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Nachgeholte Trauerfeier für drei Verstorbene

In der Predigt geht es um vier Variationen eines Gleichnisses von Jesus mit dem gleichen Nenner: „Unerwartet bei Nacht“: Was haben wir von Gott zu erwarten?

Da es für 3 von 21 Verstorbenen keine Trauerfeier gegeben hatte, halte ich für sie wenigstens im Gottesdienst am Totensonntag eine kurze Rede – mit den Themen:

„Der Stalin hat uns weggetan“

„Eine schöne Rede wie bei meiner Frau“

„Ich hab immer Schutzengel gehabt“

Ein braunes Herbstblatt, geformt wie ein Herz, mit einigen Rissen
Eines Verstorbenen zu gedenken, ist ein kleines Zeichen der Liebe (Bild: Kevin McIverPixabay)
direkt-predigtGottesdienst am Ewigkeitssonntag, 20. November 2011, um 10.00 Uhr in der evangelischen Pauluskirche Gießen

Guten Morgen, liebe Gemeinde!

Ich begrüße alle herzlich am Ewigkeitssonntag mit dem Wort aus Psalm 90, 12:

„Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“

Besonders heiße ich in der Pauluskirche diejenigen willkommen, die in den vergangenen zwölf Monaten einen geliebten Menschen verloren haben. Für alle Mitglieder der Paulusgemeinde, die seit Beginn des Kirchenjahres gestorben sind, zünden wir in diesem Gottesdienst eine Kerze an.

Dem Gaudete-Chor, der heute im Gottesdienst unter der Leitung von Herrn Werner Boeck als Quartett auftritt, danken wir herzlich für seine musikalische Mitwirkung, und ebenso Herrn Traugott Hilbrig, der heute unseren Gemeindegesang an der Orgel begleitet.

Zuerst singen wir alle gemeinsam das Lied 124:

1. Nun bitten wir den Heiligen Geist um den rechten Glauben allermeist, dass er uns behüte an unserm Ende, wenn wir heimfahrn aus diesem Elende. Kyrieleis.

2. Du wertes Licht, gib uns deinen Schein, lehr uns Jesus Christ kennen allein, dass wir an ihm bleiben, dem treuen Heiland, der uns bracht hat zum rechten Vaterland. Kyrieleis.

3. Du süße Lieb, schenk uns deine Gunst, lass uns empfinden der Lieb Inbrunst, dass wir uns von Herzen einander lieben und im Frieden auf einem Sinn bleiben. Kyrieleis.

4. Du höchster Tröster in aller Not, hilf, dass wir nicht fürchten Schand noch Tod, dass in uns die Sinne nicht verzagen, wenn der Feind wird das Leben verklagen. Kyrieleis.

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. „Amen.“

Mit einem Pfingstlied haben wir unseren Gottesdienst am Totensonntag begonnen. Wir brauchen die Kraft des Heiligen Geistes, um uns dem Tod zu stellen, um die Nähe Gottes zu spüren, der in Jesus unseren Tod miterlitten und überwunden hat. Gott selber will als Tröster in uns Raum gewinnen, damit wir traurige Wege wirklich gehen und bewältigen.

Kommt, lasst uns anbeten! „Ehr sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist, wie es war im Anfang, jetzt und immerdar, und von Ewigkeit zu Ewigkeit. Amen.“

Totensonntag ist ein Anlass, um zurückzuschauen, uns zu erinnern an Menschen, die uns lieb waren, die gestorben sind. Das fällt nicht jedem leicht. Vielleicht belasten uns Gedanken an schwer zu ertragende Krankheit, an Probleme im Zusammenleben oder an persönlich Versäumtes. Vielleicht gab es noch keine Möglichkeit, richtig Abschied zu nehmen. Vielleicht fällt es schwer, wirklich loszulassen.

