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„Das Brot ist der Himmel“

Himmel, das meint in respektvoller Umschreibung Gott, den Lebendigen. Brot, das bedeutet: Hungernde haben etwas zu essen. Dem Himmel ist es nicht gleichgültig, ob sich das Brot bei wenigen häuft und bei vielen fehlt. Brot – die Grundlage eines sinnvollen Lebens – hat Luther im Kleinen Katechismus so erklärt: Tägliches Brot ist alles, was zur Leibesnahrung und Notdurft gehört.

Ein Junge im Kornfeld unter blauem Himmel mit weißen Wolken
Ein Junge im Kornfeld unter blauem Himmel (Bild: RasterlockePixabay)

direkt-predigtGottesdienst zum Erntedankfest am 5. Oktober 1980 um 8.30 in Dorn-Assenheim, um 9.30 in Heuchelheim und um 10.30 in Reichelsheim (mit Abendmahl) sowie am 12. Oktober 1980 um 13.00 Uhr in Staden
EKG 381, 5+2+3+8 (EG 505, 4+2+3+7):

5. O allerliebster Vater, du hast viel Dank verdient; du mildester Berater machst, dass uns Segen grünt. Wohlan, dich loben wir für abgewandten Schaden, für viel und große Gnaden; Herr Gott, wir danken dir.

2. Wir rühmen seine Güte, die uns das Feld bestellt und oft ohn unsre Bitte getan, was uns gefällt; die immer noch geschont, ob wir gleich gottlos leben, die Fried und Ruh gegeben, dass jeder sicher wohnt.

3. Zwar manchen schönen Segen hat böses Tun verderbt, den wir auf guten Wegen sonst hätten noch ererbt; doch hat Gott mehr getan aus unverdienter Güte, als Mund, Herz und Gemüte nach Würden rühmen kann.

8. Gib, dass zu dir uns lenket, was du zum Unterhalt des Leibes hast geschenket, dass wir dich mannigfalt in deinen Gaben sehn, mit Herzen, Mund und Leben dir Dank und Ehre geben. O lass es doch geschehn!

Lied EG 476, 1-4 (EG 508):

1. Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand: Der tut mit leisem Wehen sich mild und heimlich auf und träuft, wenn heim wir gehen, Wuchs und Gedeihen drauf.

R. Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn!

2. Er sendet Tau und Regen und Sonn- und Mondenschein, er wickelt seinen Segen gar zart und künstlich ein und bringt ihn dann behände in unser Feld und Brot: Es geht durch unsre Hände, kommt aber her von Gott.

3. Was nah ist und was ferne, von Gott kommt alles her, der Strohhalm und die Sterne, der Sperling und das Meer. Von ihm sind Büsch und Blätter und Korn und Obst von ihm, das schöne Frühlingswetter und Schnee und Ungestüm.

4. Er lässt die Sonn aufgehen, er stellt des Mondes Lauf; er lässt die Winde wehen und tut den Himmel auf. Er schenkt uns so viel Freude, er macht uns frisch und rot; er gibt den Kühen Weide und unsern Kindern Brot.

Gottes Friede sei mit uns allen. Amen.

Wir bitten Gott: Herr, hilf uns danken, und hilf uns denken. Danken für deine Gaben, denken an das, was wir anderen schulden. Amen.

Liebe Gemeinde!

Fast sah es ja so aus, als sollte es in diesem Jahr in unserem Land nicht so viel Grund zum Danken geben wie in anderen Jahren. Die sommerliche Regenzeit schien kein Ende nehmen zu wollen, schien die Getreideernte zu gefährden, wie sie schon das erste Heu und z. B. die Kirschen beeinträchtigt hatte. Dann kam doch noch, gerade rechtzeitig, trockenes Erntewetter. Auch wir Menschen des 20. Jahrhunderts sind von äußeren Umständen abhängig, die wir nicht selbst beeinflussen oder gar bestimmen können.

Nun, dennoch ist in unserem Land heute manches anders, als es früher bei uns und heute noch in vielen anderen Ländern aussieht. Auch wenn die Ernte schlechter ausgefallen wäre in unserem Land, wäre keine Hungersnot ausgebrochen. Persönliche Einbußen und Rückschläge, wirtschaftliche Verluste, ja das Schließen eines Betriebes sind bittere Erfahrungen, doch in der Regel entscheiden sie bei uns nicht über Tod oder Leben. Wir leben heute in einem reichen Land.

