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Um zu sterben, hatte sie eigentlich keine Zeit

Trauerfeier für eine selbstbewusste und sehr aktive Frau, die eigentlich zu viele Termine hatte, um zu sterben. Aber sie musste es doch lernen, ihr Leben loszulassen, mit der Hilfe ihrer Familie.

Keine Zeit, um zu sterben: Eine Frau balanciert auf Seilen, die zwischen Uhren gespannt sind, vor einem bewölkten, dunkelgelben Himmel
Balanceakt mit der uns geschenkten Lebenszeit (Bild: Susann MielkePixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes. Amen.

Liebe Trauergemeinde, wir sind hier versammelt, um Abschied zu nehmen von Frau Irmgard P., die im Alter von [über 70] Jahren gestorben ist.

Wir denken heute gemeinsam an ihr Leben, wir begleiten einander auf dem Weg des Abschieds, und wir besinnen uns angesichts des Todes auf Worte Gottes, die Trauer ausdrücken und trösten und zum Leben helfen.

Als ich darüber nachdachte, welche Worte geeignet sind, um etwas wiederzugeben von der Persönlichkeit der Verstorbenen, so wie Sie mir Ihre Mutter und Schwiegermutter geschildert haben, da stieß ich auf ein altes Lied aus der Bibel, einen Psalm des Königs David. Es geht mir nicht um jede einzelne Erfahrung, die uns dort vor Augen gestellt wird, sondern um den Ton, der das ganze Gebet durchzieht – das Selbstbewusstsein eines Menschen, der sein Leben aus Gottes Hand empfängt, der seine eigenen Entscheidungen trifft und sich – wenn nötig – dem Lebenskampf stellt.

So lasst uns Worte aus dem Psalm 27 hören:

1 Der HERR ist mein Licht und mein Heil; vor wem sollte ich mich fürchten? Der HERR ist meines Lebens Kraft; vor wem sollte mir grauen?

2 Wenn die Übeltäter an mich wollen, um mich zu verschlingen, meine Widersacher und Feinde, sollen sie selber straucheln und fallen.

3 Wenn sich auch ein Heer wider mich lagert, so fürchtet sich dennoch mein Herz nicht; wenn sich Krieg wider mich erhebt, so verlasse ich mich auf IHN.

5 Denn er deckt mich in seiner Hütte zur bösen Zeit, er birgt mich im Schutz seines Zeltes und erhöht mich auf einen Felsen.

7 HERR, höre meine Stimme, wenn ich rufe; sei mir gnädig und erhöre mich!

9 Denn du bist meine Hilfe; verlass mich nicht und tu die Hand nicht von mir ab, Gott, mein Heil!

10 Denn mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der HERR nimmt mich auf.

13 Ich glaube…, dass ich sehen werde die Güte des HERRN im Lande der Lebendigen.

14 Harre des HERRN! Sei getrost und unverzagt und harre des HERRN!

Liebe Trauernde, ich fand, daß dieser selbstbewusste Tonfall eines Gebets des Königs David ein guter Auftakt ist, um sich an Frau P. zu erinnern. Sie hat böse Zeiten gekannt, schon von Kindheit an; sie wusste, wie das ist, ohne Mutter groß zu werden; sie war früh auf sich gestellt und es gelang ihr offenbar gut, selbständig ihr Leben zu meistern.

Das bedeutete nicht, dass sie ganz ohne Hilfe und ohne den Kontakt zu anderen Menschen war. Nein, sie war sogar ein lebenslustiger Mensch und liebte die Geselligkeit, zum Beispiel als Mitglied in einer Reihe von Vereinen. Auch reiselustig war sie, an Musik ebenso interessiert wie an der Malerei; sie besaß ein großes Allgemeinwissen und wollte mitbekommen, was in der Politik geschah.

