lust und Gier des Volkes bezieht sich hier auf das Verlangen (11,4), endlich einmal wieder Fleisch zu essen zu haben. Wunderbarerweise wird dieser Wunsch sogar erfüllt (11,31):

31 Und ein Wind ging von dem HERRN aus und trieb Wachteln vom Meer herbei und warf sie auf das Lager herab, eine Tagereise weit in der einen Richtung und eine Tagereise weit in der andern Richtung, rings um das Lager und zwei Ellen hoch lagen sie auf dem Erdboden.

Von welchem Meer kamen diese Wachteln? Nach Bauersachs (S. 243, Anm. 33) „ist hier das Schilfmeer Azraq“ gemeint, und die

biblische Wachtel-Episode hat sich im Wadi Sirhan …, genau wie im Alten Testament geschildert, zugetragen: Im Unterschied zu anderen Feldhühnern (z.B. Rebhuhn) ist die etwa starengroße Wachtel (Coturnix coturnix) ein Zugvogel, der im Herbst zum Überwintern nach Palästina und ins nördliche Afrika zieht. Dass heute die Wachtel auf der Liste der bedrohten Arten steht, hat sicher nichts mit dem biblischen Festessen zu tun, als tausende von entkräfteten Vögeln der hungrigen Exodus-Gruppe buchstäblich in den Mund flogen.

Die Freude am gierig herbeigesehnten Fleischgenuss bleibt aber nur von kurzer Dauer, denn (4. Mose 11,33):

33 Das Fleisch war noch zwischen ihren Zähnen, es war noch nicht zerkaut, da entbrannte der Zorn des HERRN gegen das Volk, und der HERR schlug das Volk mit einer sehr großen Plage.

Nach Bauersachs könnten die „Ursache für eine solche Plage … Parasiten im Fleisch der Wachteln gewesen sein, die für die Vögel selbst unschädlich sind, für den ‚falschen Wirt‘ Mensch aber tragische Folgen haben“, nämlich die Todesfälle, an die der Name „Lustgräber“ in zurechtweisender Absicht hindeutet.

5.3.5.3 Gab es einen König von Arad = Ridifah im Wadi Sirhan?

Im weiteren Verlauf des Wadi Sirhan verortet Bauersachs (S. 245) noch den biblischen Ort Arad, den er mit Ridifah gleichsetzt, „40 km von Khabrat Hazawza entfernt“. Oben hatte er ja festgestellt, dass auf der falschen Wüsterwanderungsroute von Ägypten aus der Umweg um Edom herum nicht gut zu einem „Arad“ westlich des Toten Meers passen würde. Das heißt: „Arad“ passt im Wadi Sirhan „exakt in die Reihenfolge des Itinerars, man darf es nur nicht im Süden Palästinas suchen!“ Genau so gut könnte ein biblisches „Arad“ sich aber auch hinter dem noch einmal 50 km weiter im Wadi Sirhan liegenden Ort Al Qurayyat verbergen.

Was die Bibel allerdings im Zusammenhang mit Arad zu berichten weiß (4. Mose 21,1-3), nämlich dass Israel Krieg mit Arad führt, wobei zunächst Arad Gefangene macht und schließlich Israel Arad völlig vernichten kann, woraufhin man dem Ort den Namen Horma gibt, hat keinerlei Anhalt an irgendeiner historischen Erinnerung, sondern ist ganz und gar der späteren rückblickenden Geschichtsschreibung geschuldet, die davon ausgeht, dass bestimmte Länder von Gott in die Hand Israels gegeben worden sind.

Wenn es überhaupt einen „König von Arad“ gegeben hat, dann vielleicht ein Stadtoberhaupt, mit dem die Exodus-Gruppe einen begrenzten Konflikt austragen musste, auf welche Weise auch immer. Ich schließe nicht aus, dass es solche Konflikte auf dem Weg durch das dichter besiedelte Wadi Sirhan waren, die – ähnlich wie beim Erreichen der Städte Sakaka und Dumat-al-Ğandal – dazu führten, dass die Exodus-Gruppe schon bald nicht mehr dem Verlauf des Wadis in nordwestlicher Richtung nach Al-Azraq folgte, sondern nach beim Wadi el Adla nach Westen abbog.

Da in den Versen vor dieser Episode vom Berg Hor die Rede ist, von dem die Exodus-Gruppe erst in 21,4 aufbricht, könnten die Verse 1-3 auch einen späteren Einschub darstellen. Vielleicht hängt ja sogar die Namensgebung von HaRMaH = „Horma“ mit dem Berg HOR HaHaR = „Berg Hor“ zusammen. Oder man hat wegen dieser Namensähnlichkeit die Episode hier eingeschoben. Die Liste der Lagerplätze in 4. Mose 33,39-41 erwähnt den „König von Arad“ allerdings ebenfalls ausdrücklich unmittelbar im Zusammenhang mit dem „Berg Hor“.

5.3.5.4 Geschah die Kundschafteraussendung von Ghatti aus?

Zu einem weiteren Ort im Wadi Sirhan (S. 249), nämlich dem 30 km nördlich von Radifah gelegenen Ort Ghatti, den er mit einem weiteren Kadesch gleichsetzen will, fragt sich Bauersachs, ob die Aussendung der in 4. Mose 13,2 ausgesandten Kundschafter von hier aus erfolgt sein kann. <124> Nun kommt aber der Ort Kadesch im Zusammenhang der Kundschaftergeschichte nur an einer einzigen Stelle vor, nämlich als die Kundschafter gemäß 4. Mose 13,26 „in die Wüste Paran nach Kadesch“ zurückkehren und Bericht erstatten. Gerade die Bezeichnung „Wüste Paran“ will aber zum Wadi Sirhan überhaupt nicht passen.

Ähnliches gilt für die Aufforderung an die Exodus-Gruppe in 4. Mose 14,25, dass sie zur Strafe für ihre Weigerung, das Land einzunehmen, umkehren und „zur Wüste in der Richtung zum Schilfmeer“ aufbrechen sollen. Zwar liegt 90 km nordwestlich von Ghatti das bereits erwähnte Schilfmeer bei Azraq, aber eben vor und nicht hinter ihnen; außerdem passt dazu überhaupt nicht die gleichzeitige Zielangabe einer Wüste. Es handelt sich hier schlicht um nachträglich deutende Angaben der Bibel, die davon ausgehen, dass die Auskundschaftung des Gelobten Landes eben von Kadesch-Barnea im Süden Palästinas aus unternommen wurde.

Immerhin drückt sich Bauersachs selbst auch sehr vorsichtig über die Entsendung der Kundschafter aus (S. 247): „Vorausgesetzt, diese Expedition hätte am Ende der Wüstenwanderung überhaupt wie beschrieben stattgefunden“, dann hätte das

wichtigste Interesse der Kundschafter … der Suche nach einer geeigneten Reiseroute vom Wadi Sirhan nach Westen gegolten, um die Menschen und Herden unbeschadet das letzte Stück Wüstensteppe bis nach Moab oder Edom zu führen. Geeignet heißt, es müssen genügend Wasserstellen vorhanden sein, außerdem wollte man Konflikte vermeiden und besiedelte Gebiete umgehen.

Es ist natürlich nicht unmöglich, dass eine solche Erkundung stattgefunden hat. Die biblische Kundschaftergeschichte spiegelt aber Konflikte wider, die sich, wenn in ihr ein historischer Kern enthalten sein soll, wohl doch eher auf einen gescheiterten Versuch beziehen, in Babylonien sesshaft zu werden, wie ich oben dargelegt habe. Das in 4. Mose 13,26 erwähnte Kadesch möchte ich daher auch viel lieber mit Al Qadisija identifizieren.

5.3.5.5 Hatte bereits die Exodus-Gruppe das „Gelobte Land“ als von Gott verheißenes Land vor Augen?

An der Stelle (S. 246), wo die Exodus-Gruppe im Wadi Sirhan die heutige „Grenze zwischen Saudi-Arabien und Jordanien“ erreicht, schwärmt Bauersachs davon, dass für sie nun „das lang ersehnte und von Gott dem Abraham versprochene ‚Gelobte Land‘ … greifbar nahe“ ist. Und ich wundere mich, dass er, der doch hauptsächlich an Geschichte und Geographie interessiert ist, sich theologisch so weit aus dem Fenster lehnt. Ich als Theologe bin mir gar nicht so sicher, ob die Exodus-Gruppe oder erst recht zuvor schon die Sippe Abrahams tatsächlich bereits eine so klare Vorstellung von einem Gelobten Land hatten, das ihnen von Gott versprochen worden war. Wahrscheinlich waren ihre Hoffnungen und Wunschträume viel bescheidener und richteten sich einfach darauf, geeignete und sichere Weideplätze für ihr Vieh zu finden, wurden aber später theologisch großartig ausgestaltet.

5.3.6 Etappe 6: Rund um die Wüste „vor Moab gegen Osten“

In 4. Mose 21,11 kommt eine weitere Wüste vor, die aber keinen eigenen Namen hat. Mit der „Wüste, die vor Moab gegen Osten ist“, könnte die Landschaft gemeint sein, die westlich vom Wadi Sirhan durch die Wadis el-Adla, Ghadaf und Attarat al-Damta erreicht wird und sich bis zu der Stadt Suwaqa al Gharbiya erstreckt, wo das Wadi Mujib beginnt.

Die sich an diesen Vers anschließende Wegbeschreibung in 21,12-15 scheint sich auf genau diese Landschaft zu beziehen.

Die Verse 16-20 handeln von dem Brunnen, den führende Leute des Volkes gegraben haben und der schwer zu lokalisieren ist, und haben als Zielpunkt den Gipfel des Pisga, der gewöhnlich in der Jordanebene am Nordende des Toten Meers gesucht wird.

Die weiteren Verse 21-35 stellen die auf jeden Fall aus rückblickender Sicht dargestellte Einnahme der beiden Länder der Amoriterkönige Sihon und Og dar, worauf später eingegangen wird.

Danach ist in 4. Mose 22,1 davon die Rede, dass die Exodus-Gruppe aufbricht und sich „in den Ebenen Moabs“ lagert. Aus der Sicht der rückblickenden Geschichtsschreibung liegen diese Ebenen oder Steppen eben dort, „jenseits des Jordan bei Jericho“, wohin zuvor der Weg ins „Gebiet von Moab … bei dem Gipfel des Pisga“ geführt hatte.

Nach Bauersachs stellen aber diese „Ebenen Moabs“ in Transjordanien bereits das Ziel der Wüstenwanderung dar (was noch zu begründen sein wird). Damit wäre die nun zu beschreibende 6. Etappe dieser Wanderung zugleich ihre letzte, und die Verse 21,16-20 könnten sich dann (zumindest teilweise) bereits auf Erkundungen innerhalb des nun erreichten Ziels der Wanderung, nämlich den „Steppen Moabs“ oder „Ebenen Moabs“ beziehen, auf die im Abschnitt 6.1.3 eingegangen wird und die sich westlich der „Wüste vor Moab gegen Osten“ (bzw. der Stadt Suwaka) erstrecken.

5.3.6.1 Durch die Wadis Adla und Ghadaf nach Obot = et-Tuba

Nach der Umwegs-Etappe 4, die biblisch mit der Schlangen-Episode endete, konnte die biblisch an den Aufbruch vom Sinai anschließende Feuer- und Wachtelwunder-Geschichte im Rahmen einer 5. Wüstenwanderungsetappe im Wadi Sirhan verortet werden.

Unmittelbar nach der Erzählung von den giftigen Schlangen folgt in der Bibel eine Wegbeschreibung, die bis in die Gegend des Flusses Arnon führt. Der erste in diesem Itinerar genannte Ort ist ˀOBoTh = Obot (4. Mose 21,10):

10 Und die Söhne Israel brachen auf und lagerten sich in Obot.

Dazu schreibt Bauersachs (S. 249f.):

der Name wird als Wasserbeutel gedeutet. Tatsächlich gab es hier eine größere Oase mit diesem Namen (heute Abar et-Tuba), an der Wasservorräte ergänzt werden konnten; der heutige Name Tuba ist durch Metathese aus Obot entstanden. …

Zwei Kilometer weiter südlich stand das Wüstenschloss Qasr et Tuba; die Umgebung des Schlosses wird später im Buch Richter (Ri 11.3) nochmal als Land Tob erwähnt; in das sich Jephtah vorübergehend geflüchtet hat. Dieses et Tuba war eines von zahlreichen sog. Lustschlössern: Die Omayyaden erbauten sie weitab der Städte, um dort ungestört den Vergnügungen nachzugehen, die dem gemeinen Volk verboten waren. …

Die Umweltbedingungen haben sich seit der Erbauung des größten omayyadischen Schlosses dieser Art im 8. Jahrhundert n. Chr. grundlegend geändert, vom damaligen Wasserreichtum ist nichts mehr geblieben.

Wie kann die Exodus-Gruppe diesen Ort erreicht haben? Vom Wadi Sirhan biegen sie etwa 50 km vor dem Feuchtgebiet von Al-Azraq (S. 249) an „der heutigen jordanisch-arabischen Grenze“ zur Hochebene hin

nach Westen ab und folgen zunächst etwa 20 km dem Wadi Jashasha el Adla und wechseln dann über einen Bergrücken ins Wadi Ghadaf; hier liegt eine kleine Oase. Das Wadi Ghadaf bringt die Exodus-Gruppe weiter nach Westen in Richtung Moab, das Wadi Jashasha el Adla macht an dieser Stelle einen 90°-Knick nach Süden. Entlang der Karawanenwege im Wadi Ghadaf (auch heute folgt eine Straße diesem Wadi) erreichen sie nach etwa 30 km eine ergiebige Wasserstelle:

… Obot – das heutige et Tuba…

5.3.6.2 Von Ije-Abarim zum Arnon bei Waheb in Sufa und zum Tal gegenüber dem Pisga

Von Obot aus brechen die Exodus-Leute auf und (4. Mose 21,11) „und lagerten sich in Ije-Abarim in der Wüste, die vor Moab gegen Osten ist“. Ob dieses Ije-Abarim vielleicht in dem Wadi Attarat al-Damta wiederzuerkennen ist, das in der Nähe von Obot weiter nach Westen auf die wüstenhafte Hochebene führt?

Auf die Station „Bach Sered“, die in 4. Mose 21,12 an dieser Stelle eingefügt ist, muss ich näher eingehen. Sie spielt in 5. Mose 2,13-14 insofern eine große Rolle, als sie sozusagen den Wendepunkt der Wüstenwanderung markiert, an dem die Bestrafung der 38-jährigen Wanderung seit Kadesch-Barnea an ihr Ende gelangt ist:

13 Nun macht euch auf und zieht über den Bach Sered! Und wir zogen über den Bach Sered.

14 Die Tage aber, die wir von Kadesch-Barnea wanderten, bis wir über den Bach Sered zogen, betrugen 38 Jahre, bis die Generation der kriegstüchtigen Männer aus dem Lager vollständig aufgerieben war, so wie der HERR ihnen geschworen hatte.

Die rückblickende Niederschrift, die ja von einer Wüstenwanderung aus südlicher Richtung ausgeht, muss in dem Bach Sered das Wadi al-Hasa erblicken, das etwa 50 km südlich vom Wadi Mujib (dem biblischen Arnon) in Ost-West-Richtung auf das Tote Meer zuläuft und die späteren Länder Edom und Moab voneinander trennt. Für das 5. Buch Mose, das von einem Umweg um das Land Edom nichts weiß, wird dieser Bach Sered unmittelbar nach (5. Mose 2,4-12) dem Durchzug durch das Brudervolk Esau = Edom erreicht und überschritten, und zwar (Vers 8) „auf dem Weg zur Wüste Moabs“. Im Klartext: Hier wird ein Weg von Süden nach Norden beschrieben, der nach 5. Mose 2,17-23 durch das Land Moab und bis an die Grenze Ammons führt, ohne diese Länder einzunehmen, bis schließlich (Vers 24) der Fluss Arnon überschritten und die beiden Amoriterländer Gilead und Baschan für Israel erobert werden.

Langer Rede kurzer Sinn: Es ist ungewiss, ob der Bach Sered überhaupt aus einer ursprünglichen Wüstenwanderungsliste stammt. Auf dem oben beschriebenen Weg von Obot = Abar et-Tuba und Ije-Abarim = Wadi Attarat al-Damta her ist ein Bach Sered jedenfalls nicht zu identifizieren.

Allerdings wird der Arnon, der nach rückblickender Lesart von Süden her überschritten wird, als (4. Mose 21,13) der „Grenze von Moab, zwischen Moab und den Amoritern“, in der damaligen historischen Wirklichkeit von Obot aus genau 50 km weiter im Westen bei der heutigen Stadt Suwaqa al Gharbiya erreicht, denn bis hier erstreckt sich das Wadi Mujib, hinter dem sich der biblische Arnon verbirgt.

Ist es Zufall, dass im folgenden Vers 4. Mose 21,14 vom „Waheb in Sufa“ die Rede ist? Oder könnte in diesem „Sufa“ eine Erinnerung an den realen Ort Suwaqa aufbewahrt sein?

Schauen wir einmal die Verse 4. Mose 21,14-20 im Zusammenhang an:

14 Darum heißt es in dem Buch der Kämpfe des HERRN: Das Waheb in Sufa und die Bäche des Arnon;

15 und der Abfluß der Bäche, der sich erstreckt nach dem Wohnsitz von Ar und sich anlehnt an das Gebiet von Moab.

16 Und von dort zogen sie nach Beer; das ist der Brunnen, von dem der HERR zu Mose sprach: Versammle das Volk! Und ich will ihnen Wasser geben.

17 Damals sang Israel dieses Lied: Steige herauf, Brunnen! Singt ihm zu!

18 Brunnen, den Oberste gegraben, den die Edlen des Volkes gehöhlt haben mit dem Zepter, mit ihren Stäben! Und aus der Wüste zogen sie nach Mattana;

19 und von Mattana nach Nahaliel; und von Nahaliel nach Bamot;

20 und von Bamot in das Tal, das im Gebiet von Moab ist, bei dem Gipfel des Pisga, der hinunterblickt über die Fläche der Wildnis.

Bauersachs hatte den Vers 18 ja mit der Stadt Sakaka in Verbindung bringen wollen; damit war ich nicht einverstanden gewesen. Für mich klingt dieser Abschnitt nach alter Tradition. Sufa könnte tatsächlich an Suwaqa erinnern, zwischen den Bächen des Arnon, also den verschiedenen Wadis, die dem Wadi Mujib entgegenfließen, zieht die Exodus-Gruppe einher. Zur Linken im Südwesten liegt Moab mit seiner Hauptstadt, die „Ar“ genannt wird. <125>

Ob das folgende Brunnengrabungslied in diesen Zusammenhang passt, lasse ich einfach dahingestellt sein, zumal ich die damit verbundenen weiteren Ortsnamen Mattana, Nahaliel und Bamot nicht lokalisieren kann.

Mit der Ankunft in dem „Tal, das im Gebiet von Moab ist, bei dem Gipfel des Pisga“, ist jedenfalls die Exodus-Gruppe so gut wie am Ziel ihrer Wüstenwanderung angelangt – allerdings noch nicht ganz. Nach der Bibel werden von diesem Ort aus Vorstöße ins Gelobte Land unternommen, zu dem man wieder zurückkehrt, bevor zur „Landnahme“ ins Westjordanland aufgebrochen wird.

Dieser Ort eignet sich in meinen Augen auch für uns als außenstehende Betrachter gut, um innezuhalten und in den nächsten Abschnitten eine ganze Reihe von Problemen zu klären.

Zunächst die Frage, wo dieses Tal und der Gipfel des Pisga überhaupt liegt. Traditionell wird der Pisga mit einem Berg identifiziert, der das Jordantal gegenüber Jericho in Palästina überragt. Das soll uns aber erst später beschäftigen.

Wie Bauersachs identifiziere ich den Pisga mit dem Hügel (S. 310), der auch in der in 4. Mose 22-24 entfalteten Bileamgeschichte eine Rolle spielen wird, indem (23,14) „auf dessen Gipfel Bileam JAHWE ein Opfer darbringen soll“. Dieser Pisga könnte eine Klippe zwischen zwei in nördlicher Richtung einen spitzen Winkel bildenden Zuflüssen des Arnon südlich des heutigen Mujib-Stausees gewesen sein:

Der Name Pisga wird zu Recht als Klippe gedeutet, er hat Ähnlichkeit mit einem Tortenstück: An der Spitze und den beiden Seiten fallen Felswände steil zum Wadi Mujib (Norden), Wadi Balua (Westen) und Wadi Mujib (Osten) ab, die „Kuchenoberfläche“ – um beim Vergleich zu bleiben – ist das Späherfeld.

Von der Spitze dieses Pisga sind es nach Westen über das Wadi Balua hinweg etwa 6 km Luftlinie bis Ariha-Eriho, aus dem das Alte Testament Jericho am Jordan gemacht hat.

Damit ist das in 4. Mose 21,20 erwähnte Tal im Gebiet von Moab sicher auf das Tal des Wadi Mujib zu beziehen, das an der nordöstlichen Ecke des Gebiets von Moab etwa 6 km östlich von dem beschriebenen Späherfeld auf dem Pisga zu finden ist.

Bauersachs beschreibt den Weg der Exodus-Gruppe auf diesem letzten Streckenabschnitt bis zum Arnon etwas sparsamer als ich mit folgenden Worten (S. 250):

Etwa 30 km nach dem Abmarsch aus Obot erreicht sie die Wasserscheide nordöstlich des heutigen al Qatrana und damit endlich das weitgefächerte Einzugsgebiet des Flusses Mujib/Arnon…

In mancher Hinsicht beginnen nun die Einschätzungen von Bauer­sachs und mir kontrovers auseinanderzugehen, vor allem erst einmal in den folgenden zwei Abschnitten zum Abschluss der Wüstenwanderung.

5.3.6.3 Welcher Berg bot Mose den Blick aufs „Gelobte Land“?

Was den biblischen Text angeht, greife ich jetzt ein wenig vor, da in 4. Mose 21,21-35 von der Eroberung der beiden Amoriter-Königreiche von Sihon und Og und in Kapitel 22-24 von Bileam erzählt wird und es auch dann noch ziemlich lange dauert, bis am Ende des 5. Buchs Mose vom Tod des Mose berichtet wird. Es wird aber gleich klar werden, warum dieser Vorgriff notwendig ist.

Zwei Themen sind sorgfältig voneinander zu unterscheiden:

  1. Von welchem Berg aus hat Mose das „Gelobte Land“ gesehen, ohne es selber zu betreten?
  2. Ist Mose bereits vor Erreichen des „Gelobten Landes“ gestorben (auf diesem Berg?) oder ist er lediglich nach Erfüllung seiner Reiseführertätigkeit nach Hause zurückgekehrt?
5.3.6.3.1 Welcher Djebel – Pisga, Nebo, Suwaqa oder Djauapijat?

Zur ersten Frage geht Bauersachs davon aus, dass es nicht der eben erwähnte Pisga, sondern bereits der 30 km östlich gelegene Djebel Suwaqa gewesen ist, 10 km nördlich des gleichnamigen Ortes und des (hier entspringenden?) Wadi Mujib (S. 252), von dem Mose einen „interessierten Blick über das vor ihnen liegende ‚Gelobte Land‘“ warf. Während also die Exodus-Gruppe am Wadi rastete, wäre „ihr Führer Mose auf den Djebel es Suwaqa, der höchsten Erhebung (923 m) im weiten Umkreis“ gestiegen, „um den weiteren Verlauf zu begutachten.“ Die „imposante Aussicht“ von diesem Berg beschreibt Bauersachs so:

Bei klarer Luft reicht der Blick von Al Qatrana im Südwesten (ca. 20 km entfernt) über die Ebenen von Moab im Westen (ca. 15 – 20 km entfernt) hinweg bis zum Djebel Sharnein (ca. 40 km entfernt), im Nordwesten erkennt man in 30 km Entfernung die Hochfläche um Dibon. Weil kein höherer Berg die Sicht verstellt, könnte man – optimale Verhältnisse vorausgesetzt – sogar den Djebel el Aruda (835m hoch) sehen, der weit im Westen rund 50 km entfernt über dem Toten Meer thront.

Mit der Annahme (S. 253), dass „dieser Berg mit der Aussicht auf das Kernland Transjordaniens“ der tatsächliche historische Ausguck Moses auf das „Gelobte Land“ gewesen ist, verbindet sich natürlich zugleich die These, „dass das ‚Gelobte Land‘ mit Transjordanien gleichzusetzen ist,“ was noch zu belegen sein wird.

Hier behauptet Bauersachs zunächst einfach (S. 252), dass die „Textstellen, in denen die Ankunft der Exodus-Gruppe am Ostrand Transjordaniens beschrieben wird und die unmittelbar darauf folgen (4. Mose 21,11 bis 21,31), … Mose nur noch ein einziges Mal“ erwähnen (und zwar im Vers 16). Das stimmt aber nur für den angegebenen Bibelabschnitt; bereits im folgenden Vers 21,32 taucht Mose wieder auf und anschließend im 4. Buch Mose noch weitere 67 Mal, so dass dieses Argument hinfällig ist. Weiter reichende Belege sind notwendig, um zu begründen, warum nicht das Israel im Westen des Jordan, sondern die Ebenen Moabs in Transjordanien das „Gelobte Land“ darstellen sollen.

Nach 5. Mose 3,27 soll Mose auf den „Gipfel des Pisga“ steigen, um das Gelobte Land zu betrachten, bevor er stirbt; die Bibelstelle 5. Mose 34,1 bestimmt diesen Gipfel dann noch näher als „den Berg Nebo, den Gipfel des Pisga, der Jericho gegenüberliegt“. Dieser Bergrücken wird traditionell <126> als der „Bergrücken Rās Siyāġa (Koordinaten 2188.1307; N 31° 46′ 04“, E 35° 43′ 31“), der die westliche Verlängerung des Bergs Nebo (Ǧebel Nebā, Koordinaten 2207.1300; N 31° 46′ 00“, E 35° 43′ 30“) bildet“, identifiziert. Von dort aus kann Mose (S. 313) angeblich das Gelobte Land von „Gilead bis nach Dan … und … bis zum westlichen Meer“ sehen. Zwar hat man von dort tatsächlich „eine beeindruckende Aussicht über das Tote Meer zum gegenüberliegenden judäischen Bergland“, aber „Mose hätte … weder das Land Dan noch Gilead sehen können“, und auch (S. 253)

Hebron (~950m hoch) oder Jerusalem (~800m) {liegen} hinter der Hangkante und {sind} nicht zu sehen. Allenfalls von der 100 Meter höher liegenden Hochfläche um Madaba wäre die Randbebauung des heutigen Jerusalem sichtbar.

Nun kommt in der Bibel ein Detail hinzu, das zusätzliche Verwirrung auslöst, denn nach 4. Mose 27,12-14 soll Mose nicht auf den Pisga oder Nebo steigen, sondern auf das Gebirge Abarim, um „das Land“ zu sehen, das Gott „den Söhnen Israel“ gegeben hat.

Dadurch ergibt sich aber in meinen Augen eine andere mögliche Identifikation des Berges, den Mose als Aussichtspunkt genutzt hat, um die Ebenen Moabs zu überblicken. Der Berg Abarim kann nämlich etwas mit der Wanderungsstation Ije-Abarim zu tun haben, die ich oben versuchsweise mit dem Wadi Attarat al-Damta identifiziert habe. Dieses Wadi führt genau auf den Djebel Djauapijat zu, der mit 962 m sogar noch höher ist als der Djebel Suwaka und von dem aus ein Blick über die vor der Exodus-Gruppe liegende Hochebene mindestens genau so gut möglich ist.

Die Bibel verlegt diesen Berg Abarim allerdings weiter weg von der Wanderungsstation Ije-Abarim, und zwar sowohl in 4. Mose 33,47, wo das „Gebirge Abarim östlich von Nebo“ lokalisiert wird, als auch in 5. Mose 32,49, wo das „Gebirge Abarim“ direkt mit dem „Berg Nebo“ identifiziert wird.

Sind allerdings die Ebenen Moabs und nicht die Jordanebene am Nordende des Toten Meeres als Zielpunkt der Wüstenwanderung anzunehmen, dann ist der Djebel Djauapijat = Abarim sogar der naheliegendste Kandidat für den Berg des Ausblicks auf die Ebenen Moabs, da hier die höchste Erhebung liegt, die nach dem Abbiegen vom Wadi Sirhan und dem Durchzug durch die Wadis Adla, Ghadaf und Attarat al-Damta unmittelbar vor dem weiteren Vordringen in die Ebenen Moabs als Aussichtspunkt dienen kann.

Ganz auszuschließen ist es aber auch nicht, dass es mehrere eindrucksvolle Aussichtsorte gab, an die sich die Exodus-Gruppe später erinnerte, die man aber nicht mehr eindeutig mit Mose und seinem Tod in Verbindung zu bringen vermochte. Auch das erwähnte Späherfeld auf dem Pisga am Arnon könnte also ein Platz gewesen sein, von dem aus Mose die umliegende Landschaft überblickt hat. Eindeutig wird diese Frage keinesfalls zu beantworten sein.

5.3.6.3.2 Starb Mose vor Erreichen des Ziels oder kehrte er als Karawanenführer nach Hause zurück?

Ob es nun der Djauapijat, der Suwaqa oder das Späherfeld auf dem Pisga am Arnon war, von dem aus Mose einen Blick auf die Ebenen Moabs warf, die zweite Frage ist noch unbeantwortet, ob Mose in dieser Gegend tatsächlich gestorben ist oder (S. 252) ob er sich hier nur „von seinen Schützlingen trennte, um wieder in die Heimat zurückzukehren.“

Nach Bauersachs löste die „rückblickende Geschichtsschreibung … die Abwesenheit von Mose geschickt, indem man ihn sterben ließ und die Grabstelle unbekannt bleiben musste“, wie in 5. Mose 34,5-6 berichtet:

5 Und Mose, der Knecht des HERRN, starb dort im Land Moab nach dem Wort des HERRN.

6 Und er begrub ihn im Tal, im Land Moab, Bet-Peor gegenüber; und niemand kennt sein Grab bis auf diesen Tag.

Er hält das aus folgendem Grund für nicht realistisch:

Wenn Moses Wundertätigkeiten während der Wüstenwanderung so beeindruckend gewesen sind, hätte das allgemeine Interesse an der Lage der Grabstelle groß sein müssen. Jeden Versuch, diesen Platz verborgen zu halten, hätten Neugierige verhindert: Das Grab wäre frühzeitig zur Wallfahrtsstätte geworden.

Das wiederum ist eine für mich nicht nachvollziehbare Argumentation, denn warum sollte eine wenige Hundert Menschen umfassende Exodus-Gruppe, die froh war, ihrer Fronarbeit in Chuzistan entkommen zu sein, eine beschwerliche Wüstenwanderung hinter sich zu haben, die zudem viele Opfer gekostet hatte, und eine Gegend zu erreichen, in denen sie sich mit ihren Herden friedlich ansiedeln konnte, ein Interesse an einem Heroenkult für ihren verstorbenen Anführer gehabt haben, zumal alles dafür spricht, dass bereits sie die geschehenen wunderbaren Vorkommnisse nicht persönlichen Kräften des Mose zuschrieben, sondern allein dem Gott, der sie befreit und geführt hatte?

Viel unwahrscheinlicher (und auch, wie ich bereits oben gezeigt habe, komplett unbegründet) ist in meinen Augen die Annahme von Bauersachs, Mose sei nur ein Karawanenführer gewesen, der jetzt sang- und klanglos aus der Geschichte verschwindet.

Völlig abwegig ist jedenfalls die Spekulation von Bauersachs (S. 253), dass „die Anführer der Exodus-Gruppe“ sich möglicherweise „mit dem Reiseleiter Mose arrangiert und in weiser Voraussicht gemeinsam eine ‚Pseudo-Bestattung‘ arrangiert“ haben,

die Moses künftige Abwesenheit überzeugend erklären konnte und die Jahrhunderte später mittels der rückblickenden Geschichtsschreibung durch folgende Textstelle bestätigt werden wird {5. Mose 34,4}:

4 Und der HERR sprach zu ihm {Mose}: … Ich habe es {das „Gelobte Land“} dich mit deinen Augen sehen lassen, aber du sollst nicht nach dort hinübergehen.

Dieses angebliche Arrangement ist schon deswegen widersinnig, weil die Bibel ja eben ausdrücklich nicht von einer Bestattung des Mose spricht. Hätte eine solche Schein-Bestattung eines nicht gestorbenen Mose stattgefunden, dann müssten die ursprünglichen Erzähler ja auch ein Grab des Mose vorausgesetzt haben. Warum hätte man später eine solche Erzählung durch die jetzt in der Bibel überlieferte Geschichte ersetzen sollen, dass Mose zwar gestorben, aber nicht in einem bekannten Grab bestattet wurde?

Nicht nachvollziehbar sind für mich auch folgende Erwägungen:

Wie die Redaktoren ein Lebensalter Moses von 120 Jahren errechnen, lässt sich nicht erklären, die Todesursache bleibt ebenfalls rätselhaft…

Dabei ist Moses Lebensalter leicht erklärbar; die Niederschrift geht schließlich davon aus, dass Mose nach 2. Mose 7,7 zur Zeit des Exodus 80 Jahre alt war. Hat die Wüstenwanderung also 40 Jahre gedauert, ist die Gesamtzahl seiner Lebensjahre 120. <127>

Auch die Todesursache ist von der theologischen Deutung der Bibel her kein Rätsel. Trotz anhaltender Gesundheit des Mose (5. Mose 34,7: „Sein Auge war nicht trübe geworden und seine Frische nicht geschwunden“) war es einfach Gottes Wille (5. Mose 34,5-6), ihn sterben zu lassen und eigenhändig zu begraben.

Natürlich stellen sowohl Moses Lebensalter und sein auf Gottes Willen zurückgeführter Tod als auch das eigenhändige Begräbnis durch Gott eine nachträgliche theologische Deutung dar und lassen keinerlei Rückschlüsse auf sein tatsächliches Alter zu.

Trotzdem kann Mose genau wie seine Geschwister im Laufe der Wüstenwanderung gestorben sein. Beschwerlich genug war diese Reise, es gab Hunger und Durst, Parasiten und Schlangen, so dass an möglichen Todesursachen durchaus kein Mangel bestand. Immerhin lag die Lebensmittelvergiftung durch Wachteln noch nicht lange zurück; auch Mose als Anführer der Exodus-Gruppe konnte ihr durchaus zum Opfer fallen.

Nochmals widerspreche ich also mit guten Gründen der Annahme von Bauersachs, dass Mose „den Beginn des Exodus selbst nicht mitgemacht“ hat und „erst durch die rückblickende Geschichtsschreibung in die Wüstenwanderung hineingeschrieben“ wurde.

6 Von der „Landnahme“ bis zum Königreich Davids

Am Ende der Wüstenwanderung der von Konrad Bauersachs beschriebenen Exodus-Gruppe stellt sich eine ganze Reihe naheliegender Fragen:

  • An welchem Ziel genau ist sie nach ihrer weiten Reise angekommen?
  • Wo hat sie sich angesiedelt?
  • Kann man über ihre weitere Zukunft irgendwelche halbwegs belegbare Aussagen machen?

Wer über die biblischen Erzählungen von Exodus und Wüstenwanderung Bescheid weiß, wird sich insbesondere fragen, wie sich die so genannte „Landnahme“ abgespielt hat. Nach der Bibel sind es ja die Nachkommen Abrahams, die in Ägypten zum Volk Israel heranwachsen und nach Exodus und Wüstenwanderung das Land Kanaan einnehmen.

Genau das sieht Konrad Bauersachs jedoch vollkommen anders. Ihm zufolge trifft die auf Abraham zurückgehende Exodus-Gruppe nicht auf ein Land Kanaan, das sie im Handstreich einnehmen könnte. Vielmehr existiert bereits in Palästina ein irgendwie geartetes Staatsgebilde Israel, das mit der Exodus-Gruppe nicht das Geringste zu tun hat.

Mein wichtigster Gedanke in diesem Zusammenhang: Irgendwann müssen Nachkommen der Exodus-Gruppe in Kontakt mit dem historischen Volk Israel gekommen sein, sonst hätten ihre mündlichen Überlieferungen, die sie aus dem Jamutbal, aus Chuzistan, vom Exodus und von ihrer Wüstenwanderung mitbrachten, niemals in die Erzähltraditionen und schließlich auch schriftlichen Aufzeichnungen Israels und Judas einfließen können. Darauf werde ich allerdings erst im folgenden 7. Kapitel ausführlicher als Bauersachs eingehen.

Im Übrigen ist der Ausdruck „Landnahme“ ohnehin weder theologisch noch historisch korrekt:

  • Theologisch nicht, da es sich nach der Bibel vom Glauben an den befreienden und Recht schaffenden Gott JHWH her um eine „Landgabe“ an ein Volk handelt, das dieses Land geschenkt bekommt, um dort gemäß der Wegweisung = Tora dieses Gottes leben zu können und sich zu dieser Disziplin der Freiheit auch absolut bindend zu verpflichten.
  • Und auch historisch nicht, denn historisch-kritische Theologen sind sich inzwischen mit Archäologen wie Israel Finkelstein <128> einig, dass es keine „Landnahme“ in Form einer kriegerischen Eroberung gegeben hat. Stattdessen sind die beiden Staatsgebilde Israel und Juda aus friedlicher Besiedelung des Berglandes im Norden und Süden Palästinas entstanden.

In diesem Kapitel 6 verfolge ich nun zunächst die Ausführungen von Konrad Bauersachs zum weiteren Ergehen der Exodus-Gruppe in der Zeit der „Landnahme“ bis zum Aufstieg von Davids Königreich. Dabei muss man ihm zufolge zwischen zwei verschiedenen „Landnahmen“ unterscheiden, die beide nicht gewaltsam vor sich gingen. Die erste ereignete sich seiner Ansicht nach unmittelbar nach der Ankunft der Exodus-Gruppe im Ostjordanland (also von Israel aus gesehen in Transjordanien), die zweite erst 300 Jahre später zur Zeit der Eroberung Moabs durch König Omri im judäischen Bergland in Palästina.

6.1 Die „erste Landnahme“ in Transjordanien um 1200 v. Chr.

Bei der ersten „Landnahme“ im Ostjordanland muss man wiederum unterscheiden zwischen den Gebieten südlich des Arnon, die die Exodus-Gruppe zuerst erreichte, und ihrer Ausbreitung nach Norden über den Arnon hinaus in die Gebiete, wo sich nach der Bibel die Länder der Amoriterkönige Sihon und Og befunden haben sollen. Zunächst aber muss die Frage beantwortet werden, seit wann es eigentlich ein Gemeinwesen in Palästina gab, das Israel genannt wurde; weiterhin wird es wichtig sein zu erklären, auf welche Weise die Zerstörungen entstanden sind, die in der Bibel auf eine gewaltsame Landnahme durch die Israeliten zurückgeführt werden.

6.1.1 Seit wann gibt es Israel im nördlichen Palästina?

Um die Geschichte des Westjordanlandes zu beschreiben (S. 260), verwendet Bauersachs

die Bezeichnung Palästina für den gesamten Raum westlich des Jordan, auch wenn diese Namensgebung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht verwendet wurde. Der Name Palästina beschrieb ursprünglich nur das Siedlungsgebiet der Philister in der Küstenebene, später nannten die Römer das ganze Land so.

Die „Geschichte Palästinas von der frühen Bronzezeit bis zur ‚Landnahme‘ im 12. Jhd.“ ist nach Bauersachs „ein stetes Auf und Ab von urbaner Blütezeit mit kultureller Entwicklung, immer wieder unterbrochen durch Attacken ägyptischer Pharaonen sowie assyrischer und babylonischer Könige.“

Archäologisch lassen sich (S. 261, Tabelle 7) seit 3500 v. Chr. mehrere Besiedlungswellen mit jeweils 100 bis 250 Orten nachweisen, die jedoch zwischenzeitlich zwei Mal so gut wie vollständig aufgegeben wurden. Gerade in der Späten Bronzezeit zwischen 1550-1150, die uns interessiert, herrschte eine Krise mit nur 25 nachgewiesenen Orten, so dass (S. 262)

sich Palästina in einer wirtschaftlichen Schwächephase {befindet}. Auch wenn Ägypten die meisten Städte nicht zerstört hatte, belasteten die enormen Tributzahlungen und der Aderlass an Tieren und Menschen das geplagte Land. Die Nachkommen der Nomaden, die in der Mittleren Bronzezeit sesshaft geworden waren, gaben ihre festen Wohnsitze auf und wurden wieder zu Hirten; in der Folge schrumpften Städte oder wurden ganz aufgegeben.

Ausrechnet aus dieser Zeit stammt ein historisches Dokument, auf dem der ägyptische „Pharao Merenptah (etwa 1210 v. Chr.) zum ersten Mal Israel erwähnt“, und zwar mit folgenden Worten (S. 263): <129>

Alle Fürsten haben sich niedergeworfen
kein einziger von den Neunbogen {= Feinde der Ägypter} erhebt mehr sein Haupt
Verwüstet ist das Libyerland und Hatti ist befriedet
geplündert ist das Kanaan (Gaza) mit allem Übel
Askalon ist fortgeholt und Geser gepackt
Jenoam ist zu Nichtseiendem gemacht
Israel liegt wüst und hat keinen Samen
und Syrien ist zur Witwe für Ägypten geworden

Dieser Bericht enthält die Beschreibung einer

Strafexpedition zur Niederschlagung aufrührerischer Stämme. Denkbar ist auch, dass das Hauptziel Beutemachen und Tributeinforderung war und der deutliche Hinweis an potentielle Unruhestifter: Reizt den Pharao nicht, sonst komme ich wieder!

Bauersachs nimmt an, dass das „Volk Israel (Nordreich), von dem die Rede ist, … ein südwestlicher Nachbar Syriens“ war und „im nördlichen Bergland Israels“ lebte, ohne dass etwas über „die Südgrenze dieses Volkes Israel“ gesagt wird oder ob „zum damaligen Zeitpunkt das Einflussgebiet Israels schon über den Jordan bis ins heutige Jordanien reichte“:

Im Raum Palästina gab es also bereits zur Zeit des Exodus (ca. 1220 v. Chr.) unabhängig von den Nachkommen Abrahams ein Volk Israel, das mit den anderen Bewohnern der Region Ziel einer ägyptischen Strafexpedition zur Zeit Merenptahs (ca. 1210 v. Chr.) war.

Da (S. 264) zu „diesem Zeitpunkt … die Exodus-Gruppe Transjordanien geschweige denn Palästina noch gar nicht erreicht“ hat, kann nach Bauersachs das

Volk Israel der Merenptah-Stele … also nicht dasselbe ‚Volk Israel‘ sein, das eine Jahrhunderte lange ‚Knechtschaft‘ in ‚Ägypten‘ erleiden musste. Von dort wäre es unter Mose zu einem Zeitpunkt ausgezogen, an dem es – wie die Stele berichtet – längst in Palästina beheimatet war und von ägyptischen Truppen gemaßregelt wurde.

Weiterhin schreibt er:

Die einzige Gemeinsamkeit des Volkes Israels in Palästina und der Exodus-Gruppe sind ihre semitischen Wurzeln.

Aber genau diese Behauptung veranlasst mich zu weiteren Fragen: Woher will Bauersachs das wissen? Bisher hatte er sich keine Gedanken darüber gemacht, welche ethnische Herkunft die Exodus-Leute bzw. ihre Vorfahren im Jamutbal oder in Chuzistan gehabt hatten (außer dass er die Frau des Mose, Zippora, als Kassi­tin verstehen wollte).

Ungeklärt ist auch, welche Sprache die Exodus-Leute aus dem fernen Mesopotamien bzw. Elam überhaupt sprachen; Hebräisch kann es ja kaum gewesen sein. Oder etwa doch? Brachten sie eine Sprache mit, die wegen ihrer Einstufung als hergelaufener Ḫabiru „Hebräisch“ genannt wurde und aus der sich vielleicht gerade auf Grund ihrer wundersamen Erzählungen die hebräische Sprache Israels entwickelte? Ich weiß, das ist weit hergeholt und setzt einen sehr intensiven Einfluss der Exodus-Gruppe auf das Nordreich Israel voraus; zudem greife ich dem 7. Kapitel vor.

Zurück zu Bauersachs. Ihm zufolge ist die

ursprüngliche Herkunft des Volkes Israel im Nordreich … ungeklärt. Sicher ist aber, dass ein Großteil der einheimischen israelischen Bevölkerung kurioserweise zu den später im Alten Testament verhassten Kanaanäern gehörten.

Dieses Volk Israel in Palästina war zur Zeit Merenptahs zahlenmäßig groß genug, um bei der Dokumentation auf dem Denkmal erwähnt zu werden. Es kann sich also nicht um eine Großfamilie von Nomaden (z.B. Jakobs Sippe) gehandelt haben, sondern tatsächlich um ein weitgehend sesshaftes Volk Israel mit einem eigenen Staatsgebiet.

Daraus zieht Bauersachs den Schluss, dass man strikt unterscheiden muss zwischen dem Volk Israel der Israel-Stele und dem

biblischen „Volk Israel“, den Nachfahren Abrahams. Das biblische „Volk Israel“ leitet sich vom Patriarchen Jakob her, der durch die Niederschrift rückblickend und zweckorientiert in Israel umbenannt worden ist.

Innerhalb des folgenden Gedankengangs hat sich bei Bauersachs allerdings ein Denkfehler eingeschlichen:

Weiter unten werde ich zeigen, dass rund 300 Jahre nach dieser Auseinandersetzung zwischen Ägypten und Israel dieses Volk Israel unter König Omri so mächtig geworden war, dass es seinerseits die Nachbarn angreifen konnte, ohne ägyptische Sanktionen fürchten zu müssen. Die jüngeren Bewohner des mittleren Transjordanien zwischen Arnon und Amman flohen vor den israelischen Truppen nach Westen über den Jordan und siedelten sich im judäischen Bergland an.

Teile dieser Zuwanderer konnten ihre Abstammung auf die Exodus-Gruppe zurückführen und sorgten so für die Verwirrung bei der Niederschrift, weil die Redaktoren die beiden Volksgruppen nicht scharf genug trennten oder an einer Differenzierung kein Interesse hatten.

Der Denkfehler besteht darin, dass es nur dann zu einer Verwirrung bei der Niederschrift gekommen sein könnte, wenn diese Nachfahren der Exodus-Gruppe sich inzwischen selbst als ein Teil des Volkes Israel oder sogar als „das“ Volk Israel verstanden hätten. Andernfalls hätten sie ja wohl kaum ein Interesse daran gehabt, ihre eigenen Überlieferungen mit den Traditionen eines Staates Israel zu verbinden, der ihnen als Unterdrückerstaat verhasst gewesen war. Dann aber müsste die Exodus-Gruppe doch bereits vor den Auseinandersetzungen zwischen den Omriden und Mescha mit dem Nordreich Israel zu tun gehabt haben.

6.1.2 Die Wüstenwanderung endete nicht am Toten Meer…

Nach der Bibel beginnt die Übereignung des Landes Kanaan an die Israeliten nach ihrer Wüstenwanderung mit der Überquerung des Jordan von Osten nach Westen. Damit wird vorausgesetzt, dass das Volk Israel von Ägypten aus in einem Bogen rund um das Tote Meer zunächst von Süd nach Nord durch das Ostjordanland zog und nach 4. Mose 22,1 „in den Ebenen Moabs“ einen längeren Zwischenhalt einlegte, um von dort aus das Westjordanland einzunehmen.

Nun könnte man annehmen, dass nach der Theorie von Konrad Bauersachs die Exodus-Gruppe das Ostjordanland zwar nicht aus südlicher, sondern aus östlicher Richtung erreichte, dass aber ansonsten die weiterhin in der Bibel erzählte Geschichte sich nahtlos an die Überlieferung von der Wüstenwanderung anschließt.

Aber weit gefehlt! Um zu belegen, dass das Ziel der Wüstenwanderung nicht Kanaan war, sondern Transjordanien, begründet er ausführlich (S. 273), warum sich die „biblischen ‚Ebenen Moabs‘“ gar nicht „im Verlandungsgebiet um die Jordanmündung unterhalb des heutigen Jericho am Nordufer des Toten Meeres befunden haben“ können, wie Alttestamentler meinen.

Aus seiner fundierten Beweisführung greife ich folgende Punkte heraus:

Erstens wies das Tote Meer um 1180 v. Chr. einen weitaus höheren Wasserstand auf als heute, so dass „bei der Ankunft der Exodus-Gruppe … diese ‚Ebenen Moabs‘ bis zu 15 Meter unter Wasser“ standen:

Beim Versuch, den Jordan zu überqueren, hätte die Exodus-Gruppe um 1180 v. Chr. beim heutigen Jericho statt des Jordanflusses eine 5 km breite fjordähnliche Bucht des Toten Meeres vorgefunden.

Die direkte Überquerung wäre also nicht möglich gewesen, die Wanderer hätten am Ausläufer des Toten Meeres gut 20 km nach Norden ziehen müssen und erst bei Karama den Jordan überqueren können. Danach hätten sie am Westufer die gleiche Strecke wieder nach Jericho zurückgelegt; über einen langen Umweg am Seeufer entlang steht im biblischen Text nichts.

Zweitens existierte um 1180 v. Chr. „weder ein Königreich Ammon noch ein Königreich Moab“, so dass unklar ist, wer überhaupt

diese Ebenen Moabs beherrscht und ihnen den Namen „Moab“ gegeben haben könnte. … Ob das Mündungsgebiet des Jordan jemals zum Einflussbereich Moabs gehört und so den Namen „Ebenen Moabs“ überhaupt verdient hat, ist historisch nicht klar und scheint mir eher unwahrscheinlich. Logischer wäre es, diese Landschaft wenn überhaupt dem nahegelegenen Ammonitergebiet oder Jericho zuzurechnen, oder es als unabhängiges Gebiet zu betrachten.

Da (S. 274) für „die Bewohner der Hochfläche um Madaba und Heschbon (egal ob dort Ammoniter oder Moabiter herrschten) … der Steilabfall ins Jordantal eine natürliche Grenze und auch Befestigungslinie“ war und umgekehrt „Talbewohner oder potentielle Angreifer auf dem Weg zum transjordanischen Plateau 1200 anstrengende Höhenmeter zurückzulegen“ hatten, war das „Anbaugebiet entlang des Jordan zwischen dem Fluss und dem Steilhang zur Hochebene um Amman und Irbid … politisch eher nach Nordwesten und Westen (Kanaan) orientiert und wirtschaftlich weitestgehend autark.“

Drittens wäre es nach Bauersachs unerklärlich, warum „der biblische Text an dieser Stelle kein einziges Wort über das beeindruckende Tote Meer“ verliert, „wo es doch den direkten Weg nach Jericho blockierte“, denn (S. 277) dieses

Salzwassermeer hätte bei den Nomaden der Exodus-Gruppe, für die trinkbares Wasser lebenswichtig ist, einen unauslöschlichen Eindruck gemacht und hätte bei den Geschichten um die Eroberung Jerichos nicht nur in einem nachträglich eingeschobenen Nebensatz … {„zum Meer der Steppe, dem Salzmeer“} erwähnt werden müssen.

