Ein Wandbild des Jakobus im Kloster Gracanica im Kosovo

Mut und Geduld

Wenn Jakobus von Geduld spricht, können wir das auch so verstehen: Der Herr kann jetzt schon zu uns kommen. Jesus kommt – unsichtbar – zu uns, wo Gottes Geist uns verändert. Wo wir offen sind für die Worte Jesu, wo wir spüren, dass Glaube, Liebe und Hoffnung keine leeren Worte sind – da dringt Jesus in unser Leben ein.

Ein Wandbild des Jakobus im Kloster Gracanica im Kosovo
Ein Wandbild des Jakobus im Kloster Gracanica im Kosovo (Foto: Joachim Schäfer – Ökumenisches Heiligenlexikon)
Gottesdienst am 2. Advent und 3. Advent, 5. und 12. Dezember 1982 in Weckesheim und Reichelsheim, Beienheim und Heuchelheim
Schriftlesung: Jesaja 63, 15+17+19b + 64, 1a+2-3

15 So schau nun vom Himmel und sieh herab von deiner heiligen, herrlichen Wohnung! Wo ist nun dein Eifer und deine Macht? Deine große, herzliche Barmherzigkeit hält sich hart gegen mich.

17 Warum lässt du uns, HERR, abirren von deinen Wegen und unser Herz verstocken, dass wir dich nicht fürchten? Kehr zurück um deiner Knechte willen, um der Stämme willen, die dein Erbe sind!

19 Ach dass du den Himmel zerrissest und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen,

1 wie Feuer Reisig entzündet und wie Feuer Wasser sieden macht,

2 wenn du Furchtbares tust, das wir nicht erwarten – und führest herab, dass die Berge vor dir zerflössen! –

3 und das man von alters her nicht vernommen hat. Kein Ohr hat gehört, kein Auge hat gesehen einen Gott außer dir, der so wohl tut denen, die auf ihn harren.

Lieder (EKG)
9, 1-3: Mit Ernst, o Menschenkinder
5, 1+4-7: 0 Heiland, reiß die Himmel auf
3, 1-5: Ihr lieben Christen, freut euch nun
436, 1+5+11: Großer Gott, wir loben dich
9, 4: Ach mache du mich Armen
Gnade und Friede sei mit uns allen von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unserem Herrn! Amen.

Wir hören als Predigttext einen Abschnitt aus dem Brief des Jakobus 5, 7-11 (GNB mit eigenen Ergänzungen in eckigen Klammern):

Meine Brüder [und Schwestern], habt Geduld, bis der Herr kommt! Seht, wie geduldig der Bauer darauf wartet, dass sein Land das kostbare Getreide hervorbringt! Er weiß, dass erst der Herbstregen und der Frühjahrsregen auf das Land fallen müssen. Auch ihr müsst Geduld haben! Fasst Mut; denn der Tag, an dem der Herr kommt, ist nahe. Klagt nicht übereinander, Brüder [und Schwestern]; sonst muss Gott euch verurteilen. Der Richter steht schon vor der Tür. Denkt an die Propheten, die im Auftrag des Herrn redeten. Nehmt euch ein Beispiel daran, wie geduldig sie ihre Leiden ertrugen. Unvergängliche Freude ist ihnen gewiss, weil sie standhaft geblieben sind. Ihr habt gehört, wie geduldig Ijob [Hiob] war, und wisst, wie der Herr seinem Leiden ein Ende machte. Der Herr ist voller Liebe und Erbarmen.

Amen.

Liebe Gemeinde!

Wir haben Advent. Advent heißt Ankunft oder einfach: das „Kommen“. Adventszeit ist eine Zeit des Wartens auf etwas, das kommt, auf jemand, der kommt. Die Kinder warten, bis endlich der Weihnachtsabend da ist, oder sie warten auf den Nikolaus. Worauf warten wir? Auf ein bisschen Ruhe endlich? Auf die entspannteren Tag nach den Feiertagen? Ich kenne gar nicht viele Leute, die sich noch – unter den Erwachsenen – so recht auf Weihnachten freuen können. Stattdessen ist das Gefühl weit verbreitet: Wäre es doch schon vorbei! Wie soll ich das nur überstehen? Oder: Wenn es soweit ist, werde ich so erschöpft sein, dass ich Weihnachten gar nicht mehr genießen kann. Ja, wie ist das mit uns: finden wir uns unter denen wieder, die sich so viel Mühe geben mit den Weihnachtsvorbereitungen, dass wir selber gar kein erfülltes Weihnachtsfest mehr erleben? Oder gehören wir zu denen, die oft so belastet, so beschwert sind, dass die Weihnachtsfreude zu so viel Kummer gar nicht recht zu passen scheint?