Erinnerungen an Familie und Beruf der Verstorbenen

Von Anfang an lenkte sie in der Familie sehr dominant die Geschicke. Zum Beispiel damals, als ihr Mann nach Hause kam und sie ihm stolz eröffnete: „Ich habe ein Haus gekauft!“ Sie verstand es, ihm und den Kindern ein Heim zu schaffen, und es war gut so. Und bei all dem hat sie auch viel Unterstützung aus der Nachbarschaft und innerhalb freundschaftlicher Beziehungen erfahren.

Bis zuletzt war es ihr wichtig, die Kontrolle über die Dinge nicht aus der Hand zu geben; sie hatte ihre klaren Vorstellungen und setzte sie gern durch, manchmal auch gegen Widerstände. Und noch als sie so schwer krank wurde, blieb sie doch bis zum Schluss bei klarem Bewusstsein und voller Zurechnungsfähigkeit. Sogar die Gartenarbeit vor ihrem Fenster hat sie noch beobachtet und von der Couch aus gemanagt.

Nicht vor dem Tod hatte sie Angst, als sie krank wurde; aber es machte ihr zu schaffen, unbeweglich zu werden und zu früh abberufen zu werden. Um zu sterben, hatte sie eigentlich keine Zeit, dafür hatte sie zu viele Termine. Es war ihr ja schon zu viel, auch nur einige Tage im Krankenhaus verbringen zu müssen, statt schnell wieder nach Hause zu kommen, ein Gläschen Wein zu trinken und im Garten arbeiten zu können. Auch Kuraufenthalte lehnte sie ab, weil dort ja die kranken Leute nur von ihren Krankheiten reden. Lieber wollte sie zu Hause von ihrer Familie gepflegt werden. Und das haben Sie dann ja auch gemeinsam getan, als es notwendig wurde. Mehr hätte niemand für sie tun können, als sie es zu Hause getan haben.

Irgendwann konnte niemand mehr den Lauf der Dinge aufhalten. Es gibt Situationen, in denen Menschen machtlos sind, alles Menschenmögliche getan haben, wo auch ein Schweigen manchmal mehr sagt als Worte. Wichtig war es in dieser Zeit einfach, trotzdem da zu sein, auch wenn man – im Sinne von Besserung oder Gesundung – nichts mehr tun konnte.

Wie gesagt, Angst vor dem Tod hatte Frau P. nicht. Sie hatte den festen Glauben, im Tod dennoch „wohl aufgehoben zu sein“, wie auch immer. Gern hätte sie darüber mehr gewusst, sie war neugierig auf das, was nach dem Tod kommt und worüber alle Leute etwas anderes sagen. Nun ist es wohl so, dass sie uns das voraus hat – sie ist nicht mehr im Zustand des Ahnens oder Hoffens, sondern sie darf schauen, was uns in unserem irdischen Leben noch verborgen ist. So wie es im Psalm 27, 10 heißt:

Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der HERR nimmt mich auf.

Eine solche tiefe Zuversicht kann die Grundlage sein für ein selbstbewusstes Leben und ebenso für ein getrostes Sterben. In solcher Zuversicht können auch wir einen Menschen loslassen, den wir liebgehabt haben. Es tut weh, zu trauern, doch es ist ein Trost, darauf vertrauen zu können, dass der Mensch, den wir schmerzlich vermissen, es nun gut hat im ewigen Frieden Gottes. Dann können wir uns dankbar erinnern und bewahren, was wir an geschenkter und empfangener Liebe erfahren durften. Amen.

EG 533: Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand

Großer Gott, wir legen Frau P. vertrauensvoll in deine allmächtigen und barmherzigen Hände. Du nimmst sie gnädig an; um sie müssen wir uns keine Sorgen machen. Und steh nun auch uns bei in unserem Schmerz, in unserer Trauer, in allem, was uns bewegt, was uns niederdrückt, was uns verletzt, was unsere letzten Kräfte verlangt hat. Lass uns zur Ruhe kommen und uns auf den Weg machen, der vor uns liegt: den Weg des Erinnerns, des Weinens und des Lachens, den Weg der Dankbarkeit und der Bewältigung. Amen.

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