Bild: Pixabay

Gott – unser Feind und unser Freund

Trauerfeier für einen jungen Mann, der auf Grund eines Unfalls gestorben ist. Wie soll man bei einem solchen Anlass leere Sprüche vermeiden, die nicht trösten können? Ich kann es nicht und greife auf Worte Hiobs zurück, der sich gegen leere Sprüche seiner Freunde wehrt und in Gott zugleich seinen Feind und seinen Freund sieht.

Ist Gott Feind und Freund zugleich? Der Schatten eines betenden Menschen vor dem Weltall mit Pferdekopfnebel gegenüber einem Gesicht, wie manche sich Gott vorstellen
Hiob sieht Gott als seinen Feind – und appelliert an ihn als seinen Freund (Bild: Gerd AltmannPixabay)

Im Namen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Wir sind vom Tod betroffen, haben einen schweren Weg vor uns. Wir müssen W. begraben, müssen diesen Weg miteinander gehen. Wir können es noch nicht begreifen, dass wir von ihm Abschied nehmen müssen. Das Unfassbare ist geschehen; und wie Ebbe und Flut wechseln ein Meer von Tränen und ein Gefühl, als erreiche uns ger nichts mehr, miteinander ab. Suchen wir Trost? Meinen wir überhaupt, irgendwo welchen zu finden?

Wichtig ist in dem allen zunächst, nicht allein zu sein, die Nähe der anderen zu spüren, die ehrlich betroffen sind, auch wenn sie nicht ungeschehen machen können, was geschehen ist, auch wenn sie den Schmerz nicht wegnehmen können.

Und wichtig ist es auch, von Gott zu sprechen, der das Schreckliche zugelassen hat, und der uns zumutet, weiterzuleben und nicht ein Übel durch unser Tun noch schlimmer zu machen.

Von Gott sprechen möchte ich zunächst mit Worten Hiobs – des Mannes, der alle seine Kinder verlor und selbst mit Krankheit geschlagen wurde. Er musste sich mit Freunden auseinandersetzen, die ihn trösten wollten, indem sie sagten: Gott kann doch nicht ungerecht sein; sicher wollte er dich prüfen oder für eine geheime Sünde bestrafen; deshalb ergebe dich in seinen Willen und bitte ihn um Gnade! Doch Hiob, der selber betroffen ist, weiß es besser und spricht von Gott anders. Wir hören seine Worte, die in der Bibel aufgezeichnet sind (Hiob 9 – GNB – nur Vers 23 in eigener Übertragung):

2 So ist es! Daran gibt es keinen Zweifel: Kein Mensch kann Recht behalten gegen Gott!

4 Gott ist so reich an Weisheit, Macht und Stärke! Wer kann es wagen, ihm die Stirn zu bieten? Er käme nicht mit heiler Haut davon!

10 [Gott] ist‘s, der Wunder tut, unzählbar viele, so groß, dass wir sie nicht verstehen können.

11 Gott geht an mir vorbei – ich seh ihn nicht, ich merke nicht, wie er vorübergeht.

12 Er rafft hinweg, und niemand hindert ihn. Wer wagt zu fragen: »He, was machst du da«?

14 Wie könnte ich ihm dann entgegentreten, wie rechte Worte finden gegen ihn?

15 lch bin im Recht und darf mein Recht nicht fordern! Soll ich ihn etwa noch um Gnade bitten, ihn, der das Urteil schon beschlossen hat?

16 Selbst wenn er sich dem Rechtsverfahren stellte – dass er mich hören würde, glaub ich nicht.

17 Er sendet seinen Sturm und wirft mich nieder, ganz ohne Grund schlägt er mir viele Wunden.

18 Er lässt mich nicht einmal zu Atem kommen, stattdessen füllt er mich mit Bitterkeit.

19 Soll ich Gewalt anwenden? Er ist stärker! Zieh ich ihn vor Gericht? Wer lädt ihn vor?

20 Ich bin im Recht, ich habe keine Schuld, doch was ich sage, muss mich schuldig sprechen.

21-22 Mir ist jetzt alles gleich, drum sprech ich‘s aus, selbst wenn ich meinen Kopf dafür riskiere: Dass ich im Recht bin, hilft mir nichts bei ihm; ob schuldig oder nicht – er bringt mich um!

23 Ganz plötzlich kommt ein Unglück, eine Katastrophe, und Menschen werden ohne Schuld getötet.

27 Wenn ich mir sage: »Gib das Klagen auf, vergiss den ganzen Jammer, lach doch wieder!« –

28 dann packt mich gleich die Angst vor neuen Qualen; ich weiß es ja, Gott spricht mich doch nicht frei.

