Bild: Helmut Schütz

Lydia: Purpurfärberin und Gemeindeleiterin

Lydia nötigt Paulus und seine Leute, bei ihr zu bleiben. Sie wird als selbstbewusste Frau geschildert, die sich Paulus gegenüber auf ihren Glauben an Jesus beruft und als Gesprächspartnerin auf gleicher Augenhöhe auftritt. Wer außer ihr sollte hier in Philippi die erste Christengemeinde geleitet haben? Lydia war die Leiterin, obwohl es auch Brüder in ihrer kleinen Gemeinde gab.

Das Türschild für den Raum Lydia im Gemeindezentrum der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen
Das Türschild für den Raum Lydia im Gemeindezentrum der Evangelischen Paulusgemeinde Gießen

Andacht zur Kirchenvorstands-Sitzung am 8. Februar 2011. Bei der Ausarbeitung dieser Andacht habe ich auf Gedanken aus zwei Artikeln der exegetischen Zeitschrift „Texte und Kontexte“ zurückgegriffen: Gerhard Jankowski, Das Evangelium kommt nach Europa, TuK 42 (1989), S. 31–38, und Ivoni Richter-Reimer, Die Geschichte der Frauen rekonstruieren. Betrachtungen über die Arbeit und den Status von Lydia, TuK 51 (1991), S. 16–29.

Wir haben uns überlegt, wie unsere neuen Gemeinderäume heißen könnten, und ich hatte vorgeschlagen, unserem Sitzungszimmer den Namen „Raum Lydia“ zu geben. Warum „Lydia“?

In der Apostelgeschichte  16 wird erzählt, wie Paulus mit seinen Begleitern quer durch Kleinasien, die heutige Türkei, reist und schließlich im Nordwesten in der Landschaft Troas ankommt. Troas klingt nicht nur so ähnlich wie Troja; hier hatte auch die zwischen Griechen und Persern umkämpfte Stadt Troja gelegen. In dieser Gegend voller Erinnerungen an uralte Geschichte hat Paulus eine nächtliche Vision:

9 Und Paulus sah eine Erscheinung bei Nacht: ein Mann aus Mazedonien stand da und bat ihn: Komm herüber nach Mazedonien und hilf uns!

10 Als er aber die Erscheinung gesehen hatte, da suchten wir sogleich nach Mazedonien zu reisen, gewiss, dass uns Gott dahin berufen hatte, ihnen das Evangelium zu predigen.

Dass dem Paulus in einem Traumgesicht ein Mann aus Mazedonien erscheint, wird meist so ausgelegt, dass Gott den Paulus dazu bringen will, das Evangelium auch nach Europa zu tragen. Vorher hatte es christliche Gemeinden nur im Umkreis Israels bis hin zur heutigen Türkei gegeben. Mazedonien ist das erste europäische Land, das Paulus bereisen soll. Dass ausgerechnet ein mazedonischer Mann dem Paulus erscheint, mag auch damit zu tun haben, dass Mazedonien die Heimat von Alexander dem Großen gewesen war. Er war der mazedonische Mann, den alle kannten, der ein Weltreich mit einheitlicher griechischer Sprache und Kultur gegründet hatte, und diese Sprache und Kultur blieb weithin beherrschend, auch als die Römer die politische Macht über das Weltreich gewonnen hatten.

Wie dem auch sei, Paulus weiß sich über eine Grenze hinübergerufen, und zwar um zu helfen. Diese Hilfe besteht darin, dass das Evangelium von Jesus Christus auch dorthin getragen wird, wo die damaligen Weltreiche ihren Ausgangspunkt und ihr Zentrum hatten: das hellenistische Weltreich im europäischen Mazedonien und Griechenland, das römische Reich in Italien.

11 Da fuhren wir von Troas ab und kamen geradewegs nach Samothrake, am nächsten Tag nach Neapolis

12 und von da nach Philippi, das ist eine Stadt des ersten Bezirks von Mazedonien, eine römische Kolonie. Wir blieben aber einige Tage in dieser Stadt.

Philippi ist die erste größere Stadt, in der sich Paulus und seine Begleiter aufhielten, sie wird bewusst und betont eine römische Kolonie genannt, also ein Ort, in dem vor allem verdiente römische Veteranen angesiedelt wurden.