Die Vorbereitungen für Weihnachten können Spaß machen, das Einüben eines Krippenspiels, das Plätzchenbacken mit den Kindern, die schöne Idee für ein Weihnachtsgeschenk für die Menschen, die man lieb hat. Die Zeit vor Weihnachten kann auch eine Zeit für mehr besinnliche Stunden sein – im Adventsgottesdienst, im Orgelkonzert, im Singen am Adventskranz, im Erzählen für die Kinder. Wo die Vorweihnachtszeit aber zu einer Last wird, läuft vielleicht etwas falsch, was mit einem schiefen Verständnis von Weihnachten und der Adventszeit zusammenhängt. Wenn wir meinen, dass das Gelingen von Weihnachten allein von unserer Vorbereitungsaktivität abhängt, überfordern wir uns. Und wir missverstehen das, was mit Advent gemeint ist: denn – wie gesagt – Advent heißt: Warten auf etwas, das kommt, oder Warten auf jemand, der kommt. Das Wichtigste, worum es an Weihnachten geht, kommt also – ohne unser Zutun. Und vielleicht verbauen wir dem, was, oder dem, der da kommen will, durch zu viel Hektik, zu viel eigene Anstrengung, es ja jedem Recht machen zu wollen, sogar den Weg.

Aber wer kommt denn im Advent? Was haben wir zu erwarten? Jakobus sprach davon, dass der Herr kommt. Jesus werde bald zurückkommen, so erwartete er, dann werde eine Zeit des Frieden ohne Klagen und Weinen endlich anbrechen. Jakobus hat sich geirrt, denken wir, denn das Reich Gottes, um das wir in jedem Vater unser bitten, ist noch nicht in endgültiger Herrlichkeit angekommen. Oder hat er doch Recht? Jakobus spricht von Geduld, vom geduldigen Warten. Auch fast 2000 Jahre nach Jakobus hat das noch seine Berechtigung. Gerade in einer Zeit der Weltuntergangsstimmung ist es gut, zu hören: wer ungeduldig oder ängstlich auf immer wieder neue Termine des Weltenendes hinweist, der ist im Unrecht. Wenn das Weltende kommen soll, dann steht es in Gottes Hand, dann kommt der, der ein gerechter und gnädiger Richter ist. Der, vor dem wir uns zu verantworten haben, ist aber der gleiche, der die Strafe für unsere Schuld selber getragen hat. Wenn wir daran denken, ist Advent nicht nur eine Zeit von einigen Wochen vor Weihnachten, sondern dann weist Advent darauf hin, dass wir seit 2000 Jahren in der Zeit der Erwartung des Reiches Gottes stehen, dass mit Jesus eine Hoffnung in die Welt gekommen ist, deren endgültige Erfüllung noch aussteht.

Wenn Jakobus von Geduld spricht, können wir das aber noch anders verstehen. Denn in einer bestimmten Weise kann der Herr auch jetzt schon und nicht erst am Weltende zu uns kommen. Jesus kommt auch schon – unsichtbar – zu uns, wo Gottes Geist uns verändert. Wo wir offen sind für die Worte Jesu, wo wir bereit werden, ihm nachzufolgen, wo wir durch ihn spüren, dass Glaube, Liebe und Hoffnung keine leeren Worte sind – da kommt Jesus zu uns, da dringt er in unser Leben ein. Das ist das Wichtigste, was ich zu sagen habe; wenn Sie das andere mit dem Ende der Welt und dem Richter am Ende der Zeiten und dem Wiederkommen Jesu nicht so recht akzeptieren können, ist das nicht so entscheidend; entscheidend für unseren Glauben ist vielmehr, dass wir dem Kommen Jesu in unser eigenes Leben hinein Raum lassen.