32 Ach, wäre Gott doch nur ein Mensch wie ich, ich wüsste, welche Antwort ich ihm gäbe: er müsste mit mir vor Gericht erscheinen!

33 Gäb es doch einen Schiedsmann zwischen uns, dem wir uns alle beide beugen müssten!

34 Dann dürfte Gott mich nicht mehr weiterprügeln und würde mir nicht länger Angst einjagen.

35 Ich könnte reden, ohne mich zu fürchten. Jedoch in meinem Fall geht Macht vor Recht!

Ala Hiobs Freunde einwenden, dass man so doch nicht von Gott reden könne, antwortet Hiob auf eine überraschende Weise: Er will ja nicht ÜBER Gott reden und sich womöglich von ihm abwenden: er will MIT Gott reden und sich dabei nicht verstellen. Und so fährt er fort (Hiob 12 und 16 – GNB):

4 Ich schrei zu Gott, der mich sonst stets erhörte!

5 Wer Schaden hat, braucht für den Spott nicht sorgen; das tun die andern, denen alles glückt. Und wer schon wankt, bekommt noch einen Tritt.

2 Nur Last ist euer Trost für mich, nicht Hilfe!

3 Machst du nun endlich Schluss mit dem Gerede?

4 Wenn ihr jetzt hier an meiner Stelle wärt, dann könnte ich genau dasselbe sagen. Ich könnte meinen Kopf sehr weise schütteln und euch mit schönen Sprüchen reich bedenken.

5 Ich gäb euch neue Kraft – mit meinem Mund; ich zeigte euch mein Mitleid – mit den Lippen.

6 Mein Reden lässt die Schmerzen nicht verschwinden; doch schweige ich, so wird mir auch nicht leichter.

7 Gott hat sein Ziel erreicht: ich bin am Ende.

12 Aus meinem Frieden riss er mich heraus, er packte mich im Nacken, warf mich nieder. Dann nahm er mich als Ziel für seine Pfeile,

13 die mich von allen Seiten dicht umschwirren. Erbarmungslos durchbohrt er meine Nieren, lässt meine Galle auf die Erde fließen.

15 Das Trauerkleid ist meine zweite Haut, besiegt und kraftlos liege ich im Staub.

16 Ganz rot ist mein Gesicht vom vielen Weinen, die Augen sind umringt von dunklen Schatten.

17 Und doch, an meinen Händen klebt kein Unrecht, und mein Gebet ist frei von Heuchelei.

19 Im Himmel muss doch einer für mich aufstehn, der dort mein Recht vertritt und für mich bürgt

20 Von meinen Freunden hab ich nichts als Hohn, doch unter Tränen blick ich hin zu Gott.

21 Gott, der mein Freund ist, muss mir Recht verschaffen und Gott, den Feind, in seine Schranken weisen.

Hiob klagt Gott an – so wie vielleicht auch Sie Gott gegenüber stehen und einfach nicht begreifen können, wie er zulassen konnte, was passiert ist. Und zugleich wendet er sich an Gott als seinen Rechtsbeistand. Nur von ihm erwartet er noch irgendwelchen Trost, von demselben, den er hart angreift. Es ist ein ungewöhnlicher Glaube, den Hiob uns vorlebt: an dem Gott, den er als Feind erlebt, hält Hiob trotzdem fest und nennt ihn zugleich seinen Freund.

Liebe Familie X., liebe Trauergemeindel

In den Worten Hiobs ist vielleicht etwas angeklungen, was auch in Ihne vorgegangen ist in diesen letzten Tagen. Und jeder einzelne wird neu den Weg selber finden müssen, den er gehen kann: ob er Gott anklagen wird, ob er sich von Gott abwenden wird, ob er Trost finden oder im Schmerz allein bleiben wird, ob er Gott zwar unbegreiflich und grausam erlebt und dennoch in ihm einen Freund erkennen kann.

Billige Trostworte werden Ihnen nicht helfen: der Schmerz ist da und wird noch heftiger kommen und will durchlebt sein, ehe überhaupt der Gedanke daran, was das Leben nun noch für einen Sinn bieten kann, ins Auge gefasst werden kann.

Heute geht es zuerst einmal um das Schwere: Abschied zu nehmen von W., dem Verwandten, Freund, Arbeitskollegen, Schul- oder Sportkameraden.