Wie soll Paulus hier Fuß fassen mit seiner Botschaft? Normalerweise ging er zuerst in die Synagoge der Stadt, denn in den jüdischen Gemeinden fand er in der Regel die ersten Zuhörer. In Philippi gibt es aber offensichtlich keine Synagoge. Paulus weiß aber, wo er jüdische Bürger der Stadt antreffen könnte, wenn es überhaupt welche in der Stadt gibt. Genau genommen Bürgerinnen:

13 Am Sabbattag gingen wir hinaus vor die Stadt an den Fluss, wo wir dachten, dass man zu beten pflegte, und wir setzten uns und redeten mit den Frauen, die dort zusammenkamen.

14 Und eine gottesfürchtige Frau mit Namen Lydia, eine Purpurhändlerin aus der Stadt Thyatira, hörte zu; der tat der Herr das Herz auf, so dass sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde.

Hier taucht nun der Name Lydia auf, als erster und einziger Name derer, die in Philippi der Predigt des Paulus zuhören. Viel wird von ihr nicht gesagt, aber dennoch einige wichtige Details.

Ihr Beruf ist „Purpurhändlerin“, so übersetzt Luther. Sie war aber wahrscheinlich nicht so reich, wie man aus dieser Bezeichnung früher meinte schließen zu müssen, sondern war eher eine kleine Handwerkerin, die sich selber mit der Herstellung von Purpur die Hände schmutzig machte, Wolle färbte und ihre Waren verkaufte. Ähnlich wie später der Beruf des Gerbers war das Purpurhandwerk wortwörtlich genommen ein anrüchiges schmutziges Gewerbe, so dass dazu auch passen würde, dass Lydias Haus draußen vor den Stadtmauern liegt.

Die zweite Einzelheit, die von Lydia berichtet wird, ist ihre Herkunft: Sie stammt aus Thyatira im Landesinneren von Kleinasien. Dort hatten die Römer jüdische Frauen angesiedelt, Sklavinnen und Kriegsgefangene; von ihnen könnte Lydia etwas vom jüdischen Glauben übernommen haben, denn sie wird „gottesfürchtig“ genannt, das waren Leute, die zwar keine Juden waren, aber vom Gott der Juden angetan waren. Aus verschiedenen Quellen über die Stadt Thyatira im Landesinneren von Kleinasien weiß man, dass dort der Purpur aus den Wurzeln einer Pflanze namens „Rubia“ gewonnen wurde. Die Purpurfärberei war ein typisches Frauenhandwerk, wobei sich die Frauen in so etwas wie Zünften oder Genossenschaften organisierten. Es ist vorstellbar, dass Lydia mit einigen anderen Frauen von dort gekommen war und hier eine nur von Frauen geführte Purpurwerkstatt aufgebaut hatte. Das würde erklären, weshalb Paulus hier keinen Mann antrifft, jedenfalls keinen, der mit Namen genannt würde.

Von dieser Lydia wird nun gesagt, dass der Herr ihr das Herz auftat. Sie hört nicht nur zu, sie lässt auch die Worte des Paulus in ihr Herz, so dass sie sich rasch dazu entschließt, sich taufen zu lassen.

15 Als sie aber mit ihrem Hause getauft war, bat sie uns und sprach: Wenn ihr anerkennt, dass ich an den Herrn glaube, so kommt in mein Haus und bleibt da. Und sie nötigte uns.

Nicht nur sie selbst wird getauft, sondern sie mit ihrem ganzen Haus. Ob damit ihre Familie gemeint ist oder die Frauen, die mit ihr zur Purpurwerkstatt gehören, kann man nicht sagen.

Was noch auffällt: Lydia nötigt Paulus und seine Leute, bei ihr zu bleiben. Es ist gefährlich in der Stadt, das werden Paulus und seine Gefährte Silas schon wenig später erfahren, als sie sich in Philippi unbeliebt machen und ins Gefängnis gesteckt werden. Hier wird Lydia als selbstbewusste Frau geschildert, die sich Paulus gegenüber auf ihren Glauben an Jesus beruft und als Gesprächspartnerin auf gleicher Augenhöhe auftritt. Wer außer ihr sollte hier in Philippi die erste Christengemeinde geleitet haben?

Nur noch ein weiteres Mal kommt Lydia in der Bibel vor, am Ende des gleichen Kapitels, als Paulus und Silas durch ein Wunder aus dem Gefängnis freigekommen sind.

40 Da gingen sie aus dem Gefängnis und gingen zu der Lydia. Und als sie die Brüder gesehen und sie getröstet hatten, zogen sie fort.

Die Brüder, übersetzt Luther. Gemeint sind Geschwister unter Einschluss von Männern. Also war Lydia die Leiterin, obwohl es auch Brüder in ihrer kleinen Gemeinde gab.

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