Viertens erklärt Bauersachs zwar einleuchtend „ein biblisches Wunder“, das in Josua 3-15-16 <130> beschrieben wird:

15 und als die Träger der Lade an den Jordan kamen und die Füße der Priester, die die Lade trugen, in das Wasser am Ufer tauchten – der Jordan aber führt in der ganzen Erntezeit Hochwasser -,

16 da blieb das von oben herabfließende Wasser stehen. Es richtete sich auf wie ein Damm, sehr fern, bei der Stadt Adam, die bei Zaretan liegt. Und das Wasser, das zum Meer der Steppe, dem Salzmeer, hinabfloß, verlief sich völlig. So zog das Volk hindurch, gegenüber von Jericho…

– und zwar dadurch, dass „durch einen Hangrutsch bei Erdbeben der Jordan aufgestaut“ werden kann, aber ein solches Szenario kann auch rückblickend auf eine nur angebliche Jordan-Passage übertragen worden sein. <131> Tatsächlich war die

Durchquerung der reißenden Fluten zur Regenzeit im Winter oder im Frühjahr zur Zeit der Schneeschmelze im Hermon-Gebirge … für Menschen ein gefährliches Unternehmen, für Schaf- und Ziegenherden fast unmöglich…

Und fünftens (S. 274)

wird kein einziges Wort darüber verloren, auf welcher Route die Exodus-Gruppe durch das Kernland Jordaniens an den Fluss Jordan gelangt… {sein soll}. Dass die Exodus-Gruppe „unterwegs“ gegen die fiktiven Könige Og und Sihon gekämpft haben soll, erklärt nicht, dass die restliche Wegstrecke unerwähnt bleibt.

Am Ende kann Bauersachs (S. 282) nur das Fazit ziehen:

Die Schlussfolgerung aus all diesen Ungereimtheiten muss sein, dass die Exodus-Gruppe nach der Wüstenwanderung nie den heutigen Jordan überquert oder dessen Mündungsgebiet erreicht haben kann.

Darum kann auch (S. 277):

weder dieser „Jordan“ noch dieses „Jericho“ {im Jordantal} das Geringste mit den Ebenen Moabs zu tun haben…

6.1.3 … sondern in den „Ebenen Moabs“ in Moab

Nach Konrad Bauersachs (S. 271) zog die Exodus-Gruppe, als sie in der Gegend des „Djebel Suwaqa“ <132> angekommen war, nunmehr ohne Mose

zunächst nach Südwesten in Richtung des heutigen Al Qatrana. Eine alternative Route führte vom Djebel Suwaqa aus in Richtung Nordwesten direkt ins Siedlungsgebiet (z.B. al Zumayla), hier wären fremde Nomaden mit ihren Herden wahrscheinlich nicht allzu willkommen gewesen. Der direkte Weg vom Djebel Suwaqa nach Westen hätte durch ein schwer passierbares Hügelland geführt. Diese zerklüftete Landschaft war ein natürlicher Schutz Moabs gegen überraschende Truppeneinfälle aus dem Norden und Nordosten.

Skizze der Ebenen Moabs in Transjordanien
Das Ziel der Wüstenwanderung: Die Ebenen Moabs im Ostjordanland (Karte: Konrad Bauersachs)

Und (S. 272) genau in dem „Dreieck zwischen dem Arnon-Mujib und seinen östlichen Zuflüssen“, dessen östliche Seite ungefähr zwischen den Städten Suwaqa al Gharbiya und Al Qatrana verläuft, verortet Bauersachs „die Ebenen von Moab“. Sie

„sind eine durch Wadis gegliederte Hochfläche (bis 800 m hoch), die auch heute wenig erschlossen ist, lediglich von Al Qatrana aus führen unbefestigte Wege zu einigen weit auseinanderliegenden Gehöften. Im Norden und Westen ist das Gebiet vom Arnon-Mujib und seinen Zuflüssen begrenzt. Die tief eingeschnittenen Täler bilden einen natürlichen Schutz für das weiter westlich liegende moabitische Kernland um Kerak. Entstanden sind diese Schluchten – ebenso wie das Arnon-Mujib-Tal – nicht durch Erosion, sondern durch geologische Prozesse.

Die Ebenen Moabs werden von zahlreichen Wadis durchzogen und fallen allmählich zu den zwei östlichen Zuflüssen des Arnon ab. Diese Täler sind bei weitem nicht so ausgeprägt wie die Schluchten im Süden und Westen, bilden aber ebenfalls eine deutliche natürliche Grenze zur Hochfläche von Dibon-Madaba.

In gewisser Weise (S. 273) bildet „das Land sozusagen eine Sackgasse“; nur bis dorthin, wo im Westen „die immer enger werdende Schlucht des Arnon“ beginnt, „die im Unterlauf stellenweise nur mit alpiner Ausrüstung begangen werden kann, … lässt sich das Land entlang des Arnon für Nomaden oder Landwirtschaft nutzen.“

Aus mehreren Gründen eigneten sich diese „Ebenen Moabs“ als Siedlungsland für die Exodus-Gruppe. Erstens (S. 272) waren sie „offenbar Niemandsland und dienten später Moab als Pufferzone für das Kernland“; jedenfalls berichtet „das Alte Testament … über keine Konflikte mit Einheimischen beim Einzug.“ Vielmehr konnten sich die „Stämme der Exodus-Gruppe … ungehindert bewegen und verteilten sich nach ihrer Ankunft.“ Ein zweiter entscheidender Faktor war (S. 273) der „Wasserreichtum“, und drittens war die Lage günstig „für notwendige Tauschgeschäfte“, denn (S. 272) von

den Ebenen Moabs aus lassen sich die benachbarten Siedlungsgebiete zu Fuß und mit Tragtieren gut erreichen: Auf der Hochebene um Dibon nördlich des Arnon liegen als nächste Orte Rama und Salicha, auf der Hochfläche von Kerak liegen Eriho/„Jericho“ und Abu Turaba sowie die Orte Balua, Es Simaka oder El Qasr. Kontakte mit der ansässigen Bevölkerung waren damals und sind noch heute wegen des Warenaustausches (Käse, Felle und Wolle gegen Getreide und Haushaltsgeräte) für Nomaden unabdingbar.

Als (S. 273) weiteren „Hintergrund für diese Platzwahl der Exodus-Gruppe“ vermerkt Bauersachs

nach dem Alten Testament wohl die Absicht, dass die Stämme unter sich bleiben sollten und auch aus religiösen Gründen eine Vermischung mit den Einheimischen weitestgehend vermieden werden konnte. Hätte sich die Exodus-Gruppe nördlich des Arnon auf der Ebene um Dibon oder Madaba niedergelassen, wäre diese Isolierung nicht möglich gewesen.

Diese Erwägungen halte ich allerdings für wenig plausibel. Denn erstens entsprach eine solche Absonderung Israels von den Völkern erst einer viel späteren Politik, die in der Zeit Esras und Nehemias notwendig wurde, um das Projekt der Torarepublik vor seiner Überwältigung durch altorientalische Unterdrückungsnormalität zu schützen, <133> und zweitens (S. 272) belegt die Bibel selbst bereits in 4. Mose 25,1-3 das frühe Beispiel des Gegenteils einer solchen Trennung, indem sie im Zusammenhang mit einem Aufenthalt der Exodus-Gruppe bei Schittim vom Kontakt „mit der einheimischen Bevölkerung und deren Göttern“ erzählt, was Bauersachs als verständliche „Art von Völkerverständigung“ nach „der langen und entbehrungsreichen Wüstenwanderung“ deutet:

Die Verehrung der fremden Götter Moabs soll mit einer ungewohnten sexuellen Freizügigkeit verbunden gewesen sein, also musste JAHWE die Exodus-Gruppe bestrafen {4. Mose 25,1.3.9}:

1 Und Israel blieb in Schittim. Und das Volk fing an Unzucht zu treiben mit den Töchtern Moabs …

3 Und Israel hängte sich an den Baal-Peor. Da entbrannte der Zorn des HERRN gegen Israel…

9 … Und die Zahl der an der Plage Gestorbenen war 24000.

Natürlich entstammt der „angebliche Abfall von JAHWE und die folgende Krankheit als göttliche Strafe … der Niederschrift, die Exodus-Gruppe wusste zu diesem Zeitpunkt noch nichts von JAHWE“:

Eine sachliche Erklärung für diese spezielle Strafe wäre eine Geschlechtskrankheit, gegen die der Exodus-Gruppe die Immunabwehr fehlte, während die Moabiter längst Antikörper entwickelt hatten.

Die im folgenden Kapitel 4. Mose 26 dargelegten Ergebnisse einer zweiten Volkszählung dürfen in ihrer übersteigerten Höhe von über 600 000 Männern ebensowenig „wie die Zahl der an der Plage Gestorbenen“ für bare Münze genommen werden; sie sollten mit Sicherheit vor allem zeigen, „wie stark die Armee kurz vor der ‚Landnahme‘ war“:

Die gesamte Exodus-Gruppe dürfte bei ihrer Ankunft in Transjordanien nicht mehr als 400-500 Mitglieder gehabt haben.

6.1.4 Erdbeben und Einwanderung von Seevölkern

Wie ging es nach der Ankunft der Exodus-Gruppe in den Ebenen Moabs weiter? Abgesehen davon, dass es ein Staatsgebilde Israel bereits bei der Ankunft der Exodus-Gruppe in Transjordanien gab, kann es entgegen der biblischen Darstellung (S. 292) „unmittelbar nach der Wüstenwanderung unter Führung von Josua“ keinen „unaufhaltsamen Eroberungszug“ gegeben haben, durch den Israel zunächst „Transjordanien erobert, danach auch das Land westlich des Jordan. Dafür fehlt jeder archäologische Beleg.“

Hinzu kommt, dass es (S. 254) bis „Ende des 10. Jahrhunderts … im gesamten Raum Transjordanien kein organisiertes Königreich (Ammon, Moab, Edom) gegeben“ hat, das man hätte erobern können. Die so genannten Amarna-Briefe aus dem 14. Jahrhundert v. Chr. hatten die „unruhigen politischen Verhältnisse dieser Region“ geschildert und deutlich gemacht, wie bedeutend Transjordanien wirtschaftlich und militärisch für Ägypten war:

Für den geldbringenden Handel war es ein wichtiges Bindeglied zwischen Babylonien und Palästina. Das nördliche Transjordanien war für Ägypten das Durchzugsland nach und von Syrien sowie Assyrien, von Nord nach Süd verlief östlich entlang des Jordangraben die biblische Königsstraße, die im Süden bei Aqaba das Meer erreichte.

Die archäologische Beweislage für eine dauerhafte ägyptische Präsenz in Transjordanien ist eher dürftig, trotzdem muss Ägypten zumindest in seiner Blütezeit auch dieses Gebiet kontrolliert haben.

Nun ereigneten sich aber in der Zeit (S. 255) „zwischen etwa 1225 v. Chr. und 1175 v. Chr.“ im „Mittelmeerraum, den angrenzenden Gebieten und der gesamten damals bekannten Welt … eine Reihe großer Katastrophen, deren Ursachen weitgehend im Dunklen liegen“ und die dazu führen, dass

fremde Volksstämme auf dem Landweg von Norden und übers Mittelmeer nach Palästina und Ägypten eindrangen. In dieser Zeit änderten sich die Lebensbedingungen im gesamten Nahen Osten grundlegend. Der beginnende Aufschwung durch die neue Besiedlungswelle hatte eine für andere Völker folgenschwere Ursache.

Bei allen Ausgrabungen stoßen die Archäologen immer wieder auf Schichten, die von alles vernichtenden Bränden zeugen. In Palästina werden solche Funde immer wieder fälschlich den Eroberungszügen des „Volkes Israel“ unter Josua während der „Landnahme“ zugeschrieben.

Konrad Bauersachs erblickt (S. 256) unter Berufung auf den Geophysiker und „Fachmann für Plattentektonik und Erdbeben“, Prof. Amos Nur von der Universität Stanford, Kalifornien, den Grund dieser (S. 257)

massiven Zerstörungen“ aber nicht in kriegerischen Eroberungen, sondern „in einer andauernden Serie von schweren Erdbeben zwischen 1225 und 1175 v. Chr. … Sie vernichteten die Heimat ganzer Zivilisationen und waren Ursache für die Invasion der „Seevölker“.

Für unseren Zusammenhang ist nun wichtig (S. 260):

Mit dem Abklingen der Erdbeben um 1175 v. Chr. setzte nach der allgemeinen Krisenzeit in Transjordanien ebenso wie im nördlichen Bergland Israels Mitte des 12. Jahrhundert v. Chr. eine neue Besiedlungswelle ein. Bis dahin war die gesamte Region Transjordaniens relativ dünn besiedelt, wenigen befestigten Städten steht eine zahlenmäßig geringe ländliche Bevölkerung gegenüber.

Die Geschichtswissenschaft spricht im Zusammenhang der Umwälzungen um das Jahr 1200 v. Chr. (S. 256) von einer Invasion durch „Seevölker“, obwohl ihre „Herkunft im Wesentlichen offen bleiben muss; Teile stammten vermutlich aus der Ägais, weitere aus dem Mittelmeerraum (Sardinien) und wieder andere aus dem Norden (heutige Türkei)“ (S. 255):

Offenbar kamen um 1200 diese Fremden aber nicht als Eroberer, sondern als Einwanderer, die sich – so die archäologischen Befunde – in Palästina an den Besiedlungsgrenzen niederließen, obwohl diese keine optimalen Bedingungen für die Landwirtschaft boten. In der Nachbarschaft bestehender Dörfer fanden die Siedler ihre neue Heimat, errichteten ihre Lager und wuchsen zu Gemeinschaften zusammen.

Als einen „Teil dieser Zugereisten“ betrachtet Bauersachs nun auch „die Exodus-Gruppe“, deren „Zusammenwachsen mit den Einheimischen … im Richterbuch als immer wiederkehrender Wechsel von Abfall vom Herrn und Errettung durch Richter beschrieben“ wird.

6.1.5 Die Zerstörung von Jericho in Moab

Eine wichtige Rolle spielt für Konrad Bauersachs nach dem Ende der Wüstenwanderung auch die Stadt Jericho. Mit Hilfe ihrer Lokalisierung erhält er ein zusätzliches Argument für das Verbleiben der Exodus-Gruppe in Transjordanien, und indem er ihre Zerstörung auf eins der eben erwähnten Erdbeben zurückführt, wird seine Datierung der Ankunft der Exodus-Gruppe um die Jahrhundertwende 1200 v. Chr. bestätigt.

Nach Josua 6,20 war Jericho die erste Stadt, die durch das in Kanaan einwandernde Volk Israel zerstört und in Besitz genommen worden sein soll:

20 Da erhob das Volk das Kriegsgeschrei, und sie stießen in die Hörner. … Da stürzte die Mauer in sich zusammen, und das Volk stieg in die Stadt, ein jeder gerade vor sich hin, und sie nahmen die Stadt ein.

Da (S. 282) das „Jericho am heutigen Jordan … zum Zeitpunkt der geschilderten biblischen ‚Eroberung‘ und ‚Zerstörung‘ (etwa 1180 v. Chr.) … längst verlassen“ war und „erst ab etwa 1100 v. Chr.“ wieder neu besiedelt wurde, hätte „die Exodus-Gruppe“ hier allerdings „lediglich Ruinen zerstört und erobert.“

Wir müssen deshalb im Raum Moab und in der Umgebung der Ebenen Moabs nach einem anderen „Jordan“ und zwangsläufig auch nach einem anderen „Jericho“ suchen.

Aber welcher „Ort gleichen Namens“ würde „besser zur Schilderung der Ebenen Moabs“ in den folgenden biblischen Texten passen (4. Mose 33,50 sowie Josua 4,13 und 19)?

50 Und der HERR redete zu Mose in den Steppen von Moab, am Jordan gegenüber von Jericho…

13 Etwa 40 000 zum Krieg Gerüstete zogen vor dem HERRN her zum Kampf in die Steppen von Jericho.

19 Und das Volk stieg aus dem Jordan herauf am zehnten Tag des ersten Monats; und sie lagerten sich in Gilgal, an der Ostgrenze von Jericho.

Da (S. 284) das „Jordantal unterhalb des heutigen Jericho … damals überschwemmt“ war, macht die „Bezeichnung ‚Steppe‘“ für diese Landschaft „ebenso wenig Sinn wie die alternative Übersetzung Wüste.“ Aber dort, wo die Exodus-Gruppe am Ende ihrer 6. Wanderungsetappe soeben Fuß fasst, wie bereits oben bemerkt,

sehen wir einen Ort „Jericho“ vor uns, der durch das Tal eines Flusses „Jordan“ von einer Steppe in Moab getrennt ist und höher als diese Steppe („herauf“) liegt.

Die einzige moabitische Stadt, mit der sich das biblische Jericho namentlich verwechseln lässt, ist Ariha/Eriho. Der einzige Fluss, der sich mit dieser moabitischen Stadt Jericho sinnvoll verbinden lässt, ist der Arnon/Mujib. Dieses Ariha/Eriho/ Jericho liegt am Nordrand der Hochebene von Kerak hoch über dem Arnon; dieser Fluss bildete mit seinen Zuflüssen in biblischen Zeiten lange die natürliche Nord- und Nordostgrenze Zentralmoabs.

Von Eriho/Jericho aus lässt sich im Osten in 10 km Entfernung die neue Heimat der Exodus-Gruppe mit dem Djebel Es Sanam gut überblicken…

Für „den Arnon als moabitischen Jordan“ spricht außerdem, dass der „Name Jordan“ = JaRDeN, wenn er auf die Wurzel JaRaD = hinabgehen zurückgeht, „nach allgemeiner Lesart für ‚der Hinabfließende‘“ steht. Der reale Jordan hat aber „auf dem letzten Flussabschnitt zwischen dem See Genezareth und dem Toten Meer … lediglich ein Gefälle von etwa 1 Meter je Kilometer“, während (S. 285) der

Fluss Arnon-Mujib (Wadi Mujib) …in einem engen Canyon mit zahlreichen Wasserfällen zum Toten Meer mehr hinabstürzt als hinabfließt (durchschnittliches Gefälle im Unterlauf rund 18 m je Kilometer entspr. 550 m auf 30 km Flussstrecke).

Da nun das „Wadi Mujib unterhalb des moabitischen Jericho-Ariha … nicht durch Erosion entstanden, sondern … ein Seitenarm des Grabenbruchs“ ist, „durch den auch das Jordantal, das Becken des Toten Meeres und der Golf von Aqaba entstanden sind“, und dessen „östliche Platte … (auf der z.B. Amman, Madaba und Kerak liegen) … sich relativ zur gegenüberliegenden Seite, auf der u.a. Jerusalem liegt, nach Norden“ bewegt (wobei „die gegenseitige Verschiebung … derzeit etwa 105 km“ beträgt), kann sich hier „eine Spannung zwischen zwei Platten, die sich über Jahre aufgebaut hat, … plötzlich in einem Erdbeben“ entladen. Wie im vorigen Abschnitt erwähnt, hat es solche Erdbeben genau in der Zeit gegeben, als die Exodus-Gruppe in Transjordanien angekommen ist, eines dieser Ereignisse fand in „Tall al Umayri bei Amman“ statt (S. 258),

Archäologen <134> datieren dieses Ereignis auf das Ende der Bronzezeit etwa 1200 v. Chr. Aus archäologischer Sicht ist die rechnerische Zeitdifferenz von 20 Jahren zu vernachlässigen, eine exakte Datierung wäre nur anhand von Synchronismen mit fremden Aufzeichnungen (z.B. ägyptische oder assyrische Quellen) möglich, die über ein Erdbeben berichten.

Mit der hier angegebenen Datierung bestätigt Bauersachs übrigens, dass die Exodus-Gruppe in Transjordanien doch schon einige Zeit vor dem Jahr 1180 v. Chr. angekommen sein kann, dass die Wüstenwanderung also historisch nicht, wie in der Bibel angegeben, 40 Jahre in Anspruch genommen haben muss. <135>

Ein solches Erdbeben, dem das „biblische Jericho … in der Umgebung des heutigen Ariha“ zum Opfer gefallen ist, kann, so Bauersachs, „der dramatische Schlusspunkt der Wüstenwanderung“ gewesen sein, bei dem der „Lärm, den zerreißende Gesteinsschichten bei einem Erdbeben von sich geben, … als … Klang von Widderhörnern“ interpretiert wurde:

Die Niederschrift stellte das so dar, dass mit JAHWEs Hilfe das Blasen von Widderhörnern Mauern zerstören kann.

Bauersachs geht davon aus (S. 286),

dass dieses Ereignis … unmittelbar an das Ende der Wüstenwanderung anschließen muss: Die Exodus-Gruppe hat im späteren Grenzgebiet zwischen Moab und Ammoniterreich Fuß gefasst und längst Kontakte zu den Bewohnern Moabs geknüpft. Dass die Exodus-Gruppe tatsächlich – wie erzählt wird – der Versuchung nicht widerstehen kann, das Chaos nach dem Erdbeben zu nutzen und die zerstörten Häuser zu plündern, glaube ich nicht. … Nach einer Plünderung Jerichos wäre … das missbrauchte Gastrecht in Moab verwirkt gewesen…

Möglich ist also, dass vage Erinnerungen der Exodus-Leute an ein unter lautem Getöse bei einem Erdbeben zerstörtes Ariha später dazu genutzt wurden, die Einnahme von Jericho als erster Stadt, die den Israeliten von Gott in ihre Hand gegeben wurde, theologisch zu deuten und in vielerlei Hinsicht auszugestalten.

Auf diese spätere Deutung geht Bauersachs ausführlich ein; widersprechen muss ich ihm in folgender Hinsicht: Er meint nämlich (S. 287), „das Alte Testament“ würde uns vorgaukeln, es hätte eine „Jahwe-Verehrung in Moab schon vor der Ankunft der Exodus-Gruppe“ gegeben. Allein schon deswegen, weil die Bibel Jericho nicht in Moab, sondern in Kanaan lokalisiert, kann die Hure Rahab nicht als Kronzeugin für eine solche JHWH-Verehrung in Moab dienen; aber auch als Kanaaniterin steht sie nicht für eine Anbetung des Gottes JHWH in Kanaan vor der Ankunft der Israeliten, sondern die Frau wird in Josua 2,9 sozusagen als Ausnahmeerscheinung im götzendienerischen Kanaan beschrieben, indem sie von Gott eine prophetische Eingebung geschenkt bekommt: <136>

9 Ich habe erkannt, daß der HERR euch das Land gegeben hat und daß der Schrecken vor euch auf uns gefallen ist, so daß alle Bewohner des Landes vor euch mutlos geworden sind.

Offen bleiben muss die Frage, warum man überhaupt die eindrucksvolle Geschichte der Hure Rahab mit der Stadt Jericho verknüpft hat. Ich halte es nicht für unmöglich, dass sich Teile der Exodus-Gruppe in einer durch ein Erdbeben zerstörten Ortschaft wie Ariha niedergelassen haben. Sie könnten dabei sogar einer historischen Frau Rahab begegnet sein, die ihnen behilflich war.

6.1.6. Die Eroberung zweier Amoriter-Länder nach der Bibel

Kaum ist die Exodus-Gruppe im Tal unterhalb des Pisga am Arnon angekommen, soll sie nach 4. Mose 21,19-35 sofort die Absicht gehabt haben, den Arnon nach Norden zu überqueren und weiterzuziehen, und zwar (S. 295) durch die „Herrschaftsgebiete der biblischen Könige Og und Sihon“ hindurch. Anschließend soll sie diese Königreiche in einem regelrechten Blitzkrieg kurzerhand erobert haben. Obwohl davon historisch keine Rede sein kann, hat sich ein Teil der Flüchtlinge tatsächlich wohl schon bald nördlich des Arnon niedergelassen. Darum ist es sinnvoll, sich darüber klarzuwerden, wie weit sich diese Länder der Amoriter den ursprünglichen Erzählungen der Exodus-Gruppe zufolge wohl überhaupt erstreckt haben.

Drei verschiedene Bücher der Bibel beschäftigen sich mit dem Kampf Israels gegen die Amoriterkönige Sihon und Og, das 4. und 5. Buch Mose sowie das Buch Josua.

Nach 4. Mose 21,21-22 will es König Sihon genau wie zuvor der König von Edom den Israeliten verwehren, auf der Königsstraße durch sein Gebiet zu ziehen. Daraufhin (23-25) kann Sihon bei Jahaz geschlagen werden, alles Land „vom Arnon bis an den Jabbok, bis zu den Söhnen Ammon“ wird eingenommen, und Israel wohnt „in allen Städten der Amoriter, in Heschbon und in allen seinen Tochterstädten“. 5. Mose 1,3-4 wiederholt, dass Mose Sihon von Heschbon geschlagen hat, und 5. Mose 2,24 beschreibt die Überschreitung des Flusses Arnon, um die Amoriter (Sihon von Hesch­bon) zu besiegen, und zwar (32) im Kampf bei Jahza. Alle Städte werden eingenommen (36): von Aroer am Arnon bis Gilead.

In Josua 12,2-3 wird unter den geschlagenen Königen zwischen Arnon und Hermon auch Sihon erwähnt mit folgenden Städten und Landschaften: Heschbon, Aroer am Arnon, das halbe Gilead bis zum Fluß Jabbok, Steppe bis See Kinneret im Osten und Meer der Steppe, das Salzmeer, im Osten, nach Bet-Jeschimot hin und im Süden an den Fuß der Abhänge des Pisga.

Interessant ist nach 4. Mose 21,26, dass Sihon das Land zuvor von Moab erobert hatte (28-31): „Denn Feuer ging aus von Heschbon, eine Flamme von der Stadt Sihons; es fraß Ar in Moab, die Herren der Höhen des Arnon. Wehe dir, Moab! Du bist verloren, Volk des Kemosch! Er hat seine Söhne zu Flüchtlingen gemacht und seine Töchter in die Gefangenschaft Sihons geführt, des Königs der Amo­riter. Da haben wir auf sie geschossen; Heschbon ist verloren bis Dibon; da haben wir verödet bis Nofach, das bei Medeba liegt.“

Das Land Baschan von König Og wird nach 4. Mose 21,33 bei Edrei eingenommen. 5. Mose 1,3-4 ergänzt, dass Mose Og von Aschtarot und Edrei geschlagen hat. Und nach 5. Mose 3,1-10 wird Baschan, bis Salcha und Edrei, eingenommen mit allen 60 Städten: den ganzen Landstrich Argob. Und Josua 12,4-5 erwähnt den in Aschtarot und Edrei wohnhaften König Og als Herrscher über das Hermongebirge, Salcha, Baschan (bis an die Grenze von Geschur und Maacha) und halb Gilead (bis an die Grenze Sihons).

Nebenbei werden in 4. Mose 21,32 auch noch weitere Amoriter erwähnt, die aus Jaser und seinen Tochterstädten ausgetrieben werden.

Die Berichte der Eroberungen unterscheiden sich also, was die Namen der eroberten Städte und Landschaften betrifft. Weitere Unterschiede treten zutage, wenn man die Verteilung der eroberten Gebiete (nach 4. Mose 32,1-3.33-42 und 5. Mose 3,8-17 sowie Josua 13,7-13.15-31) an die drei Stämme Ruben, Gad und den halben Stamm Manasse (mit dessen Untergliederungen) genauer betrachtet, was hier allerdings zu weit führen würde.

6.1.7 Geographie Ammons und der Königreiche Sihons und Ogs nach Bauersachs <137>

Dass (S. 300) die „Exodus-Gruppe … im Anschluss an die Wüstenwanderung keine Ambitionen“ hatte, „gegen wen auch immer Krieg zu führen“, und „dazu auch nicht in der Lage“ war, hatten wir bereits festgestellt. Bauersachs schreibt deswegen (S. 301):

Die Königreiche Og und Sihon kann es definitiv noch nicht gegeben haben, die kriegerischen Ereignisse des Alten Testaments fanden um 880 v. Chr. statt. Zu diesem Zeitpunkt waren die losen Gemeinschaften der Zuwanderer des 12. Jahrhunderts längst zu einem stabilen Staat Moab zusammengewachsen.

Auf den ersten Blick ist mir daher nicht ganz klar (S. 303), warum Bauersachs sich bemüht, die Königreiche von Sihon und Og, die in seinen Augen vielleicht „eher Statthalter moabitischer oder ammonitischer Könige als wirklich selbständige Herrscher“ waren, dennoch möglichst exakt zu lokalisieren. Denkbar wäre, so meint er (S. 297),

dass diese beiden „Reiche“ Og und Sihon von einem erstarkenden Moab gewaltfrei einverleibt wurden, damit ließen sich auch die verwirrenden Gebietsüberschneidungen befriedigend erklären.

Diese Annahme basiert darauf, dass es zu diesem Zeitpunkt am Ende der Wüstenwanderung in dieser Region noch gar keine wirklichen Königreiche gegeben hat; auch Moab im Süden oder Ammon weiter im Norden stellten eher Ansiedlungen dar, die aus lockeren Stammesverbänden bestanden.

Für unwahrscheinlich hält es Bauersachs (S. 303), dass „Sihon und Og Könige der Amoriter gewesen sein sollen“, denn

Amoriter (aus dem akkadischen „amurru“ = Westleute) stammten ursprünglich aus Kleinasien und drangen (ab 2300 v. Chr.) nach Syrien-Palästina und im Osten bis Babylonien vor; Hammurabi von Babylon ist wohl der namentlich bekannteste Amoriter. Im Alten Testament stehen die Amoriter für die Bewohner der Küstenebene und liefern bei allen Gelegenheiten das routinemäßige Feindbild.

Naheliegender ist es, in Transjordanien zwischen dem Ammoniterreich im Norden und Moab im Süden nach einer lautlich passenden Stadt für einen „König über die Amoriter“ zu suchen. Hier bietet sich als Namensgeber das heutige Ammuriya rund 10 km nordöstlich von Dibon an.

Dieser Ort ist in Google Maps weniger als 1 km südöstlich vom Stausee des Wadi al Wala zu finden. Ob er allerdings tatsächlich für die biblische Identifikation Sihons und Ogs als „Amoriter“ verantwortlich zu machen ist, lasse ich dahingestellt sein.

Auch die nach den biblischen Angaben extrem weite Ausdehnung der beiden Amoriter-Königreiche zweifelt Bauersachs an. Sie können sich (S. 295) keinesfalls so „weit nach Norden bis an das Hermon-Gebirge in Syrien erstreckt“ haben, wie viele Alttestamentler annehmen, denn für „Königreiche dieser Ausdehnung fehlt in diesem Zeitabschnitt jeder historische Hinweis“:

Bei frühen Königreichen handelte es sich meist um überschaubare Gebiete auch im Sinne des Wortes, eine Ausdehnung des Reiches Og bis nach Syrien wäre zur damaligen Zeit außergewöhnlich und müsste historisch belegt sein.

So weit bin ich einverstanden. Nicht ganz nachvollziehen kann ich sein Argument, dass unter der Voraussetzung von „bis an den Hermon“ reichenden Ländern der Amoriter

an der Westgrenze des Ammoniterreichs ein schmaler Korridor des Sihon-Reiches bis zum Hermon-Gebirge und nach Damaskus gereicht hätte. Dieser Korridor darf aber nicht hinab ins heutige Jordantal reichen, sondern hätte auf der Hochfläche verlaufen müssen. Das östliche Jordantal war nach Westen (Kanaan) orientiert und unabhängig… Im Osten dieses Korridors hätte das Reich Ammon gelegen, im Nordwesten jenseits des Jordantals das Reich Israel.

Die Existenz eines solchen Korridors, den man aller Erfahrung nach „militärisch nicht lange {hätte} sichern und aufrecht erhalten“ können, setzt allerdings voraus, dass sich das Ammoniterreich tatsächlich sehr weit nach Westen erstreckt hätte, und ich weiß nicht, ob man das so genau nachweisen kann.

Da nach Bauersachs (S. 300) die biblischen „Beschreibungen“ der beiden Reiche von Sihon und Og nahelegen, dass sie „unmittelbar benachbart und zwischen Ammon im Norden und dem Wadi Mujib im Süden eingezwängt waren“, möchte ich (S. 302) vor seiner Skizzierung einer „Karte der fiktiven Königreiche“, die „auf heute noch vorhandenen Ortsnamen“ basiert und „natürliche Grenzen, etwa Flusstäler oder Hochflächen“ berücksichtigt, zunächst einmal seine Einschätzung der Ausdehnung des Reiches Ammon referieren (Abschnitt 6.1.7.1).

Danach folgt in den Abschnitten 6.1.7.2 und 6.1.7.3 seine (S. 297) „korrekte Kartierung der biblischen Mini-Reiche Ogs und Sihons“, die in Wirklichkeit nur in der „Region um Madaba-Heschbon-Dibon“ zu suchen ist, wo manche „wichtigen, markanten Orte (Dhiban-Dibon, Hisban-Heschbon, Arair-Aroer) … heute noch die biblischen Namen“ tragen.

6.1.7.1 Ammon

Aus zwei Gründen, so die biblische Überlieferung, durften bzw. konnten die Israeliten das Ammoniterreich nicht einnehmen. Nach 5. Mose 2,19 war es ein Brudervolk (was allerdings später König David nicht daran gehindert haben soll, Ammon anzugreifen), und in 4. Mose 21,24 heißt es:

24 … die Grenze der Söhne Ammon war fest.

Bauersachs bestätigt dazu (S. 303), dass „die Archäologie“ im „Westen und Süden des heutigen Amman … etwa zwanzig Anlagen (Ruğm oder Rujm)“ gefunden hat,

die untereinander in Sichtkontakt stehen und lange als Grenzbefestigungen vergleichbar mit dem römischen Limes gedeutet wurden. … Heute neigt man zur Ansicht, es könne sich um befestigte Rastplätze für Karawanen auf dem Weg vom Landesinneren (via Wadi Sirhan) über Sichem ans Mittelmeer und/oder um Fliehburgen für die umliegende Bevölkerung gehandelt haben. Die Deutung dieser massiven Türme als Festungsanlagen scheitert auch daran, dass es im Süden des Ammoniterreichs auf moabitischer Seite keine strategischen Gegenüber zu den Türmen gibt und nichts über Konflikte zwischen Ammon und Moab bekannt ist.

Es mag aber sein (S. 304), dass

Nachfahren der Exodus-Gruppe in Transjordanien lange nach der Wüstenwanderung die Errichtung einiger dieser beeindruckenden Bauwerke miterlebt {haben}, vielleicht haben sogar manche Redaktoren diese Türme persönlich gesehen und fanden so die alten Erzählungen bestätigt.

Die Niederschrift machte aus diesen Türmen der mündlichen Überlieferung eine „feste Grenze“ Ammons; genauso haben bis vor kurzem zahlreiche Archäologen diese Ruinen interpretiert.

Wie aber sind nun „die Grenzen Ammons verlaufen“? Das

ist vor allem im Norden weitgehend unsicher. Ammon war lediglich ein Kleinstaat, wohl nicht wesentlich größer als das heutige Stadtgebiet Ammans mit seinem Einzugsgebiet.

Im Süden schließt Bauersachs aus einigen unsicheren Ortsangaben im Richterbuch, dass etwa Heschbon „bereits außerhalb des Ammoniterreichs“ lag „und schon zu Moab“ gehörte.

Die äußersten natürlichen Grenzen Ammons könnten der Fluss „Jabbok“/Schabaich im Südosten gewesen sein, das Wadi Hejdan im Süden und im Südwesten die Gegend um die heutigen Orte Madaba und Hisban. Hier begann angeblich das Reich des Og von Baschan, jenseits des Wadi Hejdan lag weiter östlich das kleine fiktive Reich Sihons, im Süden begrenzt durch den Arnon, im Norden durch den „Jabbok“- Schabaich. Die Ostgrenze Ammons war die Wüstensteppe, die Westgrenze der Rand der Hochfläche um Madaba (biblisch Mischor). Das Jordantal selbst hat wohl nie zum ammonitischen Hoheitsgebiet gehört.

Etwas unklar ist in dieser Beschreibung die Kennzeichnung des Wadi Hejdan als Südgrenze von Amman; er kann nur dessen Beginn um den bereits erwähnten Stausee in der Nähe von Ammuriya herum meinen, das nach Google Maps mit dem Wadi al Wali identisch ist, denn im weiteren Verlauf führt dieses Wadi in südwestlicher Richtung bis zum Djebel el Hamra und zum Wadi Mujib, also bis zur Südwestgrenze des Gebietes, das er (siehe 6.1.7.3) dem König Og zuschreibt.

6.1.7.2 Sihon

Die Südgrenze des Königreichs von Sihon ist unbestritten der Fluss Arnon. Als seine Nordgrenze will Bauersachs jedoch nicht den Fluss Zarqa annehmen, der üblicherweise mit dem biblischen Jabbok identifiziert wird und „der bei Damiya, dem biblischen Adam, in den Jordan mündet“, sondern den Fluss Schabaich oder Schabik, der „südlich des Wadi Thamad etwa von Ost nach West durch die Hochfläche um Madaba“ fließt:

Der Schabaich-Jabbok mündet in das Wadi Thamad und speist heute unterhalb des Ortes Ammuriya einen Stausee.

Wenn ich das richtig sehe, liegen diese Fluss- oder Bachläufe vom Wali-Stausee aus gesehen genau in west-östlicher Richtung.

Warum der Schabaich-Jabbok und nicht das ausgeprägtere Wadi Thamad die Grenze zu Ammon bilden sollte, ist schwer zu verstehen: Die Befestigungsanlage Chirbet el Mudaiyina am Wadi Thamad hatte zu Zeiten des König Mescha eine bedeutende Grenzfunktion. Vielleicht ist die Ursache ganz einfach eine bewusste Verwechslung des Schabaich-Jabbok mit dem Zarqa-Jabbok durch die Redaktoren der Niederschrift, die damit ein größeres Herrschaftsgebiet suggerieren nach dem Motto: Viel Feind viel Ehr‘!

Wie schon zuvor reagiere ich auf die Unterstellung angeblich bewusster Täuschungsversuche biblischer Autoren zunächst einmal empfindlich. In einem zweiten Schritt gestehe ich zu: Natürlich kann es sein, dass man sich die Reiche Sihons bis zum Zarqa (und das Reich Ogs gar bis zum Hermongebirge) zusammenphantasiert hat, um den Eroberungen Israels im Zusammenhang der Landnahme noch mehr Glanz zu verleihen.

Allerdings ist es auch möglich, dass man über ihre wahre Ausdehnung einfach nichts mehr wusste. Eine Schlussfolgerung nach dem Muster: Da eine bewusste Täuschung möglich ist, spricht alles für die Identität dieses biblischen Jabbok mit dem Schabaich, greift jedenfalls zu kurz. Für eine sichere Zuordnung ist die Namensähnlichkeit Jabbok ≈ Schabaich einfach zu dünn, zumal nicht einmal klar ist, wann und wie lange dieses Wadi überhaupt so geheißen hat.

Aber schauen wir erst einmal weiter. Wenn Bauersachs mit dem Fluss Schabaich als Nordgrenze von Sihons Reich Recht hat, dann muss seiner Auffassung nach (S. 296) das „halbe Gilead“, das ebenfalls dazugehört, „südöstlich der Hochebene um Madaba, südlich des Schabaich-Jabbok und nördlich des Arnon gelegen haben.“ Dabei geht er davon aus, dass Gilead „offenbar allgemein als Landschaftsbezeichnung verwendet“ wurde, „um das gesamte Gebiet östlich des Jordangrabens (das heutige Jordanien) ohne Moab und ohne das Ammoniterreich zu bezeichnen“ (S. 297):

Ich vermute, dass das biblische Gilead lediglich den bergigen Westteil der Region zwischen Ammoniterreich im Norden und dem Arnon im Süden bezeichnete. Zu Gilead gehörten teilweise auch die landwirtschaftlich nutzbaren Abhänge von der Hochfläche (biblisch Mischor) hinab zum Toten Meer. Im Norden des biblischen Gilead gehörte das Hügelland östlich des Jordantals teilweise zum Einflussgebiet Ammons, das Land im Jordantal ist nie Teil Moabs und Ammons gewesen.

Das „halbe Gilead“ Sihons wäre nach der Beschreibung Jos 12,2 von der Fläche eher 1/3 Gilead, das zweite Drittel wäre Og zuzurechnen, das restliche Gilead weiter im Norden gehörte in dieser Zeit wohl zu Ammon.

Skizze der Amoriterländer von Sihon und Og
Ob diese Kartenskizze der Amoriterländer von Sihon und Og wirklich zutrifft (Karte: Konrad Bauersachs)

Zu einer klaren Konturierung des Reiches Sihon trägt diese Beschreibung Gileads allerdings wenig bei, was auch ein Blick auf die von Bauersachs (S. 302) gezeichnete „Karte der fiktiven Reiche Og und Sihon mit dem ‚richtigen Gilead‘“ bestätigt; die beiden dort vermerkten Gebiete mit dem Namen „‚halbes‘ Gilead“ erstrecken sich nämlich gar nicht über ausgesprochen bergiges Gebiet, und für die merkwürdig ausgefransten Grenzen der beiden Reiche Og und Sihon finde ich nirgends eine genaue Begründung.

Hier denke ich, dass man sehr ernst nehmen sollte, was Klaus Koenen <138> über die biblischen Texte zur Landschaft Gilead schreibt, nämlich „dass wir es mit Texten aus unterschiedlichen historischen Situationen zu tun haben“ und dass es daher verfehlt ist, mit dieser Bezeichnung eine ganz bestimmte Gegend verbinden zu wollen. Der größte Teil der biblischen Überlieferung versteht unter Gilead eher das Bergland nördlich oder auch südlich des Zarqa-Jabbok; eine solche Sicht wird aus der rückblickenden Perspektive der biblischen Niederschrift ja auch schon für die Landnahme am Ende der Wüstenwanderung vorausgesetzt; daher nehme ich an, dass es überhaupt keine Anhaltspunkte für eine evtl. ursprüngliche alternative Verortung von Gilead zu diesem frühen Zeitpunkt gibt.

Einen ähnlichen Schluss (S. 301) lässt „die biblische Bemerkung“ zu, „Sihon hätte in Heschbon regiert und sein Gebiet dem früheren König Moabs abgenommen“. Bauersachs sieht dies „äußerst kritisch“; man habe es „bei der Niederschrift zweckorientiert eingefügt, um Ansprüche auf das Land zu rechtfertigen“:

Ausgrabungen in Heschbon haben keine voreisenzeitliche Schichten ergeben, die Gründung der befestigten Stadt erfolgte im 8. Jahrhundert <139>. Knauf erwähnt in seinem Artikel allerdings nicht, dass Heschbon schon einmal in der frühen Bronzezeit besiedelt war <140>; danach gab es bis zur Neugründung eine Besiedlungslücke. Seit dieser Neugründung ist Heschbon lückenlos bis in die Neuzeit besiedelt gewesen. Heschbon kann deshalb weder mit Og oder Sihon noch mit einer Eroberung Transjordaniens durch die Exodus-Gruppe in Zusammenhang gebracht werden. Schon wegen der Besiedlungslücke ist die biblische Bemerkung, Heschbon sei die Stadt Sihons gewesen (4.Mose 21,26) nicht ernst zu nehmen.

Da Bauersachs die nördliche Grenze von „Sihons Reich“ ohnehin am heutigen Schabaich (bzw. Wadi al Wala) verortet, wäre seiner Ansicht nach Heschbon „eher dem Reich Og zuzurechnen, wenn man aus dem biblischen Text die Existenz beider Königreiche herauslesen will.“

Somit bleibt von einem möglicherweise historischen Reich Sihon nach Bauersachs Beschreibung nur ein 20 x 20 km großes Gebiet zwischen dem Wadi Mujib und dem Wadi Wali östlich von Dhiban übrig, und zwar ohne irgendwelche bedeutsamen Orte benennen zu können.

6.1.7.3 Og

Zur Identifizierung des Landes Baschan, das nach 5. Mose 3,11 von einem der letzten noch übriggebliebenen Riesen, nämlich König Og, beherrscht worden war, bezieht sich Bauersachs (S. 295) auf zwei Ortsnamen „Barsa“ zwischen Dibon und Libb. Er will es daher eher „im Großraum Heschbon und Madaba … als im syrischen Djebel Drus-Massiv“ suchen.

Nach Josua 12,5 soll Og allerdings sogar das Hermon-Gebirge beherrscht haben; daher wird auch (S. 298) sein Wohnort Edrei

in Syrien vermutet und mit Dera’a identifiziert. Bis dorthin sind es von Dibon aus aber 120 km Luftlinie; für die Kämpfer der Exodus-Gruppe also reichlich Gelegenheit, im Vorbeimarschieren ruhmreiche Schlachten zu schlagen und weitere Könige zu besiegen. Davon weiß das Alte Testament jedoch nichts.

Für realistischer hält es Bauersachs, „den biblischen Berg Hermon … im Dreieck zwischen Wadi Mujib und Wadi Hejdan“ mit dem Djebel Hamra zu identifizieren und den Ort Edrei zehn Kilometer nördlich in unmittelbarer Nähe des biblischen Ortes Aschtarot zu lokalisieren:

In Sichtweite (4 km) von Atarot-Atarus im „Landstrich Argob“ liegt am Fuß des Djebel Aruda (803m) die Ortschaft Aruda; hier und nicht in Syrien versteckt sich das biblische Edrei. Ob Edrei aus Aruda durch sprachliche Metathese entstanden ist, durch einen banalen Schreibfehler (hebräisch ד und ר sind sehr ähnlich) oder einen gezielten Irrtum bei der Niederschrift, spielt keine Rolle: Die Verlagerung des Ortes Edrei nach Syrien ist absurd.

Damit wäre auch das Reich des Königs Og auf ein Minireich zurechtgestutzt, dessen Südwestspitze der Djebel Hamra gebildet hätte.

Sehr klar lässt sich weiterhin in dem „am Steilufer des Arnon und oberhalb des Djebel Hamran“ gelegenen Ort Khirbat as Sahilah (Sachila) der biblische Ort Salcha lokalisieren (alternativ käme „20 km weiter östlich der Ort Saliya (Salicha)“ in Frage, der „dem Namen nach exakt dem biblischen Salcha“ entspricht, während Sachila „besser zur Landschaftsbeschreibung“ passt.

Den Landschaftsnamen Argob setzt Bauersachs mit wahlweise zwei Bächen gleich, die den Namen „Garaba“ tragen, oder drei Orten, die „Gharbiye“ oder ähnlich heißen und im Umkreis des nordöstlichen Ufers vom Toten Meer und der Gegend um Libb und Dibon liegen:

Unmittelbar nördlich (4 km) der Mujib-Mündung fließt aus den jordanischen Bergen der Bach Garaba (Metathese aus Argob) ins Tote Meer. Der Bach entwässert den heutigen Landkreis Ghuri um das biblische Edrei (das heutige Aruda) und Atarus. Ein weiterer Bach Garaba mündet in den Jordan, kurz bevor dieser das Tote Meer erreicht. Dieser Garaba wird sowohl vom Wadi Sir als auch vom Wadi Hisbon (beim biblischen Heschbon) gespeist.

• Nordöstlich von Atarus (15 km) liegt bei Libb der Ort el-Gharbiyeh, auch in diesem Namen ist „Argob“ versteckt; noch einmal 10 km weiter nordöstlich liegt der Ort Ereinbe el-Gharbiye <141>, hier ist Argob genauso enthalten wie in Umm Shujeira el Gharbiya etwa 7 km nordöstlich von Dibon.

Außerdem will er in dem 5 km südöstlich von Madaba gelegenen Ort Hawwara „die biblischen ‚Zeltdörfer Jairs‘ (ḪaWWOTh JaˀIR; siehe auch 4. Mose 32,41)“ wiedererkennen, was ich allerdings für sehr gewagt halte.

Das biblische Geschur setzt er entgegen der gängigen „Lokalisation am See Genezareth“ mit dem heutigen „Es Schagur (Metathese) am Wadi Hisban unterhalb von Heschbon am Nordende des Toten Meers“ gleich; dann hätte das „Gebiet der Geschuriter … vom Jordantal etwa bis nach Heschbon hinauf gereicht, wie es der biblische Text korrekt schildert“.

Damit dürfte sich das Gebiet „des Königs Og von Baschan“ im Norden nicht weiter als bis Heschbon erstreckt haben; an einer Stelle vermutet Bauersachs sogar, dass die Nordgrenze sogar bereits „beim heutigen Ort Libb gelegen haben“ dürfte.

Daraus ergibt sich für die Größe des Königreichs Og entweder auch 20 x 20 km, genau westlich des Königreichs Sihon, oder Ogs Einfluss reichte noch einmal 20 km weiter nördlich bis zur Gegend des späteren Heschbon.

6.1.8 Friedliche Siedlung von Exodus-Flüchtlingen im Gebiet auch nördlich des Arnon

Hinter der kriegerischen Ausgestaltung der Berichte über die angeblichen Amoriter-Könige Sihon und Og könnten sich meines Erachtens alte Erinnerungen der Exodus-Gruppe an Stämme in den eben genannten Gebieten nördlich des Arnon verbergen, deren Anführer man unter den Namen Sihon und Og kannte und von denen man sich wahre Schauermärchen erzählte, etwa dass Og nach 5. Mose 3,11 ein Riese gewesen sei, dessen übergroßes Bett aus Eisen man in Rabba, der Hauptstadt Ammons, aufbewahrt hätte.

Wenn diese Stämme nur einen Teil des Gebietes beansprucht hätten und es dazwischen auch dort Niemandsland gab, dann könnten sich manche Sippen der Exodus-Flüchtlinge aus den Ebenen Moabs auch über die Grenze des Arnon nach Norden in genau diesen Bereich friedlich ausgebreitet haben. Auch nach Bauersachs war (S. 289) der

Aufenthalt der noch vereinten Exodus-Gruppe in den Ebenen Moabs im Dreieck zwischen Arnon und seinen östlichen Zuflüssen … nur von kurzer Dauer (eher in Monaten als in Jahren zu rechnen), zu verlockend war die reiche Landschaft um Dibon – Madaba – Heschbon.

Hinzu kamen die oben dargestellten Wirren einer durch Erdbeben und Einwanderungswellen der Seevölker geprägten Zeit (S. 260):

Diese Verhältnisse erleichtern es der Exodus-Gruppe, sich hier um 1180 v. Chr. in den Regionen Madaba, Heschbon und den Ebenen Moabs für rund 300 Jahre ungestört niederzulassen. Für die Exodus-Gruppe dürfte nach der Wüstenwanderung der beginnende Aufschwung eher Erleichterung als Bedrohung gewesen sein; nun mussten sie für den wichtigen Eigenbedarf an Getreide nicht mehr selber den ungeliebten Ackerbau betreiben. Ein Teil der Exodus-Gruppe blieb wohl der Feldarbeit treu und wurde sesshaft.