Gott, heiliger Geist, heilsame Kraft, der du uns tröstest wie eine Mutter. Schwere Wege gehst du mit uns mit, Scherben zerbrochenen Glücks tun auch dir weh, ungeweinte Tränen spürst du in uns auf. Vergib, was wir versäumt haben, hilf uns, im Frieden Abschied nehmen zu können, lass uns deinen Trost spüren als Kraft, um unseren Weg zu gehen. Wir rufen zu dir:

Herr, erbarme dich! „Herr, erbarme dich, Christe, erbarme dich, Herr, erbarm dich über uns!“

Totensonntag kann auch ein Anlass sein, um dankbar zu sein. Mit dankbarer Wehmut zurückblicken auf ein erfülltes Leben. Mit Gelassenheit wahrnehmen, wie gut es tut, einen langen Weg der Trauer bewusst zu gehen, Schritt für Schritt. Mit Zuversicht in die Zukunft blicken und dabei die Liebe zu unseren Lieben im Herzen zu bewahren. Dafür…

Lasst uns Gott lobsingen! „Ehre sei Gott in der Höhe und auf Erden Fried, den Menschen ein Wohlgefallen. Allein Gott in der Höh sei Ehr und Dank für seine Gnade, darum dass nun und nimmermehr uns rühren kann kein Schade. Ein Wohlgefalln Gott an uns hat; nun ist groß Fried ohn Unterlass, all Fehd hat nun ein Ende“.

Der Herr sei mit euch „und mit deinem Geist.“
Großer Gott, wir sind zu dir in die Kirche gekommen in dem Bewusstsein, dass wir heute über den Tod nachdenken. Nicht jeder von uns ist in Trauer, aber die einen fühlen mit den anderen mit, und wir alle lassen uns belehren, dass wir sterben müssen, um klug zu werden. Im Vertrauen auf dich müssen wir beim Nachdenken über den Tod nicht in Angst versinken. Denn in Jesus Christus hast du unseren Tod und unsere Angst durchgestanden und überwunden. Wer dir vertraut, geht nicht verloren, durch Jesus Christus, unseren Herrn. „Amen.“

In der Schriftlesung hören wir Psalm 103, 14-18:

14 Denn er weiß, was für ein Gebilde wir sind; er gedenkt daran, dass wir Staub sind.

15 Ein Mensch ist in seinem Leben wie Gras, er blüht wie eine Blume auf dem Felde;

16 wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.

17 Die Gnade aber des HERRN währt von Ewigkeit zu Ewigkeit über denen, die ihn fürchten, und seine Gerechtigkeit auf Kindeskind

18 bei denen, die seinen Bund halten und gedenken an seine Gebote, dass sie danach tun.

Herr, dein Wort ist unseres Fußes Leuchte und ein Licht auf unserem Wege. Halleluja. „Halleluja, Halleluja, Halleluja!“

Glaubensbekenntnis

Im Wechsel mit dem Gaudete-Quartett singen wir nun das Lied 530. Der Chor beginnt und singt die Strophen 1, 4 und 8, die Gemeinde singt dazwischen erst die 2. und dann die 5. Strophe:

1. Wer weiß, wie nahe mir mein Ende! Hin geht die Zeit, her kommt der Tod; ach wie geschwinde und behende kann kommen meine Todesnot. Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.

2. Es kann vor Nacht leicht anders werden, als es am frühen Morgen war; solang ich leb auf dieser Erden, leb ich in steter Todsgefahr. Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.

4. Lass mich beizeit‘ mein Haus bestellen, dass ich bereit sei für und für und sage frisch in allen Fällen: Herr, wie du willst, so schick’s mit mir! Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.

5. Ich habe Jesus angezogen schon längst in meiner heilgen Tauf; du bist mir auch daher gewogen, hast mich zum Kind genommen auf. Mein Gott, mein Gott, ich bitt durch Christi Blut: mach’s nur mit meinem Ende gut.

8. Ich leb indes in dir vergnüget und sterb ohn alle Kümmernis. Mir g’nüget, wie mein Gott es füget; ich glaub und bin es ganz gewiss: Mein Gott, mein Gott, aus Gnad durch Christi Blut machst du’s mit meinem Ende gut.

Liebe Gemeinde, gleich werden wir wieder Kerzen anzünden für verstorbene Mitglieder aus unserer Paulusgemeinde. Sonst habe ich immer formuliert: für Menschen, die wir von unserer Paulusgemeinde aus bestattet haben. Diese Formulierung hätte heute nicht ganz gepasst, denn es gab nicht für sie alle eine kirchliche Bestattung.

