Bild: Helmut Schütz

Heidenheiland

Klarheit und Wahrheit ist heute oft Mangelware, in der Öffentlichkeit herrscht Manipulation und Verwirrung vor, in privaten Bereich trägt jeder Masken – hier im Lied wird gesagt: Dein Krippen glänzt hell und klar. Von diesem Jesus aus, der in der harten, armen Krippe geboren und Heiland der Heiden genannt wurde, geht Klarheit und Wahrheit aus.

Christkindlmarkt Reichelsheim 1981 auf der Hofreite Aksoy-Oppolzer
Christkindlmarkt Reichelsheim 1981 auf der Hofreite Aksoy-Oppolzer
Gottesdienst am Christkindlmarkt, 2. Advent, 6. 12. 1981, um 13.30 Uhr in der Reichelsheimer Kirche (und auch in Weckesheim)
Schriftlesung: Jesaja 63, 15 – 64, 8 (in Auswahl)
Abkündigungen:

… morgen Friedensgruppe um 20.00 Uhr im Pfarrhaus,
heute nachmittag Christkindlmarkt …

Lieder (EKG): 6, 1-3; 1, 1-5; 152, 1-2; 6, 4-5
Predigt zum Christkindlmarkt
Gnade sei mit uns und Friede von Gott, unserem Vater, und Jesus Christus, unsrem Herrn. Amen.

Als Predigttext nehme ich heute das Lied, das wir eben gesungen haben, das erste Lied aus unserem Gesangbuch (EKG 1, aber EG 4), das in lateinischer Sprache von dem Bischof Ambrosius im 4. Jahrhundert stammt und von Martin Luther ins Deutsche übersetzt wurde:

Nun komm, der Heiden Heiland,
der Jungfrauen Kind erkannt,
dass sich wunder alle Welt,
Gott solch Geburt ihm bestellt.

Er ging aus der Kammer sein,
dem königlichen Saal so rein,
Gott von Art und Mensch, ein Held;
seinen Weg er zu laufen eilt.

Sein Lauf kam vom Vater her
und kehrt wieder zum Vater,
fuhr hinunter zu der Höll
und wieder zu Gottes Stuhl.

„Dein Krippen glänzt hell und klar,
die Nacht gibt ein neu Licht dar.
Dunkel muss nicht kommen drein,
der Glaub bleibt immer im Schein.“

Lob sei Gott dem Vater gtan,
Lob sei Gott seim eingen Sohn,
Lob sei Gott dem heilgen Geist
immer und in Ewigkeit.

Amen.

Liebe Gemeinde!

Wie schon im letzten Jahr beim Christkindlmarkt halte ich meine Predigt wieder über ein Adventslied. Doch zunächst einige Worte zu dieser merkwürdigen Zeit: „Advent“. Lieder gehören zum Advent, haben zumindest dazugehört, als wir noch Kinder waren, und wenn wir als Erwachsene an Advents- und Weihnachtslieder denken, verbinden wir damit möglicherweise auch heute noch die Sehnsucht nach einer heileren Welt, nach einem weniger zerrissenen oder einsamen Leben. Viele dieser Sehnsüchte richten sich im Grunde eher nach der Vergangenheit aus: wir erinnern uns daran, wie es in der Vorweihnachtszeit war, als wir noch Kinder waren; und viele meinen auch, dass den Kindern früher diese Zeit mehr bedeuten konnte als heute. Adventszeit ist eine Zeit des Wartens – und früher, als es weniger und kleinere Geschenke gab als heute, da war die Vorfreude und die Zeit des Wartens vielleicht das Schönste an der ganzen Weihnachtszeit. Hat man gar nichts oder zu wenig zu erwarten, stellt sich Traurigkeit ein; man kann aber auch zu viel bekommen, kann übersättigt werden mit Geschenken, kann sich am einzelnen dann kaum noch freuen, erhebt Ansprüche nach immer wieder neuen Dingen, mit denen man sich bald wieder langweilt.

Die Adventszeit ist ursprünglich als eine Bußzeit gedacht gewesen. Buße heißt Umdenken. Wir können uns jetzt diese Minuten der Predigt und des Gottesdienstes nehmen, um uns darauf zu besinnen, was wir – ja wir! – in der Adventszeit erwarten können. Adventszeit ist nicht nur eine Zeit der Kinderträume, an die wir uns wehmütig erinnern, während uns gar nicht so weihnachtlich zumute werden will. Advent heißt Ankunft, heißt – für Erwachsene und Kinder – Warten auf den, der kommt. Warten auf den, der einmal gekommen ist, der immer wieder neu auch in unser Leben hineinkommen will, Warten auf Jesus, auf den Gott, den wir nicht sehen können, der aber in der Person Jesu gezeigt hat, wie er ist. Das geht manchmal im heutigen Weihnachtsfest der Geschenke etwas unter: dass das beste Geschenk nicht materieller Art ist, sondern eine Person, eine Person mit ihrer Liebe und Wärme, mit ihrem Zuspruch und ihrem Trost, mit ihrer liebevollen Kritik und ihrer Ermutigung. Jesus ist das Weihnachtsgeschenk für alle Menschen!