Erinnerungen an das Leben des Verstorbenen

Noch vor einigen Wochen hat W. selber von schönen Erinnerungen aus seiner Kindheit und aus den vergangenen Jahren erzählt. Er hat gern gelebt und besaß Möglichkeiten, auch seine Probleme zu meistern. Von einer Minute auf die andere hat ein Unfall seinem Leben ein Ende bereitet.

An dieser Stelle muss ich eine dankbare und eine bittere Bemerkung machen. Mit Dankbarkeit ist aufzunehmen, mit welcher ehrlichen Betroffenheit viele von Ihnen reagiert haben, so dass ich glaube, dass Sie, liebe Familie X., nicht allein dastehen. Aber mit Bitterkeit berührt es mich, mit welcher Gedankenlosigkeit und Taktlosigkeit in diesen Tagen auch von einigen geredet worden ist, Gerüchte verbreitet und zum Teil als Wahrheit ausgegeben worden sind, und welche Neugier und Sensationslust so manchen angetrieben hat. Es ist fast so, wie Hiob es ausgedrückt hatte (Hiob 12, 5 – GNB):

Und wer schon wankt, bekommt noch einen Tritt.

Sofern wir in uns selbst ein Stück solcher Neugier, solchen distanzierten und gefühllosen Interesses, entdecken, haben wir allen Grund, an unsere Brust zu schlagen und um Vergebung zu bitten. Wem es nicht darum geht, den Betroffenen nahe zu sein, den geht es schlicht überhaupt nichts an, auf welche Weise und aus welchem Grund W. ums Leben gekommen ist.

Vielleicht meinen manche, dass sie nur durch einen oberflächlichen Umgang mit solchen Schreckensnachrichten fertig werden können. Dann sollten sie aber lieber schweigen. Sie machen es den anderen nur schwerer, den Weg durch ihren Schmerz hindurch zu gehen. Uns allen fällt es nicht leicht, mit unseren Gefühlen in diesen Tagen klarzukommen: die Betroffenheit von dem Unfall und von anderen schlimmen Nachrichten: die Angst, uns selbst könnte Ähnliches geschehen; der Zweifel, inwiefern wir etwas in unserer Verantwortung liegendes versäumt haben. Um das zu bewältigen, brauchen wir Menschen, denen wir vertrauen können und die wir ansprechen können, wenn uns etwas auf der Seele liegt. Und ich denke, wir brauchen auch einen Halt, der außerhalb unserer eigenen Kräfte liegt – in dem Gott, von dem und zu dem Hiob gesprochen hat, in dem Gott, der unser Freund ist, obgleich er manchmal wie ein Feind erscheint.

Hiob wünschte sich (Hiob 9, 32 – GNB):

Ach, wäre Gott doch nur ein Mensch wie ich!

An Weihnachten werden wir es wieder hören: Gott IST in Jesus Mensch geworden. Gott selbst HAT in Jesus auf dieser Erde ein Leben ohne jedes Unrecht geführt. Gott selbst HAT in Jesus trotzdem das Urteil der Welt auf sich genommen: Er soll gekreuzigt werden! Im Alter von 30 Jahren wurde Gottes Sohn hingerichtet, und er wurde kein Verräter an dem, wofür er gelebt hatte: die Liebe, auch zu den Feinden, und das Vertrauen zu Gott, seinen Vater, der ihn diesen Weg gehen ließ. Nur wenn wir uns das klar machen, dass Gott selber auf unserer Erde so sehr gelitten hat und gestorben ist – und dabei doch Gott blieb und auferweckt werden konnte – nur dann haben wir eine Hoffnung, sogar über den Tod eines Kindes, eines jungen Mannes hinaus. Amen.

Herr, unser Gott, wir hängen an dem verzweifelten Wunsch, es möge nicht geschehen sein, was geschehen ist. Es bleibt so sinnlos. Gott, du bist uns fremd geworden. Wir quälen uns mit Fragen, auf die uns niemand Antwort geben kann. Werden wir neuen Glauben finden, dem Schrecken standhalten können? Werden wir im Schmerz, der bleiben wird, doch einen Weg gehen, auf dem wir wieder merken, wofür wir leben? Gott, nimm W. in deine Liebe auf und lass uns am Leben bleiben! Schenke uns Begleiter in unserem Schmerz! Amen.

Hinweise zur Veröffentlichung anonymisierter Texte von Trauerfeiern auf dieser Homepage

 

Schreibe einen Kommentar

Mit dem Abschicken des Kommentars stimmen Sie seiner Veröffentlichung zu (siehe Datenschutzerklärung). Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.