Bauersachs geht sogar davon aus (S. 268), dass hier in Moab für „die anspruchslose Exodus-Gruppe mit ihren Herden … die wasserreiche Landschaft paradiesisch“ war, während er „das raue und trockene judäische Bergland jenseits des Jordangrabens“ nicht gerade „als verlockendes ‚Gelobtes Land‘ bezeichnen“ würde. „Die Region Transjordanien war nur dünn besiedelt, es gab allenfalls einige wenige Städte, die von lokalen Regenten (‚Königen‘) mit sehr eingeschränktem Machtbereich beherrscht wurden.“

So wurden (S. 292) im

Anschluss an die Wüstenwanderung … für die Exodus-Gruppe sowohl die Ebenen Moabs als auch die Region um Madaba-Dibon für rund 300 Jahre zur neuen Heimat. Nur hier wurde „Land genommen“, dies war die erste Landnahme. Eine zweite Landnahme wird es um 880 v. Chr. in Juda geben.

Bauersachs setzt den „Begriff ‚Landnahme‘ bewusst in Anführungszeichen, um erneut deutlich zu machen, dass es sich nicht um eine kriegerische Landnahme gehandelt haben kann“ (S. 253):

Die Exodus-Gruppe war zu keinem Zeitpunkt in der Lage, sich Land zu „nehmen“. Sie musste mit den Randgebieten des besiedelten Landes vorliebnehmen, dies kam ihrem Naturell als Nomaden entgegen.

6.1.9 Waren die Ost- und Westjordan-Stämme eigentlich Süd- und Nordarnon-Stämme?

Folgende Behauptung von Bauersachs, die er zur Besiedelung der Ebenen Moabs und des Gebietes nördlich des Arnon bis Heschbon aufstellt, weise ich jedoch als unbegründet zurück (S. 289):

Ein Teil der Exodus-Gruppe (die biblischen 2 ½ Stämme) siedelte dauerhaft in den Ebenen Moabs, die übrigen 9 ½ Stämme zogen um 1180 v.Chr. nicht (wie es in der Bibel dargestellt wird) über den heutigen Jordan nach Westen ins judäische Bergland, sondern überqueren lediglich den Arnon bzw. das Wadi Su‘eida <142> („Jordan“) von Süd nach Nord und lassen sich im Großraum Dibon-Heschbon-Madaba nieder.

Diese Trennung in zwei Gruppen entspricht exakt dem biblischen Text, nur spricht der von einer Abtrennung von 2 ½ Ostjordan-Stämmen (Ruben, Gad, ½ Manasse) und den verbleibenden 9 ½ Westjordanstämmen.

Skizze der von Bauersachs vermuteten Verteilung der Stämme im Ostjordanland
Wie sich Konrad Bauersachs der Verteilung der 12 Stämme der Exodus-Gruppe im Ostjordanland vorstellt

Ich sehe nicht den geringsten Beleg dafür, dass es sich bei dieser Ansiedlung von Einwanderern der Exodus-Gruppe auch nördlich des Arnon ausgerechnet um die 9 ½ Stämme gehandelt haben soll, die nach der Bibel angeblich das Westjordanland erobert haben. Vielmehr denke ich, dass die Überquerung des Arnon nach Norden völlig unspektakulär verlief und dass es für die ursprünglichen Erzähler keinen einschneidenden Unterschied zwischen den Siedlungsgebieten im Süden und im Norden gab.

Dass die Überschreitung des Jordan von der späteren rückblickenden Niederschrift der Bibel extrem theologisch aufgeladen wurde, hat ja damit zu tun, dass man das Westjordanland als das eigentliche Gelobte Land Kanaan betrachtete, das Gott dem Volk Israel in die Hand zu geben versprochen hatte. Eine solche Bedeutung war mit dem Land der Amoriter-Könige nördlich des Arnon niemals verbunden. Diese sollen ja noch am Ende der Wüstenwanderung praktisch im Vorübergehen eingenommen worden sein.

Nur zum palästinischen Jordan passt auch die nachträgliche Stilisierung seiner Überschreitung in Josua 3,13-17 als ein feierlich wiederholter Durchzug durch das Rote Meer mit stehenden Wassermauern „bei der Stadt Adam, die bei Zaretan liegt“ und beim „Meer der Steppe, dem Salzmeer“.

Dass es für eine gewaltsame Landnahme des Westjordanlands keine Beweise gibt und daher die entsprechenden biblischen Schilderungen im Buch Josua historisch angezweifelt werden müssen, ist jedenfalls noch kein hinreichender Grund dafür, die biblische Jordanüberquerung nach Westen kurzerhand mit einer Arnonüberquerung nach Norden gleichzusetzen. Mir scheint, dass Bauersachs auf diese Weise eine seiner im weiteren Verlauf vertretenen Ideen sicherstellen möchte, dass nämlich die so genannten 9 ½ Weststämme bzw. überhaupt Teile der Exodus-Gruppe auch auf eine friedliche Weise nicht ins Westjordanland gelangt sein können, sondern 300 Jahre lang im Ostjordanland nördlich des Arnon geblieben sein müssen, was ich, ehrlich gesagt, für außerordentlich unwahrscheinlich halte.

Geradezu widerlegt wird die Annahme von Bauersachs, dass die 2 ½ Stämme Ruben, Gad und halb-Manasse dauerhaft südlich des Arnon gesiedelt hätten, durch eine Angabe auf der Mescha-Stele über einen Stamm „Gad“, auf die ich genauer eingehen möchte. Dort ist nämlich davon die Rede, dass gerade die Leute von Gad nicht etwa südlich, sondern nördlich des Arnon in der Stadt Atarot gewohnt haben.

6.1.10 Gehörte der Stamm Gad auf der Mescha-Stele zu Moab oder zu Israel?

Zur Bestätigung (S. 297) seiner Verortung der so genannten Amoriter-Reiche in „die Region um Madaba-Heschbon-Dibon“ hatte Bauersachs selbst auf 4. Mose 32,34-36 verwiesen:

34 Und die Söhne Gad bauten Dibon und Atarot und Aroer

35 und Atrot-Schofan und Jaser und Jogboha

36 und Bet-Nimra und Bet-Haram, feste Städte und Schafhürden.

Dafür fand er außerdem ein „überzeugendes außerbiblisches Argument … auf der Mescha-Stele.“ König Mescha, der im 9. Jahrhundert v. Chr. Moab regierte,

schreibt darauf über sich oder seinen Vater, er sei ein Gaditer aus Dibon. Hier muss ich nicht klären, ob es in der Exodus-Gruppe tatsächlich einen namengebenden Stamm Gad gab, der sich über Jakob auf Abraham zurückführen lässt. Wahrscheinlicher ist, dass Gad ein moabitischer Stamm war, den später die Niederschrift für ihre Zwecke vereinnahmte und in einen seit langem ansässigen „israelitischen“ Stamm umdeutete.

Zuvor begründete er die Annahme (S. 290), dass „Nachfahren der Exodus-Gruppe in Transjordanien geblieben“ sind, „sich hier dauerhaft niedergelassen“ haben und „schließlich Teil der Bevölkerung Moabs“ geworden sind, bereits mit der späteren

Geschichte um den moabitischen König Mescha…, der sich „Gaditer“ aus Dibon nennt und damit auf den biblischen Stamm Gad zurückgeführt werden könnte…

An späterer Stelle (S. 320) verweist er dazu etwas zurückhaltender auf einen „verdeckten Hinweis“, den die so genannte Mescha-Stele, auf die wir später noch genauer eingehen werden, „auf die Herkunft“ des moabitischen Königs Mescha im 9. Jahrhundert v. Chr. enthält:

Kombiniert man die Aussage auf der Stele, Mescha (und wohl auch sein Vater) seien Diboniter, mit dem Hinweis „Der Mann von Gad …“ (Zeile 10 der Mescha-Stele), wäre Mescha streng genommen ein Nachfahre der Exodus-Gruppe aus dem Stamm Gad, der sich nach dem biblischen Bericht in Transjordanien niedergelassen hat“ (4. Mose 34,14):

14 … und der Stamm der Söhne der Gaditer haben ihr Erbteil (Anm.: im Ostjordanland) empfangen.

Was steht nun tatsächlich auf der Mescha-Stele? Ihren Text in Zeile 10 und 11 kann man auch als Hinweis darauf verstehen, dass nicht Mescha, sondern doch ein israelischer Mann oder Stamm Gad die Stadt Atarot gebaut hat: <143>

1 Ich (bin) Mescha, Sohn des kmš[jt], König von Moab, der 2 Dibonite. Mein Vater war König über Moab dreißig Jahre, und ich wurde König 3 nach meinem Vater. Und ich machte dieses Höhen(heiligtum) für Kemosch in Qericho als Zeichen 4 der Rettung, denn er errettete mich vor allen Angreifern(?) und ließ mich triumphieren über alle meine Gegner. … 10 … Und die Leute von Gad wohnten seit jeher im Lande von Aṭaroth und der König von 11 Israel hatte Aṭaroth 10 für sich gebaut.

Bauersachs hingegen erwägt im Blick auf diesen in seinen Augen moabitischen Stamm Gad zwei Möglichkeiten (S. 290):

Gab es in der Exodus-Gruppe unter den Nachfahren Jakobs tatsächlich einen Stamm Gad, auf den sich König Mescha historisch korrekt bezieht? Oder kannte – was näherliegt – die Niederschrift diesen moabitischen Stamm Gad und elf weitere (moabitische?) Stämme, hat sie für sich vereinnahmt und rückblickend vom Urvater Jakob hergeleitet?

Dass König Mescha ein Nachfahre der zugewanderten Hebräer aus der Exodus-Gruppe ist, dürfte unwahrscheinlich sein. Haben sich vielleicht während der 300 Jahre, in denen sich die Nachkommen der Exodus-Gruppe mit der alteingesessenen Bevölkerung mehr oder weniger vermischten, auch die Sprachen vermischt, wurden Namen über Herkunftsgrenzen hinweg angeglichen?

Die Unterstellung einer bewussten Vereinnahmung moabitischer Stämme durch „die“ Niederschrift für einen israelitischen Urvater Jakob kann ich jedenfalls nicht nachvollziehen, da das biblische Bild von Moab nicht gerade positiv war. Wieso sollte man die Stammesvorfahren eines ungeliebten Volkes in die eigene Ahnenreihe aufnehmen? Abgesehen davon gab es nicht „die“ einheitliche Niederschrift der Bibel, sondern unterschiedliche Traditionen und Textzusammenstellungen in verschiedenen Zeiten und Regionen, so dass es schwer vorstellbar ist, wie eine solche bewusste Entstellung der historischen Wahrheit, die die gesamte Bibel beeinflusst, vonstatten gegangen sein soll.

6.2 Geschichte der Exodus-Gruppe in den Jahrhunderten zwischen 1180 und 880 v. Chr. nach Bauersachs

Ist es nicht am naheliegendsten, im biblischen Buch Josua nachzuschlagen, um Spuren der Geschichte der Exodus-Gruppe nach ihrer Ankunft in Transjordanien zu finden? Nicht unbedingt. Nach Bauersachs (S. 293) kann für die tatsächliche Geschichtsschreibung der Jahrhunderte zwischen 1200 und 880 v. Chr. nicht auf das Buch Josua zurückgegriffen werden, da die „meisten Auseinandersetzungen des Buches Josua … in Wirklichkeit erst 300 Jahre nach der Wüstenwanderung stattgefunden“ haben;

sie wurden von den Redaktoren zweckorientiert mit dem Ende der Wüstenwanderung verknüpft. Aktiv beteiligt an diesen realen Kriegen war anders als geschildert meist das Nordreich Israel; dagegen waren Josua (wenn es ihn denn gegeben hat) und die Nachkommen der Exodus-Gruppe immer nur Leidtragende. <144>

Was ist aber in den 300 Jahren geschehen, die dann „in der frühen israelischen Geschichte auf den ersten Blick“ fehlen? Sie werden nach Bauersachs „ausführlich im Buch Richter beschrieben“! Er plädiert nämlich für eine „Neuordnung der alttestamentlichen Buchfolge in Mosebücher, Richter und danach Josua“: <145>

Der Inhalt der Bücher Richter und Josua läuft durch die geänderte Reihenfolge mit der historisch korrekten Vergangenheit (Nord)-Israels und der Gründung des Südreiches Juda weitgehend parallel und liefert die Basis für eine Verknüpfung der Realität mit den Geschichtsbüchern des Alten Testaments.

Zwar wird Bauersachs auf den konkreten Inhalt des Buches Josua, so weit ich es sehe, fast nirgends eingehen, aber im Buch der Richter (und am Anfang des 1. Buches Samuel, in dem das Ende der Richterzeit beschrieben wird) findet er (S. 293) Anhaltspunkte zur weiteren Geschichte der Exodus-Gruppe:

Das Buch Richter beschreibt die allmähliche Entwicklung einer losen Gemeinschaft von Nomaden und Sesshaften hin zu einem Zusammenschluss unter charismatischen Führern (den biblischen „Richtern“) und weiter zu einem frühen Königtum {1. Samuel 8,5}:

5 Nun setze doch einen König über uns, damit er über uns Richter sei, wie es bei allen Nationen ist!

Den Prozess dieser Organisation eines Staatswesens beschreibt Bauersachs folgendermaßen:

Solche Vorgänge sind am Übergang von der Bronze- zur Eisenzeit ganz allgemein zu beobachten, natürlich haben auch die Nachfahren der Exodus-Gruppe diesen Prozess durchlaufen. Nomaden mussten vom patriarchalischen Scheichtum abrücken und Hierarchien einrichten, damit innerhalb eines Stammes ein Ordnungs- und Entscheidungssystem entstehen kann. Aufgabe der Richter war die Interessenvertretung nach außen; für diese Funktion war ein hohes Alter (Scheich = Ältester) weniger wichtig. Solche Persönlichkeiten mussten diplomatisches Geschick haben, sollten aber auch kampferprobt und charakterfest sein und von den Stammesmitgliedern akzeptiert werden.

Auf den „Anthropologen Robin Dunbar (University of Oxford)“ beruft sich Bauersachs bezüglich der so genannten „Dunbar-Zahl“; dabei handelt es sich um „eine Gruppengröße von 148 Mitgliedern“, bis zu der sich eine übersichtliche Sippe noch „selbst verwalten kann. Wächst diese Gruppe weiter, trennen sich Untergruppen ab und das Spiel beginnt von vorne.“ Das heißt, erst lange, nachdem unsere hebräische Exodus-Gruppe in Transjordanien eingewandert ist, hat sich (S. 294) in

Moab … auf diesem Weg um 900 v. Chr. ein historisch belegtes Königreich entwickelt, weiter südlich in Edom lässt sich erst im späten 9. Jahrhundert v. Chr. dauerhafte Besiedlung nachweisen.

Im Laufe der Zeit wurden aus Weidewirtschaft treibenden reinen Nomaden der Exodus-Gruppe Mischberufler zwischen dem Weidebetrieb auf der einen und der Landwirtschaft auf der anderen Seite. Die sesshaft gewordenen gaben ihre Freizügigkeit zugunsten einer sicheren Gemeinschaft innerhalb befestigter Ortschaften auf, die reinen Nomaden kümmerten sich wenig um die Obrigkeit, weil sie nicht durch Haus- und Grundbesitz gebunden waren und jederzeit weiterziehen konnten.

Was Bauersachs allerdings im einzelnen zum Buch der Richter schreibt, muss genau geprüft werden. Aus (S. 325) „historischer Sicht“ mag es seiner Auffassung nach Richtergestalten gegeben haben, „die bis zum Übergang in die Königszeit“ eine Sippe auch nach außen vertreten haben, ohne dass unbedingt „die namentlich genannten biblischen Richter historische Personen waren“.

Mit Recht weist er (S. 326) auf erhebliche „Unsicherheiten … in den Orts- und Zeitangaben zum Richterbuch“ hin, zum Beispiel „ist nicht zu erkennen“, ob „die Ost- und Westjordan-Stämme aufgrund der räumlichen Trennung jeweils eigene Richter gehabt haben“, ob also „unterschiedliche Richter parallel an verschiedenen Orten tätig gewesen sind und später bei der Niederschrift nacheinander aufgereiht wurden“. Eine Richterzeit von über 400 Jahren, die sich durch Addition der Unterdrückungszeiten Israels und der Amtszeiten aller genannten Richter ergibt, kann also keine historische Glaubwürdigkeit beanspruchen, zumal die vielen Richtern zugeschriebene runde Zahl von vierzig Amtsjahren als symbolische Zahl der Vollendung zu verstehen ist.

Seine Einschätzung (S. 327), dass man „die rund 300 Jahre dauernde Richterzeit als realhistorischen Zeitabschnitt“ betrachten muss, stützt sich einerseits darauf, dass er sie zwischen der Ankunft der Exodus-Gruppe in Transjordanien um 1180 v. Chr. und der Eroberung Moabs durch König Omri im Jahr 880 v. Chr. einordnet, und andererseits auf (S. 291) eine „fiktive Rede des Richter Jephtah zum Thema Heimatrecht im Ostjordanland“, in der Jeftah unter anderem dem König der Ammoniter vorhält (Richter 11,26):

26 Während Israel in Heschbon wohnte und in seinen Tochterstädten und in Aroer und in seinen Tochterstädten und in all den Städten, die längs des Arnon liegen, dreihundert Jahre lang – warum habt ihr sie {die Städte} uns denn nicht in jener Zeit entrissen?

So (S. 328) liefern die Redaktoren der biblischen Niederschrift

mit der Zeitangabe „300 Jahre‘ einen historischen Beweis…, dass die Wüstenwanderung um 1180 v. Chr. geendet hat und unmittelbar danach die Richterzeit mit 300 Jahren anschloss.

Zur tatsächlichen Geschichte der Exodus-Gruppe in Transjordanien haben wir damit außer allgemeinen Annahmen (S. 327) über ihre „Dorf-, Stadt- und Kleinstaatenbildung“ nicht viel mehr herausgefunden als ihre Dauer von etwa 300 Jahren – wofür die Zeitangabe in der Rede Jeftahs nicht mehr als ein bloßes Indiz darstellt.

Zusammenfassend hält Bauersachs fest (S. 292):

Die Exodus-Gruppe hatte nach ihrer Ankunft in diesem „Gelobten Land“ trotz und wegen der gleichzeitig beginnenden Besiedlungswelle ihr gutes Auskommen. Um 1180 v. Chr. gab es zunächst keine Probleme für die unterschiedlichen Einwanderer; mit der zunehmenden Bevölkerung mussten sich die sozialen Strukturen ändern. Die vereinzelten Familien und Stämme gründeten zunächst Dörfer, dann Städte und Stadtstaaten, schließlich Königreiche mit größeren Territorien.

In diesem Zusammenhang, so behauptet Konrad Bauersachs (S. 292), entwickelten sich schon bald zwischen „Einheimischen und Zugezogenen … neue Familienbande, der ursprünglich enge Zusammenhalt innerhalb der Exodus-Gruppe ging verloren und die Erinnerung an gemeinsame Wurzeln verblasste nach mehreren Generationen“; daher meint er auch ausschließen zu können, dass es die „vom Alten Testament viel strapazierte glaubensbedingte Gemeinschaft der Exodus-Gruppe“ jemals gegeben hat:

Nach meiner Auffassung kam Gott JAHWE frühestens mit dem Einmarsch des jahwegläubigen israelischen Königs Omri um 880 v. Chr. nach Moab; dies war der erste unmittelbare Kontakt der Exodus-Nachfahren mit JAHWE.

Und wie konnte es später dazu kommen, dass diese Erzählungen in die Bibel aufgenommen wurden? Dazu Bauersachs (S. 290):

Wir hätten nie mehr etwas von der Exodus-Gruppe und ihren Nachkommen gehört, wenn nicht dreihundert Jahre später um 880 v. Chr. der Einmarsch des sehr realen israelischen Königs Omri das beschauliche Leben der gesamten transjordanischen Bevölkerung grundlegend verändert hätte.

6.3 Die „zweite Landnahme“ in Juda um 880 v. Chr.

Die 300-jährige Geschichte der Exodus-Gruppe in Transjordanien beschreibt Konrad Bauersachs, wie wir gesehen haben, nur in sehr knapper und wenig konkreter Form. Weitaus mehr Energie wendet er für das Jahr 880 v. Chr. auf, in dem Israel das Land Moab überfiel und Teile des Landes besetzte, und das Jahr 841 v. Chr., in dem sich Moab wieder befreien konnte. Dabei ist das Ende der Besatzungszeit klarer zu datieren, während ihr Beginn auf der Mescha-Stele lediglich mit der runden Zahl von 40 Jahren für ihre gesamte Dauer belegt ist.

Nach Bauersachs spiegeln sich diese beiden Ereignisse in verschiedenen Texten der Bibel:

  • der eben erwähnten Rede des Richters Jeftah (Richter 11),
  • der Bileam-Geschichte (4. Mose 22-24),
  • der Geschichte vom Aufstieg Davids vom Räuberhauptmann zum König von Juda und seinem Konflikt mit König Saul,
  • schließlich sogar der Ermordung der Omriden und Baals­priester im Zuge des Militärputsches von Jehu in Israel.
6.3.1 Der Richter Jeftah und Israels Anspruch auf Gebiete Moabs

Die eben erwähnte Rede des Richters Jeftah, die Bauersachs als Beleg für den 300-jährigen Aufenthalt der Exodus-Gruppe in Transjordanien anführt, bezieht sich dem biblischen Wortlaut zufolge natürlich nicht auf eine ausdrücklich so genannte besondere Gruppe von Nachkommen Abrahams, sondern auf „Israel“. Insofern (S. 328) verdreht die biblische Niederschrift nach Bauersachs „die historischen Tatsachen gründlich“, als sie den „Richter Jeph­tah zum Anwalt Israels“ macht und „nicht zwischen dem Besatzer Israel und den Nachkommen der Exodus-Gruppe“ unterscheidet, „sondern … beide als Einheit“ darstellt. Aber trotzdem enthält die „erfundene Rede Jephtahs … einen stets missverstandenen Hinweis auf ein einschneidendes historisches Ereignis“. Denn dieser (S. 327) Richter Jeftah könnte (wenn es ihn wirklich gegeben hat) „Zeitgenosse eines Moabiter- und Ammoniterkönigs des frühen 9. Jahrhundert v. Chr. gewesen sein“. Das heißt (S. 328), anders als in der Bibel angegeben, war der

König, den Jephtah anspricht, … sicher kein Ammoniter, er muss König der Moabiter gewesen sein, möglicherweise sogar der bereits bekannte Mescha. Nur so macht die Zuordnung zu Gott Kemosch Sinn: Kemosch ist der moabitische Staatsgott, der ammonitische Gott wäre Milkom gewesen {Richter 11,24}:

24 Wen Kemosch, dein Gott, vor dir vertreibt, dessen Land nimmst du in Besitz.

Das heißt aber:

Mescha oder ganz allgemein ein moabitischer König wird von Jephtah als Auslöser des Konflikts gebrandmarkt, obwohl Mescha nur sein eigenes Land zurückerobern will, das zuvor der israelische König Omri um 880 v. Chr. gewaltsam besetzt hat: Nach etwa 40 Jahren wird der Besatzer Israel um 841 v. Chr. von Moabs König Mescha wieder vertrieben.

Mit der Rede Jeftahs sollen nun „rückwirkende Ansprüche Israels auf das moabitische Transjordanien legitimiert werden“, die sich auf „angebliche Eroberungen unmittelbar nach der Wüstenwanderung“ (nämlich der Reiche von Sihon und Og) beziehen.

6.3.2 Der Prophet Bileam und die Mescha-Stele

Eingehend setzt sich Konrad Bauersachs mit der biblischen Geschichte über den Propheten Bileam auseinander, die in den drei Kapiteln 4. Mose 22-24 unmittelbar nach der Ankunft der Exodus-Gruppe in den „Ebenen Moabs“ (22,1) sehr ausführlich erzählt wird.

6.3.2.1 Sollte Bileam einen Angriff Israels auf Moab ermöglichen?

Konrad Bauersachs beginnt seine Erörterung der biblischen Bileam-Episode mit folgenden Sätzen (S. 305):

Nach dem Sieg über Sihon und Og und der Besetzung des ganzen Landes bis nach Syrien wendet sich die Exodus-Gruppe überraschend nach Süden und will – so der biblische Text – angeblich König Balak von Moab angreifen. Auch das ist wieder ein starkes Argument gegen das syrische Edrei-Dera‘a.

Aber es stimmt gar nicht, dass die Israeliten der Bibel zufolge Moab angreifen wollen. Mit keinem Wort wird im 4. Buch Mose die Einnahme Moabs beschrieben; in 5. Mose 2,9 verbietet JHWH sogar eindeutig, mit Moab Krieg zu führen, da es wie Ammon „den Söhnen Lot zum Besitz gegeben“ ist.

Stattdessen wird in 4. Mose 22,1 vorausgesetzt, dass Israel nach den erfolgreichen Kriegszügen nördlich des Arnon nun wieder ihre Lagerplätze in den Ebenen Moabs aufgesucht haben. Nach der rückblickenden Niederschrift befinden sich diese im Jordantal, gegenüber dem palästinischen Jericho, nach der Theorie von Bauersachs allerdings am Arnon, östlich von der Hochebene, auf der der Ort Ariha = Jericho zu finden ist. Von dem am Djebel Aruda lokalisierten Edrei ist das gerade mal 30 km entfernt.

Dieses Volk Israel, das sozusagen vor den Toren Moabs lagert, erregt nach 4. Mose 22,3 die Furcht und das Grauen Moabs; das erinnert an den Abscheu der Ägypter vor den Schafhirten, die nach 1. Mose 46,34 „den Ägyptern ein Greuel“ sind (4. Mose 22,4):

4 Und Moab sagte zu den Ältesten von Midian: Jetzt wird dieser Haufe unser ganzes Land ringsum abfressen, wie das Rind das Grüne des Feldes abfrißt. Balak aber, der Sohn Zippors, war zu jener Zeit König von Moab.

Seltsam kommt mir vor, dass einerseits Balak, der Sohn Zippors, als König von Moab genannt wird, dass andererseits aber die Ältesten von Midian in Moab eine entscheidende Rolle spielen. Darauf geht Bauersachs hier nicht ein. <146> In seinen Augen ist nach der Bibel „der moabitische König Balak (den es frühestens 300 Jahre später gegeben haben kann)“ der „erste ernsthafte Gegner“, den es bei der bevorstehenden kriegerischen Landnahme zu besiegen gilt. Und ich wiederhole: biblisch gesehen soll das Land Moabs jedenfalls zu diesem Zeitpunkt nicht eingenommen werden; der Sinn der drei Kapitel 4. Mose 22-24 ist einzig und allein, die vom König Moabs in Auftrag gegebene Verfluchung des Volkes Israel abzuwenden und es stattdessen zu segnen.

Noch einmal wundert sich Bauersachs darüber, dass die „Spannung nach der wiederholten Segnung des Gegners … nicht aufgelöst“ wird, „wir erfahren nichts über den Sieger des Konflikts.“ Er müsste sich nicht wundern, wenn er ernstnehmen würde, dass Moab gar nicht angegriffen und eingenommen werden sollte, sondern dass der Sieg Israels schon darin besteht, dass es erstens nicht von Moab unterworfen wird und zweitens für die bevorstehende Gabe des Landes in Kanaan von einem außenstehenden Propheten den Segen JHWHs erhält.

Trotzdem schließt Bauersachs daraus (S. 311), dass „der biblische Bileam-Bericht nichts über einen Sieg der israelischen Truppen“ verlauten lässt,

dass die kriegerische Auseinandersetzung zwischen Moab zu Ungunsten Israels ausgegangen sein muss. Eine Logik ist dahinter zunächst nicht zu erkennen: Üblicherweise verhilft Gott JAHWE seinem glaubenstreuen Volk auch gegen überlegene Gegner zum Sieg oder er bestraft Verfehlungen in Kriegszeiten mit Niederlagen. Wenn weder über das eine noch über das andere berichtet wird, muss hier ein historisches Geschehen beschrieben und der wahre Verlauf mit theologischen Belehrungen übertüncht worden sein.

6.3.2.2 Zur geographischen Verortung des biblischen Bileam

In der Bileamgeschichte hatten schon die oben erwähnten Midianiter für Verwirrung gesorgt, aber es gibt in ihr noch weitere geographische Probleme zu lösen. Wo lag eigentlich (S. 309) „Bileams Heimat“? Nach 4. Mose 22,5 soll Bileam in Petor wohnen, „das am Strom liegt“, womit der Euphrat gemeint ist. Zwar gibt es „im nördlichen Mesopotamien“ eine Stadt „Pedru oder Pitru“, die an Hand „einer Städteliste des Thutmosis III. (1490-1436 v. Chr.)“ und von „Inschriften Salmanassars III.“ nachgewiesen werden kann (S. 310), aber kann Bileam tatsächlich „rund 600 km Luftlinie von Moab entfernt“ wohnen und hätten Abgesandte eines fremden Königs in der vom assyrischen König Salmanassar II. um 857 v. Chr. eroberten Stadt „Pitru“ einen „prominenten Seher Bileam“ einfach abholen können? Da mehrfach Delegationen hin- und herreisen, hätten sie

auf der Reise an den fernen Euphrat zweimal runde 1.200 km Weg (Luftlinie) zurücklegen müssen.

Auch wenn sie täglich 30 km geschafft hätten, wären sie fast drei Monate unterwegs gewesen, bis Bileam endlich in Moab am Schauplatz der drohenden Auseinandersetzung angekommen wäre. … Abgesehen davon hätte die Gesandtschaft des moabitischen Königs das bereits von Israel besetzte Gebiet weiträumig im Osten umgehen müssen, was einen zusätzlichen Zeitverlust bedeutet hätte.

Nun kann man aber auch einfach „im Einflussgebiets des moabitischen Königs Balak nach einem „Petor“ (PɘThOR) in Moab oder der näheren Umgebung der bevorstehenden Auseinandersetzung“ suchen. Bauersachs findet ihn im heutigen Batir

etwa 10 km nördlich der jordanischen Stadt Kerak und vier Kilometer westlich von er-Rabba auf einem Bergrücken zwischen zwei Bächen, so dass die ergänzende biblische Ortsangabe „am Strom“ (NaHaR) hier zutrifft.

Gegen Bileams Heimat im weit entfernten Syrien spricht auch, dass sein Weg ihn kurz nach seiner Abreise (4. Mose 22,24) durch

einen Hohlweg zwischen den Weinbergen {führt}; eine Mauer war auf der einen und eine Mauer auf der andern Seite.

Nun wäre aber (S. 311) die

Anlage von Weingärten in der ebenen Wüstensteppe oder im trockenen Hügelland Syriens … schwer vorstellbar, allenfalls entlang des Euphrat wäre das möglich. Die biblische Darstellung spricht aber ausdrücklich von Weinanbau mit Stützmauern in bergigem Gelände.

… Solche Mauern sind charakteristisch für Weinberge an steileren Hängen, sie verhindern ein Abrutschen des Erdreichs und erleichtern die Arbeit im Weinberg. Warum sollte der Redaktor eine solche Umgebung erfinden und nach Pitru/Syrien versetzen? Er kannte natürlich solche Hohlwege aus seiner Heimat, sei es in Jordanien, sei es in Palästina.

Auch (S. 310) einen der „Hügel, auf dessen Gipfel Bileam JAHWE ein Opfer darbringen soll“, nämlich (nach 4. Mose 23,14) den Berg Pisga, hatten wir bereits oben anders als traditionell üblich lokalisiert, nämlich zwischen den beiden Zuflüssen des Arnon südlich des heutigen Mujib-Stausees.

6.3.2.3 In welcher historischen Zeit gab es einen realen Bileam?

Um historische Umstände aufzuspüren, mit denen ein wirklicher Prophet Bileam zu tun gehabt haben könnte, verweist Bauersachs weiterhin darauf (S. 306), dass es

einen realen Seher Bileam, „Sohn des Beor“, gegeben {hat}: Bei Deir Alla im Jordantal wurde 1967 in einem durch Erdbeben zerstörten Gebäude eine in 119 Fragmente zerbrochene Inschrift gefunden, mit der ein Seher Bileam sein Volk vor dem Verderben warnt.

Die Inschrift ist sehr schlecht erhalten; wegen fehlender Satzzeichen, seltener Wörter und ungewöhnlicher Syntax gibt es über Sprache und Schriftzeichen immer noch hitzige Debatten <147>. Die Botschaft in der Art biblischer Propheten ist auf dem Verputz signiert mit „Schrift Bileams, des Sohnes Beors, des Sehers der Götter“.

Da der Einsturz des Gebäudes „auf 760 v. Chr.“ datiert wird und „Radiocarbondaten von Pflanzenresten und Gebrauchsspuren an den Wänden … vermuten“ lassen, „dass der Text um 800 v. Chr. auf die Mauern geschrieben worden sein muss“, kann ein historischer „Seher Bileam … irgendwann im 9. Jahrhundert gelebt“ haben und „in der Region bekannt“ gewesen sein. Bauersachs ist

sicher, dass die Redaktoren der Niederschrift diesen Seher kannten und ihn zweckorientiert in die deuteronomistische Geschichtsschreibung eingebaut haben. Sogar die Formel „Sohn des Beors“ findet sich in Alten Testament genauso wie auf der Bileam-Inschrift. Ob Bileam ein „konfessionsloser“ Seher war, der seinem Auftraggeber je nach dessen Hausgott verpflichtet war, ist nicht wesentlich. Sicher war Bileam auch mit JAHWE vertraut, das Auftreten Bileams im Jordantal in Sichtweite der israelischen Stadt Samaria, einer wichtigen Stadt des jahwegläubigen Nord-Israel, lässt das vermuten.

Nun stellt sich aber die Frage:

Wie kann der historische Bileam und Sohn des Beor des 9. Jahrhunderts von einem unbekannten moabitischen König Balak des 12. Jahrhunderts beauftragt werden?

6.3.2.4 Die Bileam-Episode als Spiegelbild historischer Ereignisse in den Jahren 880 und 841 v. Chr.

Da es nach Bauersachs (S. 314) in der Zeit des historischen Bileam nur zwei Mal vorkam, dass „Nord-Israel und Moab Krieg führten“, nämlich beim „Überfall Omris auf Moab um 880“ und der „Rückeroberung durch Mescha um 841 v. Chr.“, versucht er die Bileam-Episode und vor allem „den ‚Hauptbeteiligten‘ JAHWE mit diesen beiden Ereignissen in einen historisch überzeugenden Zusammenhang zu bringen“. Auf diese Weise will er „zeigen, dass JAHWE erst bei der Niederschrift rückblickend auch zum Gott der Nachfahren Abrahams wurde“:

Omri attackiert um 880 v. Chr. in einer Blitzaktion Moab, der moabitische König Balak wird völlig überrumpelt und muss für 40 Jahre israelische Besatzungstruppen im Land dulden. Die Soldaten bauen einige Städte zu Festungen aus, errichten Jahwe-Tempel und treiben Tributzahlungen ein. Für die Niederschrift ist rückblickend klar: Israel hat mit JAHWEs Hilfe den moabitischen Gott Kemosch besiegt.

Die 40-jährige Besatzungszeit durch die Omriden-Dynastie wird außerbiblisch durch die so genannte Mescha-Stele bezeugt: <148>

4 … Omri 5 war König von Israel, und er bedrängte Moab lange Zeit, denn Kemosch zürnte seinem Lande. 6 Und es folgte ihm sein Sohn. Und er sprach: Ich will Moab bedrängen. In meinen [König Meschas] Tagen sprach er [so], 7 aber ich triumphierte über ihn und sein Haus. Und Israel ist für immer zu Grunde gegangen. Und es hatte sich Omri des ganzen 8 Gebietes von Mahdeba bemächtigt und er wohnte darin während seiner Tage und der Hälfte der Tage seiner Söhne, vierzig Jahre.

Bauersachs vermutet (S. 316), dass

der biblische König Balak der historische König Mescha war…; denkbar wäre, dass Mescha im Nordreich Israel Balak genannt worden ist. Meiner Meinung nach hatte der historische Bileam keinerlei Bezug zu Balak, sondern wurde von den Redaktoren allein aus theologischen Gründen … für die Absichten der Niederschrift missbraucht; die wiederholten Segenssprüche, die Bileam in den Mund gelegt werden, dienen letztlich ausschließlich dem Lobpreis JAHWEs.

Da nun offenbar (S. 319) der moabitische König Mescha „lange Zeit der israelischen Besatzungsmacht nichts entgegenzusetzen“ hatte, „lieferte {er} zähneknirschend den auferlegten Tribut ab“ (2. Könige 3,4):

4 Und Mescha, der König von Moab, war Schafzüchter und lieferte dem König von Israel 100000 Lämmer und 100000 ungeschorene Widder als Tribut.

Aber steht in der Bibel auch etwas (S. 316) über „Meschas Rückeroberung, Zerstörung der Jahwe-Heiligtümer und das Verschleppen der Jahwe-Schätze in die Kemosch-Tempel“, die 40 Jahre später erfolgt? In 2. Könige 3,4 heißt es:

5 Und es geschah, als Ahab gestorben war, da brach der König von Moab mit dem König von Israel.

Tatsächlich wartete Mescha noch 9 Jahre, nachdem Ahab um 850 v. Chr. gestorben war, bis im Jahr 841 „in Damaskus Hasaël den regierenden Ben-Hadad II., einen langjährigen Verbündeten Israels“ ermordete, denn als „König Joram von Israel … daraufhin eilig Truppenteile aus dem besetzten Moab in den Norden Transjordaniens“ verlegte, „um gegen einen möglichen Angriff Hasaels gewappnet zu sein, … schwächte er die zurückbleibenden Einheiten und ermöglichte Meschas Rückeroberung des besetzten Landes.“

Die Mescha-Stele schildert diese Ereignisse folgendermaßen: <149>

10 Und die Leute von Gad wohnten seit jeher im Lande von Aṭaroth und der König von 11 Israel hatte Aṭaroth 10 für sich gebaut. 11 Ich griff die Stadt an und nahm sie ein. Und ich tötete alles Volk 12 der Stadt als Darbringung für Kemosch und für Moab. Und ich brachte von dort den Altar ihres dwd und ich 13 schleppte ihn vor Kemosch in Qerejoth. Und ich ließ dort wohnen die Leute von Saron und die Leute 14 von mkrt.

Und Kemosch sprach zu mir: Geh, nimm Nebo (im Kampf) gegen Israel. Da 15 zog ich bei Nacht los und kämpfte gegen es von Tagesanbruch bis Mittag. Und ich 16 nahm es ein und tötete alles: 7000 Männer, Klienten, Frauen, [Klien]tinnen 17 und Sklavinnen, denn ich hatte es dem Aschtar-Kemosch (durch Bann) geweiht. Und ich nahm von dort die {Gerät}e (?) 18 Jahwes und schleppte sie vor Kemosch.

Und der König von Israel hatte 19 Jachas 18 gebaut 19 und lagerte darin während seines Feldzuges gegen mich. Da vertrieb ihn Kemosch vor mir und 20 ich holte aus Moab 200 Mann, alle seine Anführer. Und ich brachte sie nach Jachas und nahm es ein, 21 um es Dibon anzugliedern.

Zwar soll „die israelische Armee“ nach 2. Könige 3,25 noch „die moabitische Hauptstadt Kir-Heres (vermutlich das heutige Kerak) umzingelt haben“ können, aber durch ein angebliches „Menschenopfer Meschas an den moabitischen Reichsgott Kemosch … hätte sich der moabitische König aus der ausweglosen Situation retten können“ (2. Könige 3,27):

27 Da nahm er {König Mescha} seinen erstgeborenen Sohn, der an seiner Stelle König werden sollte, und opferte ihn als Brandopfer auf der Mauer. Da kam ein großer Zorn über Israel; und sie zogen von ihm ab und kehrten in ihr Land zurück.

Die Bibel erwähnt nicht den Namen des hier doch offensichtlich siegreichen Gottes Kemosch, sondern spricht kleinlaut und kommentarlos einfach von einem Rückzug Israels.

Auch einen Zwischenfall am Ende der Wüstenwanderung, der möglicherweise auf im Krieg verübte Greueltaten von Soldaten anspielt, kann man nach Bauersachs „in die Bileam-Geschichte integrieren“, der unmittelbar danach in 4. Mose 25,1 beschrieben wird:

1 … Und das Volk fing an Unzucht zu treiben mit den Töchtern Moabs …

Bauersachs geht davon aus, dass die

Truppen Omris … bei der Eroberung Moabs um 880 v. Chr. genau das {tun}, was damals weitverbreitet war und leider noch heute (siehe Bosnien-Konflikt) praktiziert wird: Es wird geplündert und gemordet, es kommt zu Massenvergewaltigungen, Frauen und Mädchen werden verschleppt und versklavt, die Männer ermordet. <150>

6.3.3 Die „zweite Landnahme“ als Flucht aus Moab ins judäische Bergland im Jahr 880 v. Chr.

Um seine Theorie einer zweiten Landnahme zu begründen, knüpft Bauersachs (S. 332) an bisherige Argumentationen an:

Nach der Wüstenwanderung haben sie {die Exodus-Leute} um 1180 v. Chr. in Moab nördlich des Arnon und in den Ebenen Moabs Fuß gefasst, sind teilweise sesshaft geworden und fühlen sich inzwischen als Bürger Moabs. Das beweist König Meschas Aussage auf der Mescha-Stele, er sei „Gaditer“ und damit auch Nachfahre des biblischen Gad {nach der biblischen Genealogie ist Gad ein Sohn des Erzvaters Jakob und damit ein Enkel Abrahams}. Die historische Herkunft Meschas dürfte bei der Niederschrift bekannt gewesen sein; ob die Redaktoren rückblickend wegen Meschas Bekenntnis zusätzlich einen vom biblischen Jakob abgeleiteten Stamm Gad konstruierten oder ob es tatsächlich unter der Exodus-Gruppe einen Stamm Gad gegeben hat, ist schwer zu entscheiden und erinnert an die Frage: Was war zuerst – Henne oder Ei.

Leider beweist aber die Mescha-Stele in dieser Hinsicht gar nichts, denn es bleibt Bauersachs‘ bloße Vermutung, dass sich der dort erwähnte Mann aus Gad wirklich auf den König Mescha bezieht oder nicht vielmehr doch auf Leute aus Israel, die im Gebiet von Moab eine Stadt errichtet haben. Ebenso unbelegt und in meinen Augen auch abwegig ist seine Annahme, die Redaktoren der Niederschrift müssten über Meschas Herkunft Bescheid gewusst und könnten daraufhin einen Jakobssohn Gad erfunden haben. <151>

Dass sich die „Nachfahren der Exodus-Gruppe … in der Richterzeit für rund 300 Jahre selbst organisiert“ haben und „gegen Ende der Richterzeit schließlich Untertanen des König von Moab“ wurden, ist nicht unmöglich, aber ebenfalls recht schwach belegt. <152>

Eine steile These fügt Bauersachs an, indem er mit „Blick auf den realen moabitischen König Mescha, der sich ja als ‚Gaditer‘ bezeichnet“, vermutet, dass „Meschas (namentlich unbekannter) Vater sogar einer der letzten biblischen Richter an der Übergangsphase von der Richterzeit zum Königtum gewesen sein“ könnte. Schade ist nur, dass er wiederum nicht einmal den geringsten Beleg dafür anzuführen weiß. All das weist darauf hin, wie stark seine Argumentation auf reinen Vermutungen basiert.

Um das Jahr 880 v. Chr. überfiel das Nordreich Israel unter König Omri das Land Moab und besetzte die zwischen dem Arnon und Heschbon gelegenen Landesteile. Seitdem hatte Mescha „massive Tributzahlungen“ an Omri zu leisten. Aus diesen historischen Fakten schlussfolgert Bauersachs, dass der moabitischen „Bevölkerung nördlich des Arnon in der Region Dibon-Heschbon-Madaba“ nicht nur „Teile ihrer Herden weggenommen wurden und Angehörige teilweise zur Begleitung der Beuteherden nach Nord-Israel zwangsrekrutiert oder versklavt wurden“, sondern auch, dass die „meisten Herdenbesitzer … nach dem Raubzug vor dem Nichts“ standen und „entweder den abziehenden Truppenteilen nach Nordwesten über den Jordan in der Hoffnung“ folgten, „entlaufene Tiere einfangen oder Angehörige retten zu können, oder … aus Angst ums nackte Leben“ flohen. „Mangels Lebensgrundlage konnten und wollten sie in der liebgewonnenen Heimat Moab nicht mehr bleiben.“

Das ist alles möglich – wieder einmal vermisse ich allerdings weitere Indizien oder Schriftbelege für diese weitreichenden Vermutungen, und zwar um so mehr, als Bauersachs allein mit diesen Vermutungen weitere Behauptungen begründet (S. 333):

Eine „Landnahme“ in Sinn des Wortes bedeutet, einem anderen Volk Land wegzunehmen oder ein fremdes Land zu erobern; beides hat es im biblischen Sinn nie gegeben. Genau genommen haben nach Omris Angriff lediglich einige hundert Flüchtlinge aus dem Großraum Madaba im judäischen Bergland jenseits des Jordan eine neue Heimat gesucht und gefunden. Trotzdem bleibe ich bei diesem offensichtlich falschen, aber einprägsamen Begriff und setze ihn in Anführungszeichen.

Skizze eines Fluchtweges aus Moab in Richtung Juda
Ob tatsächlich David mit seinen Leuten aus Moab nach Juda geflüchtet ist? (Karte: Konrad Bauersachs)

Atemberaubend ist die Geschwindigkeit, mit der Bauersachs jetzt auf einmal meint, Klarheit über den „Hintergrund für eine historische ‚Landnahme‘“ gewonnen zu haben:

Unter dem Überfall hatten vor allem junge Männer ohne eigene Familie zu leiden, weil sie gezwungen werden konnten, in den verhassten israelischen Besatzungstruppen zu dienen. Unter den Flüchtlingen war deshalb der Anteil an 18-20-Jährigen überdurchschnittlich hoch. In der Hoffnung auf ein besseres Leben flohen sie über den heutigen Jordan in das Bergland um Jerusalem und suchen dort eine neue Heimat.

Da diese jungen Leute natürlich nicht im verhassten Nordreich Israel Zuflucht suchen, „müssen die Flüchtlinge zunächst mit den anspruchslosen Landstrichen im judäischen Bergland vorlieb nehmen“, denn nach Bauersachs lag „nördlich von Jerusalem … im zentralen Bergland das Minireich des ‚König‘ Saul“, von dem bisher in seinem Buch noch keine Rede war.

Da weiterhin die „meisten Flüchtlinge … wohl Hirten der elterlichen Herden gewesen“ waren, über keine „handwerkliche Ausbildung“ verfügten, „weil Handwerk Sesshaftigkeit voraussetzt“, und auch „in einer kargen Region wie dem judäischen Bergland“ kaum „Arbeit als Tagelöhner“ finden konnten, „bleiben die Flüchtlinge zusammen und leben als Außenseiter von dem, was sie von den Bewohnern erbetteln konnten.“

Nach Eric Hobsbawm <153> können sich aus „desertierten Soldaten, Kriminellen, Tagelöhnern und Flüchtlingen … auch heute noch in schwer zugänglichen Gebieten Gemeinschaften“ bilden (etwa in „Mexico, Brasilien, China, Italien“), „die nach einem eigenen Kodex leben und der Obrigkeit schwer zu schaffen machen“.

Aus heiterem Himmel taucht sodann der Name David im Zusammenhang mit diesen Flüchtlingen auf (S. 335):

Genauso verhielt sich Davids Bande. Unter dem Mantel der Redlichkeit bietet sie gegen Entgelt und Verpflegung Schutz und Sicherheit etwa beim Bewachen der Herden; über Auseinandersetzungen zwischen der ansässigen Bevölkerung des späteren Juda und den Flüchtlingen wird nichts berichtet, im Gegenteil:

Die Vertriebenen waren durchaus in der Lage, Übergriffe fremder Truppen oder Räuber auf Dörfer im Bergland zu verhindern, so profitierten beide Parteien von diesem einträchtigen Nebeneinander. Der wilde Haufen ist sich stets seiner transjordanischen Wurzeln bewusst und vergisst nie den Verursacher der Vertreibung:

So versucht die Bande, wo immer es möglich ist, dem Nordreich Israel zu schaden. Dies fällt den Vertriebenen umso leichter, weil sie selber keine Herden mehr haben und dadurch sehr beweglich sind. Außerdem dürften anfangs nur wenige Kinder und Frauen unter ihnen gewesen sein, auf die Rücksicht genommen werden musste; Frauen und Kinder wurden ja traditionell zur Kriegsbeute gerechnet (zB 1 M. 34.29 , 5 M 20.14, Jos 1.14) Nach dem Motto: Der Feind meines Feindes ist mein Freund geht Davids Truppe Bündnisse mit den Philistern ein, dem götzenverehrenden Erzfeind Israels.

Wieder irritiert mich der Mangel an jeglicher Untermauerung all dieser Vermutungen durch biblische Belege – außer drei Bibelstellen zu dem Umstand, dass Frauen und Kinder in diesem Zusammenhang nicht auftauchen. Dass Bauersachs ausgerechnet nach diesen drei Absätzen wieder einmal den fettgedruckten Satz einschiebt: „Auch hier zeigt sich: Natürlich hat die Bibel Recht!“, finde ich um so ärgerlicher, als manche Teile seiner Annahmen über Davids Freischärlertruppe sich tatsächlich biblisch nachweisen lassen, was er aber leider unterlässt, während andere Teile mir als sehr fragwürdig erscheinen.

Sicher trifft es zu, dass David anfangs eine Gemeinschaft befehligt hat, die dem von Hobsbawm beschriebenen Muster entsprach. Aber bisher ist durch nichts bewiesen, dass diese Truppe sich aus moabitischen Flüchtlingen des Jahres 880 v. Chr. zusammengesetzt hat und dass seine Bande, wo immer möglich, dem Nordreich Israel schaden wollte. Stattdessen steht Davids gesamte frühe Geschichte im Zeichen einer Auseinandersetzung mit König Saul, den Bauersachs aber gar nicht mit dem Nordreich in Verbindung bringen will. Hier müsste jedenfalls genau belegt werden, welche biblischen Angaben möglicherweise auf historische Hintergründe schließen lassen und welche nicht.

In einem anderen Zusammenhang erwähnt Bauersachs (S. 320) ein Indiz, das für die Datierung Davids in das 9. Jahrhundert sprechen könnte, nämlich die „Nennung eines ‚Hauses David‘ aus der Stadt Atarot“ in der 12. Zeile der Mescha-Stele <154>

12 … Und ich brachte von dort den Altar ihres dwd …“

Nun mag allerdings König Mescha mit diesem dwd auf seinem Denkmal zwar tatsächlich einen „David oder eine Sippe David aus Transjordanien oder Moab“ verewigt haben, aber ob damit ausgerechnet der biblische David gemeint war, muss dahingestellt bleiben, zumal wenn dieser David zu diesem Zeitpunkt noch so jung gewesen wäre, wie Bauersachs annimmt, und seine Karriere als Räuberhauptmann und späterer König des noch gar nicht existierenden Königreichs Juda noch vor sich gehabt hätte.