In der letzten Zeit werden oft Klagen laut: Die Bestattungskultur in Deutschland lässt zu wünschen übrig. Immer mehr Angehörige vermissen einen Ort, an dem sie ihrer Trauer Ausdruck geben können. Ich stelle auch fest, dass manchmal jemand sang- und klanglos aus unserer Mitgliederkartei verschwindet mit dem Vermerk: „verstorben“, ohne dass eine Trauerfeier gewünscht worden war. Das kann ganz verschiedene Gründe haben: Zum Beispiel will jemand nicht als einziger Angehöriger bei der Trauerfeier dem Pfarrer zuhören, weil er weiß: Da kommt sonst niemand, so zurückgezogen hat der Verstorbene gelebt. Ein anderer hat für den Fall seines Todes seinen Körper dem Projekt „Körperwelten“ oder der Gießener Anatomie zur Verfügung gestellt. Im letzteren Fall werden zwar die Medizinstudenten später eine gemeinsame Trauerfeier für die Körperspender gestalten, aber ein individueller Abschied findet in der Regel nicht statt. Der alte Vers aus Psalm 103 behält seine Gültigkeit: „Ein Mensch ist wie Gras oder eine Wiesenblume, wenn der Wind darüber geht, so ist sie nimmer da, und ihre Stätte kennet sie nicht mehr.“

Drei Mal erfuhr ich in diesem Jahr, dass jemand aus unserer Gemeinde gestorben war, den ich gekannt hatte und für den es keine Trauerfeier gab. Als ich nachfragte, stellte es sich heraus: es gab in allen drei Fällen doch jemanden, dem es leid tat, dass es so gar kein Totengedenken für diesen Verstorbenen gegeben hat. Darum haben wir vereinbart, dass ich heute eine kleine Traueransprache für diese drei Personen halte. Die Namen dieser drei werde ich nicht in der Ansprache nennen, sondern erst nachher zusammen mit den anderen Verstorbenen, wenn wir für sie die Kerzen anzünden; die Angehörigen werden erkennen, um wen es geht.

„Der Stalin hat uns weggetan“

Da ist die Frau, von der ich nur so viel weiß, wie ich bei einem Geburtstagsbesuch erfahren konnte. Sie stammte wie so viele aus Wolgadeutschland und wurde wie so viele nach Sibirien verschleppt. „Der Stalin hat uns weggetan“, sagt sie. Dieser Satz vor allem bleibt mir in Erinnerung, er beschreibt so hart und klar die Lebenserfahrung vieler russlanddeutscher Familien. Aber in Sibirien hat sie dann ihren Mann kennengelernt, der jetzt während ihrer Krankheit liebevoll für sie da ist. Ich erinnere mich an ihr strahlendes Lächeln, als sie davon erzählt. Es gab in diesem Leben viel Schweres, aber auch Liebe, die Schweres durchzustehen half. Heute denken wir an sie und beten:

Gott, Vater im Himmel, du hast sie längst in deine Arme geschlossen, sie hat Frieden gefunden nach so viel Leid; vollende in der Ewigkeit die Liebe, die sie bereits hier auf Erden erfahren und verschenken durfte.

Schenke denen, die im Elend leben, [d]eine Liebe, für alle Zeiten bis in Ewigkeit. (Tobias 13, 12 – nach der katholischen Einheitsübersetzung)

„Eine schöne Rede wie bei meiner Frau“

Dann ist da der Mann, der von seiner Enkelin betreut wird. Ich kenne ihn von mehreren Besuchen und von der Beerdigung seiner Frau, die er viele Jahre gepflegt hatte. Er selber war bis ins hohe Alter nie krank; er lebt zurückgezogen und will es auch nicht anders; er ist zufrieden, wenn er sein Radio hören kann. Es gibt nur wenig Besuch von Bekannten und eben die Enkelin, die oft zu ihm kommt. Sie war eigentlich mehr wie seine Tochter, er war es, der sie großgezogen hat, sie hat von ihm gekriegt, was sie fürs Leben gebraucht hat; bei seinen Kindern war er ein strengerer Vater gewesen. Als ich ihn zum letzten Mal besuche, geht es ihm nicht mehr so gut, er scheint auch keine rechte Lust mehr zum Leben zu haben. Aber einen Wunsch hat er noch: „Halten Sie mir doch auch so eine schöne Rede wie bei meiner Frau, wenn ich tot bin.“ Ob mir das in dieser Kürze gelungen ist, weiß ich nicht; ich will mein Gedenken an ihn mit einer Liedstrophe beenden, die ich auch bei der Beerdigung seiner Frau gebetet habe (EG 38, 3):