Meine Familie und ich sind ja gerade aus einem ärmeren Land in die Bundesrepublik zurückgekommen. Halbvolle Regale in den Geschäften, Kleidung, der Zustand vieler Häuser verraten einen niedrigeren Lebensstandard. Und doch gehört auch z. B. Rumänien zu den reichen Ländern der Welt. Es fehlt nicht wie in vielen Ländern Afrikas oder z. B. in Indien einer großen Zahl von Menschen am notwendigen Brot oder Reis zum Überleben.

Sind die Menschen in unserem Land nun dankbar? Reicht unser Reichtum aus als Grund zur Dankbarkeit? Genügt es, die Verhungernden in Kalkutta anzuschauen und zu sagen: Seien wir dankbar, dass es uns so gut geht? Genügt es, jungen Menschen, denen es bei uns materiell an nichts fehlt, zu sagen: ihr wisst ja nicht, wie gut es euch geht! Ihr müsstet mal den Hunger am eigenen Leib gespürt haben, im Krieg, im Lager, in der Nachkriegszeit. Dann würdet ihr dankbarer sein für alles, was ihr habt. Hat es Sinn, so zu reden?

Es kommt darauf an, was wir mit Dankbarkeit meinen. Wenn wir uns im Grunde auf die eigene Schulter klopfen und stolz auf unsere Tüchtigkeit sind, die uns so weit gebracht hat – dann brauchen wir kein Erntedankfest für Gott. Wenn wir meinen, unsere jungen Leute sollten aus Dankbarkeit nicht so kritisch sein gegenüber den Kehrseiten und Schattenseiten unserer Wohlstandsgesellschaft – dann vergessen wir etwas. Dankbarkeit ist nämlich nicht nur das Gefühl: Schön, dass es uns gut geht! sondern Dankbarkeit schließt verantwortliches Denken ein: Wozu verpflichtet es uns, dass es uns so gut geht?

Ein Erntedankfest gab es schon zur Zeit des jüngeren Propheten Jesaja. Es war eine merkwürdige Zeit in der er lebte, ungefähr 500 Jahre vor Christus. Man schaute zurück auf die Zeit des Krieges, auf die Zeit der Zerstörungen Jerusalems und des Tempels. Den Wiederaufbau der Stadt und des Landes hatte jeder miterlebt, ja mitgestaltet. Ein Grund, stolz zu sein. Die Feiertage waren alle im Kalender fest vermerkt. Sie gehörten zum Ablauf des Jahres, selbstverständlich wie Tag und Nacht, wie Arbeit und Freizeit, wie Essen und Trinken. Einer dieser Festtage war der Fastentag, ein Zeichen dafür, nicht alles selbstverständlich hinzunehmen, was Markt und Küche bieten, nicht nur ein Erntedanktag, sondern auch ein Erntedenktag.

Aber wie sah damals dieses Erntedankfest in Wirklichkeit aus? Schon Jesaja sah damals einen Widerspruch zwischen dem Anspruch und der Wirklichkeit des Festes. Er rief seinem Volk zu:

So spricht der Herr (Jesaja 58, 3-4 – GNB):

„Seht doch, was ihr an euren Fasttagen tut! Ihr geht euren Geschäften nach und beutet eure Arbeiter aus. Ihr fastet zwar, aber ihr seid zugleich streitsüchtig und schlagt sofort mit der Faust drein. Darum kann euer Gebet nicht zu mir gelangen.“

Es läuft also alles weiter, trotz des Feiertages. Auf der anderen Seite verbreitet dieser Tag aber lähmende Müdigkeit, Verlegenheit und Resignation.

„Ist das vielleicht ein Fasttag, wie ich ihn liebe, wenn ihr nicht esst und nicht trinkt, euren Kopf hängen lasst und euch im Trauerschurz in die Asche setzt? Nennt ihr das ein Fasten, das mir gefällt?“ (Jesaja 58, 5 – GNB)

So alt ist schon die Verlegenheit, wie man denn richtig das Erntedankfest begehen sollte; geblieben ist das schlechte Gewissen, wenn wir daran denken, dass das Brot für die Welt nicht gerecht verteilt ist, dass wir unseren Wohlstand – schaut man einmal hinter die Kulissen – auf Kosten der armen Völker genießen.