Sehr pauschal und ohne konkrete Untersuchung im einzelnen behauptet Bauersachs weiter (S. 335):

Diese historisch korrekte „Landnahme“ in Juda wird nicht nur im biblischen Buch Josua ausgiebig beschrieben, auch die Samuelbücher befassen sich detailliert mit dieser Epoche, denn der letzte Richter Samuel salbt angeblich zunächst Saul zum König. Innerhalb der biblischen Erzählung führt diese „Landnahme“ zu einer entscheidenden Entwicklung, die erneut meine Auffassung vom hier beschriebenen realen Ablauf der „Landnahme“ und dem zugehörigen Zeitrahmen bestätigt:

Das Alte Testament schildert im Zeitabschnitt unmittelbar vor Davids Königszeit (von Alttestamentlern falsch auf ca. 1020 v. Chr. datiert) die Raubzüge und Kämpfe eines Räuberhauptmanns und seiner rund 600 Mannen im Westjordanland. In Wirklichkeit können sich diese Begebenheiten erst nach 880 v. Chr., also 300 Jahre nach Ankunft der Exodus-Gruppe in Transjordanien, zugetragen haben und waren eine direkte Folge der Attacke Omris auf Transjordanien.

Im Buch Josua sehe ich nichts von dem bestätigt, was Bauersachs hier annimmt. Aus den Samuelbüchern greift Bauersachs lediglich, ohne die Stelle konkret zu nennen, auf 1. Samuel 22,2 zurück:

1 Und David ging von dort weg und entkam in die Höhle Adullam. Und als seine Brüder und das ganze Haus seines Vaters das hörten, kamen sie zu ihm dorthin herab.

2 Und es sammelten sich um ihn lauter Bedrängte und solche, die verschuldet waren, und andere mit erbittertem Gemüt. Und er wurde ihr Anführer. Und es waren bei ihm etwa vierhundert Mann.

3 Und David ging von da nach Mizpe in Moab und sagte zum König von Moab: Laß doch meinen Vater und meine Mutter bei euch wohnen, bis ich erkannt habe, was Gott mit mir tun wird!

4 Und er brachte sie vor den König von Moab, und sie wohnten bei ihm, solange David auf der Bergfeste war.

5 Und der Prophet Gad sagte zu David: Bleib nicht auf der Bergfeste! Geh hin und begib dich in das Land Juda! Und David ging weg und kam nach Jaar-Heret.

Diese Stelle bestätigt Davids Freischärlertum und auch eine Beziehung Davids zum ostjordanischen König von Moab. Aber reicht Letzteres aus, um zu beweisen, dass diese Begebenheiten sich erst um 880 v. Chr. und nicht vielleicht doch schon ein Jahrhundert zuvor zugetragen haben? Ich bezweifle das stark.

Interessanterweise kommt hier sogar der Name Gad im Zusammenhang mit Moab noch einmal vor, allerdings weder als moabitischer noch als israelitischer Stamm, sondern als Name eines Propheten. Bewiesen wird damit nur, dass dieser Name tatsächlich nicht eindeutig zuzuordnen ist.

Bauersachs gestaltet die Geschichte der „Räuberbande im judäischen Bergland“ folgendermaßen weiter aus: Da „auch Gesetzlose … innere Hierarchien und einen Räuberhauptmann als Oberbefehlshaber“ haben, vergleicht er ihre Entwicklung „mit den alttestamentlichen Richtern“; auf Grund ihrer Erfahrungen während der Richterzeit konnten die Flüchtlinge „bekannte Strukturen auch in der Fremde“ aufbauen. Er geht sogar so weit, dass er „den bekannten Bevölkerungszuwachs im judäischen Bergland, wo sich zwischen dem 11. Jahrhundert und dem 8. Jahrhundert die Bevölkerungszahl etwa alle 100 Jahre verdoppelt hat“, ursächlich mit darauf zurückführt, dass „während der israelischen Besatzungszeit in Transjordanien weitere Unzufriedene die moabitische Heimat“ verlassen.

6.4 Spurensuche nach dem historischen König David

In den Ausführungen von Konrad Bauersachs über die angeblich durch den Überfall des Königreichs Israel auf Moab ausgelöste „zweite Landnahme“ ist bereits deutlich geworden, dass sein Buch in den letzten Kapiteln eigentlich nur noch ein Thema hat: Er will nachweisen, dass der historische König David als Flüchtling aus Moab ins judäische Bergland zunächst zum Banditenführer wurde und dann das Königreich Juda gründete, und zwar immer getrieben von dem Wunsch, sich am omridischen Königshaus des Nordreichs Israel für den Überfall auf Moab zu rächen.

In der Beschreibung (S. 342) seines Vorhabens, mit Hilfe kontrollierter wissenschaftlicher Spekulation „hinter der biblischen Person des David einen historischen David zu erkennen“, nimmt Bauersachs den Mund außerordentlich voll:

Meine neugeschriebene Geschichte unterscheidet sich grundlegend von jeder herkömmlichen Schilderung. Sie lässt sich jederzeit als historisch belastbarer Rahmen verwenden und beschreibt die gemeinsame Geschichte Israels, des entstehenden Juda und der Nachbarstaaten verlässlicher als sämtliche bisherigen Darstellungen. Die ohnehin sehr holprigen Königslisten eines frühen Juda und frühen Israel müssen komplett neu gestaltet werden.

6.4.1 Streifzug durch die Königslisten Israels und Judas von Omri rückwärts bis zum angeblichen Großreich König Davids

Um nachzuweisen, dass David nicht bereits im 11. bzw. 10. Jahrhundert v. Chr. König gewesen sein kann, geht Bauersachs die biblische Darstellung der Könige Israels und Judas von König Omri an rückwärts durch.

Zu König Omri (S. 347) steht in der Bibel lediglich der „historisch verwertbare Hinweis“ auf seine „Gründung der Stadt Samaria“, sein „Überfall auf Moab um 880 v. Chr.“ wird nicht erwähnt. Von Omris Enkel Joram, der nach dem Tod seines Vaters Ahab und seines Bruders Ahasja an die Macht kommt, wird von einem gemeinsamen Kriegszug „mit Judas König Joschafat“ gegen „den König von Moab (Mescha)“ berichtet: „beide ziehen nach einem blutigen Gemetzel sowie einem vorgeblichen Menschenopfer des Gegners unverrichteter Dinge wieder ab.“ Im Zusammenhang mit seiner Interpretation der Bileamgeschichte hatte Bauersachs bereits oben dargelegt, dass diese „biblische Geschichte … wieder einmal nur die halbe Wahrheit“ ist, in Wirklichkeit spiegelt sich in ihr die auf der Mescha-Stele dokumentierte Rückeroberung israelisch besetzter Gebiete in Moab durch König Mescha wider.

Einen Krieg (S. 348), den „Joschafats angeblicher Vater Asa (908 – 868) … mit dem historisch nicht bekannten israelischen König Bascha (Nordreich; 906-883)“ wegen dessen Ausbau einer „Grenzfestung Rama nördlich von Jerusalem“ führte, beurteilt Bauersachs als unhistorisch, da Asa angeblich „Israels Verbündetem Ben-Hadad von Damaskus Teile des Tempelschatzes“ von Jerusalem angeboten haben soll, „damit der sein Bündnis mit Israel löst.“ Wenn das stimmen würde, wäre „Asas Sohn Joschafat“ kaum „gegen den gemeinsamen Feind Moab ein Bündnis mit Joram von Israel“ eingegangen. Da ein solches „Freikaufen“ aber „in der realen Geschichte rund eine Generation später (zur Zeit der Tel-Dan-Stele), als Ben-Hadad III. von Damaskus die israelische Stadt Samaria angreift und der israelische König Joas den assyrischen Adad-Nirari III. zu Hilfe rufen muss“, tatsächlich geschieht (als „sowohl Israel als auch Juda Assyrien tributpflichtig“ werden), fragt sich Bauersachs,

ob nicht bei der Niederschrift dieses historische Ereignis als Dublette mit anderen Beteiligten (Asa gegen Ben-Hadad) rückprojiziert wurde.

Solche Dubletten häufen sich in der sogenannten frühen Königszeit, deswegen lassen sich Vorfälle oder Könige – vor allem judäische – nur selten mit exakten Jahreszahlen verbinden. Genauso unübersichtlich ist die Einschätzung militärischer Erfolge, die von der rückblickenden Geschichtsschreibung bei der Niederschrift gerne David zugeordnet werden, aber definitiv erst unter Jehus Herrschaft stattgefunden haben können. Ich erwähne hier die Auseinandersetzungen zwischen Jehu und Damaskus um die Gebiete in Transjordanien.

Hintergrund (S. 349) für den angeblich „wiederholten Verlust des Tempelschatzes in der Frühzeit Judas“ ist nach Bauersachs übrigens der in seinen Augen „einzige historische Verlust der Tempeleinrichtung“ um 587 v. Chr. „unter dem babylonischen König Nebukadnezar (604-562)…, der Tempel und weite Teile Jerusalems völlig zerstört sowie die Oberschicht der Bevölkerung nach Babylon deportiert“ (2. Könige 24,13):

13 Und er {Nebukadnezar} brachte von dort heraus alle Schätze des Hauses des HERRN und die Schätze des Königshauses und brach das Gold von allen goldenen Geräten ab, die Salomo, der König von Israel, im Tempel des HERRN gemacht hatte, ganz wie der HERR geredet hatte.

Dieser historische Vorfall „wurde bei der Niederschrift wieder und wieder bemüht, wenn religiöse Verfehlungen früherer fiktiver Herrscher Judas schwerwiegende Folgen haben mussten“, zum Beispiel auch schon (S. 348), als „zwanzig Jahre vor Asas Regierung … angeblich um 925 v. Chr. der ägyptische Pharao Scheschonk I. dem König Rehabeam schon einmal den kompletten Tempelschatz Salomos gewaltsam weggenommen“ haben soll <155>; dabei ist außerdem die Frage, ob es zu diesem Zeitpunkt überhaupt schon einen Tempel in Jerusalem gegeben hat. Nach Bauersachs geschah das „nicht vor 850 v. Chr.“.

Als historisch zweifelhaft beurteilt Bauersachs (S. 349) mit Recht die „militärische Stärke Judas“, wenn etwa das späte Buch der Chronik für König Joschafat behauptet, dass er sich (2. Chronik 17,14ff.) „auf ein stehendes Heer von schier unglaublichen 1,1 Mio. Männern verlassen“ konnte, oder dass bereits David (nach 1. Chronik 27,2; 2. Samuel 24,9; 1. Chronik 21,5) „auf 1,57 Mio., auf 1,3 Mio. oder ‚nur‘ 288.000 (aus 12 x 24.000) Krieger zurückgreifen“ konnte.

Zu Jerobeam I., dem nach der Bibel ersten König des Nordreichs nach der Abspaltung vom Reich Salomos, ist Bauersachs darüber irritiert, dass er „einen Sohn mit dem Namen Abija gehabt haben soll, der schon als Kind starb“:

Wenn ich die Lesart Abija als „Mein Vater ist JAHWE“ als korrekt annehme, verwundert es doch, dass einer der angeblich gottlosen israelischen Könige seinen Sohn nach JAHWE, dem angeblichen Hausgott Judas, benannt haben soll.

Diese Verwunderung verwundert wiederum mich, da doch der Niederschrift zufolge JHWH der Gott sowohl Gesamt-Israels als auch der beiden Nachfolgestaaten Israel und Juda war. Es ist also ganz selbstverständlich, dass in beiden Königshäusern auch dementsprechende Namen verwendet werden. Der Vorwurf der Gottlosigkeit wird insofern auch beiden Königshäusern gegenüber dann erhoben, wenn sie nicht dem Willen JHWHs folgen.

Die (S. 350) Datierung des judäischen Königs Rehabeam (1. Könige 14,25 und 2. Chronik 12,2) in die Zeit des ägyptischen Pharao Scheschonk, des biblischen Schischak, zweifelt Bauersachs unter Berufung auf folgende Bemerkung von Israel Finkelstein <156> an:

Natürlich muss ich nicht ausdrücklich darauf hinweisen, dass der Feldzug Scheschonks ausschließlich aufgrund des Alten Testaments ins Jahr 926 v. Chr. datiert wird und so eine scheinbar verlässliche ägyptische Quelle vorgegaukelt wird.

Das begründet Bauersachs (S. 342) mit „Ortslisten“, die man im ägyptischen Karnak über einen Feldzug von „Pharao Scheschonk“ findet, der „im 10. Jahrhundert in Palästina unterwegs“ war, „um nach rund 200 Jahren ägyptischer Bedeutungslosigkeit wieder die alte Vormachtstellung in Kanaan herzustellen.“ Auf diesen Listen fehlt „Davids Hauptstadt Jerusalem…, obwohl hier das Zentrum des biblisch-davidischen Großreiches gelegen haben soll“. Auch kann (S. 351) Scheschonk I. kaum, wie in 1. Könige 14,26 behauptet, „neben dem Jerusalemer Tempelschatz auch zweihundert Langschilde Salomos aus gehämmerten Gold“ erbeutet haben, da er es sich wie „alle orientalischen Herrscher“ nicht hätte

nehmen lassen, mit dieser prächtigen Beute zu prahlen.

Er tat das nicht, also hat er nichts erbeutet. … Jerusalem war um 930 v. Chr. also so unbedeutend, dass Scheschonk I. guten Gewissens auch ganz Juda nicht beachtete und in ergiebigeren Städten auf Beutezug ging. Die aufgelisteten Orte liegen vor allem nördlich von Jerusalem in Israel, außerdem finden sich noch einige Städte östlich des Jordan auf dieser Liste.

Nun bringt zwar Israel Finkelstein, wie Bauersachs zu Recht anmerkt, Scheschonk zwar nicht mit Rehabeam in Verbindung, allerdings mit König Saul, den er im Gegensatz zu Bauersachs eben doch als Stammesfürsten eines ersten Nordreiches ansieht, das sich im 10. Jahrhundert sogar bis ins Ostjordanland erstreckte und die auf der Liste von Pharao Schoschenq enthaltenen Orte umfasste. <157> Wenn Finkelstein damit Recht hat, dass Saul schließlich auf genau dem erwähnten Feldzug durch Scheschonk sein Leben und seine Macht verlor und damit einem von Tirza aus regierten Königtum unter einem König Jerobeam (vgl. 1. Könige 11,40) der Weg geebnet wurde, müsste damit auch ein historischer David zwar nicht im 11., aber doch bereits im 10. Jahrhundert ein bescheidenes Königtum in Juda innegehabt haben. All dem widerspricht Bauersachs allerdings entschieden (S. 339), denn er will keinesfalls „Saul als König des Nordreiches sehen, sondern als Herrscher über das eng begrenzte zentrale Bergland nördlich von Jerusalem“, also zwar als „eine geschichtliche Figur“, aber „ohne überregionale Bedeutung“. Insbesondere hält er in der biblischen David-Geschichte

die Kombination Samuel-Saul-David für einen Kunstgriff der Niederschrift, weil JAHWE in Juda bis 841 v. Chr. keinerlei Bedeutung hatte. Mit der Verknüpfung sollte belegt werden, dass JAHWE in Juda seit der Reichsgründung verehrt worden ist. In Wirklichkeit haben erst versprengte Soldaten Omris nach der Rückeroberung Moabs durch Mescha ihren Jahweglauben ins judäische Bergland mitgebracht.

Die Existenz des judäischen Königs Rehabeam zweifelt Bauer­sachs auch deswegen an, weil ein „bei der Niederschrift idealisierter fiktiver König Salomo … keinen historischen Sohn gehabt haben“ kann, und dieser (S. 352)

fiktive Sohn Rehabeam des fiktiven Vaters Salomo kann nur einen fiktiven Großvater David gehabt haben. Damit scheint die komplette Ahnenreihe der biblischen Könige in sich zusammenzubrechen, denn es gibt auf den ersten Blick keine Möglichkeit, historische Realität auch nur ansatzweise mit den biblischen „Fakten“ in Übereinstimmung zu bringen. Hat die Bibel also doch nicht Recht?

Das will Bauersachs gerade nicht behaupten. Aber ihm schwebt für David, wie ja oben schon ansatzweise ausgeführt, ein anderer historischer Hintergrund vor.

6.4.2 Biblische Verbindungen von David mit Moab

Obwohl Bauersachs (S. 337) die biblische Darstellung Davids „als den größten König Israels, als Musiker und Dichter, als glänzenden Kriegsherrn und politischen Taktiker, als treusorgenden Familienvater mit ausgeprägter Neigung zum schwachen Geschlecht, kleinen und großen Fehlern“ letztlich als allzu perfekt grundsätzlich hinterfragt, hält er doch daran fest, dass in „Davids biblischen Lebenslauf … zahlreiche Details eingeflossen“ sind, „die einen realen Hintergrund haben müssen und immer wieder auf eine Herkunft aus Transjordanien verweisen.“ Insgesamt zählt er dann aber konkret nur drei solche Details auf (S. 338):

  1. Nach dem Buch Ruth (4,13.17) ist die Moabiterin Ruth die Urgroßmutter Davids.
  2. Ruths Ehemann Boas, also der Urgroßvater Davids, „stammt aus der Ehe zwischen Salmon und Rahab, von der wir schon bei der Eroberung Jerichos gehört haben“, und dieses Jericho hatte Bauersachs mit Ariha in Moab identifiziert. <158>
  3. Die genannte familiäre Verbindung könnte schließlich erklären, warum David, als er von Saul verfolgt wird, nach 1. Samuel 22,3 „seine Eltern ins sichere Moab“ schickt. <159>

In diesem Zusammenhang stellt Bauersachs zwei weitere Fragen:

Welchen König von Moab könnte David so gut kennen, dass er ihm seine Eltern anvertraut? Und welchen Grund sollte David gehabt haben, einige Jahre später als König von Juda das Nachbarland Moab anzugreifen, in dem seine Eltern Schutz fanden?

Ob Bauersachs die erste Frage rhetorisch meint? Vielleicht nimmt er an, dass Davids Familie in Moab auch nach seiner Flucht großes Ansehen genoss.

Zur zweiten Frage bezweifelt er, dass ein historischer König David „Jahre später im Salztal eine gewaltige Schlacht gegen Edom“ gewonnen haben kann, wie es in 2. Samuel 8,13 heißt, wobei er da­von ausgeht, dass diese Schlacht „die historische Eroberung Moabs durch König Omri“ widerspiegelt.

Eigenartigerweise übersieht Bauersachs die grausame Geschichte einige Verse zuvor, in der ausdrücklich Moab genannt wird (8,2):

2 Er schlug auch die Moabiter und maß sie mit der Meßschnur ab, wobei er sie sich auf die Erde legen ließ. Und er maß zwei Schnurlängen ab, um zu töten, und eine volle Schnurlänge, um am Leben zu lassen. Und die Moabiter wurden David zu Knechten, die Tribut entrichten mußten.

Die Tributpflicht Moabs weist deutlich darauf hin, dass dies eine Erinnerung an die omridische Besetzung Moabs sein könnte.

6.4.3 Die Tel-Dan-Stele und Davids Geburt um 900 v. Chr.

Der wichtigste und ausschlaggebende erste Ausgangspunkt für die Spurensuche nach einem historischen König David ist für Bauersachs (S. 342) die so genannte Tel-Dan-Stele, von der in „den Ruinen der Stadt Dan (Tel Dan; heute Tel el-Qadi), der nördlichsten Stadt des historischen Nordreiches Israel … drei Fragmente“ gefunden wurden. Sie soll „um 800 v. Chr. entstanden“ sein und gilt als „sicherer Beweis für die Existenz eines realen Davids“. Denn auf „dieser Stele rühmte sich vermutlich König Bar-Hadad III. von Damaskus, den König von Israel und einen König des ‚Hauses David‘ getötet zu haben.“

Nach Bauersachs müsste (S. 344) ein realer

David … um 900 v. Chr. in Transjordanien geboren sein, bei der Vertreibung aus Moab durch Omris Truppen war er etwa 20 Jahre alt. Energisch wie er war, könnte er tatsächlich im Alter von 30 Jahren (um 870 v. Chr.) ein „Königreich“ von Jerusalem gegründet haben. Historisch gesehen handelte es sich wohl um einen Stadtstaat <160>, der unter Davids Nachfahren bis 800 v. Chr. zunehmend regionale Bedeutung erlangt hat, aber stets im Schatten des Nordreichs Israel gestanden hat.

Ein bisschen widerspricht Bauersachs dieser zeitlich-geographischen Einordnung, indem er andernorts (S. 342) annimmt, dass sein „Regierungssitz“ erst nach einer Anfangszeit in „Hebron tatsächlich Jerusalem gewesen sein“ dürfte. Dann müsste er bereits als Banditenführer einige Jahre lang in Hebron sein Hauptquartier aufgeschlagen haben. Allerdings war auch das „Jerusalem des historischen David“ zu dieser Zeit „lediglich ein Dorf“.

6.4.4 Die doppelten Könige Joram und Ahasja in den Königslisten Israels und Judas

Weiterhin fragt sich Bauersachs (S. 352), welchen König der traditionellen judäischen Königsliste er mit einem realen David identifizieren könnte:

von den biblischen „Nachfolgern“ Davids wäre Joram der erste zeitlich passende Kandidat, allerdings tritt er gleich doppelt auf:

Er regiert – glaubt man dem biblischen Text – namensgleich parallel in Juda und Israel…

Nach 1. Könige 22,51 wird ein Joram in Juda nach dem Tod seines Vaters Joschafat König. Ein (S. 353) anderer Joram, nämlich der Sohn von König Ahab, tritt nach 2. Könige 3,1 nach dessen Tod in Israel die Königswürde an. Das findet statt im 18. Regierungsjahr von Joschafat. Nach 2. Könige 8,16 wiederum fällt der Amtsantritt von Joram-von-Juda in das 5. Jahr des Königs Joram-von-Israel, als Joschafat noch König von Juda war. Das heißt, es muss auch eine Zeit gegeben haben, in der Joram-von-Juda und sein Vater Joschafat gemeinsam regiert haben. Das ist alles so verwirrend, dass sich beim Verständnisversuch Knoten in meinem Hirn bilden.

Daraufhin verweist Bauersachs (S. 353) auf „kritische Alttestamentler wie Knauf“, die offen fragen, „ob der judäische Joram nicht die gleiche Person wie der israelische Joram ist <161>, aber „fundamentalistische und weniger flexible Alttestamentler beharren auf dem Geschriebenen“.

Nun ist die Namensgleichheit zweier Könige allein noch kein Argument für ihre Identität. Auch aus der neuzeitlichen Geschichte kennen wir ja zum Beispiel mehrere Könige, die Wilhelm hießen und zur gleichen Zeit in Preußen und Württemberg regierten.

Auch Koregentschaften sind nicht unmöglich, wenngleich Bauer­sachs meint, dass „mangelhaftes Wissen um zurückliegende Regierungszeiten … wohl auch bei einem judäischen Joram dazu“ führt, „dass er bereits zu Lebzeiten seines Vaters regiert haben soll“.

Seine Erwähnung der „Heirat Jorams (Juda) mit der israelischen Königstochter Atalja“, die er „als einen holprigen Erklärungsversuch für den doppelten Joram“ ansieht, verweist übrigens auf weitere verwirrende Darstellungen des biblischen Textes, denn nach 2. Könige 8,18 hat Joram-von-Israel „eine Tochter Ahabs zur Frau“, deren Name nicht genannt wird, während von Ahasja, dem Sohn dieses Joram-von-Israel, in 8,26 gesagt wird, dass seine Mutter Atalja heißt, aber eine Tochter von Omri und nicht von Ahab war.

Bauersachs erkennt in all dem auch eine

vordergründige Absicht, die beiden Königshäuser Juda und Israel (Rehabeam – Jerobeam) nach der angeblichen Trennung wieder freundschaftlich zu verbinden. Hintergrund und eigentliche Absicht war aus theologischer Sicht, Atalja mit allen schlechten Eigenschaften der aus judäischer Sicht gottlosen Bevölkerung Israels auszustatten und sie als Verführerin hinzustellen. Die biblische Geschichte der Atalja ähnelt verblüffend der Erzählung um Isebel, einer Prinzessin aus der Stadt Sidon, die den israelischen König Ahab geheiratet haben soll. Sie sei Mutter des Ahasja und eben des „doppelten“ israelischen Joram gewesen: Auch Isebel steht für Hinterlist und Gottlosigkeit und ihre Leiche wird, wie vom Propheten Elia prophezeit, von Hunden gefressen…

Hinzu kommt eine weitere Namensdoppelung:

Der israelische Joram hatte einen Bruder Ahasja, der vor ihm starb. Danach wurde Joram israelischer König, parallel dazu regierte in Jerusalem ein judäischer König Ahasja {2. Könige 8,25}:

25 Im zwölften Jahr Jorams, des Sohnes Ahabs, des Königs von Israel, wurde Ahasja König, der Sohn Jorams, des Königs von Juda.

Klar ist jedenfalls: In den Erinnerungen an die Königsgeschichte Judas und Israels zwischen den Königen Joschafat und Joasch im Südreich einerseits und Ahab und Jehu im Nordreich andererseits herrscht einige Verwirrung. Ob es in Wirklichkeit nur je einen Joram und Ahasja in je einem der beiden Reiche gab? Möglich ist allerdings, dass in dieser Zeit die beiden Königshäuser tatsächlich miteinander verschwägert waren. Das könnte erstens erklären, warum es im Nachhinein schwierig war, die Namen richtig zuzuordnen; zweitens mag auch auf solche Verbindungen die spätere Vorstellung von der Zusammengehörigkeit beider Staaten schon zur Zeit Davids und Salomos zurückgehen. Immerhin war durch die Heirat eines Südreichskönigs Joram mit einer Nordreichsprinzessin Atalja, wie Finkelstein und Silberman <162> annehmen,

das Haus Davids in Jerusalem direkt mit dem israelitischen Königshaus von Samaria verbunden (und wurde offenbar von ihm beherrscht). Ja, wir können sagen, daß der Norden sich durch Heirat Juda einverleibt hat. Im 9. Jahrhundert v. Chr., also fast hundert Jahre nach der mutmaßlichen Regierungszeit Davids, läßt sich endlich die Existenz eines großen vereinigten Königreichs Israel historisch belegen, das sich von Dan im Norden nach Beerscheba im Süden erstreckte und größere Territorien in Syrien und im Ostjordanland eroberte. Doch dieses vereinigte Königreich – ein wirklich geeintes Reich – wurde von den Omriden und nicht von den Davididen regiert, und seine Hauptstadt war Samaria, nicht Jerusalem.

6.4.5 Alternative Königslisten für Israel und Juda

Bauersachs versucht nun (S. 353), die Abfolge der Könige Israels und Judas historisch komplett neu zu rekonstruieren. „Schwierigkeiten…, die Alttestamentler und Historiker mit den Daten biblischer Könige haben“, führt er (S. 354) auf „die Versuche“ zurück,

mit den sogenannte Geschichtsbüchern des Alten Testaments (Josua, Richter, Könige, Chronik und auch Samuel) und den darin enthaltenen Jahresangaben für Regierungszeiten reale Geschichte zu schreiben. Ich habe eingangs darauf hingewiesen, dass eine korrekte Geschichtsschreibung nie Ziel des Alten Testaments gewesen ist. Wann immer Querverbindungen mit Ägypten, Assyrien oder Babylon in die biblischen Erzählungen eingebunden werden, heißt das keineswegs, dass wir darauf historisch aufbauen können, um eine verlässliche Chronologie Judas und Israels zu erstellen.

Damit steht er in diametralem Gegensatz etwa zu einem Forscher wie Finkelstein, <163> der annimmt, dass die biblischen Autoren „des späten 7. Jahrhunderts … Zugang zu einem detaillierten Verzeichnis der israelitischen und judäischen Könige gehabt haben“ müssen: „Da die Informationen sehr präzise sind, muss es sich um eine schriftliche Quelle gehandelt haben.“ Damit bezieht er sich aber nur auf die „Königslisten“ selbst, nicht auf die damit verbundene „Aufzeichnung historischer Ereignisse“:

Die Tatsache, dass die Hebräische Bibel zur Reihenfolge und Regierungsdauer der Könige im Norden so präzise Angaben macht, bedeutet daher nicht, dass die Ereignisse, die aus ihrer Zeit berichtet werden, für bare Münze zu nehmen sind. Jede einzelne dieser Geschichten muss im Licht der archäologischen Befunde und der Textexegese untersucht werden, umso mehr angesichts der starken ideologischen Prägung der judäischen Verfasser und ihrer Tendenz, Israel und seine Könige zu delegitimieren.

Bauersachs hingegen stellt (S. 356) eine eigene „Königsliste“ auf, ganz „ohne die Pseudo-Geschichte der biblischen ‚Geschichtsbücher‘ zu berücksichtigen.“ Das heißt, nur „Herrscher, für die es außerbiblische (z.B. assyrische) Belege und Kontakte gibt“, akzeptiert er „als ‚real‘ mit dem zugehörigen Umfeld“, alle anderen zweifelt er als unhistorisch an.

Der „erste gleichzeitig historisch und biblisch belegte König“ ist in seinen Augen Omri von Israel, der auf der Mescha-Stele erwähnt wird und „um 880 v. Chr. Moab überfällt“. Nach 1. Könige 16,15-23 ist er ein Heerführer, der nach der Ermordung des Königs Ela durch Simri und vier Jahre andauernden Auseinandersetzungen mit dem Rivalen Tibni eine mehrere Generationen umfassende Königsdynastie begründet. Auch sein Sohn Ahab ist außerbiblisch belegt; so wird er

in assyrischen Quellen erwähnt und war 853 v. Chr. mit einem starken Truppenkontingent an der Schlacht von Qarqar mit Aram-Damaskus gegen Assyriens König Salmanassar III. beteiligt. Eine solch beeindruckende militärische Stärke Israels kann nicht ohne eine funktionierende Verwaltung und ausreichende finanzielle Ausstattung in kurzer Zeit erreicht werden. Omri muss also einige Vorgänger gehabt haben, die das Fundament für ein überregionales Reich gelegt haben. Das Nordreich Israel war in der Lage, Nachbarn militärisch zu unterdrücken sowie Tribut einzufordern; allein durch Steuereinnahmen im eigenen Land ließ sich damals kein stehendes Heer finanzieren.

Allerdings hält Bauersachs es für „eher unwahrscheinlich“, dass „die Vorgänger Omris unter ihren biblischen Namen“, nämlich Jerobeam I., Nadab, Bascha, Ela und Simri, „tatsächlich historische Personen waren“. Allerdings wird durch eine Stele des Pharao Merenptah (1213-1204 v. Chr.) belegt, dass es Israel bereits zu seiner Zeit gegeben haben muss, denn er berichtet „von seinem Sieg über ein Volk oder einem Stamm Israel“. Als Ägypten nach „dem Tod seines Nachfolgers Ramses III. (um 1156 v. Chr.)“ seinen „Einfluss auf Palästina und das besiegte Israel“ verlor, konnte innerhalb der rund 300 Jahre zwischen 1200-900 v. Chr. „aus dem besiegten Israel schließlich unter Omri eines der mächtigsten Reiche der Region“ hervorgehen.

In diesem Zusammenhang betont Bauersachs zum wiederholten Male, dass es vor „Omris Attacke auf Transjordanien“ keinerlei „Berührungspunkte zwischen einem historischen Israel und den biblischen Nachfahren Abrahams“ gegeben hat, wobei ich mich erneut frage, woher er das so genau wissen will. Er geht einfach davon aus: Da eine gewaltsame Eroberung des Westjordanlandes auszuschließen ist, hat auch keine friedliche Einwanderung von Exodus-Leuten stattgefunden, und zu keinem Zeitpunkt innerhalb von 300 Jahren können Nachkommen Abrahams in Kontakt mit Einwohnern Israels gekommen sein.

Auf der anderen Seite sortiert Bauersachs im Südreich „die fiktiven Könige Judas radikal“ aus. Die (S. 356) „biblischen Könige von David über Salomo, Rehabeam, Abija und Asa“ streicht er vollständig, ebenso den „judäischen Joram, der vor dem biblischen Joas eingefügt ist“, den er „für eine Dublette des Nordreich-Joram“ hält, und auch „die reale Existenz eines judäischen Ahasja und der Atalja“ zweifelt er an.

Seltsam widersprüchlich argumentiert Bauersachs (S. 357) im Blick auf die Könige „Joas und Joahas“, die „gleichermaßen in Juda und Israel regiert haben sollen“. Einerseits sieht er (S. 356) in Joas (840-801) den ersten „realen judäischen König“, der (S. 355) nach seiner Königsliste ein „Bündnis mit Joahas {von Israel (818-802)} gegen Hasaël {von Aram-Damaskus} zur Rückgewinnung transjordanischer Gebiete“ eingeht, und auch König Joas von Israel (802-787) ist für ihn als Nachfolger von Joahas ein realer König, der „Tribut an Adad-Nirari III.“ leisten muss. Andererseits hält er (S. 357) das Auftauchen dieser gleichen Königsnamen in beiden Staaten für „so verwirrend wie unwahrscheinlich“. <164> Das würde bedeuten, dass er eigentlich mindestens einen von ihnen für ebenso unhistorisch betrachten müsste wie einen der beiden Könige Joram oder Ahasja.

Tatsächlich aber tut er das jedoch nicht; stattdessen streicht er vor „diesem Hintergrund … den biblischen Joschafat (868-847), den Nachfolger des Asa (angeblich 908-868), ebenfalls aus der Liste“. Und „die entstandene Lücke vor Joas (836-798 v. Chr.)“ füllt er sodann mit dem von ihm angenommenen real-historischen „um 900 v. Chr. geborenen David“!

6.4.6 War David mit Joschafat von Juda identisch?

Indem Bauersachs David mit Joschafat gleichsetzt, bekommt er (S. 356) einen neuen Platz ebenfalls ganz oben auf der judäischen Königsliste, aber rund 100 Jahre später“. Er hatte ja die Tel-Dan Stele als „einen überzeugenden außerbiblischen Beleg“ für „einen realen Herrscher David mit dem Sitz in Jerusalem“ angesehen, der nach seinen Überlegungen „um 900 v. Chr. geboren und … nach etwa 10 Jahren Freischärlerzeit um 870 v. Chr. im (biblisch erwähnten) Alter von 30 Jahren ‚König‘ von Jerusalem geworden sein“ könnte. Die Identifikation von David mit Joschafat liegt für Bauersachs (S. 357)

nahe aus mehreren Gründen: Das Alte Testament beurteilt Joschafat sehr positiv, er tat „was dem HERRN wohlgefiel“, vernichtet heidnische Heiligtümer und hätte – glaubt man dem Alten Testament – 30 Jahre von 870-840 regiert. Dieser Joschafat ist zudem auch der erste judäische Herrscher mit JAHWE im Namen: Ausgeschrieben heißt er Jeho-scha-fat (etwa: JAHWE hat gerichtet).

Zählt man Davids 10 Jahre Sturm- und Drangzeit als Gesetzloser von 880-870 dazu, kommt man doch auf die biblischen 40 Jahre Gesamtzeit von 880 bis 840. Dieser Rahmen passt auch zeitlich gut zur Inschrift auf der Tel-Dan-Stele.

Nicht ganz stimmt allerdings seine Darstellung der Regierungszeit Joschafats nach dem Alten Testament; nach 1. Könige 22,45 sitzt er nur 25 Jahre auf dem Thron, und in den Wirren um den Putsch Jehus und die Ermordung der Könige Joram und Ahasja (von denen unklar bleibt, zu welchem Königreich beide nun wirklich gehören und ob es wirklich je zwei von ihnen gab) kommt nach 2. Könige 11,1-3 Atalja, die Mutter des ermordeten Ahasja, für sechs Jahre an die Macht. Selbst wenn er das für unhistorisch hält, sollte er das nicht einfach verschweigen.

Kein Wort verliert Bauersachs auch darüber, dass König Ahab als Sohn Omris nach 1. Könige 22,2-38 gemeinsam mit Joschafat einen Krieg gegen die Aramäer geführt haben soll, bei dem Ahab ums Leben kommt; ein solches Bündnis wäre ein David, den Bauersachs als Todfeind Omris einschätzt, wohl kaum eingegangen.

6.4.7 Salomo als idealisierter unhistorischer König

In König Salomo sieht Bauersachs (S. 357) „wie auch alle kritischen Alttestamentler … eine idealisierte Figur der Niederschrift“:

Die zahlreichen Details, mit denen Salomo ausgestattet wird, lassen vermuten, dass die Redaktoren der Niederschrift ein historisches Vorbild vor Augen hatten und dieses nach Gutdünken ausschmücken:

Salomo soll 40 Jahre regiert haben; nehme ich diese Angabe wörtlich, könnte Israels letzter großer König Jerobeam II. ein Vorbild gewesen sein: Beide erobern große Gebiete, beide sichern dem Land großen Wohlstand und bei beiden zerfällt nach dem Tod das Reich. Luxus und Reichtum dieser Glanzzeit Israels finden Bestätigung durch die Archäologie, die biblischen Propheten Amos und Hosea kritisieren den religiösen und sittlichen Verfall des Reiches Israel.

Nach Finkelstein und Silberman in ihrem Buch über „David und Salomo“ <165> ist eine Rückprojektion der Verhältnisse zur Zeit des judäischen Königs Manasse auf Salomo allerdings wahrscheinlicher, die Bauersachs ebenfalls in Erwägung zieht:

Ein weiteres Vorbild für Salomo wäre Manasse mit der längsten Regierungszeit aller judäischen Könige: Unter ihm erholt sich Juda nach der Zerstörung des Nordreichs wieder. Er muss zwar als assyrischer Vasall Tribut leisten, braucht also Einnahmequellen und besiedelt den Süden Judas um Beerscheba, befestigt Siedlungen und treibt mit Billigung der Assyrer Weihrauchhandel; dabei hilft ihm eine straff organisierte zentrale Verwaltung. Die internationalen Beziehungen führen beim historischen Manasse ebenso wie beim biblischen Salomo zu Kontakten mit fremden Göttern: Beiden wird deshalb vom Alten Testament Götzendienst und Aberglaube vorgeworfen.

6.4.8 Gab es ein Mini-Reich König Sauls zur Zeit Omris?

König Saul (S. 357), der in der Bibel untrennbar mit der „Biographie Davids … verknüpft ist“, fehlt ebenso wie Salomo in den von Bauersachs rekonstruierten Königslisten, denn es „gibt keine einzige außerbiblische Quelle für einen israelischen oder judäischen König Saul“. Trotzdem, so meint Bauersachs, könnte Saul „als Stadtfürst ein überschaubares Gebiet nördlich von Jerusalem beherrscht haben“. Schon deswegen, weil (S. 358) die „biblischen Erzählungen … die zunehmende Spannung zwischen Saul und David“ sehr lebhaft schildern, ist er „tatsächlich versucht…, in Saul eine historische Person zu erkennen“.

Seine Eingrenzung von Sauls Alter basiert allerdings auf zweifelhaftem Grund, wenn er meint: „Der biblische David heiratete Sauls Tochter Michal, muss also etwa 25 Jahre jünger als Saul gewesen sein.“ Da zu biblischen Zeiten ein Mädchen bereits mit Beginn der Pubertät heiratsfähig war, ist das keine zwingende Schlussfolgerung. Seine Annahme, Saul müsse „spätestens um 925 v. Chr. geboren“ sein, ist daher eine bloße Vermutung.

Ebenso sind seine Annahmen im Zusammenhang mit Sauls Tod in meinen Augen nicht überzeugend:

Saul stirbt im Kampf gegen die Philister am Gilboa-Gebirge, so die Bibel. Dass Saul im hohen Alter und vor allem in dieser gesundheitlichen Verfassung noch in den Krieg gegen die Philister gezogen sein soll, kann ich nicht glauben. Abgesehen davon liegt das Gilboa-Gebirge weitab vom Einflussgebiet der Philister mitten in Israel; es müsste also geklärt werden, wer da wirklich gegen wen kämpfte. Kein israelischer König hätte es sich gefallen lassen, dass der südliche Mininachbar Saul seine Meinungsverschiedenheiten auf israelischem Boden austrägt. Bei allen Vorbehalten könnte ein historischer Saul um 870 v. Chr. im Alter von etwa 55 Jahren gestorben sein.

Dagegen ist eine ganze Reihe von Einwänden zu erheben:

  1. Dass Saul ein hohes Alter erreicht hat, wird nirgends bestätigt. Zu seinem Alter beim Regierungsantritt macht die Bibel nur die kryptische Angabe BäN-ŠaNaH = „Sohn eines Jahres“ in 1. Samuel 13,1 (die Angabe der Zahl ist ausgefallen), und nach derselben Stelle soll er „zwei Jahre“ regiert haben. Viele Exegeten vermuten, dass auch hier eine Zahl entfallen ist und dass Saul etwa 22 Jahre regiert haben könnte. Dann könnte er bei seinem Tod um die 50 Jahre alt gewesen sein.
  2. Zwar treffen die Erwägungen von Bauersachs zu, dass ein auswärtiger Mini-König Saul keinen Krieg auf dem Boden eines Nachbarkönigreichs Israel hätte führen können. Falls aber der Krieg im Gilboa-Gebirge tatsächlich auf eine historische Erinnerung zurückgeht und Saul beteiligt war, kann das auch gegen die Grundannahme von Bauersachs sprechen, dass Saul nur ein Mini-Reich südlich von Israel regiert hat
  3. Über die Frage, wer im Gilboa-Gebirge gegen wen kämpfte, hat Israel Finkelstein ja den Vorschlag gemacht, dass Saul ein Vorgängerreich Israels in etwas anderem Umfang regiert haben könnte, dem Pharao Scheschonk I. mit seinem in Karnak dokumentierten Feldzug ein Ende setzte. <166>

Aber noch ist Bauersachs ja nicht fertig mit seiner Argumentation. Er will „einen historisch plausiblen Zusammenhang herstellen zwischen dem nebulösen biblischen Saul und dem um 900 v. Chr. geborenen historischen David“. Zu diesem Zweck geht er davon aus (359), „dass die Region nördlich von Jerusalem seit langem besiedelt war, intensiv landwirtschaftlich genutzt wurde“. Dieses „fruchtbare Gebiet mit der Kultstätte Silo und den Orten Mizpa und Gibeon“ ist nach dem Alten Testament „das Kernland König Sauls“ <167>, während das „historische Reich Israel, über das Omri und seine Nachfolger regierten, … weiter im Norden außerhalb des Einflussgebiets Sauls“ lag und „David und seine Leidensgenossen“ nach der Flucht aus Moab im „vergleichsweise kargen judäischen Bergland südlich von Jerusalem … eine neue Heimat fanden“, an dem „Saul kein Interesse“ hatte.

Wie aber konnte König Saul <168> auf seinem „relativ kleinen Territorium mit einer Fläche von nicht mehr als 160 Quadratkilometern“, auf dem es nach Finkelstein und Silberman „fast fünfzig Siedlungen, darunter so bedeutende Ortschaften wie Chirbet Selun (die israelitische Kultstätte Silo), el-Dschib (das biblische Gibeon) und Tell en-Nazbe (das biblische Mizpa)“, gab, für „längere Zeit … gegen den mächtigen Nachbarn Israel seine Selbständigkeit“ bewahren?

Um das zu begründen, erinnert Bauersachs (S. 360) an den „Feldzug des ägyptischen Pharao Scheschonk I. …, der um 925 v. Chr. die ägyptische Vorherrschaft in Palästina wiederherstellen wollte“ und „zahlreiche Ortschaften nördlich von Jerusalem genau in dem Gebiet <169>, über das Saul geherrscht haben soll“, eroberte.

Nun stützt sich Bauersachs zwar auf einige Angaben in dem Buch von Finkelstein und Silberman über David und Salomo, in dem sie Sauls Gebiete nördlich von Jerusalem beschreiben und auch auf Scheschonks Feldzug Bezug nehmen, aber er verschweigt, dass diese das „Einflussgebiets Sauls“ nicht als genau so eng begrenzt einschätzen wie er selbst, und erst recht, dass in ihren Augen Saul tatsächlich Zeitgenosse Scheschonks ist und von diesem in der Schlacht bei Gilboa um Macht und Leben gebracht wird. Saul chronologisch anders einzuordnen, ist ja sein gutes Recht, aber das Werk von Finkelstein und Silberman dermaßen verkürzend zu zitieren, finde ich nicht ganz redlich.

Demzufolge fehlt in seiner Darstellung auch die für mich nachvollziehbare Argumentation der beiden Autoren für ein Stammesfürstentum von Saul,

  1. das sich erstens auch auf Gebiete im nördlichen Ostjordanland erstreckt hat und damit eins der Gemeinwesen gewesen sein könnte, das dem zunächst von Tirza und später von Samaria aus regierten Nordreich Israel auf Teilen von dessen Gebiet vorausging,
  2. das zweitens wegen seiner Expansionsbestrebungen aus dem Bergland in die Jesreel-Ebene eine Gefahr für ägyptische Interessen darstellte, so dass Scheschonk I. sich gezwungen sah, persönlich einzugreifen und seinem Reich ein Ende zu setzen,
  3. und dessen Konflikt mit den Ägyptern drittens in den Jahrhunderten, als man nicht mehr sie, sondern nur noch die Philister als ständige Herausforderung vor Augen hatte, in Vergessenheit geriet und stattdessen mit den Philistern in Verbindung gebracht wurde.

Bauersachs erwähnt allerdings, dass wahrscheinlich „die Philister mit den Ägyptern gemeinsame Sache gemacht“ haben und „so ihre eigene Nordgrenze sichern“ konnten. Weil in der Bibel stets „die Philister die Feinde Sauls“ sind und nicht die Ägypter, sind für ihn „die Kampfplätze unplausibel“, wo sich die Philister angeblich im Gilboa-Gebirge versammelt haben sollen, andererseits weiß er aber, dass „Beth-Schean… in der ausgehenden Bronzezeit (ca. 1200 v. Chr.) eine der wichtigsten ägyptischen Festungen im nördlichen Palästina“ war und Scheschonk „die wichtigsten Orte dieser Region“ erobert, nämlich „Megiddo, Taanach, Rehov und Beth-Schean“. <170>

Da seines Erachtens „Saul selbst an diesen Kämpfen nicht teilgenommen haben“ kann („er war noch ein Kind“), stellt er sich vor, dass man „bei der Niederschrift Begebenheiten aus der Zeit der Aramäerkriege (um 800 v. Chr.), die noch frisch in Erinnerung waren, in die Vergangenheit rückprojiziert“ hat. Das widerspricht aber der Beobachtung Finkelsteins und Silbermans, dass gerade die Details des Scheschonk-Feldzugs besonders gut zum biblisch verbürgten Herrschaftsgebiet Sauls passen.

In einer Hinsicht stellt Bauersachs die Argumentation von Finkelstein und Silberman geradezu auf den Kopf. Sie haben ja archäologisch nachweisbare „Zerstörungsschichten“ und verlassene „Ortschaften“, die „nicht wieder aufgebaut“ wurden, mit dem Ende des saulidischen Fürstentums in Verbindung gebracht. Das sieht Bauersachs genau andersherum:

Es hat wohl zehn oder mehr Jahre gedauert, bis aus dem zerstörten und entvölkerten zentralen Bergland nördlich von Jerusalem wieder ein organisiertes Gemeinwesen hervorging. Hier liegen möglicherweise die Wurzeln des Minireiches Sauls, der um 900 v. Chr. im Alter von rund 25 Jahren dem desolaten Bergland neuen Auftrieb gegeben haben könnte.

Wie gesagt: Mich stört, dass er Aussagen Finkelsteins und Silbermans, die nicht in sein Konzept passen, so wenig ernst nimmt, dass er sie nicht einmal benennt und infolgedessen natürlich auch keinen Versuch unternimmt, sie mit Gegenargumenten zu widerlegen. Auf diese Weise steht einfach Behauptung gegen Behauptung, wobei ich finde, dass Finkelstein und Silberman die überzeugenderen Argumente auf ihrer Seite haben.

Für das Nordreich nimmt Bauersachs an, dass „die Entwicklung wegen der größeren verbliebenen Bevölkerung und der besseren wirtschaftlichen Situation wesentlich schneller“ verlief: „Hier erneuerte um 900 Omri oder sein Vater die jahrhundertealte israelische Dynastie.“

Auch in diesem Fall sieht er die Dinge zu einfach. Nach Finkelsteins Buch „Das vergessene Königreich“ <171> gab es nicht einmal über mehrere Jahrhunderte ein einziges einheitliches Königreich, geschweige denn eine altehrwürdige omridische Dynastie. Vielmehr folgte auf einen evtl. anzunehmenden lockeren Stämmeverband mit einem Kultzentrum in Silo zunächst ein Stammesfürstentum Sauls, das nach Scheschonks Feldzug durch ein von Tirza aus regiertes, aber bei weitem noch nicht so straff wie unter Omri verwaltetes und kontrolliertes Nordreich Israel abgelöst wurde. Dass Omri erst durch einen Putsch an die Macht kam und derjenige war, der Israel in ein wahrhaft mächtiges Königreich verwandelte und die nach ihm benannte Dynastie gründete, legt Finkelstein sehr überzeugend dar.

Warum (S. 361) „Omri seinen südlichen Nachbarn nicht direkt angriff“, begründet Bauersachs nur damit, dass er „größere Pläne“ hatte, nämlich Moab anzugreifen. Das ist aber nicht plausibel. Wenn nach Finkelstein <172> zum Nordreich Israel unter Omri im Südosten Jericho als notwendiger Stützpunkt für die Ausübung der Herrschaft im Moab gehörte und im Südwesten Geser als „das logistische Zentrum der Israeliten für die beiden Belagerungen des nahegelegenen Gibbeton“, dann kann ich mir nicht vorstellen, dass Omri die fruchtbare Gegend, die zwischen diesen Städten mittendrin im Bergland liegt, unangetastet gelassen haben könnte. Zudem erwähnt die Bibel zur Zeit Omris keinerlei dritte Macht in dem Gebiet zwischen Israel und Juda. All das legt nahe, dass es zur Zeit der Omriden keinen König Saul mehr im Bergland von Gibeon gab, und sei sein Reich auch noch so klein gewesen.

Hinzu kommt, dass dieses „fruchtbare zentrale Bergland, in dem Saul regiert“, für den von Bauersachs vorausgesetzten historischen David ein lohnendes Ziel ist. Warum dann nicht erst recht für den machthungrigen und bereits mächtigen Omri?