Lass mir deine Güt und Treu täglich werden immer neu. Gott, mein Gott, verlass mich nicht, wenn mich Not und Tod anficht. Lass mich deine Herrlichkeit, deine Wundergütigkeit schauen in der Ewigkeit.

„Ich hab immer Schutzengel gehabt“

Und dann ist da die Frau, die ich vor zwölf Jahren kennenlernte, als ihr Pflegesohn bei mir in den Konfirmandenunterricht ging. Von ihr könnte ich stundenlang erzählen, so viel hat sie mitgemacht in ihrem wechselvollen Leben; ohne sie wüsste ich auch nicht so viel über die Nordstadt. Schon früh musste sie erfahren, dass der Tod zum Leben gehört; eins ihrer vielen Geschwisterkinder hatte der Vater damals im Krieg mit drei Tagen im Schuhkarton beerdigt. Als sie selber Kinder hatte von ihrem ersten Mann, da sagte einmal ihr Junge auf dem Friedhof: „Da, in den Kindergräbern, will ich aber nicht liegen“, und dann wurde ausgerechnet dieses Kind von einem Bus überfahren. Später starb auch noch ein anderer Sohn in der Blüte seines Lebens. Abenteuerlich klingt, wo und wie sie überall in Europa herumgekommen ist. Ich kenne sie noch nicht lange, da ruft sie mich zu ihrem Mann, als er im Sterben liegt, sie ist zwar von ihm geschieden, kümmert sich aber um ihn, gemeinsam mit Verwandten, bis zum Schluss. Und dann, als sie sich in ihrem Alter noch einmal frisch verliebt, erzählt sie mir davon, als sei sie ein junges Mädchen; einige glückliche Jahre verlebt das Paar noch miteinander. Als ich sie zum letzten Mal sehe, sagt sie zu mir: „So richtig glaube ich nicht an Gott.“ Aber ein Kruzifix trägt sie um den Hals, und ich spreche sie darauf an. Da meint sie: „Ich hab wohl wirklich immer Schutzengel gehabt.“ Als Kind war sie mal im Eis eingebrochen, und auch später ist in ihrem Leben Psalm 91, 11 wahr geworden:

Gott hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen.

Und wir beten zu dir, Gott, auch für diese Frau, die du in dein Herz geschlossen hast, mit den Worten eines alten Liedes (EG 376, 3):

Wenn ich auch gleich nichts fühle von deiner Macht, du führst mich doch zum Ziele auch durch die Nacht: so nimm denn meine Hände und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich!

Amen.

Und nun zünden wir für diese drei und für die anderen Verstorbenen, die wir von der Paulusgemeinde aus im vergangenen Kirchenjahr bestattet haben, eine Kerze an. Ein Licht zum Zeichen des Glaubens: Wir dürfen auf Gott vertrauen. Ein Licht zum Zeichen der Liebe: Wir bleiben mit den Toten in Liebe verbunden. Ein Licht zum Zeichen der Hoffnung: Wir gehen im Tode nicht verloren.

So denken wir nun in stillem Gebet an die Verstorbenen, um die wir trauern, und zünden eine Kerze an – für:

Gedenken für 21 Verstorbene

Vielleicht gibt es noch andere Menschen, um die Sie trauern, die nicht hier oder nicht in diesem Jahr gestorben sind. Sie können, wenn Sie möchten, jetzt nach vorn kommen und auch für sie eine Kerze anzünden.

Orgelmusik

Wir hören vom Gaudete- Quartett einen von Johann Sebastian Bach vertonten Choral: „Schlafes Bruder“

Komm, o Tod, du Schlafes Bruder, Komm und führe mich nur fort; Löse meines Schiffleins Ruder, Bringe mich an sichern Port! Es mag, wer da will, dich scheuen, Du kannst mich vielmehr erfreuen; Denn durch dich komm ich herein Zu dem schönsten Jesulein.