Wie wird von diesem Geschenk nun im Adventslied gesprochen? Der Heiland kommt da, der, der verspricht, uns heil zu machen, der uns so viel gibt, dass wir sagen: wir haben genug. Der Heiden Heiland ist es, nicht ein Heiland derer, die es verdient hätten, dass er kommt. Insofern sind wir alle Heiden und werden erst zu Christen, wenn Christus wirklich zu uns kommt. Taufscheine, Konfirmationsbescheinigung, Treue zur Kirche sind ebensowenig eine Garantie für das Kommen Jesu, wie es umgekehrt kein Hindernis gibt, dass Jesus zu einem kommt, dessen Leben gescheitert ist, der nicht in der Lage war, sein Leben zu meistern, oder der Schwierigkeiten hat, bestimmten kirchlichen Formen und Normen zu folgen. Jesus ist der Heiland der Heiden.

Diesen Heilmacher erkennen wir nun in der Jungfrauen Kind. Nicht im aussichtsreichen Spross einer königlichen oder priesterlichen Dynastie, nicht im wohlbehüteten Kind einer angesehenen Familie, sondern im Kind eines zu dem Zeitpunkt unverheirateten Mädchens, von dem der Glaube sagt, dass es seine Göttlichkeit nicht von einem menschlichen Vater haben kann.

Da kann sich die Welt nur wundern – entweder den Kopf schütteln, dass diese unglaubliche Tatsache behauptet wird: Gott sei als Mensch auf die Welt gekommen, als das Baby eines armen galiläischen Mädchens – oder aber staunen darüber, dass Gott einen so menschlichen Weg gewählt hat, um den Menschen nahezukommen.

Damit bleibt Gott nicht der ferne und unnahbare Gott; er geht aus der Kammer, aus seinem für uns unzugänglichen Raum, er verlässt den so reinen königlichen Saal, um in die Welt der Unreinheit, der Zerrissenheit, der Schuld, des Bösen und des Leidens zu gehen. Gott bleibt auch nicht der ewig unbewegliche und unveränderliche Gott: sein’ Weg er zu laufen eilt – er bringt Bewegung in die Geschichte der Menschen, eine heilsame Bewegung, weil eines in ihr feststeht: dass er es gut mit den Menschen meint. Weil diese Liebe Gottes unveränderlich ist, werden Verhältnisse und Beziehungen und Persönlichkeiten, die wir für starr und unveränderlich halten, doch veränderbar. Insofern ist Jesus Gott von Art und Mensch, ein Held. Gott ist er durch seine ungebrochene Verbindung zu Gott, seinem Vater, dadurch, dass er in seiner Art zu leben die Art Gottes widerspiegelt, dass er nie die Liebe zum Nächsten und zum Feind verraten hat. Und indem Jesus ein Mensch war, wie Gott sich die Menschen vorgestellt hat, wie wir alle sein sollten, ist er ein Held. Held ist er nicht als Sieger über Unterworfene, sondern als vergebender Gekreuzigter, nicht als gewaltsamer Kämpfer für Gott, sondern als einer, der stark genug ist, auf Gewalt zu verzichten und Leiden auf sich zu nehmen.

Die dritte Strophe wiederholt es eindrücklich: Jesus kommt von Gott her und kehrt wieder zum Vater zurück. Er geht durch die Erfahrungen der Erde, des menschlichen Lebens, und nimmt sogar die Erfahrungen der Hölle mit zurück zu Gottes Stuhl. Gott ist nicht mehr nur der ewig über uns thronende, Lohn und Strafe verteilende Richter, sondern er ist uns nahe gekommen in unseren Abgründen, er ist uns greifbar nahe, gerade wenn wir am weitesten von ihm entfernt zu sein scheinen. Heute sehen wir Jesus nicht, so wenig wie wir Gott selbst sehen. Aber wenn wir heute an Gott glauben, mit ihm rechnen, nach ihm suchen, an ihn zweifeln oder uns von ihm anrühren lassen – da können wir eins wissen: es ist der Gott, der mit Jesus eins ist, der die Art Jesu hat, an den wir glauben können. Wir können nach ihm greifen – in Gedanken, im Gebet, im Seufzen, im Stöhnen, im Lachen, im Freuen, im Weinen. Und er wird da sein, vielleicht unmerklich, vielleicht spürbar, in einer neuen Kraft, die wir bekommen.