Für David nimmt Bauersachs an, dass seine „Räuberbande“ gegen Sauls Soldaten „anfangs militärisch hoffnungslos unterlegen“ ist. Deswegen „versucht er sein Ziel zunächst auf dem für ihn angenehmsten Weg zu erreichen: Er wirft ein Auge auf Sauls jüngste Tochter Michal und heiratet sie trotz Sauls Widerstand.“ Nachdem Saul „Davids unlautere Absichten“ erkennt und die Heirat nicht verhindern kann, bleibt ihm nichts anderes übrig, „als David nachzustellen und bei jeder Gelegenheit zu versuchen, ihn zu töten.“ Das führt wiederum dazu, dass sich David „mit Sauls Intimfeinden, den Philistern“ verbündet und mit ihrer Hilfe schließlich Sauls Platz einnehmen kann. Dabei verzichtet Bauersachs darauf zu klären, wie „Saul wirklich zu Tode gekommen ist“ (S. 361f.):

Mit dem Tod oder der Ermordung Sauls hatte David sein Nahziel erreicht: Er verlegte um 870 v. Chr. seinen Regierungssitz von Hebron nach Jerusalem…

Die Verlegung des Regierungssitzes vom abgelegenen Hebron ins zentrale gelegene Jerusalem ist naheliegend. Er herrscht jetzt als König von Juda über das gesamte judäische Bergland sowie Sauls Reich und wird um 870 v. Chr. der unmittelbare südliche Nachbar des Nordreiches Israel unter Omri.

Leider bleibt dieses Szenario nichts weiter als eine schlecht belegte Vermutung. Es wird nicht wahrscheinlicher dadurch, dass Bauersachs seine Annahme wiederholt, dass Davids größtes Ziel letztlich darin bestand (S. 362), „Vergeltung am Haus Omri zu üben für die Vertreibung aus Moab“.

6.4.9 Ein Schicksalsjahr für Israel, Moab und Juda: 841 v. Chr.

Stimmen die Annahmen von Bauersachs,

  1. dass David mit dem biblischen König Joschafat identisch
  2. und als solcher überhaupt erst der erste König von Juda ist,
  3. der seit dem Jahr 870 v. Chr. in Jerusalem regiert,
  4. und zwar bis zum Machtantritt seines Sohnes Joas im Jahr 840 v. Chr.,

dann müsste David Zeitgenosse sämtlicher Angehöriger der Omriden-Dynastie von Omri bis Joram gewesen sein. Die meiste Zeit über hätte er parallel zu Ahab regiert, jedenfalls wenn man der biblischen Chronologie folgt (S. 354), der zufolge Ahab nach der Bauersachs‘schen Königsliste von 871 bis 852 regiert haben soll. Ohne zu erklären, warum er (S. 363) um ganze zwei Jahrzehnte von der biblisch überlieferten Datierung abweicht, geht er allerdings später von einer nur sehr kurzen Regierungszeit Ahabs gegenüber seinem Vater Omri aus:

Im Nordreich wurde um 850 v. Chr. Ahab der Nachfolger des von David bestgehassten Omri. Ahab konnte sich in der Schlacht von Qarqar 853 gegen die Assyrer noch auf starke eigene Truppen und eine mächtige Koalition verlassen, unter seinem Sohn Joram (852-841) zeigte das historische Israel erste Schwächen.

Noch später erwähnt allerdings Bauersachs beiläufig (S. 373), dass der 30-jährige Jehu im Jahr 850 „den Regierungswechsel von Ahab über Ahasja zu Joram erlebte“; dadurch wird die Verwirrung über Ahabs Regierungszeit komplett: Hat er nun 850 zu regieren begonnen oder aufgehört?

Bauersachs stellt sich nun für Davids Regierungstätigkeit vor (S. 362), dass er wegen seines Rachedurstes

zweifellos die politische Entwicklung in Israel und die israelische Außenpolitik sehr aufmerksam verfolgt, vor allem die wachsende Opposition der Jahwegläubigen gegen die hemmungslose Oberschicht im Nordreich kann ihm nicht verborgen geblieben sein.

Dass David ständig Kämpfe mit den Philistern siegreich ausgefochten haben soll, hält Bauersachs für unwahrscheinlich; vielmehr nimmt er an, dass er mit ihnen verbündet blieb, wovon beide im Gegenüber „zum bedrohlichen Nordreich“ profitierten.

Im „Blick auf die Rückeroberung Moabs durch Mescha um 841“ spekuliert er sogar,

ob David mit seiner Truppe den moabitischen König Mescha bei dieser Aktion unterstützt hat. Er könnte den Jordan überschritten haben und den israelischen Truppen in den Rücken gefallen sein.

In der „Vertreibung der israelischen Truppen aus Moab“ sieht Bauersachs offenbar das entscheidende Ereignis, das „die innenpolitische Spannung“ in Israel bis zu einem Ausmaß verstärkte, der „früher oder später in offenem Aufruhr enden“ musste, denn der Staatsgott „JAHWE“ hatte sich ja „offensichtlich von Israel abgewendet“.

Das Jahr 841 v. Chr. ist nun für Bauersachs überhaupt das entscheidende Jahr, um die Bedeutung des historischen David, wie er ihn einschätzt, zu würdigen. Dazu ist es notwendig, sehr weit auszuholen.

6.4.9.1 Aufkündigung des Bündnisses zwischen Israel und Aram nach der Ermordung des aramäischen Königs durch Hasaël

Bis zum Jahr 841 hatte (S. 364) zu

Beginn seiner Regierungszeit … Israels König Joram (etwa von 852-841 v. Chr.) noch die Bündnispolitik seines Vaters Ahab mit Ben-Hadad II. {identisch mit Bar-Hadad II. sowie Hadad-Eser; hebräisch für Adad-Idri} von Damaskus fortgesetzt. Bei mehreren Feldzügen Salmanassars III. nach Palästina (849, 848 und 845 v. Chr.) musste sich der Assyrer noch mit einer mächtigen Koalition unter israelischer Beteiligung auseinandersetzen und zog nach schmerzvollen Unentschieden wieder nach Hause. Eine Beteiligung des Minireiches Juda an der Seite Israels wird nicht erwähnt und ist kaum wahrscheinlich.

Dann wird allerdings „zum Jahresende 842 oder im Frühjahr 841“ der aramäische König Ben-Hadad II. in Damaskus durch Hasaël ermordet, und Joram bricht

die diplomatischen Beziehungen zu Aram-Damaskus ab. Ich halte diese Reaktion für einen klaren Hinweis auf einen Königsmord durch Hasaël, der die ehemaligen Verbündeten Ben-Hadads II. mit seiner Tat vor den Kopf gestoßen hat. Israel und die vormaligen Koalitionäre sahen keine Veranlassung mehr, den machthungrigen Hasaël gegen assyrische Überfälle zu unterstützen, zu groß war die Angst, selbst ins Visier Hasaëls zu geraten. Wie befürchtet, folgt unmittelbar danach ein geballter assyrischer Angriff auf Aram-Damaskus und Israel.

Der assyrische König Salmanassar III. nennt den neuen König Hasaël auf einer Inschrift <173> treffend „Sohn eines Niemands“, die übliche Bezeichnung für einen Emporkömmling oder Königsmörder. Wenn sich Hasaël trotzdem „Sohn des Ben-Hadad II.“ nennt, bezieht sich das auf die Thronnachfolge und nicht auf die leibliche Herkunft.

Es gelingt allerdings (S. 365) Salmanassar III. bei seinem Angriff trotzdem nicht, das ihm inzwischen isoliert gegenüber stehende Aram zu besiegen; er verwüstet lediglich „frustriert die Umgebung von Damaskus“ und fordert „von den Nachbarstaaten Israel, Sidon und Tyros Tribut“ ein, wobei „Juda … wieder einmal nicht genannt“ wird. <174>

6.4.9.2 Beendigung der Besatzung Israels in Moab durch König Mescha

Da in diesem Zusammenhang (S. 363) der „historische Joram … um 841 v. Chr. sein Hauptaugenmerk nach Osten auf Damaskus und die Assyrer richten“ musste,

vernachlässigte {er} verständlicherweise die besetzten Gebiete in Moab. Er war gezwungen, israelische Besatzungstruppen aus Moab abzuziehen und in den gefährdeten Norden zu verlegen. Der moabitische König Mescha nutzte diese Gelegenheit und vertrieb die geschwächten Besatzer.

Ein von der Bibel geschildertes „Dreierbündnis dieses Joram von Israel mit einem Joschafat von Juda und dem namenlosen König von Edom gegen den angeblichen gemeinsamen Feind Moab (2. Kön 1,1; 3,4f)“ hält Bauersachs schon deswegen für unhistorisch, da ein „Königreich Edom … erst im 8. Jhd.“ belegt „und Davids Minireich Juda … gerade einige Jahrzehnte alt“ ist. Außerdem hätte David seines Erachtens

nie seine Wurzeln in Transjordanien vergessen und wäre keinesfalls gewillt gewesen, gemeinsam mit dem verhassten Israel gegen die angestammte Heimat in Transjordanien-Moab Krieg zu führen.

6.4.9.3 Kriegsgegner Jorams und Jehus in Ramot-Gilead: Hasaël von Aram oder Salmanassar III. von Assyrien?

Was geschah aber (S. 365) im „bewegten Jahr 841“ auf dem nördlichen Kriegsschauplatz? Hier soll nach 2. Könige 8,28-29

Seite an Seite … der judäische König Ahasja mit dem israelischen König Joram bei Ramoth-Gilead gegen Hasaël gekämpft haben: Joram wurde dabei verletzt und musste zuhause in Jesreel gesundgepflegt werden. Hier besucht ihn sein judäischer Verbündeter Ahasja am Krankenbett.

Im folgenden Kapitel 2. Könige 9 wird ausführlich geschildert, wie der Oberbefehlshaber Jehu die „Abwesenheit des Königs“ im Heerlage zu Ramot-Gilead nutzt, um sich (9,6) von einem Prophetenschüler Elisas zum König salben bzw. (9,13) sich von Israels Soldaten zum König ausrufen zu lassen, und wie er anschließend (9,22-27) sowohl König Joram von Israel und seine Mutter Isebel als auch König Ahasja von Juda tötet. Weiter geht das Blutbad in 2. Könige 10 (S. 366), indem Jehu die Ermordung aller Nachkommen Ahabs anordnet und auf hinterlistige Weise „sämtliche Propheten und Priester des Gottes Baal töten“ lässt.

Was trifft davon aber nun nach Bauersachs historisch zu?

Dass „Jehu ein hochrangiger Offizier gewesen sein“ muss, nimmt er als historisch an, weil sich anders „Ereignisse des Krisenjahres 841 nicht befriedigend erklären“ lassen. Allerdings wird die „Tributzahlung an Salmanassar III. durch Jehu“, die durch den Schwarzen Obelisken „historisch gesichert“ ist, „im Alten Testament nicht erwähnt“. Das heißt, Bauersachs muss die biblische Angabe, dass nach 2. Könige 8,28ff. bei Ramot-Gilead König „Joram gegen Hasaël“ angetreten ist, als „nur scheinbar historisch“ anzweifeln. In Wirklichkeit, so meint er, ist es hier um einen Angriff der Assyrer gegangen:

Im Glauben, mit einem isolierten Damaskus und einem isolierten Israel leichtes Spiel zu haben, nutzte Salmanassar III. den blutigen Regierungswechsel in Damaskus, um mit seinem Angriff die alten Machtverhältnisse in Palästina wiederherstellen, doch es kam anders: Nach vergeblicher Belagerung der Hauptstadt Damaskus zerstörte Salmanassar III. verdrossen die umliegenden Pflanzungen und musste nach kleineren Raubzügen erfolglos abziehen und erkennen, dass ihm nun mit Aram-Damaskus ein mächtiger Gegner gegenübersteht. Salmanassar III. hält sich anschließend am nördlichen Transjordanien schadlos, das noch von Israel unter Joram kontrolliert wird.

Hier erobert Salmanassar III. die massiv befestigte Stadt Bet Arbel (bibl.; heute Irbid), schlägt Israels Truppen unter Jehu bei Ramoth-Gilead (heute Tel Ramit) und zieht anschließend über israelisches Gebiet (Jesreel-Ebene) bis ans Mittelmeer.

Bestätigt sieht Bauersachs (S. 367) diese Einschätzung durch eine Stelle im Prophetenbuch Hosea 10,14:

14 … so wird sich Kriegslärm erheben gegen deine Stämme, und alle deine Festungen werden verwüstet, wie Schalman Bet-Arbel verwüstete am Tag der Schlacht, da die Mutter samt den Kindern zerschmettert wurde.

Mit dem hier erwähnten Schalman ist (so Bauersachs in Anm. 16) „sehr wahrscheinlich Salmanassar III.“ gemeint.

Gegen „Hasaël von Aram-Damaskus in Ramoth-Gilead“ als Gegner Jorams spricht in seinen Augen aber vor allem, dass Israel dann „der ideale Verbündete der anrückenden Assyrer gewesen“ wäre, „denn Hasaël hätte dann an zwei Fronten Krieg führen müssen: An der Ostfront mit assyrischen Truppen, gleichzeitig gegen Israel im Süden und Südwesten (aus der Sicht von Aram-Damaskus)“.

Da (S. 368) „Jorams Truppen unter General Jehu … den Assyrern militärisch wenig entgegenzusetzen“ haben, bleibt Jehu, nachdem sich „König Joram … zur Behandlung nach Jesreel ins Kernland Israel abgesetzt“ hat, nichts anderes übrig, als sich den Assyrern zu ergeben und

mit dem Gegner über Kapitulationsbedingungen {zu} verhandeln. Der amtierende König Joram befand sich weitab vom Schlachtfeld in vermeintlicher Sicherheit, also betrachtete der assyrische Sieger den General Jehu stellvertretend als König Israels. Nach Niederlagen wurden in vielen Fällen aus den besiegten Ländern tributpflichtige Vasallen oder Provinzen Assyriens, im Fall der israelischen Niederlage gab sich Salmanassar III. mit einer Tributzahlung zufrieden.

Einen versteckten Hinweis auf den mit Salmanassar ausgehandelten Frieden findet Bauersachs in 2. Könige 9,11, wo Jehu von seinen Offizieren gefragt wird: „Ist es Friede?“ Tatsächlich wird diese Frage, die ihm später (9,17.18.22) auch von Joram und (9,31) von Isebel gestellt wird, nirgends konkret beantwortet. Es bleibt also im Bibeltext völlig offen, wie der nach 8,28 gegen die Aramäer geführte Krieg eigentlich ausgegangen ist; die Bibel interessiert sich nur noch für den Putsch Jehus gegen das omridische Königshaus. Das kann man als Indiz dafür werten, dass hier wirklich ein Friede nicht mit Hasaël, sondern mit Salmanassar III. geschlossen wurde.

Dagegen spricht allerdings (S. 369), dass

Salmanassar III. … die Tributzahlung nicht auf dem Schlachtfeld entgegengenommen, sondern … noch einmal seine Überlegenheit {demonstriert hat}: Er marschiert mit seinen Truppen von Ramoth-Gilead quer durch Israel und erreicht am Berg Karmel die Mittelmeerküste. … Die exponierten Plätze (biblisch „Höhen“) dienten den Anrainern als Heiligtümer des Baal, der Astarte, des Melkart (Stadtgott von Tyrus) und auch JAHWEs.

Salmanassar III. brüskiert die Besiegten zusätzlich, indem er den Tribut Israels und der Stadt Tyrus an deren heiligen Stätten am Karmel entgegennimmt und eine Erinnerungsstatue an einen Sieg zurücklässt, die er Aššur, dem Hausgott Assyriens widmet; dieser ist traditionell der eigentliche Sieger bei jeder militärischen Auseinandersetzung.

Wie soll man sich das vorstellen? Hier passt doch einiges nicht zusammen:

  1. Wann sollte General Jehu nach diesem Szenario von seinen Offizieren zum König ausgerufen worden sein? Nachdem er – doch wohl mit einer ansehnlichen Delegation israelischer Soldaten, die kostbare Gegenstände aus Silber, Gold, Blei und Hölzern mit sich geführt haben müssen – auf dem Karmel die demütigende Übergabe des Tributs geleistet hat? Hätten seine Leute einen solchen General nicht eher zum Teufel gejagt?
  2. Ist es realistisch, dass ein assyrischer König die Unterwerfung Israels durch einen General Israels entgegennimmt, während der noch amtierende König zwar vom Schlachtfeld geflohen, aber seines Amtes noch nicht enthoben ist?
  3. Hätte Jehu den in der Bibel geschilderten Mord an den beiden Königen Joram von Israel und Ahasja bei Jesreel noch durchführen können, nachdem der assyrische König sozusagen einen Triumphzug durch eben diese Jesreel-Ebene zum Karmel vollzogen hat?
  4. Hinzu kommt, dass manche Forscher die Angaben auf Hasaëls Tel-Dan-Stele so interpretieren, dass Hasaël und nicht Jehu die beiden Könige Israels und Judas ermordet hat, und dass etwa Finkelstein den Amtsantritt Jehus als König von Israel bereits in das Jahr 843 datiert. Ich behaupte nicht, dass diese Angaben zutreffen, gebe aber zu bedenken, dass der Versuch von Bauersachs, sehr viele geschichtliche Ereignisse in in das eine Jahr 841 zu datieren, jedenfalls noch überzeugender belegt werden müsste.

Auf einige meiner Einwände geht Bauersachs im Folgenden dann doch noch ein. So schreibt er (S. 370):

Üblicherweise trennen die Assyrer säuberlich zwischen Tributzahlung und Beutemachen: Tribut wird übergeben, damit es gar nicht erst zu einer militärischen Auseinandersetzung kommt oder rechtzeitig genug, um eine Niederlage abzuwenden. Der Sachverhalt bei Jehus Tribut ist unübersichtlicher: Die eigentliche militärische Auseinandersetzung betrifft König Joram, der hätte nach der verlustreichen Schlacht von Ramoth-Gilead keine Möglichkeit mehr gehabt, noch mit Geschenken vor Salmanassar III. zu treten.

Anders Jehu, der aus Sicht der Assyrer das Richtige tut und kapituliert. Bedingung für die Schonung der israelischen Soldaten und der Zivilbevölkerung war natürlich die Aussicht auf Tributzahlungen. Durch das Unentschieden gegen Damaskus‘ Truppen war der bereits eingeplante Tribut Hasaëls weggefallen, also wurde Israel um so stärker zur Kasse gebeten.

Das kann man sich so zurechtlegen; meine oben angeführten Einwände sind dadurch aber nicht wirklich widerlegt.

Dass Jehu wegen dieser Niederlage auch noch beabsichtigte, Joram zu ermorden, hat er die Assyrer sicher wissen lassen.

Mit diesem indirekten Mord verliert Salmanassar III. nicht sein Gesicht und kann Tribut vom lebenden neuen König Jehu einfordern, ohne seine Truppen weiteren Auseinandersetzungen mit Israel und den nördlichen Nachbarn oder Aram-Damaskus auszusetzen. Im Gegenteil vermeidet er so das erneute Zustandekommen der Koalition aus der Vergangenheit und kann ungehindert durch Israel bis ans Mittelmeer marschieren: Israel wurde besiegt, Aram-Damaskus ist nicht willens oder in der Lage, die assyrischen Truppen zu verfolgen, unmittelbar betroffen vom Siegeszug ist Tyrus, von dem Salmanassar III. ebenfalls Tribut erhält.

Der Königsmord an Joram von Israel wird – anders als manche Archäologen die Tel-Dan-Stele deuten – von der Bibel zutreffend dem Jehu und nicht Hasaël zugeschrieben, gleichzeitig rottet Jehu (aus biblischer Sicht im Auftrag des Propheten, historisch aus eigenem Antrieb) das Haus Ahab aus. Ein gewöhnlicher Usurpator muss dies nicht zuletzt zu seiner eigenen Sicherheit tun; nebenbei hat das sicher auch im Interesse der assyrischen Sieger gelegen…

Indem Bauersachs „Jehus Mord an Ahabs Nachkommenschaft“ als „eine Kopie assyrischer Vergeltungsmaßnahmen“ beschreibt, die ebenfalls darin bestehen konnten (S. 371), grauenvolle Pyramiden aus abgeschlagenen Köpfen feindlicher Krieger zu errichten, misst er dieser biblischen Darstellung einige Glaubwürdigkeit zu. Auf der „Tel-Dan-Stele“ dagegen hätte sich „König Hasaël von Aram-Damaskus“ in seiner Behauptung, „die Gegner Joram von Israel sowie Ahasja von Juda bei seinem Angriff auf Israel getötet zu haben“, „mit fremden Federn (des Jehu) geschmückt“.

Meines Erachtens wird man historisch weder genau klären können, wer nun tatsächlich diese Könige getötet hat, noch die Frage, ob auf dem Kriegsschauplatz in Ramot-Gilead nun Hasaël oder Salmanassar als Akteure aktiv waren. Nach Bauersachs hat „sich Hasaël“ erst

nach dem Abzug der Assyrer die israelischen Gebiete in Transjordanien einverleibt. Diese Überfälle finden erst nach dem Abzug der Assyrer statt und betreffen daher eben nicht, wie das Alte Testament berichtet, die Auseinandersetzung zwischen Joram (der schon vor dem Abzug der Assyrer ermordet worden ist) und Hasaël. Vielmehr müssen sich die kläglichen Reste der ehemals unter Joram bzw. Jehu bei Ramoth-Gilead kämpfenden Truppe den überlegenen Streitkräften Hasaëls stellen.

Mit gleicher Selbstverständlichkeit nimmt beispielsweise Israel Finkelstein <175> an, dass Hasaël nach „der Niederlage des Nordreichs in der Schlacht von Ramot-Gilead … Israel offenbar Galiläa, das Gilead und die nördlichen Ebenen“ wegnimmt, ohne Salmanassar III. als Verursacher dieser Niederlage zu erwähnen. Er erwähnt lediglich das „schwindende Interesse Assyriens an den Regionen im Westen“, das Hasaëls Ambitionen erleichterte, und dass einer der Feldzüge Salmanassars, der „im Jahr 841 möglicherweise sogar ans Mittelmeer“ führte, zu den „letzten Aktivitäten des Assyrischen Reichs für viele nachfolgende Jahrzehnte“ gehörte.

Völlig auszuschließen sind also die Erwägungen von Bauersachs nicht, auch wenn in meine Augen mehr gegen sie spricht.

Vom Ergebnis her ist es allerdings ziemlich gleich (S. 372), ob es der „gewaltsame Tod Jorams und die enorme Tributzahlung an die Assyrer“ waren, die „aus dem einst mächtigen Israel für lange Zeit einen kümmerlichen Rumpfstaat ohne militärische und wirtschaftliche Bedeutung“ machten, und ob sich der „Nachbar Aram-Damaskus … für seine gefühlte Niederlage gegen Salmanassar III. … nach dem Abzug der Assyrer“ durch die Eroberung der „ungeschützten israelischen Gebiete im nördlichen Transjordanien“ einfach nur gerächt hat, oder ob es hauptsächlich das assyrische Desinteresse und die Stärke Arams unter Hasaël waren, die Israels Niedergang verursachten, wie Finkelstein annimmt.

6.4.9.4 Der historische Jehu als radikaler JHWH-Monotheist

Einen zusätzlichen Grund für diesen Niedergang sieht Bauersachs auch in innenpolitischen Maßnahmen Jehus. Die wirtschaftliche Blüte Israels „unter Omri und Ahab“ hatte „der Oberschicht zu großem Reichtum und Luxus verholfen“, war „mit Rechtsbruch erkauft“ und hatte „zu sozialer Schieflage geführt“, so dass „vor allem die ausgebeutete Bevölkerung … im Norden Israels auf Beseitigung des Baal-Kultes und … die Rückkehr zur Jahwe-Verehrung“ drängte. Das kann auch, so Bauersachs, zu eingeschränkten „Handelsbeziehungen“ eines „jungen monotheistisch orientierten Israel“ mit weiterhin polytheistisch organisierten Staaten geführt haben.

Dieser Blick auf die Innenpolitik verhilft Bauersachs (S. 373) auch zu den Zutaten einer „kontrollierten historischen Spekulation“ über eine Biographie von König Jehu. Das entscheidende Element dabei ist (S. 372) das Thema der JHWH-Verehrung im Nordreich Israel.

Nun gelingt es Bauersachs aber nicht wirklich, die real existierende religiöse Situation im Nordreich Israel von dem nachträglichen Blick der biblischen Niederschrift zu unterscheiden, der von einem rigorosen JHWH-Monotheismus geprägt war. Zwar möchte er aus dem „ständigen Zyklus“ von „Jahwetreue und Götzendienst, der prompten Bestrafung durch JAHWE und den demütigen Treuegelübden bis zum nächsten Abfall … die deuteronomistische Botschaft ausklammern“, aber dennoch hält er „den Zwiespalt“ für historisch, in dem

sich König Omri, seine Jahwe-Priesterschaft und die Handeltreibenden befunden haben: Heute würde man das Nordreich Israel unter Omri und danach unter Ahab als multi-kulti bezeichnen, ein aufgezwungener Jahwe-Monotheismus wäre höheren Gesellschaftsschichten nicht zu vermitteln gewesen.

Richtig daran ist, dass während der gesamten Königszeit sowohl Israels wie Judas die Verehrung vieler Gottheiten in beiden Staaten normal war und dass „wegen der internationalen Vernetzung … israelische Regenten die Verehrung fremder Götter um des Friedens und Vorteils willen dulden oder sogar – wie angeblich Ahab – selber praktizieren“ mussten.

Zu bezweifeln ist aber, dass zu diesem Zeitpunkt ein ausgeprägter JHWH-Monotheismus in Israel überhaupt schon bestand. Ebenso wenig ist klar, ob Elia und Elisa historische Gestalten waren oder ob ihr leidenschaftlicher Einsatz für JHWH nicht eine Rückprojektion des späteren monotheistischen Glaubens in die Zeit der omridischen Dynastie darstellt.

Allenfalls könnten wir darüber nachdenken, ob nicht der Elia-Elisa-Zyklus erste Ansätze eines Vertrauens auf einen befreienden, revolutionären Gott JHWH widerspiegelt, der dem altorientalischen Konzept eines Pantheons von vielen zwar miteinander rivalisierenden, aber letztlich gleichartig der Legitimation von Unterdrückung und Ausbeutung dienenden Gottheiten diametral entgegengesetzt war. Für unmöglich halte ich es nicht, dass solche Gedanken von der ins Gebiet von Moab gelangten Exodus-Gruppe ausgegangen sein könnten und prophetische Bewegungen in Israel hervorgerufen oder beeinflusst haben.

Bauersachs nimmt nun allerdings an, dass es bereits im Nordreich Israel unter den Omriden streng monotheistische Tendenzen unter den Anhängern JHWHs gegeben hat (S. 373), und baut darauf seine Biographie Jehus auf. Das Alte Testament nennt (2. Könige 9,2.14) nur den Namen seines Vaters Joschafat, der wiederum der Sohn Nimschis gewesen sein soll; an anderer Stelle (1. Könige 19,16) wird Nimschi als Jehus Vater bezeichnet. Klar ist, dass dieser Joschafat nicht „mit dem judäischen König Joschafat“ verwechselt werden darf. Folgendermaßen entwickelt Bauersachs nun seine Spekulation:

Jehus Vater Joschafat könnte um 880 v. Chr. als Offizier mit den israelischen Besatzungstruppen Omris nach Moab gekommen sein und dort bis zur Rückeroberung Moabs durch Mescha um 841 gedient haben; ob er vertrieben wurde oder beim Angriff Meschas ums Leben kam, sei dahingestellt. …

Jehu wächst in einer israelischen Garnison im besetzten Moab auf; sein Umfeld ist streng jahwegläubig. Bereits im Kindesalter hat Jehu erfahren und verinnerlicht, dass JAHWE das Land Moab vor Israel dahingegeben hat: Ohne die Hilfe JAHWEs wäre ein Sieg Omris über Moab unmöglich gewesen. Als Sohn eines Besatzers hatte Jehu wohl kaum Kontakte mit moabitischen Gleichaltrigen und wuchs isoliert auf. Durch sein Heranwachsen in Offizierskreisen war Jehu eine militärische Karriere zwangsläufig vorbestimmt.

Die Grundausbildung hat er wohl im Umfeld seines eigenen Vaters bei den Truppen in Moab erhalten, den Regierungswechsel von Ahab über Ahasja zu Joram erlebte Jehu als etwa Dreißigjähriger. Ab 850 v. Chr. hat Jehu seine Ausbildung wohl im Stammland Israel fortgesetzt. Am israelischen Königshof muss sich Jehu schockiert fragen, wie sich seine eigene Jahwetreue und die seiner Offiziersfreunde mit der in der Oberschicht Israels praktizierten gleichzeitigen Verehrung JAHWEs und fremder Götter vereinbaren lässt. Wie kann JAHWE einerseits Reichtum, Luxus und Rechtsbeugung dulden, wenn andererseits große Teile der Bevölkerung Not leiden müssen?

Als Jehu um 845 „als ‚Oberster des Heeres‘ den Höhepunkt seiner Militärlaufbahn erreicht“ hat und „beim Hasaël-Putsch 841 Verantwortlicher für die Sicherheit an der Grenze zu Aram-Damaskus“ ist, steht Israel „nach der Ermordung Ben-Hadads II.“ wider Erwarten nicht dem „nördlichen Nachbarn Hasaël von Aram-Damaskus“ gegenüber, sondern einmal mehr dem „Assyrer Salmanassar III.“:

Gegen diesen übermächtigen Feind steht Jehu mit seinen Truppen nach kurzem Kampf auf verlorenem Posten und ergibt sich. Den tief religiösen Jehu muss die militärische Niederlage Israels gegen die Assyrer im Mark getroffen haben:

JAHWE hat sich offensichtlich endgültig vom gottlosen Israel abgewendet und das Land in die Hände des Feindes gegeben. Dass zeitgleich der moabitische König Mescha die Gelegenheit nutzte und die israelische Besatzung vertrieb, konnte Jehu nicht mehr verwundern: Erneut hatte JAHWE seine strafende Hand im Spiel.

Jehu interpretiert diese militärischen Misserfolge als Auftrag JAHWEs an ihn, fremde Götter, falsche Priester und scheinheilige Vorbilder aus Israel erbarmungslos auszurotten und die ausschließliche Jahweverehrung zu erneuern. Jehu begreift auch, dass er als Erstes die Mitglieder des israelischen Königshauses beseitigen muss, sie waren hauptverantwortlich für die Vernachlässigung des wahren Jahweglaubens.

So gesehen war nach Bauersachs (S. 368) die

Ermordung Jorams und das fürchterliche Blutbad an den Angehörigen des Hauses Ahab … sicher im Interesse der Assyrer, nach meiner Ansicht hat Jehu in diesem Fall aber nicht im Auftrag der Assyrer gehandelt. Dies war Jehus eigener Wille… Die eigentliche Motivation war sein „heiliger Zorn“ auf die omridische Herrschaftsschicht, die durch ihre jahweverachtende Lebensweise letztendlich die Schuld an der Niederlage trugen: JAHWE hat wegen der Verfehlungen des israelischen Königshauses seine schützende Hand von Israel abgezogen.

Auf diese Weise zeichnet Bauersachs ein Portrait von König Jehu, das ganz und gar der positiven Einschätzung Jehus durch die biblische Niederschrift in 2. Könige 10,28 und 30 entspricht. Dazu passt allerdings nicht (S. 364), dass er der Niederschrift unterstellt, „seinen rechtschaffenen Charakter gründlich“ zu verfälschen und „aus ihm einen Verführer zum Götzendienst“ zu machen. „Dies ist schon deswegen paradox, weil er andererseits – gläubig wie er war – den Baal-Kult ausgerottet haben soll.“ Vermutlich denkt Bauersachs an 2. Könige 20,29 und 31, in denen die übliche summarische Verurteilung nordisraelitischer Verfehlungen seit König Jerobeam zusammengefasst wird, die sich auf die in den Augen des Südreichs Juda verwerfliche Anbetung der Goldenen Kälber in den Heiligtümern von Bethel und Dan bezieht. Aber außer in diesen beiden Versen ist gerade Jehu der von den deuteronomistischen Autoren meistgelobte König des Nordreichs Israel. Die folgende Einschätzung ist daher grundfalsch (S. 379):

Vordringliches Ziel bei der Niederschrift hätte sein müssen, Jehus Jahwetreue als Grundlage seines Handelns überzeugend darzustellen und zu zeigen, dass Jehu nur aufgrund seiner strengen Glaubenserziehung im Elternhaus und wegen der sittenlosen Zustände in Israel unter den Omriden zwangsläufig zum gerechten Mörder an Joram werden musste (wenn es denn so etwas wie einen gerechten Mord geben kann). Eine reale Biographie Jehus, über die ich spekuliert habe, war den Redaktoren augenscheinlich nicht bekannt, lediglich die Namens eines Vaters und Großvaters werden überliefert. So machte man ungewollt aus dem jahwegläubigen Offizier einen machthungrigen Emporkömmling und Mörder. Leider orientiert sich ein Großteil der Historiker und Alttestamentler noch heute an dieser Einschätzung. Wie entscheidend der familiäre Hintergrund Jehus sein Handeln beeinflusst hat, wird nicht diskutiert.

Dass man einen familiären Hintergrund, den man nicht kennt, auch nicht diskutieren muss, lasse ich einmal dahingestellt sein. Dass aber Jehu gerade wegen seines Kampfes für JHWH fast uneingeschränkt gelobt wird, steht für die Bibel außer Frage. Fast sage ich – denn der Prophet Hosea (1,4) brandmarkt tatsächlich die Mordtaten des Hauses Jehu in Jesreel als Blutschuld. Als machthungriger „Emporkömmling und Mörder“ wird Jehu aber eher von Bibelkritikern eingestuft.

6.4.9.5 Nahm ein religiös toleranter David desertierte JHWH-treue Soldaten Israels aus Moab in seine Truppe auf?

Das Schicksalsjahr 841 v. Chr. hat aber in den Augen von Bauer­sachs noch weitreichendere Folgen.

Da erstens (S. 275) Israel durch das „Debakel gegen Salmanassar III. … die Vormachtstellung in der Region verlor und „erst unter Jerobeam II. (787-747) … wieder seine alte Größe“ erreichte, konnte nun „das Haus David… die Schwächephase des Nachbarn“ nutzen.

Zweitens (S. 376) führt „die Rückeroberung durch Mescha um 841“ wieder zu einer Flucht junger Männer aus Moab; bei seinem Sieg „über Jorams Truppen … sind vor allem junge israelische Soldaten oder zwangsrekrutierte Moabiter Leidtragende“. Nach „Meschas Schilderungen“ auf der Mescha-Stele „leisteten die israelischen Einheiten in den Festungsbauten einigen Widerstand und wurden gnadenlos bestraft“, daraus folgert Bauersachs, dass es massenhaft Deserteure gab, die „vor Meschas Truppen nach Westen über den Jordan ins sichere judäische Bergland“ flohen, auf „dem gleichen Weg und aus vergleichbarem Anlass“, auf dem „vierzig Jahre vorher David und seine Schicksalsgefährten wegen Omris Angriff auf Moab geflohen“ waren. Mit diesen „Soldaten des verhassten Nordreichs“, die nun „vor David und seinen Freunden plötzlich“ auftauchten, wird es Bauersachs zufolge „rasch zu einer Verständigung über gemeinsame Ziele“ gekommen sein, so dass „David … die israelischen Zuwanderer, alles geübte Soldaten, in seine Räuberbande“ integrierte und „so quasi über Nacht eine gut organisierte, kampfbereite Truppe“ schuf.

Wieder einmal basieren alle diese Ausführungen auf reiner Phantasie. Unmöglich ist das nicht, aber Bauersachs führt dafür nicht den geringsten Beleg ins Feld.

Stattdessen spekuliert er munter weiter:

Neben Waffen und Kampftechnik war das einzige „Kapital“ der flüchtigen Soldaten ihr Jahweglaube. Für sie gilt das Gleiche wie für den jahwegläubigen Jehu, ihren Oberbefehlshaber: Sie wissen um die Gottlosigkeit des israelischen Königshauses und erkennen in der Niederlage der israelischen Truppen, dass sich der mächtige JAHWE wieder einmal von Israel abgewendet hat. Die Niederlage israelischer Truppen gegen Mescha sorgte in strenggläubigen israelischen Militärkreisen zweifellos für Verbitterung.

Daraus konstruiert Bauersachs ein gemeinsames Interesse dieser desertierten Soldaten mit David: Sie wollen „im Auftrag JAHWEs das frevlerische Verhalten des israelischen Königs und aller Nutznießer dieser Politik … bestrafen“, während ihr „neuer Anführer David … aus anderen Gründen … Israel … bekämpfen“ will. Das bedeutet auch: Erst durch diese Soldaten gelangt in seinen Augen zum ersten Mal die Verehrung JHWHs nach Juda:

Im zentralen Bergland wurde die heimische moabitische Gottheit Kemosch sowie Astarte verehrt, daneben gab es die lokale Baal-Verehrung und in Davids Heer neuerdings die begrenzte Verehrung des israelischen Gottes JAHWE.

An anderer Stelle hatte Bauersachs zu begründen versucht, wie die Verehrung verschiedener Götter ind judäische Bergland eingedrungen sein konnte. Dass David und die mit ihm im Jahr 880 v. Chr. aus Moab geflohene Jungmännerschar ihren Glauben an die verschiedensten Götter mitbrachten (S. 317), „sowohl den moabitischen Kemosch als auch den ammonitischen Milkom“, schließlich auch „die Astarte“, die „wegen freizügiger Riten eine überaus beliebte Göttin der Fruchtbarkeit, des Krieges und der Liebe“ war, hatter er aus einer Bibelstelle wie 1. Könige 11,33 erschlossen:

33 Denn sie {die noch vereinten Stämme Israels} haben mich {JAHWE} verlassen und haben sich niedergeworfen vor Astarte der Göttin der Sidonier, vor Kemosch, dem Gott der Moabiter, und vor Milkom dem Gott der Söhne Ammon …

Nun belegt dieser Vers zwar ganz allgemein die Verehrung unterschiedlicher Götter sowohl in Israel als auch in Juda, aber nicht unbedingt, dass genau zu diesem Zeitpunkt diese „Flüchtlinge“ aus Moab „in Juda Altäre für ihre vertrauten Götter und auch für den lokalen Baal“ errichteten.

Die weiteren Äußerungen von Bauersachs zu diesem Thema finde ich sehr verwirrend (S. 377):

Einen radikalen Wechsel vom Polytheismus zum strengen Jahwe-Monotheismus hat es aufgrund der vielschichtigen Bevölkerung in Juda nie gegeben, auch wenn das Alte Testament die Situation rückblickend anders darstellt. Diese Vielschichtigkeit war mit ein Grund für das misslungene Experiment des Nordreichs Israel, in Jesreel einerseits JAHWE und parallel dazu in Samaria fremde Götter wie Baal zu verehren.

David erkannte die möglichen Folgen des Spagats und vermied dieses Risiko mit der Duldung der neuen Jahweverehrung durch seine Soldaten und der parallelen Anbetung einheimischer Gottheiten durch seine altgedienten Genossen.

Richtig daran ist, dass es in Juda ebensowenig wie in Israel bereits in der Königszeit einen strengen JHWH-Monotheismus gab. Aber wenn diese Vielschichtigkeit im Nordreich letzten Endes ein misslungenes Experiment darstellte, wieso soll dann genau dieselbe Politik der Toleranz gegenüber der Anbetung verschiedener Gottheiten in Davids Armee plötzlich die Vermeidung dieses Spagats darstellen? Im Klartext: Wären die Deserteure aus Nordisrael tatsächlich so JHWH-treu gewesen, wie Bauersachs sie schildert, dann hätten sie einem David, der die Anbetung von Kemosch, Milkom und Astarte duldet oder selbst praktiziert, doch nicht folgen können, sondern hätten ihn eigenhändig abschlachten müssen, wie es Elia mit den Baalspropheten getan hatte. Diesen Widerspruch treibt Bauersachs im Folgenden auf die Spitze:

Dem Strategen David brachte der unbeugsame JAHWE-Glaube seiner neuen Mitstreiter und deren Verbitterung über die sittenlosen Zustände in Israel nur Vorteile. Die Niederschrift macht den Regenten nach David die Billigung dieses Religionsgemisches immer wieder zum Vorwurf; tatsächlich wurden diese Vorwürfe erst rückblickend erhoben.

Man mache sich nochmals klar, wie widersinnig das ist: Unbeugsame JHWH-Gläubige sollen einen David akzeptiert haben, der ein Religionsgemisch billigt? Umgekehrt wäre das ja sogar noch denkbar, aber hinzu kommt, dass Bauersachs jedenfalls im Blick auf die Beurteilung Davids durch die Niederschrift nicht einmal Recht hat: Ausgerechnet ihm wird nirgends in der Bibel der Vorwurf gemacht, Götzendienst zu betreiben oder ein Religionsgemisch zu befürworten. Auf S. 317 argumentiert Bauersachs auch nicht ganz sauber, wenn er seine Behauptung, dass „es zu Zeiten Davids auch im frühen Juda keine Staatsreligion um JAHWE {gab}, David war alles andere als ein strenggläubiger Herrscher, im Gegenteil“, mit der Bibelstelle 1. Könige 14,23 begründet:

23 Und auch sie {das Volk Juda} bauten sich Höhen und Gedenksteine und Ascherim {Mehrzahl von Aschera-Standbild} auf jedem hohen Hügel und unter jedem grünen Baum.

Dieser Bibelvers handelt nämlich gar nicht von David und seiner Zeit, sondern von der Zeit nach dem Tod Salomos. David selbst wird in der Bibel zwar nicht ohne Fehl und Tadel dargestellt, aber nirgends als abtrünnig von JHWH. Gelobt wird er sogar dafür, dass er gegenüber dem Propheten Nathan nach schweren Verfehlungen gegen JHWH seine Sünde bekennt. Gerade mit einem solchen David hätten sich JHWH-treue Soldaten Israels also wunderbar verstehen können.

Historisch mag Bauersachs trotzdem insofern Recht haben, als der historische David ein skrupelloser Räuberhauptmann und Machthaber war, von dem wir nicht wissen, welchem religiösen Kult er zugeneigt haben könnte. Im Königreich Juda hat „erst der streng jahwegläubige judäische König Josia (640-609 v. Chr.) … den Monotheismus“ wirklich durchzusetzen versucht und die Höhenheiligtümer entfernt. Dann wiederum hätte eine „Verbrüderung der beiden unterschiedlichen Gruppen“ nur stattfinden können, wenn sie auf Seiten der israelischen Deserteure eben nicht von ganz so rigider JHWH-Treue geprägt war.

Oder (S. 380) war „das Reich Juda unter David“ doch nicht so „tolerant“, indem es „aus rückblickender Sicht der Niederschrift dem Götzendienst“ gefrönt hat, wie Bauersachs annimmt? Auch seine Behauptung (S. 382): „Das Alte Testament wirft dem alten David Abkehr vom rechten Jahwe-Glauben und Vielgötterei vor“, trifft übrigens in keiner Weise zu. Vielmehr ist es König Salomo, dessen Weisheit, Macht und Reichtum die Bibel zwar in den höchsten Tönen preist, den sie zugleich aber wegen seines Götzendienstes im Alter verurteilt.

6.4.9.6 Hat Davids Streitmacht die Jehu zugeschriebene Liquidierung der Omriden und Baalspropheten in Samaria vollzogen?

Weiter spekuliert Bauersachs, dass David zusammen „mit den israelischen Flüchtlingen aus Moab … um 841 v. Chr. eine Streitmacht von 2000-3000 Mann befehligt haben“ könnte. Diese waren „im unübersichtlichen Bergland“ als „bewegliche kleine Einheiten mit sehr guten Ortskenntnissen“ gut einsetzbar, und „Davids neue Gefährten lieferten detaillierte Informationen über Israel und seine militärische Strukturen aus erster Hand.“ Auch schließt Bauersachs „direkte Kontakte oder eine Art Geheimdiplomatie zwischen Jehu und David“ nicht aus, die es vielleicht „schon in 842 oder im Frühjahr 841 … gegeben hat“.

Da nun „Jehu … mit der Ernennung zum König, der Ermordung Jorams und dem eiligen Zusammenraffen der Abgaben an die Assyrer vollauf beschäftigt“ war und „in der Zwischenzeit keine Gelegenheit gehabt, auch noch nach Samaria zu eilen, um dort Ahabs Kinder und Enkel abzuschlachten und die Baal-Priester auszurotten“, setzt Bauersachs seinen mittlerweile doch sehr ins Kraut schießenden Spekulationen eine letzte Krone auf (S. 378): Angeblich soll es David gewesen sein, der „die Niederlage Israels und die Ermordung Jorams mit Duldung Jehus zur Durchsetzung seiner eigenen Absichten genutzt und in Samaria die Nachfahren Ahabs ermordet“ hat:

Mit Hilfe seiner israelisch-stämmigen Soldaten war es leicht, unter einem Vorwand in die vermeintlich unangreifbare Stadt zu gelangen. David konnte so persönliche Rache am Königshaus Omri-Ahab für die Vertreibung aus Moab nehmen, darüber hinaus übten Davids jahwetreue Gefolgsleute grausame Vergeltung an den Baal-Priestern. Wie gesagt, kann Jehu aus Zeitnot hier nicht aktiv gewesen sein, er war durch die Verhandlungen mit den Assyrern im Norden Israels gebunden.

Zur Begründung führt Bauersachs an (S. 377), dass „in den Tagen zwischen Jorams Ermordung, Jehus Regierungsbeginn und dem Abzug der Assyrer die Familie Ahabs in Samaria genügend Zeit gehabt“ hätte, sich auf eine Auseinandersetzung mit Jehu einzustellen.“ Ebenso gut kann aber genau dieses Argument gegen die Verquickung von Jehus Kniefall vor Salmanassar III. mit der kriegerischen Auseinandersetzung in Ramot-Gilead verwendet werden. Wenn es doch Hasaël war, dem König Joram und ein judäischer König zum Opfer gefallen sind, hätte Jehu genug Zeit gehabt, um sich mit dem Rest der Königsfamilie zu befassen. Spekulieren kann man viel; beweisen lässt sich wenig.

Gerade das Argument der Zeitnot widerlegt meines Erachtens ohnehin auch das schnelle Eingreifen einer von David befehligten Truppe unter Einschluss von aus Moab geflohenen israelischen Soldaten: Wie sollte denn, wenn Meschas Rückeroberung des von Israel besetzten Landes im selben Jahr stattfand wie die Ereignisse um Ramot-Gilead, David es in so kurzer Zeit geschafft haben, die Deserteure mit seinen eigenen Leuten zu einem schlagkräftigen Einsatzkommando zusammenzuschweißen, auf das er sich bei einer so heiklen Aktion verlassen konnte?

Hinzu kommt: Die Bibel schildert auf der einen Seite minutiös die Ausrufung Jehus zum König und seine Maßnahmen zur Ausrottung des omridischen Königshauses, aber es gibt in den biblischen Überlieferungen auch nicht die kleinste Spur, dass ein realer König David oder ein biblischer König Joschafat an diesen Ereignissen in irgendeiner Weise aktiv beteiligt gewesen sein könnte.

6.4.10 David und die Kriege Israels gegen die Aramäer

In einem vorletzten Gedankengang beschäftigt sich Bauersachs schließlich noch mit einem Krieg (S. 379), den nach 2. Samuel 8,3 bereits der biblische David gegen die Aramäer geführt haben soll, das heißt gegen Zoba, einen Vorgängerstaat von Aram-Damaskus. Bei „Hadad-Eser“, dem „Sohn Rehobs“, dem „König von Zoba“, kann es sich natürlich nicht um „Ben-Hadad II.“ gehandelt haben, „der historisch belegt ist und im Jahr 853 gemeinsam mit Israels König Ahab an der Schlacht von Qarqar teilgenommen hat“, und zwar weder nach biblischer Chronologie, weil er ja „von 1008 bis 965 regiert haben“ soll, noch als angeblich historischer König Joschafat, weil „es keine historischen Quellen gibt, die über Spannungen zwischen den realen israelischen Königen Omri und Ahab auf der einen und Aram-Damaskus auf der anderen Seite berichten“. Daher ist für Bauersachs

offensichtlich, dass hier die Niederschrift David mit fremden Federn geschmückt hat: Erst Israels Könige Joas und Jerobeam II. konnten Aram-Damaskus gemeinsam mit den Assyrern erfolgreich angreifen und alte Gebiete zurückerobern, die Hasaël zur Regierungszeit Jehus weggenommen hatte.

Im Nachhinein (S. 380) sollte die „Verbindung eines siegreichen biblischen David aus der Zeit um 1000 v. Chr. mit den historischen Aramäerkriegen um 805 … die Illusion eines riesiges Reichs Israel von Anbeginn an erzeugen.“

Immerhin kam es (S. 381) nach Bauersachs bei „den erfolgreichen Feldzügen gegen Aram-Damaskus“ dazu, dass „israelische Truppen unter Joas um 805 die Stadt Dan erobert und die demütigende Tel-Dan-Stele entdeckt“ haben. Er geht davon aus, dass sie „vor deren Zerstörung … zweifellos den Text studiert“ haben. Während nun aber „das ‚Haus David‘ in Jerusalem, von dem auf der Stele die Rede ist, … den Soldaten mit Sicherheit bekannt“ war und „kein besonderes Interesse“ erregte, stellt sich Bauersachs vor, dass „mehr als einhundert Jahre nach dieser Entdeckung … für die Redaktoren der Niederschrift der historische David der Tel-Dan-Stele wie ein Sechser im Lotto gewesen sein“ muss:

Dieser reale David, geboren um 900 in Moab, wird zum Vorbild des biblischen David aus dem Stamm Juda, der rechnerisch um 1040 in Betlehem geboren sein soll. Ihm wird eine lange, scheinbar logisch aufgebaute Ahnenreihe untergeschoben, beginnend bei Abraham und nach 41 Geschlechtern (Mt 1,17) endend bei Jesus.

Hier wird die Darstellung von Bauersachs vollends unglaubwürdig. Denn warum sollte die bloße Erinnerung an die Erwähnung eines „Hauses David“ auf einer vor über hundert Jahren zerstörten Stele eines feindlichen Königs für biblische Autoren praktisch ein Anlass für jubelnde Luftsprünge gewesen sein? Worin bestand ihr Lottogewinn? Den Namen eines Königs gefunden zu haben, auf den sie die gesamte Geschichte zweier Völker zurückführen konnten? Das ist um so unwahrscheinlicher, als der Text der Stele ja von einer schmählichen Niederlage dieses Königshauses David handelte.

Indem Bauersachs hier von einer Ahnenreihe spricht, die nach 41 Geschlechtern in Matthäus 1,17 bei Jesus endet, vermischt er letztendlich auch noch mindestens zwei sehr weit auseinander liegende Zeitpunkte biblischer Niederschriften miteinander: Der Stammbaum, der bei Jesus endet, stammt ja erst vom Evangelisten Matthäus, der sein Evangelium etwa ein halbes Jahrhundert nach Jesu Tod verfasst hat. Er kannte mit Sicherheit keine Tel-Dan-Stele mehr.

Trotzdem hat Bauersachs insofern Recht, als der biblische David tatsächlich kein Großreich Israel regiert hat und dass es vermutlich keinen weisen König Salomo gegeben hat. Aber seine Spekulationen über einen historischen David sind in Wahrheit bei weitem nicht kontrolliert genug, sondern vielmehr ausgesprochen oberflächlich und viel zu wenig mit überzeugenden Belegen unterfüttert.