Gott gebe uns ein Herz für sein Wort und Worte für unser Herz. Amen.

Liebe Gemeinde, wir sind heute darauf eingestellt, an den Tod zu denken, an den Einbruch in unser Leben, den der Tod im vergangenen Jahr für uns bedeutet hat, an die eigenen Gefühle, die uns angesichts der Frage nach dem Tod bewegen. Wir gehen sehr unterschiedlich mit der Erfahrung „Tod“ um. Manche fürchten sich davor, andere nehmen gelassen hin, dass der Tod selbstverständlich zum Leben gehört. Viele haben keine Angst vor dem Tod, große Angst jedoch vor dem Sterben. Die einen beklagen den frühen Tod eines nahen Angehörigen, ein anderer sehnt den erlösenden Tod herbei, der nicht kommen will. Viele denken nicht gern an den Tod, und einige suchen den Tod, weil sie keine Möglichkeit mehr sehen, ihr Leben zu meistern.

Schon in der Bibel wird sehr unterschiedlich vom Tod gesprochen. Von Menschen ist da die Rede, die alt und lebenssatt starben. Kürzlich hörte ich, dass Hildegard Hamm-Brücher mit ihren 90 Jahren dieses Wort auf sich bezog: Sie hat ein erfülltes Leben hinter sich, keine großen Ziele mehr vor sich, sie kann ihr derzeitiges Lebensgefühl am besten so beschreiben: lebenssatt.

An anderer Stelle heißt es aber auch: Der Tod ist der Sünde Sold. Die Bibel kennt die Erfahrung, dass es neben dem leiblichen, biologischen Tod auch schon eine Art Tod mitten im Leben gibt. Menschen, die der Liebe gegenüber abgestorben sind, mögen noch sehr lebendig wirken, sind aber im Grunde tot. Menschen, die keine Hoffnung mehr haben, Menschen, denen jeder Funke Glauben abhanden gekommen ist, Menschen, die sich von anderen Menschen und von Gott nichts mehr erwarten, sich ganz auf sich selbst zurückziehen, sind in einem gewissen Sinne tot.

Nach der Bibel stehen die beiden Formen des Todes in einem Zusammenhang. Wer tot ist schon mitten im Leben, woran soll er sich festhalten, wenn ein Angehöriger stirbt oder er selber sterben muss? Und umgekehrt: wer annimmt, dass mit dem Tod alles aus ist, der empfindet sein Leben möglicherweise als sinnlos oder führt ein sehr oberflächliches Leben.

Es gibt aber Auferstehung aus diesem Tod mitten im Leben. Ich sah einmal das Bild eines geschnitzten Türpfostens, von einem afrikanischen Bauern hergestellt, da standen drei Menschen übereinander, jeweils in einer bestimmten Haltung. Der obere und der untere standen unbeweglich da, den Blick starr nach vorn gerichtet, die Hände um einen Gegenstand gelegt, den sie festhielten. Der mittlere war seitlich abgebildet, als ob er sich in Bewegung setzen wollte, mit dem Blick so schräg nach oben gerichtet, und seine Hände hatte er frei. Der Afrikaner wollte darstellen, was bei einem Menschen anders wird, wenn er Christ wird. Die nicht Christen sind, klammern sich an ihren Besitz oder was sie sonst auf keinen Fall loslassen wollen. Sie stehen starr und unbeweglich da und in ihnen und durch sie verändert sich nichts. Ihr Blick und ihre Hände sind nicht frei. Sie sind wie tot. Der in der Mitte aber schaut nach oben, nicht wie ein Hans-guck-in-die-Luft, sondern um zu sehen: was kann ich von Gott erwarten, um ohne Angst loslassen zu können, was meine Hände festhält, und um zu erfahren: ich kann mich bewegen, ich kann meine Füße und Hände gebrauchen, um zu anderen zu gehen, ich kann mich verändern – denn ich habe etwas zu erwarten!