Die Stichworte, unter denen Jakobus beschreibt, wie das Kommen Jesu erfahren werden kann, sind Geduld und Mut. Geduld bedeutet nun etwas ganz Verschiedenes für den, der oft zu viel zu tun hat, für den viel zu schnell Weihnachten da ist, als für den, dem die Zeit zu langsam verrinnt, weil sie angefüllt ist mit Trauer oder Schwermut oder Langeweile. Es ist für unsere Zeit bezeichnend, dass das Bild, das Jakobus gebraucht, vom Bauern, der geduldig auf den Herbst- und Frühjahrsregen wartet, zum großen Teil nicht mehr zutrifft: wo Technik und Chemie in alle Bereiche des Lebens vorgedrungen sind, scheint der Mensch – auch ohne Geduld – alles herbeiführen zu können, was er sich vornimmt, um den Preis der Schnellebigkeit, der Hektik, der ständigen Anstrengung. Geduldiges Warten hat in so einem Weltbild der Machbarkeit kaum noch seinen Platz. Vor allem das Zeit haben für den Mitmenschen, ja schon für die eigenen Kinder, das Geduldigsein mit den Schwächen und dem langsameren Tempo des Nächsten kommen in der Betriebsamkeit derer, die immer vielbeschäftigt sind, viel zu kurz. Und so findet der, der nicht die Ablenkung durch seine Arbeit und viele Beschäftigungen hat, auch noch seltener als früher einen Menschen, der ihm wirklich zuhören kann, der mit ihm fühlt, wenn er von seinen Belastungen und Traurigkeiten spricht.

Klagt nicht übereinander! sagt Jakobus in dieser Situation. Klagt nicht über die schlechten Zeiten, über die, die euch verfolgen (so damals), über die die euch links liegen lassen (so heute). Klagt nicht, dass ihr dauernd in Hektik seid, sondern sorgt dafür, dass ihr wenigstens einige Stunden habt, die von Hektik frei sind. Statt über euer Schicksal immer nur zu jammern, scheut euch nicht, auch einmal Beratung oder ein seelsorgerliches Gespräch in Anspruch zu nehmen. Dafür sind Berater und Pfarrer schließlich unter anderem auch da. Klagt nicht über die Menschen, die euch nicht verstehen, sondern sprecht Menschen, z. B. in der Gemeinde an, von denen ihr euch etwas erhofft. Für mich ist auch einer der wichtigsten Gründe dafür, einen Christkindlmarkt zu feiern, dass man hier vielleicht doch einmal mit jemanden näher in Kontakt kommt, den man sonst nicht trifft. Und wem hier die Zeit zu kurz ist für ein Gespräch, oder der Festtrubel zu bunt – warum nicht einfach mal ein anderes Treffen ausmachen: „wie wär’s wenn wir mal zu Hause zusammenkommen würden?“

Fasst Mut, sagt Jakobus, denn der Tag, an dem der Herr kommt, ist nahe. Er dachte ans Weltende, wir können an Weihnachten, an Jesu Geburtstag denken, Es ist aber nicht nur das kleine Kind in der Krippe, es ist der ganze Jesus zwischen Krippe und Kreuz, der uns näher ist, als wir denken. Er sieht uns so, wie wir sind mit unseren gemischten Vorweihnachtsgefühlen, er nimmt uns an, ohne dass wir erst Harmonie herstellen müssten in unserem Innern, und er nimmt uns allerdings auch in seinen Dienst, damit wir es auch den anderen Menschen in unserer Umgebung nicht noch schwerer machen, als sie es ohnehin schon haben. „Nehmt einander an, gleichwie Christus euch angenommen hat!“ so hat es Paulus ausgedrückt, was Jakobus mit den Worten sagt: „Der Herr ist voller Liebe und Erbarmen“. Ich finde, das ist eine gute Botschaft für die Adventszeit, für das Wartenlernen auf das Kommen Jesu in unser Leben, für das Geduldigsein miteinander und für das Mutfassen. „Nehmt einander an, gleichwie Christus euch angenommen hat. Nehmt auch euch selber an.“ Dann verliert die Vorweihnachtszeit viel von dem, was uns belastet. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinn in Jesu Christus. Amen.

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