Weitaus mehr hat mich eine entsprechende Untersuchung von Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman überzeugt, deren Ergebnisse ich in meinem Beitrag David und Salomo – wie die Geschichte ihr Bild formte referiere.

6.5 Die Exodus-Gruppe und der JHWH-Glaube – wie beides nach Bauersachs in die biblische Niederschrift kam

Am Ende der mehr oder weniger kontrollierten Spekulationen von Konrad Bauersachs über den historischen David endet sein Buch (S. 382) mit dem Ausspruch des Preußenkönigs Friedrich II.: „Jeder soll nach seiner Façon selig werden“, der in seinen Augen inhaltlich auch das Erfolgsrezept der Herrschaft Davids war, da dieser „nie ein Interesse an einer jahwedominierten monotheistischen Staatsreligion“ hatte, sondern

im Gegenteil: Die Duldung und das Nebeneinander von regionalen Göttern wie Kemosch, Milkom, Baal und Astarte war mit eine Voraussetzung für die Entstehung des Reiches Davids im judäischen Bergland.

Ich halte auch diese Annahme für eine bloße Vermutung; sie beweist lediglich das Desinteresse an religiösen Fragen, das Bauer­sachs mit dem Alten Fritz teilt und auf David überträgt.

Dagegen bin ich gerade an der Frage besonders interessiert, wann und wie die Überlieferungen der Exodus-Gruppe in den Strom derjenigen religiösen Traditionen eingemündet sind, die schließlich in der biblischen Niederschrift ihre endgültige Form gefunden haben.

Reicht es aus, wie Bauersachs zu sagen, dass eben Nachkommen der Exodus-Gruppe im Jahr 880 v. Chr. aus Moab nach Juda flohen und ihre Geschichten dort weitererzählten? Und dass im Jahr 841 v. Chr. Deserteure der verjagten Besatzungsarmee Israels ebenfalls als Flüchtlinge aus Moab kamen, die ihren strengen JHWH-Glauben vertraten, so dass beides zusammengefügt werden konnte?

6.5.1 Die Ablehnung eines erfundenen Exodus als Katastrophe für die Theologie?

An einer Stelle macht Konrad Bauersachs in seinem Buch deutlich, dass er es praktisch für selbstverständlich hält, dass es einen real-historischen Exodus gegeben haben muss. Er will ja (S. 331) den wahren historischen Hintergrund der biblischen „Landnahme“ beschreiben und nicht „die biblische Wüstenwanderung unkritisch“ übernehmen, „durch die eine Exodus-Gruppe von Ägypten aus durch den Sinai von Osten her auf einem Riesenumweg die Ostgrenze Transjordaniens erreicht haben soll“. Aber er lehnt auch (S. 332) die Schlussfolgerung von Finkelstein/Silberman in ihrem Buch „Keine Posaunen vor Jericho“ ab, die „scheinbar logisch einen Schritt weiter“ gehen und „zu dem Schluss“ kommen, „der Exodus könne deshalb nicht stattgefunden haben <176>“:

Bei der Ablehnung des Exodus bleiben die Autoren aber Erklärungen dafür schuldig, wie und warum Mose, Aaron, die Verkündung am Sinai und die Wüstenwanderung ohne einen Exodus ins Alte Testament hätten kommen sollen oder gekommen sind.

Dies alles müsste dann, ebenso wie die Verbindung zu JAHWE, eine Erfindung der Niederschrift sein. Wenn dies so wäre, verlöre die Jüdische Thora eine wesentliche Stütze. Über die daraus resultierenden theologischen Folgen eines nicht stattgefundenen Exodus will ich gar nicht nachdenken, noch weniger über die politischen.

Hier macht sich Bauersachs allerdings, so denke ich, unnötige Gedanken. Warum?

  1. Erstens besteht der Zweifel an der historischen Wahrheit biblischer Erzählungen schon lange, ohne dass die Weltreligionen des Judentums oder Christentums zusammengebrochen sind. Die Glaubenswahrheit der Bibel hängt ja nicht daran, dass alles in ihr Berichtete wortwörtlich wahr ist.
  2. Zweitens lassen sich fundamentalistisch glaubende Menschen sowieso nicht von Kritikern wie Finkelstein oder Bauersachs in ihrem wortwörtlichen Für-wahr-Halten der Bibel beirren.
  3. Drittens hat Finkelstein in seinem Buch „Das vergessene Königreich“ durchaus eine Erklärung dafür geliefert, wie ausgerechnet eine mit Ägypten verbundene Exoduserzählung zum Gründungsmythos Israels geworden sein könnte. <177>
  4. Viertens sind auch andere Erklärungen für die Erzählung von der Befreiung aus ägyptischer Sklaverei möglich, etwa die von Ton Veerkamp, dass spätere Befreiungserfahrungen der Judäer in die Frühzeit des Volkes Israel projiziert wurden.<178>
6.5.2 Zur Erfindung einer Geschichte Gesamt-Israels

Während, wie eben gesagt, Bauersachs einen historischen Exodus für nicht erfunden hält, wirft er der biblischen Niederschrift auf der anderen Seite in großem Umfang durchgeführte historische Umdeutungen und Täuschungen vor, die vor allem die Erfindung der Geschichte eines Volkes Gesamt-Israel betreffen, das anfangs von den Königes David und Salomo beherrscht gewesen sein soll.

Nun stellt Geschichtsschreibung immer eine rückblickende Konstruktion der Vergangenheit aus der jeweiligen Gegenwart dar <179>; eine wohlwollende Betrachtung der biblischen Darstellung Davids und Salomos ist in diesem Sinne das bereits mehrfach erwähnte Werk der biblischen Archäologen Finkelstein und Silberman über die Entschlüsselung dieses biblischen Mythos.

Wie sieht nun Bauersachs den Umgang der biblischen Niederschrift mit David? Er schreibt (S. 328):

Die Nachfahren Abrahams erreichen nach der Wüstenwanderung des Gelobte Land (Transjordanien), leben hier 300 Jahre ungestört und werden um 880 v. Chr. von Omri überfallen: Zahlreiche junge Leute, darunter David, fliehen nach Westen und gründen den Staat Juda. 841 v. Chr. vertreibt Mescha Israel wieder aus Moab. Kurz darauf finden israelische Soldaten auf der Tel-Dan-Stele den Hinweis auf ein „Haus David“. Aus diesen historischen Fakten und mündlichen Überlieferungen konstruiert die Niederschrift die „Geschichte“ des frühen Israels.

Einige Seiten weiter wiederholt er diese Einschätzung mit einigen Ergänzungen (S. 336):

Den Redaktoren der Niederschrift war wegen des geringen Zeitabstands zu Omris Überfall der reale David der Tel-Dan-Stele natürlich bekannt, ebenso bekannt war sein begrenztes Reich um Jerusalem und seine Herkunft aus Transjordanien. Durch den kurzen Zeitabstand sind auch die Abenteuer dieser Räuberbande lebhaft in Erinnerung geblieben.

Hier erhebt sich zunächst die Frage, wie Bauersachs einen „kur­zen Zeitabstand“ definiert. Fing man im Südreich Juda gegen Ende des 8. Jahrhunderts, also nach dem Untergang des Nordreichs, damit an, die biblische Niederschrift zu verfassen, dann waren seit Omris Überfall auf Moab über 160 Jahre vergangen, seit der Errichtung der Tel-Dan-Stele über 100 Jahre.

Abwegig klingen übrigens die Bemerkungen über die Entdeckung der Tel-Dan-Stele durch Soldaten des Nordreichs Israel. Die biblische Niederschrift wurde ja nicht bereits im Nordreich Israel verfasst. Aber dann macht es überhaupt keinen Sinn, anzunehmen, dass Autoren der Niederschrift im Südreich Juda erst Informationen von Soldaten des Nordreichs Israel über die Tel-Dan-Stele benötigt hätten, um etwas von einem „Haus Davids“ zu erfahren, und noch weniger (S. 363), dass sie „mit dem historisch unbedeutenden David der Tel-Dan-Stele wenig anfangen“ konnten. In Juda müsste man sich an David noch gut erinnert haben können, wenn er tatsächlich vor so kurzer Zeit der Gründer dieses Königreichs war. Daher konnte auch ohne Kenntnis dieses Denkmals aus einem „real eher unbedeutenden David“, der „von Jerusalem aus ein übersichtliches Territorium regiert“ hat, später ein „mächtiger König als Vorbild“ und „Lichtgestalt“ stilisiert worden sein, den man „aus der Distanz bewundert“.

Da Bauersachs (S. 336) Davids Königtum in die Zeit nach Omri datiert, standen in seinen Augen die

Redaktoren der Niederschrift … vor einer immensen Herausforderung: Das Volk Israel des Nordreichs und Staatsgott JAHWE verursachten durch den Angriff auf Moab 880 v. Chr. die Entstehung dieser gesetzlosen Truppe, ausgerechnet der Anführer David hätte nach etwa zehn Jahren Umherstreifens König von Israel werden sollen.

So macht es natürlich Probleme, in dieser Zeit einen König David unterzubringen, der nicht nur König von Juda, sondern auch von Israel gewesen sein soll, was Bauersachs folgendermaßen weiter ausführt (S. 336f.):

Davon weiß die reale Geschichte nichts, die Königslisten Nord-Israels nach Omri sind lückenlos und auch durch historische außerbiblische Quellen belegt. Und: Bereits vor Omri muss es einige (derzeit noch namenlose) Herrscher in Israel gegeben haben, die Steuern eintrieben, eine Armee auf die Beine stellen konnten und Prachtbauten errichteten.

Die jahrhundertelange Existenz Nord-Israels ließ sich bei der Niederschrift also nicht verleugnen. Die Redaktoren mussten deshalb die Geschichte des historischen „Nordreich-Volkes Israel“ mit den biblischen Erzählungen von Abraham bis zur Richterzeit so verbinden, dass zunächst ein fiktives vereintes „Volk Israel“ entstand.

Zu diesem Zweck sollen nach Bauersachs die „Redaktoren … zunächst eine ‚erste Landnahme‘ durch die Exodus-Gruppe“ erfunden haben,

die unmittelbar an die Wüstenwanderung angeschlossen haben soll, und eine Richterzeit, die um 1020 v. Chr. übergangslos im Königtum Davids und Salomos aufging.

Abgesehen davon, dass das so nicht beweisbar ist, stelle ich nochmals die Frage, wie die Redaktoren darauf gekommen sein könnten, Erfahrungen der Exodus-Gruppe für einen solchen Zweck zu verwenden. Und einen Übergang zwischen Richter- und Königszeit stellt die Bibel sehr wohl dar, und zwar sogar recht ausführlich: nämlich die Ereignisse um Samuel, Saul und David.

Weiterhin macht Bauersachs auf den „Kunstgriff … der Niederschrift“ aufmerksam, durch den es ihr gelang, „das noch nicht existierende Südreich Juda als Wurzel des bereits bestehenden mächtigen Nordreichs Israel darzustellen“:

Nach dem ersten großen judäischen König David habe sein Sohn Salomo die Regierung angetreten; dessen Sohn Rehabeam wiederum hätte durch undiplomatisches Verhalten die Abtrennung des Nordreichs provoziert…

Damit, so Bauersachs, „legten die Redaktoren das Fundament für eine gesamt-israelische Geschichte, die es nie gegeben hat.“

Tatsächlich spricht viel dafür, dass es historisch nie ein gemeinsames Großreich Davids und Salomos gegeben hat. Dass allerdings vor der Zeit Omris das Südreich Juda überhaupt noch nicht existiert haben soll, setzt Bauersachs bis jetzt nur voraus, er hat es nicht bewiesen. Einschätzungen, wie sie etwa von Finkelstein und Silberman vertreten werden, „König Davids Großreich mit Jerusalem als Zentrum könne nur regionale Bedeutung gehabt haben“, hält er nur für scheinbar logisch, „nur die halbe Wahrheit und nicht richtig zu Ende gedacht; sie lässt die zugrundeliegende reale Geschichte völlig außen vor“; allerdings kann man diese Kritik auch genau umgekehrt gegen ihn selber wenden. Er müsste erst einmal beweisen, dass David wirklich ein König des 9. und nicht des 10. Jahrhunderts war.

6.5.3 Welche Überlieferungen flossen nach Bauersachs in der biblischen Niederschrift zusammen?

Bereits aus seinen Betrachtungen zum Richter Jeftah hatte Bauersachs Schlüsse abgeleitet, die sich auf den Weg beziehen, auf dem Überlieferungen der Exodus-Gruppe in die biblische Niederschrift gelangt sein können, und zu denen ich massive Zweifel hege (S. 328). So meint er, dass es den biblischen

Redaktoren … bewusst geworden sein {muss}, dass Teile der moabitischen Bevölkerung über die Exodus-Gruppe letztendlich Nachfahren Abrahams gewesen sind. Die Redaktoren hatten nun neben den mündlichen Überlieferungen der Exodus-Gruppe alle historischen Zutaten für eine Gesamt-Israelische Pseudo-Geschichtsschreibung in den Händen, die bis Abraham zurückreicht.

Was soll hier genau geschehen sein? Das Nordreich Israel überfällt um 880 v. Chr. das Land Moab und erobert die Gebiete, in denen unter anderem auch die Nachkommen der Exodus-Gruppe wohnen. 39 Jahre später erobert Mescha, der König von Moab, diese Gebiete zurück. Wer kann in diesem Zusammenhang von Nachfahren Abrahams erfahren und ihre mündlichen Überlieferungen genutzt haben, um sie mit Traditionen Nord-Israels zu einer gesamt-israelischen Pseudo-Geschichtsschreibung zu verbinden? Wer könnte überhaupt ein bewusstes Interesse daran gehabt haben, so etwas zu tun? Ein Eroberer wie König Omri hätte sich kaum für Erzählungen hergelaufener ehemaliger Ḫabiru-Nomaden interessiert, zumal wenn es sich bei deren Überlieferungen um eine Befreiungsgeschichte aus Fronarbeit und Unterdrückung handelt.

Die biblische Niederschrift ist außerdem erst nach dem Untergang des Nordreichs Israel um 722 v. Chr. verfasst worden, wobei viele Alttestamentler mittlerweile annehmen, dass dies erst im Königreich Juda vor dessen Zerstörung um die Jahrhundertwende 600 v. Chr. oder im babylonischen Exil dieser Judäer oder sogar erst in der Perserzeit nach der Rückkehr der Verbannten in der persischen Provinz Jehud geschah. Finkelstein und Silberman <180> gehen allerdings davon aus, dass erste schriftliche Fassungen biblischer Erzählungen in Juda bereits gegen Ende des 8. Jahrhunderts entstanden sein können, als das Südreich durch die Flüchtlinge aus dem Norden zahlenmäßig stark anwuchs und sich eine Schriftkultur entwickelte. Es waren also auf jeden Fall Judäer, die sich aber der Zeit um 700 v. Chr. daran machten, alte Überlieferungen schriftlich zusammenzustellen.

Wenn nun die Annahme von Bauersachs stimmt, dass Nachkommen der Exodus-Gruppe erst nach dem Überfall Omris auf Moab um 880 v. Chr. als Flüchtlinge ins judäische Bergland gelangt sind und zuvor nichts mit Israel zu tun hatten, dann können nur diese Abkömmlinge der Exodus-Gruppe selbst ihre nun 500 Jahre alten Erzväter- und Exodustraditionen dorthin gebracht haben.

Zugleich soll nach Bauersachs aber auch der JHWH-Glaube erst durch Deserteure der Besatzungsarmee Israels nach der Rückeroberung Moabs durch Mescha im Jahr 841 v. Chr. nach Juda gekommen sein. Er muss wohl annehmen, dass dieser Glaube sich innerhalb eines Jahrhunderts so stark im Jerusalemer Tempel breit macht, dass die dortige Priesterschaft sich der interessanten Nomaden- und Exodus-Erzählungen dieser Flüchtlinge aus Moab bedient, um sie in ihre JHWH-Ideologie einzubauen.

Nicht erklärt wird dadurch allerdings, auf welchen Wegen diese Überlieferungen sich von den ursprünglichen Entstehungsorten in Mesopotamien, Chuzistan und der arabischen Wüste gelöst und stattdessen mit Orten in Palästina und Ägypten verknüpft haben.

Außer Acht lässt Bauersachs auch, dass die Hauptträger der religiösen Überlieferung in Israel und Juda prophetische Bewegungen waren, die sich wie Elia, Elisa, Hosea, Amos und Jesaja mit scharfer Kritik an Königen Israels und Judas hervortaten. Könnten sie durch Überlieferungen der Exodus-Gruppe inspiriert worden sein?

Bauersachs scheint das anders zu sehen. Da gibt es irgendwelche ominösen Verfasser der Niederschrift, die (aus welchen Gründen auch immer) die Traditionen der in Moab lebenden Exodus-Leute missbrauchen, um ein eroberungswütiges Großreich Israel der Vergangenheit zu erfinden, das es nie gegeben hat (jedenfalls nicht als Nachkommen der Exodus-Gruppe), und somit diese Exodus-Leute fälschlich als Vorfahren des realen Nordreichs Israel zu beanspruchen, das genau dieses Moab mit den dort lebenden Nachfahren der Exodus-Gruppe überfallen und diese ein zweites Mal auf die Flucht getrieben hat.

Ich habe den Eindruck, dass Bauersachs sich hier von einem Vorbehalt gegenüber einer religiös-politischen Machtgruppe leiten lässt, die am Sieg des eigenen Gottesvolkes über alle anderen Religionen und Völker interessiert ist und darum auch vor Entstellungen der Geschichte, Missbrauch fremder Traditionen und bewussten Täuschungen nicht zurückschreckt. Bei dieser mächtigen Gruppe müsste es sich um Anhänger des Gottes JHWH handeln, der ursprünglich im Nordreich verehrt wurde und dessen (S. 328) „religiösen und kultischen Vorschriften“ nachträglich neue Bedeutung verliehen wurde, indem man sie in die Überlieferungen der Exodus-Gruppe einpasste.

Oder will Bauersachs mit seinen mich irritierenden Formulierungen doch auf etwas ganz Ähnliches hinaus wie ich? Folgende Sätze scheinen das nahezulegen (S. 329):

Die Rede des Richters Jephtah ist ein weiterer fehlgeschlagener Versuch der Niederschrift, mit Hilfe der rückblickenden Geschichtsschreibung eine gesamt-israelische Geschichte zu entwerfen. Die Vereinigung des Nordreich-Volkes Israel mit den Nachfahren der Exodus-Gruppe hat nie zu einem mächtigen Großreich geführt, im Gegenteil: Nach dem Zusammenbruch des Nordreichs um 720 v. Chr. ging das Nordreich-Volk Israel im Volk Juda auf, das sich möglicherweise durch König David über die Exodus-Gruppe letztendlich auf Abraham berufen kann.

So gesehen bestünde eine Kontinuität zwischen der Exodus-Gruppe, zu deren Nachfahren vielleicht sogar die Familie Davids gehörte, und dem Südreich Juda, in dem Priester des Jerusalemer Tempels die Traditionen sowohl dieser Gruppe als auch der Flüchtlinge aus dem untergegangenen Nordreich Israel dazu nutzen, um eine gemeinsame Geschichte von Israels nomadisch lebenden Stammvätern und ihrem Exodus aus Ägypten mit der Entstehung eines mächtigen Großreichs Israel der Vorzeit zu konstruieren.

6.5.4 Stellt die Bibel Israel nur als böse und Juda nur als gut dar?

Der biblischen Niederschrift wirft Bauersachs vor, dass sie den historischen „Ablauf der Landnahme durch die Exodus-Gruppe und die Folgezeit bis zum Zerfall des Nordreichs … komplett verfälscht“. Das ist im Großen und Ganzen richtig, da die „Redaktoren“ tatsächlich „versuchten, vergangene Ereignisse so darzustellen, dass sie sich rückblickend mit den aktuellen theologischen Vorgaben vereinbaren ließen“. Falsch ist aber eindeutig folgende Aussage über die biblische Darstellung (S. 331):

Dass JAHWE schon unter Ahab Staatsgott des Nordreichs Israel war, wird ebenso wenig erwähnt wie die Assyrer, die das Nordreich zerstörten, dies war natürlich der Wille JAHWEs.

Für die Bibel ist JHWH ganz klar der Staatsgott Israels. König Ahab wird doch gerade vorgeworfen, dass er von JHWH abgefallen ist und stattdessen die Götter Baal und Aschera fördert. Und dass die Assyrer das Nordreich Israel zerstörten, wird in 2. Könige 17,4-6 ganz eindeutig den historischen Tatsachen entsprechend geschildert:

4 Aber der König von Assur entdeckte eine Verschwörung bei Hoschea {dem letzten König des Nordreichs}; denn der hatte Boten an So, den König von Ägypten, gesandt und hatte dem König von Assur keinen Tribut mehr hinaufgebracht wie bisher Jahr für Jahr. Da verhaftete ihn der König von Assur und warf ihn gefesselt ins Gefängnis.

5 Dann zog der König von Assur durch das ganze Land und zog herauf nach Samaria und belagerte es drei Jahre lang.

6 Im neunten Jahr Hoscheas nahm der König von Assur Samaria ein und führte Israel gefangen fort nach Assur. Und er ließ sie wohnen in Halach und am Habor, dem Strom von Gosan, und in den Städten Mediens.

Weiterhin geht Bauersachs auf die rückblickende Kritik „des ‚bösen‘ Nordreiches Israel“ aus der Sicht des Südreichs Juda ein:

Das Alte Testament betont gerade diesen Gegensatz Jahwe-Südreich-gut – Götzen-Nordreich-böse immer wieder. Das bestätigt meine Überlegung, dass um 880 v. Chr. die Zuwanderer aus Transjordanien bei der Flucht vor den Truppen Omris (die „zweite Landnahme“) ihren moabitischen Glauben in die neue Heimat westlich des Jordans mitgenommen haben. JAHWE war ursprünglich nur im Nordreich Israel zuhause.

In meinen Augen entbehrt dieser Gedankengang jeglicher Logik. Die nach Juda geflohenen moabitisch gewordenen Exodus-Gruppen-Mitglieder hätten doch GEGEN JHWH gewesen sein müssen und nicht umgekehrt behauptet haben, dass das Nordreich überwiegend diesem JHWH ungehorsam gewesen ist!

Abgesehen davon stellt Bauersachs den „Dauerstreit zwischen dem ‚guten‘ jahwetreuen Südreich und dem ‚bösen‘ götzenverehrenden Nordreich“ im Alten Testament ohnehin übertrieben dar. Judäische Redaktoren erster Entwürfe einer biblischen Niederschrift hätten es sich doch gar nicht erlauben können, die von Flüchtlingen aus Israel mitgebrachten Überlieferungen in Bausch und Bogen als negativ zu bewerten, da es ihnen ja um eine Verknüpfung der Traditionen des Südreichs und Nordreichs zu einem einheitlichen Bild eines vereinigten Groß-Israel ging. <181>

Das bedeutet konkret, dass das deuteronomistische Geschichtswerk in den Königebüchern auch die meisten Südreichs-Könige als JHWH-abtrünnig dargestellt, was schließlich zur Strafe des babylonischen Exils führt. Rehabeam, Abija, die Königinmutter Maacha, Ahas, Manasse, Amon, Joahas, Jojakim und Zedekia werden uneingeschränkt negativ bewertet, ebenso Joram, Ahasja und Athalja wegen ihrer Verbindung mit dem Königshaus Ahab. Nur Asa, Hiskia und Josia erfahren uneingeschränktes Lob, Joschafat, Joasch, Amazja, Usija und Jotam ein eingeschränktes. Das kann man nicht gerade als uneingeschränkte Lobeshymne auf ein „gutes“ Südreich begreifen.

Umgekehrt werden die Könige Israels zwar grundsätzlich schlechter beurteilt als die Könige Judas; um so leuchtender wird die JHWH-Treue der Propheten Elia und Elischa herausgestellt, die den omridischen Königen entgegentreten. Der von Elisa eingesetzte König Jehu gilt aber als Kämpfer für JHWH, was ja auch Bauersachs hervorhebt, und die negative Beurteilung der Könige Joram, Joahas und Hoschea wird zumindest eingeschränkt.

Noch widersprüchlicher stellt sich die Argumentation von Bauer­sachs dar, wenn man sich vor Augen hält, dass er andernorts begründen will (S. 318), dass JHWH erst spät der Gott Judas geworden ist. Das ist historisch vermutlich sogar richtig, erschließt sich aber gerade nicht, wie Bauersachs meint, aus dem „Vergleich von Königsnamen des Südreichs Juda mit denen des Nordreichs Israel“. Er nimmt nämlich an, dass in altorientalischen Staaten die Herrscher „durchgehend sogenannte theophore Namen“ trugen, „der jeweilige Reichsgott war meist Namensbestandteil…; vergleichbares sollte man also auch vom Südreich Juda und Gott JAHWE annehmen.“ Wenn ich nachzähle, stelle ich im Gegensatz zu Bauersachs aber fest, dass dies im Südreich sogar häufiger vorkommt als im Nordreich: Im Reich Juda tragen 12 von 20 Königen ein „Jo-“ oder „-ja“ im Namen, im Reich Israel sind es nur 7 von 19. Gerade dies taugt also nicht als Beweis für eine ausschließliche Verehrung des Gottes JHWH im Nordreich Israel und eine sehr späte Einführung des JHWH-Glaubens im Südreich Juda.

6.5.5 Widersprüchliche Einschätzung des JHWH-Glaubens

Damit ist ein zentrales Thema erreicht, das in den Ausführungen von Konrad Bauersachs immer wieder auftaucht, nämlich voreingenommene und widersprüchliche Einschätzungen des JHWH-Glaubens sowohl in der biblischen Niederschrift als auch in der ihr zu Grunde liegenden historischen Wirklichkeit.

Er spricht einerseits von Omris JHWH-Treue, betont aber andererseits, dass sich der rechtschaffene und offenbar noch konsequentere JHWH-Monotheist Jehu nicht ohne Grund gegen das Königshaus der Omriden erhob, das durch Rechtsbruch, Ausbeutung, Götzendienst und die unterdrückerische Eroberung Moabs dem Willen des Gottes JHWH eben doch in krasser Weise widersprochen hatte.

Einen solchen halbwegs positiven Blick auf den JHWH-Glauben richtet Bauersachs allerdings nur im Zusammenhang mit Jehu. Hier blitzt etwas von einer Einsicht auf, dass JHWH in der Bibel so gut wie immer den Charakter eines befreienden und Recht schaffenden Gottes trägt, sowohl in der Exodus-Geschichte als auch im Elia-Elischa-Zyklus oder bei den Schriftpropheten. Der Eifer, die Rache, die Intoleranz JHWHs richten sich gegen unterdrückende Machthaber und ihre falschen Götter, die Ausbeutung und Unterdrückung legitimieren. <182>

Spricht Bauersachs aber vom JHWH-Kult, wie er in der biblischen Niederschrift mit einer gesamt-israelitischen Pseudo-Geschichte verbunden worden ist, dann ist sein Tonfall meist abwertend. Entweder verbindet er ihn mit dem machtgierigen Nordreich Israel, das seinen Eroberungskrieg gegen Moab mit Hilfe von JHWH rechtfertigt oder er sieht ihn als Mittel zur Legitimation machtpolitisch-religiös-missionarischer Interessen der späteren biblischen Niederschrift, die im Rückblick ein übergroßes mächtiges Gesamt-Israel der Vorzeit unter der Herrschaft JHWHs konstruiert hätten.

Diese merkwürdig widersprüchliche Beurteilung von Omris JHWH-Treue durch Bauersachs tritt besonders hervor, wenn er sie dem in seinen Augen angeblich überhaupt nicht vorhandenen JHWH-Glauben David gegenüberstellt (S. 347):

Warum wird der historische Omri (882-871) in den biblischen Geschichtsbüchern so offensichtlich übersprungen und warum dient sein Nachfolger Ahab (871-852) zusammen mit seiner Frau Isebel vor allem als abschreckendes Beispiel für Götzenverehrung? Omri, seinerzeit einer der mächtigsten Herrscher in der Region, ist dem Alten Testament gerade mal 14 Verse wert. (1. Kön 16, 15-28) Schablonenhaft wird ihm ein Leben in Sünde und Gottlosigkeit vorgeworfen, obwohl er JAHWE als Staatsgott verehrte, David dagegen war grenzenlos tolerant…

Hier scheint Bauersachs völlig zu vergessen, dass er in anderen Zusammenhängen Jehus Kritik an der JHWH-Untreue der Omridenkönige durchaus für angemessen hält. Der Bibel geht es ja überhaupt nicht um den moralischen Lebenswandel eines Königs wie Omri oder Ahab, sondern eben um die sozial-politische Frage, ob in Israel JHWH nicht nur formal als Staatsgott verehrt wird, sondern ob die Wegweisung dieses Gottes im Blick auf Recht und Gerechtigkeit tatsächlich beachtet wird. Eine Geschichte wie die von Naboths Weinberg zeigt, dass Ahab und Isebel in Wirklichkeit Götter anbeten, die Ausbeutung und Unterdrückung legitimieren.

Insofern erscheint es mir paradox, dass Bauersachs gerade den Unterdrückerkönig Omri, den er doch wegen seines Überfalls auf Moab ebenfalls scharfer Kritik unterzieht, als JHWH-treu einstuft, während er den in seinen Augen zwar ebenfalls skrupellosen Räuberhauptmann David, der allerdings von der „Bevölkerung des judäischen Berglands“ wegen seiner „Hilfe in Krisensituationen“ und, weil er „als ehemaliger Hirte einer der ihren“ ist, geschätzt wird, als „grenzenlos tolerant“ bezeichnet. Könnte es sein, dass er unabsichtlich beide sogar korrekt entsprechend den Absichten der Niederschrift beurteilt, nämlich Omri als eigensüchtigen Machtmenschen und David als Rächer der Enterbten?

Dass historisch gesehen JHWH der Staatsgott Israels war, beweist jedenfalls nicht, dass Könige wie Omri oder Ahab den Maßstäben der Tora dieses Gottes gemäß regiert haben; daran übt die Bibel eine im Falle Omris sehr pauschale Kritik (1. Könige 16,25-26):

25 Und Omri tat, was böse war in den Augen des HERRN, und zwar schlimmer als alle, die vor ihm gewesen waren.

26 Und er ging auf dem ganzen Weg Jerobeams, des Sohnes Nebats, und lebte in dessen Sünden, mit denen er Israel zur Sünde verführt hatte, den HERRN, den Gott Israels, durch ihre nichtigen Götzen zum Zorn zu reizen.

Nur wenn Bauersachs nicht nur Omri, sondern auch seinen Staatsgott JHWH negativ beurteilen würde, nämlich als einen Unterdrückergott, der Omris Machenschaften deckt, machte es Sinn, umgekehrt einem (in seinen Augen) historischen David, der Omri und seinen Gott JHWH hasst, eine grenzenlose Toleranz gegenüber Göttern wie Kemosch, Milkom und Astarte zu unterstellen. Dazu passt aber, wie gesagt, weder seine positive Einschätzung des JHWH-gläubigen Jehu noch die angebliche Toleranz Davids auch gegenüber den desertierten Besatzungssoldaten Israels, die den JHWH-Glauben nach Juda und in die militärische Truppe Davids hineinbringen.

6.5.6 War JHWH den Nachfahren der Exodus-Gruppe um 841 v. Chr. noch nicht bekannt?

Die Vorbehalte von Konrad Bauersachs gegenüber dem biblischen JHWH-Kult treten noch stärker im Zusammenhang mit der Bileam-Episode hervor, die er eigentlich (S. 314) „unvoreingenommen aus Sicht des Historikers“ betrachten will, wobei er (wie im Abschnitt 6.3.2 beschrieben) herausfindet, dass sich „hinter der theologischen Botschaft reale moabitische Geschichte“ verbirgt. Nicht eingegangen bin ich dort auf weitere Schlussfolgerungen von Bauersachs, die er über den JHWH-Glauben zieht (S. 316):

Nach 1200 v. Chr. hatten in Transjordanien die Mitglieder der Exodus-Gruppe und andere Zuwanderer bis zur Staatenbildung quasi Religionsfreiheit. Mit dem Auftreten des Königtums gab es zwar den moabitischen Kemosch als Reichsgott, neben diesem „Hauptgott“ wurden die Götter der Vorfahren weiterhin geduldet und verehrt…

Große Teile der Exodus-Gruppe (die 9½ Stämme) haben sich um 1180 v. Chr. genau in dem Gebiet Moabs niedergelassen, das 300 Jahre später von Omri besetzt werden wird. Gesetzt den Fall, die Exodus-Gruppe hätte tatsächlich JAHWE mitgebracht, hätten sie ihn nach Nomadenart auf Bergeshöhen, unter Bäumen oder auf Steinaltären unter freiem Himmel verehrt. Sie hätten aber keine Tempel errichtet und mit Schätzen ausgestattet, dafür fehlte auch der materielle Hintergrund. …

Dass König Mescha bei der Rückeroberung die Schätze aus Jahwe-Tempeln raubt {Mescha-Stele Zeilen 16-18}, heißt aber, dass die Errichtung dieser Tempel und die Ausstattung den israelischen Besatzern des Nordreichs Israel zuzuschreiben ist.

Von diesen Voraussetzungen aus schließt Bauersachs kategorisch aus, dass die „Exodus-Gruppe … ebenfalls JAHWE aus der fernen Heimat nach Moab mitgebracht“ haben könnte. Denn dann hätten sie wohl „verständnislos ansehen müssen, dass ihr Hausgott JAHWE, den sie seit Jahrhunderten verehren, dem feindlichen Volk Nord-Israel zur Seite steht und sie dadurch Angehörige und Hab und Gut verlieren.“ Auch dass (S. 317) die „Truppen des Nordreichs Israel … die jahwegläubige Bevölkerung (also die Nachkommen der Exodus-Gruppe) im eroberten Moab gezielt verschont“ hätten, ist unmöglich, denn dann hätte König Mescha bei „der Rückeroberung des besetzten Gebiets … die jahwegläubigen Moabiter genauso rücksichtslos behandelt wie die nordisraelischen Besatzer“, aber „davon wissen Altes Testament und Mescha-Stele nichts“. Daraus schließt Bauersachs, dass es eine „Verbindung der Exodus-Gruppe mit JAHWE … also nie gegeben“ hat.

In diesem Zusammenhang wiederholt Bauersachs (S. 320) seine Annahme, dass die Mescha-Stele „die Herkunft Meschas“ auf einen Stamm Gad zurückführt. Da es für Bauersachs „nicht nachvollziehbar“ wäre, wenn „ein israelischer König wie Joram so massiv gegen Mescha vorgeht, der sich angeblich auf die gleichen Vorfahren (Abraham-Jakob …) beruft“, ist in seinen Augen die Identifizierung Meschas als Gaditer

ein weiterer Hinweis darauf, dass das Besatzervolk Israel ursprünglich nichts mit der Exodus-Gruppe gemeinsam hatte. Meine Ablehnung des Begriffs „Israeliten“ für die Nachfahren Abrahams kann ich so ein weiteres Mal begründen. Ein zusätzlicher Hinweis auf getrennte Wurzeln Israels und Moabs sind die unterschiedlichen Staatsgötter. Omri und Joram beten zu Jahwe, Mescha zu Kemosch; bei gemeinsamen Vorfahren sollten beide Regenten den gleichen Gott verehren.

Aber wie ich bereits oben ausgeführt habe, ist es wahrscheinlicher, dass der Name Gad auf der Mescha-Stele eben doch einen Stamm Israels und nicht Moabs bezeichnet.

Eine Voreingenommenheit von Bauersachs gegen den Gott JHWH, wie er von der biblischen Niederschrift vertreten wird, kommt im folgenden Absatz deutlich zum Ausdruck (S. 307):

Dass Moabs König Balak dennoch {obwohl der historische Bileam JAHWE gekannt haben muss} ausgerechnet Bileam beauftragt, diesen mächtigen Gott JAHWE, seit langem der Hausgott des angreifenden Volkes Israels, mit Hilfe des moabitischen Gottes Kemosch zu verfluchen, ist ein Kunstgriff der Redaktoren bei der Niederschrift. Die Schlussfolgerung daraus muss für uns sein, dass die in Transjordanien lebenden Nachfahren der Exodus-Gruppe den Gott JAHWE zu diesem Zeitpunkt (um 841 v. Chr.) noch nicht gekannt haben können.

Eine solche Schlussfolgerung ist aber nicht zwingend, sondern greift viel zu kurz. Ob der Gott JHWH den Nachfahren der Exodus-Gruppe bereits bekannt gewesen ist oder nicht, wird ja in keinster Weise dadurch beeinflusst, wie die biblische Niederschrift später die Bileam-Episode theologisch ausgestaltet.

Nebenbei bemerkt, gehen die biblischen Autoren überhaupt nicht davon aus, dass Bileam das Volk Israel im Namen von Kemosch verfluchen soll; dessen Name fällt überhaupt nicht. Die Bibel setzt an dieser Stelle einfach voraus, dass kein Gott außer JHWH die Macht hat, Israel zu segnen oder zu verfluchen. Eigentlich weiß Bauersachs ja auch, dass es der biblischen Niederschrift nicht um eine plausible Darstellung historischer Abläufe geht. Ihre Absicht ist vielmehr, zu zeigen, dass es nicht gelingen kann, mit Hilfe eines gekauften Propheten das Volk zu verfluchen, das JHWH aus der Sklaverei befreit und sich als sein Volk erwählt hat.

6.5.7 Welche religiöse Einstellung hatte die Exodus-Gruppe?

Indem Bauersachs sich im Zusammenhang mit der Bileam-Episode grundsätzlicher mit der Religion der Exodus-Gruppe beschäftigt, kommen wir der Antwort auf die Frage näher, ob die Exodus-Gruppe JHWH tatsächlich gekannt haben könnte. Er unterscheidet nämlich (S. 307) zwischen den unterschiedlichen Einstellungen von Sesshaften und Nomaden „zu ihren zahlreichen Göttern mit verschiedenartigen Aufgabenbereichen“:

Sesshafte bauen ihren Göttern Tempel, Nomaden verehren sie in der freien Natur auf Bergen oder unter Bäumen; JAHWE muss deshalb ein Gott der Sesshaften im Nordreich Israel gewesen sein.

An dieser Stelle bleibt unausgesprochen, dass er damit wohl Bezug auf die Mescha-Inschrift nimmt, die in den Zeilen 14-19 da­von handelt, dass König Mescha Israel die Stadt Nebo erobert und „von dort die Altaraufsätze JHWHs“ mitnimmt <184>; Israel muss also in verschiedenen Städten Gotteshäuser für JHWH erbaut haben.

Nun fragt sich Bauersachs weiter, „wie, wann und wo Abrahams späte Nachfahren die alten Götter beiseitestellten und schließlich Jahweanhänger wurden“. Er meint, das „nicht endgültig klären“ zu können, sieht aber einen Zusammenhang „mit dem Zusammenbruch des Nordreichs Israel“. Da jedoch die „Vätergötter Abrahams und der Umgang mit ihnen … teilweise sehr direkt in die theologischen Vorgaben des Alten Testaments“ hineinwirken, beschäftigt er sich dennoch ausführlicher mit „diesem Thema“:

Oben habe ich geschildert, dass die Exodus-Gruppe zu Beginn ihrer Wüstenwanderung Kontakt mit Priester Jithro, dem Schwiegervater Moses, hatte. Hier könnte sie zum ersten Mal von JAHWE erfahren haben; entlang von Karawanenwegen breiten sich auch religiöse Botschaften aus. Jithros Heiligtum am Westrand Babyloniens wäre der östlich­ste Außenposten einer Jahwe-Verehrung gewesen; ob der Jahwe-Glaube oder zumindest die Kenntnis des Jahwe-Glaubens schon um 1200 v. Chr. durch Karawanen vom Nordreich Israel hierher gelangt sein kann, lässt sich nur vermuten. Entlang solcher Routen können sich Zellen bilden, von denen aus der Glaube weiter verbreitet wird.

Trotzdem nimmt Bauersachs an, dass „JAHWE … nicht in das nomadische Pantheon übernommen“ wurde, sondern

dass die Gottheiten der Nomaden bei Abrahams Nachkommen noch einige hundert Jahre dominieren sollten. Nach meiner Auffassung hatten die Nachfahren der Exodus-Gruppe ersten direkten, dauerhaften und sehr unerfreulichen Kontakt mit JAHWE beim Angriff der jahwegläubigen Omri-Truppen auf Moab um 880 v. Chr. Im Nordreich Israel war JAHWE definitiv schon vor 900 v. Chr. Staatsgott, die Jahweverehrung in Omris Truppen um lässt keinen anderen Schluss zu.

Das ist richtig: JHWH war bereits vor 900 v. Chr. Staatsgott Israels. Aber ist es wirklich völlig unmöglich, dass der Glaube an JHWH innerhalb der 300 Jahre nach der Ankunft der Exodus-Gruppe in Transjordanien gerade von diesen nach Israel gebracht worden ist? Bis jetzt hat Bauersachs ja nicht schlüssig bewiesen, dass alle Exodus-Familien in Transjordanien geblieben sein müssen.

Richtig ist auch, dass „Nomadengötter wie die Abrahams … ursprünglich auf Personen und einzelne Sippen beschränkt“ waren:

Das Alte Testament betitelt den Gott mit dem semitischen Namen „El“ oder „El Schaddaj“ und nennt ihn „Gott des Vaters/der Väter“ oder „Gott Abrahams“, „Gott Jakobs“ oder „Schrecken Isaaks“.

Beispiele dafür sind (1. Mose 31,34) „der von Jakobs Frau Rahel gestohlene Hausgott (Teraphim) Labans“ und der „vor dem Angesicht der Familiengötter“ besiegelte „Friedensschluss zwischen Laban und Jakob“ bei den Göttern ihrer Väter (1. Mose 31,53):

53 Der Gott Abrahams und der Gott Nahors soll zwischen uns richten, der Gott ihres Vaters! Da schwor Jakob bei dem Schrecken seines Vaters Isaak.

Nicht belegen kann Bauersachs allerdings (S. 308), dass auch nach „der Wüstenwanderung … Abrahams Vatergott familiärer oder persönlicher Prägung neben den lokalen moabitischen oder ammonitischen Gottheiten erhalten“ blieb. Seiner Meinung nach hingegen gibt es für

ein schnelles und komplettes Umschwenken zu JAHWE … keine Belege, noch weniger dafür, dass JAHWE überhaupt bekannt war. Die bedingungslose Hinwendung des gesamten Volkes zu dem einen Gott JAHWE ist eine rückblickende Idealisierung durch den Deuteronomisten bei der Niederschrift. Dem Deuteronomisten laste ich auch den Versuch an, die nomadische Schlichtheit der Gottesverehrung auf ein großes, äußerst luxuriöses Zeltheiligtum zu übertragen, das als direkter Vorläufer zum Tempel gelten muss {2. Mose 26,1.29}:

1 Die Wohnung (Anm.: des HERRN) aber sollst du aus zehn Zeltdecken machen. Aus gezwirntem Byssus, violettem und rotem Purpur und Karmesinstoff sollst du sie machen, mit Cherubim, als Kunststickerarbeit.

29 Die Bretter aber sollst du mit Gold überziehen. Und ihre Ringe, die Ösen für die Riegel, sollst du aus Gold machen, auch die Riegel überziehe mit Gold!

Wieder hat Bauersachs natürlich insofern Recht, dass dieses Zeltheiligtum von den späteren Interessen der judäischen Priesterschaft <185> her erst rückwirkend so kostbar ausgestattet wurde. Das heißt aber nicht, dass schon die „Verbindung zwischen JAHWE und Exodus-Gruppe“ als solche nachträglich konstruiert sein muss.

Weiterhin geht Bauersachs davon aus, dass unter den „Nachfahren der Exodus-Gruppe“ das „Zusammenleben mit andersgläubigen Fremden“ und der „Umgang mit anfangs unbekannten Göttern aus der Nachbarschaft“ keinerlei Zwängen unterlag, während das Alte Testament die spätere Ablehnung etwa von „Eheschließungen mit Fremden“ mit der „Gefahr, JAHWE untreu zu werden und den fremden Göttern nachzufolgen“, bereits in die Frühzeit der Wüstenwanderung zurückprojiziert. Auch darin mag er Recht haben.

Aber all das beweist in meinen Augen immer noch nicht, dass die Exodus-Gruppe nicht auf eine ganz schlichte, ursprüngliche Weise an den Gott JHWH geglaubt haben könnte.

7 Wie gelangten die Überlieferungen der Exodus-Gruppe in die Bibel?

Am Ende des Buches von Konrad Bauersachs angelangt, bin ich zwar immer noch begeistert von den vielversprechenden Indizien, die auf historische Wurzeln der Überlieferungen von den Erzeltern Israels im Jamutbal und der Exodus- und Wüstenwanderungstraditionen in Chuzistan und der arabischen Wüste verweisen, aber ich bin auch enttäuscht darüber, dass er sich am Ende zu sehr in fixe Ideen über den angeblichen Rachedurst eines historischen David gegen die Omridendynastie des Nordreichs Israel verrennt und dabei Antworten auf wesentliche Fragen schuldig bleibt. Denn selbst wenn seine Annahmen über David stimmen würden, könnten Traditionen der Exodus-Gruppe sich nicht derart in unterschiedlichen Gegenden Palästinas verwurzelt haben, wenn sie erst zur Zeit der Omriden aus Moab ins Westjordanland gelangt wären – und dort sogar zunächst nach Juda und nicht nach Israel.

Hinzu kommt, dass ich nicht nur Konrad Bauersachs‘ Spekulationen über David nicht teile, sondern auch seine Annahme bezweifle, dass die Exodus-Gruppe 300 Jahre lang im Ostjordanland verblieben ist. Daher stelle ich in einem letzten Kapitel eigene Vermutungen darüber an, was aus den Nachkommen dieser Gruppe randständiger Nomaden oder Ḫabiru geworden sein kann, die in Chuzistan der Fronarbeit unterworfen waren und quer durch die arabische Wüste bis in die Gebiete südlich und nördlich des Arnon in Transjordanien gelangt sind.

7.1 Könnte Mose den Gott JHWH am Djebel Sanam kennengelernt haben?

Ich beginne mit einer Nebenbemerkung von Konrad Bauersachs (S. 309), die mich dazu bringt, folgende Hypothese zu erwägen:

Einige Textstellen des Alten Testaments verleiten dazu, JAHWEs Wurzeln im Sinai oder in Midian östlich des Golfes von Aqaba zu suchen. Wie ich gezeigt habe, hat der Exodus nichts mit Ägypten zu tun, die Wüstenwanderung hat diese Gebiete nie berührt:

Hier hätte die Exodus-Gruppe JAHWE nie kennenlernen können.

Damit hat Bauersachs insofern Recht, als eine Exodus-Gruppe aus Chuzistan natürlich nicht in die Gegend gekommen ist, in der man den Exodus traditionell verortet, also Ägypten und ein Midian östlich des Golfes von Aqaba. Allerdings wird diese Gegend ja nun genau deswegen mit dem Gottesnamen JHWH verbunden, weil man hier den biblischen Gottesberg Horeb lokalisiert.

So heißt es in Wikipedia zum Thema JHWH:

Woher der Gottesname JHWH stammt, wo und wann die Israeliten ihn kennenlernten, ist ungeklärt. Nach einer seit Julius Wellhausen (1878) oft vertretenen These verehrten die Midianiter und Keniter einen Berggott namens JHWH. Diesem Kult hätten sich einige Israelitenstämme früh angeschlossen. Die These geht von Ex 3,1 aus, wonach Mose JHWH in Midian (Ex 2,15) am Berg Horeb begegnete, als er Hirte und Schwiegersohn des „Priesters von Midian“ war. Dieser Priester, hier genannt Jitro, opfert später JHWH als höchstem Gott auf dem „Gottesberg“ zum Dank für den Exodus der Israeliten und feiert mit deren Ältesten ein Mahl (Ex 18,1–12): Dies deutete etwa Karl Budde (1900) als Übertritt der Israeliten zum JHWH-Kult der Midianiter. Volker Haarmann (2008) hat diese Exegese für unhaltbar erklärt; es gehe in Ex 18,12 um die Hinwendung eines Nichtisraeliten zum Gott der Israeliten JHWH.

Wenn nun das historische Midian des Mose, wie ich oben nachzuweisen versucht habe, in der Nähe des Djebel Sanam nördlich des heutigen Staates Kuwait gelegen hat, dann ist zu erwägen, ob nicht der Ursprung des Glaubens an JHWH auf eine Offenbarung an genau diesem Gottesberg Horeb zurückgeht, bzw. evtl. auf Einflüsse eines Priesters Jitro. Immerhin überliefert die Bibel die Erklärung des Gottesnamens JHWH und seine Identifizierung mit den Göttern der Väter ausgerechnet im Zusammenhang mit der Vision des brennenden Dornbuschs, die Mose nach 2. Mose 3 am Horeb erlebt, und in 2. Mose 18 wird der Priester Jitro als Lehrmeister des Mose am Horeb erwähnt.

Gestützt werden diese meine Erwägungen durch ein Buch von Thomas Römer, <186> das ich bisher nur aus einer Rezension im Hessischen Pfarrblatt kenne, in der die Frage „Wie wird Jhwh der Gott Israels?“ folgendermaßen beantwortet wird: <187>

Eine Größe „Israel“ ist auf einer ägyptischen Stele schon am Ende des 13. Jahrhunderts v. Chr. im Bergland von Efraim und Benjamin belegt. Zu ihr ist wohl um diese Zeit oder später eine Gruppe von aus Ägypten entkommenen Hebräern gestoßen, die sich als Volk Jhwhs“ (‘am jhwh) verstanden. Sie hat sich mit dem im Land ansässigen „Israel“ vermischt. In den Worten von Römer: „Die Führer des ‘am jhwh treffen die Stämme Israels, und Jhwh wird so zum Gott Israels“ (99).

Ersetzt man in diesem Zitat das Wort „Ägypten“ durch „Chuzistan“, dann erhält man genau die durch die Hypothese von Konrad Bauersachs gegebenen Voraussetzungen, um zu erklären, wie ein Gott JHWH, den die Exodus-Gruppe vom Berg Horeb mitgebracht haben könnte, nun wiederum zum Gott Israels werden konnte.

Inhaltlich sehe ich meine Annahme dadurch bestätigt, dass die befreiungstheologischen Impulse des JHWH-Glaubens, die sich durch alle späteren Bearbeitungen hindurch nicht vollständig unterdrücken ließen, viel besser zu einer hergelaufenen Gruppe entflohener ehemals unterdrückter Nomaden und Ḫabiru und ihrem Anführer Mose passen als zu dem normalen kultischen Betrieb eines altorientalischen Stämmefürstentums oder Königreichs. Was diese Einwanderer zu erzählen hatten, könnte auch prophetische Gruppen in Israel in ihrer radikalen Königs- und Sozialkritik inspiriert haben, vielleicht sind Propheten wie Elia und Elisa oder noch später Hosea und Amos ja sogar aus ihren Reihen hervorgegangen.