Auferstehung aus dem Tod mitten im Leben ist möglich, wenn wir etwas von Gott erwarten, wenn wir die Bitte ernst nehmen: dein Reich komme! Aber was ist es denn, was wir erwarten? Welches Reich soll kommen, wie und wann? Hören wir dazu den Text zur Predigt aus dem Evangelium nach Lukas 12:

35 Lasst eure Lenden umgürtet sein und eure Lichter brennen

36 und seid gleich den Menschen, die auf ihren Herrn warten, wann er aufbrechen wird von der Hochzeit, damit, wenn er kommt und anklopft, sie ihm sogleich auftun.

37 Selig sind die Knechte, die der Herr, wenn er kommt, wachend findet. Wahrlich, ich sage euch: Er wird sich schürzen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.

38 Und wenn er kommt in der zweiten oder in der dritten Nachtwache und findet’s so: selig sind sie.

39 Das sollt ihr aber wissen: Wenn ein Hausherr wüsste, zu welcher Stunde der Dieb kommt, so ließe er nicht in sein Haus einbrechen.

40 Seid auch ihr bereit! Denn der Menschensohn kommt zu einer Stunde, da ihr’s nicht meint.

41 Petrus aber sprach: Herr, sagst du dies Gleichnis zu uns oder auch zu allen?

42 Der Herr aber sprach: Wer ist denn der treue und kluge Verwalter, den der Herr über seine Leute setzt, damit er ihnen zur rechten Zeit gibt, was ihnen zusteht?

43 Selig ist der Knecht, den sein Herr, wenn er kommt, das tun sieht.

44 Wahrlich, ich sage euch: Er wird ihn über alle seine Güter setzen.

45 Wenn aber jener Knecht in seinem Herzen sagt: Mein Herr kommt noch lange nicht, und fängt an, die Knechte und Mägde zu schlagen, auch zu essen und zu trinken und sich vollzusaufen,

46 dann wird der Herr dieses Knechtes kommen an einem Tage, an dem er’s nicht erwartet, und zu einer Stunde, die er nicht kennt, und wird ihn in Stücke hauen lassen und wird ihm sein Teil geben bei den Ungläubigen.

47 Der Knecht aber, der den Willen seines Herrn kennt, hat aber nichts vorbereitet noch nach seinem Willen getan, der wird viel Schläge erleiden müssen.

48 Wer ihn aber nicht kennt und getan hat, was Schläge verdient, wird wenig Schläge erleiden. Denn wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.

Vier Teile hat dieses Gleichnis, und alle vier stimmen darin überein, dass es sich um einen Hausherrn dreht und dass unerwartet etwas geschieht.

Zuerst Teil 2

Ich fange mit dem zweiten Teil an, denn dieser Teil mit dem Einbruch ist am einfachsten zu verstehen. Daran hat sich bis heute nichts geändert: Wenn wir wüssten, wann ein Dieb kommt, würden wir ihn daran hindern. Wenn wir also wollen, dass möglichst nicht bei uns eingebrochen wird, müssen wir also entweder sichere Schlösser, Fenster und Türen einbauen und auch gut abschließen, oder wir müssen ständig eine Wache aufstellen. Wachsam sein, dazu ruft Jesus mit diesem Gleichnis auf: Geht wachsam durch euer Leben! Ihr wisst nicht, wie lang oder kurz es ist, ihr wisst nicht, wann es zu spät ist, noch die Richtung zu ändern, wenn etwas in eurem Leben nicht stimmt.

Sodann Teil 1

Merkwürdig ist der Teil ganz am Anfang. Da hat der Hausherr vor, spät nachts von einer Hochzeit zurückzukommen und erwartet, dass sein Personal so lange aufbleibt und ihn erwartet. Das steht nicht im Einklang mit modernen arbeitsrechtlichen Vorstellungen, aber bis dahin ist für die damalige Zeit noch alles im grünen Bereich; ein Herr konnte mit seinen Sklaven so umspringen. Ungewöhnlich ist nur, was der Herr tut, wenn er die Sklaven wirklich im Wachzustand zu Hause antrifft: „Er wird sich eine Schürze überziehen und wird sie zu Tisch bitten und kommen und ihnen dienen.“

Jesus weiß genau, dass seine Zuhörer an diesem Punkt aufhorchen. Er erzählt nicht einfach eine Allerweltsstory. Natürlich hätten sie erwartet, dass die Diener springen und den Herrn bewirten. Aber nun das! Welcher Herr tut denn so etwas? Der Chef macht sich für seine Angestellten die Hände schmutzig? Diener werden bedient? Und das alles nur, weil sie wach geblieben sind und ihn erwartet haben? Ist das nicht verkehrte Welt?