Aber hören wir richtig hin: um das schlechte Gewissen, um das mutlose den-Kopf-hängen-Lassen, um bierernste, langweilig-feierliche Feste geht es Jesaja gerade nicht. Denn Jesaja ist ein Prophet. Ein Prophet ist einer, der sieht, was ist, und der zugleich sagt, was sein kann. Er fragt sich und uns: wie feiern wir Feste mitten in einer Welt, die noch lange nicht so ist, wie Gott sie haben will – im Jahre 500 vor wie im Jahre 1980 nach Christus?

Nicht um eine dauernde Pflege des schlechten Gewissens soll es beim Erntedankfest gehen, aber auch nicht darum, alles einfach so weiterlaufen zu lassen, wie es, mehr schlecht als recht läuft. Sondern es geht um den Mut, mehr zu tun, in einer ganz bestimmten Zielrichtung. So hört sich das bei Jesaja 58, 6-7.9-11 – GNB) an:

„Nein, Fasten, wie ich es haben will, sieht anders aus! Löst die Fesseln eurer Brüder, nehmt das drückende Joch von ihrem Hals, macht jeder Unterdrückung ein Ende. Gebt den Hungrigen zu essen, nehmt Obdachlose in euer Haus, kleidet den, der nichts anzuziehen hat, und helft allen in eurem Volk, die Hilfe brauchen. … Dann werdet ihr zu mir rufen, und ich werde euch antworten; wenn ihr um Hilfe bittet, werde ich sagen: ‚Hier bin ich!‛ Wenn ihr aufhört, andere zu unterdrücken, mit dem Finger spöttisch auf sie zu zeigen und schlecht über sie zu reden, wenn ihr den Hungrigen zu essen gebt und euch den Notleidenden zuwendet, dann wird eure Dunkelheit hell werden, rings um euch her wird das Licht strahlen wie am Mittag. Ihr werdet wie ein Garten sein, der immer genug Wasser hat, und wie eine Quelle, die niemals versiegt.“

Wer hört solchen Sätzen heute noch zu – und zwar so, dass sie auch in die Tat umgesetzt werden? Einen Zuhörer haben Gott und der Prophet Jesaja in dem südkoreanischen Dichter Kim Chi Ha gefunden. Südkorea – in den letzten Wochen wieder in die Schlagzeilen geraten wegen des Todesurteils gegen den Oppositionspolitiker Kim Dae Jung, bekannt wegen seiner Militärdiktatur, wegen der Niederschlagung eines Volksaufstands im blutigen Massaker von Kwangju, ein Land, das trotz Folterungen und Dikatatur nicht die Unterstützung vom freien Westen verliert, das kreditwürdig ist, das als Industriestandort gewinnbringend und ruhig ist, in diesem Land die biblischen Propheten zu lesen, bedeutete für Kim Chi Ha: zu lernen, mutig für Gerechtigkeit einzutreten, sich nicht mit gegebenen Verhältnissen abzufinden, die Liebe nicht zu verraten, auch wenn Hass und Gleichgültigkeit sie zu ersticken drohen. Sein öffentliches Auftreten brachte ihn schon vor einem Jahr mit vielen Christen und Nichtchristen die Inhaftierung ein, dann das Todesurteil, das schließlich in lebenslange Haft umgewandelt wurde.

Im Gefängnis dichtete Kim Chi Ha ein Lied. Es lautet im deutschen Text:

Das Brot ist der Himmel.
Wie du den Himmel nicht allein haben kannst,
musst du das Brot mit den anderen teilen.

Das Brot ist der Himmel.
Kommt das Brot in deinen Mund hinein,
nimmt dein Körper den Himmel auf.

Das Brot ist der Himmel.
Ja, das Brot muss man teilen.