Natürlich sind das spekulative Annahmen. Aber sie sind jedenfalls wahrscheinlicher und begründeter, als anzunehmen, dass die Exodus-Überlieferungen erst Hunderte von Jahren später sozusagen „von außen“ in die biblische Niederschrift hineingekommen sind.

Wenn das so ist, kann die These von Bauersachs nicht stimmen, dass

JAHWE … den Nachfahren der Exodus-Gruppe lange Zeit unbekannt {blieb}; der erste unliebsame Kontakt mit diesem fremden Gott war wie gesagt der Überfall des jahwegläubigen Omri auf Transjordanien um 880 v. Chr.

Dazu sage ich zu Hundert Prozent Nein! Hier lässt sich Konrad Bauersachs zu Unrecht von einem Ressentiment gegen den Gott JHWH leiten und übersieht dabei jedes Gespür für historische Wahrscheinlichkeiten. Vor allem vergisst er, eine Metapher ernst zu nehmen, die er selbst mit Recht am Anfang seines Buches für seine alternative historische Interpretation der Geschichten von Abraham bis zum Exodus in Anspruch genommen hat.

7.2 Konsequenzen aus dem Bild der seltsamen Europareise auf dem falschen Kontinent

Letztlich ist es gar nicht so wichtig, ob ein historischer Mose bereits am Berg Horeb begonnen hat, einen Gott JHWH zu verehren, und ob dieser Gott durch die Exodus-Gruppe schon früh zum Gott Israels wurde, oder ob der Gott JHWH vielleicht doch ursprünglich bereits in Israel angebetet wurde. Entscheidend ist in unserem Zusammenhang, wie sich die von den Exodus-Leuten mitgebrachten Überlieferungen in Israel und Juda verwurzeln konnten.

Dazu erinnere ich nun eindringlich (S. 11) an die Metapher der „verfremdeten ‚Europareise‘“, mit der Konrad Bauersachs zu Recht die „von Alttestamentlern gewaltsam zwischen Ägypten und Palästina“ untergebrachte „biblische Wüstenwanderung nach dem Exodus“ kritisch beleuchtet und korrekt zwischen Chuzistan und Transjordanien verortet. Nun sollte er aber auch ernst nehmen, was er im Zusammenhang mit diesem Bild selber klar macht: So wie nach Amerika ausgewanderte Europäer dort neugegründete Ortschaften „nach ihren Heimatstädten im alten Europa benannt haben“, können auch an einem realen Exodus beteiligte Menschen die Namen von Orten und Landschaften ihrer alten Heimat auf die neue Heimat „im heutigen Israel und seinen Nachbarländern (der ‚neuen Heimat‘ im Gelobten Land)“ übertragen haben.

Konrad Bauersachs denkt aber nirgends darüber nach, wann die Exodus-Gruppe oder ihre Nachfahren das getan haben könnten, was er da beschreibt, und dieses Versäumnis halte ich für den größten Mangel seines Buches. Im Grunde ist es doch relativ einfach und plausibel, wenn man genauer darüber nachdenkt: Nur die ersten Generationen von Einwandererfamilien sind in Gedanken noch so stark mit ihrer alten Heimat verbunden, dass sie auf die Idee kommen können, Orten und Landschaften, Bergen und Flüssen in ihrer neuen Heimat altvertraute Namen zu geben.

Daraus folgt konsequentermaßen: Überall, wo sich mit den Traditionen, die nach unserer Theorie aus dem Jamutbal oder aus Chuzistan stammen, geographische Namen aus dem West- und Ostjordanland verbinden, ist anzunehmen, dass sich dort schon sehr früh Familien aus der Exodus-Gruppe angesiedelt haben.

Das wäre übrigens auch eine gute Erklärung für die nach Finkelstein <188> ansonsten schwer erklärbare Tatsache, dass eine Erinnerung an Ereignisse, die sich vor langer Zeit in Äypten abgespielt haben sollen, ausgerechnet (S. 169) „im Nordreich fortlebte“; dafür wäre etwa die „Schefela und die südliche Küstenebene … ein sehr viel plausiblerer Ort“. Geht man von einer Exodus-Gruppe aus, die um 1200 v. Chr. am Arnon ankam und sich von dort aus allmählich nach Norden und Westen ausbreitete, dann muss es gar kein Problem sein, dass (S. 168) die „Überlieferung von Exodus und Wanderung, wie wir sie heute kennen“, bereits „in der Spätzeit des Nordreichs sehr gut bekannt“ war, was sich ganz klar aus „den Prophezeiungen der Propheten Hosea (2,14f.; 9,10; 11,1 und 5; 12,9 und 13; 13,4 f.) und Amos (2,10; 3,1; 9,7) sowie möglicherweise auch aus einer Inschrift in Kuntillet ‘Ajrud, die sich auf den Exodus beziehen könnte“, ergibt.

Dagegen wäre eine Verwurzelung von Ortsnamen und anderen Überlieferungen der Exodus-Gruppe in Israel unerklärlich, wenn Konrad Bauersachs mit seiner Behauptung Recht hätte (S. 292), dass schon bald „der ursprünglich enge Zusammenhalt innerhalb der Exodus-Gruppe verloren“ ging „und die Erinnerung an gemeinsame Wurzeln … nach mehreren Generationen“ verblasste:

Die vom Alten Testament viel strapazierte glaubensbedingte Gemeinschaft der Exodus-Gruppe hat es nie gegeben. Nach meiner Auffassung kam Gott JAHWE frühestens mit dem Einmarsch des jahwegläubigen israelischen Königs Omri um 880 v. Chr. nach Moab; dies war der erste unmittelbare Kontakt der Exodus-Nachfahren mit JAHWE.

Diese Behauptung von Bauersachs wird nicht wahrer, auch wenn er sie in unterschiedlichen Variationen mehrfach wiederholt. So widerspreche ich ihm erneut, ebenfalls mit variierten Worten:

  1. Ganz gleich, ob die Exodus-Gruppe ihren Gott bereits JHWH genannt hat oder nicht, muss es eine religiöse Dimension ihrer Erzählungen vom Exodus und der Wüstenwanderung gegeben haben. Ich halte es sogar für sehr plausibel, dass der Glaube an einen befreienden und Recht schaffenden Gott, einen Gott der kleinen Leute, überhaupt erst unter diesen hergelaufenen Ḫabiru aufgekommen ist – und zwar genau auf Grund ihrer außergewöhnlichen und als wunderbar empfundenen Erfahrungen!
  2. Die nomadischen Erzähltraditionen aus dem Jamutbal wiederum könnten kaum über Jahrhunderte hinweg weitergegeben worden sein, wenn im Kreis der Nachkommen von Exodus-Gruppenmitgliedern kein Familienzusammenhalt mehr bestehen würde. Nur innerhalb eines solchen „Sitzes im Leben“ wäre doch eine solche Überlieferung denkbar und sinnvoll. Das heißt, es könnte in der Nachkommenschaft der Exodus-Gruppe durchaus das Bewusstsein gegeben haben, zu den Nachkommen Jakobs oder Abrams zu gehören. Zur Gleichsetzung von Jakob mit Israel ist es allerdings sicher erst dann gekommen, als sich die Jakobtradition mit entsprechenden Gegenden im Ost- und Westjordanland des Nordreichs Israel eingewurzelt hat.

7.3 Gibt es Spuren der Exodus-Gruppe im Ost- und Westjordanland?

An dieser Stelle müsste nun eine weitere intensive Spurensuche einsetzen, zu der ich, wie ich zugeben muss, im Augenblick schlicht keine Lust habe. Hinzu kommt, dass mir auch das umfassende Wissen fehlt, um die bisher gefundenen Indizien für eine eventuelle Herkunft mancher Erzelterntraditionen und der Exodus-Überlieferung aus dem Jamutbal und Chuzistan mit den Gegebenheiten in Palästina und Transjordanien zu verknüpfen.

Ich möchte aber einige Aufgaben skizzieren, die bei einer solchen Spurensuche unter anderem zu bewältigen wären.

7.3.1 Abram – Abraham – Isaak – Hagar

Schon lange wird in der alttestamentlichen Wissenschaft angenommen, dass die Erzelterntraditionen von Abraham, Isaak und Jakob erst nachträglich zu einer zusammenhängenden Familiengeschichte zusammengefügt wurden. Insofern ist leicht vorstellbar, dass einige dieser Überlieferungen aus Palästina, andere aber von Chuzistan bzw. dem Jamutbal mitgebracht worden sein können.

Da nach der Theorie von Bauersachs ganz sicher die Überlieferungen um Abram und Lot mit Jamutbal und Chuzistan zu verbinden sind, wäre also zu fragen, ob bereits sehr früh diejenigen Mitglieder der Exodus-Gruppe, die mit diesen Erzählungen vertraut waren, von Transjordanien aus ins südliche Palästina weitergewandert sein können, denn dort haben sich diese Erzählungen unter anderem mit dem Ort Hebron eng verbunden.

Ich spinne diesen Gedankenfaden einfach mal weiter und erwäge, ob es in dieser Gegend vielleicht eigenständige Abrahams-Überlieferungen gab, die mit den zugewanderten Abrams-Geschichten zusammengewachsen sind, was eine Erklärung für die unterschiedlichen Namen Abram/Abraham darstellen könnte.

Auf Grund ihres Zusammenhangs mit den Philistern würde ich auch die Geschichten um Isaak mit dem südlichen Palästina und dem dortigen Gerar verbinden; da Isaak wiederum wie Hagar in Verbindung mit dem Brunnen Lacha-Roi steht, könnten auch die Erzählungen, die von ihr (und Abram/Abraham) handeln, hier zu verorten sein.

7.3.2 Jakob – Josef

Die Jakobstraditionen halte ich nicht für ganz so sicher im Jamutbal verortbar wie die Abram-Lot-Geschichten. Aber sie sind eng mit einer in Babylonien spielenden Josefsgeschichte verbunden.

Ich kann mir vorstellen, dass Exodus-Familien, die auf Jakob zurückgehen, sich ziemlich rasch im nördlichen Transjordanien beiderseits des Zarqa-Jabbok niedergelassen haben, so dass sich manche der Jakobsgeschichten mit dem dortigen Gebirge Gilead und dem Fluss Jabbok sowie den Orten Mahanajim und Pnuel verbinden konnten. Da es außerdem Jakobsgeschichten gibt, die sich auf Sichem beziehen, müssen Jakobsleute auch dort ansässig geworden sein. Zweifel habe ich allerdings, ob sie den Namen der Stadt Sichem tatsächlich von dem Ort Saicha im Jamutbal mitgebracht haben.

Die zwölf Söhne Jakobs sind sicher erst später mit einer Zwölfzahl von Stämmen Gesamt-Israels in Verbindung gebracht worden. Denn nach Volkmar Fritz <189> kennt die älteste in Richter 5 enthaltene Überlieferung über Verhältnisse im 11. Jahrhundert v. Chr., das so genannte „Debora-Lied“ noch keine zwölf, sondern nur zehn Stämme, die von ihren Namen her nur teilweise mit den in der Bibel überlieferten Söhnen Jakobs übereinstimmen:

Die im Debora-Lied genannten Stämme bilden somit entsprechend ihrer geographischen Verteilung drei Gruppen:

1. Die mittelpalästinischen Stämme:

Efraim
Benjamin
Dan

2. Die galiläischen Stämme:

Sebulon
Issachar
Ascher
Naftali

3. Die ostjordanischen Stämme:

Ruben
Makir
Gilead

Aufgrund dieser Verteilung sind drei historische Feststellungen möglich:

1. Die südpalästinischen Stämme werden nicht genannt und waren somit an dem Geschehen nicht beteiligt. Daraus folgt eindeutig, daß Juda und die weiteren unter diesem Namen subsumierten Gruppen nicht zu dem vorstaatlichen Israel gehörten, sondern eine eigenständige Größe mit eigenständiger Geschichte bildeten.

2. Die Nordstämme haben nur im Bereich Galiläas und im südlichen Teil des mittelpalästinischen Gebirgslandes geschlossene Siedlungsgebiete eingenommen. Nicht nur lagen die Küstenebene und weite Teile der Ebene Jesreel außerhalb der Stammesgebiete, auch der größte Teil des mittelpalästinischen Gebirges war nicht Territorium eines Stammes, sondern wurde erst in einer nachträglichen Konstruktion der Königszeit dem Stamm Manasse zugeschlagen.

3. Neben Ruben werden die ostjordanischen Stämme Machir und Gilead benannt. Die Bezeichnungen Gad und Manasse sind erst während der Königszeit auf die ostjordanischen Stämme übertragen worden und erscheinen dann in den verschiedenen Systemen der Stämme. Da für die drei Stämme Makir, Gilead und Ruben keine Gebietsbeschreibungen vorliegen, können die Stammesterritorien nicht näher umrissen, sondem nur annähernd der Lage nach bestimmt werden. Wahrscheinlich haben diese drei Gruppen im 11. Jh. keine geschlossene Besiedlung des gesamten Ostjordanlandes erreicht, in jedem Fall war das Jordantal nicht mit eingeschlossen.

Das bedeutet auch, dass zwar Exodus-Familien in Transjordanien die Stammesgebiete von Makir, Gilead und Ruben mitbesiedelt haben können, dass aber auch die Verbindung von Söhnen Josefs mit den Stammesgebieten von Ephraim (das schon früh bestand) und Manasse (das erst spät aus früher anders benannten Gebieten zusammengesetzt wurde) erst nachträglich vorgenommen wurde.

7.3.3 Hebräer

Da meines Erachtens die Exodus-Gruppe sehr stark durch Menschen geprägt war, die Hebräer genannt wurden, nämlich Abraham, Josef und Mose, stellt sich die Frage, ob es auch diese Gruppe war, die die Bezeichnung „Hebräer“ als Bezeichnung für sich selbst nach Palästina gebracht haben könnte, wie sie im Zusammenhang mit Samuel, Saul und David im 1. Buch Samuel vorkommt.

Da allerdings der Ausdruck Hebräer = Ḫabiru keine ethnische Bedeutung hatte, sondern entwurzelte Randgruppen meinte, die von der sesshaften Bevölkerung als Bedrohung empfunden wurde, ist es möglich, dass die Bezeichnung zur Zeit Samuels, Sauls und Davids auch unabhängig von der Zuwanderung der Exodus-Gruppe in Palästina noch üblich war (für die Amarna-Zeit war jedenfalls das Auftreten räuberischer Apiru bezeugt gewesen).

So bestätigt auch der Wikipedia-Artikel Hebräer einen möglichen Zusammenhang zwischen den biblischen Hebräern und dem Wort Ḫabiru, mit dem „verschiedene Menschengruppen“ bezeichnet wurden,

die außerhalb der Gesellschaftsordnung standen und sich aus Not in Abhängigkeitsverhältnisse als Söldner oder Arbeiter begeben oder ein Leben als Banditen führten. Vorwiegend gilt der Ausdruck als abwertende Bezeichnung eines gesellschaftlichen Status.

Viele Bibelhistoriker nehmen an, dass ʿApiru-Elemente im Zuge der archäologisch nicht belegbaren Landnahme Kanaans in das spätere Israel aufgegangen sind. Einige halten es für möglich, dass allmählich eine Verschiebung zur ethnischen Bedeutung stattfand: So könne die Verwendung des Worts „Hebräer“ im Buch Exodus (z. B. Ex 2,11.13) eine Erinnerung daran bewahren, dass die Vorfahren Israels als ʿApiru galten. Roland de Vaux interpretierte beide Ausdrucke ʿApiru und „Hebräer“ als ethnische Bezeichnung für Gruppen, die von der Wüste ins Kulturland vorgedrungen waren.

7.3.4 Exodus-Tradition

Wo auch immer allerdings Exodus-Familien sich im Ost- oder Westjordanland niedergelassen haben, sie müssten auch – falls die Identifizierung bestimmter im Jamutbal, in Chuzistan oder auf der Wüstenwanderung angetroffener Orte bzw. Völker stimmt – die Namen dieser Orte und Völker auf andere Orte und Völker im palästinischen Umfeld übertragen haben. Das ist, so denke ich, nicht immer nachvollziehbar zu begründen.

Zum Beispiel spielt das Volk der Amalekiter im palästinischen Südland immer wieder eine Rolle. Nur wenn eine Erfahrung mit einem ganz anderen Volk Amalek am Beginn der Wüstenwanderung für die Exodus-Gruppe außerordentlich traumatisch gewesen ist, kann ich mir vorstellen, dass sie diesen Namen später auf ein ähnlich bedrohliches Volk räuberischer Beduinen übertragen haben.

Wahrscheinlicher wäre dann aber vielleicht doch die umgekehrte Überlegung: Es mag traumatische Erfahrungen mit räuberischen Stämmen während der Wüstenwanderung gegeben haben, die nachträglich namentlich mit den späteren Amalekitern verknüpft wurden.

Im Falle der Asphaltgruben in der Nähe von Sodom und des Untergangs der Städte Sodom und Gomorrha ist eine Übertragung der jeweiligen Überlieferungen aus Chuzistan auf die Gegend am Südrand des Toten Meers leicht erklärbar.

Dass man die gerade im Norden Palästinas stärker verankerten Exodus-Traditionen statt mit Chuzistan später mit Ägypten verband, möchte ich unter Rückgriff auf Finkelsteins Argumentation begründen, dass das saulidische Stammesfürstentum durch einen Feldzug des ägyptischen Pharao Scheschonk I. unterging. <190>  Solche Erfahrungen mögen sich im Laufe der Zeit gegenüber der Erinnerung an die realen Bedingungen der Flucht aus der Fronarbeit in den Vordergrund geschoben haben.

7.4 Ein offenes Ende mit vielen losen Fäden…

So beschließe ich meine Besprechung des faszinierenden Buches von Konrad Bauersachs mit vielen offen heraushängenden losen Fäden. Ob ich sie später noch einmal aufgreifen und zu weiteren Schlussfolgerungen verknüpfen werde, weiß ich noch nicht. Ob jemand anders – vielleicht sogar in der alttestamentlichen Wissenschaft – solche losen Fäden zu eigenständigen Forschungen aufgreifen mag, bezweifle ich eher.

Mein Glaube und mein theologisches Denken stehen nicht auf dem Spiel, wenn Konrad Bauersachs mit seinen Anregungen zu möglichen alternativen historischen Hintergründen der Erzeltern- und Exodustraditionen Recht oder Unrecht haben sollte. Aber ich gebe zu, dass ich die Vorstellung sympathisch fände, wenn der Glaube an den befreienden und Recht schaffenden Gott Israels mit dem Namen JHWH, der durch Jesus Christus zu uns Heidenchristen gelangt ist, auf eine solch kleine Gruppe aus der Fronarbeit in Chuzistan entflohener Ḫabiru mit ihrem Anführer Mose zurückgehen würde. Viele biblische Geschichten erhalten mit ihrer Verortung im Jamutbal, in Babylonien, in Chuzistan und in der arabischen Wüste einen Hintergrund, auf dem viele in spätere theologische Korsetts eingezwängte Erzählungen eine nachvollziehbare Ursprünglichkeit zurückerhalten. Vielleicht steckt dahinter ja auch nur der Wunsch nach einem phantasievoll ausgestalteten historischen Roman – möglichst ohne Kitsch und falsche Ideologie.

8. Nachtrag – ein Jahr später

Anfang Juli 2020 war ich mit meiner Buchbesprechung bis zu der Fassung gekommen, die ich jetzt hier veröffentliche. In den darauf folgenden sechs Wochen bis Mitte August 2020 stürzte ich mich auf weitere Fachliteratur, um einige der erwähnten losen Fäden aufzugreifen und offene Fragen in welcher Richtung auch immer zu beantworten.

So las ich Bücher von Christian Frevel <191>, Irmtraut Fischer <192>, Thomas Römer <193>, Werner Schatz <194> und Thomas Staubli <195>, warf einen Blick in Bücher von Erhard Blum <196> und Christoph Levin <197>, um mir darüber klar zu werden, ob in wissenschaftlichen Untersuchungen der Vätergeschichten, des altorientalischen Nomandentums oder des Ursprungs der Anbetung JHWHs Anknüpfungspunkte für die Hypothese von Konrad Bauersachs bzw. meine davon abgeleiteten und stark veränderten Überlegungen zu finden sind.

Als ich dann aber – übrigens durch ein weiteres Buch von Thomas Staubli <198> – auf Schriften der kanadischen Autorin Adele Reinhartz zum Johannesevangelium aufmerksam wurde, ließ ich mich von einem völlig anderen Projekt begeistern, mit dem ich mich nun seit 10 ½ Monaten beschäftige, ohne dass bislang ein Ende absehbar ist: Ist das Johannesevangelium unrettbar antijüdisch geprägt oder war es ursprünglich eine jüdisch-messianische Kampfschrift gegen die römische Weltordnung? <199>

Heute, am 2. Juli 2021, blicke ich in meine vor einem Jahr als unfertig empfundene Besprechung des Buches von Konrad Bauersachs und stelle fest:

Ich selber werde die losen Fäden nicht mehr aufgreifen und zu verknüpfen suchen. <200> Dazu müsste ich erneut ähnlich tief in sowohl damals gelesene als auch noch nicht gründlich gelesene Literatur einsteigen, aber so sehr brennt mir dieses Thema – jedenfalls zur Zeit – nicht auf den Nägeln. Ohnehin fehlt mir der Überblick über die Breite der Fachliteratur, um die Ideen von Konrad Bauersachs in der von mir vertretenen Form tatsächlich wissenschaftlich untermauern zu können.

Daher veröffentliche ich mit dem heutigen Datum die vor einem Jahr fertiggestellte Buchbesprechung als Denkanstoß für Menschen, die an der Bibel und ihrer Geschichte interessiert sind. Neugierig wäre ich, was Fachwissenschaftler dazu zu sagen hätten – sei es, um die Hypothese zu widerlegen oder um vielleicht doch die eine oder andere Idee zu erwägen.

Anmerkungen

<01> Zum Datum der Fertigstellung und der Veröffentlichung siehe Kapitel 8 Nachtrag – ein Jahr später.

<02> Alle Zitate in dieser Buchbesprechung, die nach einer bloßen Seitenzahl ohne weitere Quellenangabe aufgeführt werden, stammen aus dem besprochenen Buch von Konrad Bauersachs, Natürlich hat die Bibel Recht. Geschichte statt Geschichten. Von Abraham bis König David, Rosenheim 2014, dabei sind längere Zitate blau hinterlegt. Die Hervorhebung geographischer Angaben durch * in seinen Zitaten lasse ich weg; hin und wieder füge ich eine Verlinkung zu Google Maps hinzu. Zitate aus anderen Büchern sind rot hinterlegt. Angaben innerhalb von Zitaten in geschweiften Klammern {} stammen von mir.

Bibelstellen in diesem Beitrag zitiere ich nach: Elberfelder Bibel, revidierte Fassung 1993, © 1994 R. Brockhaus Verlag, Wuppertal; solche Bibelzitate sind gelb hinterlegt.

Übersetzte biblische Namen können in Zitaten verschiedener Autoren voneinander abweichen.

Für hebräische Wörter benutze ich meist allgemein übliche Eindeutschungen. Wenn ich hebräische Wörter genauer wiedergeben will, greife ich zur deutschen Umschrift auf Großbuchstaben für Konsonanten und kleine Buchstaben für Vokale zurück. Großgeschriebene Vokale tauchen nur als Umschrift für die hebräischen Konsonanten Jod und Waw auf, wenn sie als Vokal für I bzw. O oder U stehen, oder für die beiden Knacklaute Aleph und Ajin, die beide im Anlaut mit A, Ä oder E ausgesprochen werden können und die ich zusätzlich mit ˀ bzw. ˁ umschreibe (im Deutschen werden Knacklaute nicht besonders bezeichnet, z. B. der Laut, mit dem Wörter wie „arbeiten“ oder die zweite Silbe in dem Wort „geehrt“ beginnen). Das unbetonte erste „e“ in dem genannten Wort „geehrt“ entspricht dem hebräischen Schwa, das ich mit „ə“ umschreibe. Die Bezeichnung Ph statt P steht für den weich ausgesprochenen Konsonanten Pe (beim weichen Kaph und Beth, die wie Ch oder W ausgesprochen werden, verzichte ich auf eine solche Unterscheidung). Ein Ḫ steht für das hebräische Chet und wird wie Ch ausgesprochen, ein Th unterscheidet das Taw vom T wie Tet. Und die S-Laute unterscheide ich folgendermaßen: Zajin = Z (Aussprache: weiches S); Samech = S und Sin = Ss (Aussprache: scharfes S) sowie Schin = Š (Aussprache: Sch), Tsade = Ts (Aussprache: deutsches Z).

<03> Er verweist in Anm. 5 zum Beispiel auf Geologen, Klimaforscher oder Botaniker.

<04> Bauersachs, S. 1:

Ein halbes Jahrhundert später hat die nüchterne Archäologie bewiesen, dass Keller zahlreiche Irrtümer unterlaufen sind. Angesehene Wissenschaftler, allen voran Israel Finkelstein (Universitat Tel Aviv), haben auch in populärwissenschaftlichen Veröffentlichungen belegt, dass die Bibel doch nicht Recht hat, wenn man Werner Kellers Begründungen folgt und/oder die biblischen Texte wörtlich nimmt und nicht hinterfragt.

<05> Niels Peter Lemche, Die Vorgeschichte Israels. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts v. Chr., Stuttgart, Berlin, Köln 1996. Die folgenden Seitenzahlen stammen aus diesem Buch.

<06> Vgl. dazu meine Tierpredigten, in denen ich auf Ideen aus dem Buch von Vitus B. Dröscher, Über die Tierwunder der Bibel, Esslingen 1990, zurückgreife, um Tierwunder der Bibel auf natürliche Ursachen zurückzuführen.

<07> Zur Frage, wie „aus – sozusagen fälligen – Zufällen Sinnzusammenhänge entstehen“ vgl. meinen Beitrag Zu-fällige Zugänge zur Analyse der Psyche.

<08>  Diese jüdische Bezeichnung für die hebräische Bibel ist ein Kunstwort aus den Anfangsbuchstaben der Begriffe TORaH = „Gesetz, Wegweisung“, NəBIIM = „Propheten“ und KəTUBIM = „Schriften“.

<09> Herbert Donner, Geschichte des Volkes Israel und seiner Nachbarn. Grundrisse zum Alten Testament Band 4/1 (Göttingen 3.durchgeseh. Aufl. 2000), S. 132f.

<10> Bauersachs bezieht sich hier auf die beiden Bücher der Autoren Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman, Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel, München 2002, und David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München 2006. Letzteres Buch habe ich unter dem Titel David und Salomo – wie die Geschichte ihr Bild formte besprochen.

<11> Zur Bedeutung dieses Wortes siehe Abschnitt 2.4.3.

<12> Zur Erklärung des Begriffs der „Metathese“ vgl. Bauersachs, S. 21f.:

Als ob dies noch nicht genug Verwirrung stiftet, gibt es in allen Sprachen noch die Umstellung von Buchstaben innerhalb eines Wortes im Laufe der sprachlichen Weiterentwicklung. Ursache ist häufig die einfachere Aussprache nach einer solchen Änderung. Das läuft meist regional unterschiedlich ab und lässt neue Wörter entstehen, die anderswo nicht verstanden oder missverstanden werden. Nicht nur im Hebräischen und in semitischen Sprachen gibt es Metathesen: In Nachbarregionen wie Kurdistan sorgen sie ebenfalls für Irritationen, wenn firin und rifin „fliegen“, zimirdin und mizardin „zählen“ bedeuten kann…

Sogar die deutsche Sprache kennt solche Besonderheiten: Im Alpenraum wird aus „die Wespe“ „der Weps“…

<13> Bauersachs verweist dazu in Anm. 52 auf: v.Soden, Prop. II dort Seite 73 ff. Der Text ist auch enthalten in: Wolfram von Soden (1908-): Der leidende Gerechte Ludlul bel nemeqi „Ich will preisen den Herrn der Weisheit“. In: Kaiser, Otto (ed.): Weisheitstexte I, TUAT 3,1. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus, 1990, 110-135.

<14> Bauersachs verweist dazu auf eine bereits 1906 erschienene Studie von Jastrow mit dem Thema „Eine babylonische Quelle für das Buch Hiob?“ im Journal of Biblical Literature XXV 1906, dort 135ff. und 1911 Simon Landersdorf; Biblische Studien.

<15> Niels Peter Lemche, Die Vorgeschichte Israels. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts v. Chr., Stuttgart, Berlin, Köln 1996, S. 62.

<16> Vorgängerreiche Babyloniens in Südmesopotamien waren die Sumerer und Akkader.

<17> Bauersachs, S. 43:

Geographisch gehört Elam nicht mehr zum Zweistromland, als unmittelbarer Nachbar Babyloniens und Assyriens war es stets eng mit deren Schicksal verbunden.

<18> Hierzu verweist Bauersachs, Anm. 20, auf „die Gärten der Semiramis, die möglicherweise im Raum Ninive zu suchen sind“.

<19> Dazu verweist Bauersachs, S. 365, Anm. 8, auf: RINAP 3/2 #223, Zeile 15b – 23a; dto 138 rev. Zeile 17-18; siehe auch Bagg, Die Assyrer und das Westland, dort Seite 29.

<20> Bauersachs, S. 49:

Von Alttestamentlern wird das Land Hawila in Äthiopien gesucht, weil sich diese Bezeichnung dort südlich der Meeresenge Bab-el-Mandeb im Stammesnamen Abilitai erhalten haben soll. Einfacher und naheliegender ist es, in Mesopotamien nach der genannten Region zu suchen…

<21> So wie sich Wikipedia-Autoren vorstellen können, dass der „heutige kurdische Name Hewlêr … wohl eine weitere Veränderung des Wortes Arbel um verschiedene phonetische Metathesen“ ist, kann auch das hebräische Wort ḪaWILaH von Urbilum oder Arbailu abgeleitet worden sein.

<22> Offenbar durch ein Versehen beziffert er „dessen Regierungszeit“ hier doch nach der so genannten Kurzen Chronologie mit „etwa 1728 bis 1686 v. Chr.“; ich beziehe mich hier auf seine Angabe der Mittleren Chronologie von S. 27.

<23> Bauersachs, S. 50:

Dass dieser Codex heute noch erhalten ist, verdanken wir einem Raubzug des elamischen Königs Šutruk-Nahhunte. Dessen Hobby war neben der Kriegsführung das Sammeln solcher Stelen mit Gesetzestexten und Grenzurkunden, die er gerne um eigene Inschriften ergänzte. Er entführte die Codex Hammurabi-Stele aus Sippar und reihte sie in seiner Hauptstadt Susa in seine Sammlung ein. Hier hat sie drei Jahrtausende unbeschädigt überstanden, bis sie 1902 bei französischen Ausgrabungen entdeckt wurde. Heute steht sie im Louvre.

<24> Dazu gehörte (Anm. 59) das „Abschneiden von Köpfen“, aus denen „Pyramiden“ errichtet wurden (vgl. dazu, was später von Jehu berichtet wird, Abschnitt 6.4.9.3).

<25> Zum Beispiel (Anm. 60) das „Abschneiden der Ohren, Übergießen des Gesichts mit heißem Asphalt“, und weiter:

Bei Sanherib: Leichen werden rund um die Stadt auf Pfähle gehängt RINAP 3/2 138 Zeilen 15-22 „Die Lippen schnitt ich ab, um ihren Stolz zu brechen; die Hände schnitt ich ab wie Gurkenstängel“ RINAP 3/2 146 Zeile 3.

<26> Nach der Mittleren Chronologie; Bauersachs gibt hier wieder ein Datum der Kurzen Chronologie an: „um 1660 v. Chr.“

<27> Bauersachs, S. 88:

Zu Napḫuri’a [dem Großkönig; Anm.: wohl Thronname des Amenophis IV.], dem König des Landes Ägypten, meinem Bruder, s[prich]; so (spricht) Aššur-Uballit, der König des Landes Aššur; der Großkönig, dein Bruder: Dir, deinem Hausstand und deinem Land gehe es gut.

Dazu Anm. 54:

Daniel Schwemer; Briefe aus dem Archiv von el-Amarna eigene Hervorhebungen Amarnabrief EA 16: Vers 1-4.

<28> Bauersachs, S. 88:

Fast zeitgleich {mit dem eben zitierten Abkommen Aššur-Uballits} beschwerte sich der Kassitenkönig Burna-Buriaš II. (1359–1333) ebenfalls bei Amenophis über die Ermordung babylonischer Kaufleute und verlangt Wiedergutmachung; auch er nennt den Pharao in diesem Schreiben mehrmals „Bruder“):

Sp[rich z]u Nibḫurrereja, dem König des Landes Ägypten, meinem Bruder; so (spricht) Burna-Buriaš II., des Königs des Landes Kar[dunias; Anm.: Babylonien], dein Bruder: Mir geht es gut. Dir deinem Land, deinem Hausstand, deinen Frauen, dei[nen] Kindern, deinen Großen, deinen Pferden (und) deinen Streitwagen möge es sehr gut gehen. Ich und mein Bruder haben uns gegenseitig gute Freundschaft erklärt. … .

Dazu Anm. 55 als Quellenangabe:

Daniel Schwemer; www.altorientalistik.uni-wuerzburg.de Amarnabrief EA 8: Vers 1-8 – eigene Hervorhebung

<29> So übersetzt die Lutherbibel von 1545 und noch die Revision von 1912 HaˀIŠaH HaKUŠITh (wörtlich = „die kuschitische Frau“) in 4. Mose 12,1.

<30> MeŠaˀ und SɘPhaR grenzen in 1. Mose 10,30 den Siedlungsbereich der Nachkommen Sems ein:

Und ihre Wohnsitze sind von Mescha bis nach Sefar hin, bis an das Gebirge des Ostens.

<31> Die Erklärung des Wortes Antiklinale erfolgt im Zusammenhang mit der Erklärung des Untergangs von Sodom und Gomorrha auf S. 153f. und mit Hilfe der Abb. 12.4.3.1 (siehe hier Abschnitt 3.10.2).

<32> Er wird als (S. 111) „historische Figur“ durch „einige Inschriften“ belegt, auf die ich hier nicht näher eingehe

<33> Siehe dazu seine Ausführungen über den „Kriegsbericht“, Abschnitt 3.9.

<34> Das Bild ist auf der Seite https://www.timediver.de/Islamische_Republik_Iran_Khuzistan.html in der 13. Reihe der Fotografien zu sehen.

<35> Bauersachs, S. 114:

Von den Dynastiegründern Igi-Halki und Humban-Numena {Igi-Halkis Enkel} vermutet man, dass ihre Heimat Malamir war, das heutige Izeh, im Bergland rund 180 km östlich von Susa.

<36> Dieses historische Dokument beweist nach Bauersachs, S. 263:

Im Raum Palästina gab es also bereits zur Zeit des Exodus (ca. 1220 v. Chr.) unabhängig von den Nachkommen Abrahams ein Volk Israel, das mit den anderen Bewohnern der Region Ziel einer ägyptischen Strafexpedition zur Zeit Merenptahs (ca. 1210 v. Chr.) war.

Siehe dazu Abschnitt 6.1.1.

<37> Auf einige Gesichtspunkte zu dieser Frage gehe ich in meinen Beitrag Ist es so neu, die Bibel als Heide zu lesen? im Abschnitt Zur Überschrift und zum Stammbaum Jesu nach Matthäus ein.

<38> Bauersachs, S. 76, Anm. 25:

Geologisch ist dieser Bergrücken eine Antiklinale; siehe Skizze Abbildung 12.4.3:1 und Karte Abbildung 11.1.2:1.

Vgl. dazu Abschnitt 3.10.2.

<39> Letztere sind durch die Niederschrift der Bibel natürlich mit den Gegebenheiten in Palästina verknüpft worden, das mit dem Land Kanaan identifiziert wurde; im Jamutbal könnte Kanaan mit dem Ort Chananeh in Verbindung stehen (siehe Abschnitt 3.5.3).

<40> Bauersachs verweist dazu in Anm. 18 auf Joan Oates; Prehistoric Investigations near Mandali, Iraq.

<41> Ein weiterer Ort mit dem Namen Chenaneh ist südlich von Susa in unmittelbarer Nähe von Haft Tepe zu finden, gehört aber nicht mehr zum Jamutbal.

<42> Bauersachs sieht dieses „Südland“ später etwas anders; siehe Abschnitt 3.7.2.

<43> Bauersachs (S. 77) führt versehentlich 1. Mose 31,15 an.

<44> Bauersachs bezieht sich dazu in Anm. 27 auf die ISBE: „International Bible Standard Encyclopedia Stichwort Pnuel; eigene Übertragung“.

<45> Einen dritten Fluss Jabbok, der in Josua 12,2 erwähnt wird, wird Bauersachs später mit einem anderen Fluss in Transjordanien identifizieren, der ebenfalls Schabaich heißt (S. 77):

Dieser Schabaich-Jabbok in Moab ist ein nördlicher Parallelfluss des Arnon (heute Mujib).

<46> Dazu Bauersachs, Anm. 45:

Zu Abu Edham und Abu Shubaicha: Archaeology and Cultural Heritage of Halfaya Contract Area and its Environs Tabelle 4 dort Seite 21 und Archeological Map of Iraq (The Republic of Iraq – Directorate General of Antiquities).

<47> Dazu schreibt Bauersachs in einer persönlichen Mitteilung:

Mir geht es lediglich darum zu zeigen, dass es zwischen Euphrat und Tigris zahlreiche weitere „Ägypten“ gibt. Dass diese mit Abraham nicht das geringste zu tun haben, ist klar. Vielleicht habe ich das nicht deutlich genug rübergebracht.

<48> So Stefan Ihli, Die „Gefährdung der Ahnfrau“, der aus Klaus Koch, Was ist Formgeschichte? Neue Wege der Bibelexegese, Neukirchen-Vluyn 1964, S. 140, folgendermaßen eine von diesem herausgearbeitete „Grunderzählung“ zitiert: „(…) anläßlich einer Hungersnot sei Isaak aus der Wüste südlich Palästina nach der nahen kanaanäischen Stadt Gerar gezogen (…). Von seiner Frau habe er gesagt, sie sei seine Schwester (…) Der Stadtkönig Abimelech habe sie in seinen Harem geholt. Isaak aber habe er reich beschenkt. Da hier ein objektiver Frevel vorlag, habe Gott die Bewohner des Palastes mit rätselhafter Krankheit geschlagen. Durch Befragung seiner Götter oder Wahrsager habe Abimelech erkannt, was geschehen war, und Isaak zur Rede gestellt (…) Dann aber habe er ihm die Frau zurückgegeben und ihn, mit Geschenken reich beladen, entlassen.“

<49> Nebenbei bemerkt erwähnt er versehentlich fälschlich „Philister“ und „Hethiter“ als „Kontrahenten“ Abrahams und Lots im Lande; tatsächlich ist hier nur von „Kanaanitern und Perisitern“ die Rede.

<50> Siehe unten Abschnitt 3.10.4 zur Lage von Sodom und Gomorrha.

<51> Erasmus Gaß, WiBiLex, 2019:

Neuerdings wird der Ausdruck Kanaanäer und Perisiter sogar als Hendiadyoin betrachtet (Webb), wobei Kanaanäer der allgemeine Ausdruck wäre,der durch Perisiter im Anschluss näher spezifiziert würde. Dann wären die Perisiter eine Untergruppe der Kanaanäer.

<52> Bauersachs wies mich neuerdings außerdem persönlich darauf hin, dass Detlef Jericke die Perser noch auf andere Weise mit den Perisitern in Verbindung bringt (nach Erasmus Gaß, WiBiLex 2019):

Manchmal wurde sogar vermutet, dass die „Perisiter“ (przj) eine Anspielung auf die Perser (prsj) seien. Mit dem Doppelausdruck „Kanaanäer und Perisiter“ habe man folglich die Vorbewohner (Kanaanäer) und die realen Mitbewohner (Perisiter = Perser) im Blick (Jericke). Ob hier aufgrund der ähnlichen Konsonanten eine verdeckte Anspielung vorliegt, ist jedoch fraglich.

<53> An gleicher Stelle will er die Perser auch mit den in 1. Mose 13,7 gar nicht genannten PɘLišThiJ = Philistern identifizieren, denn:

Die „Pereset“ werden derzeit (je nach Wunsch) „Peleset“, „Piliset“ oder letztlich „Philister“ gelesen, nach denen das Land Palästina genannt wird.

Aber, wie gesagt: diese Völker haben gar nichts miteinander zu tun.

<54> Bauersachs beruft sich dazu in Anm. 72 auf die Inschrift „RINAP 3/2 44 Pillatu Zeilen 28 und 29; In RINAP 3/2 46 wird zusammen mit Pillatu in Zeile 87 der Fluss Ulai (s. Seite 2109) genannt.“

<55> Dazu Bauersachs, S. 127:

Seit Jahrhunderten halten alle Textanalytiker diesen Kedor-Laomer zwangsläufig für einen König von Elam, es steht ja so da, also besteht kein Grund zu zweifeln. Zudem scheint der Namen gut elamisch zu klingen, der Bestandteil Kedor lässt sich als Kutur (z.B. Kutir-Nahhunte 1160 – 1140 v. Chr.) lesen und aus Laomer wurde ein Bezug zur elamischen Gottheit Lagamar konstruiert; hier könnte der elamische König Šilhina-amru-Lagamar Pate stehen. (um 1005 v. Chr.)

Dumm ist, dass dieser offenbar bedeutende elamische König Kedor-Laomer des Alten Testaments historisch ein absolut unbeschriebenes Blatt ist, nur diese einzige biblische Textstelle kennt ihn. Dies ist für Kritiker ein weiterer Grund, die Geschichtlichkeit des Alten Testaments an dieser Stelle und in Folge als Ganzes in Frage zu stellen.

Dumm ist aber auch, dass es einige nichtelamische Könige gibt, die ebenfalls „Kudur“ im Namen tragen: Allerdings kommen weder der kassitische Kudur-Enlil II (1264-1255) noch der assyrische Enlil-kudur-usur (1186 – 1182) für diesen Zwischenfall in Frage. Das sehe ich als deutlichen Hinweis darauf, dass zum Zeitpunkt der Niederschrift der wirkliche Name längst vergessen war und die Redaktoren aus bekannten typisch elamischen Bestandteilen einen vermeintlich passenden Namen zusammengesetzt haben; diese Konstruktion hatte immerhin gut zweieinhalb Jahrtausende Bestand.

<56> Bauersachs, S. 122:

Eine denkbare Herkunft des Namens Arjoch könnte die hurritische Sprache sein. Die Hurriter herrschten bis etwa 1340 v. Chr. im nördlichen Mesopotamien, auch in Chuzistan fand man in Haft Tepe zahlreiche Siegel mit hurritischen Namen. In einer Liste hurritischer Namen (so J.A. Brinkman) finden sich Namen wie Arija, Arichamanu oder Arikuša. Im biblischen Buch Judith 1,6 wird ein Elamerkönig Arjoch als Zeitgenosse Nebukadnezars II. (605-562 v. Chr.) erwähnt; sein Herrschaftsgebiet soll sich von Elam bis nach Rages … ausgedehnt haben…, heute ein Vorort (Raj) von Teheran… Vor diesem Hintergrund wäre der Königsname Arjoch eindeutig altpersisch. Es macht aber keinen Sinn im zeitlichen und räumlichen Zusammenhang, diesen späten Arjoch mit dem des biblischen Elamkrieges zu identifizieren:

Zeitlich tritt er mit einem persischen Namen in Mesopotamien etwa 1000 Jahre zu früh auf, räumlich ist er im persischen Hochland zuhause. Ein persischer Name an dieser Textstelle könnte aber ein weiterer Hinweis auf die Entstehungszeit der Niederschrift sein: Manche Bibelkritiker (Lemche) datieren sie in diese Zeit, die Redaktoren der Niederschrift hätten dann das historische Umfeld gegen Ende des babylonischen Exils festgehalten. Der Niedergang Babylons und seine Eroberung durch den Perserkönig Kyros (538 v. Chr.) wurde halbwegs korrekt einem persischen König Arjoch zugeordnet, sein Name aber um 800 Jahre zeitversetzt mit Abraham verknüpft.

<57> Persönliche Mitteilung von Konrad Bauersachs:

Auch Bürgermeister (melek) des / der Nachbarorte oder Generäle sind eine gute Idee – hätte ich auch drauf kommen können!

<58> Zu dieser Etymologie beruft sich Bauersachs in Anm. 27 auf: Willi-Plein, Das Buch Genesis, dort S. 47.

<59> Zur Erklärung von „Metathese“ siehe Anm. 12.

<60> Hierzu verweist Bauersachs, S. 126, Anm. 35, auf eine persönliche Mitteilung von Daniel T.Potts; Autor von The Archeology of Elam.

<61> Bauersachs, S. 126, Anm. 37:

Sanherib (705-680) rühmt sich, in der Susiana u.a. den Ort Bela erobert zu haben (RINAP 3/2 213 Zeile 45) Bela wird nochmal im Zusammenhang mit Nagitu (siehe Seite 216) genannt und hat wohl im Meerland oder der südlichen Susiana gelegen.

<62> Die Amalekiter mit der Gegend um Basra im Zusammenhang mit dem Beginn der Wüstenwanderung, die Amoriter mit Transjordanien im Zusammenhang mit den Königen Og und Sihon.

<63> Er beruft sich dazu in Anm. 26 auf: Hugo Winckler; Sprachwissenschaftler f. orientalistische Sprachen 1863-1913.

<64> Zu dieser Möglichkeit verweist er in Anm. 9 auf: P. Herero, Tablettes Administratives de Haft Tepe, CDAFI 6, 1976, dort pp. 93-116.

<65> Dazu verweist Bauersachs in Anm. 8 auf: Potts, The Archeology of Elam, dort Seiten 192-193 eigene Übertragung.

<66> Mit dieser Formulierung setzt Bauersachs eigentlich voraus, dass Tepti-Ahar einer der fünf Könige war, die Kedor-Laomer gegenüberstanden. In einer persönlichen Mitteilung meinte er, dass von fünf Freunden die Rede hätte sein müssen.

<67> Dazu fasst Bauersachs (S. 133) nochmals seine Argumente zusammen:

• Fakt ist, dass Tepti-Ahar etwa um 1333 v. Chr. den Weggang des Königssohns Kadašman-KUR.GAL genutzt hat, um wieder an die Macht zu kommen.

• Fakt ist, dass Tepti-Ahar unvermittelt sang- und klanglos verschwand

• Fakt ist, dass Kurigalzu II. seinem Erzfeind Hurpatila eine katastrophale Niederlage bereitet hat und dies mit Bezug auf Hurpatila ausführlich dokumentierte (um 1332 v. Chr.)

• Fakt ist, dass sich Kurigalzu II. in der Susiana mit Zerstörungen und dem an sich üblichen Verschleppen von Trophäen ins heimische Babylon auffallend zurückgehalten hat

• Fakt ist, dass Untaš-Napiriša in Elam (Anšan) und Kurigalzu II. in Babylon gleichzeitig regiert haben (Familienbande durch dynastische Ehe)

<68> Dazu beruft sich Bauersachs, S. 132, Anm. 17, auf: Fischer Weltgeschichte dort S. 1603.

<69> Dazu S. 135, Anm. 4:

Marḫaši sei eine sehr junge Bezeichnung des Gebietes von Baraḫsĕ; so Fischer Weltgeschichte, dort S. 2220.

Marḫaši sei die ältere sumerische Bezeichnung, Baraḫsĕ sei die jüngere; so dagegen W. F. Albright: A Babylonian Geographical Treatise on Sargon of Akkad’s Empire, dort Seite 232. Er sucht Marḫaši nördlich oder nordwestlich der Susiana; denkbar sei auch eine Lage zwischen Tigris und Zagros, also im Raum Jamutbal. Der biblische Bericht unterstützt diese Auffassung; ich halte das für realistischer als ein Marḫaši weit im Osten Elams.

Vallat und mit ihm die meisten Historiker lokalisieren Marḫaši zwischen Anšan und der Küste des Persischen Golfs oder des Indischen Ozeans (in ÉLÉMENTS DE GÉOGRAPHIE ÉLAMITE)…

<70> Dazu verweist Bauersachs in Anm. 11 auf Herodot Historien VI.119.

<71> Siehe Skizze 12.4.5.1 und die Erklärung in Abschnitt 3.10.2.

<72> Persönliche Mitteilung von Konrad Bauersachs:

Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass dieser scheinbare Umweg einzig und allein dem Beutemachen galt. Das heutige Damaskus war zum Zeitpunkt der Niederschrift gut bekannt und diese Entfernungsangabe mit dem heldenhaften Einsatz sicher respekteinflößend. Andererseits: Was sollen kassitische/babylonische Truppen im heutigen Damaskus?

<73> Folgende Daten fügt er in Anm. 16 für Meli-Šihu hinzu:

um 1186 – 1172 v. Chr. Seine Tochter war mit Elamerkönig Šutruk-Nahhunte II. 1185 – 1155 verheiratet; Daten nach Potts, The Archeology of Elam.

<74> Persönliche Mitteilung von Konrad Bauersachs:

In Transjordanien entlang des Toten Meers gibt es zahlreiche schwefelhaltige Quellen. Stinkt und ist gelb.

<75> Bauersachs, Anm. 39:

Beim Ausweichen der Platten nach unten entstehen Täler: Synklinale = Talbildung.

<76> Bauersachs, Anm. 43:

Khami siehe Karte 12.3.1:3. Quelle: Gholam- Hussein Nozari, Managing Director of the National Iranian Oil Co.

<77> Bauersachs zitiert ihn in Anm. 28:

A. H. Layard: A Description of the Province of Khuzistan; in: Journal of the Royal Geographical Society of London, dort S. 49 – eigene Übertragung – Zur Zeit Layards gab es noch keine Erdölindustrie in Chuzistan!

<78> Ich verwende die Umschreibung aus Gründen, siehe Abschnitt 3.7.3.

<79> Vgl. dazu meine Betrachtung Hagar erlebt Ostern: „Du bist ein Gott, der mich sieht!“

<80> Inzwischen habe ich mich aber durch Irmtraut Fischers Buch Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12-36, Berlin – New York 1994, davon überzeugen lassen, dass doch 1. Mose 12 als ursprüngliche Version der Erzählung von der Gefährdung der Ahnfrau angesehen werden muss und 1. Mose 26 die späteste Bearbeitungsstufe darstellt. Vgl. den Abschnitt Warum wird drei Mal von einer Preisgabe der Ehefrau erzählt? in meiner Buchbesprechung Sara und Hagar – Frauenbefreiung im 1. Buch Mose.

<81> Und zwar in 2. Mose 21,2; 5. Mose 15,12; Jeremia 34,9.14 zur Bezeichnung israelitischer Sklaven, in 1. Samuel 4,6.9; 13,3.7.19; 14,11.21; 29,3 im Zusammenhang mit Kämpfen Samuels, Sauls und Davids gegen die Philister und in Jona 1,9 als Selbstbezeichnung des Propheten Jona.

