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Nie wieder Krieg!

Früher bewahrte man den Toten der letzten Kriege ein ehrendes Andenken und forderte gleichzeitig dazu auf, im nächsten Ernstfall den Gefallenen an Mut und Tapferkeit nicht nachzustehen. Heute darf der Volkstrauertag kein Heldengedenktag mehr sein. Sondern es muss uns klar sein: im nächsten Ernstfall stehen wir mitten drin, dieser Ernstfall heißt Friede – den haben wir zu bewahren und auszubauen.

Menschensilhouetten mit Luftballons, auf denen steht: "No more war" - "Nie wieder Krieg"
„Nie wieder Krieg!“ (Bild: Gerd AltmannPixabay)

Gedenkfeier zum Volkstrauertag auf dem Reichelsheimer Friedhof am 18. November 1979

Liebe Zuhörer!

Volkstrauertag – das hat einen düsteren Klang, so düster wie unser Novemberwetter und so düster, wie auch die Namen der folgenden Feiertage klingen: Bußtag, Totensonntag. Das klingt nach todernsten Gesichtern, nach gezwungener Feierlichkeit, nach Totenstille. Was hat dieser Tag mit unserem heutigen Leben zu tun?

Doch Trauer ist nicht eigentlich lebensfeindlich. Trauer ist eine Befreiung für den, der ihr nicht auszuweichen versucht. Den Schmerz durchstehen, das Vergangene bewusst verarbeiten, Abschied nehmen von Unwiederbringlichem, eigene Schuld eingestehen, die nicht ungeschehen gemacht werden, aber auf Vergebung hoffen kann, das alles kann zur Trauer gehören. Doch Trauer wäre nicht befreiend, wenn sie nicht offen wäre für neues Leben, wenn sie nicht dazu führen würde, das Vergangene als Mahnung für die Zukunft zu verstehen.

Diejenigen unter Ihnen, die im Krieg viel verloren haben, deren Leben sorgenfreier, ungequälter, erfüllter verlaufen wäre, wenn Sie Ihren Mann, Ihren Vater, Ihre Angehörigen damals nicht verloren hätten – für Sie ist der Zweite Weltkrieg noch nicht Geschichte. Ihr Gedächtnis hat vielleicht gerade die schwersten Erfahrungen unauslöschlich festgehalten.

Für uns, die wir froh sind, keinen Krieg miterlebt zu haben, ist Trauer an diesem Tag kein spontanes Gefühl – es ist eher eine Betroffenheit, die sich einstellt, wenn wir über die Toten des Krieges und den Wahnsinn nachdenken, der die Welt unaufhaltsam in diesen Krieg geführt hat. Es ist außerdem das Entsetzen, das mich befällt, wenn ich an die planmäßige Ausrottung von an die sechs Millionen Juden oder etwa 500 000 Zigeunern denke, zu der Menschen unseres Volkes fähig gewesen sind.

Trauer am Volkstrauertag kann also für mich nicht Trauer über die Niederlage Deutschlands sein. So scheint es zwischen dem ersten und zweiten Weltkrieg gewesen zu sein, dass viele sich mit dem Ergebnis des ersten Weltkriegs nicht abfinden wollten und deshalb nicht mit allen Kräften einem neuen Krieg entgegenarbeiteten. Früher bewahrte man den Toten der letzten Kriege ein ehrendes Andenken und forderte gleichzeitig dazu auf, im nächsten Ernstfall den Gefallenen an Mut und Tapferkeit nicht nachzustehen. Heute darf der Volkstrauertag nicht mehr in diesem Sinn ein Heldengedenktag sein. Sondern es muss uns ganz klar werden: im nächsten Ernstfall stehen wir jetzt schon mitten drin, dieser Ernstfall heißt Friede – den haben wir zu bewahren und auszubauen.

Einen nächsten Krieg darf es nicht geben, schon aus einem Grund, den es früher noch nicht gab: „Die Bundesrepublik Deutschland ist nur um den Preis ihrer totalen Zerstörung zu verteidigen.“ Dieser Satz unseres Bundeskanzlers, der mir in den Ohren klingt, bedeutet doch: wir müssen alles tun, was wir für den Frieden tun können. Wir müssen herunter von dem Rüstungsberg. Wir müssen eingestehen, dass die Heimat z. B. meiner Eltern in Westpreußen und Schlesien unwiderruflich nun die Heimat polnischer Familien geworden ist. Wir dürfen nicht hinnehmen, dass Politiker öffentlich mit dem Gedanken an einen Krieg im Zusammenhang mit dem Schutz unserer Erdölversorgung spielen.

Ein Wissenschaftler hat vorausgesagt: die Wahrscheinlichkeit eines dritten Weltkriegs noch in diesem Jahrhundert ist größer, als dass dieser Krieg verhindert wird. Darüber bin ich sehr erschrocken. Solche Betroffenheit währt oft leider nur eine Schrecksekunde lang, bevor man sie verdrängt.

Wo werden wir im nächsten Jahr am Volkstrauertag stehen? Werden wir uns im Laufe des nächsten Jahres beteiligt haben am Umdenken und an kleinen Schritten für den Frieden, für Abrüstung, für die Freundschaft zwischen unserem Volk und anderen Völkern? Das ist der Dienst, zu dem uns die 55 Millionen Toten des Zweiten Weltkriegs mahnen sollten. Unsere Kinder sollen keine Kriege mehr führen, der Volkstrauertag soll für sie unwiderruflich ein Tag für den Frieden sein.

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