Der Herr, der so etwas tut, ist Gott. Wir haben jederzeit von ihm etwas zu erwarten. Schon unser Leben, unsere Begabungen haben wir von ihm. Und wenn wir dankbar leben, dann machen wir etwas daraus. Wenn wir Gott zutrauen, dass er uns auch in schweren Zeiten nicht allein lässt, dann spüren wir: Gott traut auch uns etwas zu. Manchmal dient uns Gott, indem er uns eine Aufgabe schickt. Und manchmal, indem wir Helfer finden, die uns beistehen.

Wir können zu Gott schreien, wenn wir nicht mehr weiter wissen. Wir können auch Menschen unseres Vertrauens um etwas bitten, vielleicht tut es uns gut, uns einmal auszusprechen. Kleine Kinder kommen und sagen: „Nimm mich auf den Arm!“ oder: „Einmal feste drücken!“ Wir Erwachsenen haben vielfach verlernt, um etwas zu bitten, was wir nötig brauchen. Aber gerade wenn wir in tiefer Trauer sind, ist es gut, nicht zu schnell Normalität einkehren zu lassen, als ob die Zeit im Zeitraffer alle Wunden heilen würde. Wir dürfen uns Zeit lassen, langsam Abschied zu nehmen, auf unsere Weise zu trauern. Es mag sein, dass die Zeit für Trauernde und Nichttrauernde anders abläuft; wer nicht direkt betroffen ist, erwartet vielleicht zu früh, dass alles überwunden sei. Dann darf man durchaus sagen: „Nein, ich brauche noch Zeit, und – hast vielleicht du etwas Zeit für mich? Ich würde gern mal reden…“

Schließlich Teil 3

Zurück zu Jesus. Der Jünger Petrus fragt nach: „Jesus, ist das ein Gleichnis für die anderen Leute oder auch für uns, deine besten Freunde?“

Da antwortet Jesus, indem er sein Gleichnis zum dritten Mal erzählt, wieder etwas anders. Der Hausherr geht auf Reisen und sagt zu einem Diener, dem er besonders viel zutraut: „So lange ich nicht da bin, hast du hier das Sagen. Sei klug und sorge dafür, dass jeder das kriegt, was ihm zusteht.“ Wenn er diese Aufgabe erfüllt, wird er reich belohnt; fängt er aber an, zu saufen und seine Untergebenen zu schlagen, dann hat er eine harte Strafe zu erwarten.

Im Grunde will Jesus sagen: „Lieber Petrus, du weißt doch, dass du von Gott viel zu erwarten hast. Dir muss ich das doch nicht extra erklären. Aber wenn ich zu dir sage: bleibe im Leben wachsam, dann vertraue ich dir damit Menschen an, die noch nichts von Gottes Güte wissen. Für sie bist du mitverantwortlich. Behandle sie gut und erteile ihnen keine Schläge, auch nicht mit gutgemeinten Bibelworten. Erzähle ihnen, wie sehr Gott alle Menschen liebt und dass jeder etwas von ihm erwarten darf, sogar die Sünder und die Ungläubigen.“

Wenn wir aufatmend festgestellt haben: „Ja, ich bin von Gott beschenkt, ich habe allen Grund, dankbar zu sein“, dann können auch wir uns wie Petrus von Jesus so angesprochen fühlen.

Und zuletzt Teil 4

Der vierte Teil im Gleichnis Jesu unterstreicht das. Da erzählt er von zwei Sklaven. Der eine hat nicht genau kapiert, was sein Herr von ihm wollte, und hat darum etwas falsch gemacht. Mit ihm wird der Herr gnädiger verfahren als mit dem anderen, der genau wusste, was er zu tun hatte, es aber trotzdem nicht tat. Damit ruft Jesus uns zur Barmherzigkeit auf. Wir sehen so oft Menschen, die schlimme Dinge tun, die alle Chancen in ihrem Leben vergeigen, die Fehler begehen und nicht aus ihnen lernen. Bevor wir über sie urteilen, sollten wir uns fragen: Was ist mit mir? Wenn ich besser verstanden habe, was Gott von mir will, dann erwartet er auch mehr von mir. Jedenfalls habe ich kein Recht, den anderen zu verurteilen. Denn, so sagt Jesus, „wem viel gegeben ist, bei dem wird man viel suchen; und wem viel anvertraut ist, von dem wird man um so mehr fordern.“ Amen.

Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller Freude und Frieden im Glauben. Amen.

Wir singen aus dem Lied 481 die Strophen 2 bis 5:

2. Die Zeit ist wie verschenket, drin man nicht dein gedenket, da hat man’s nirgend gut; weil du uns Herz und Leben allein für dich gegeben, das Herz allein in dir auch ruht.

3. Ich schließe mich aufs neue in deine Vatertreue und Schutz und Herze ein; der Finsternis Geschäfte und alle bösen Kräfte vertreibe durch dein Nahesein.

4. Dass du mich stets umgibest, dass du mich herzlich liebest und rufst zu dir hinein, dass du vergnügst alleine so wesentlich, so reine, lass früh und spät mir wichtig sein.

5. Ein Tag, der sagt dem andern, mein Leben sei ein Wandern zur großen Ewigkeit. O Ewigkeit, so schöne, mein Herz an dich gewöhne, mein Heim ist nicht in dieser Zeit.

Lasst uns beten.

Barmherziger Gott, Vater Jesu Christi, am Ewigkeitssonntag gedenken wir unserer Toten; sie leben bei dir. Wir beten für die, an die wir mit Dankbarkeit und mit Trauer denken. Wir beten auch für alle, die keine Freunde und Angehörigen haben und an die niemand denkt außer dir. Wir beten für Menschen, denen wir für unser Leben viel verdanken. Wir vertrauen darauf, dass du uns in unserem ganzen Leben begleitest und auch in Leid und Tod bei uns bist.

Wir beten für Menschen, die sich das Leben genommen haben. Hilf denen, die um sie trauern, dass sie bewältigen, was unerträglich ist. Wir beten für Menschen, die andere mit Gewalt bedrohen; lass sie zur Einsicht kommen und lenke ihre Schritte auf den richtigen Weg. Wir beten für alle, denen Gewalt angetan wird. Lass sie Hilfe finden für ihre körperlichen und seelischen Wunden und lass sie neues Vertrauen finden, zu dir, zu vertrauenswürdigen Menschen, zu sich selbst.

Auch für uns selber bitten wir, heute in der Pauluskirche. Manchmal brauchen wir mehr Mut, um unsere Gefühle zuzulassen und den Weg der Trauer bewusst zu gehen. Hilf uns, die Menschen, um die wir trauern, in dankbarer Erinnerung zu bewahren und zugleich das loszulassen, was uns selber daran hindert, getrost und erfüllt zu leben. Schenke uns das Vertrauen, dass unsere geliebten Verstorbenen in deiner ewigen Liebe gut aufgehoben sind.

In der Stille bringen wir vor dich, Gott, was wir ganz persönlich auf dem Herzen haben:

Gebetsstille und Vater unser

Wir hören vom Gaudete-Quartett das Lied 521, 1-3:

1. O Welt, ich muss dich lassen, ich fahr dahin mein Straßen ins ewig Vaterland. Mein‘ Geist will ich aufgeben, dazu mein‘ Leib und Leben legen in Gottes gnädig Hand.

2. Mein Zeit ist nun vollendet, der Tod das Leben endet, Sterben ist mein Gewinn; kein Bleiben ist auf Erden; das Ewge muss mir werden, mit Fried und Freud ich fahr dahin.

3. Auf Gott steht mein Vertrauen, sein Antlitz will ich schauen wahrhaft durch Jesus Christ, der für mich ist gestorben, des Vaters Huld erworben und so mein Mittler worden ist.

Abkündigungen

Empfangt Gottes Segen:

Der Herr segne euch und er behüte euch. Er lasse sein Angesicht leuchten über euch und sei euch gnädig. Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch seinen Frieden. „Amen, Amen, Amen!“

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