<82> Detlef Jericke, Artikel „Hebräer/Hapiru“, erstellt in: Das wissenschaftliche Bibellexikon im Internet (WIBILex), März 2012.

<83> Also als Gattungsbezeichnung, nicht als Ausdruck für eine Volkszugehörigkeit.

<84> Dazu weiter Bauersachs, S. 174):

Selbst das Alte Testament spricht von „altem Getreide“, wenn es schon drei Jahre in den Speichern gelagert war, denn jedes siebte Jahr (Sabbatjahr) sollten die Felder nicht besät und abgeerntet werden:

2. Mose 23,10 Sechs Jahre sollst du dein Land besäen und seinen Ertrag einsammeln. 11 Aber im siebten sollst du es brachliegen lassen und nicht bestellen, damit die Armen deines Volkes davon essen.

3. Mose 25,22 Und wenn ihr im achten Jahr sät, werdet ihr noch altes Getreide vom Ertrag des sechsten Jahres essen. Bis ins neunte Jahr, bis sein Ertrag einkommt, werdet ihr altes Getreide essen.

Allerdings wird in diesem Zusammenhang gar keine Aussage darüber gemacht, ob das Getreide auf Grund seines Alters noch verwertbar ist, sondern „alt“ bezieht sich einfach auf den Ertrag des vorvorigen Jahrs, weil man ja im siebten Jahr nichts geerntet hat. Es geht also um ein völlig anderes Thema.

<85> Den Satz: „Josef beginnt für sein Hilfsprogramm Getreide zu sammeln“ muss Bauersachs hier wohl irrtümlich eingeschoben haben, denn Josef hat ja stattdessen vorher, in den fetten Jahren, Getreide gesammelt und kann damit nicht erst in den mageren Jahren angefangen haben.

<86> Ton Veerkamp, Die Welt anders. Politische Geschichte der Großen Erzählung © Institut für Kritische Theologie Berlin e. V. nach der in Berlin erschienenen Ausgabe © Argument Verlag 2013, S. 105f.

<87> Nur nebenbei sei bemerkt, dass die Tatenlosigkeit der Assyrer darauf zurückzuführen sein könnte, dass „Assyrien im Norden Mesopotamiens inzwischen ebenfalls unter Trockenheit und Missernten“ litt; auf innenpolitische Ursachen deutet hin, dass wenige Jahre später „Tukulti-Ninurta von einem seiner Söhne ermordet worden ist (um 1207) und Assyrien anschließend für 100 Jahre in der Versenkung verschwindet“. Auch gab es (S. 180f.) in

der Zeit zwischen etwa 1225 und 1175 … entlang der eurasischen und afrikanisch-arabischen Kontinentalplatte eine Reihe sehr heftiger Erdbeben. Seuchen waren die Folge und der notwendige Wiederaufbau ließen keine Zeit für Eroberungen und schwächte Assyrien; in dieser Zeit vertauschten sich die politischen Rollen:

Die Herrschaft der assyrischen Marionette Adad-Šuma-Iddina in Babylon endet und Adad-Šuma-Usur (1220-1189), ein leiblicher Sohn des Kassiten Kaštiliaš IV., übernimmt den Thron. Nach dem Tod Tukulti-Ninurtas startet Adad-Šuma-Usur einen erfolgreichen Feldzug gegen Assyrien unter Enlil-kudurri-usur und setzte seinen eigenen assyrischen Schützling Ninurta-apil-Ekur auf den Thron in Aššur.

Wann genau Ninurta-apil-Ekur (1192-1189) aus dem babylonischen Exil nach Assyrien zurückkehrte und mit Unterstützung der Kassiten den letzten der drei Söhne des Tukulti-Ninurta abgelöst hat, ist unsicher. In dessen Regierungszeit ereignete sich ein dokumentiertes heftiges Erdbeben, das den Ištar-Tempel in Aššur zerstörte…

<88> Bauersachs, Anm. 4:

Quelle und Übersetzung Eckart Otto, Die Tora; dort S. 17 (auch Thora oder Torah; das sind die Mosebücher-Pentateuch siehe dazu Seite 13)

<89> Auch Bauersachs findet einerseits (S. 185) – allerdings im Blick auf die traditionelle Lokalisierung Midians 350 km östlich von Ägypten – eine „gezielte 350 km weite Flucht des Straftäters Mose durch Wüsten und Steppen übertrieben; ein Einzelner findet leicht bei einem fremden Stamm Unterschlupf“. Andererseits hatte Bauersachs in einem anderen Zusammenhang darauf hingewiesen (S. 173), „dass für Flüchtlinge damals selbst Strecken von mehreren hundert Kilometern keine Hürde darstellten“; dasselbe dürfte für einen Menschen gelten, der vielleicht zu den Ḫabiru zählte und sich dazu berufen fühlte, einen Aufstand anzuzetteln.

<90> Zu dessen Lokalisierung siehe Abschnitte 5.3.1.3 und 5.3.4.2.

<91> Nur nebenbei weise ich auf eine weitere Argumentation von Bauer­sachs hin, die er in seinem Zusammenhang dann doch nicht weiter verwendet (S. 186):

Die scheinbare Trennung des Ehepaars Zippora – Mose kann einen weiteren Hinweis auf einen Aufenthalt in Babylonien liefern: Der assyrische König Tiglat-Pileser I. (1117 – 1077 v. Chr.) war einerseits ein unermüdlicher Krieger, hat aber andererseits literarische und juristische Texte sammeln lassen.

In diesen Texten aus der Zeit zwischen dem 15. und 12. Jahrhundert finden sich in der Tafel A zahlreiche Paragraphen, die die rechtliche Stellung der Frau in der assyrischen Gesellschaft regeln. Darunter sind Artikel, die sich auf Frauen beziehen, die trotz Verheiratung (siehe Zippora und Mose) weiterhin bei ihrem Vater (Jithro) wohnt. (sog. Sadika-Ehe)

Die eigenartige scheinbare Trennung Mose-Zippora lässt sich aber einleuchtend erklären, ohne die Sadika-Ehe zu Hilfe nehmen zu müssen.

<92> Bauersachs, Anm. 2:

aus dem Richterbuch Ri 3,9; 12,3 Transliterated BHS Hebrew Old Testament aus BWW

<93> Bauersachs verweist in Anm. 21 darauf, dass er diesen Hinweis Dr. Behzad Mofidi-Nasrabadi, Uni Mainz, verdankt.

<94> Hierzu zitiert Bauersachs, Anm. 16, H.Eising; 1961 aus Schmidt, Exodus, Sinai und Mose, dort S. 50.

<95> Dazu beruft er sich in Anm. 26 auf

Steidinger u. Burkholder, 1996 http://botany.si.edu/references/dinoflag/Taxa/Ppiscicida.htm.

Anm.: Brackwasser ist eine Mischung aus Meer- und Süßwasser.

<96> Vitus B. Dröscher, Über die Tierwunder der Bibel, Esslingen/Neckar 1990. Die Seitenzahlen für die rot hinterlegten Zitate im Zusammenhang der Thematik der „ägyptischen Plagen“ beziehen sich auf dieses Buch.

<97> Er bezieht sich natürlich auf die traditionell überlieferte Auffassung, dass die Plagen sich am Nil Ägyptens abspielten, aber seine Deutung dürfte genau so auf die elamitischen Flüsse zutreffen.

<98> Einzelheiten dazu hatte Bauersachs schon im Zusammenhang mit dem Untergang von Sodom und Gomorrha aufgeführt, siehe Abschnitt 3.10.2.

<99> Immanuel Velikovsky, Vom Exodus zu König Echnaton, Frankfurt/M. / Berlin / Wien 1981, S. 49f. Der äußerst umstrittene Autor hat auch mich vor Jahrzehnten sehr fasziniert, obwohl seine Thesen über kosmische Ursachen der Vorgänge im Zusammenhang mit dem Exodus und über umfassende Änderungen der antiken Chronologie einer genauen Überprüfung nicht standhalten.

<100> Nicht in das Buch von Bauersachs ist eine Zahlentheorie eingeflossen, derzufolge die hier angegebene hebräische Zahl ohnehin nicht als „600 000“, sondern nur als „600“ zu lesen ist.

<101> Die beiden folgenden rot hinterlegten Zitate innerhalb dieses Abschnitts stammen aus: Niels Peter Lemche, Die Vorgeschichte Israels. Von den Anfängen bis zum Ausgang des 13. Jahrhunderts v. Chr., Stuttgart, Berlin, Köln 1996.

<102> Bauersachs zitiert folgende zwei Stellen aus dem Buch Herodot, Historien, Kröner-Verlag Stuttgart (wozu er in Anm. 17 hinzufügt: „Hervorhebung durch den Autor; Das ‚Rote Meer‘ ist hier der Persische Golf, der Zusatz ‚reißender Strom‘ bezieht sich auf den Oberlauf des Euphrats im Gebirge“):

Buch I. Vers 80: „Das also war über den Mauerbau von Babylon zu sagen. Die Stadt selber zerfällt in zwei Teile. Mitten hindurch fließt nämlich der Strom, der den Namen Euphrat trägt und in Armenien entspringt, ein großer, tiefer, reißender Strom. Er mündet in das Rote Meer.“

Buch VI. Vers 20: „Die am Leben gebliebenen Milesier wurden gefangen nach Susa geführt. König Dareios tat ihnen weiter nichts, nur siedelte er sie am sogenannten Roten Meere an, in der Stadt Ampe an der Mündung des Tigris.“

Dieses Zitat bestätigt auch (Bauersachs, S. 205), dass „zu Herodots Zeiten (etwa 490 – 425 v. Chr.)“ Euphrat und Tigris „getrennte Mündungen“ hatten; „zur Zeit des Exodus, der rund 750 Jahre vor Herodots Reisen stattfand, dürfte die Situation ähnlich gewesen sein.“

<103> Bauersachs ergänzt folgendes Argument:

Zusätzlich belegt auch der Bericht des Arrian über die Kriegszüge des Alexanders d. Gr. (um 323 v. Chr.), dass der Persische Golf als Erythräisches Meer, also Rotes Meer, bezeichnet wurde:

„Von dieser Küste, wo die Flotte auf Reede lag, und von dem Vorgebirge {Anm. 22: Gemeint ist die Musandam-Halbinsel von Oman}, das sie sich ihnen gegenüber ins Meer erstrecken sahen, dehnte sich der Meerbusen – ich glaube es jedenfalls, auch Nearch {Anm. 23: Nearch war Admiral Alexanders des Großen} schien das so – nach innen aus und bildete wahrscheinlich das Erythräische Meer.“

Dieses Zitat belegt er in Anm. 24: „Arrian, Indike, 32; zitiert nach Prof. Geus und Anika Nauck, FU Berlin“.

<104> Die Bibelstelle 1. Mose 14,3, die das Tal Siddim mit dem Salzmeer in Verbindung bringt, wurde bereits in Abschnitt 3.10.4 besprochen.

<105> Nach Bauersachs (S. 205) gab es im Jahr 710 v. Chr. „eine verblüffende Orkan-Parallele zum Exodus“, und zwar in „der Zeit des Assyrerkönigs Sanheribs“. Der hatte einen „König des Meerlands, Marduk-apla-iddina“, den biblischen Merodach-Baladan, der aus „seinen sicheren Verstecken in den unübersichtlichen Sumpf- und Seengebieten“ nach Babylon vorgedrungen war und sich dort sogar zum König hatte ausrufen lassen, wiederum aus Babylon verjagt. Als Sanherib ihn sogar „über die Seen bis nach Elam“ verfolgen wollte, geriet er in

einen heftigen Sturm, der ebenso wie der biblische Orkan aus dem Osten kommend, sein Lager in Bit-Yakin (am Haur-al-Hammar) kniehoch überflutete und ihn tagelang an der Verfolgung seines Gegners hinderte. Erst nachdem sich der Wind gelegt hatte und das Wasser gesunken war, konnte Sanherib die Verfolgung fortsetzen.

<106> Folgende Daten liegen dieser Berechnung zu Grunde (207):

• Oberfläche des Persischen Golfs bis Al Qatar ca. 100.000 km²

• Küstenentfernung (Arabien – Iran) von Ost nach West rund 300 km (in Windrichtung, nicht die kürzeste Entfernung!)

• Sturmbedingter Wasserpegelanstieg an der Westküste 2 Meter (sehr zurückhaltend geschätzt)

• Strömung Richtung Nordwest entlang der Küste 10 km/h

• Wassertiefe des Persischen Golfs durchschnittlich 27 Meter

• Küstenlänge West ca. 400 km

• Engstelle bei Basra ca. 20 km breit

• Länge des „Wasserbergs“ entlang der Westküste 120 km (eine Nacht bei 10 km/h Strömung)

• Wassermenge: 2 m hoch x 150 km x 120 km : 2 ergibt rund 18 km³ (ca. 0,5% der Gesamtmenge des Persischen Golfes)

<107> Ludwig Schmidt, WiBiLex 2007, Artikel Wüstenwanderung.

<108> Dazu Ludwig Schmidt, Wüstenwanderung, WiBiLex 2007:

Die Auffassung, dass die Wüstenwanderung 40 Jahre dauerte (Dtn 2,7; Dtn 8,2.4; Dtn 29,4; Jos 5,6 u.a.), geht wohl erst auf die Deuteronomistik zurück (vgl. u.a. die deuteronomistische Bearbeitung der Amosüberlieferung Am 2,10; Am 5,25; → Deuteronomismus). Bereits nach der vorpriesterlichen Fassung der Kundschaftergeschichte (Num 13-14*) hatte JHWH der Exodusgeneration (außer → Kaleb) die Landnahme versagt, weil sie sich geweigert hatte, in das verheißene Land zu ziehen (Num 14,23-24). Da die erwachsenen Männer einer Generation in der Regel innerhalb von 40 Jahren starben, setzte die Deuteronomistik für die Wüstenwanderung 40 Jahre an und wirkte damit traditionsbildend. Deshalb war auch nach der → Priesterschrift Israel 40 Jahre in der Wüste (vgl. die Altersangaben für Mose in der Priesterschrift in Ex 7,7 und Dtn 34,7).

<109> Dazu zitiert Bauersachs in Anm. 7 Finkelstein/Silberman, Keine Posaunen vor Jericho, dort S. 75.

<110> Auch (S. 219) das angeblich „im Südosten“ von Edom liegende „Gebiet der (alttestamentlichen) Midianiter“ wird Bauersachs anderswo lokalisieren, nämlich in „Middine … etwa 15 km südöstlich von Kerak.“

<111> In Anm. 13 verweist Bauersachs auf die „Quelle: Finkelstein 2005; Khirbet en-Nahas, Edom and Biblical History ; eigene Übertragung.“

<112> Dazu beruft sich Bauersachs in Anm. 2 auf „Mazar, Archaeology of the Land of the Bible; dort S. 337“.

<113> Nach einer Information im englischen Wikipedia lag „Al-Qādisiyyah … im südlichen Mesopotamien, südwestlich von al-Hillah und al-Kūfah im Irak“, die „wegen der Schlacht von al-Qādisiyyah im Jahr 636 Berühmtheit erlangte, als eine Truppe arabisch-muslimischer Invasoren eine größere Armee des Sassanidenreichs besiegte“. Das ist meine eigene Übersetzung des folgenden englischen Originaltextes:

Al-Qādisiyyah (Arabic: القادسية‎) is a historical city in southern Mesopotamia, southwest of al-Hillah and al-Kūfah in Iraq. It is most famous as the site of the Battle of al-Qādisiyyah in c. 636, which saw a force of Arab-Muslim invaders defeat a larger army sent by the Sasanian Empire.

Als Koordinaten für die antike Stadt werden angegeben: 31°45’N 44°08’E.

<114> Ganz stimmt das nicht, zuvor erwähnt die Bibel noch ein Problem (2. Mose 15,22ff.) mit Wasserknappheit bzw. bitterem Wasser in der Wüste Schur bei Mara, einen Aufenthalt (15,27) bei Elim, wo es „zwölf Wasserquellen und siebzig Palmbäume“ gibt, und (16,1ff.) Nahrungsknappheit in der Wüste Sin, die durch die wunderbare Versorgung mit Wachteln und Manna überwunden wird, aber diese Stationen wird Bauersachs an späterer Stelle in die Reihenfolge der Lagerplätze einordnen.

<115> Bauersachs verweist dazu in Anm. 8 auf das Achaimenidenreich ca. 540-330 v. Chr. ; durch Alexander d.G. beendet.

<116> Bauersachs, S. 225:

Rund 3000 Jahre nach diesen Ereignissen hatte dieser Hügel aufgrund seiner exponierten Lage als Radarstation im 1. und 2. Golfkrieg erneut eine strategische Bedeutung für die irakische Luftwaffe.

<117> Davon geht er ja übrigens sogar selber aus, nur dass er den Horeb anderswo verortet, siehe mein Abschnitt 5.3.1.3.5.

<118> Die „fast namensgleiche Wüste Zin“ erwähnt auch Bauersachs im Zusammenhang mit „der Erkundung des Gelobten Lands (4. Mose 13,21)“. Falls diese Auskundschaftung aber ursprünglich mit Babylon zu tun gehabt hatte, wie vorhin erwogen, muss es sich (entgegen der Einschätzung von Bauersachs) nicht unbedingt „um zwei verschiedene Gegenden“ handeln.

<119> Eine russische Landkarte gibt diesen Ort übrigens mit Al Lasaf und nicht Al Lašaf wieder, was die Ähnlichkeit mit Alusch verringert.

<120> Ton Veerkamp, Die Welt anders. Politische Geschichte der Großen Erzählung, Berlin 2013, versteht die fünf Bücher Mose als ein Geschichtsbuch der Torarepublik, die in der persischen Provinz Jehud nach der Rückkehr aus dem babylonischen Exil seit der Mitte des 5. bis zum 2. Jahrhundert v. Chr. entsteht:

„Viel Erzählstoff in der heutigen Tora ist wahrscheinlich älteren Datums, aber die Tora und somit die inhaltliche Orientierung der Erzählstoffe stammt aus der Zeit der Torarepublik und spiegelt die politischen und sozialökonomischen Auseinandersetzungen jener Zeit wider.“

In diesem Zusammenhang deutet Veerkamp den in 4. Mose 16,1 bis 17,5 dargestellten Konflikt folgendermaßen: Als der Levit Korach gegenüber Mose und Aaron die Auffassung des 5. Buchs Mose vertritt, „es solle keine Priester und Lehrer geben, die über die Qahal Adonaj, die Versammlung des NAMENS, erhaben sind“ (2. Mose 19,6), was die Aaroniten anders auslegen, wird diese Opposition buchstäblich in Grund und Boden verdammt.

Vgl. auch meine Zusammenfassung seiner Ausführungen zum Geschichtsbuch der Torarepublik, Absatz 2, und zum 4. Buch Mose – Numeri, Absatz 7.

<121> Die Grundbedeutung der Wurzel ḪaQaQ ist „einritzen, meißeln, aushauen“, davon abgeleitet „(schriftlich) anordnen, befehlen“, daraus wiederum kann es in der hier benutzten Po‘el-Form zu den unterschiedlichen Bedeutungen „Gebieter, Leiter“ oder auch „(religiöser) Lehrer“ im Sinne von „Gemeindeleiter“ einerseits und „Herrscherstab, Zepter“ andererseits kommen.

<122> Die Überschrift ist in diesem Fall, wie sich zeigen wird, keine Wegbeschreibung, sondern bezeichnet den überlieferungsgeschichtlichen Weg, wie aus dem Berg Hor der Berg Sinai werden konnte.

<123> Dazu zitiert Bauersachs in Anm. 40 „H. Stewart Edgell, Arabian Deserts dort S. 578“.

<124> Ich habe dazu im Abschnitt 5.3.2.1 meine eigenen Vorschläge im Zusammenhang mit der von mir identifizierten Wüste Paran westlich des Euphrat entwickelt.

<125> Dazu Klaus Koenen, Artikel Ar Moab, WiBiLex 2007:

Ar Moab heißt wie → Kir-Moab „Stadt Moabs“ (in Jes 15,1 bilden beide Ortsnamen einen Parallelismus) und bezeichnet eine Großstadt der → Moabiter.

<126> Detlef Jericke, WiBiLex 2014, Artikel Pisga.

<127> Bauersachs (S. 253) hält sich stattdessen mit folgenden überflüssigen und abwegigen Erwägungen zum Lebensalter des Mose auf:

Möglicherweise hat man bei der Niederschrift die Dauer des Aufenthalts in Kadesch-Qadisija und die Dauer der Wüstenwanderung (zusammen etwa 40 Jahre) zum Alter Moses (ebenfalls etwa 40 Jahre) beim Abmarsch aus Kadesch-Qadisija addiert und kam so auf ein Alter von 80 Jahren. Ob aus diesen 80 Jahren durch erneute Addition von 40 Jahren Wüstenwanderung letztlich Mose 120 Jahre alt geworden ist oder ob durch das missverstandene Sexagesimal-Zahlensystem aus den 80 Jahren beim „Tod“ Mose 120 Jahre wurden (Digitaluhranzeige 1:20 = 1 Stunde und 20 Minuten = 80 Minuten), spielt hier keine Rolle.

<128> Vgl. dazu Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman, David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München 2006, und Israel Finkelstein, Das vergessene Königreich. Israel und die verborgenen Ursprünge der Bibel, München 2014, sowie meine Buchbesprechungen David und Salomo – wie die Geschichte ihr Bild formte und Israel Finkelstein und das vergessene Königreich Israel.

<129> Zur Übersetzung beruft sich Bauersachs in Anm. 90 auf „Görg, Die Beziehungen zwischen dem alten Israel und Ägypten“.

<130> Vgl. die Predigt Ein Tor für die Tora in meinem Gottesdienst am 11. Januar 2015.

<131> Nach Bauersachs, S. 277,

ist das für den 14. Januar 1546 {dokumentiert}, als gegen 11 Uhr ein heftiges Beben u.a. die Kuppel des Felsendoms in Jerusalem zerstörte und der Jordan bei el Damiya zwei Tage lang aufgestaut wurde; Damiya könnte das biblische Adam aus Jos. 3,16 sein. Auch am 11. Juli 1927 kam es um 13:04 Uhr zu einem starken Beben, nach dem der Jordan ebenfalls bei Damiya für 21 Stunden gestaut wurde. Gleichzeitig überflutete ein „Mini-Tsunami“ (1 m hoch) das Nordwestufer des Toten Meeres.

Als Quelle gibt er dazu an (Anm. 23): „Amiran, Arieh, Turcotte: Earthquakes in Israel and adjacent Areas; wissenschaftl. handelte es sich hierbei um eine Seiche“.

<132> Die Wanderroute wäre nur unwesentlich verändert, wenn Mose bereits den Djebel al Djauapijat als Aussichtspunkt genutzt hätte und sich das in 4. Mose 21,14 erwähnte „Waheb in Sufa“ nicht auf den Djebel Suwaqa, sondern auf die 7 km südlich liegende Stadt Suwaqa al Gharbiya beziehen würde.

<133> So Ton Veerkamp, Die Welt anders; vgl. dazu meine Zusammenfassung: Esra und Nehemia: Bildung der Torarepublik, letzter Absatz.

<134> Bauersachs dazu in Anm. 73: „Douglas R. Clark et al in: Madaba Plains Project 5: The 1994 Season at Tall al-‘Umayri and Subsequent Studies“.

<135> In einer persönlichen Mitteilung an mich unterfütterte Konrad Bauersachs seine Datierung der Ankunft der Exodus-Gruppe in Transjordanien im Jahr 1180 v. Chr. mit weiteren Argumenten:

Kurioserweise passen historisch diese 40 Jahre einerseits zum Jahr 1220 v. Chr., dem Zeitpunkt des Exodus, und andererseits zu den Umständen (z. B. datierbare Erdbeben, Seuchen, Mauern von Jericho), wie sie in Transjordanien um 1180 anzutreffen sind. Warum findet sich kein Bericht über Merenptahs Strafaktion um 1210 im biblischen Bericht; der war ja in Palästina unterwegs? Diese Attacke hätte die Exodus-Gruppe miterleben müssen, wäre sie denn schon ca. 40 Jahre früher im Gelobten Land /Palästina angekommen gewesen. Grund für Heldentaten hätte es gegen ägyptische Truppen genügend gegeben.

Wenn es allerdings auch bei der Datierung von Erdbeben ca. 20 Jahre Spielraum gibt, wird das Zeitfenster möglicher Daten wieder größer, wenn auch vielleicht rückwärts nicht über das Jahr 1210 hinaus.

<136> Vgl. dazu mein Gottesdienst Das rote Seil im Rotlichtviertel von Jericho am 13. Oktober 2019.

<137> Die Ausführungen von Konrad Bauersachs über die Amoriter-Reiche nachzuvollziehen, ist mir außerordentlich schwergefallen. Das liegt nicht nur an der ohnehin komplizierten Sachlage der überlieferten biblischen Texte, sondern auch daran, dass er sein Material hier sehr unübersichtlich zusammenstellt. Hinzu kommen ärgerliche Flüchtigkeitsfehler: So kündigt er (S. 297) an, dass „nach den Siegen über Og und Sihon die Exodus-Gruppe in die nächste Schlacht zieht“, aber dieser nächste Feldzug wird dann – gegen den (soeben abgehakten) König Og geführt. Den gleichen Fehler wiederholt er, wenn er (S. 303) ausführt, dass sich nach ihren „Erfolgen gegen Og und Sihon … die Exodus-Gruppe keine Pause“ gönnt, sondern „nach Norden“ zieht und „weitere Gebiete“ erobert, nämlich – das inzwischen mehrfach erwähnte und bereits dem König Og erfolgreich abgenommene Baschan! Jedenfalls ergibt sich an Hand der Korrektur dieser Fehler: Es geht tatsächlich nur um zwei Königreiche, nicht um noch weitere Gebiete.

<138> Klaus Koenen, Artikel Gilead in WiBiLex 2019.

<139> Dazu beruft er sich in Anm. 41 auf „Knauf; Hesbon, Sihons Stadt; ZDPV Zeitschrift des Deutschen Palästina-Vereins Bd. 106 (1990) dort Seite 142“.

<140> Er gibt in Anm. 42 folgende Quelle an: „JADIS Sector 4, #221 3001 Hesban, Tell“.

<141> Dieser Ort erscheint mir allerdings zu weit östlich gelegen zu sein.

<142> Der heutige Verlauf des Mujib bzw. Arnon ist schwer nachzuvollziehen, da er auf verschiedenen Karten unterschiedlich dargestellt wird. Nach Google Maps verläuft das Wadi Mujib in west-östlicher Richtung von Suwaqa bis zum Toten Meer.

<143> Text der Mescha-Stele (Übersetzung aus KAI II, 168f.; Transkriptionen verändert nach den Wibilex-Richtlinien) nach Thomas Wagner, WiBiLex-Artikel Mescha / Mescha-Stele, Zeilen 1 bis 4 und 10 bis 11.

<144> Dazu mehr im Abschnitt 6.3.3.

<145> Dabei übersieht Bauersachs allerdings, dass auch die vertauschte Reihenfolge keine fortlaufende historische Betrachtung der Ereignisse ermöglicht, da die biblische Niederschrift in den Büchern Josua und Richter ja keine objektive Geschichtsschreibung im Sinn hat, sondern das theologische Ziel, den Besitz des Landes Kanaan als Gabe JHWHs an das Volk Israel darzustellen, und zwar unter der Voraussetzung, dass Israel nach dem befreienden und Recht schaffenden Willen JHWHs handelt. Immerhin merkt Bauersachs an (S. 293), dass „eine Literaranalyse“ die Frage klären könnte, ob „oder warum die Redaktoren der rückblickenden Geschichtsschreibung oder spätere Übersetzer das Richterbuch fälschlicherweise nach dem Buch Josua einreihten“. Er selber unternimmt eine solche Analyse nicht. Ich komme darauf in meinem 7. Kapitel zurück.

<146> Ganz am Ende seines Bileam-Kapitels tut er das dann doch, in zwei Abschnitten (19.7 und 19.8), die sich mit dem „König von Midian – Middine“ bzw. mit „Midian – Mudaiyina“ beschäftigen. Mit Recht fragt er sich im Blick auf die mit Balak verbündeten midianitischen Ältesten in 4. Mose 22,4 und7, warum ein moabitischer König „sich um einen Bündnispartner in 300 km Entfernung (Luftlinie einfache Strecke)“ hätte bemühen sollen, „wo doch nur nur 20 km weiter südlich jenseits des Wadi Hesa das Gebiet des Königs von Edom beginnt?“ Er findet ein Midian, das „naheliegend im Sinne des Wortes“ ist, in dem heutigen Ort Middine, „etwa 8 km südlich der jordanischen Stadt Kerak“. Alternativ erwägt er auch weitere jordanische „Orte ‚Mudaiyina‘, die lautlich an Midian erinnern“; ferner erwägt er, ob durch „sprachliche Lautverschiebungen (Metathesen) … in Unkenntnis des tatsächlichen Namens Mudaiyina auch der rätselhafte biblische Ort Minnit entstanden sein“ könnte, der in Richter 11,33 und Hesekiel 27,17 erwähnt wird „irgendwo im Raum südlich von Amman bei Aroer gelegen haben dürfte“.

<147> Dazu verweist er in Anm. 51 auf „Larry G. Herr; The Iron Age II Period: Emerging Nations; The Biblical Archaeologist, Vol. 60, No. 3 (Sep., 1997), dort S. 148“.

<148> Mescha-Stele, siehe Anm. 143, Zeilen 4-8.

<149> Mescha-Stele, siehe Anm. 135, Zeilen 10 bis 21.

<150> Dass im Anschluss an den Vorfall mit den Töchtern Moabs die Exodus-Gruppe nicht gegen Moab, sondern „überraschend gegen Midian in einen grausamen Rachefeldzug“ gezogen und nach 4. Mose 31,8 „bei der Gelegenheit auch noch den Seher Bileam“ umgebracht haben soll, „der doch {nach 4. Mose 24,25} schon längst wieder zuhause angekommen ist“, erinnert mich an die mit Moab verbündeten Ältesten Midians am Anfang der Bileam-Episode und weist darauf hin, dass die alten Erzählungen nicht immer einheitlich überliefert worden sind. Genau genommen bezieht sich allerdings die Rache an den Midianitern (bei der das Volk Israel übrigens nach 4. Mose 31,1-2 ein letztes Mal von Mose angeführt wird, bevor er sterben soll) auf die in 4. Mose 25,6 und 15 erwähnte midianitische Fürstentochter Kosbi.

<151> Vgl. meine Ausführungen dazu im Abschnitt 6.1.10.

<152> Vgl. zum Richter Jephtha den Abschnitt 6.3.1.

<153> Dazu Bauersachs in Anm. 7: „Hobsbawm; Bandits New York: Delacorte Press, 1969 sowie Peasant Land Occupations; Oxford University Press, Past& Present, No. 62 Feb., 1974, dort S. 120-152 Hobsbawm ist im Okt. 2012 verstorben“.

<154> Mescha-Stele, siehe Anm. 143, Zeile 12.

<155> Vgl. dazu auch Israel Finkelsteins Ausführungen zu Scheschonk und Saul.

<156> Dazu in Anm. 7: „Finkelstein; A Low Chronology Update dort S. 37“.

<157> Vgl. Israel Finkelstein, Das vergessene Königreich. Israel und die verborgenen Ursprünge der Bibel, München 2014, und in meiner Besprechung dieses Buches das Kapitel Stammesfürstentum Gibeon/Gibea der Sauliden.

<158> Es tut zwar nichts zur Sache, sei aber doch angemerkt, dass Salmon der Bibel zufolge nicht, wie Bauersachs meint, „der Sohn Kalebs aus dem Stamm Juda“ ist, „der unter den 12 Kundschaftern war, die zum Ende der Wüstenwanderung das Gelobte Land erforscht haben sollen“. Nach 1. Chronik 2,9-11 ist Kaleb der Urgroßonkel von Salmon, da Kalebs Bruder Ram der Vater von Amminadab, Großvater von Nachschon und Urgroßvater von Salmon ist.

<159> Bauersachs meint dazu, „dass die Niederschrift reale Geschichte nicht mit den biblischen Personen vereinbaren kann: Dem Alten Testament nach lebt Davids Vater Isai mit seiner Familie in Bethlehem, der Heimat seines Großvaters Boas und seines Vaters Obed.“ Allerdings erwähnt die Bibel in 1. Samuel 22,1 ausdrücklich, dass Davids ganze Familie sich aus ihrer Heimat zu Davids Zufluchtsort begibt.

<160> Bauersachs, Anm. 27: „siehe Athas, The Tel Dan Inscription, dort S. 221“.

<161> Bauersachs, Anm. 17: „Knauf, Die Umwelt des Alten Testaments; dort S. 23“.

<162> Israel Finkelstein und Neil Asher Silberman, David und Salomo. Archäologen entschlüsseln einen Mythos, München 2006, S. 94.

Weiter untermauert wird diese Deutung der identischen Namen in den Königslisten Israels und Judas durch Christian Frevel, Geschichte Israels, 2., erweiterte und überarbeitete Auflage, Stuttgart 2018 (ein Buch, auf das ich erst nach Fertigstellung dieser Arbeit stieß), 190f.:

Für die Rekonstruktion ändert sich die Perspektive radikal, wenn man bereit ist, die Namensgleichheit als Identität der Personen ernst zu nehmen. Dann stellt sich die Geschichte der getrennten Monarchien aus historischer Perspektive in groben Zügen so dar:

In der Mitte des 9. Jh.s v. Chr. bis tief ins 8. Jh. v. Chr. herrscht ein enger Verbund zwischen Israel und Juda, der sich als Abhängigkeit Judas von Israel ähnlich zu einem → Vasallenverhältnis ausgestaltet: Schutz gegen politischen und wirtschaftlichen Einfluss. Juda ist nur bedingt eigenständig und wird von den Omriden Joram, Ahasja, Atalja regiert. Die Abhängigkeit hält auch unter Nimschiden Joasch und den Königen Amazja, Asarja und Jotam weiter an. Juda wird von den Herrschern aus Samaria als Filialkönigtum und zwischenzeitlich auch in Personalunion regiert. Filialkönigtum meint dabei nicht nur die Unselbstständigkeit Judas, sondern die Führung durch ein Mitglied des Königshauses aus Samaria.

<163> Israel Finkelstein, Das vergessene Königreich, München 2014, S. 78.

<164> Dabei beruft er sich auf Finkelstein und Silberman, die in „Keine Posaunen vor Jericho“ ebenfalls „verwirrt“ und außerdem angeblich „nicht konsequent“ sind. Eine Verwirrung herrscht bei den beiden tatsächlich, da sie (S. 217, Anm. 15) darauf hinweisen, dass aus Gründen der Klarheit „der nördliche König (der von 800-784 v. Chr. herrschte) als ‚Joas‘ bezeichnet“ wird „und der südliche König (der 836-798 v. Chr. regierte) als Joahas“, aber damit schaffen sie eine zusätzliche Quelle der Unklarheit, da der Vorgänger des Joas im Nordreich ja tatsächlich auch Joahas hieß und nun wiederum mit dem Joas=Joahas im Südreich verwechselt werden kann. Dadurch führen sie sozusagen Bauersachs aufs Glatteis, der ihnen vorwirft (S. 357), „im gleichen Textabschnitt Jehus (Israel) Sohn Joahas und nicht Joas“ zu nennen. Das tun sie tatsächlich, indem sie schreiben (S. 217): „denn zu Lebzeiten Jehus und seines Sohns Joahas wird Israel unablässig von Aram-Damaskus bedrängt“, aber mit diesem Joahas meinen sie ja den Sohn Jehus, der wirklich Joahas heißt, und weder den Enkel Jehus mit Namen Joas noch den judäischen Joas, den sie ebenfalls Joahas nennen wollen. Alle (Un-)Klarheit beseitigt?

<165> Vgl. meine Zusammenfassung eines Kapitels von Finkelstein und Silberman: König Salomo als Spiegelbild der Machtentfaltung von König Manasse.

<166> Israel Finkelstein, Das vergessene Königreich; auch Finkelstein und Silberman vertreten bereits in David und Salomo diese Theorie.

<167> Merkwürdig finde ich die Bemerkung von Bauersachs, dass das genannte Kernland von König Saul „bei der biblischen ‚Landnahme‘ dem Stamm Benjamin zugesprochen“ wurde, wobei er in Anm. 30 ausdrücklich auf die Karte 18.3.2 mit der in seinen Augen „falsche{n} Verteilung der Stämme“ hinweist. Historisch dürfte zu dieser Zeit, in der nach der Bauersachs‘schen Theorie weder im Nordreich Israel noch im Mini-Reich von König Saul irgendjemand etwas von den zwölf Söhnen Jakobs weiß, noch keine Rede von einem Stamm Benjamin in dieser Gegend sein. Vielleicht hat er vergessen, auch diese Bemerkung den Autoren der biblischen Niederschrift zuzuordnen.

<168> Hier zitiert Bauersachs, Anm. 31, „Finkelstein-Silberman, David und Salomo dort S. 64“.

<169> Auch dazu beruft sich Bauersachs in Anm. 32 auf „Finkelstein-Silberman, David und Salomo dort S. 64ff“.

<170> Wozu sich Bauersachs in Anm. 35 wieder auf „Finkelstein-Silberman in „David und Salomo“ dort S. 64“, beruft.

<171> Vgl. meine Zusammenfassungen der entsprechenden Kapitel von Finkelsteins Buch: Entstehung Israels im Bergland und „Neues Kanaan“ in der Ebene, Stammesfürstentum Gibeon/Gibea der Sauliden, Profiteure von Gibeas Untergang: Juda und Tirza und Großes Territorialkönigreich der Omriden in Samaria.

<172> Israel Finkelstein, Das vergessene Königreich, S. 126 und 127.

<173> Dazu Bauersachs, Anm. 6: „KAH 1.30 = Keilschrifttexte aus Aššur historischen Inhalts“.

<174> Auch ein weiter Feldzug Salmanassar III. „um 838 … gegen Damaskus“ bleibt erfolglos:

Hasaël und danach sein Sohn Ben-Hadad III. herrschten bis etwa 800 v. Chr. auch über Teile Palästinas. So lange bleibt Damaskus für Israel, wie es das Alte Testament treffend schildert, ein übermächtiger Nachbar. Der assyrische Salmanassar III. war ab 827 v. Chr. wegen einer Revolte seiner beiden Söhne zuhause beschäftigt und musste sich zudem mit den aufsässigen Babyloniern auseinandersetzen.

Erst Salmanassars Enkel Adad-Nirari III. führte um 805 wieder assyrische Truppen nach Syrien und kommt mit reichen Tributzahlungen zurück, ohne aber dauerhaft Ruhe in der Region zu erreichen. Der nachlassende assyrische Druck auf Damaskus führt zu Begehrlichkeiten: Ben-Hadad III. greift – wenn auch erfolglos – den früheren Verbündeten Hamath an; unter dem historischen König Jerobeam II. (787-747) erobert Israel endlich die von den Aramäern besetzten Gebiete wieder zurück.

<175> Israel Finkelstein, Das vergessene Königreich, S. 144 und 138.

<176> In Anm. 5 geht Bauersachs darauf ein, dass Finkelstein-Silberman „von ‚Geisterwanderern‘“ sprechen: „Keine Posaunen vor Jericho, S. 75“.

<177> Vgl. meine Zusammenfassung seiner diesbezüglichen Ausführungen über Die Überlieferung von Exodus und Wanderung.

<178> Vgl. Ton Veerkamp, Die Welt anders, wie ich seine Schlussfolgerungen zum 1. Buch Mose – Genesis, Absatz 16, zusammengefasst habe:

Indem Genesis 47.23-26 weniger die Vergangenheit (105) als „die tatsächlichen Verhältnisse im Ägypten des 6. Jahrhunderts v.u.Z.“ beschreibt, erweist sich (106) die Genesis „weniger als Buch über vergangene Geschichte als vielmehr als politische Zukunftsmusik für die Menschen im babylonischen bzw. ägyptischen Exil“. Denn (105) die letzten Könige Jerusalems hatten sich innen- und außenpolitisch an Ägypten orientiert, und die nicht nach Babylon deportierten Eliten Judas waren nach Ägypten emigriert. „Ein radikaler Neuanfang setzte die Befreiung von Ägypten, von ägyptischer Politik und von ägyptischen Verhältnissen zwingend voraus.“

<179> Dazu empfahl mir Prof. Erhard Gerstenberger das Buch des Historikers Achim Landwehr, Die anwesende Abwesenheit der Vergangenheit. Essay zur Geschichtstheorie, Frankfurt am Main 2016, das zwar für mich (als geschichtstheoretischem Laien) anstrengend zu lesen war, aber mir viele aufschlussreiche Denkanregungen vermittelt hat.

<180> Vgl. meine Zusammenfassung ihrer Ausführungen über ein Nationales Geschichtswerk des Königreichs Juda zur Integration der Flüchtlinge aus dem untergegangenen Reich Israel.

<181> Vgl. Anm. 180.

<182> Das ist der Grundgedanke von Ton Veerkamp, Die Welt anders – vgl. meine Zusammenfassung dieses Buches.

<183> Vgl. 1. Könige 21 und meine Zusammenfassung dessen, was Ton Veerkamp über Elia und Alisa, Amos und Hosea schreibt.

<184> So die von Bauersachs (S. 322) zitierte Übersetzung der Mescha-Stele in Zeile 17/18 nach Smend und Socin. Dagegen deutet Thomas Wagner nur die Übersetzung „[Gerät]e Jahwes“ an.

<185> An dieser Stelle muss ich nebenbei darauf hinweisen, dass Bauer­sachs nicht zwischen verschiedenen Schichten der schriftlichen Bibeltraditon unterscheidet. Zwar ist man seit einiger Zeit zurückhaltender darin geworden, die Texte sehr penibel auf jahwistische, elohistische, priesterschriftliche und deuteronomistische Quellen aufzuteilen, aber gerade die priesterschriftlichen Anteile, die in den ersten vier Büchern Mose dominieren und Interessen der nachexilischen Priesterhierarchie widerspiegeln, und das Deuteronomium (einschließlich des deuteronomistischen Geschichtswerk von Josua bis Könige) mit seiner prophetischen Königskritik werden nach wie vor als sehr verschieden geprägte Schriftwerke identifiziert.

<186> Thomas Römer, Die Erfindung Gottes. Eine Reise zu den Quellen des Monotheismus, Darmstadt 2018.

<187> Hessisches Pfarrblatt 3, Juni 2020, S. 125.

<188> Die Zitate dieses Absatzes aus Finkelstein, Das vergessene Königreich. Vgl. dazu meine Zusammenfassung.

<189> Volkmar Fritz, Die Entstehung Israels im 12. und 11. Jahrhundert v. Chr., Stuttgart – Berlin – Köln 1996, 138. Nach S. 61 kann nur „das Debora-Lied Ri 5,12-17.18b.19-22.24-30“ sicher als eine Quelle „aus vorstaatlicher Zeit gelten“. Zur Datierung schreibt Fritz (S. 122):

Den einzigen verwertbaren Hinweis für die historische Einordnung bietet die Erwähnung von Taanach und Megiddo in Ri 5,19. Demnach hat die Schlacht am südöstlichen Rand der Ebene Jesreel stattgefunden, als beide Städte bestanden haben. Nun war Megiddo nach dem Untergang der letzten Stadt von Stratum VII A um 1130 auch weiterhin bis zur Einverleibung in das Staatsgebiet unter David und Salomo von Kanaanitern besiedelt (Strata VI B – V A). Im Unterschied zu dieser Kontinuität der Siedlungsgeschichte hat in Taanach – nach der bisherigen Kenntnis der Siedlungsfolge – eine Unterbrechung stattgefunden; nach der Zerstörung der Stadt um die Mitte des 12. Jh. setzte die Wiederbesiedlung erst im Verlauf des 11. Jh. ein. Demnach scheidet die zweite Hälfte des 12. Jh. für die Datierung der im Debora-Lied besungenen Schlacht aus. Der Ansatz dieses Ereignisses in der ersten Hälfte des 12. Jh. scheidet aus, weil erst im 11. Jh. die Verbreitung der neuen Siedlungen ihren Höhepunkt erreicht hat und somit ein Konflikt der neuen Siedler mit den Bewohnern der verbleibenden kanaanitischen Städte wahrscheinlich ist. Das Debora-Lied spiegelt somit vermutlich die Verhältnisse des 11. Jh., ohne daß eine genauere Datierung des Textes und des in ihm besungenen Ereignisses möglich ist.

<190> Siehe Anm. 177.

<191> Christian Frevel, Geschichte Israels, 2., erweiterte und überarbeitete Auflage, Stuttgart 2018, und Erich Zenger u. a., Einleitung in das Alte Testament. 9., aktualisierte Auflage, herausgegeben von Christian Frevel.

<192> Irmtraud Fischer, Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12-36, Berlin – New York 1994, vgl. dazu meine Buchbesprechung Sara und Hagar – Frauenbefreiung im 1. Buch Mose.

<193> Thomas Römer, Die Erfindung Gottes. Eine Reise zu den Quellen des Monotheismus, Darmstadt 2018.

<194> Werner Schatz, Genesis 14. Eine Untersuchung, Bern – Frankfurt/M. 1972.

<195> Thomas Staubli, Das Image der Nomaden im Alten Israel und in der Ikonographie seiner sesshaften Nachbarn, Freiburg (Schweiz) und Göttingen 1991.

<196> Erhard Blum, Die Komposition der Vätergeschichte, Neukirchen-Vluyn 1984, und Erhard Blum, Studien zur Komposition des Pentateuch, Berlin – New York 1990.

<197> Christoph Levin, Der Jahwist, Göttingen 1993.

<198> Thomas Staubli (Hg.), Wer knackt den Code? Meilensteine der Bibelforschung, Düsseldorf 2009.

<199> https://bibelwelt.de/veerkamp-johannes/ und die Übersetzung ins Englische: https://bibelwelt.de/veerkamp-john/ sowie meine Kommentierungen von vier Büchern von Adele Reinhartz: https://bibelwelt.de/word-in-the-world/, https://bibelwelt.de/freundschaft-mit-adele-reinhartz/, https://bibelwelt.de/liberation-israel/, https://bibelwelt.de/caiaphas/ und eines Aufsatzes von Erich Dorn: https://bibelwelt.de/johannes-schoepfung/.

<200> Trotzdem möchte ich nicht verhehlen, wie spannend ich vor allem die Lektüre der Bücher von Christian Frevel (siehe Anm. 191) fand. In seiner Geschichte Israels stellt er Überlegungen an, die zentralen Auffassungen von Konrad Bauersachs entgegengesetzt sind (S. 56):

Eines der ungelösten Rätsel bleibt, nämlich wie die Verwendung des Namens „Israel“ für den von Tirza und Samaria aus regierten Staat im 9. Jh. v. Chr. … mit der Bezeugung im 2. Jt. v. Chr. zusammenhängt. Eine Möglichkeit ist, dass die Bezeichnung in der Region überdauert hat, aus der die Omriden, die den Staat Israel gegründet haben …, stammten. Denkbar wäre, dass Omri, für den biblisch keine Genealogie überliefert ist, mit der Gruppe, die sich „Israel“ nannte, in Verbindung stand oder ihr sogar angehörte. Mit der omridischen Herrschaft wäre dann der Name für die politische Größe übernommen worden, zumal der Name „Israel“ mit dem Gott El verbunden war, die Omriden aber wahrscheinlich YHWH zum Schutzgott der Familie und Nationalgott der staatlichen Größe Israel gemacht haben … Literarisch ist der Name „Israel“ eng mit der Exodustradition verbunden, deren älteste Gestalt vermutlich den Gründungsnarrativ des Nordstaates gebildet hat. Erst später wurde Israel mit der Jakobüberlieferung (Gen 32,29; 35,10) verbunden.

Dass also die Exodustradition ausgerechnet in der Bauersachs verhassten Gruppe der Omriden verwurzelt gewesen sein soll, könnte durchaus einleuchtend sein, wenn man annimmt, dass sich die Exodus-Gruppe in den 300 Jahren nach ihrer Ankunft in Transjordanien eben doch auch nach Westen friedlich ausgebreitet hat.

Zum Zusammenhang der Exodusüberlieferung mit den Jakoberzählungen schreibt er an anderer Stelle, in der Einleitung zum AT (S. 216):

die Exodusüberlieferung kann als Gründungsmythos des Nordstaates begriffen werden und diese Überlieferung galt es nach dem Untergang mit den Kernüberlieferungen des Südens (dem Abraham-Lot-Sagenkranz) zu verbinden (s. o. C.IV.). Immerhin sind z. B. die Komposition des Amosbuchs und die Komposition von Hos *4-11 bzw. Hos *12-14 in dieser Zeit in Juda geschaffen worden – mit der doppelten Absicht, sowohl die Ursachen des Zusammenbruchs des Nordstaates Israel als auch für Juda Wege aus der drohenden Katastrophe aufzuweisen (s. u. E.VIII.1. und E.VIII.3.). Dass Hos 4-11.12-14 sowohl auf die Exodus- als auch auf die Jakobüberlieferung zurückgreift und ihre Bekanntheit voraussetzt, kann als Argument dafür gewertet werden, dass beide Überlieferungen damals als Zusammenhang gesehen wurden.

Könnte das nicht sogar ein Indiz für die ursprüngliche Zusammengehörigkeit von Erzählkränzen sein, die auf eine aus Chuzistan ausgewanderte Exodus-Gruppe zurückgegangen und im Laufe der ersten Jahrhunderte mit verschiedenen Gegenden Palästinas verbunden worden sind?

Schließlich sehe ich meine von Konrad Bauersachs abweichenden Vorstellungen über Mose durch Christian Frevels Ausführungen in seiner Geschichte Israels (S. 65) bestätigt, wobei natürlich Ägypten durch Chuzistan zu ersetzen und der Ursprung des Gottes JHWH am Djebel Sanam zu erwägen wäre:

Eine Exodustradition ohne Mose ist literarisch unwahrscheinlich. Wenn es eine Exodusgruppe gegeben hat, die die Lösung von Ägypten als Befreiung gedeutet und die diese mit dem Gott YHWH verbundene Erfahrung an das spätere Israel vermittelt hat, dann war diese Gruppe relativ klein. Von der Exodus-Landnahme-Erzählung her beurteilt hatte sie im Norden, vielleicht am ehesten im efraimitischen Bergland, ihren Haftpunkt. Sie könnte in der Sippe, aus der die Omriden hervorgegangen sind, zum Sippenerbe gehört haben und mit der Gründung des Staates im 9. Jh. v. Chr. zum Gründungsmythos ausgearbeitet worden sein. Der als Befreiung gedeutete Auszug aus Ägypten war von Beginn an mit dem Gott YHWH, dessen Ursprung am wahrscheinlichsten in Nordarabien bzw. der südlichen Araba liegt, verbunden. Details des Auszugsgeschehens lassen sich aus historischer Sicht nicht mehr rekonstruieren, sondern man bleibt auf die sinnstiftende Kraft dieses Ursprungsmythos verwiesen (J. Assmann).

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.