Himmel, das meint in respektvoller Umschreibung Gott, den Lebendigen. Brot, das bedeutet: Hungernde haben etwas zu essen. Entgegen allen Unterstellungen ist es dem Himmel nicht gleichgültig, ob sich das Brot bei wenigen häuft und bei vielen fehlt. Für alle Menschen ist Brot die Grundlage eines sinnvollen Lebens. Luther hat das im Kleinen Katechismus so erklärt: Tägliches Brot – das ist alles, was zur Leibesnahrung und Notdurft gehört, wie Essen, Trinken, Schuhe, Haus, Hof, Acker, Vieh, Geld, Gut, also Produktionsmittel, treue Eheleute, Kinder und Mitarbeiter, anständige und verantwortungsbewusste Regierungen und Behörden, gutes Wetter, Frieden auf Erden, Ordnung, also Rechtssicherheit, ein guter Ruf, gute Freunde und zuverlässige Nachbarn. Dies alles versteht Luther unter dem täglichen Brot, das für alle Menschen zu erbitten und zu erarbeiten ist.

Für alle Menschen? Das hieße z. B., dass unsere Abgeordneten, die wir heute wählen, dass unsere Regierung mehr als bisher wissen müsste: wenigstens die bewussten Christen stehen hinter jeder Anstrengung, eine gerechtere Weltwirtschaftsordnung herbeizuführen, eine neue Ordnung des Zusammenlebens und des Teilens. Brot für die Welt ist eine gute Spendenaktion, weil sie gute Projekte mit klarer Konzeption fördert. Aber Spenden können nicht den Abbau von Unrecht im Welthandel ersetzen, nicht den Einsatz für Menschenrechte auch in den Folterdiktaturen der verbündeten Staaten, können uns nicht ersparen, dass wir uns, gerade als Christen, entwicklungspolitisch informieren und auch für unbequeme Veränderungen einsetzen. Manche ärgern sich schon über Spendensammlungen. Für Diakonie, für Brot für die Welt, für dieses und jenes. Aber wie wir Gott nicht für uns allein haben können, müssen wir auch das Brot mit den anderen teilen. Und sind da nicht Spenden allein noch viel zu wenig?

Das Lied von dem Brot, das der Himmel ist, ist das Lied eines Gefangenen. Kim Chi Ha, der koreanische Christ und Schriftsteller, schrieb es. Er leidet im Gefängnis. Er ist tuberkulosekrank. Sein Leiden aber lässt ihn nicht um sich selbst kreisen. Es macht ihn empfindlich für das Leiden anderer. Seine Empfindlichkeit kann uns anstecken, die wir auch jeder unser Päckchen zu tragen haben, der eine an Krankheit, der andere an Arbeitsüberlastung, der dritte an Problemen in seiner Familie, wieder andere an der Sorge um eine Lehrstelle oder einen Arbeitsplatz.

Vielleicht hilft uns das Erntedankfest, dass wir entdecken, welcher Reichtum uns aber neben unseren Sorgen und Schwierigkeiten anvertraut ist – an Brot, an Freiheit, an Geborgenheit. Vielleicht hilft es uns, diesen Reichtum nicht mit tiefgefrorenem Glauben auf Eis zu legen, sondern ihn zu teilen. Er vermehrt sich dabei. Es gibt Menschen, die darauf warten, die davon leben, die sonst sterben. Amen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus. Amen.
Lied (EG 420): Brich mit den Hungrigen dein Brot

Das Brot ist der Himmel – so hieß es in dem Lied von Kim Chi Ha. Wir können das auch einmal so verstehen: Viele fragen sich ja, wo der Himmel ist. Oben, wo die Wolken, die Flugzeuge und die Weltraumschiffe sind, ist ja nicht das, was die Bibel mit Himmel meint. Irgendeine andere Welt, für uns unvorstellbar, in der Gott wohnt, ist für uns nicht greifbar. Wenn wir einfach sagen: der Himmel ist ein Wort für den Bereich, wo Gott ist, dann ersparen wir uns viele Spekulationen. Das Brot ist der Himmel. Im Abendmahl hat Jesus sein Schicksal mit dem des Brotes verknüpft. Er opfert sich, gibt sich für viele hin, ist für alle bedingungslos da. Dafür soll das Brot ein Zeichen sein. Das ist mein Leib, sagt Jesus. Wo das Brot gebrochen wird, geteilt wird, für alle da ist, da ist Jesus, da ist Gott. Kommt das Brot in deinen Mund hinein, nimmt dein Körper den Himmel auf. Das Brot ist der Himmel. Ja, das Brot muss man teilen! Amen.

Einsetzungsworte
Christe, du Lamm Gottes
Austeilung
Frankfurter Lieder 124: Wer den Menschennamen trägt

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