Wenn wir uns daran in der Advents- und Weihnachtszeit erinnern, dass der Gott Jesu zu uns kommen will, uns zu neuen Menschen machen will, dann haben auch wir Erwachsenen wieder Grund zum gespannten Warten – Warten darauf, was aus uns wohl noch werden kann, was wir wohl noch wagen, mit anderen Menschen erfahren werden. Warten auch, was aus unserer Welt wohl noch werden kann. Ein Warten, das nicht untätig bleibt, wie ich es in einer der letzten Predigten schon einmal gesagt habe.

Klarheit und Wahrheit ist heute oft Mangelware, in der Öffentlichkeit herrscht Manipulation und Verwirrung vor, in privaten Bereich trägt jeder Masken – hier im Lied wird gesagt: Dein Krippen glänzt hell und klar. Von diesem Mann Jesus aus, der in der harten, armen Krippe geboren wurde, geht Klarheit und Wahrheit aus. Er hat den angesehenen Menschen seiner Zeit die frommen Masken heruntergerissen und ihre Hartherzigkeit offenbar gemacht. Er hat denen, die von den anderen abgeschrieben waren, als verdorben oder von Gott gestraft oder nicht zu retten – denen hat er gezeigt, dass doch mehr in ihnen steckt. Die Wahrheit über verdorbene Menschen spricht Gott, wenn er vergibt, nicht wir Menschen, wenn wir urteilen und links liegen lassen und über andere herziehen. Das ist das neue Licht, das die Nacht hergibt, das mitten in der Dunkelheit der Lüge und der Verstellung zu leuchten anfängt. Da braucht sich keiner mehr zu verstellen, wo alle auf ihre Fehlerhaftigkeit und ihre konkrete Schuld angesprochen sind, und wo alle auf Vergebung hoffen können.

Dass Neuanfänge möglich sind, dass der Glaube eine Hilfe für das Leben sein kann, dass Jesus wirklich das Licht der Welt sein könnte – das haben viele von uns vielleicht schon einmal oder auch oft gespürt und erfahren. Aber die meisten kennen auch die Erfahrung, dann doch wieder leicht zu verzagen und mutlos zu werden, gute Vorsätze zu vergessen, sich in der Alltagshetze treiben zu lassen, nicht zu sich selbst zu kommen, nicht sich einem anderen Menschen öffnen zu können, allein zu bleiben, ständig auf der Jagd nach Anerkennung, und nicht satt zu werden auf der Suche nach Liebe. Eine Liedzeile sagt uns in dieser Situation ganz verhalten und tröstlich: „Dunkel muss nicht kommen drein, der Glaub bleibt immer im Schein.“ Hoffnung,, die wir einmal hatten, muss nicht durch das Dunkel wieder aufgezehrt werden. Schöne Erfahrungen müssen nicht einmalig und unwiederholbar sein. Es ist nicht so, dass wir als Kinder zwar noch einen strahlenden Kinderglauben haben konnten, der aber mehr und mehr verdunkelt wird, je erwachsener wir werden. Vielmehr bleibt ein Glaube, der mit uns wächst, wenn wir älter werden, und mit dem wir wachsen, auch über uns hinauswachsen können – bleibt ein solcher Glaube immer im Scheinen, im Leuchten. Wir können uns damit vor dem Aufgeben und dem Verzweifeln bewahren und wir können auch in das Leben anderer Menschen hineinleuchten. Viele streifen nur den Kinderglauben ab, wenn sie erwachsen werden. Jesus, das Christkind, kommt dann nur zu den kleinen Kindern. Wenn wir als Erwachsene Advent ernstnehmen, können wir daran gehen, in unserem Glauben reifer zu werden, uns zu fragen, inwiefern die Person Jesus für uns ein Geschenk sein könnte.

Wir können füreinander mit unserer Liebe ebenfalls das schönste Weihnachtsgeschenk sein – und als Hilfsmittel dazu auch die in Geschenkpapier verpackten Gaben benutzen. Wir können die Gelegenheit des Christkindlmarktes nutzen, Kontakt miteinander aufzunehmen, vielleicht auch einmal zu fragen, wie andere das Weihnachtsfest feiern werden. Vielleicht können sich zwei, die sonst allein feiern würden, an einem der Weihnachtstage einmal zusammentun. Amen.

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